Liebe und Schicksal Großband 8/2023 - Anna Martach - E-Book

Liebe und Schicksal Großband 8/2023 E-Book

Anna Martach

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane Musik des Herzens (Anna Martach) Manege frei fürs große Glück (Anna Martach) Das rote Signal: Romance (Grace Livingston Hill) "Birgit? – He, Birgit, erkennst mich nimmer? Himmel, wie lang hab ich dich net gesehen? Wo hast gesteckt all die lange Zeit? Und wie kommst ausgerechnet daher?" Der Bursche mit den lachenden blauen Augen glaubte, dass ihm das Herz stehenbleiben müsste. Er lief quer über die Straße auf die Wiese zu, wo ein reizendes blondes Madl grad dabei war, Futter für ein paar Affen zuzubereiten. Affen? Ja, der Zirkus war nach Hindelfingen gekommen. Und beileibe net einer von den kleinen, die mehr schlecht als recht durch die Lande zogen und kaum genug Geld für das Futter erspielten. Nein, es war der große bekannte Zirkus Winters-Franzen, die Sensation auf diesem Gebiet. Und ausgerechnet hier draußen, wo die Arbeiter und Helfer eifrig damit beschäftigt waren alles aufzubauen, die zahlreichen Tiere zu versorgen, und auch schon den Auftritt zu proben, musste der Dirk Tanngerber, der Sohn vom Sägemüller, das Madl wiederentdecken, für das er schon während der Schulzeit geschwärmt hatte. Und net nur geschwärmt. Er hatte regelrecht sein Herz an sie verloren und war untröstlich gewesen, als sie damals einfach wieder aus seinem Leben verschwand. Natürlich war der Bursche, wie fast jeder am Ort, rein "zufällig" hierher gelaufen, um zuzuschauen, wie es so zuging beim Zirkus. Und dabei hatte er die Birgit entdeckt.

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Anna Martach, Grace Livingston Hill

Liebe & Schicksal Großband 8/2023

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Inhaltsverzeichnis

Liebe & Schicksal Großband 8/2023

Copyright

Musik des Herzens

Manege frei fürs große Glück

Das rote Signal: Romance

Liebe & Schicksal Großband 8/2023

Anna Martach, Grace Livingston Hill

Dieser Band enthält folgende Romane

Musik des Herzens (Anna Martach)

Manege frei fürs große Glück (Anna Martach)

Das rote Signal: Romance (Grace Livingston Hill)

„Birgit? – He, Birgit, erkennst mich nimmer? Himmel, wie lang hab ich dich net gesehen? Wo hast gesteckt all die lange Zeit? Und wie kommst ausgerechnet daher?“

Der Bursche mit den lachenden blauen Augen glaubte, dass ihm das Herz stehenbleiben müsste. Er lief quer über die Straße auf die Wiese zu, wo ein reizendes blondes Madl grad dabei war, Futter für ein paar Affen zuzubereiten.

Affen? Ja, der Zirkus war nach Hindelfingen gekommen. Und beileibe net einer von den kleinen, die mehr schlecht als recht durch die Lande zogen und kaum genug Geld für das Futter erspielten.

Nein, es war der große bekannte Zirkus Winters-Franzen, die Sensation auf diesem Gebiet. Und ausgerechnet hier draußen, wo die Arbeiter und Helfer eifrig damit beschäftigt waren alles aufzubauen, die zahlreichen Tiere zu versorgen, und auch schon den Auftritt zu proben, musste der Dirk Tanngerber, der Sohn vom Sägemüller, das Madl wiederentdecken, für das er schon während der Schulzeit geschwärmt hatte. Und net nur geschwärmt. Er hatte regelrecht sein Herz an sie verloren und war untröstlich gewesen, als sie damals einfach wieder aus seinem Leben verschwand.

Natürlich war der Bursche, wie fast jeder am Ort, rein „zufällig“ hierher gelaufen, um zuzuschauen, wie es so zuging beim Zirkus. Und dabei hatte er die Birgit entdeckt.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Musik des Herzens

Alpendoktor Daniel Ingold – Band 6

von Anna Martach

Der Umfang dieses Buchs entspricht 102 Taschenbuchseiten.

Indianer in Hindelfingen? Die Waffe, mit der auf einmal im Gebirgswald gewildert wird, würde dazu passen. Wer aber wirklich der Sünder ist, stellt für fast alle Bewohner eine Überraschung dar, und es kommt zu ernsthaften Auseinandersetzungen. Wobei letztlich auch der sympathische Bergarzt Daniel Ingold in Lebensgefahr gerät …

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

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1

„Wennst net mal ein bisserl Klassik vernünftig spielen kannst, solltest vielleicht den Beruf wechseln“, sagte der Thomas Kirchberger scharf.

Die Frau an der Orgel ließ die Finger über die Tasten gleiten, und ein misstönender Akkord erklang.

„Was tät’ dir denn nun schon wieder net passen?“, fragte das bildhübsche Madl mit den goldblonden Haaren erbost.

Thomas Kirchberger, der als Kantor hier in Hindelfingen den Kirchenchor und auch den Singkreis betreute, schaute die Gabi Mittermayr aufgebracht an.

„Hast immer noch net verstanden, dass die Ode an die Freude ein getragenes Stück ist? Es soll ...“

„Wenn’s nach dir geht, dann tät’ das so schwermütig klingen wie ein Trauermarsch“, fuhr das Madl auf. „Aber man soll doch die Freude heraushören. Willst den Herrn Bischof vielleicht begraben damit?“

„Bist deppert? Was tät’ dir einfallen, in diesem Ton mit mir zu reden?“

„Kriegst genau den Ton, den du verdienst. Wie du in den Wald hineinrufst, so schallt’s auch heraus. Kannst dich ja selbst hersetzen und die Orgel spielen“, fauchte sie zurück.

Der Thomas wurde ein bisserl kleinlaut. Er war ein hervorragender Chorleiter; er war in der Lage, jeden falschen Ton herauszuhören und konnte die Sänger auch immer wieder motivieren, ihr Bestes zu geben. Doch er selbst spielte kein Instrument perfekt, schon gar nicht die Orgel, die als relativ schwierig galt. Also war er auf die Gabi angewiesen, deren Finger auf der Klaviatur wahre Wunder vollbringen konnten. Doch die beiden jungen Leute taten sich immer schwer damit, ihre unterschiedlichen Ansichten unter einen Hut zu kriegen und einen Kompromiss zu finden.

Und hier waren sie mal wieder meilenweit davon entfernt, sich mit den Gegensätzen anzunähern. Dabei konnte doch alles recht einfach sein, wenn man sich daran hielt, was der gute alte Beethoven in seiner Partitur selbst geschrieben hatte. Es musste ja nur mal jemand nachschauen, Unterlagen gab’s genug darüber.

Das schien die beiden jedoch nicht zu interessieren, sonst gäbe es diesen sinnlosen Zank nicht.

Die Kollmannberger Vreni, die selbstverständlich zum Chor gehörte und auch eine sehr schöne Stimme besaß, spitzte natürlich die Ohren. Sie war offen und dankbar für jeden Klatsch, den sie aufschnappen und weiter verbreiten konnte; dies hier war ein Leckerbissen für die Frau, die in Gedanken schon überlegte, wie sie den Streit in Worte fassen konnte.

Die beiden Streithähne sahen jetzt allerdings auch ein, dass es so nicht weitergehen konnte. Immerhin stand der ganze Kirchenchor da und hörte zu. Es machte nicht nur einen schlechten Eindruck, es war auch nicht gut für die Gemeinschaft, wenn es nicht endlich zu einer Einigung kam.

Gabi zwang sich also zu einem Lächeln, und auch der Thomas beruhigte sich wieder. Er fing das Lächeln des Madls auf und fühlte sich plötzlich seltsam berührt. Sie war doch so ein fesches Madl. Warum nur, ach, warum nur musste sie immer so halsstarrig sein. Konnte sie denn net man ein Stückerl nachgeben, dann würd’ er es doch auch tun.

„Lass es uns noch mal probieren“, schlug das Madl vor und spielte ein paar Takte, nicht ganz so, wie der Thomas es wollte, aber schon anders, als sie es ursprünglich getan hatte. Es blitzte kurz in seinen Augen auf. Auch er konnte ein Stückerl nachgeben.

„Na also, geht doch“, nickte er und hob die Hände für den Einsatz der Sänger.

Die Gabi spielte drauflos, der Chor setzte ein, und die erhabenen Klänge der Musik füllten die St. Antonius Kirche aus.

„Das war schon recht ordentlich“, hallte dann die Stimme vom Pfarrer Raphael Feininger durch den großen Raum. Der Thomas und die Gabi schauten verblüfft und auch ein wenig erschreckt auf. Hatte der Priester vielleicht den ganzen Streit verfolgt? Das wäre beiden ausgesprochen peinlich. Aber natürlich hatte der Pfarrer jedes Wort mitgekriegt, wie das Lächeln auf seinen Lippen verriet. Nun, wahrscheinlich würde er später, wenn der Chor nicht mehr anwesend war, ein paar deutliche passende Worte dazu verlieren. Er war dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und mitunter recht drastische Formulierungen zu finden, die dem Betreffenden manchmal schwer zu schaffen machten.

Es dauerte nicht mehr lang, bis die Probe für diesen Tag beendet war. Die meisten Sänger entfernten sich rasch aus der Kirche, froh darüber, einem peinlichen Zwischenfall entgangen zu sein. Nur die Vreni hielt sich auffällig lang im Gang auf, wo sie so tat, als überlege sie, sich noch in eine der Bänke zu setzen und zu beten – oder was auch immer.

Der Feininger lächelte. „Möchtst noch ein Gespräch mit dem Herrgott oder gar mit mir halten, Vreni?“, erkundigte er sich. „Dann solltest vielleicht vorher noch beichten, um auch wirklich eine reine Seele zu haben. Wart’, ich komm zum Beichtstuhl. Soviel Zeit muss sein.“

Die Frau schaute ihn erschreckt an. Sie hatte eigentlich nur ein bisserl lauschen und etwas von dem anstehenden Gespräch aufschnappen wollen. Und nun machte der Herr Pfarrer Ernst daraus. Das war nun ganz und gar unnötig.

„Nein, ist schon gut, machen S’ sich net die Mühe. Ich hab ja nur gedacht, da wär’ ein großer Fleck auf dem Boden“, entgegnete sie ausweichend.

Der Feininger grinste in sich hinein. „Du weißt ja, Vreni, dass Heuchler und Lügner unserem Herrgott ein Gräuel sind“, gab er trocken zu bedenken.

Die Frau nickte und verschwand mit auffallender Schnelligkeit. Der Geistliche lächelte jetzt nur noch sparsam, als er den Thomas und die Gabi intensiv musterte.

„Und nun zu euch beiden. Was tät’ euch denn wohl einfallen, aus meiner Kirche einen Affenstall zu machen und vor dem gesamten Chor einen Streit anzufangen? Habt’s ihr net mal dran gedacht, dass der Komponist, der dieses wundervolle Stück Musik geschrieben hat, sich selbst was dabei gedacht hat? Aber da tät’ dann ja wohl der Unterschied liegen. – Kunst kommt von Können. Und wie’s ausschaut, habt’s ihr zwei heut’ damit nix am Hut. Ich sag’s euch nur einmal: Wenn ihr noch mal verschiedener Meinung seid, dann tragt das vorher oder nachher aus. Aber net in meiner Kirche, und auch net vor dem gesamten Chor. Es ist ja wohl so, dass unser Herrgott praktisch alles verzeiht. Das tät’ aber net heißen, dass ich das auch tun muss.“

Der Thomas wollte etwas sagen, doch der Feininger machte ihm ein energisches Zeichen zu schweigen. „Sei stad, ich bin noch net fertig mit euch beiden.“

2

Ein wundervoller Herbstmorgen brach heran. Der erste Streifen Helligkeit zeigte sich im Osten am Horizont, Tau lag auf Gräsern und Bäumen, Spinnennetze glitzerten vom ersten leichten Frost in der Nacht in bezaubernder Schönheit, und die ganze Welt schien seltsam unberührt und rein.

Das alles kümmerte die Gestalt nicht, die gut verborgen in einem Hochsitz hockte und fast unbeweglich geduldig wartete. Ein dicker Pullover schützte vor der morgendlichen Kühle, eine Mütze hielt auch den Kopf warm. Nur die Hände waren ungeschützt. Die hielten nämlich einen sportlichen Bogen, und direkt neben der Gestalt lag griffbereit ein Köcher mit Pfeilen, an deren Spitzen sich rasiermesserscharfe Klingen befanden. Eine absolut tödliche Waffe, die so in dieser Form grundsätzlich im ganzen Land verboten war. Kein ordentlicher Waidmann würde zulassen, dass jemand damit hier auf die Jagd ging, auch wenn’s in anderen Ländern gang und gäbe war.

Aber auch das interessierte die einsame Gestalt hier draußen nicht. Die Augen der Person hingen aufmerksam an einer Lichtung. Schon seit drei Tagen kam dort jeden Morgen ein kapitaler Zwölfender zum Äsen; warum sollte das an diesem Morgen anders sein?

Wenige Minuten später betrat das große Tier die Lichtung, witterte und schaute sich um. Erst als der Hirsch sicher war, dass sich keine Gefahr in der Nähe befand, senkte er den Kopf mit dem schweren Geweih und begann zu fressen. Bald darauf trat der Rest des Rudels ebenfalls aus dem Wald.

Die Gestalt im Hochsitz griff nun nach einem Pfeil, legte ihn lautlos ein und hob den Bogen in den Anschlag. Ein Visier, welches auch das dämmrige Licht noch etwas verstärkte, zeigte dem Schützen sein Ziel zum Greifen nah.

Das Geräusch der Sehne, als der Pfeil abgeschossen wurde, war so leise, dass es im Gesang der Vögel fast unterging. Dennoch hob der Hirsch alarmiert den Kopf. Aber es war schon zu spät. Unbeirrt raste das tödliche Geschoss mit einem leisen Surren durch die Luft und schlug schließlich in einen warmen lebenden Körper ein.

Eine der Hirschkühe brach wie vom Blitz gefällt zusammen, und der Rest des Rudels rannte in wilder Panik davon.

Die Gestalt im Hochsitz packte zufrieden die Ausrüstung zusammen und kletterte herunter. Ein Auto stand nicht weit entfernt, darin saß dösend eine andere dunkel gekleidete Gestalt, die erschreckt auffuhr, als die erste Person sie an der Schulter berührte.

Die Hirschkuh wurde verladen, und der Wald lag wenig später wieder ruhig und still da. Aber natürlich bemerkte der Jagdaufseher der Forstbehörde das Fehlen einer Hirschkuh, schließlich war jedes Tier ordnungsgemäß gezählt.

3

„Hallo, ich bin die Chris Hagemann“, sagte das hübsche Madl und streckte dem Wolfgang Erlicher die Hand entgegen. Der wirkte etwas verblüfft.

„Ich hatt’ jemand ...“, begann er zögernd und wusste nicht recht, ob er das Madl hereinbitten oder die Tür zuschlagen sollte.

„Wen anders erwartet?“, vollendete sie lachend seinen Satz. „Ach ja, da haben S’ vermutlich gedacht, ich wär’ ein Mannsbild. Aber tät’ das etwa ein Problem sein?“, wollte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag wissen.

Der Wolfgang hatte sich nun doch entschlossen, das Madl erst mal ins Haus zu lassen. „Da müssen S’ schon entschuldigen“, meinte er etwas verlegen. „Als S’ mir geschrieben haben, dass S’ einen Bericht über meine Arbeit als Tierpräparator machen wollen, dacht’ ich tatsächlich, ich hätt’s mit einem Mann zu tun. Schaun S’, manchmal ist das ein bisserl unappetitlich, und das tät’ ich einem Madl – noch dazu einem so feschen – net unbedingt antun wollen.“

Sie runzelte die Stirn. „Dann tät’ das also einen Unterschied machen, wenn ein Madl hübsch ist? Können die hässlichen vielleicht besser damit umgehen, wenn’s unappetitlich wird?“, fragte die Chris herausfordernd.

So in die Defensive gedrängt wusste der Wolfgang gar nicht mehr, was er noch tun oder sagen sollte. Er versuchte ein Lächeln, doch das misslang ihm kläglich.

„Kommen S’ erst mal herein in die gute Stube. Ich mach’ uns einen Kaffee und erzähle mal ein bisserl. Vielleicht täten S’ mich dann verstehen. – Einen Kaffee mögen S’ doch?“

Sie nickte, lächelte triumphierend und folgte dem Burschen. Die gute Stube war ein hübsch eingerichtetes Wohnzimmer, von der untergehenden Sonne in ein rötliches Licht getaucht und einfach gemütlich. Sie ließ sich in einem Sessel nieder, und der Wolfgang ging in die Küche, wo die Chris ihn hantieren hörte. Aufmerksam registrierte sie, dass im Schrank eine Reihe von Büchern standen, sie versuchte die Titel zu lesen und war erstaunt, dass sich viele Klassiker darunter befanden. Der Wolfgang schien ein gebildetes Mannsbild zu sein.

Er kam nun mit einem Tablett zurück. Aus einer Kanne kam köstlicher Kaffeeduft, und auf einem Teller befand sich Kuchen, der ausgesprochen lecker ausschaute.

Nach dem ersten Schluck wurde das Madl dann wieder sachlich. „So, und nun dürfen S’ mir erzählen, wo das Problem liegt, dass ich eine Frau und dazu noch hübsch bin“, meinte sie etwas spöttisch.

Mittlerweile schien sich der Wolfgang wieder etwas gefangen zu haben. „Das müssen S’ schon entschuldigen, ich war ein bisserl überrascht“, erklärte er lahm. „Ich hab einen schönen Beruf, denn ich geb’ den Leuten die Möglichkeit, auch daheim Tiere für immer zu behalten. Und andere, die keine Gelegenheit haben, wilde Viecher mal in Natur zu erleben, zeig’ ich’s auf diese Art, was sie sonst net sehen können. Und dann gäb’s natürlich noch die Jäger, die stolz sind auf ihre Trophäen. Für manchen war’s dann halt der Sonntagsschuss, so was tät’ nur einmal im Leben passieren, und da will er sich dann gern dran erinnern.“

Die Chris verzog ein bisserl das Gesicht. „Trophäen“, meinte sie dann abfällig, aber der Bursche nickte.

„Das scheint auf den ersten Blick net schön, wenn man net selbst ein Jäger ist, oder womöglich noch Vegetarier. Aber die Jagd ist doch auch wichtig, haben S’ darüber schon mal nachgedacht? Ohne die Jäger, die kranke, alte oder auch überzählige Tiere aussortieren und abschießen, hätten wir ein echtes Problem. Denn Rotwild oder auch Damwild tät’ die Bäume anfressen und teilweise zerstören, ist auch gefährlich im großen Rudel für die Autofahrer. Und wenn net der Mensch dafür sorgt, dass der Bestand in überschaubaren Grenzen bleibt, dann tät’s an vielen Stellen im Wald auch verendete Kadaver geben, denn die natürlichen Feinde hat ja auch der Mensch schon ausgerottet. Können S’ sich vielleicht vorstellen, wie ein normaler Spaziergänger darauf reagieren tät’? Das ist kein schöner Anblick, glauben S’ mir das.“

„Will ich gern tun. Aber hat das tatsächlich alles etwas mit Ihrem Beruf zu tun?“ Die Chris war nicht sehr erbaut über diese Belehrung, sie glaubte, auch ohne diesen Vortrag Bescheid zu wissen. Jagd war ohnehin nicht das, was ihr besonders gefiel. Sie fand es grausam ein Tier zu töten, vergaß aber gern, dass auch sie mit Genuss einen saftigen Rehrücken oder ein Gulasch von Hirsch oder Wildschwein aß.

Der Wolfgang lachte jetzt aber auf. „Dieses Thema hat schon was mit meinem Beruf zu tun, wenn auch nur am Rande. Soviel Aufträge von Jägern tät’s net geben. Ist ja auch net grad billig, sich seine Trophäe ausstopfen zu lassen. Wobei ich den Begriff ausstopfen net gern höre, er ist zwar richtig, aber auch wieder net.“

„Ich glaub’, ich versteh’ das net ganz. Warum gehen wir net einfach in Ihre Werkstatt, und dort können S’ mir zeigen und besser erklären, was gemeint ist“, schlug die Chris, die eigentlich Christiane hieß, praktisch vor.

Der Bursche zuckte mit den Schultern. „Wenn S’ denn darauf bestehen. Aber behaupten S’ net, ich hätt’ S’ net gewarnt.“

Das Madl schüttelte den Kopf. Was hatte er denn nur?

Das sah sie allerdings gleich darauf. Die Werkstatt wirkte auf den ersten Blick fast wie ein sauberes Labor. Tische und Schränke aus Metall standen überall herum, dazwischen gab es halb fertige Gestelle aus Draht, manche waren zum Teil mit Fell überzogen. Über allem lag ein seltsamer Geruch, den das Madl nicht so recht einordnen konnte.

„Na, dann schauen S’ sich mal um. Wenn S’ Fragen haben ...“ Der Wolfgang wurde unterbrochen, als jemand einfach durch die Tür gestürmt kam. Er schleppte ein schweres Paket mit sich und ließ es dann krachend auf den Boden fallen.

„Heut’ ist geschlossen, kommen S’ doch bitte morgen wieder“, sagte der Wolfgang. Doch der Mann machte keine Anstalten, diesen Worten zu folgen.

„Da hätt’ ich einen Auftrag“, meinte er, der auf das Madl einen seltsamen Eindruck machte, so als gäb’s für ihn nur diese Aufgabe, und alles andere rechts und links würde er nicht bemerken.

Der Wolfgang schaute ihn unwirsch an, schüttelte dann den Kopf und deutete unmissverständlich auf die Tür. „Von Privatkunden nehm’ ich nur selten Aufträge an“, meinte er zögernd. „Und auch dann nur, wenn ich die Leut’ kenne. Auf diese Art halt ich gar nix davon. Sie können doch net einfach herkommen und hier was auf den Boden werfen. Da täten S’ also schon den rechten Weg einhalten müssen.“

„Ja, ich hab’s schon gehört, dass S’ net jeden nehmen. Der Valentin Reinbach hat S’ aber empfohlen, und das hier ist ja auch nix besonders Schwieriges.“ Ohne darauf zu achten, dass der Wolfgang nicht sehr begeistert wirkte und eigentlich absagen wollte, öffnete der Fremde das Paket. Die Chris schaute fasziniert zu, und die beiden Mannsbilder schienen ihre Anwesenheit fast vergessen zu haben.

In dem Paket befand sich das ungereinigte Fell eines Tieres, welches die Christiane nicht gleich erkannte. Doch sie wurde kreidebleich, und jetzt fiel dem Burschen auch wieder ein, dass sie sich hier noch befand und wahrscheinlich ziemlich unvorbereitet mit den unappetitlichen Tatsachen konfrontiert worden war.

„So ein Schmarrn“, schimpfte er. „Da, setzten S’ sich hin. Wollen S’ ein Glas Wasser? Und Sie sind ja wohl ein Depp“, fuhr er den Mann an. „Packen S` das gefälligst wieder ein, das ist nix für schwache Gemüter.“

Das Madl setzte sich und versuchte tapfer zu lächeln, obwohl es ihr gar nicht gefiel, als schwaches Gemüt bezeichnet zu werden. „Das haben S’ mir ja vorher gesagt. Nun ist’s gut, ich bin wieder ganz in Ordnung. Und das alles können S’ mir später erklären. Tun S’ einfach so, als wär’ ich net da.“

Was der Bursche denn auch tat. Er war ziemlich aufgebracht darüber, dass einfach jemand hier auftauchte und ohne Anmeldung oder Vorgespräch einen Balg auf den Boden warf, als wäre es nicht sein gutes Recht, einen Auftrag abzulehnen.

„Warum bringen S’ denn nur das Fell?“, fragte er kalt.

„Weil das Fleisch gebraucht wurde“, erklärte der Mann grinsend.

„Und für wen sollt’ das überhaupt sein. Normalerweise bekomm ich einen Auftrag schriftlich herein, den kann ich dann bestätigen, Preise festlegen, Lieferzeiten und dergleichen. Dies hier ist net sehr klug. Und es gefällt mir net.“

„Das muss Ihnen ja auch net gefallen, Sie sollen ja nur rasch den Balg präparieren. Wenn’s besonders schnell geht, gibt`s noch eine Prämie obendrauf.“

Der Bursche verzog das Gesicht. Diese ganze Sache sah nicht so aus, als wäre daran alles in Ordnung. Das allein machte ihn schon stutzig und wütend. Dass aber ausgerechnet die Reporterin von der Zeitung hier war und alles mitbekam, ließ ihn jetzt plötzlich so dastehen, als würd’ er alle Tage so unbesonnen handeln. Er stand in einem ziemlich schiefen Licht da, obwohl er sich gar nichts vorzuwerfen hatte. „Ich glaub’ net, dass ich auf eine Prämie scharf bin unter diesen Umständen. Und ich glaub’ noch weniger, dass ich diesen Auftrag übernehmen werd’. Da ist doch was net in Ordnung mit.“

„Nun tun S’ mal net so, als wären S´ ein reiner Unschuldsengel. Haben S’ das net schon öfter so gemacht?“

„Nein, ganz bestimmt net“, erwiderte der Wolfgang scharf und bestimmt.

Der Mann zuckte mit den Schultern, aber die Christiane glaubte ihm aufs Wort. Dieser Bursche war gar net fähig zu lügen, jede Art von Arg lag ihm fern. Er schien einer der letzten einer aussterbenden Art im täglichen Geschäftsleben, ein ehrlicher Mensch.

Der Wolfgang untersuchte das Fell. Es handelte sich um eine wohl gewachsene Hirschkuh, und er wunderte sich nicht wenig. Ein schönes Tier, sicherlich, aber nix besonderes.

„Warum wollen S’ denn das Tier präpariert haben? Da tät’s doch sicher was Besseres geben. Grad neulich hab ich für einen Kunden im Museum einen schönen Rehbock hergerichtet. Und es ist ja net grad preiswert, da tät’s doch bestimmt eine Möglichkeit geben, beim Jäger einen Hirschen oder etwas Ähnliches zu kaufen – mit der entsprechenden Genehmigung.“

„Nehmen S’ den Auftrag nun an oder net?“, fragte der Mann, der sich bis jetzt noch nicht vorgestellt hatte.

Achselzuckend wollte der Wolfgang schon ja sagen, aber gleichzeitig darauf verweisen, dass er noch den Jagdschein sehen müsste und wie teuer das käme, als ihm etwas auffiel.

„Was tät’ das denn für ein Loch sein?“, wollte er verwundert wissen und zeigte darauf. Eine kleine Öffnung, dort, wo man normalerweise einen Blattschuss ansetzte. Doch der Bursche hatte schon viele geschossene Tiere gesehen und wusste, wie so etwas eigentlich ausschaute. Dieses Loch hier war ungewöhnlich. Das fiel vor allem deswegen auf, weil das Fell auf saubere waidmännische Art abgebalgt worden war. Kein unnützer Schnitt, keine Verletzung irgendwo.

„Keine Ahnung“, meinte der Fremde wegwerfend. „Tut doch auch nix zur Sach’, oder? Da wird jemand beim Schälen net aufgepasst haben“, setzte er dann ausweichend hinzu.

„Tut mir leid. Unter diesen Umständen werd’ ich den Auftrag net annehmen“, lehnte der Wolfgang ab. Hier stimmte etwas nicht, und er wollte nix damit zu tun haben.

Enttäuschung, ja fast so etwas wie Zorn, zeichnete sich im Gesicht des Mannes ab. „Nur, weil da ein Loch ist?“, protestierte er empört.

Der Wolfgang fixierte ihn aufmerksam. „Grad, weil da ein Loch ist. Sowas tät’s nur geben bei einer verbotenen Schusswaffe, einem Bogen mit Jagdspitzen oder einer Armbrust zum Beispiel.“

Gespannt forschte der Bursche im Gesicht des andern bei seinen Worten. Auch die Christiane verfolgte atemlos die Auseinandersetzung. In ihr klingelten plötzlich sämtliche Alarmglocken. War das net denn auch eine Geschichte für ihre Zeitung, besser vielleicht sogar noch als eine Reportage über das Ausstopfen? Eine gute Reporterin durfte sich nix entgehen lassen, und interessante Geschichten liefen nun mal nicht über die Straße auf einen zu, die musste man beim Schopfe packen, wenn sie sich boten. Bogen, Armbrust, das deutete auf verbotene Jagd hin.

„Schmarrn, wer tät’ denn so was benutzen?“, meinte der Fremde dann, wirkte aber plötzlich etwas unsicher und nachdenklich.

„Nun, ich bestimmt net“, beharrte der Wolfgang voller Spott. „Im Übrigen tät’ mir das alles hier reichlich merkwürdig vorkommen. Sie haben sich net mal vorgestellt, verlangen von mir, dass ich Ihnen ein Fell präpariere, was mir verdächtig ausschaut, und geben net mal vernünftige Auskünfte. Nein, tut mir leid, einen solchen Auftrag werd’ ich net annehmen. Und nun wollen S’ bitte gehen. Nehmen S’ das Ding da gleich wieder mit.“

Er deutete auf das Fell. Ein wütender, verächtlicher Blick traf ihn, doch der Mann packte schließlich wortlos alles zusammen und ging hinaus. Der Bursche sah ihm kopfschüttelnd hinterher, dann wandte er sich an die Chris, die ihn interessiert anblickte.

„Was war das denn jetzt? Ich glaub’, ich versteh’ hier einiges net. Wollten S’ mit Ihren Worten andeuten, dass da jemand aufs Wildern geht, noch dazu mit verbotenen Schusswaffen? Müssen S’ da net gleich die Behörden verständigen? Oder – ach nein, es tät’ ja wohl keine Beweise geben, und den Mann werden S’ vermutlich auch net einfach festhalten können?“ Das Madl überschlug sich fast vor Aufregung.

Der Wolfgang seufzte. „So ganz sicher bin ich mir da auch net. Aber ich vermute stark, dass dieser Balg aus einer Wilderei stammt. Ich bin darüber informiert worden, dass im Bestand hier im Forst etwas nicht mit dem übereinstimmt, was eigentlich vorhanden sein müsste. Der Jäger hier weiß über jedes Tier Bescheid. Und da war es selbstverständlich, dass er sich auch hier meldete, wie auch bei allen anderen Jägern, Schlachtern, und was der Leute mehr sind, die direkt oder indirekt damit zu tun haben könnten. Wie S’ grad gesehen haben ...“

„Wollen S’ damit sagen, das da grad war ein Wilderer? Ja, warum haben S’ dann net sofort die Polizei gerufen?“

Der Bursche hob ein bisserl die Augenbrauen. „Täten S’ das denn eindeutig beweisen können? Der ist bestimmt net derjenige, der in den Wald geht und schießt. Da steckt doch wer anders hinter. Und wie hätten S’ den Kerl dann auch festhalten wollen, bis der Obermayr hier ist? Das wär’ bestimmt net einfach gewesen – eigentlich eher unmöglich.“

Die Chris senkte den Kopf. Da hatte er natürlich nicht unrecht mit seinen Worten. „Und jetzt?“, fragte sie dann, als sie sich darauf besann, dass sie doch schließlich Journalistin war und sich hier direkt vor ihren Augen eine brandheiße Geschichte abspielte. Auch hier musste sie einfach nur zugreifen, diese Story durfte sie sich nicht so einfach entgehen lassen.

Offenbar bemerkte der Wolfgang, was grad in ihr vorging, denn seine Miene wurde ein wenig abweisend.

„Ich werd’ jetzt ein Gespräch mit dem Jager und der Polizei führen. Und ich tät’ S’ bitten, ein andermal hierher zu kommen und das Interview zu führen. Nix für ungut, aber dies hier ist net der rechte Zeitpunkt.“

„Aber …“ Die Enttäuschung im Gesicht der Chris war nicht zu übersehen, und zum ersten Mal betrachtete der Wolfgang sie genauer.

Fesch schaute sie aus, schulterlange braune Haare, die im Schein der Sonne einen rötlichen Schimmer bekamen, umrahmten ein herzförmiges Gesicht, aus dem zwei blaue Augen und ein voller roter Mund leuchteten. Ihre Gestalt war schlank, aber nicht dünn, und ihre Kleidung war geschmackvoll, aber nicht zu elegant oder übertrieben. Ein merkwürdiger Gedanke schoss dem Burschen durch den Kopf. Am liebsten täte er das Madl auf der Stelle in die Arme nehmen und abbusseln. Er schalt sich selbst einen Deppen. Madln wie dieses hatten an jedem Finger zehn Burschen, die sich darum stritten, sie nach Strich und Faden zu verwöhnen. Dennoch trat etwas wie Sehnsucht in seine Augen, und die Chris bemerkte das sehr wohl. Da auch ihr der Bursche recht gut gefiel, hatte sie plötzlich nichts mehr dagegen, noch einmal wiederzukommen. Auf die Art konnte man sich noch etwas besser kennenlernen. Und wer wusste, was sich noch daraus entwickeln würde.

Sie hatte wirklich nicht an jedem Finger zehn, wie er vermutete, ganz im Gegenteil. Irgendwie hatte die Christiane bis heut’ noch keinen Burschen gefunden, der ihr einen zweiten Blick wert war – eben bis heut’. Bis auf den Wolfgang.

Sie schluckte also rasch ihren Protest herunter und lächelte. Für den Burschen schien als plötzlich, als ginge hier im Raum die Sonne auf.

„Ich komm dann einfach übermorgen, also am Mittwoch wieder“, schlug sie vor. „Dann sind S’ ja bestimmt auch wieder am Arbeiten, und so krieg’ ich einen besseren Eindruck von dem, was S’ hier tun.“

Er nickte langsam. „Na gut, schaun wir mal, ob Ihnen das am Mittwoch auch noch so gut gefallen tät’.“ Er griff nach ihrer Hand und hielt sie etwas länger fest, als es eigentlich notwendig war. „Ich freue mich darauf, wenn S’ wiederkommen“, erklärte er mit rauer Stimme. Das war für den sonst eher schüchternen Burschen ein großer Schritt, und fast erwartete er, dass die Christiane abweisend reagieren würde.

Doch sie lächelte erneut, offen und ehrlich. „Ich tät’ mich auch drauf freuen. Und ich werd’ ganz bestimmt nimmer schlapp machen. Das war mir grad schrecklich peinlich, aber da haben S’ ganz toll drauf reagiert. Ich muss Ihnen noch ganz herzlich danken.“

„Dafür net“, murmelte er verlegen. Sie konnte zum Glück schon nicht mehr sehen, dass eine leichte verräterische Röte sein Gesicht verfärbte. Dies Madl brachte ihn doch glatt aus dem Gleichgewicht.

4

Der Alois Huber war nicht nur der alte, im Ruhestand lebende Doktor in Hindelfingen, sondern auch ein begeisterter Waidmann. Seine Augen waren noch immer hervorragend, und seine Hände zitterten nicht. So kam er jedes Jahr im Herbst zu einem Abschuss bei einer Jagd, denn viele Leut’ hier in der Gegend verdankten ihm eine Menge und waren gern bereit, ihm das Recht auf einen Schuss zu gestatten.

Treibjagden mochte er nicht, und es lag ihm auch nicht sehr, auf flüchtende Hasen oder Füchse zu schießen. Doch ein kapitaler Bock oder auch ein Wildschwein konnten durchaus sein Interesse wecken. Das Fleisch verteilte er großzügig unter seine Freunde, von denen ein jeder einen guten Braten zu schätzen wusste.

Einer seiner besten Freunde war sein Nachfolger in der Praxis, Daniel Ingold. Auch der liebte Rehrücken oder einen anderen Braten, doch es wäre ihm niemals eingefallen, selbst auf die Pirsch zu gehen. Ihm war der Tod in jeder Form zuwider, auch wenn er oft genug damit zu tun hatte – oder vielleicht gerade deswegen.

Heut’ nahm er jedenfalls hocherfreut ein ordentliches Stück Fleisch an, während der alte Huber sich im Wohnzimmer niederließ und sich einen Obstler einschenkte, der auf der Anrichte stand.

Der Daniel mochte dieses Getränk nicht besonders, außerdem musste er stets damit rechnen, dass ein Notruf kam und er mit dem Auto los musste. Aber weil er wusste, dass der alte Huber täglich einen oder zwei davon trank, als Medizin gewissermaßen, hatte er stets eine Flasche dort stehen, wo der alte Arzt sich selbst bedienen konnte.

Hier in dieser Gegend gab es nicht sehr viele Ärzte, und die wenigen waren halt immer im Dienst. So trank er selbst äußerst selten Alkohol, auch wenn ihm ab und zu ein Glas Wein oder eine Maß Bier sehr wohl mundete. Der alte Huber hingegen ließ es sich schmecken, während der jüngere Arzt sein Paket im Kühlschrank verstaute.

„Ich muss net fragen, die Jagd war erfolgreich“, stellte der Daniel lächelnd fest. „Haben denn auch alle Jäger überlebt?“

„Kannst dir deine ironischen Bemerkungen ruhig sparen“, knurrte der Huber. „Keiner von uns tät’ auf was schießen – oder jemand – was net zum Abschuss freigegeben ist.“

Die beiden Männer grinsten über die Doppeldeutigkeit der Worte. Wenn’s zum Beispiel nach der Vreni und ihrem Geschwätz ging, dann war von Zeit zu Zeit fast ein jeder mal zum Abschuss freigegeben.

„Gibt’s sonst was Neues?“, erkundigte sich der Daniel, obwohl es in Hindelfingen nicht viel gab, was nicht auch er in kürzester Zeit erfuhr. Dafür sorgte schon seine gute Seele in der Praxis, die Hermine Walther. Doch sie gab an den Doktor nur das weiter, was wirklich wichtig war. Gerede wollte er eh net hören, und das filterte sie sorgfältig aus.

„Seh’ ich vielleicht aus wie die Vreni?“, gab der alte Doktor zurück. „Ich tät’ keinen Klatsch verbreiten. Allerdings scheint’s einen Wilderer im Forst zu haben.“

„Einen Wilderer?“ Augenblicklich war der Daniel ganz gespannte Aufmerksamkeit. „Das klingt net gut. Hier hat’s doch seit Jahren keinen mehr gegeben. So schwer ist’s ja auch schließlich net, einen Jagdschein zu machen.“

„Ach, geh, Daniel, das tät’ schon ein teurer Spaß sein, und so einfach ist’s auch net. Da gehört schon einiges an Wissen dazu, und hinterher soll dann auch alles zünftig zusammen gehören. Da braucht’s dann schon die rechte Kleidung, ein anständiges Gewehr, und was der Dinge mehr sind. Und vergiss net, jeder Abschuss kostet ebenfalls ein hübsches Sümmchen, ganz zu schweigen von den Lokalrunden, die dann fällig sind. – Was allerdings auffällig ist, der Wilderer schießt net die kapitalen Böcke, sondern die Ricken und Hirschkühe. Das ist schon ein bisserl seltsam.“

„Vielleicht will er nur das Fleisch“, gab der Daniel zu bedenken, aber der Alois schüttelte den Kopf.

„Nein. Der Erlicher Wolfgang hat sich beim Obermayr gemeldet, und auch beim Jager, dem Anton Thannhäuser. Und demnach scheint jemand den Balg zum Wolfgang gebracht zu haben, um ihn ausstopfen zu lassen. Verrückt genug, tät’ ich sagen. Dabei hat der Bursche dann festgestellt, dass dort, wo der Blattschuss angesetzt wird, ein Loch ist – wie von einem Pfeil mit einer Jagdspitze. Oder auch einem Armbrustbolzen.“

„Unglaublich. Und der Wolfgang täuscht sich net? Hast selbst mal nachgeschaut? Da kann man schnell was sehen, was gar nimmer stimmt.“ Daniel war immer vorsichtig mit seinen Behauptungen, viel zu schnell konnte man was Falsches sagen. Und Gerüchte, besonders, wenn sie nicht stimmten, hatten die schlechte Angewohnheit, sich länger zu halten als die Wahrheit. Aber der Huber brummte.

„Der Bursche hat leider net schnell genug geschaltet. Er hat den Auftrag schlichtweg abgelehnt, was ja auch richtig war. Und doch hätt’ er ihn vielleicht besser annehmen sollen. Dann hätten wir das Fell untersuchen und anschließend das Mannsbild befragen können, was den Auftrag geben wollte.“

„Das ist jedenfalls ein starkes Stück. Und der Wolfgang kannte den Mann net?“

„Ja mei, er scheint net von hier zu sein. Aber sollte es sich tatsächlich um einen Bogenschützen handeln ...“

„Kann ja schließlich einer aus dem Feriendorf sein“, vollendete der Daniel. „Aber was will jemand mit einer ausgestopften Hirschkuh? Ich kann’s ja noch verstehen, wenn’s um einen Schädel mit dem Geweih geht, aber so was?“

„Frag’ mich was Leichteres. Kannst ja trotzdem mal ein bisserl lauschen. Und unser Minchen hört ja auch so allerlei, was sie normalerweise net weiterträgt. Sprich mal mit ihr.“

„Solltest net gleich besser die Vreni befragen?“, neckte der Daniel, aber der Alois streckte abwehrend die Hände aus.

„Bleib’ mir mit diesem Weib vom Leibe“, rief er entsetzt aus. „Entweder will sie mir Sachen über Leute erzählen, von denen ich besser gar nix wissen will, oder sie fragt mir ein Loch in den Bauch, bis ich selbst mehr erzähl, als ich eigentlich will. Nein, geh mir weg mit der.“

Daniel lachte auf. Jedermann hier in Hindelfingen kannte die Vreni, wie auch sie jedermann kannte – und fast jeder fürchtete ihr Mundwerk. Davon abgesehen war sie dann doch eine gute Seele, die jedem half, der sie darum bat.

Der Doktor versprach dem Huber, Augen und Ohren offen zu halten, auch wenn es wenig wahrscheinlich war, dass ausgerechnet er etwas erfahren sollte. Dafür gab’s nun wirklich andere Leut’.

5

Die Gabi erwachte durch ein Geräusch und saß plötzlich steil im Bett. War da tatsächlich was, oder hatte sie nur geträumt? Einbrecher, schoss es ihr durch den Kopf, sie angelte mit der einen Hand nach ihrem Morgenrock und mit der anderen nach der schweren Taschenlampe, die sie für den Fall der Fälle im Nachttisch aufbewahrte. Nun ja, der Fall der Fälle war eher ein Stromausfall. Einbrecher hier in Hindelfingen, das klang einfach absurd. Man kannte sich hier untereinander, und die Gäste im Feriendorf hatten es nun mal nicht nötig einzubrechen. Sollte es sich jedoch wirklich um einen Einbrecher handeln, würde ein Schlag mit der schweren Lampe ausreichen, um ihn sicher ins Land der Träume zu schicken.

Da – das Geräusch wiederholte sich. Es klang allerdings nicht so sehr nach einem Einbrecher, vielmehr so, als würde jemand kleine Steine gegen ihr Fenster werfen. Kein Einbrecher würde so etwas tun, stellte sie noch immer schlaftrunken fest.

Das Madl stand auf und öffnete das Fenster. Ihr Zimmer lag im Obergeschoss des elterlichen Hauses. Bis jetzt hatte sie ihr Herz noch nicht verloren und sah auch keine Notwendigkeit, eine eigene Wohnung zu suchen. Außerdem war die Mutter schon lang tot, und die Gabi versorgte den Vater im Haushalt mit.

Aufmerksam schaute sie hinaus in das Dunkel, doch von der Straße kam nur wenig Licht, so dass sie nur undeutlich eine Gestalt erkennen konnte, die sich unten auf dem Hof bewegte. Da würde doch jetzt net gar jemand fensterln wollen?

In Gedanken ging sie die wenigen Burschen durch, die sie kannte. Nein, keiner von denen täte auf eine so abwegige Idee kommen.

„Hallo, ist da jemand?“, rief sie gedämpft hinunter. „Was wollen S’ denn? Hier sind S’ doch bestimmt beim falschen Haus.“

„Gabi?“ Die Stimme vom Thomas klang herauf, in voller Lautstärke. Was wollte der Bursche denn um diese nachtschlafende Zeit?

„Pst, sei stad, weckst ja den ganzen Ort auf“, schimpfte sie leise. „Was willst ausgerechnet du von mir? Noch dazu mitten in der Nacht? Bist deppert oder volltrunken? Pack’ dich, und mach’, dass du heim kommst. Wenn mein Vater erst wach wird, tät’s dir schlecht ergehen.“

„Ich muss mit dir reden“, beharrte der Bursche, ohne im Geringsten von ihren Worten beeindruckt zu sein.

„Ich aber net mit dir. Gute Nacht.“ Sie wollte das Fenster wieder schließen, als genau das geschah, was sie insgeheim schon befürchtet hatte.

Unten wurde die Tür aufgerissen, ihr Vater stand da mit einem dicken Holzknüppel und schaute sich wild um. Auch er vermutete offensichtlich einen Einbrecher und wollte den entsprechend empfangen.

„Wer ist da?“, brüllte er, ebenfalls in voller Lautstärke, und hielt dann schließlich auf den Thomas zu, der erschreckt nun doch Anstalten machte wegzulaufen.

„Net, Papa, wart’, den kenn’ ich“, rief die Gabi von oben herab, die Angst hatte, der Bursche könnte womöglich verletzt werden. Auch wenn sie ihn nicht besonders mochte, so war es doch nicht nötig, dass er Prügel bezog.

Der alte Mann hielt mitten im Schlag inne. „Was tät’ das heißen?“, brüllte er und hielt den Thomas am Hemd fest. Der hatte nun richtig Angst und zitterte, seine Stimme klang nicht sehr fest. „Wollst am End gar fensterln bei meiner Tochter? Keine gute Idee, Bursch. Da musst schon bei Tageslicht kommen, und erst mal ordentlich mit mir reden, bevor ich überlegen tät’, ob einer wie du gut genug ist für mein Madl.“

„Ich wollt doch nur – ich mein – die Gabi hat doch – bitte nicht schlagen.“ Der Bursche stammelte wild durcheinander und erwartete jeden Augenblick den Knüppel auf seinem Körper zu spüren.

„Tätst den hasenfüßigen Deppen da wirklich kennen?“, wollte der Mittermayr laut wissen und schüttelte den Burschen gehörig durch.

„Wenn das da der Thomas ist und net sein Geist, dann ja“, erklärte die Gabi.

Der Lichtschein von der Straße reichte grad aus, um das Gesicht zu erkennen. „Ich denk’ schon, dass der Bursch lebendig ist“, knurrte der Mann, noch immer ohne seine Lautstärke zu vermindern.

Vom Nachbarhaus hörte man das Geräusch eines Fensters, welches geöffnet wurde. „Kannst den Lärm net lassen, betrunkener Bazi? Geh heim und schlaf dich aus. Gib endlich Ruh’. Depp, narrischer.“

„Thomas, wir reden am Morgen darüber“, sagte die Gabi nun. „Hörst ja, die Leut’ wollen ihre Ruhe, und ich will auch schlafen.“

„Nein, bitte, hör mir doch zu. Ich hab eine Idee, und die musst hören. Sie wird dir gefallen.“

Das Madl seufzte. Offenbar wollte der Bursche nicht eher aufgeben, als bis er sein Ziel erreicht hatte, es sei denn, der Vater vertrieb ihn mit Gewalt.

„Ich bin sicher, wenn die Idee wirklich gut ist, wird’s mir auch morgen noch gefallen. Aber ich seh’ schon, gibst net auf. Lass ihn bitte los, Papa, ich komm herunter. Aber wehe, es ist net wichtig, dann hagelt’s Maulschellen. Dafür tät’ ich den Papa net brauchen.“

Nur widerstrebend ließ der Mann den Thomas los. „Wennst um mein Madl werben willst, dann hast dir eine denkbar schlechte Idee und die falsche Zeit ausgesucht“, brummte er.

Der Thomas war völlig verblüfft. „Ich? Werben um die Gabi? Ja, bin ich denn völlig deppert? Die tät’ ich net mal nehmen, wenn’s das letzte Madl auf Gottes Erdboden wär’. Die ist doch eine Kratzbürste, eine widerborstige.“

„Na, na, hüte deine Zunge, Bursche“, fuhr der alte Herr ihn an. „Redst hier von meiner Tochter, da tät’ ich keinen Spaß verstehen.“

„Wenn’s aber doch stimmt“, maulte der Thomas. „Da kann ich noch so sehr versuchen nett zu ihr zu sein, die geht mich an, als wär’ ich Seine Unheiligkeit, der Teifi, persönlich. Da werd’ ich mich hüten, um sie zu werben. Ich würd’ mir doch einen Korb nach dem anderen einhandeln.“

„Wann wärst denn jemals nett zu mir gewesen?“, fragte in diesem Augenblick die Gabi spöttisch. „Außerdem brauchst net freundlich oder nett zu mir zu sein, musst ja nur mit mir zusammenarbeiten, das würd’ schon reichen.“

Der alte Mittermayr grinste plötzlich, als er das Geplänkel zwischen den beiden hörte. Na, wenn sich da net doch grad was anbahnte, dann verstand er die Welt nicht mehr. Aber davon wussten diese zwei noch nix, die sich im Augenblick nicht grad freundlich anblickten.

„Also, was tät’ so wichtig sein, dass du mich mitten in der Nacht aus dem Bett und dem Hause holst?“, fragte die Gabi eisig.

„Täten wir das hier auf der Straße bereden müssen?“, gab er trocken zurück. „Komm mit ins Gemeindehaus, da kann ich dir dann auch alles richtig erklären.“

„Bist ja wirklich net gescheit“, fuhr sie ihn an. Doch der Thomas wandte sich zum Gehen, er setzte voraus, dass sie mit ihm kam. Seufzend packte sich die Gabi an den Kopf, dann gab sie ihrem Vater einen raschen Kuss auf die Wange.

„Geh ruhig wieder schlafen, Papa. Ich werd’ mit dem Deppen da mal ein ernstes Wörterl reden. Mach’s gut, ich bin rasch wieder da.“

Mit energischen Schritten lief das Madl hinter dem Burschen her.

6

Herzklopfen hatte er, der Wolfgang. Die Christiane würde heute wiederkommen, und er freute sich ganz narrisch darauf. Das Madl hatte mehr Eindruck auf ihn gemacht, als er sich selbst zu Anfang hatte eingestehen wollen. Doch sie hatte schon so phantastisch reagiert auf diesen Zwischenfall mit dem Fremden, der unverständlicherweise ein Fell präpariert haben wollte – auf eine etwas seltsame Art. Außerdem schien sie ein freundliches Wesen zu besitzen, und sie schaute wirklich fesch aus. Vielleicht hatte sie ja doch nix dagegen, dass er sie um ein Wiedersehen bat, es musste ja dann nicht hier in der Werkstatt sein. Und vielleicht würden sie sich dann ab und zu mal treffen.

Nein! Der Wolfgang hielt in seinen Gedanken inne. Lieber nicht mal dran denken, sonst ging es bestimmt nicht in Erfüllung.

In der Werkstatt arbeiteten noch zwei Leute, Silvia und Frank. Die beiden hatten einen regelrechten Hausputz anstellen müssen gestern, obwohl doch sowieso immer alles blitzsauber war. Die zwei hatten sich daraufhin vielsagend angeschaut und gegrinst. Sie ahnten, dass ein Madl dahinter stecken musste.

Als die Christiane dann auftauchte, blieb allerdings auch dem Frank der Mund offenstehen. Das war ja mal ein fesches Dirndl!

Seine Kollegin stieß ihn unauffällig an, und er senkte den Blick, er wollte sich dann doch nicht ganz blamieren, indem er die Chris anstarrte wie das achte Weltwunder.

Doch der Wolfgang benahm sich nicht viel anders.

„Schön, dass S’ doch noch mal gekommen sind“, begrüßte er das Madl mit belegter Stimme. „Ich mein, da haben S’ ja Ihren Bericht noch net fertig – und bestimmt haben S’ auch noch ein paar Fragen – ach, was red’ ich da eigentlich?“ Er wurde rot, und die Chris lachte hell auf.

„Es ist freundlich von Ihnen, dass S’ sich noch mal Zeit für mich nehmen“, erklärte sie.

Der Augenblick der Verlegenheit ging vorbei, und die Spannung im Wolfgang lockerte sich etwas. Anschaulich berichtete er nun von seiner Arbeit, und die Journalistin konnte endlich doch mal einen Blick auf all das warfen, was der normale Mensch sonst nicht zu sehen bekam. Und es war wirklich nicht unbedingt appetitlich, wie die Christiane schließlich feststellen musste. Gerade die Vorarbeiten waren nichts für zarte Gemüter.

Wenn die Tiere hergebracht wurden, musste sorgfältig das Fell abgezogen werden, dann wurden alle Knochen vom Fleisch gesäubert, bis das reine Skelett übrigblieb, das dann mit Draht und anderem Zubehör wieder ordentlich befestigt werden musste. Schließlich wurde das Fell gegerbt, damit es nicht schimmelte oder verfaulte. Vorsichtig wurde dann das präparierte Fell wieder auf das Knochengerüst aufgebracht, die Innenräume konnten schließlich gefüllt werden, das sogenannte Ausstopfen. Zum Schluss wurde jede Öffnung sorgfältig vernäht, so dass von außen nichts mehr davon zu sehen war. Zum guten Ende setzte der Präparator Augen ein, die fast echt ausschauten. Eine interessante Arbeit, deren Ergebnisse in Museen, Schulen und anderen Institutionen zu bewundern waren. Nur eher selten kam es vor, dass Privatleute so viel Geld ausgeben wollten, um ihre Trophäen oder auch geliebte Haustiere für viele Jahre zu konservieren. Doch wirklich ungewöhnlich war auch das nicht.

Die Christiane staunte über die Vielfalt der Arbeit und die teilweise ungewöhnlichen Tiere, mit denen der Wolfgang und seine Mitarbeiter es zu tun hatten. Da gab’s längst net nur die heimischen Tiere wie Eichkätzchen, Dachs, Reh, Hirsch oder Fuchs. Wie viele andere Leute auch hatte sie geglaubt, dass hier meist nur die Köpfe von Hirsch und Reh mit dem Geweih bearbeitet wurden. Das war jedoch ein verschwindend geringer Anteil. Stattdessen gab es so exotische Tiere wie Springmäuse, Warane, Buschbabies, und sogar Affen.

„Die meisten Exemplare bekommen wir aus den Zoos. Da ist es auch relativ einfach mit dem Herkunftsnachweis, denn selbstverständlich braucht jedes Tier seine Papiere, immerhin viele davon stehen unter Naturschutz“, erklärte der Wolfgang ausführlich.

Die Christiane hatte aufmerksam zugehört und sich eifrig Notizen gemacht. Seine Bedenken, dass sie vielleicht nicht damit zurecht kommen würde, dass einige Teile der Arbeit nicht grad sauber zu nennen waren, hatte sich in nichts aufgelöst. Das Madl fand das alles interessant und schreckte vor nichts zurück. Der Bursche konnte aber auch nicht wissen, dass sie sich in der Redaktion zunächst dagegen gesträubt hatte, diesen Bericht überhaupt zu machen. Sie hielt es zu Anfang für langweilig und ihrem Können nicht angemessen. Mittlerweile hatte sie ihre Ansicht jedoch geändert, und es würde bestimmt eine gute Reportage werden. Das hatte sie allerdings auch gelehrt, mit den eigenen Vorurteilen ein bisserl vorsichtiger zu werden. Jetzt war sie klüger geworden.

Das lag aber sicher auch am Wolfgang, der nicht nur interessant zu erzählen wusste, sondern auch kleine Anekdoten dazu berichtete. Die Chris strich über ein fertiges Exemplar eines Tieres. Der Bursche verschlang sie förmlich mit den Augen, und jetzt endlich fasste er sich ein Herz.

„Nachdem wir nun fast fertig sind – tät’s Ihnen was ausmachen mit mir auf einen Kaffee zu gehen? Oder ein Eis vielleicht? Ich mein ...“

Die Christiane strahlte ihn an, eigentlich hatte sie schon die ganze Zeit darauf gewartet, dass er sie endlich fragen würde.

„Im Augenblick wüsst’ ich nix, was ich lieber tät’“, sagte sie ehrlich, und der Wolfgang freute sich. Außerdem fiel ihm ein dicker Stein vom Herzen, hatte er doch schon fast mit einer Ablehnung gerechnet. Das Madl aber hängte sich in seinen Arm ein, und für den Burschen war der Tag endgültig gerettet. Dass Frank und Silvia sich vielsagend anschauten und fröhlich grinsend hinter den beiden herschauten, ignorierte er großzügig.

7

Es war wirklich eine tolle Idee, die der Thomas da hatte. Aber dass sie ausgerechnet von ihm gekommen war, konnte die Gabi kaum glauben.

Als die beiden endlich im Gemeindehaus angekommen waren, hatte sich der Bursche in den Raum gestellt. „Schau, ich tät’ mir das so denken“, hatte er begeistert angefangen und einige weit ausholende Bewegungen mit den Armen gemacht. „Ich werd’ den Chor aufteilen in drei Gruppen.“

„Na toll, und dafür holst mich aus dem Bett und weckst die Nachbarschaft? Mal abgesehen davon, dass mein Papa stocksauer ist?“

Der Thomas blickte das Madl erstaunt an. „Ja, verstehst denn gar net, was ich mein?“

„Nein, und ich bin müde. Komm endlich auf den Punkt.“

„Ach, ich glaub’, das wichtigste hätt’ ich ganz vergessen“, lächelte er. „Weißt, ich hab lang drüber nachgedacht, wie du spielst, und auch, was du gesagt hast. In manchen Dingen tätst doch ein bisserl recht haben. Lass uns also ganz neue Musik machen.“

Die Gabi schüttelte den Kopf. Sie begriff noch immer nicht, worauf der Bursche hinauswollte.

„Na, pass auf. Ich denk’, der Bischof tät’ doch überall, wo er hinkommt, die gleiche Art Musik hören, Klassiker halt, und immer natürlich besonders schön und schwermütig – so wie ich es halt auch zuerst gewollt hab. Aber im Grunde ist das ein Schmarrn.“

So langsam dämmerte es dem Madl, was der Bursche da sagte. Na endlich hatte auch er begriffen, was sie schon immer hatte sagen wollen, sich aber nie so recht getraut hatte. Schließlich war der Thomas als Kantor allein zuständig für die Auswahl und Interpretation der Musik. Sie hatte zwar mehrfach versucht, ihm Vorschläge zu machen und das ganze starre Gefüge etwas aufzulockern, doch gelungen war ihr das nie. Im Gegenteil, viel zu oft waren sie beide in Streit geraten. Nur die Tatsache, dass sie beide die Musik in jeder Form über alles liebten, hatte dafür gesorgt, dass sie noch immer gemeinsam arbeiteten.

Und jetzt dieser Umschwung. Aber die Gabi fand es gut, dass der Bursche wenigstens bereit war, auch mal über was anderes nachzudenken.

„Ich weiß net, ob ich dich jetzt recht versteh’“, meinte das Madl vorsichtig. „Aber willst mit deinen Worten vielleicht sagen, dass wir net getragene Schlaflieder bringen werden?“

Er grinste sie plötzlich an wie ein Lausbub. „Weißt gar net, wie recht du hast. Schau, ich hab wirklich drüber nachgedacht und mich dann mal in die Lage von diesem hohen Herrn versetzt. Der kriegt tagaus und tagein das gleiche serviert. Und unser Herr Pfarrer will doch auch, dass der Bischof einen guten Eindruck bekommt. Ist ja schließlich sogar ein Studienkamerad, der es ziemlich weit gebracht hat. Da müssen wir einfach was anderes tun und zeigen, dass der Feininger hier recht am Platz ist. Also denk’ ich, wir sollten ein paar schöne Stücke Musik nehmen, wie’s im Radio gespielt werden, ein paar neue Texte dazu schreiben und dann auch den Chor net wie die Ölgötzen dastehen lassen. Die sollen richtig klatschen und vielleicht im Takt ...“

Die Gabi konnte nicht mehr anders, sie begann lauthals zu lachen. Irritiert hielt der Thomas inne.

„Hab ich was Falsches gesagt, oder weshalb hast einen Anfall?“, wollte er wissen.

Sie schnappte nach Luft. Als sie endlich wieder reden konnte, hielt sie sich den Bauch. „Hast in letzter Zeit zuviel fern geschaut?“, fragte sie dann ironisch.

War das eine flüchtige Röte, die über das Gesicht vom Thomas zog? Doch er schüttelte den Kopf. „Ich versteh’ dich net.“

„Wirklich?“ Sie zweifelte, wollte aber keinen neuen Streit heraufbeschwören. „Da tät’s doch einen Film geben, wo in einem Kloster ein Chor so richtig in Schwung gebracht wird. Die machen aus ganz normalen Schlagern mit anderen Texten Kirchenmusik. Ich mein, es ist ja nur ein Film, und ob das wirklich klappt, kann keiner sagen. Aber die Idee find’ ich richtig gut. Bleibt ja nur noch die Frage, ob wir das in der Zeit auch noch schaffen. Wir haben nur noch zwei Wochen, bis der Bischof kommt.“

Das Gesicht vom Thomas war zuerst rot geworden, bei den letzten Worten des Madls hellte es sich jedoch wieder auf.

„Deswegen hab ich dich ja auch so früh geweckt. Lass uns jetzt gleich die Auswahl treffen, und dann schreiben wir die Texte um, und heute Nachmittag machen wir die erste Chorprobe. Na, die werden Augen machen.“

„Meinst net, dass das alles ein bisserl zu schnell geht?“, gab die Gabi zu bedenken. „Hast überhaupt schon geschlafen heut’ Nacht?“

„Das hat alles net viel Zeit, hast doch grad selbst gesagt. Und den Schlaf krieg’ ich schon noch.“

„Bist deppert“, stellte das Madl trocken fest. „Aber auf eine irgendwie nette Art.“ Das klang schon fast wie ein Kompliment, und der Bursche wandte sich verlegen ab. Er kramte in einigen Notenblättern, die er auf dem Klavier liegen hatte.

„Hier hab ich schon mal ein paar Titel ausgesucht, möchte’ aber deine Meinung dazu hören.“

Die Gabi schüttelte innerlich den Kopf. Was war denn mit dem Burschen los? Der wirkte ja wie ausgewechselt. Seit wann interessierte ihn ihre Meinung? Aber schön war’s, fand das Madl. Warum hatten sie sich net vorher schon mal zusammengesetzt und auf diese Art miteinand gearbeitet. Das hätt’ viel Ärger erspart.

Gleich darauf steckten die zwei die Köpfe zusammen. Rasch hatten sie sich geeinigt, so rasch, dass auch das der Gabi schon wieder seltsam vorkam.

„Da schau her, wenn wir hier die Zeile ändern, tät’s gleich sogar in eine festliche Messe passen“, erklärte der Thomas und summte die Melodie eines bekannten Liedes.

„Hast wohl recht. Und hier braucht’s nur ab und an ein anderes Wort.“

Die beiden jungen Leute vertieften sich so sehr in die Arbeit, dass sie nicht einmal bemerkten, wie der Morgen anbrach und die Sonne aufging. Später würde es Regen geben, das versprach der Himmel schon jetzt. Doch wirklich interessieren tat das die beiden nicht.

„Was, zum Donnerwetter, ist denn hier los?“, polterte plötzlich eine Stimme, und die zwei fuhren wie ertappte Sünder auseinander.

Der Pfarrer Feininger stand da, die Arme in die Hüften gestützt, und betrachtete verdutzt die trauliche Eintracht von Gabi und Thomas, die er sonst nur als Streithähne kannte. Hatte der Himmel hier ein Wunder gewirkt, oder waren es am End gar nicht die beiden?

„Ach, herrjeh“, entfuhr es dem Madl, das nun einen Blick auf die Uhr warf. „Du lieber Himmel, ich müsst schon längst auf der Arbeit sein. Was tät’ ich denn jetzt bloß machen, der Anderl reißt mir den Kopf ab.“ Sie arbeitete als Bedienung im Feriendorf, dort im Restaurant wurde in der Saison jede Hand gebraucht. Und Saison war eigentlich das ganze Jahr über. Da die Gabi eine gute Ausbildung als Hotelfachfrau gemacht hatte, würde sie demnächst den Empfang und die Organisation selbständig übernehmen, weil die bisherige Kraft gekündigt hatte, um ins Ausland zu gehen. Außer ihr gab es noch zwei Kolleginnen, die an diesem Morgen nun allein da standen.

„Tät’s einfach anrufen und dich krank melden“, schlug der Thomas vor, doch der Pfarrer drohte ihm mit dem Finger.

„Schlägst dem Madl tatsächlich hier im Bereich der Kirche vor zu lügen?“, grollte er. „Wirst am Samstag bei der Beichte mal eine richtig schwere Sünde haben damit.“ Doch er meinte das nicht ganz so ernst, und der Thomas grinste verlegen.

„Meinst net, dass der Anderl Verständnis haben wird, wenn’s doch eine so wichtige Sache ist? Aber vielleicht tätet ihr mir mal erklären, was euch überhaupt in aller Herrgottsfrühe hierher geführt hat? Dann kann ich vielleicht einen Rat geben.“ Der Feininger ahnte, dass sich in dieser Nacht einiges geändert hatte, und natürlich wollte er Bescheid wissen – schließlich ging es hier auch um die Kirche, mal abgesehen davon, dass ihn das Seelenheil aller Schäfchen etwas anging.

Wild durcheinander und sich gegenseitig unterbrechend erzählten die beiden, und auch der Pfarrer wunderte sich über das neue freundschaftliche Verhältnis von Gabi und Thomas. Ein breites Strahlen glitt dann auf seine Züge, offensichtlich gefielen ihm die Ideen auch.

„Dann macht’s ihr mal weiter hier, ich geb’ dem Anderl Bescheid. Wenn die Kirche dich braucht, wird er schon nix sagen. Er kann’s ja mal versuchen“, setzte er lächelnd hinzu.

Die Gabi schüttelte den Kopf, weil sie nicht glauben wollte, dass es so einfach werden würde, doch es dauerte nicht lange, bis der Feininger vom Telefon zurückkehrte und nickte.

„Ist in Ordnung, hat er gesagt. Aber er verlangt, dass er dann einen besonders guten Platz bekommt. Na, schauen wir mal. Am besten direkt unter der Kanzel, dann fallen meine Worte vielleicht endlich mal auf fruchtbaren Boden. Er tät’ ja sonst nur an den hohen Feiertagen in die Messe kommen. – Wenn ich euch zwei aber so anschau’, dann glaub’ ich, ihr tätet unbedingt ein Frühstück brauchen. Da will ich dann mal für sorgen.“

Eine halbe Stunde später hockten alle beieinander im Pfarrhaus und diskutierten eifrig weiter.

Ein schönes Paar, dachte der Feininger. Vielleicht tät’s ja jetzt auch war’s geben, wenn die zwei endlich einsehen würden, dass man nur gemeinsam etwas erreichen konnte.

8

Die Chorprobe am Nachmittag wurde zunächst einmal zu einem großen Durcheinander. Der Thomas stellte die verschiedenen Stimmlagen in Gruppen getrennt auf, musste aber rasch einsehen, dass auf diese Weise nicht das passierte, was er sich vorgestellt hatte. Für die Zuhörer würde es nicht gut klingen. Dann mischte er die Sänger, so dass von jeder Stimmlage etwas zu hören war, und gleich wurde es besser. Nur ein neues Problem ergab sich dann; weil die meisten Sänger die Lieder aus dem Radio kannten, behielten sie zu Anfang noch den ursprünglichen Text bei. Da konnte der Bursche immer wieder darauf verweisen, dass ein jeder doch bittschön von seinem Blatt ablesen sollte, irgendwie klappte das nicht richtig.

Nach mehr als zwei Stunden waren alle am Rande ihrer Nerven. Das war allerdings auch verständlich, denn die meisten von ihnen hatten schon den ganzen Tag lang gearbeitet und machten hier eigentlich nur aus Spaß an der Freud mit.

„Morgen Nachmittag auf ein neues“, ordnete der Thomas an, und die Kirche leerte sich rasch. Der Bursche trat zur Gabi und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Das hast wunderbar gemacht heut’. Ich kann dir gar net sagen, wie dankbar ich bin. Ohne dich hätt’ ich das net geschafft. Würdest denn ein kleines Dankeschön annehmen, wenn ich dich auf eine Maß im Kreuzkrug einladen tät’?“

„Gern“, erwiderte sie und wusste gar nicht, welche Freude sie dem Thomas machte. Grad heut’ war ihm klar geworden, welch ein fesches Madl die Gabi war, und dass er sich mehr um sie bemühen sollte. So eine wie sie gab’s net alle Tage. Es hatte gefunkt bei dem Burschen, und er fragte sich, warum er so lang vorher blind durch die Gegend gelaufen war. Ob sie ihn wohl auch mögen konnte, ein kleines bisserl wenigstens? Nun, er würde sehen.

Die nächsten zwei Wochen würden sie sich täglich sehen, und er wollte alles tun, um nun einen guten Eindruck auf die Gabi zu machen. Sie war es wert. Und dies gemeinsame Ausgehen, wenn auch nur auf eine Maß, war sicher ein guter Anfang.

Irgendwann später brachte der Thomas die Gabi heim. Der Weg führte am Waldrand vorbei, und weil beide schweigsam in ihre eigenen Gedanken vertieft waren, hörten sie auch das ungewöhnliche Geräusch, das zwischen den recht dicht stehenden Bäumen hervordrang. Erschreckt hob die Gabi den Kopf und schaute sich verwirrt um.

„Was war das?“, fragte sie ein bisserl ängstlich und versuchte in der Dämmerung etwas zu erkennen. Hier gab’s zeitweise auch Wildschweine, und wenn die auf einen Menschen losgingen, konnte das durchaus gefährlich werden.

Dann erklang der Schrei eines Tieres. Es war ein grauenvoller Schrei, er zeugte von großer Qual, und den beiden jungen Menschen lief es eiskalt den Rücken hinunter.

„Ja, da soll doch dieser und jener dreinschlagen“, brüllte der Thomas aufgebracht. „Ich glaub’, da tät’ einer wildern.“ Er rannte in den Wald hinein, mit einem Mut, der in dieser Situation vielleicht nicht ganz angebracht war. Schließlich konnte der Wilderer noch nicht sehr weit entfernt sein. „He, hallo, ist da wer? Was tun S’ denn da? So bleiben S’ doch stehen“, rief er, sah aber nicht mehr als eine dunkel gekleidete, undeutliche Gestalt, die ihm irgendwie merkwürdig vorkam. Sie entfernte sich mit raschen Schritten, und er hatte keine große Chance im gleichen Tempo hinterzukommen.

„Du bleibst da stehen“, sagte er im Laufen scharf über die Schulter und meinte die Gabi. Doch das Madl hatte nicht vor untätig abzuwarten. Schließlich konnte es ja auch sein, dass dieser Kerl, wer immer es auch sein mochte, ihr geradewegs in die Arme lief. Also rannte sie hinter dem Thomas her, hielt sich dabei allerdings ein bisserl seitwärts.

„Na, wart’, gleich hab ich dich“, hörte die Gabi den Burschen laut rufen. Gleich darauf erklang wieder dieses seltsame zischende Geräusch, von dem sie nun endlich wusste, was es war. Auf der Sportanlage im Feriendorf hatte sie es schon oft gehört. Es war das Geräusch, wenn ein Pfeil von einem Bogen abgeschossen wurde.

Das war doch wohl die Höhe. Wenn da wirklich jemand mit dem Bogen auf die Jagd ging, war das Wildfrevel. So einer musste gefasst werden.

Sie hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als erneut ein sirrendes Geräusch direkt neben ihr zu hören war. Dann schlug ein Pfeil in einen Baum ein, grad neben ihrem Kopf, und blieb zitternd im Stamm stecken. Die Gabi schrie erschreckt auf, und das alarmierte den Thomas.

„Bist narrisch?“, brüllte er voller Angst und Sorge um das Madl. „Lauf weg, rasch!“

Der nächste Pfeil verfehlte sein Ziel nicht.

9

„Was ist denn das für ein Lärm?“, fragte Daniel Ingold verwundert. Der sympathische Arzt saß in seinem gemütlichen Wohnzimmer, mit seiner heimlichen Liebe, Bernie Brunnsteiner, der Tierärztin, beisammen. Die beiden wollten bei einem guten Glas Wein eine Runde Schach spielen und sich über all die vielen schönen Dinge unterhalten, die nichts mit ihrem Beruf zu tun hatten. Aber beide waren auch daran gewöhnt, zu den unmöglichsten Zeiten zu Notfällen gerufen zu werden. Nur selten war es den Ärzten vergönnt, einen gemütlichen Abend, noch dazu miteinander, zu verbringen.

Deshalb klang auch keine Begeisterung aus den Worten des stets freundlichen Doktors, der allerdings auch immer bereit war, sich zum Wohle seiner Patienten einzusetzen. Oft genug musste er ihnen auch mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn Not am Mann war. Er warf der Bernie jetzt einen entsagungsvollen Blick zu und stand auf. Sie lächelte traurig zurück.

„Es wär’ ja auch zu schön gewesen“, murmelte sie leise. Auch die fesche Tierärztin gehörte zu den Menschen, die sich nicht zweimal bitten ließen, wenn irgendwo Hilfe gefordert war. Wie viele Nächte hatte sie schon draußen verbracht, sei es, um Pferde mit Koliken zu behandeln, jungen Kälbern auf die Welt zu helfen, oder auch schwerwiegende Erkrankungen bei irgendwelchen Haustieren zu behandeln. Sie verstand nur zu gut, dass der Daniel die Arbeit vor das Privatleben stellte – wenn man überhaupt behaupten konnte, dass Landärzte ein Privatleben besaßen.

Als der Doktor die Tür öffnete, rannte ihm ein Madl praktisch in die Arme.

„Gabi?“, stellte er verwundert fest. „Ist wer krank? Hat dein Vater wieder was mit dem Herzen?“ Er behandelte den alten Mittermayr schon lang, und grad beim Herzen musste man stets drauf gefasst sein, dass sich was Unvorhersehbares ergab.

Sie schüttelte wild den Kopf. „Nein, ist nix mit dem Papa, aber da drüben im Gebüsch am Waldrand – jemand hat auf den Thomas geschossen – mit einem Pfeil. Er blutet – und eine Ricke tät’ da auch liegen, angeschossen – kannst also gleich mitkommen, Bernie“, stieß die Gabi hervor, die hinter dem Daniel die Tierärztin herankommen sah. Automatisch griff das Madl nach dem Notfallkoffer, wie auch der Daniel ihn schon längst in der Hand hatte.

Die Gabi rannte schon wieder los, und die beiden Ärzte hatten Mühe ihr zu folgen. Das Madl legte ein Tempo vor wie ein Sprinter.

Thomas Kirchberger hockte wie ein Häuflein Elend gegen einen Baum gelehnt und hielt sich den linken Oberarm, aus dem ein Pfeil mit auffälliger Befiederung herausschaute. Blut sickerte am Arm herunter, und der Bursche fluchte leise. Dann sah er die Gabi und den Daniel herankommen, dicht dahinter die Bernie. Er ignorierte für einen Moment seine eigene Verletzung und deutete eifrig weiter in den Wald hinein.

„Da drüben irgendwo liegt die Ricke, net weit entfernt. Das arme Viecherl hat auch einen Pfeil im Körper und wird elend verenden, wennst nix tun kannst. Ich hoff’, es ist noch net zu spät.“

Die junge Ärztin hastete weiter. Die Gabi aber ließ sich neben dem Thomas nieder und nahm ihn fürsorglich in die Arme. Ihr Gesicht sprach Bände, wie der Daniel verwundert feststellte, der sehr wohl über die ewigen Streitigkeiten der beiden informiert war.

„Tut’s arg weh?“, fragte sie aufgewühlt und hätte doch so gern geholfen.

Der Doktor bemerkte mit Erstaunen, dass die beiden Streithähne plötzlich in schönster Harmonie zusammenhingen. Wie das passiert war, würde er früher oder später sicher noch erfahren, im Augenblick war es erst mal wichtig, dass der Thomas versorgt wurde. Zum Glück handelte es sich um eine relativ saubere Wunde, der Pfeil war glatt durch den Muskel gegangen, hatte den Knochen nicht einmal berührt, und ragte mit der scharfen Spitze hinten heraus. Der Thomas würde sicher einige Zeit starke Schmerzen haben und den linken Arm nur wenig bewegen können, doch bleibende Schäden sollte diese Verletzung nicht anrichten.

„Da hättst aber eine ganze Menge Glück gehabt“, bemerkte der Daniel kopfschüttelnd. Er reinigte die Wunde, nachdem er den Pfeil durchgebrochen und aus dem Arm entfernt hatte, dann legte er einen Verband an.

Gabi suchte angstvoll den Blick des Arztes. „Er wird doch wieder ganz gesund?“, wollte sie wissen.

„Nun stell dich aber net so an“, unterbrach der Thomas und streichelte ihr die Hand. „Ist doch nicht viel mehr als ein Kratzer. Mach’ dir keine Sorgen.“

„Langsam“, mahnte der Daniel. „Ist schon eine böse Wunde, mit der du net spaßen darfst. Aber sterben wird er bestimmt net dran, Gabi. Wenn der Pfeil allerdings nur ein paar Zentimeter weiter zum Körper getroffen hätt’, dann wär’ ich vermutlich schon zu spät gekommen. Hast wirklich unglaubliches Glück gehabt. Aber sag mal, Gabi, ich dacht’ eigentlich immer, es wär’ dir egal, was mit dem Thomas ist. Wie kommt denn jetzt dieser Umschwung?“ Der neckende Unterton sollte das Madl von der Angst ein bisserl ablenken, aber er verfehlte seine Wirkung.

„Ich hab halt meine Meinung geändert“, gab die Gabi vollkommen ernsthaft zurück. Noch immer spiegelte sich Angst in ihren Augen. „Muss der Thomas jetzt ins Hospital?“

„Nein, ich denk’, es wird auch so gehen, wenn er sich ein bisserl schont“, erwiderte der Arzt und schüttelte den Kopf. Hatte er da etwas verpasst? Welch eine Liebe, und so plötzlich.

Die Bernie kam aus dem Wald zurück, sie lächelte. „Die Ricke ist schon wieder auf und davon, ich hatt’ kaum Zeit, um die Wunde zu säubern und zu nähen. Aber der Pfeil ist draußen, und ich denk’, sie wird's schaffen.“ Der Blick des Madls wurde ernst, als es die Hand mit dem Pfeil hob. „Ist ein ungewöhnliches Stück. Man sollt’ den Besitzer doch herausfinden können. Sowas hätt’ net jeder.“