4 Herzergreifende Romane Weihnachten 2022 - Anna Martach - E-Book

4 Herzergreifende Romane Weihnachten 2022 E-Book

Anna Martach

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Beschreibung

Dieses Ebook enthält folgende Romanevon Anna Martach:Mama soll wieder glücklich seinDie richtige Frau für PapaWir brauchen keinen neuen PapiIn tiefster Seele gekränktMartina Johannsen gewinnt bei einem Preisausschreiben einen Urlaub in einem Schlosshotel. Und auch wenn es ihr anfangs noch recht absurd erscheint, scheint es zwischen ihr und dem Besitzer des Hotels, Graf Richard, Liebe auf den ersten Blick zu sein. Doch hält diese Liebe auch der Belastungsprobe stand, die durch die eifersüchtige Gräfin Annette, die schon seit Langem ein Auge auf den Grafen geworden hat, ausgelöst wird?

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Anna Martach

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Inhaltsverzeichnis

4 Herzergreifende Romane Weihnachten 2022

Copyright

Mama soll wieder glücklich sein

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Die richtige Frau für Papa

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Wir brauchen keinen neuen Papi

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In tiefster Seele gekränkt

4 Herzergreifende Romane Weihnachten 2022

Anna Martach

Dieses Ebook enthält folgende Romane

von Anna Martach:

Mama soll wieder glücklich sein

Die richtige Frau für Papa

Wir brauchen keinen neuen Papi

In tiefster Seele gekränkt

Martina Johannsen gewinnt bei einem Preisausschreiben einen Urlaub in einem Schlosshotel. Und auch wenn es ihr anfangs noch recht absurd erscheint, scheint es zwischen ihr und dem Besitzer des Hotels, Graf Richard, Liebe auf den ersten Blick zu sein. Doch hält diese Liebe auch der Belastungsprobe stand, die durch die eifersüchtige Gräfin Annette, die schon seit Langem ein Auge auf den Grafen geworden hat, ausgelöst wird?

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Mama soll wieder glücklich sein

Der Brief sah teuer aus, edles, geprägtes Büttenpapier, die Adresse mit einer wie gestochen wirkenden Handschrift geschrieben. Und er kam als Einschreiben mit Rückschein. Er war wirklich an sie, Sandra Hökers andressiert. Der Absender war eine Rechtsanwaltskanzlei aus der Nähe von Frankfurt, was der jungen Frau aber auch nichts sagte.

Sie unterschrieb ein wenig verwirrt und ging ins Haus zurück. Die Kinder Jessica und Patrick waren in der Schule, Lars, ihr Mann, der als Oberarzt in der hiesigen Klinik arbeitete, hatte noch Dienst.

Sandra legte die übrige Post auf den Küchentisch, hielt den weißen langen Brief aber nachdenklich in der Hand und starrte darauf. Schließlich entschloss sie sich, ihn zu öffnen.

„ Wir schreiben Sie an in der Testamentsvollstreckungssache Alois Hinterleitner und Sarah Bittermann“, begann das Schreiben.

Sandra hielt inne und vergewisserte sich noch einmal, dass der Brief wirklich an sie adressiert war. Sie schüttelte den Kopf, diese Namen sagten ihr nichts. Oder doch?

Irgendwo in ihrem Hinterkopf tauchte ein Gedanke auf. Doch erst einmal las sie weiter.

„ Sie werden hiermit gebeten, sich zur Eröffnung des Testaments der verstorbenen Sarah Bittermann einzufinden.“ Uhrzeit und Adresse wurden genannt. Sollte sie etwa eine Erbschaft machen?

Jetzt fiel ihr auch wieder etwas zum Namen Sarah Bittermann ein. Es war die Schwester ihres Vaters gewesen, allerdings das schwarze Schaf, zu dem niemand Kontakt hatte. Bis auf das eine Mal, da Sandra und Sarah eher zufällig aufeinandergetroffen waren und sich auf Anhieb gut verstanden hatten. Das war bei einem der, Gott sei Dank seltenen, Familienfeste gewesen, vor mindestens elf oder zwölf Jahren. Sandra hatte sich anschließend eine Menge böser Worte anhören müssen, weil sie es gewagt hatte, mit der „Ausgestoßenen“, die doch wahrhaftig die Stirn hatte, hier zu erscheinen, freundschaftlichen Umgang zu pflegen.

Und jetzt dieses hier. Offensichtlich war Tante Sarah gestorben. Sandra erinnerte sich wieder an sie, eine offene fröhliche Frau, die so ganz anders war als ihr meist etwas verschlossener Vater.

Die Kinder kamen gerade aus der Schule. Lärmend ließen sie die Tornister fallen, stürmten in die Küche, verlangten etwas zu essen und erzählten wild durcheinander, was ihnen heute widerfahren war.

Sandra war ein wenig geistesabwesend, was den beiden natürlich nicht entging. Jessica war elf, sehr reif für ihr Alter, intelligent, aufmerksam und mit der schon jetzt gut ausgebildeten Gabe, Dinge und Tatsachen in Worte zu fassen. Ihre Aufsätze und Diktate waren fast immer das Klassenbeste, dafür hatte sie zur Mathematik keinen sehr großen Drang, das Fach nahm sie als notwendiges Übel hin.

Patrick, der Neunjährige, war fast das genaue Gegenteil. Noch immer sehr verspielt, hielt er sich meist an seine Schwester, sie würde schon wissen, was gut war, und sie würde auch alles richten. Er war ein guter Rechner, wogegen das geschriebene Wort sein Gegner war, den er zu bekämpfen hatte. Untereinander stritten die Geschwister, wie es wohl alle tun, aber sie hielten dennoch fest zusammen.

Jetzt stieß Jessica ihren Bruder an, und sie deutete auf ihre Mutter, die gedankenverloren aus dem Fenster starrte.

„ Mutti, ich habe eine vier im Diktat“, sagte sie und grinste.

„ Gut gemacht, mein Schatz.“

Patrick prustete unterdrückt auf.

„ Mutti, ich möchte ein Pferd.“

„ Ja, bald, warte noch etwas ab.“

Beide kicherten jetzt haltlos.

„ Mama, kaufst du mir ein Auto?“, wollte jetzt der Junge wissen, und das riss Sandra aus ihren Gedanken. Sie schaute ihre Kinder an, die sich vor Spaß kaum noch halten konnten.

„ Ihr Schlingel“, schalt sie gutmütig. „Es ist nicht recht, eure arme, alte Mutter aufs Glatteis zu führen, wenn sie mit den Gedanken ganz woanders ist.“

„ Was beschäftigt dich denn so?“, fragte Jessica jetzt ernst.

„ Du kleines Fräulein Naseweis bist ganz schön neugierig. Warte es ab, mein Schatz. Wir werden noch früh genug sehen.“

Das Mädchen zog eine Flunsch. Immer waren es die Erwachsenen, die glaubten, dass sie noch zu klein und zu jung für alles war.

Nach dem Essen gingen die Kinder an ihre Hausaufgaben. Und danach stürmten sie hinaus, um zu spielen. Ihnen war etwas langweilig, weil die meisten ihrer Freunde wesentlich länger brauchten, um ihre Hausaufgaben zu erledigen.

So heckten sie an diesem Tag mal wieder einen Streich aus. Patrick besorgte aus dem Werkzeugkasten einen Handbohrer, und Jessica holte den Gartenschlauch. Sie wollten eine eigene Autowaschanlage bauen, das würde ihren Eltern sicherlich viel Geld ersparen, und praktisch war es ja auch, wenn man so etwas zuhause hatte. Eifrig bohrten sie in möglichst regelmäßigen Abständen Löcher in den Schlauch, dann holten sie einige Kisten und stellten sie an den Rändern der Garageneinfahrt auf. Jessica lief dann, um das Wasser anzustellen, und beide jubelten, als ihre Erfindung doch recht gut funktionierte. Was machte es schon, dass die Löcher nicht alle gleichmäßig gebohrt waren, und einige Wasserstrahlen in alle Himmelsrichtungen sprühten? Sie würden gleich ihrem Vater stolz die neue Errungenschaft zeigen.

Es dauerte auch gar nicht mehr lange, und bald darauf kam Lars von seinem Dienst nach Hause. Er bemerkte das technische Wunderwerk seiner Kinder nicht sofort, stellte seinen Wagen direkt unter der „Waschanlage ab“ und stieg aus. In diesem Augenblick drehte Jessica wieder das Wasser auf, und ein kräftiger Sprühregen ergoss sich nicht nur über das Auto, sondern auch über Lars. Für einen Moment blieb er verblüfft stehen, dann sah er die strahlenden Gesichter seiner Kinder, die sich in diesem Augenblick veränderten, als sie bemerkten, dass ihr Vater klatschnass war.

Lars hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und war wirklich nicht in der Laune, für dieses Machwerk auch noch ein Lob zu finden.

„ In zwei Minuten ist das hier wieder verschwunden“, schimpfte er.

Dann nahm er die letzten Reste seiner Würde zusammen und stapfte ins Haus. Hinter seinem Rücken grinsten sich die Geschwister dennoch an.

Sandra hatte vom Fenster aus den Zwischenfall beobachtet, und auch sie hatte lachen müssen. Das waren ihre Kinder, niemals würden sie jemanden wissentlich oder bösartig verletzen. Aber ein Streich konnte doch soviel Spaß machen. Nur Lars sah das nicht immer ein. Und so verbarg sie, dass sie sich amüsierte, bedauerte ihren Mann ein wenig und schickte ihn hinauf, damit er sich umzog. Dann kam er wieder herunter und ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen.

Sandra ließ ihn erst einmal etwas in Ruhe entspannen, bevor sie ihm den Brief übergab und dann in wenigen Worten über die Tante sprach. Lars las den Brief durch und lächelte seine Frau an.

„ Dann hast du also etwas geerbt? Wie schön für dich. War deine Tante denn reich?“

Sandra zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, so gut habe ich sie nicht gekannt. Nach der Feier damals haben wir uns noch ein paarmal geschrieben, dann brach der Kontakt aber ab. Keine Ahnung, ob sie Geld hatte.“

„ Dann wird es vielleicht gar nicht soviel sein. Aber lass dir bitte keine Schulden anhängen, das kann nämlich auch ein Erbe sein.“

„ Kommst du denn nicht mit?“, fragte sie etwas hilflos.

Er schüttelte den Kopf. „Da habe ich Dienst. Und ich bin ja auch nicht geladen. Du machst das schon.“

Du machst das schon; ein Satz, den Sandra im Verlauf ihrer Ehe häufig gehört hatte. Immer war es so, dass Lars sich vor allem drückte, was auch nur entfernt mit Arbeit und Verantwortung zu tun hatte, immer schob er seine Frau vor. Du machst das schon! Manchmal fragte sich Sandra, wieso sie überhaupt verheiratet war, wenn sie ohnehin alles allein machen musste.

Lars schaffte es immer hervorragend, seinen Dienst oder eine Tagung vorzuschieben. Natürlich war sein Beruf wichtig, anstrengend und auch unregelmäßig, aber das hieß doch nicht, dass es ihn von allem anderen abhalten musste. Mehr als einmal hatten sie schon heiße Diskussionen um dieses Thema geführt, aber irgendwie war es Lars immer wieder gelungen, sie regelrecht ins Abseits zu stellen. Sandra fühlte sich ihm unterlegen, was vielleicht auch daran lag, dass sie damals ihr Kunststudium abgebrochen hatte und deshalb keinen rechten Beruf besaß, der ihr etwas Unabhängigkeit garantiert hätte, als Jessica unterwegs war. Jemand musste sich schließlich um das Kind kümmern. Und dieser Jemand war Sandra, wie immer, wenn es etwas zu erledigen gab. Wie auch jetzt.

Sandra fuhr sich durch die blonden, kurzgeschnittenen Haare, strich sich dann durch das schmale, ebenmäßige Gesucht. Ihre braunen Augen nahmen einen entschlossenen Ausdruck an, und ihre vollen roten Lippen pressten sich aufeinander.

Nun gut, sie würde allein zu diesen Anwälten gehen und herausfinden, was es gab – wenn es denn etwas gab.

1

Dominic Westermeier war ein ausgesprochen gutaussehender Mann. Er mochte Mitte bis Ende dreißig sein, hatte braune, lockige Haare, leuchtend blaue Augen und trug eine Brille auf der geraden Nase, die aber nicht unbedingt nötig zu sein schien, denn er nahm sie häufig ab und spielte mit den Bügeln herum. Sein Mund, sein ganzes Gesicht machte den Eindruck, als ob er viel lächelte.

Sandra fasste sofort Vertrauen zu ihm, als er von seinem Schreibtisch aufstand und ihr entgegenkam, um sie zu begrüßen. Die junge Frau mit dem blonden Bubikopf fühlte sich dennoch unsicher, so als wäre sie hier völlig fehl am Platze.

Dominic Westermeier lächelte sie strahlend an. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Frau Hökers. Die verstorbene Sarah Bittermann hat mir viel von Ihnen erzählt. Mein Beileid zum Tod Ihrer Tante.“

„ Ich habe Tante Sarah nicht besonders gut gekannt“, gestand Sandra. „Trotzdem tut es mir leid, dass sie gestorben ist. Aber sie war doch noch gar nicht so alt, woran ist sie denn...?“

„ Ein Autounfall“, sagte Dominic knapp. „Und hier kommen wir auch gleich zu einer Besonderheit in der Erbnachfolge. Ihre Tante Sarah und ihr Lebensgefährte Alois Hinterleitner hatten sich gegenseitig als Universalerben eingesetzt. Bei diesem tragischen Unfall geschah es jetzt, dass Herr Hinterleitner sofort an der Unfallstelle starb, ihre Tante erst etwa eine Woche später in der Klinik, wobei sie noch längere Zeit das Bewusstsein erreichte. Damit war Ihre Tante die rechtmäßige Erbin des beträchtlichen Vermögens des Frankfurter Unternehmers, zusätzlich zu dem, was sie selbst schon besaß. Und damit erben Sie jetzt alles.“

Wortlos ließ sich Sandra in einen Sessel fallen. „Ich?“, fragte sie dann verstört.

Dominic lächelte sie verständnisvoll an. Dann bestellte er über die Sprechanlage bei seiner Sekretärin Kaffee und Cognac. Er nahm einen Aktenordner vom Tisch und öffnete ihn.

„ Ich habe hier das vollständige Testament Ihrer Tante wie auch noch einen persönlichen Brief an Sie, denn sie mir diktierte, als sie bereits im Krankenhaus lag. Das Testament wurde hier in der Kanzlei, bei meinem damaligen Seniorpartner Günther Fischer, aufgesetzt und von anwesenden Zeugen gegengezeichnet. Soll ich es Ihnen vorlesen?“

„ Wenn das genauso verdreht klingt, wie Sie bisher reden, lieber nicht“, entfuhr es Sandra respektlos.

Dominic lachte auf. „Verzeihen Sie bitte. Mein Beruf bringt es mit sich, eine etwas andere Sprechweise zu benutzen. Ich werde mir Mühe geben darauf zu achten.“

„ Oh, nicht meinetwegen, bitte. Das war eine taktlose Bemerkung von mir“, wehrte Sandra ab. Sie fand diesen Anwalt ausgesprochen sympathisch. Er wirkte gar nicht so gestelzt, wie sie es bei einigen Freunden von Lars festgestellt hatte, und sie fragte sich, ob er auch vor Gericht eine so positive Ausstrahlung hatte, dann konnte er ja wohl kaum einen Fall verlieren.

„ Das Testament kurz zusammengefasst besagt“, fuhr er jetzt fort, „dass Sie als Alleinerbin alles erhalten, abgesehen von zwei Legaten an gemeinnützige Organisationen.“

„ Was heißt das jetzt – alles?“, fragte Sandra betont nüchtern.

„ Ein großes Haus in der Nähe von Frankfurt, voll möbliert, und eine Geldsumme, die zum größten Teil sicher angelegt ist. Nach Abzug der Erbschaftssteuer dürften wohl annähernd noch einige Millionen übrig sein.“

Sandra schnappte nach Luft.

2

„ Du willst damit sagen, du hast all das allein geerbt?“ Lars starrte seine Frau verblüfft an. Die Kinder hatten die Ankündigung jubelnd aufgenommen, dass Mutter eine Menge Geld geerbt hatte.

„ Dann kriege ich jetzt doch ein Pferd“, freute sich Jessica etwas voreilig.

„ Und ich das Flugzeug mit Fernsteuerung“, beharrte Patrick.

„ Langsam, Freunde, ich glaube, wir haben erst einmal etwas anderes vor“, bremste Sandra und schaute ihren Mann an.

Der war gerade damit beschäftigt, den Brief von Tante Sarah zu lesen, der Sandra nicht nur zum Weinen gebracht, sondern sie auch mehr als nur etwas nachdenklich gemacht hatte.

„ Mein liebes Mädchen, wenn du diesen Brief in Händen hältst, werde ich tot sein, und du die Erbin eines nicht unbeträchtlichen Vermögens. Ich habe unser Zusammentreffen von damals nicht vergessen und festgestellt, dass du dich von deinem Vater ebenso sehr unterscheidest wie ich selbst. Mein Bruder ist ein bedauernswerter Mensch, wie ich finde, denn was das Leben an Freude, Überraschungen und Humor bereithält, wird er wohl nie erfahren. Ich hasse ihn nicht, egal, wie er über mich denkt. Aber ich wollte wissen, ob du es zu schätzen weißt, wenn ich dich zu meiner Erbin mache. Und auch, als unser Kontakt leider wieder abbrach, habe ich mich in unregelmäßigen Abständen über dich und dein Wohlergehen kundig gemacht. So weiß ich, dass du einen Mann und zwei reizende Kinder hast. Und doch glaube ich einfach nicht, dass du glücklich bist. Nun, vielleicht wird das besser, wenn du jetzt durch das Vermögen ganz andere Möglichkeiten hast. Wie schon im Testament verankert, stelle ich ein paar Bedingungen, die auf jeden Fall von dir einzuhalten sind. Ich bin sicher, der Notar, mein guter Freund, Günther Fischer, oder sein Sozius Dominic werden dir beistehen, wo immer es nötig ist. Sie sind die Testamentsvollstrecker und bleiben es für mindestens fünfundzwanzig Jahre. Dazu kommt, dass ich wünsche, dass du in mein Haus einziehst, in dem Alois und ich glücklich waren. Und als letztes, meine Liebe, verfüge ich, dass du von dem angelegten Geld nichts einfach für fragliche neue Anlagen ausgeben darfst. Es kommt von den Zinsen und Dividenden mehr als genug zusammen, um euch ein Leben in Wohlstand zu garantieren, außerdem wird die Firma von Alois von einem Konsortium weitergeführt und bringt ebenfalls erhebliche Einkünfte. Sieh dies bitte nicht als Schikane an, liebe Sandra, ich möchte nur vermeiden, dass du auf gewiefte Leute hereinfällst und du so teure und auch schmerzhafte Erfahrungen machst wie ich. Verlass dich voll und ganz auf Fischer und Dominic, sie werden immer das richtige wissen und dich niemals falsch beraten.

Und jetzt, liebe Sandra, möchte ich zum Schluss kommen. Ich wünsche dir für dein Leben alles Gute, und soviel Glück, wie ein einzelner Mensch haben kann. Umgibt dich nicht mit falschen Freunden, bleib so natürlich und fröhlich, wie du es immer warst. Die besten und liebsten Grüße von deiner Tante Sarah.“

Lars ließ den Brief sinken und schaute seine Frau an. „Das ist kaum zu glauben, mein Schatz. Ich habe eine Frau, die reich ist.“

„ Ach, was heißt das schon?“, wehrte sie ab. „Wir hatten auch vorher nicht unbedingt Mangel zu leiden. Was mir mehr Sorgen macht, ist der Umzug. Wie du gelesen hast, ist es eine Bedingung, dass wir das Haus beziehen. Aber ich weiß noch gar nicht, ob es überhaupt das richtige für uns ist. Allerdings sagte Dominic...“

„ Dominic?“ Lars runzelte die Stirn.

„ Ja, Dominic Westermeier, der Anwalt. Ach, er ist ungeheuer nett. Und am Wochenende fährt er mit uns zusammen zum Haus hinaus, damit wir es besichtigen können.“

„ Und wenn es uns nicht gefällt?“

„ Warte doch erst einmal ab“, riet Sandra, die ein wenig über die Reaktion ihres Mannes enttäuscht war. Freute er sich denn nicht mit ihr? Sie konnten die Kinder auf bessere Schulen schicken, wo sie besonders gefördert werden konnten. Sie würden keine finanziellen Probleme mehr haben, denn als Oberarzt verdiente Lars nicht unbedingt ein Vermögen. Ein anderes Auto konnte angeschafft werden, und auch ein Urlaub an ihrem Traumziel war möglich. Es boten sich ungeahnte Möglichkeiten, und Lars machte den Eindruck, als wäre es eine Beleidigung für ihn.

„ Wir werden sehen. Allerdings finde ich die Verfügungen deiner Tante wirklich etwas seltsam, das wirst du doch zugeben müssen?“

„ Nein, das finde ich ganz und gar nicht“, widersprach Sandra scharf. „Ganz im Gegenteil, sie hat weit voraus gedacht, und sicher nur unser Glück im Sinn gehabt.“

„ Dein Glück meinst du wohl“, korrigierte Lars sie.

„ Was mich angeht, geht auch meine Familie an. Ich weiß wirklich nicht, was mit dir los ist.“

„ Papa, ist es denn nicht toll, jetzt ganz viel Geld zu haben?“, fragte Patrick in kindlicher Unschuld dazwischen. Er verstand die Spannungen zwischen den Erwachsenen nicht.

Lars riss sich zusammen, seufzte und strich seinem Sohn über den Kopf. „Vielleicht hast du recht, mein Junge. Ich glaube, ich war etwas überreizt, Sandra. Muss am Dienst liegen, es war ziemlich hart in den letzten Tagen.“

„ Nun“, meinte sie, rasch versöhnt. „Du kannst dir ja auch eine andere Stellung suchen, wenn du möchtest. Etwas, wo du nicht mehr so im Stress stehst.“

Er gab seiner Frau einen flüchtigen Kuss. „Mal sehen, was sich ergibt“, antwortet er ein wenig ausweichend.

3

„ Das kann nicht wahr sein“, sagte Sandra fassungslos.

Zusammen mit ihrer Familie und Dominic Westermeier stand sie vor dem „Haus“, ihrer Tante. Nur, dass es kein Haus war, nein, schon fast ein Schloss.

Jessica blickte zweifelnd. „Da sollen wir wohnen?“, fragte sie. „Da muss ich ja Rollschuhe anziehen, wenn ich von einem Zimmer ins andere will.“

„ Nun sei mal nicht so respektlos, junge Dame“, rügte ihr Vater. Wider Willen war Lars beeindruckt von diesem Anwesen. Vor allem jetzt, da sich die Tür öffnete und das vierköpfige Personal heraustrat.

„ Wow, ein Butler. Bringt der mir morgens meine Milch ans Bett?“, wollte Patrick begeistert wissen.

„ Soweit kommt das noch“, murmelte Sandra ärgerlich. Dann ging sie jedoch mit einem Lächeln und klopfendem Herzen auf die Leute zu.

„ Ich bin Sandra Hökers, Frau Bittermans Nichte. So wie es aussieht, werden meine Familie und ich hier wohl einziehen.“

Es war wirklich ein Butler, der jetzt einen Schritt vortrat, zögernd die ausgestreckte Hand von Sandra ergriff und sich leicht verneigte.

„ Wir alle werden uns bemühen, Sie zufrieden zu stellen, gnädige Frau. Ich bin Herders, das ist Lieselotte, die Köchin, und das sind die Mädchen Irina und Andrea.“

„ Haben Sie etwas Nachsicht mit uns“, bat Sandra mit einem Lächeln. „Wir haben bisher noch nie... Ich meine, wir sind...“

Sie brach hilflos ab. Dominic war es, der ihr beistand. „Frau Hökers und ihre Familie haben bisher kein so großes Haus zur Verfügung gehabt. Es wird eine Umstellung werden – für Sie alle.“

„ Ich verstehe“, sagte Herders gemessen. Dann bat er die Familie hinein.

Sandra fühlte sich wie im Märchen und zwickte sich selbst, um aufzuwachen. Dominic bemerkte es und lächelte insgeheim.

Es gab zwölf Zimmer in dem Haus, die zu bewohnen waren, das Personal wohnte in einem kleinen Anbau.

Jessica und Patrick konnten sich ihre Zimmer aussuchen, was zu langen Diskussionen zwischen den Geschwistern führte, während Sandra und Lars sich unten die Räume ansahen.

Dominic blieb bei den Kindern und hörte amüsiert zu.

„ Ich will dieses hier. Da ist der Baum vor dem Fenster. Wenn ich nachts mal aussteigen will, ist das praktisch“, erklärte Patrick.

Jessica zeigte ihrem Bruder einen Vogel. „Du spinnst ja. Wozu willst du nachts aussteigen, haben wir denn keine Haustür? Und außerdem ist das ein Mädchenzimmer, das sieht man doch.“

„ Ach ja, woran denn?“

„ Na, das da ist doch ein Himmelbett. Und da ist jede Menge Platz für meine Freundinnen, damit wir einen Plausch abhalten können und – und, was wir sonst noch tun möchten“, trumpfte sie auf.

„ Du hast hier ja gar keine Freundinnen.“

„ Werde ich aber bald haben. Du willst dir doch auch neue Freunde suchen, oder nicht?“

„ Mädchen sind blöd“, stellte Patrick nicht zum erstenmal fest. „Na gut, dann nehme ich das Zimmer nebenan. Aber schrei nicht laut herum, wenn nachts über den Baum ein Einbrecher bei dir einsteigt.“

„ Den haue ich doch glatt um“, behauptete Jessica kühn.

„ Es wird hier keine Einbrecher geben“, bemerkte Dominic trocken, dem die beiden ungeheuer Spaß machten. „Es ist nämlich so, dass hier nachts ein Sicherheitsdienst aufpasst. Einbrecher werden schon frühzeitig entdeckt.“

„ Umso besser. Dann kann ich ja ruhig schlafen“, erklärte Jessica und ließ sich auf das breite, bequeme Himmelbett fallen.

Die meisten Möbel im Haus waren teuer, viele sogar Antiquitäten. An den Wänden hingen echte Bilder, keine Reproduktionen, und das ganze Haus atmete Wohlstand und Stil. Lars und Sandra waren beeindruckt.

Die Küche war riesengroß, blitzsauber, und es roch verführerisch nach einem wundervollen Essen, dem sich Lieselotte gleich wieder widmete.

Außer der Küche gab es hier unten im Erdgeschoss einen Speiseraum, ein Wohnzimmer, zwei Arbeitszimmer und eine wohl ausgestattete Bibliothek.

Hier saß das Paar jetzt und schaute sich immer noch ein wenig scheu um.

„ Kaum zu glauben“, sagte Lars beeindruckt. „Das alles gehört jetzt uns.“

Sandra betrachtete die Buchrücken und war fasziniert. „Hier steht an Büchern mehr, als du in zwei Jahren verdienen kannst“, stellte sie fest.

„ Ich hätte schon noch mehr Geld verdient“, knurrte er. „Du musst mir keine Vorhaltungen machen. Es dauert nun mal einige Zeit...“

„ Das sollte kein Vorwurf an deine Adresse sein“, unterbrach sie ihn. „Das war eine wertfreie Feststellung. Aber hast du schon einmal nachgefragt, ob du hier in der Nähe eine Anstellung finden kannst?“

„ Nein, noch nicht!“, gab er zurück. „Ist aber auch nicht so eilig, denke ich. Weißt du was, Sandra, mir schwebt da sowieso etwas ganz Tolles vor. Ich träume davon, eine eigene Klinik zu haben. Weißt du, nur für bessere Patienten, reiche Patienten. Ich werde Personal einstellen, und ich hätte viel mehr Zeit für euch. Ist das nicht eine wundervolle Idee, Liebling?“

„ Du baust Luftschlösser, Lars“, sagte Sandra freundlich und lachte.

Doch er meinte es völlig ernst. „Das wäre doch eine Möglichkeit, um das Geld auf vernünftige Art und Weise anzulegen.“

Sandra runzelte die Stirn. „Ich glaube nicht, Lars. Dafür würde auch selbst diese große Menge Geld nicht reichen.“

„ Aber wir haben einen Grundstock, und dann finden sich genügend andere Leute mit Geld, die es gar nicht erwarten können, es mit hineinzustecken.“

Sandra wollte nicht mit ihrem Mann darüber streiten, aber sie fand diese Idee auch nicht halb so gut wie Lars. Sie wurde aber einer Antwort enthoben, als die Kinder hereinstürmten.

„ Wir haben unsere Zimmer ausgesucht“, verkündete Patrick. „Und Jessica will ganz viele Freundinnen einladen.“

„ Alte Petze! Er will nachts aus dem Fenster steigen. Aber warum, weiß er selbst nicht“, gab sie passend heraus.

„ Genug jetzt, Kinder, ja?“

„ Sie haben zwei wunderbare Kinder“, sagte Dominic zu Sandra. „Die beiden haben das ausdiskutiert, als hätten sie nie etwas anderes getan.“

Lars schaute den Anwalt an, als wollte er ihn fressen. Schon beim ersten Aufeinandertreffen am Vormittag war zu spüren gewesen, dass die beiden Männer sich auf Anhieb nicht leiden konnten. Dominic hatte nur einen Blick auf ihn geworfen und war zu professioneller Höflichkeit übergegangen. Lars hingegen hatte es selbst daran mangeln lassen.

Und jetzt war Dominic ausgerechnet in dem Augenblick dazu gekommen, als er seiner Frau einen Lebenstraum erläuterte. Der Anwalt erwies sich als störendes Element. Und doch würde er sich irgendwie mit ihm arrangieren müssen, denn zumindest Sandra würde recht viel mit ihm zu tun haben. Man würde sich also öfter sehen, und da hatte es wenig Sinn, die gegenseitige Abneigung auch noch zu pflegen.

„ Meine Kinder sind schließlich vernünftige Menschen“, sagte Lars etwas unwirsch.

„ Niemand hat etwas anderes behauptet“, entgegnete Dominic lächelnd, dem es irgendwie Spaß zu machen schien, dass Lars sich in seiner Gegenwart unwohl fühlte.

In der Tat hatte er sich schon gefragt, was Sandra und Lars miteinander verband. Er hielt Sandra für eine tüchtige, intelligente Frau, Lars hingegen war seiner Meinung nach etwas arrogant und auf jeden Fall sehr von sich eingenommen; ein Mann, der sein näheres Umfeld, also auch seine Familie, in den Schatten stellte. Und doch, sollte Lars irgendwann auf sich allein gestellt sein, würde er Probleme bekommen, denn all die Kleinigkeiten des täglichen Lebens überließ er Sandra, die sich nicht dagegen wehrte, wie ein Bote oder eine Dienerin behandelt zu werden.

Dominic zog jetzt eine Liste aus der Tasche. „Ich habe hier die in Frage kommenden privaten Schulen der näheren Umgebung. Wenn Sie die Kinder nicht direkt nach Frankfurt schicken wollen, dann bieten sich diese beiden Schulen an, die nicht allzu weit entfernt sind. – Wann wollen Sie jetzt eigentlich endgültig umziehen?“

„ Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen“, sagte Sandra rasch, bevor Lars dagegen Einspruch einlegen konnte, dass Dominic sich um solche Einzelheiten kümmerte.

„ Die Ferien fangen in zwei Wochen an, dann werden die Kinder und ich schon herkommen. Lars muss seine Kündigungsfrist einhalten, also noch rund sechs Wochen.“

„ Kann ich Ihnen behilflich sein beim Umzug? Formalitäten, Spedition, was auch immer?“, bot Dominic freundlich an und erntete einen finsteren Blick von Lars.

„ Ich denke, dass meine Frau recht gut mit derlei Dingen allein fertig wird. Es ist doch sicher so, dass Sie bestimmt auch noch andere Aufgaben haben“, erklärte er abweisend.

Die Augen des Anwalts weiteten sich etwas, doch er blieb höflich. „Eine meiner vordringlichsten Aufgaben ist es, Ihrer Frau das Leben zu erleichtern. Ich bin als Testamentsvollstrecker angewiesen, alles in meiner Macht stehende zu tun, um Sandra behilflich zu sein.“

„ Vielen Dank, Dominic“, sagte die jetzt mit warmer Stimme und warf ihrem Mann einen verweisenden Blick zu. „Aber Lars hat wohl schon recht, das alles sind Dinge, die ich gewohnt bin zu erledigen. Sie müssen sich nicht bemühen. Aber ich verspreche, Ihnen Bescheid zu geben, wenn ich Hilfe brauche.“

Er lächelte sie vergnügt an. „Dann kann ich nur noch sagen: Willkommen in Ihrem neuen Heim.“

Herders servierte ein köstliches Essen, und es war besonders für Sandra ungewohnt, sich bedienen zu lassen, war sie es doch sonst, die für das Wohlergehen der Familie sorgte. Lars hingegen ließ es sich einfach schmecken und zeigte weder Verlegenheit noch Befangenheit.

Jessica und Patrick erging es ähnlich wie ihrer Mutter, aber nur für kurze Zeit.

Schließlich drängte Lars zum Aufbruch. Ihm stand am nächsten Tag wieder ein harter Dienst bevor, war seine Begründung.

Dominic hielt beim Abschied Sandras Hand einen Augenblick länger fest als nötig, verlegen entzog sie ihm die Finger.

Später im Auto machte Lars aus seiner Abneigung keinen Hehl mehr. „Gibt es wirklich keine Möglichkeit diesen arroganten Lackaffen loszuwerden?“, wollte er wissen.

„ Was hast du denn gegen ihn?“, fragte Sandra wie unbeteiligt.

„ Er nervt mich. Er maßt sich Rechte an, die ihm nicht zustehen. Er...“

„ ...ist hilfsbereit, freundlich und höflich“, unterbrach Sandra. „Warum versuchst du es nicht auch mal auf diese Art?“

„ Muss ich dich jetzt mit Sie ansprechen, nur weil du plötzlich Geld hast?“

„ Ich würde mir wünschen, dass sich schon ganz einfach dein Tonfall und deine Einstellung ändern“, bat sie. „Du läufst herum wie eine beleidigte Leberwurst. Gibt es einen besonderen Grund dafür?“

„ Ich finde es einfach schrecklich, dass du, obwohl du das ganze Vermögen geerbt hast, immer noch nicht mehr als eine Bittstellerin bist. Wenn wir eine größere Anschaffung planen, müssen wir uns dafür rechtfertigen.“

„ Was verstehst du unter einer größeren Anschaffung?“, fragte Sandra. „Wenn du ein Auto kaufen willst, bitte, es steht dir frei. Aber wenn du wieder mit dieser Idee von einer eigenen Klinik ankommst – dann bin ich der Meinung, dass du diesen Gedanken gleich wieder vergessen solltest. Erst einmal ist noch gar nicht klar, wie viel überhaupt nach Abzug der Steuer übrig bleibt. Und außerdem denke ich, selbst wenn wir Geldgeber finden, so ist das Risiko zu hoch.“

„ Du willst also, dass ich auch weiterhin wie ein Lakai in einer Klinik Dienst schiebe?“, presste er zornig hervor.

„ Unsinn! Nur, wenn du unbedingt willst, solltest du dir einen Job in einer Klinik suchen. Aber eine eigne Praxis wäre doch auch nicht schlecht. Und das liegt nun wirklich im Rahmen dessen, was wir verantworten und auch mühelos bezahlen können“, schlug sie versöhnlich vor.

„ Da bin ich dann genauso angebunden wie jetzt auch.“

„ Ich glaube, Lars, du übertreibst.“

„ Eine Klinik, Papa? Cool“, mischte sich jetzt Patrick ein.

„ Das geht alles etwas zu weit“, bremste Sandra.

„ Ihr sollt euch doch nicht in die Gespräche von Erwachsenen mischen“, fuhr Lars seinen Sohn an.

„ Ja, Papa.“ Die Kinder waren verletzt, hatten sie doch nur Anteil nehmen wollen, an dem, was um sie herum geschah.

Er fuhr seine Familie sehr schweigsam heim, und Sandra wusste, dass in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen war.

4

Fröhliches Gelächter und komische Geräusche klangen aus Jessicas Zimmer. Mit einem Lächeln öffnete Sandra die Tür – und bekam ein Kissen ins Gesicht. Patrick schaute betont unschuldig, während Jessica vor Lachen prustete.

Sandra warf das Kissen zurück. So ausgelassen waren ihre Kinder schon lange nicht mehr gewesen. Daheim, in der alten Wohnung, hatten sie viel zuviel Rücksicht auf Lars nehmen müssen, der darauf bestand, in seiner dienstfreien Zeit Ruhe zu haben.

Hier wohnten Sandra und die Kinder jetzt seit einer Woche in dem Haus von Sarah Bittermann, und es hatte in dieser Zeit unendlich viel zu lachen gegeben. Nicht nur, dass sie im Keller einen eigenen Swimmingpool entdeckt hatten, den sie täglich benutzten. Es war auch einfach so, dass Sandra plötzlich viel mehr Zeit für die Kinder hatte, weil es ja nun keine häuslichen Verpflichtungen mehr gab. Putzen, kochen, waschen, bügeln – alles wurde perfekt vom Personal erledigt. Und Sandra hatte sich von Lieselotte, der Köchin, einen liebevoll vorwurfsvollen Blick eingehandelt, als sie in die Küche gegangen war, um etwas zu helfen.

„ Ich bin sehr wohl in der Lage, für alle Personen im Haus zu kochen“, hatte Lieselotte bestimmt festgestellt, und Sandra war ganz schnell wieder verschwunden.

Aber sie fühlte sich nicht ausgelastet. Sie konnte doch nicht den Rest ihres Lebens damit verbringen Einkaufsbummel zu machen und die Kinder zu beaufsichtigen. Sie brauchte eine sinnvolle Tätigkeit, befand sie und nahm sich vor, am Wochenende, wenn Lars kam, mit ihm darüber zu reden.

Jetzt aber machte sie begeistert mit den Kindern eine Kissenschlacht, bis schließlich alle drei schweratmend und von Gelächter geschüttelt auf Jessicas Bett zusammensaßen.

In diesem Augenblick bemerkte Sandra den Mann an der Tür.

Dominic stand da und schaute ihnen breit grinsend zu.

„ Oh, tut mir leid, ich habe Sie nicht bemerkt“, sagte Sandra etwas verlegen, stand auf und glättete ihre Kleidung.

„ Das macht nichts. Ich habe Ihnen gerne zugesehen“, meinte er, und sie fühlte plötzlich, wie eine flammende Röte in ihr Gesicht schoss.

Die Kinder sahen das anders, sie mochten Dominic, weil er sie fast als Erwachsene behandelte, stets für einen Scherz zu haben war und die beiden so mochte, wie sie einfach waren, ohne zu kritisieren.

So liefen sie jetzt auch zu ihm, um ihn stürmisch zu begrüßen.

„ Spielst du Federball mit uns?“, fragte Patrick etwas vorwitzig.

Dominic hatte den Kindern erlaubt ihn zu duzen. Sandra war damit zwar nicht einverstanden gewesen, doch sie war gar nicht gefragt worden.

„ Heute nicht“, erklärte er. „Heute will ich mit eurer Mutter Kaffee trinken und etwas besprechen.“ Er sah die Enttäuschung in den Augen der beiden. „Aber am Samstag, wenn eure Mutter nichts dagegen hat, will ich mit euch zum Tennis gehen.“

„ Ach, da haben wir doch keine Ahnung von“, kam die maulige Bemerkung.

„ Dann werdet ihr es eben lernen“, erklärte er, und zwei leuchtende Augenpaare richteten sich auf Sandra. Sie zögerte. Mit Sicherheit würde Lars das nicht gutheißen. Andererseits nahm er sich nie die Zeit, um mit den Kindern Sport zu treiben oder zu spielen. Warum also eigentlich nicht?

„ Die beiden können sich erst alles ausleihen, bis sie sicher sind, dass es ihnen auch Spaß macht. Erst dann sollten Sie eine Ausrüstung kaufen.“

„ In Ordnung, wenn das so geht“, stimmte sie zu, und beide Kinder umarmten sie heftig.

Sandra und Dominic gingen in eines der beiden Arbeitszimmer, welches Sandra für sich beanspruchte. Sie hatte nach langer Zeit mal wieder angefangen einige Entwürfe zu machen, vielleicht würde sie anfangen zu malen.

Der Kaffee stand hier schon bereit, Herders schien ihre Gedanken zu erahnen, dieser Mann war unbezahlbar. Eine Schale mit Gebäck stand ebenfalls bereit.

„ Ich habe jetzt eine genaue Aufstellung der Vermögenswerte, jetzt können wir die Erbschaftssteuer berechnen und dementsprechend das Geld flüssig machen“, sagte der Anwalt nach der ersten Tasse des wundervoll aromatischen Getränks. Dann zog er einige Papiere aus seiner Aktentasche.

Gleich darauf schwindelte es Sandra wieder, diese Summen waren nicht das, womit sie umzugehen gewohnt war.

Es handelte sich um einen ziemlich hohen Betrag, der als Steuer anfiel, doch als Sandra sah, was im Endeffekt noch übrig blieb, was nunmehr ihr Eigentum war, schluckte sie heftig.

Natürlich war das fast alles fest angelegt in Aktien, Firmenbeteiligungen, Schatzbriefen und ähnlichem. Doch das, was monatlich zur freien Verfügung auf ihre Konten floss, war mehr, als Lars in einem halben Jahr brutto verdiente.

Sandra fragte sich, wie Dominic wohl reagieren würde, wenn sie ihm von dem Vorschlag erzählte, den Lars ihr gemacht hatte. Sie selbst hielt den Wunsch ihres Mannes für eine Illusion, er sollte die Finger davon lassen. Warum nicht lieber eine schöne, gutgehende Praxis? Dann würde vielleicht auch endlich sein Unmut verfliegen.

Sandra vermutete zu Recht, dass Lars sich irgendwie unterlegen fühlte, weil sie jetzt plötzlich reich war. Und nur eine Praxis hätte er dann immer noch ihr zu verdanken, wogegen eine eigene Klinik ihn wieder in die Lage versetzte, eigenständig Vermögen zu schaffen – oder alles zu verlieren. Sandra machte sich da nichts vor. Es wäre mehr als nur ein bisschen riskant. Und so sehr sie sich auch wünschte, ihrem Mann einen großen Wunsch zu erfüllen, so blieb sie doch realistisch.

Dominic spürte, dass die junge Frau, die er insgeheim sehr verehrte, etwas bedrückte. Doch wenn sie nicht darüber reden wollte, dann konnte er ihr auch nicht helfen.

Er blätterte in einem Skizzenblock, der auf dem Schreibtisch lag.

„ Das ist gute Arbeit, ausgezeichnete Proportionen, stilsicher, fällt ins Auge“, lobt er.

Sandra lachte bitter auf. „Nicht gut genug, wie ich sehr wohl weiß. Ich habe mein Studium angebrochen, als die Kinder kamen.“

„ Und was hindert Sie daran, es jetzt wieder aufzunehmen?“

Verblüfft schaute sie ihn an. „Nichts eigentlich“, stellte sie dann fest, und die Gedanken überschlugen sich plötzlich in ihrem Kopf.

„ Na also, tun Sie es! Sandra, Sie können machen, was Sie wollen. Ob Sie nun Golf und Tennis spielen wollen, Kunst und Architektur studieren, oder die Welt umsegeln. Tun Sie es! Ich glaube fast, Sie haben noch gar nicht entdeckt, wie viel Freiheit Sie jetzt haben können.“

„ Sie könnten recht haben“, erwiderte sie nachdenklich. „Aber es ist nicht ganz einfach umzuschalten von einer Frau, die vierundzwanzig Stunden am Tag für die Familie verantwortlich ist und mit dem Geld sorgsam umgeht, zu jemand, die sich viel mehr, fast alles, leisten kann. Ich weiß gar nicht, ob das so richtig ist. Verschwendung war nie mein Fall.“

„ Sie sollen auch nicht verschwenderisch werden, Sandra, nur großzügig gegen sich selbst. Und wenn Sie Ihr Gewissen beruhigen wollen, dann spenden Sie etwas für eine gute Sache. Aber denken Sie auch an sich selbst. Sie verdienen es.“

Ein schmales Lächeln antwortet ihm. „Ich werde darüber nachdenken.“

5

Sandra hatte sich darauf gefreut, dass Lars schon früh an diesem Wochenende nach Hause kam. Sie konnten zu zweit allein sein, da die Kinder ja den Tag mit Dominic auf dem Tennisplatz und zum Essen in der Stadt verbringen würden. Aber schon diese Tatsache schien Lars nicht zu passen, wie Sandra es bereits befürchtet hatte. Dabei kümmerte er sich doch sonst auch nicht um die Kinder.

Er sah abgespannt und müde aus, und er ließ sich im Wohnzimmer in einen Sessel fallen und schloss die Augen. Doch der Duft von frischem Kaffee und Gebäck, das Herders servierte, weckte seine Lebensgeister.

Sandra saß ihm gegenüber und schaute ihn schon eine ganze Weile unverwandt an.

„ Stimmt etwas nicht?“, fragte er.

„ Nein, ich freue mich nur, dass du jetzt da bist. Ist es denn nicht schön, auch mal ohne die Kinder – nur wir zwei?“

„ Ja, schon, aber du hättest mich trotzdem vorher fragen sollen.“

„ Nur, weil du Dominic nicht magst? Ich finde es sehr freundlich von ihm, dass er sich erboten hat, die beiden mitzunehmen. Du hast doch sonst keine Zeit dazu, und außerdem kennst du dich hier in der Gegend noch gar nicht aus.“

„ Fang bitte nicht wieder davon an, dass ich euch vernachlässige.“

„ Ach Unsinn, ich habe eine Tatsache festgestellt. Aber komm, Lars, lass uns nicht streiten, lass uns den Tag einfach genießen.“

Ihre Stimme wurde weich. Sie setzte sich neben ihn und nahm ihn in den Arm, hungrig fanden sich die Lippen der beiden.

„ Du hast mir so gefehlt“, stellte Sandra fest.

Für einige Zeit war das Paar mit sich selbst beschäftigt.

Später dann zeigte Sandra Lars ihre neuen Entwürfe. Er nickte etwas geistesabwesend.

„ Ich möchte mein Studium wieder aufnehmen“, sagte sie dann. Jetzt wurde er aufmerksam.

„ Wie kommst du denn darauf? Du hast doch alles, was du brauchst. Wozu soll das gut sein?“

„ Für mich selbst. Ich fühle mich etwas unnütz.“

„ Ach, Sandra.“ Er zog sie an sich. „Schau, Liebes, du hast die Kinder...“

„ - die doch meist beschäftigt sind.“

„ Und ich brauche dich.“

„ Was? Du bist doch auch meist weg.“

Er schaute ihr tief in die Augen. „Sandra, Schatz, verstehst du denn nicht – ich – ich bitte dich. Denk noch einmal ernsthaft über unser Projekt nach.“

Sie wandte sich verletzt ab. „Dein Projekt, meinst du wohl – dein Luftschloss. Lars, ich muss dir ganz bestimmt nicht erzählen, wie riskant das ist.“

„ Aber es würde sich rentieren, glaube mir doch.“

„ Nein, das glaube ich nicht. Und was wird dann aus uns? Wir stehen dann vor dem Nichts. Warum willst du nicht mit dem zufrieden sein, was wir haben? Bau dir eine eigene Praxis auf, das ist auch eine sinnvolle Aufgabe.“

„ Du willst mich also nicht unterstützen?“, fragte er bitter.

„ Lars, das kann ich nicht. Nicht einmal dann, wenn ich es wollte. Du hast die Bestimmungen meiner Tante gelesen.“

„ Ach, es gibt immer einen Weg. Du musst nur deinen Winkeladvokaten herumkriegen.“

„ Ich finde, dass du dich jetzt stark im Ton vergreifst“, fuhr Sandra auf.

„ Das finde ich auch. Darf ich erfahren, wozu Sie mich herumkriegen sollen, Sandra? Wenn schon von mir die Rede ist, möchte ich doch gern wissen, woran ich beteiligt bin.“ Dominic war gerade erst dazu gekommen, er hatte an die offenstehende Tür geklopft, doch das Paar hatte im Eifer der Diskussion nichts davon mitbekommen. Er war eiskalt höflich, ließ nicht zu, dass der aufkommende Zorn ihn übermannte. Aber es war deutlich zu sehen, dass er die Bemerkung von Lars übelnahm, und auch das Verhalten des Mannes, der seine Frau gegen ihren Willen zu etwas überreden wollte.

Lars hingegen funkelte ihn wütend an. „Machen Sie das immer so? Sich ungebeten ins Haus schleichen und Gesprächen zuzuhören, die vertraulich und privat sind?“

„ Ich hatte geklopft.“

Lars riss sich jetzt zusammen. Wenn er von diesem Mann etwas wollte, durfte er ihn nicht zu sehr verärgern. „Tut mir leid, kann sein, dass es mir entgangen ist“, lenkte er ein.

„ Ich habe die Kinder zurückgebracht. Sie werden Ihnen sicher später erzählen, wie es Ihnen gefallen hat. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass es ihnen viel Spaß machte.“

„ Danke, Dominic. Kommen Sie her, und setzten Sie sich. Sie sehen aus, als könnten Sie einen Kaffee gebrauchen“, sagte Sandra vermittelnd. „Ich habe es Lars schon gesagt, dass ich von seinem Vorschlag nichts halte.“ Sie erzählte in kurzen knappen Worten, und Dominic schüttelte den Kopf, noch während sie sprach.

„ Tut mir leid, auf keinen Fall“, lehnte er ab. „Sehen Sie, auch dann, wenn ich es selbst für eine gute Idee halten würde, was ich nicht tu, wäre es praktisch unmöglich, das ganze Geld flüssig zu machen. Dabei gäbe es dann große finanzielle Verluste, wenn man zum Beispiel größere Mengen Aktien auf den Markt wirft, das drückt den Preis, oder an einem raschen Verkauf interessiert ist und keine gute Gelegenheit abwartet. Nein, es ist unmöglich, auch durch die Anweisungen, die Frau Bittermann hinterlassen hat. Allerdings ist mir nicht ganz klar, warum Sie sich auf diese Idee so versteift haben, Lars. Sehen Sie, es wäre kein Problem, eine Praxis...“

„ Danke, es reicht. Ich habe verstanden. Sie sind genauso blind wie Sandra.“ Lars stürmte hinaus.

Sandra war verlegen. „Tut mir leid, dass Sie Zeuge dieser unerfreulichen Szene wurden“, begann sie eine Entschuldigung, aber Dominik winkte ab.

„ Nicht der Rede wert, in der Kanzlei habe ich schon Schlimmeres erlebt.“

„ Trotzdem, es tut mir leid. Und es ist mir peinlich. Und – ach...“

Er griff nach ihrer Hand und trat nah an sie heran. In diesem Augenblick kamen die Kinder herein, die sich frisch geduscht und umgezogen hatten.

„ He, Mutti, das ist echt cool. Dominic hat uns Unterricht gegeben. Und das hat geklappt“, strahlte Jessica.

Dicht hinter ihr war Patrick. Beide spürten die Spannung, so als wäre Lars immer noch anwesend. Der Junge schaute sich um und warf dann einen Blick die Treppe hinauf. „Oje, dicke Luft“, stellte er dann fest.

„ Na, na“, mahnte Dominic.

„ Ja, schon gut. Mama, ich möchte auch Tennis spielen.“

„ Wir reden noch darüber“, beschied Sandra. „Dominic, ich danke Ihnen vielmals, dass Sie sich um die Kinder gekümmert haben. Aber jetzt möchte ich Sie bitten, uns allein zu lassen.“

Er warf ihr noch einen warmen, verständnisvollen Blick zu, dann winkte er den Kindern zum Abschied und verließ das Haus. Er machte sich so seine Gedanken über Lars und sein Verhältnis zu seiner Frau.

6

Ein schöner alter Baumbestand gehörte zu dem großen Garten, der sich wie ein Park rund um das Haus erstreckte. Und Patrick hatte einen Baum entdeckt, der sich geradezu anbot, um in einer Astgabelung ein Baumhaus zu bauen. Er hatte in der Nachbarschaft einige Jungen kennengelernt, die sich darüber freuten, zum Spielen und Toben herkommen zu dürfen. Zusammen mit ihnen suchte Patrick Holz zusammen und forschte dann im Gartenhaus nach Werkzeug. Herders fiel das Treiben der Kinder auf.

Die vier Jungen bemerkten gar nicht, dass sie beobachtet wurden, während sie sich gegenseitig anfeuerten und kräftig aber ziellos auf das Holz und die Nägel mit einem Hammer einschlugen.

„ Es ist nicht ganz ungefährlich, was ihr da tut. Diese Art von Holz wird für eure Zwecke nicht halten. Und vor allem, wie wollt ihr jemals dieses Haus in den Baum hineinbekommen?“

Erschreckt fuhren die vier auseinander. Patrick wurde rot, hob dann aber den Kopf. Er hatte natürlich nicht um Erlaubnis gebeten. Allerdings sah er eine gute Möglichkeit, eine Strafpredigt zu umgehen.

„ Wenn Sie wissen, wie es besser geht, können Sie uns dann helfen?“ Sein Augenaufschlag war treuherzig, und seine Stimme bittend. Wer konnte oder wollte da eigentlich widerstehen? Dennoch stand der Butler ein wenig ratlos da, sollte er jetzt erst einmal Sandra Bescheid sagen?

Rein zufällig fuhr in diesem Augenblick Dominic mit dem Auto vor, der jeden Vorwand nutzte, um Sandra zu sehen. Er wusste, dass seine Gefühle für sie hoffnungslos waren, und doch suchte er jede Gelegenheit, ein paar Worte mit ihr zu wechseln.

Er kam herüber, als er die etwas ratlose Versammlung bemerkte, schaute einmal kurz in die Runde und sah, um was es ging, dann grinste er. „Probleme?“

„ Ich möchte mit meinen Freunden gern ein Baumhaus. Eines, wo Jessica nicht hinkommt, das ist nur für uns Jungens“ erklärte Patrick etwas großspurig und gleichzeitig bittend.

„ So aber nicht“, stellte der Anwalt sachkundig fest. „Herders, wir brauchen Schalbretter, Paletten für den Boden und so weiter. Geht das denn? Können Sie uns da etwas besorgen?“

Ein Lächeln zeigte sich im Gesicht des Butlers, wenn der Anwalt sich darum kümmerte, würde es schon gutgehen, dann musste er Sandra jetzt nicht informieren. „Ich will sehen, was ich finden kann, Herr Westermeier.“

Es dauerte gar nicht lange, da fand sich fast alles, was gebraucht wurde, und wenn man ein bisschen improvisierte, würde sich direkt im Baum ein akzeptables Haus bauen lassen. Dominic verschob seinen Besuch bei Sandra auf etwas später, zog seine Jacke aus, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und begann mit den vier Jungen nach Herzenslust zu sägen und zu hämmern.

Irgendwann hörte Sandra den Lärm und kam neugierig heraus, um die Ursache festzustellen. Voller Verwunderung schaute sie dann auf Dominic, der sie im Eifer gar nicht bemerkte.

Sie trat näher, schaute noch eine Weile zu und lachte dann auf. „Wo ist denn die Baugenehmigung, meine Herren? Oder wolltet ihr mich vor vollendete Tatsachen stellen?“

Erschreckt fuhr der Anwalt auf und schlug sich mit dem Hammer auf die Finger. Die Jungen wichen zurück, und Patrick wurde knallrot, während Sandra einen erschreckten Schrei ausstieß.

„ Oh, tut mir leid, ich wollte Sie nicht so erschrecken!“ Dominic schlenkerte seine Hand und lief dann rasch zur Gartenpumpe, um kaltes Wasser über die Hand laufen zu lassen.

„ Zeigen Sie mal her, da müssen wir gleich etwas drauf tun. Ich wollte das wirklich nicht, verzeihen Sie bitte.“

Sandra war betroffen. Jetzt hatte sich der freundliche und immer hilfsbereite Anwalt auch noch verletzt.

„ Halb so schlimm“, erklärte er mit einem halben Lächeln.

Sandra beugte sich über die Hand und begutachtete die Verletzung. Es war wirklich nicht ganz so schlimm, wie sie zunächst gedacht hatte, doch ein paar Tage würden die Finger wohl schmerzen. Die getroffene Stelle zeigte eine heftige Prellung war rot und schwoll trotz der Kühlung etwas an.

Dominic stand ganz still und genoss die Nähe und die Berührung der Frau. Ihr Haar leuchtete in der Sonne, ein zarter, weiblicher Duft ging von ihr aus, und er fühlte sich verwirrt und gleichzeitig glücklich.

„ Du meine Güte, welch eine Liebe unter den Menschen. Darf ich mich der allgemeinen Verbrüderung anschließen, oder ist das nur für Mitglieder?“

Lars Hökers war überraschend nach Hause gekommen.

7

Dominic hatte sich rasch, aber doch widerstrebend verabschiedet. Die Anspielung, die in den Worten von Lars lag, hatte ihn verletzt, und es tat ihm weh, wie Sandra behandelt wurde. Doch sie wischte jedes Wort von ihm weg und bat ihn zu gehen. Er hatte nun mal kein Recht sich einzumischen oder überhaupt etwas dazu zu sagen.

Sandra hielt sich auch in Gegenwart der Kinder noch zurück, aber sie hatte endgültig genug von den versteckten Anschuldigungen und der miesen Laune ihres Mannes.

Als sie schließlich wieder ins Haus ging, saß er in seinem Arbeitszimmer und hatte ein Glas mit Weinbrand vor sich stehen.

„ Hast du dir freigenommen, dass du so überraschend heimkommst?“, fragte sie ruhig.

Er blickte kaum auf. „Ich habe freigenommen, ja, wenn du es so nennen willst, nur um festzustellen, dass meine Frau sich von einem anderen den Hof machen lässt.“

Darauf ging Sandra gar nicht ein. Nach einer Weile sprach Lars weiter. „Ich habe den ganzen Kram hingeworfen.“

„ Und deine Patienten?“, fragte Sandra bestürzt.

„ Es werden sich schon noch genug Leute finden. Bisher war ich es schließlich immer, der eingesprungen ist, dann kann das jetzt auch jemand anders tun.“

„ Ich glaube, ich kenne dich nicht wieder“, stellte sie ein wenig ratlos fest.

„ Du hast dich auch sehr verändert“, kam es ironisch. „Immerhin suchst du auch die Veränderungen – ich denke da an dein Studium.“

„ Das ist etwas ganz anderes. Und Dominic meint auch...“

„ Besprichst du jetzt schon Familienangelegenheiten mit diesem Fatzke?“, brauste er auf. „Ich hätte dich für klüger gehalten, Sandra. Denk doch mal nach, dieser Mann ist Anwalt. Seine Arbeit besteht darin, dich von allem fernzuhalten, damit er selbst möglichst viel zu tun hat und so sein Honorar in die Höhe schrauben kann. Während du dann mit dem Studium beschäftigt bist, hast du keine Zeit für deine eigenen Angelegenheiten, ich spreche da speziell von der Vermögensverwaltung.“

„ Du verrennst dich da in etwas, Lars. Dominic bekommt eine Pauschale, egal, wie viel er für uns arbeitet, es bleibt gleich. Und ich möchte wirklich etwas Sinnvolles tun. Das willst du doch schließlich auch.“

„ Ja, und du weißt genau, was ich möchte. Hör mal, ich habe mit einigen Leuten gesprochen – Leuten, die Ahnung haben. Und die sind meiner Meinung. Eine Klinik ist...“

„ Unmöglich!“, beharrte Sandra.

„ Müsst ihr denn schon wieder streiten?“, fragte Jessica traurig von der Tür her. „Papa, ich wollte dich eigentlich fragen...“

„ Ich habe keine Zeit, frag deine Mutter – oder am besten gleich den Anwalt“, wehrte Lars seine Tochter barsch ab. Sandra schüttelte den Kopf. „Du hast dich wirklich sehr verändert, Lars. Und nicht unbedingt zum Guten. Das ist schade. Komm, Jessica, erzähl mir, was du möchtest.“

Sie ging mit dem Mädchen hinaus. Der Mann starrte wütend auf die sich schließende Tür. Was fiel seiner Frau ein, ihn so auflaufen zu lassen? Das lag bestimmt an diesem Anwalt, der sich benahm, als handelte es sich hier um sein persönliches Vermächtnis. Aber er, Lars, würde es ihm schon noch zeigen.

Es gab mit Sicherheit noch Mittel und Wege, dieses blödsinnige Testament zu umgehen.

8

Einmal die Woche, so hatte Sandra es erlaubt, würden die Kinder in Zukunft Tennis spielen. Sport war wichtig, aber bald würde die Schule wieder beginnen, und das Lernen ging vor.

Lars machte keine ernsthaften Anstrengungen, sich eine neue Stelle zu suchen. Er blieb einfach zuhause, was aber nicht hieß, dass er sich jetzt stärker um seine Frau oder seine Kinder kümmerte. Aber er kam in schöner Regelmäßigkeit auf sein Projekt zurück, und ebenso regelmäßig lehnte Sandra jede weitere Diskussion dazu ab. Lars wurde unzufrieden und begann öfter wegzugehen, ohne zu hinterlassen, wohin er ging.

An einem Freitagabend wurde er von einem Taxi spät abends nach Hause gebracht, volltrunken. Sandra war empört und übernachtete im Gästezimmer.

Für den nächsten Tag hatte sich Dominic angesagt, einfach so, zum Kaffeetrinken, wie er sagte, und Sandra freute sich darauf. Längst vertraute sie ihm voll und ganz, und sie freute sich auf seine regelmäßigen Besuche. Er war so wohltuend anders als ihr Mann.

Gegen Mittag stand Lars auf, mit einem enormen Kater, den er wider alle Vernunft und besseres Wissen mit schwarzem Kaffee und Aspirin bekämpfte.

Als er dann Dominic vorfahren sah, machte er einige bittere Bemerkungen, und Sandra wurde blass. Das würde an diesem Tag nicht gutgehen, dessen war sie sicher. Also rief sie nach den Kindern und ging hinaus.

„ Hallo, Dominic, es ist ein so schöner Tag. Möchten Sie nicht mit uns hinausfahren?“, fragte sie betont fröhlich.

Der Anwalt spürte, dass da mehr war, als Sandra ihm sagen würde, und er schaltete schnell. Lächelnd öffnete er die Wagentüren.

„ Kommen Sie, ich habe genau die richtige Idee.“

Jessica und Patrick strahlten ihn an, dann ging es los.

Vom Wohnzimmerfenster aus schaute Lars ihnen zu. Seine Kinder brachten diesem Mann mehr Vertrauen und Freundlichkeit entgegen als ihrem Vater. Hatte er etwas falsch gemacht? Oder gefiel ihm das am Ende gar?

9

„ He, guck mal, Jessi, Ameisen“, lachte Patrick, aber seine Schwester stieß ihn unsanft an.

„ Du sollst mich nicht Jessi nennen. Ich sage doch auch nicht Tricky zu dir.“

Der Junge prustete los.

Das gleichmäßige Brummen des viersitzigen Flugzeugs machte einen vertrauenerweckenden Eindruck. Dominic besaß eine Pilotenlizenz und eine Menge Freunde, die eigene Flugzeuge hatten, von denen er sich jetzt eines ausgeliehen hatte. Er war mit Sandra und den Kindern kurzerhand zu dem kleinen Privatflughafen hinausgefahren und hatte sie dann in die Maschine einsteigen lassen. Die Kinder fanden das einfach wunderbar. Aus dieser Höhe konnte man mühelos noch Einzelheiten erkennen, und die Menschen am Boden wirkten tatsächlich wie Ameisen.

Als sie nach einem ausgedehnten Rundflug wieder landeten, bestürmten die Kinder Dominic, das noch öfter mit ihnen zu tun. Eifrig redend gingen sie in den relativ kleinen Hangar, wo es eine winzige Kantine gab. Eine ältere Frau mit offenem freundlichem Lächeln stand dort und kochte gerade frischen Kaffee.

Dominic stellte Sandra und die Kinder vor.

„ Ach, wie schade. Ich dachte, du hättest dir endlich eine Freundin angeschafft“, sagte die Frau neckend. Dann reichte sie Sandra die Hand. „Ich bin Lina, die gute Seele des Landeplatzes, wie sie anderen mich nennen. Wie wäre es mit Kaffee und Traubensaft für die Kinder?“

Da sagte keiner nein.

„ Mutti, willst du nicht auch den Pilotenschein machen? Dann könnten wir alle Tage fliegen“, bestürmte Patrick seine Mutter, und Jessica nickte einmütig. Endlich hatte der Kleine mal eine gute Idee.

„ Du bist ja nicht gescheit. Kannst du dir vorstellen, was das kostet...“ Sandra brach ab, stutzte und lachte dann auf. „Nun ja, ich denke, das kann ich mir schon leisten“, setzte sie dann verlegen hinzu.

Dominic grinste sie spitzbübisch an.

„ Mutti, ich glaube, wir müssen dir mal ein Schild machen: Ich muss nicht sparen!“, scherzte Jessica.

„ Nun aber mal langsam, mein Schatz. Man behält seinen Reichtum nur, wenn man auch gescheit damit umgeht.“

„ Nicht so, wie Papa es jetzt will, nein?“, fragte das Mädchen traurig.

Sandra war betroffen. Hatte sich die ewige Streiterei schon so auf die Kinder ausgewirkt? „Papa hat einen Traum, der vielleicht gar nicht einmal so dumm ist. Aber wir sind nur Privatleute, und so ist das Risiko einfach zu groß, dass es schiefgeht und alles Geld wieder weg ist. Wir haben von solchen Geschäften nun mal nicht genug Ahnung. Und so schön es auch wäre, aber eine ganze Klinik ist nicht etwas, was man einfach so hinstellt, dass es von allein läuft.“

„ Und warum sieht Papa das nicht ein?“, erkundigte sich Patrick mit der Unbefangenheit eines Kindes.

„ Vielleicht, weil er die Probleme, die dabei auftauchen, nicht sehen will. Wenn du dir etwas ganz toll wünscht, denkst du auch nicht weiter darüber nach – du willst es einfach.“

Der Junge nickte, diese Erklärung war einleuchtend. „Und nun sollten wir das Thema wechseln, Herrschaften.“ Sandras warnender Blick auf die Kinder blieb nicht ohne Wirkung.

„ Warum hast du eigentlich keine Frau?“, wollte Jessica jetzt ernsthaft von Dominic wissen.

„ Jessica!“ Sandra war empört über diese indiskrete Frage, und auch Dominic stutzte für einen Moment. Dann aber lachte er auf.

„ Eine kluge Frage, Fräulein Naseweis. Ich nehme mal an, die richtige ist mir einfach noch nicht über den Weg gelaufen.“

„ Und wie muss die dann sein?“, schlug Patrick in die gleiche Kerbe. Konnten die Kinder denn nicht einmal soviel Takt aufbringen, ein unverfängliches Thema zu suchen? „So wie Mama zum Beispiel?“

Sandra wurde knallrot, und Dominic räusperte sich, aber dann nickte er.

„ Ja, das ist gar keine schlechte Idee. Eure Mutter ist eine fabelhafte Frau. Wenn sie eine Zwillingsschwester hat, dann würde ich sie gerne kennenlernen.“

„ Da muss ich Sie enttäuschen.“ Sandra war jetzt wild entschlossen, diesem Thema die Spitze zu nehmen. Längst schon hatte sie gespürt, dass Dominic für sie mehr als nur Sympathie empfand. Und seit Lars immer unausstehlicher wurde, fühlte auch sie sich immer mehr zu diesem ruhigen, besonnenen Mann hingezogen Eine total verrückte Situation. Und doch hatte sich die junge Frau in mancher schlaflosen Nacht schon gefragt, wie lange sie ihre Ehe noch aufrecht erhalten konnte, sollte – wollte. Sie und Lars lebten nebeneinander her, ihre Wege gingen immer mehr auseinander, und es war abzusehen, dass in einiger, nicht mehr ferner Zeit, ein richtiges Zerwürfnis kommen musste. Sie war es auch leid, immer wieder nachzugeben, wenn Lars seine Launen hatte. Das konnte so nicht weitergehen.

Aber das musste ja nun auch nicht gleich heißen, dass sie sich Dominic an den Hals warf. Es war besser, diese wundervolle Freundschaft zu pflegen, als mehr daraus werden zu lassen.