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Mary Crestwick Blythemore ist die ungekrönte Königin der englischen Populärliteratur. Besonders in Italien sind die Schmachtfetzen der öffentlichkeitsscheuen Lady aus den Lake District im Nordwesten Englands absolute Bestseller. Diese Erfolgsgeschichte hat nur einen Schönheitsfehler: Mary Crestwick Blythemore ist ein Mann!
Der unter eigenem Namen chronisch erfolglose Dauernörgler Georg Hasenschön aus dem nur teilweise idyllischen Bad Saarow im ganz und gar unenglischen Brandenburg feiert mit seinem Ausflug in die Populärliteratur unter Pseudonym ungeahnte Erfolge. Buch um Buch wird seinen Verlegern besonders von italienischen Leserinnen buchstäblich aus den Händen gerissen.
Nur bekommt er von diesem Erfolg kaum etwas mit: Außer den regelmäßigen Tantiemenschecks seiner Verleger erreicht ihn nichts, was sein empfindsames Schriftstellerego streicheln könnte. Denn alle Fanbriefe an Misses Mary landen in einem namenlosen Postfach seines Verlages in Windermere im Lake District in England.
Zu den begeisterten Anhängerinnen von Mary Crestwick Blythemore zählen auch die Buchhändlerin Angela und ihre Freundinnen Daphne, Rosanna und Irene aus der toskanischen Kleinstadt Poggibonsi. Auf verschlungenen Wegen erreicht Georg an einem regnerischen Spätwintertag in Brandenburg eine Einladung an Mary Crestwick Blythemore zu einer Lesung in Angelas Buchhandlung in der um diese Jahreszeit schon fast sommerlichen Toskana. Kurzentschlossen, ohne jeden Plan und ohne über die Konsequenzen nachzudenken sagt Georg an Marys Stelle zu und macht sich auf den Weg nach Italien.
Erstveröffentlichung: 19. August 2019
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Bastian Richter
Heimkehr nach Poggibonsi
Roman
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Sämtliche Figuren dieses Buches sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Heimkehr nach Poggibonsi Das Video zum Buch
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Mein Name ist Georg Hasenschön und ich bin die erfolgreichste englische Schriftstellerin Italiens.
Schriftstellerin, ja, Sie haben richtig gelesen. Und englisch. Hier im idyllischen Bad Saarow-Pieskow am Scharmützelsee am erweiterten Speckrand von Berlin, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Immerhin, Füchse: Eine Verbindung zu England besteht.
Es muss vor etwa 5 Jahren gewesen sein, als ich in einer stark verspäteten Mid-Life-Crisis einfach keinen einzigen Satz mehr aufs Papier zu bannen vermochte. Nicht, dass meine Bücher zuvor Bestseller gewesen wären. Aber fertig waren sie zumindest geworden und hatten ihren verschlungenen Weg in die Regale ausgewählter Buchhandlungen gefunden.
Doch vor 5 Jahren war alles plötzlich anders: Weiß und leer grinste mich das Blatt Papier in meiner Schreibmaschine an. Damals benutzte ich noch aus purer Nostalgie meine alte Kofferschreibmaschine von anno dazumal. Mittlerweile würde ich auf dem alten Vehikel den ständig wachsenden Buchwünschen meines Verlegers nicht mehr nachkommen können. Denn der riet mir seinerzeit: “Schreib doch mal was Leichtes! Weniger kopfig. Das verkauft sich auch besser!”
Und so setzte ich mich an meine Schreibmaschine und tippte drauflos, was mir an scheinbar Belanglosem und Oberflächlichem in den Sinn kam. Erst siedelte ich meine Liebesgeschichte in der Uckermark an. Doch das wurde mir schnell zu öd. In der ungarischen Puszta wurde das Geschehen auch nicht feuriger. Doch jenseits des Ärmelkanals, im schönen Lake District Englands, bekamen meine Figuren endlich ein Eigenleben. Und drei Tage und Nächte später war das Buch fertig.
“Das ist gut. Das ist echt gut.” Ich wippte auf meinem Stuhl im Verlagsbüro wie ein nervöser Pennäler, während mein Agent Lutz Seite für Seite meines Manuskripts verschlang. “Meinst du wirklich, Lutz?” “Ja, das ist unglaublich, Schorsch! Das werden sie dir aus den Händen reißen!”, murmelte er, während er durch seine monokelartige Lesebrille zu mir rüber blinzelte und gleich darauf weiterlas.
Er blätterte und murmelte weiter: “Da gibt es nur ein Problem…” “Ja?” “Du bist ein Mann!” Ich stutzte: “Ich habe das bisher noch nie als Problem begriffen?” Lutz, mein Agent, nahm seine Lesebrille von der Nase, fuchtelte mit ihr durch die Luft, dass ich Angst bekam, das Gestell könne zerbrechen, und schaute dann nach oben: “Du hast einen erstklassigen Frauenroman geschrieben. Mit großen Gefühlen. Tragischen Wendungen. Und einem für meinen Geschmack deutlich zu kitschigen Happy End.”
“Und das kitschige Ende ist ein Problem?”, fragte ich verunsichert. “Nein! Das ist toll so. Solche Bücher verkaufen wir wie geschnitten Brot. Und aus jedem Zweiten machen wir einen Fernsehfilm fürs ZDF. Ich muss es ja nicht mögen.”
“Ja, was ist dann bitte das Problem?”, fragte ich mittlerweile ein wenig verärgert. Lutz legte Brille und Manuskript weg und schaut mir in die Augen: “Du bist ein Mann. Solche Bücher werden fast nur von Frauen gelesen. Und ganz wichtig: Nur von von Frauen geschrieben.”
Zurück zu Haus tippte ich mürrisch auf meiner Schreibmaschine herum. Aus einem erstklassigen Frauenroman eine passable Ferienschnulze für die ganze Familie zu zimmern, erwies sich als Ding der Unmöglichkeit.
Ich machte aus der Männer verschlingenden besten Freundin der Hauptdarstellerin einen genauso wenig monogamen Mann. Doch auch mit dem damit erschaffenen besten schwulen Freund blieb die Geschichte immer noch ein Frauenroman erster Güte.
Genervt warf ich das Manuskript in die Ecke, schnappte mir meine Regenjacke, lief durch den Nieselregen die alte Laubenkolonie hinunter zum Scharmützelsee und hockte mich ans Ufer. Ich versuchte mich darin, kleine Kieselsteine über das Wasser springen zu lassen. Aber allem Anschein nach war ich darin noch viel schlechter als beim Versuch, einen Frauenroman massentauglich zu machen: Sie versanken allesamt beim allerersten Wasserkontakt. Wie ein Stein halt.
Ich warf die restlichen Kieselsteine entnervt in den See und ließ mich erschöpft auf eine nasse Bank an der Seepromenade fallen, steckte mir eine Zigarette an, lehnte mich nach hinten, schloss die Augen und nahm einen tiefen Zug.
Da stand sie plötzlich vor mir! Also nicht in echt, sondern vor meinem geistigen Auge: Mary Crestwick Blythemore, die ungekrönte Königin der englischen Populärliteratur. Im tantigen Tweedzweiteiler mit Ascot-tauglichem Damenhut, geblümtem Schal und beigen Pumps.
Ungekrönt vor allem deswegen, weil sie ihre Romane bislang immer in der Einsamkeit ihres Gartenhauses verfasst hatte und sich nicht getraut hatte, sie zu veröffentlichen. Bis jetzt. Diese Mary würde meinen Roman veröffentlichen. Unter ihrem Namen.
Mein Agent Lutz schaute irritiert auf, als ich ihn nach so kurzer Zeit schon wieder in seinem Büro besuchte. Normalerweise vergingen zwischen meinen Besuchen bei ihm Monate, manchmal Jahre. Und unsere Kommunikation beschränkte sich dazwischen auf ein paar flüchtige Handynachrichten.
Grinsend warf ich ihm mein Manuskript auf den Tisch. Er strich über das Cover, nahm seine Lesebrille und las laut: “Mary Crestwick Blythemore.” Er schaut fragend auf: “Wer ist das?” Ich hob die Hände und zeigte mit den Zeigefingern auf mich: “Das bin ich.” Lutz schien immer noch nicht zu begreifen.
“Ich bin es, Lutz, ich bin Mary! Du hast gesagt, ich hätte den perfekten Frauenroman geschrieben. Und jetzt liefere ich dir auch die Frau, die ihn geschrieben hat: Mary Crestwick Blythemore!” Lutz fing vorsichtig an zu grinsen: “Du?” “Ja, ich. Vielleicht wäre ich hier ja besser als eine Art Mary und Gordy aufgerauscht, damit du mir es glaubst!” Lutz schüttelte den Kopf: “Mary und Gordy? Du hast schon sehr lange nicht mehr ferngesehen, oder?” Lutz drehte sich zu seinem Aktenschrank und murmelte: “RuPaul vielleicht. Oder diese Bohnenstange aus Hamburg. Aber vielleicht mit etwas weniger Rouge und Glitter.”
Ich musste grinsen: “So weit müssen wir jetzt vielleicht nicht gehen. Aber sag, wie findest du die Idee? Könnte das so was werden?” Lutz blies die dicke Staubschicht von seiner altertümlichen Rolodex-Adresskartei: “Ich habe da mal vor Ewigkeiten diese Lektorin getroffen. Absolut nicht mein Genre. Und ich dachte auch, dass ich die nie wiedersehen würde. Aber das hier… diese Mary Crestnick…”
“Crestwick. Crestwick Blythemore!”, korrigierte ich. Mein neuer Name fing schon an, mir geläufig zu werden. Lutz nickte: “Ja, die. Wenn ich die Adresse hier irgendwo noch finde…” Er blätterte weiter. “Die wird anbeißen. Definitiv! Und dann wird jede Frau ab 50 vom Nordkap bis Sizilien Mary Crestnick kennen.” “Crestwick! Mit w. Und wir könnten damit anfangen, dass du ihren Namen kennst.”, antwortete ich leicht verärgert.
“Oh là là, Madame sind äußerst empfindlich!”, sagte Lutz mit süffisantem Grinsen und blickte zurück auf seine Visitenkartensammlung: “Nein, wirklich, das wird was! Ich habe das im Blut. Gib mir ein paar Tage und dann… hast du immer noch dieses alte Nokia…?” Im Aufstehen nickte ich: “Ja, nur Textnachrichten, keine Katzenvideos.” Lutz deutete mit dem Arm zur Tür: “Ich melde mich.” Ich nahm meine Jacke und öffnete die Tür: “Bis bald.” Lutz stand auf und verbeugte sich: “Küss die Hand!” Im Gehen zischte ich zurück: “Untersteh dich!”
Danach ging alles ganz schnell. Mein Buch - also Marys Buch - erschien. Mit einem Coverfoto wie aus einem England-Reiseprospekt und goldenen Buchstaben darüber. In weiten Teilen Europas blieb der Erfolg zunächst überschaubar. Aber die Italienerinnen waren sofort ganz von Mary angetan.
Angestachelt vom großen Erfolg schrieb ich noch ein Buch, noch eines und noch weitere. 23 bislang insgesamt. Jedes aufs Neue eroberte die Herzen der italienischen Leserschaft. Und die italienische Zeitschrift “Donna” brachte in ihrer vorletzten Ausgabe sogar eine ausgedehnte Fotostrecke über meine englische Heimat.
Anfragen für Interviews und Talkshows gab es natürlich immer wieder. Aber Mary war auf ihre Privatsphäre bedacht und lehnte jeden Kontakt mit einem Formbrief des Verlages rundherum ab. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Der Mythos Mary Crestwick Blythemore wurde umso größer, je weniger sie von sich Preis gab.
Das Fernsehen verfilmte Marys Erstlingswerk und sendete mit großem Erfolg eine Doku über meine Heimat England dazu. Ich saß mit einer Flasche Berliner Pilsner in meiner linken und einem Stück Tiefkühlpizza in meiner rechten Hand auf dem Sofa, glotzte irritiert in den Fernseher und konnte nicht glauben, was ich da sah!
Während sich meine Bücher in Italien in Bestseller verwandelt hatten, ging mein Leben in der beschaulichen Brandenburger Provinz seinen gewohnten Gang weiter. Außer den immer stattlicher werdenden Schecks meines Verlages erreichte mich nicht viel von meinem plötzlichen Ruhm. Alle Fanbriefe gingen an ein namenloses Postfach im englischen Lake District und wurden dort vom geschäftigen Team meines Verlages an Ort und Stelle bearbeitet, ohne mich je zu erreichen. Mary Crestwick Blythemore wurde vom Verlag als öffentlichkeitsscheu und zurückgezogen lebend charakterisiert. Fotoserien und öffentliche Auftritte gab es dadurch auch nicht.
An meinem heimatlichen Scharmützelsee schickte der nicht enden wollende Winter immer noch Regenschauer und Nachtfröste über das Land. Und der Wind wirbelte das noch immer nicht zusammengerechte Herbstlaub in meinem Garten Tag für Tag aufs Neue kräftig durcheinander.
Wissen Sie: Bad Saarow ist genauso weit weg von Berlin, dass es nicht mehr zum prosperierenden Speckgürtel der Stadt gehört. Es ist eher eine Art Ausflugsziel für die Städter fürs Wochenende. Doch die meisten von denen fliegen dafür jetzt auch lieber nach Mailand oder Mallorca.
Ich wohnte in Bad Saarow schon, als es das Wellness-Thermalbad für betuchte Großstädter hier noch nicht gab. Für den Kurortstatus ausreichen musste damals noch das Baden im meist eiskalten Scharmützelsee und das irrlichternde Herumwandern im Kurpark mit seinen zahllosen weiß getünchten Bänken und den hochsubventionierten Standbildern und Statuen auf allerhöchstem Provinzniveau. Mein Vater hatte mir sein Wochenendhaus vererbt, ein kleiner beiger Betonbunker mit Flachdach und - ganz wichtig - Schuppen für seine und jetzt meine Anglerutensilien. Dazu ein kleines Ruderboot, das weiter vorne in der Stadt am See festgemacht war.
Von einer Mid-Life-Crisis gemartert - ja, so etwas kommt bei mir häufiger vor - beschloss ich damals, mein Stadtleben am immer unbezahlbarer werdenden Prenzlauer Berg Berlins hinter mir zu lassen, und zog mit Sack, Pack und Reiseschreibmaschine aufs Land, nach Bad Saarow. J.w.d., janz weit draußen, wie der Berliner sagt. Eigentlich sogar noch ein bisschen weiter.
Der Zeitpunkt war mäßig günstig gewählt: Den Status als Treffpunkt und Erholungsort der Berliner Kultur- und Filmszene hatte Bad Saarow schon 60 Jahre zuvor Ende der 1930er Jahre verloren. Und zum Zeitpunkt meines Umzuges waren die meisten meiner Nachbarn vertieft in schwere Nachwende-Depressionen und somit ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Meine Berliner Freunde hatten die Nachricht von meinem Umzug nach Brandenburg so verstanden, als würde ich den Planeten wechseln, und sahen von Besuchen oder Kontaktversuchen ab.
Dafür fand ich hier, frei von den Ablenkungen der Großstadt, endlich die Muße, meine literarischen Hirngespinste auf Papier zu bringen. Und nach relativ kurzer Zeit von mehreren Jahren wurde ich von den Nachbarn auch nicht mehr als Fremdkörper angesehen und sogar ab und zu gegrüßt.
Über die Jahre hatte ich mir eine kleine Joggingstrecke als Morgenroutine ausgesucht, auf der ich jeden Tag und bei jedem Wetter zwischen der ersten Stunde Arbeit und dem späten Frühstück meine Runde drehte. Auch heute, kurz vor Ostern, war ich wieder durch den eiskalten Nieselregen gelaufen und sehnte mich auf den letzten Metern mehr und mehr nach einer heißen Dusche und einer großen Tasse Kaffee. Als ich die Haustür öffnete, schob ich mit der Tür einen kleinen Berg Post beiseite. Die üblichen Werbeblätter, etwas Behördenpost und Post von meinem Verlag. Nichts Besonderes also.
Als ich den Brief des Verlages in die Hand nahm, fiel mir auf, dass auf dessen Rückseite ein weiterer Brief klebte. Ein Portoaufkleber hatte sich leicht abgelöst und ihn so an den Verlagsbrief angeheftet. Ich löste den Brief vorsichtig ab, drehte ihn in alle Richtungen und staunte: Dieser Brief wirkte unter all der computergedruckten Post wie aus der Zeit gefallen: Der dick gefütterte Umschlag, die sorgfältig von Hand geschriebene Adresse des Postfachdienstes meines Verlages in England darauf - so etwas hatte ich schon lange nicht mehr gesehen!
Und darüber, mehrfach hastig überklebt, die verschiedenen computergedruckten Weiterleitungsaufkleber meiner Verlage. Der Brief hatte eine wahre Odyssee hinter sich auf dem Weg aus Italien, wie an der säuberlich und gerade aufgeklebten Briefmarke und den darübergepappten QR-Code-Briefmarken und Adressaufklebern zu erkennen war. Meine Adresse war jedoch nicht dabei. Dieser Brief an Mary Crestwick Blythemore hätte mich demnach eigentlich nicht erreichen sollen.