Helden auf der Couch - Claudia Hochbrunn - E-Book

Helden auf der Couch E-Book

Claudia Hochbrunn

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein amüsanter Streifzug durch die Literaturgeschichte, der zeigt: Romanfiguren sind auch nur Menschen, und jeder gute Held hat eine Macke. Claudia Hochbrunn, Fachärztin für Psychiatrie, und Literaturwissenschaftlerin Andrea Bottlinger fragen: Hätte eine Erziehungsberatung Ödipus' Eltern vor dem Schlimmsten bewahren können? Wäre Romeo und Julias Geschichte anders verlaufen, wenn sie keine pubertierenden Teenager gewesen wären? Und kompensiert in «Fifty Shades of Grey» Christian nicht seine fehlende Männlichkeit mit erotischen Fantasien? Was wäre eigentlich gewesen, wenn unsere Helden rechtzeitig einen Psychiater aufgesucht hätten? Ihr Fazit: Dann gäbe es kaum gute Geschichten! Ein überraschender Blick auf die Literatur durch die Brille der Psychologie.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 256

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Claudia Hochbrunn • Andrea Bottlinger

Helden auf der Couch

Von Werther bis Harry Potter – ein psychiatrischer Streifzug durch die Literaturgeschichte

Über dieses Buch

Ein amüsanter Streifzug durch die Literaturgeschichte, der zeigt: Romanfiguren sind auch nur Menschen, und jeder gute Held hat eine Macke. Claudia Hochbrunn, Fachärztin für Psychiatrie, und Literaturwissenschaftlerin Andrea Bottlinger fragen: Hätte eine Erziehungsberatung Ödipus' Eltern vor dem Schlimmsten bewahren können? Wäre Romeo und Julias Geschichte anders verlaufen, wenn sie keine pubertierenden Teenager gewesen wären? Und kompensiert in «Fifty Shades of Grey» Christian nicht seine fehlende Männlichkeit mit erotischen Phantasien? Was wäre eigentlich gewesen, wenn unsere Helden rechtzeitig einen Psychiater aufgesucht hätten? Ihr Fazit: Dann gäbe es kaum gute Geschichten! Ein überraschender Blick auf die Literatur durch die Brille der Psychologie.

Vita

Claudia Hochbrunn ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie arbeitete viele Jahre lang in verschiedenen psychiatrischen Kliniken, beim Sozialpsychiatrischen Dienst sowie im forensischen Maßregelvollzug mit Schwerverbrechern. Zum Schutz ihrer Patienten verfasst sie ihre Bücher unter Pseudonym.

 

Andrea Bottlinger studierte Buchwissenschaft und Komparatistik und arbeitet als Lektorin und Übersetzerin. Sie hat mehrere Romane veröffentlicht.

Vorwort

Menschliche Gesellschaften definieren sich über ihre Werte – das war schon immer so, seit die Menschen in der Steinzeit anfingen, sich selbst als Individuum mit eigenem Brauchtum und eigener Kultur wahrzunehmen. Und schon immer war der Wunsch des Menschen vorhanden, seine Empfindungen und seine Gefühle, aber auch seine Werte und Träume, Pläne und Vorstellungen weiterzugeben. Angefangen bei den Höhlenmalereien der Steinzeit bis hin zum heutigen digitalen Zeitalter mit all seinen sozialen Netzwerken, in dem wir so viele Ausdrucksmöglichkeiten haben wie niemals zuvor in unserer Geschichte.

Die Literatur der verschiedenen Epochen ist ein wahres Schatzkästchen, um mehr über uns selbst zu erfahren, denn sie ist ein Spiegel der jeweiligen Werte der Menschen. Ganz gleich, ob der Autor es beabsichtigt hat oder nicht, schleichen sich immer die Wertvorstellungen und Vorurteile einer Kultur in zeitgenössische Werke. Und sie zeigen uns auch ziemlich deutlich ihre Macken auf. Gute Literatur zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Handlungsträger – einstmals Helden genannt, heute spricht man eher von Protagonisten – so fein gezeichnet sind, dass sie uns wie echte Menschen erscheinen. Echte Menschen, die man auch auf die Couch legen kann, um sie zu analysieren und sich näher mit ihren Macken zu befassen. Und dabei kann man sich gut der Frage annähern, welche Macken universell menschlich und welche ihrer Zeit geschuldet sind. Interessanterweise kann man aber auch Fortschritte und Rückschritte in der Menschheitsgeschichte anhand ihrer jeweiligen Erzählkultur erkennen. Und was wäre gewesen, wenn tragisch-gescheiterte Helden der Vergangenheit rechtzeitig einen Psychiater aufgesucht hätten? Hätte man die Eltern von Ödipus mit einer Erziehungsberatung vor dem Schlimmsten bewahren können? Wie sehr ist Romeo und Julias Schicksal eigentlich der Tatsache geschuldet, dass sie beide Teenager waren? Und hätte ein zwangloser Umgang mit Sexualität Goethes Werther vom Selbstmord abgehalten?

In diesem Buch nehmen sich eine Literaturwissenschaftlerin und eine Psychiaterin gemeinsam einer Auswahl von berühmten fiktiven Figuren der Literatur an, um sie auf humorvolle Weise zu analysieren, auf die Couch zu legen und das Spielchen – was wäre, wenn sie rechtzeitig zum Psychiater gegangen wären – durchzuexerzieren. Hätte es überhaupt etwas geändert? Lag es in den Charakteren selbst oder doch eher in ihrer Umwelt?

Wenn Sie ein Literaturfreund sind und zugleich Spaß an der Psychologie haben, folgen Sie uns auf eine amüsante Reise durch die Weltgeschichte der Literatur, und schauen Sie uns bei dem Frevel zu, den Geisteszustand berühmter Romanfiguren zu überprüfen …

Einführung – Haben sich die Menschen wirklich jemals verändert?

Oft stellen wir uns die Menschen aus anderen Zeiten als fremdartige Wesen vor, deren Taten und Beweggründe wir kaum nachvollziehen können. Sie schienen entweder damit beschäftigt gewesen zu sein, Kriege zu führen, Monumente zu errichten und fremdartigen Göttern zu huldigen, oder sie starben in Kriegen, schufteten sich beim Errichten der Monumente anderer zu Tode und wurden aus religiösen Gründen auf schreckliche Weise umgebracht. Dass auch sie ein ganz alltägliches Leben hatten und genau wie wir über Witze lachten, weil sie sie einfach nur lustig fanden, oder ganz banale Probleme hatten, die nichts mit der historischen Weltgeschichte zu tun hatten, ist oftmals schwer vorstellbar.

Das rührt daher, dass sich die Geschichtsschreibung lange Zeit ausschließlich auf die Herrscher und religiösen Anführer beschränkte und sich nur selten fragte, was der einfache Mann eigentlich so getan hat. Wenn man sich jedoch nur die Politiker und andere Führungspersönlichkeiten ansieht, dann müssen einem die Menschen zwangsläufig ein wenig seltsam vorkommen. Das ist noch heute so, und wir Menschen neigen leider viel zu häufig dazu, ganze Völker mit ihrer politischen Führung zu identifizieren.

Tatsächlich waren die Menschen früher auch einfach nur Menschen. Natürlich gibt es einige kulturelle Unterschiede, und mit der Bedienung eines Smartphones wären sie definitiv überfordert gewesen – aber wenn wir ehrlich sind, sind das auch heutzutage viele Leute –, doch als normale Menschen hatten sie schon immer ganz gewöhnliche menschliche Probleme und Bedürfnisse. Dabei legten sie Verhaltensweisen an den Tag, die einem sehr modern vorkommen. So findet man beispielsweise an den Wänden vieler altägyptischer Gräber Graffiti aus griechischer und römischer Zeit, die solch überaus wichtige Botschaften wie «Lucius war hier» vermitteln. Selbst die Wände öffentlicher Toiletten wurden schon immer gerne bekritzelt, wie man in den Ruinen von Pompeji feststellte.

Auch die Reaktionen auf neue Erfindungen waren schon immer dieselben. So hat der Buchdruck ganz ohne Zweifel dazu beigetragen, die Jugend der frühen Neuzeit zu verderben, wenn man zeitgenössischen Quellen glauben darf. Angefangen bei einem gewissen Martin Luther, der, den Klagen seiner Gegner zufolge, nicht einmal mehr die Bibel und zugehörige Schriften ausreichend auswendig konnte. Stattdessen brachte er zu Streitgesprächen stets eine kleine Sammlung Bücher mit, in denen er bei Bedarf Stellen nachschlagen konnte. Unmöglich! Diese Jugend von heute kann sich auch wirklich gar nichts mehr merken. Wo soll das bloß noch hinführen? Passend dazu lesen sich einige der Flugblätter aus dem Zeitalter der Reformation wie eine heutige Facebook-Diskussion samt unflätiger Beleidigungen und ausgesprochen kreativer Wege, das jeweilige Gegenüber als dumm zu bezeichnen.

Da überrascht es nicht, dass sich auch die Helden in der Literatur über die Jahrhunderte schon immer mit denselben normal-menschlichen Problemen herumgeschlagen haben und dass auch jahrtausendealte Texte heute noch relevant sein können. Genau das macht es möglich, moderne psychologische Ansätze auf alte Werke anzuwenden.

In diesem Buch werden wir uns nicht nur damit beschäftigen, welche besonderen Macken die Menschen in jeder Epoche hatten, sondern wir werden uns auch den allgemeinen, alle Zeiten überdauernden Problemen der Menschen widmen und überprüfen, ob man sie früher besser oder schlechter als heute bewältigte.

Erste Etappe der Weltliteratur:Die Antike

Wenn man von der Antike redet, meint man vor allem die griechische und römische Kultur des Altertums. Beide hatten die Angewohnheit, sich überall zu verbreiten, egal, ob sie willkommen waren oder nicht. Vor allem im alten Griechenland wurden viele Konzepte entwickelt, die noch immer Grundstein unserer heutigen Weltsicht sind. Nicht nur steht die Dichte eines Objekts eng im Zusammenhang mit einem Kerl namens Archimedes, der vor ein paar tausend Jahren im alten Griechenland ein Bad genommen hat. Auch viele andere Wissenschaften haben griechische Wurzeln. Wir mögen seitdem einiges dazuerfunden haben, aber wenn man tief genug gräbt, findet man irgendwo im Fundament immer einen alten Griechen. So ist auch Aristoteles’ Poetik bis in die Gegenwart relevant, die griechischen Dramen und Sagen inspirieren weiterhin neue Werke (unter anderem den Jugendbuch-Erfolg Percy Jackson), und Homers Ilias wurde 2004 zuletzt verfilmt. Es liegt also auf der Hand, dass wir in den Werken dieser Zeit immer noch einiges finden, mit dem man sich auch heute noch identifizieren kann.

König Ödipus – Warum der dependente Persönlichkeitstypus eine ganze Familie in den Abgrund führen kann

Griechische Dramen entstanden nicht etwa zur Erheiterung des Volkes, sondern im Zuge des Dionysus-Kultes in Athen. Während der Großen Dionysien, eines mehrtägigen Festes zu Ehren des Gottes, wurde 534 v. Chr. die erste griechische Tragödie aufgeführt. Verfasst wurde sie von dem Dichter Thespis, auf den sich Schauspieler immer noch gerne berufen, wenn sie sich wichtigmachen wollen, indem sie sich Thespis-Jünger nennen.

Die Tragödien behandelten fast immer Themen aus den griechischen Sagen, und ihr Ziel war, den Zuschauer Rührung und Schrecken durchleben zu lassen, um ihn von diesen Gefühlen zu reinigen. Ein bisschen so, wie manch einer heutzutage nach einer hässlichen Scheidung mit einem Becher Eiscreme über einen tragischen Liebesfilm weint, in der Hoffnung, dass es ihm danach besser geht. Nun, natürlich nicht exakt so, aber die Stücke waren darauf ausgelegt, beim Publikum eine starke emotionale Reaktion hervorzurufen.

Zu diesem Zweck brachten die griechischen Dichter ihre Helden oft in eine Situation, in der sie dazu verdammt waren, sich schuldig zu machen, egal, was sie taten. Im Gegenteil, je mehr sie versuchten, dieser Situation zu entkommen, desto schlimmer wurde es. Das Ganze mündete schließlich in der in unseren Sprachgebrauch eingeflossenen Katastrophe, an der der Held sowohl seelisch als auch körperlich zerbricht.

Sophokles’ König Ödipus ist das beste Beispiel dafür. Sein Name dürfte jedem vom Ödipus-Komplex her geläufig sein, mit dem Freud es bezeichnete, wenn ein Junge seine Mutter begehrte. Allerdings tut diese eher zweifelhafte Berühmtheit Ödipus unrecht. Die ganze Geschichte ging nämlich so:

Eine Geschichte von elterlichem Versagen und sich selbst erfüllenden Prophezeiungen

Ödipus’ leibliche Eltern waren der König Laios von Theben und dessen Gemahlin Iokaste. Laios war seinerseits als der Ziehsohn des Königs Pelops aufgewachsen und hatte sich in dessen leiblichen Sohn Chryssippos verliebt. Er tat das, was man im alten Griechenland offenbar immer tat, wenn man sich in jemanden verguckte: Er entführte Chryssippos nach Theben. Pelops verfluchte ihn daraufhin: Sollte er je einen Sohn zeugen, solle dieser ihn töten und seine eigene Mutter heiraten.

Als Iokaste dann tatsächlich einen Sohn gebar, warnte das Orakel von Delphi Laios vor diesem Fluch. In Absprache mit Iokaste und in einem beispiellosen Anfall von Feigheit und elterlichem Versagen durchstach Laios seinem Sohn daraufhin die Füße, band sie zusammen und schickte jemanden mit dem Säugling los, um ihn auszusetzen. Es ist nicht überliefert, warum Laios Angst hatte, ein Säugling könne ohne diese Maßnahmen eventuell aus eigener Kraft weglaufen. Da ihm außerdem jedoch nicht in den Sinn gekommen ist, dass eine liebevolle Erziehung eventuelle Mordgedanken seitens seines Sohnes gar nicht erst aufkommen lassen könnte, ist davon auszugehen, dass er nicht der Hellste war.

Der Mann, der das Kind aussetzen sollte, hatte Mitleid mit ihm und brachte es stattdessen nach Korinth, wo es von König Polybos und seiner Gemahlin Merope adoptiert wurde. Sie gaben ihm den Namen Ödipus.

Ohne von seiner Herkunft zu wissen, wuchs Ödipus in Korinth auf. Und damit hätte alles so schön enden können, aber bekanntlich kommen Geheimnisse und vergangene Fehler immer irgendwann zurück, um einen in den Hintern zu beißen.

Als ein Betrunkener auf einem Fest Andeutungen macht, er sei nicht der leibliche Sohn seiner Eltern, konfrontiert Ödipus Polybos und Merope mit dieser Behauptung, ohne jedoch zufriedenstellende Antworten zu bekommen. Daraufhin wendet er sich genau wie sein Vater an das Orakel von Delphi. Dieses sagt ihm, wie schon Laios zuvor, dass Ödipus seinen Vater töten und seine Mutter heiraten werde.

Nun ist es so, dass Orakelsprüche normalerweise dann schon schwierig zu interpretieren sind, wenn man im Besitz aller relevanten Informationen ist. Ödipus ist das jedoch nicht. Er geht immer noch davon aus, dass Polybos und Merope seine Eltern sind. Er denkt, das Orakel habe ihm gesagt, er werde Polybos töten und Merope heiraten. Anstatt darüber nachzudenken, dass es äußerst schwer ist, aus Versehen jemanden umzubringen, den man nicht umbringen will, und noch einmal schwerer, aus Versehen jemanden zu heiraten, den man nicht heiraten will – eine Überlegung, die vielleicht dazu geführt hätte, dass Ödipus sich noch mal auf die Andeutungen des Betrunkenen zurückbesonnen hätte –, bricht er in die Ferne auf und führt damit die Tradition seines leiblichen Vaters fort, auf Orakelsprüche mit nur halbdurchdachten Kurzschlussentscheidungen zu reagieren.

Das Publikum kann sich natürlich denken, wo der Fehler in dieser Überlegung liegt, und ist dazu gezwungen, tatenlos zuzusehen, wie das Unheil unvermeidlich naht. Als Aristoteles seine Poetik verfasste, hat er bei den Gefühlen, die eine Tragödie im Zuschauer auslöst, eindeutig den maßlosen Frust vergessen, den es bedeutet, einem Charakter «Nein, tu es nicht!» zurufen zu wollen, während man nichts daran ändern kann, dass er in sein eigenes Verderben rennt.

An einer Weggabelung im Gebirge trifft Ödipus auf einen Wagen und gerät in einen heftigen Streit mit dessen Fahrer, der ihn seiner Meinung nach zu arrogant behandelt. Schließlich artet dieser Zusammenstoß so weit aus, dass er den Fahrer des Wagens tötet – ohne zu wissen, dass es sich dabei um seinen leiblichen Vater Laios handelt. Damit ist der erste Teil des Orakelspruchs erfüllt.

Vor den Toren Thebens begegnet Ödipus einer Sphinx, die jeden Reisenden frisst, der ihr Rätsel nicht lösen kann. Bisher ist es noch niemandem gelungen, dieses Rätsel zu knacken. Wie Laios, der anzunehmenderweise vor seiner Begegnung mit Ödipus aus Theben gekommen ist, an der Sphinx vorbeigelangen konnte, wird für immer das Geheimnis des Autors bleiben. Aber das tut hier auch wenig zur Sache. Ödipus löst das Rätsel auf jeden Fall, und die Sphinx stürzt sich daraufhin von einem Felsen. Mit ihrem Selbstwertgefühl war es offensichtlich nicht weit her. Dafür, dass er die Stadt von diesem Monster befreit hat, macht man Ödipus zum neuen König von Theben und er erhält Iokaste zur Frau. Damit heiratet er seine leibliche Mutter und erfüllt den zweiten Teil des Orakelspruchs. Aber es kommt noch schlimmer!

Jahre später hat Ödipus mit seiner Mutter vier Kinder gezeugt und ist genau genommen recht glücklich in seiner Unwissenheit. Aber in Theben wütet eine Seuche, gegen die kein Mittel hilft. Schon wieder fragt man das Orakel um Rat – eine Angewohnheit, die die gesamte Familie vielleicht besser nie begonnen hätte. Dieses sagt, die Seuche habe ihre Ursache darin, dass der Tod von Laios nie gerächt wurde.

Ödipus, der nie herausgefunden hat, dass der Mann, den er an der Wegkreuzung getötet hat, Laios war, strengt Ermittlungen an und schlägt damit einen weiteren Nagel in seinen eigenen Sarg.

Nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht. Als Iokaste klarwird, dass sich der Jahre zurückliegende erste Orakelspruch längst erfüllt hat, erhängt sie sich. Ödipus sticht sich kurz darauf mit ihren Haarspangen die Augen aus. Die Katastrophe ist perfekt.

 

In der Geschichte von Ödipus geht es also nicht darum, dass er seine Mutter unbedingt heiraten wollte, wie der nach ihm benannte Komplex vermuten lässt. Stattdessen sollte damit aufgezeigt werden, dass man seinem Schicksal nicht entkommen kann, egal, wie sehr man es versucht. Ödipus und seine Familie haben versucht, sich gegen das Schicksal aufzulehnen, und das hat überhaupt erst dazu geführt, dass alles so gekommen ist, wie es vorhergesagt wurde.

Was man daraus außerdem lernt, ist, dass die griechischen Götter einen echt üblen Humor hatten und es nicht leiden konnten, wenn man meinte, schlauer zu sein als sie.

Ödipus und seine Familie aus psychiatrischer Sicht

Ödipus – der belogene Sohn

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung hatte Ödipus somit nichts mit dem nach ihm benannten Komplex zu tun. Im Gegenteil, wenn wir uns die frühe Kindheit von Ödipus ansehen, wird deutlich, wie elterliches Versagen die Grundlage für die spätere Tragödie legte. Beginnen wir zunächst bei Ödipus selbst. Der Junge wird als Säugling nicht nur sofort seiner Mutter entrissen, sondern auch noch körperlich misshandelt und zum Sterben ausgesetzt. Die ersten frühen Bindungserfahrungen durch eine liebende Mutter wurden ihm somit verwehrt, wenngleich er allem Unglück zum Trotz in Polybos und Merope liebevolle Ersatzeltern fand. Aber dennoch lief auch in dieser Beziehung etwas gründlich schief – seine Adoptiveltern hüteten Geheimnisse vor ihm. Anstatt mit ihm einen offenen Dialog zu führen und ihm die Wahrheit über seine Herkunft zu offenbaren, schwiegen seine Adoptiveltern. Ein häufiges Phänomen, das man auch heute noch in der Kindererziehung beobachtet – unangenehme Themen werden ausgeblendet, in der Annahme, Diskussionen könnten nur Ärger machen und wenn man schweigt, bliebe hoffentlich alles so, wie es ist. Wenn man es genauer betrachtet, zieht sich dieses Verhalten bis heute nicht nur durch die Kindererziehung, sondern sogar bis in die Spitzenpolitik, die man vermutlich deshalb öfter mal mit einem Kindergarten vergleicht.

Im Fall von Ödipus bildet sich eindrücklich ab, wie sehr das Verschweigen eines Familiengeheimnisses und alter Traumata zu Gegenregulationen der Betroffenen führen kann, die die Situation nur noch schlimmer machen. Möglicherweise verschwiegen Polybos und Merope ihrem Sohn, dass er adoptiert war, um ihn nicht zu verlieren – aber gerade dadurch, dass er sie für seine leiblichen Eltern hielt, verließ er sie. Und durch die mangelnde Gesprächskultur in der Familie fehlte ihm auch das Vertrauen, mit seinen Eltern vernünftig zu reden und seine Sorgen zu benennen. Seine Angst davor, den Vater zu töten und die Mutter zu heiraten, war wohl zu groß. In diesem einen Punkt kann man nun überlegen, ob an dieser Stelle der Erzählung tatsächlich der von Sigmund Freud etablierte Ödipus-Komplex schon eine Rolle spielte. Begehrte Ödipus tatsächlich seine Adoptivmutter Merope und erlebte den Vater als Rivalen? Brachte ihn der noch ungelöste Ödipus-Komplex dazu, seine Eltern lieber zu verlassen, anstatt sich dem zu stellen? Leider bleibt der Autor hier im Ungenauen, sodass die Datenlage für eine genauere Analyse nicht ausreicht.

Das nächste Defizit in der Erziehung des Ödipus zeigt sich, als er seinem leiblichen Vater begegnet. Er gerät mit ihm in Streit, aber da er in einer sprachlosen Familie aufgewachsen ist, in der anscheinend nicht nur Familiengeheimnisse verschwiegen wurden, sondern auch keine klassische Schule des Disputs und Argumentierens geführt und vielmehr der Kampfgeist gefördert wurde, löst Ödipus den Streit nicht diplomatisch, sondern mit Gewalt – und tötet den Widersacher. Auch hier sehen wir wieder die Versäumnisse der Kindheit – Ödipus, der selbst in frühester Kindheit Ablehnung und Gewalt erfahren hat statt Liebe und Fürsorge und später unter dem Mantel des Verschweigens aufwuchs, hat niemals am Vorbild seiner Adoptiveltern (und erst recht nicht seiner leiblichen Eltern) erfahren dürfen, wie es ist, einen Konflikt rational und gewaltlos zu lösen. An dieser Stelle finden sich auch deutliche Hinweise auf ein Empathiedefizit, möglicherweise sogar ein Hang zur Psychopathie, der schon von der väterlichen Seite vererbt worden sein kann, denn hier treffen zwei Charaktere aufeinander, die beide nicht nachgeben und Konflikte mit Gewalt lösen. Dass es sich um eine rein emotionale Schwäche handelt und kein intellektuelles Defizit, zeigt sich daran, dass Ödipus durchaus in der Lage ist, das Rätsel der Sphinx zu lösen, und dabei sogar auf sehr abstraktes Denken zurückgreift. Andererseits zeigt sich der Hang zur Psychopathie später in seiner Gier nach Macht und Ruhm – warum sonst sollte ein junger Mann eine deutlich ältere Frau, die seine Mutter sein könnte (und dies zufälligerweise sogar ist), heiraten, um König zu werden? Da Ödipus das Konstrukt der Liebe nicht kennt, aber andererseits eine günstige Gelegenheit zur beruflichen Verbesserung nicht ausschlagen möchte, geht er den Weg des geringsten Widerstandes. Als sein Konstrukt zusammenbricht, ist er zu schwach, sich den Konsequenzen zu stellen – er will das alles nicht länger mitansehen und sticht sich die Augen aus. Man fragt sich, warum er sich darauf beschränkt, sich die Augen auszustechen, und sich nicht gleich ganz umbringt, möglicherweise muss man diesen Akt aus psychodynamischer Sicht so werten, dass er «sehenden Auges» in sein Verderben gerannt ist und nur den schuldigen Körperteil entfernt, um dann vielleicht doch noch was vom Leben zu haben, denn die schönsten Erlebnisse mit seiner Mutter hatte er wohl im Dunkeln …

Laios – der verantwortungslose Vater

Laios ist eine besonders tragische Figur, wenn man berücksichtigt, dass er – obgleich die Griechen ein sexuell freizügiges Volk waren, das homosexuelle Lebenspartnerschaften schon früh anerkannte und in Heldenepen besang – keine vernünftige Beziehung zu seinem Geliebten Chryssippos aufbauen konnte, sondern zum Mittel der Entführung greifen musste, was ihm den tragischen Fluch einhandelte. An diesem Punkt stellt sich die Frage, warum Laios, der doch eigentlich eine Beziehung zu Chryssippos wollte, Iokaste heiratete. Wenn man den Gedanken weiterverfolgt, könnte man den Fluch des Pelops auch anders interpretieren. Möglicherweise wollte Pelops seinen Sohn Chryssippos damit nur schützen, weil er den windigen Charakter von Laios längst durchschaut hatte – Laios, der sich immer alles nahm, ohne Rücksicht auf Konsequenzen.

Wollte Pelops verhindern, dass Laios eine Frau heiratete und Chryssippos dann verließ? Oder war es wirklich nur der heiße Zorn des Vaters, der sich um den Sohn betrogen fühlte? Aufgrund der dürftigen Quellenlage werden wir die wahren Hintergründe wohl nie mit letzter Sicherheit erfahren. Fakt ist, dass Laios auch als Ehemann und Vater keine überzeugende Figur machte. Verantwortung zu übernehmen hatte er nie gelernt. Sobald das Lustprinzip versagte, suchte er Rat bei anderen Instanzen – in diesem Fall beim Orakel. Hier offenbaren sich neben den dissozialen Charakterzügen des Laios, die sich aus seiner Vorliebe für Regelbrüche und Entführungen schon früh erkennen lassen, auch dependente, also abhängige Persönlichkeitszüge. Er will keine Verantwortung tragen und lieber weitere Regeln brechen, anstatt sich seiner Verantwortung zu stellen.

Dabei versagt er auf kompletter Linie und zeigt, wohin Entscheidungsunfähigkeit führt. Er hatte nach der Geburt seines Sohnes drei Möglichkeiten: Die reifste hätte darin bestanden, Verantwortung zu übernehmen. Wenn es diesen Orakelspruch schon gibt, kann man ihn auch interpretieren. Hätte er seinem Sohn eine liebevolle Erziehung gewährt, sodass dieser Sohn seine Eltern aufrichtig liebte, hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben, warum sein Sohn ihn hätte töten können – entweder durch einen Unfall oder aufgrund einer schweren Krankheit als Akt der Erlösung und Gnade. Ein echter Mord wäre allerdings nahezu ausgeschlossen. Die Heirat mit der Mutter hätte dann allenfalls als Pro-forma-Modell angestanden, um die Witwe zu versorgen – derartige Modelle lebten bereits die alten Ägypter vor. Allerdings fehlte Laios der Mut, die Verantwortung für ein derartiges Modell zu übernehmen.

Die zweite Möglichkeit wäre die gewesen, dass Laios seine dissozialen Züge komplett ausgespielt hätte. Er hätte sich dann selbst die Hände schmutzig machen und Ödipus töten müssen. Dazu fehlte ihm der Mut. Eine andere Alternative hatte er dabei gar nicht bedacht – er hätte auch Iokaste töten können. Wenn Ödipus keine Mutter mehr zum Heiraten hätte, wäre damit das ganze Orakel ausgehebelt. Dazu fehlte Laios jedoch nicht nur der Mut, sondern vermutlich auch die Phantasie.

Er wählte stattdessen die dritte Möglichkeit, getreu dem Motto: «Wasch mich, aber mach mich nicht nass.» Eine halbe Lösung, die bekanntlich immer die schlechteste ist. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, gab er anderen das Heft in die Hand, um sich selbst rein zu halten. Und da er sein Wesen während all der Jahre nicht änderte, sondern ein dissozialer und zugleich verantwortungsloser Charakter mit Entscheidungsschwäche blieb, erklärt es sich auch, warum er im späteren Konflikt mit seinem unbekannten Sohn den Kürzeren zog und nicht ausgleichend und mäßigend auf ihn einwirken konnte. Er hätte lieber bei seiner ursprünglichen Neigung zu Chryssippos bleiben sollen, zumal die Homosexualität damals durchaus legitim war und er nach diesem Goldenen Zeitalter weitere zwei Jahrtausende auf die Ehe für alle hätte warten müssen.

Iokaste – die kindliche Mutter

Iokaste ist zu Beginn der Geschichte ebenso Opfer wie Ödipus, denn man muss ihr zugutehalten, dass sie bei Ödipus’ Geburt vermutlich erst dreizehn oder höchstens vierzehn Jahre alt war. Möglicherweise war das pubertierende Mädchen in der frühen Mutterrolle überfordert und ganz dankbar, dass Laios ihr die Entscheidung abnahm. Vielleicht hielt sie auch lieber den Mund, damit Laios nicht doch noch auf die Lösungsmöglichkeit «eine tote Mutter kann nicht geheiratet werden» kam.

Wir können davon ausgehen, dass die Ehe mit Laios für Iokaste nicht lustig war – aber das war sie für Frauen im antiken Griechenland ohnehin nur in den seltensten Fällen. Vermutlich empfand Iokaste Laios’ Tod als Erlösung und war deshalb auch sofort bereit, einen attraktiven jungen Mann an seiner Stelle zu heiraten und mit ihm mehrere Kinder zu haben. Iokaste war damals wohl Ende zwanzig und somit in dem Alter, da die weibliche Libido voll erwacht ist. Der junge, unverbrauchte Ödipus konnte ihre Bedürfnisse also in jeder Hinsicht erfüllen und tat dies wohl auch regelmäßig, wie ihre wachsende Kinderzahl bestätigt.

Die entscheidende Frage ist, weshalb Iokaste sich wirklich erhängte, als sie von der Wahrheit erfuhr. War es die Scham, einem «Motherfucker» aufgesessen zu sein? Oder zerbrach vielmehr ihr Selbstbild als begehrenswerte junge Frau, da sie nun zugleich auch noch die Mutter ihrer eigenen Enkelkinder war? Iokastes Weltbild war so tief erschüttert, dass sie keine Möglichkeit mehr sah, die Scherben irgendwie zu kitten. Dabei hätte es Lösungsmöglichkeiten gegeben. Der Orakelspruch, der besagte, was wegen der Seuche in Theben zu unternehmen sei, erwähnt nie irgendeine Art von Strafe für Iokaste. Darin heißt es nur, dass der Mörder von Laios gefunden und bestraft werden muss. Möglicherweise wäre die Erkenntnis, mit der eigenen Mutter verheiratet zu sein, schon Strafe genug für Ödipus gewesen. Iokaste hätte für ihre Verfehlungen offiziell Buße tun und die Ehe annullieren, aber weiterhin für ihre Kinder da sein können. Stattdessen wählte sie den Weg der Flucht und ließ ihren Sohn Ödipus ein zweites Mal im Stich – im wahrsten Sinne des Wortes, da der sich dann ja bekanntermaßen die Augen ausstach, um das Unglück nicht mehr mit ansehen zu müssen.

Die familiendynamisch korrekte Lösung

Was wäre gewesen, wenn in dieser Geschichte alle Beteiligten wie erwachsene Menschen gehandelt hätten? Nun, die Geschichte wäre bereits am Anfang ganz anders verlaufen, da Laios zu seiner Bisexualität gestanden hätte und mit Chryssippos eine reife Beziehung eingegangen wäre. Falls es wider Erwarten dennoch zu dem Fluch gekommen wäre, hätte ein reifer Laios nach Wegen gesucht, den Spruch des Orakels auf sozialverträgliche Weise zu erfüllen. Er hätte seinen Sohn liebevoll aufgezogen und sich von ihm versprechen lassen, dass der ihm – sollte er mal schwer krank werden – Sterbehilfe gewährt und sich anschließend um die Mama kümmert – und sei es durch den Pro-forma-Stand einer Ehefrau, der aber nicht vollzogen werden muss. Folgende Lehre lässt sich aus den griechischen Sagen ziehen: Man kann seinem Schicksal nicht davonlaufen, aber man kann es selbst gestalten. Wenn Prophezeiungen dazu neigen, sich selbst zu erfüllen, so haben wir dennoch die Möglichkeit, die Art, wie sie sich erfüllen, zu beeinflussen. Wir sind keine Opfer der Umstände, wenn wir bereit sind, die Verantwortung für unser Handeln zu tragen.

Zweite Etappe der Weltliteratur:Das Mittelalter

Inzwischen hat man herausgefunden, dass das Mittelalter nicht ganz so düster war, wie man lange dachte, aber ein Quell der Innovationen und neuen Gedankenguts war Europa in dieser Zeit dennoch nicht. Dafür hatte die katholische Kirche alles zu sehr in ihrem Griff. Viele der philosophischen und wissenschaftlichen Schriften aus der Antike sind heute auch nur deshalb noch erhalten, weil sie im Nahen Osten in den Ländern aufbewahrt und kopiert wurden, die nicht christlich, sondern islamisch waren.

Das Christentum brachte außerdem ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu Frauen und der Sexualität mit sich. Leute mit genug Bildung und Zeit, um lesen und schreiben zu können, waren oft Mönche, die bekanntlicherweise im Zölibat lebten. Sex und Frauen, die immer eine Versuchung darstellten, waren für sie ein Tabu. Dass nichts Vernünftiges dabei herauskommen kann, wenn Leute ihre Meinung zu Themen kundtun, mit denen sie keine direkte Erfahrung haben, hätte eigentlich jeder wissen müssen. Dennoch hörte man gerne auf Leute wie Thomas von Aquin, die Frauen als minderwertige Geschöpfe ansahen, die die Lehren des Teufels verbreiteten, wenn man sie nur ließe.

Aber auch den Männern tat dieses Weltbild nicht gut, stellte man doch recht hohe Ansprüche in Sachen Heldenmut und Ritterlichkeit an sie, die schwer zu erfüllen waren. Aber immerhin, wenn sie in dieser Hinsicht versagten, blieb ihnen immer noch die Möglichkeit, den Frauen dafür die Schuld zu geben.

König Artus, oder: Wie Frauen alles ruinieren

Mythen und Sagen sind oft gemeinschaftlich erzählte Geschichten. Das heißt, jemand bringt eine Idee auf, anderen Leuten gefällt sie, sie verbreitet sich, und nach und nach fügt man beim Weitererzählen neue Details hinzu. Teilweise mischt man sie auch mit anderen, bereits existierenden Geschichten, lässt Teile weg oder ändert Dinge, je nachdem, was man aussagen möchte oder was einem gefällt.

Die Artussage ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Von den darin beschriebenen Ereignissen ausgehend, müsste sie ungefähr im 5. oder 6. Jahrhundert anzusiedeln sein. Allerdings gibt es aus zeitgenössischen Quellen kaum Beweise dafür, dass Artus jemals existiert hat. Erstmals gesichert erwähnt wird er in der Historia Brittonum, die um 840 entstanden ist, und dort ist er noch ein Heerführer, kein König.

Ausführlich behandelt wird er schließlich in der Historia Regum Britanniae aus dem 12. Jahrhundert. Und damit begann der Artusmythos seinen Siegeszug durch Europa. Manch einen faszinierte die Geschichte so sehr, dass sie in Fresken und Mosaiken in verschiedenen Kirchen verewigt wurde. In Danzig gibt es sogar den im 15. Jahrhundert zu seinen Ehren erbauten Artushof. Dichter und Schriftsteller griffen den Stoff ebenfalls auf oder erzählten die Geschichten einzelner Ritter der Tafelrunde weiter.

Um es kurz mit modernen Begriffen zu sagen: König Artus war mehrere Jahrhunderte lang ein absoluter Hit und regte viele Leute dazu an, Fanart und Fanfiction zu produzieren, wobei man sich nicht immer sonderlich streng an den Kanon des Ursprungswerkes hielt. Einige der berühmtesten Ergänzungen aus späteren Zeiten waren zum Beispiel ein ungewöhnlich geformtes Möbelstück (die Tafelrunde) und ein notdürftiger christlicher Anstrich, den man dem von keltischer Mythologie strotzenden Werk nachträglich verpasst hat – beispielsweise in Form der Suche nach dem Heiligen Gral. Beides ist im Grunde auch nicht mehr oder weniger Teil der ursprünglichen Artussage als Monty Pythons Killerkaninchen. Auch der Film Die Ritter der Kokosnuss ist einfach nur eine weitere Version derselben Legende, ebenso wie Marion Zimmer-Bradleys Die Nebel von Avalon. Man kann also sagen, die Artussage ist ein Stoff, der sich immer noch in seiner Entwicklung befindet. Er erhält stetig weitere Ergänzungen, die jeweils einen Spiegel ihrer Zeit darstellen.

Dramaqueen Merlin und das Schwert im Stein

Da die Geschichte von Artus so oft verändert und weitergesponnen wurde, gibt es nicht eine richtige Version, auf die man sich beziehen könnte. Aber im Großen und Ganzen lässt sie sich grob in drei Einzelgeschichten aufteilen, die in den vielen Versionen enthalten sind. Die erste davon ist die mit dem Schwert im Stein.

Als Artus’ Vater gilt gemeinhin Uther Pendragon, der mit Hilfe seines magischen Beraters Merlin gegen die Angelsachsen kämpfte. Er begehrte Igraine, die Frau eines Feindes, und Merlin half ihm, diese in Gestalt ihres Ehemannes zu besuchen und mit ihr zu schlafen, wobei Artus gezeugt wurde. Kurz darauf stirbt Igraines Ehemann, und Uther nimmt sie in einigen Versionen offiziell zur Frau.

Auffällig an dieser Version ebenso wie an der, in der Artus ganz offiziell ein legitimer Sohn von Uther und Igraine ist, ist die Tatsache, dass Artus trotzdem in kaum einer Fassung der Geschichte von seinen Eltern aufgezogen wird. Stattdessen nimmt Merlin ihn in seine Obhut und bringt ihn bei einem Freund namens Hector oder Ector unter.

Natürlich wird die Frage um die Nachfolge Uthers so deutlich dramatischer, als sie es gewesen wäre, hätte Uther Artus einfach offiziell als seinen Sohn und Nachfolger anerkannt. Auch deutlich weniger dramatisch wäre es gewesen, hätte Merlin nach Uthers Tod einfach verkündet, dass Artus sein Sohn und damit sein Erbe ist. All diese Möglichkeiten waren Merlins Ansicht nach offensichtlich zu langweilig. In einigen Versionen der Geschichte schmiedet er stattdessen selbst das Schwert Excalibur. In anderen stammt dieses von der Herrin vom See. Auf jeden Fall treibt Merlin es in einen Stein oder Amboss und verkündet, wer immer es schafft, das Schwert herauszuziehen, soll der neue rechtmäßige König werden.