Helenas Vermächtnis – Ein historischer Fantasy-Roman - Rainer Keip - E-Book

Helenas Vermächtnis – Ein historischer Fantasy-Roman E-Book

Rainer Keip

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Beschreibung

Dieser Roman schließt an die Ereignisse des Buches mit dem Titel DIE RÜCKFÜHRUNG an, ist aber auch als selbstständiger Roman zu lesen.

Diana Lenz, eine erfahrene Agentin des MAD, ist von ihrem unfreiwilligen Abenteuer aus der Zeit Konstantins des Großen in ihre Gegenwart zurückgekehrt. Doch plötzlich lösen sich von einem Moment auf den anderen in Italien Personen auf als hätten sie nie existiert. Zu Recht vermutet man, dass sie in der Vergangenheit ein Zeitparadoxon ausgelöst hat. Daher muss sie sich erneut auf eine Zeitreise begeben, um der Sache auf den Grund zu gehen, denn das Schicksal der Menschheit steht auf dem Spiel.
Der Auslöser ist rasch gefunden, jedoch ahnt Diana nicht, welche Rolle sie wirklich in diesem phantastischen Szenario spielt.

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Rainer Keip

 

 

Helenas Vermächtnis

 

 

 

Ein historischer Fantasy-Roman

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Kathrin Peschel nach Motiven, 2023 

Lektorat/Korrektorat: Bärenklau Exklusiv 

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Helenas Vermächtnis 

Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

Ankunft 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

Helena 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

Gefährtinnen 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

Zwischenspiel 

Mediterranum 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

Rom 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

Constantin 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

Entscheidungen 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

Ägypten 

1. Kapitel 

Omnia simul aptat (Alles fügt sich) 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

Reditus (Rückkehr) 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

Regeneration 

Glossar 

Hauptpersonen 

Historische Personen 

Personen Gegenwart 

Weitere Personen (In der Vergangenheit) 

Die Orte 

Weitere Begriffserklärungen 

Der Autor Rainer Keip 

 

Das Buch

 

 

 

Dieser Roman schließt an die Ereignisse des Buches mit dem Titel DIE RÜCKFÜHRUNG an, ist aber auch als selbstständiger Roman zu lesen.

 

Diana Lenz, eine erfahrene Agentin des MAD, ist von ihrem unfreiwilligen Abenteuer aus der Zeit Konstantins des Großen in ihre Gegenwart zurückgekehrt. Doch plötzlich lösen sich von einem Moment auf den anderen in Italien Personen auf als hätten sie nie existiert. Zu Recht vermutet man, dass sie in der Vergangenheit ein Zeitparadoxon ausgelöst hat. Daher muss sie sich erneut auf eine Zeitreise begeben, um der Sache auf den Grund zu gehen, denn das Schicksal der Menschheit steht auf dem Spiel.

Der Auslöser ist rasch gefunden, jedoch ahnt Diana nicht, welche Rolle sie wirklich in diesem phantastischen Szenario spielt.

 

 

***

Helenas Vermächtnis

 

 

Ein historischer Fantasy-Roman

 

 

Prolog

 

 

1. Kapitel

 

1972, Nag Hammadi, Ägypten

Professor Harald Eissing von der Freien Universität Berlin fuhr, wie jeden Morgen, zu seiner Ausgrabungsstätte in der Nähe von Nag Hammadi, welche etwa dreizehn Kilometer südöstlich von dem kleinen Ort entfernt am Rand der Wüste lag.

Vor über fünfundzwanzig Jahren hatte dieser Ort bereits Schlagzeilen gemacht, als ägyptische Bauern auf der Suche nach natürlichem Dünger einen großen, roten Tonkrug ausgruben, dessen Inhalt den Glauben der Römisch-Katholischen Kirche fast ins Wanken gebracht hatte. Der Krug enthielt sogenannte Kodizes, Schriftrollen, welche aus Pergament gefertigt und aus der Zeit der frühchristlichen Kirchengemeinde stammten. Der Inhalt der Schriften war insofern brisant, da sie ein bislang unbekanntes Evangelium, das des Thomas enthielten und dieses inhaltlich, zumindest teilweise, der allgemeinen christlichen Lehre entgegenstand. In diesem Text wurde die enge Beziehung der Maria Magdalena zu Jesus Christus besonders betont. Das führte dazu, dass diese Maria in der Katholischen Kirche nicht mehr als die Hure gesehen wurde, als die sie jahrhundertelang abgestempelt war, sondern vielmehr ein Jünger des Heilands war. Viele Religionswissenschaftler gingen nach den Studien der Rollen sogar davon aus, dass Maria Magdalena die Ehefrau von Jesus Christus gewesen sein könnte.

 

*

 

Zwei Jahre zuvor hatte ein amerikanischer Archäologe, der auf die Technik der neu aufkommenden Luftbildarchäologie spezialisiert war, Eissing einen Tipp gegeben. Ganz in der Nähe des Fundortes des Tongefäßes war er auf eine interessante Stelle gestoßen, die, wie er aufgrund der Bodenbeschaffenheit vermutete, eine frühchristliche Basilika gewesen sein könnte. Eissing hatte einige Mühe gehabt, die notwendigen Gelder von seinem Institut locker zu machen aber letztendlich hatte er es geschafft. Die ägyptischen Behörden, die sich fast ausschließlich um die Funde aus der Zeit der Pharaonen kümmerten, hatten sich nicht besonders für seine Grabung interessiert und er hatte seine Grabungslizenz ohne Schwierigkeiten erhalten.

Tatsächlich entpuppte sich der Fundort als eine kleine, frühchristliche Kirche und Eissing und sein Team hatten bereits einige bemerkenswerte Funde an die Oberfläche gebracht.

Als er auf dem Weg zur Grabungsstätte war, konnte er nicht ahnen, dass dieser Tag einen gewaltigen Stein ins Rollen bringen würde.

 

»Guten Morgen Professor«, begrüßte ihn seine Doktorandin Petra Böhmer, die ihn mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand erwartete.

»Guten Morgen Petra. Ich sehe, Sie sind schon fleißig gewesen«, sagte er und schaute auf das Grabungsteam, welches die Grundmauern der kleinen Kirche freigelegt hatte.

»Wir haben heute Morgen schon etwas gefunden, das Sie sich sicher gerne anschauen möchten«, strahlte sie über das ganze Gesicht.

»Spannen Sie mich nicht auf die Folter«, lächelte er Petra an.

»Wir haben ein kleines Tongefäß gefunden, welches noch verschlossen ist. Wir haben extra auf Sie gewartet, damit Sie es öffnen.«

Sofort war Eissing wie elektrisiert.

»Nicht so einen Topf wie damals«, lachte Petra, als sie den Gesichtsausdruck des Professors bemerkte. »Aber wer weiß, vielleicht enthält er ja irgendetwas von Bedeutung.«

Eissing folgt Petra in Richtung des Ausgrabungszeltes und erkannte ein kleines Tongefäß, das sich auf dem Tisch zwischen etlichen unsortierten Scherben befand.

»Es ist tatsächlich unversehrt«, murmelte er, als er die Keramik in seinen Händen hielt.

»Und zweifellos römisch«, fügte er hinzu.

Mittlerweile hatte sich das ganze Grabungsteam eingefunden und beobachtete ihn, wie er den Deckel des Tontopfs vorsichtig öffnete.

»Es enthält ein Pergament«, sagte er aufgeregt, als er in die Öffnung blickte.

Einer seiner Assistenten reichte ihm eine lange Pinzette und Eissing zog das alte Schriftstück vorsichtig aus seinem Behältnis. Anschließend zog er sich Glaceehandschuhe an und glättete es, so gut es eben möglich war, vorsichtig auf dem Tisch aus.

»Das ist in Latein verfasst«, murmelte er und begab sich daran, es zu entziffern. Je länger er es las, umso schweigsamer wurde er, und Fassungslosigkeit machte sich auf seinem Gesicht breit.

»Was steht drin?«, fragte Petra ihn neugierig und wollte einen Blick auf das Pergament werfen, aber Eissing schirmte es mit seinem Körper ab und rollte es sofort wieder zusammen. Er war kreidebleich geworden und wankte mit dem Schriftstück in der Hand an seinen verblüfft dreinschauenden Mitarbeitern aus dem Zelt. Petra eilte ihm sofort hinterher.

»Geht es Ihnen gut, Professor?«, fragte sie ihn und hielt Eissing an seiner Schulter fest.

»Alles in Ordnung«, stammelte er und ging wie benommen weiter.

 

 

2. Kapitel

 

München Pullach, Außenstelle des MAD, Gegenwart

»Eine außergewöhnliche Frau«, murmelte der Mann im schwarzen Anzug, der auf Blankenstein den Eindruck eines »Man in Black« machte und ihm in einem schweren Ledersessel gegenübersaß. »Sie haben hinsichtlich der Fähigkeiten von Frau Lenz nicht übertrieben«, stellte er nüchtern fest.

»Wir haben unser Bestes getan, um Diana Lenz auf diesen Stand zu bringen.«

»Ihr Arzt, Doktor Rech?«

»Hat nicht bemerkt, dass er Frau Lenz anstatt eines Sedativum Ihr Mittel verabreicht hat. Monika, seine Sprechstundenhilfe, steht auf unserer Gehaltsliste, aber ich habe sie nicht darüber unterrichtet, was der Doc Frau Lenz verabreicht hat. Das wissen nur Sie, ich und wahrscheinlich ein ausgewählter Kreis derer, die mit Ihnen zusammenarbeiten.«

»Und dabei soll es auch bleiben«, lächelte der Mann in Schwarz.

»Wir haben es tatsächlich geschafft«, sagte General Blankenstein und steckte sich eine Lucky Strike an.

»Wir hatten ja auch eine extrem lange Vorlaufzeit. Manchmal frage ich mich wirklich, ob es nicht doch irgend so etwas wie eine Vorsehung gibt«, sinnierte sein Gegenüber.

»Sie haben mir zwar damals, als wir das Projekt in Angriff genommen haben, einen groben Überblick verschafft, aber den genauen Inhalt des Kodex haben Sie mir nicht verraten.«

»Oh, dass hätte ich fast vergessen«, antwortete der Mann in Schwarz und griff in die Innentasche seines Jacketts. Er holte ein DIN-A4-Blatt heraus und reichte es Blankenstein.

»Wenn Eissing damals nicht die Grabung in Nag Hammadi durchgeführt hätte, wäre die ganze Geschichte trotz allem passiert oder ist das nur geschehen, weil wir in den Strom der Zeit eingegriffen haben? Das meinte ich mit meiner Bemerkung bezüglich der Vorsehung.«

Blankenstein nahm das Blatt Papier an sich und legte es vor sich auf seinen Schreibtisch.

»Wir wissen es nicht und werden es auch nie erfahren. Gott sei Dank konnten wir aufgrund der fortgeschrittenen Technik auf Nummer sicher gehen. Was haben sie nun mit Frau Lenz vor? Soll sie weitere Aufgaben übernehmen?«

»Wir haben die einmalige Chance, uns einen genauen Überblick über unsere Vergangenheit zu verschaffen. Es wäre fahrlässig, wenn wir nicht die Möglichkeit nutzen, die geschichtlichen Abläufe zu beobachten und notfalls darauf einwirken. Sicher birgt das die Gefahr eines Zeitparadoxons, aber Frau Lenz hat eindrucksvoll bewiesen, dass sie damit verantwortungsvoll umgehen kann. Aus ihren Gedanken haben wir viele Glücksmomente empfangen und sie hat es anscheinend richtig bedauert, dass sie die Welt Constantins verlassen musste. Ich glaube fast, dass sie gar nicht wieder zurück wollte.«

Blankenstein hatte da so seine Zweifel und sah sein Gegenüber skeptisch an, der sich nun von seinem Platz erhob.

»Das Experiment ist auf jeden Fall zunächst erfolgreich verlaufen. Aber sicher kann man nie sein. Das wird die Zukunft entscheiden.«

 

Blankenstein dachte zurück an das erste Treffen mit ihm, das sehr lange zurücklag, genauer gesagt: fast fünfundzwanzig Jahre. Damals bekleidete er den Rang eines Polizeirats bei der Münchener Kriminalpolizei, als eines Tages ein Mann in seinem Büro erschien und ihm das Dossier einer jungen Frau vorlegte.

»Mein Name ist Heinz Müller«, stellte er sich Blankenstein vor, der natürlich genau wusste, dass das niemals sein richtiger Name war. Gleichzeitig mit dem Dossier reichte er ihm seinen Ausweis, der ihn als Angehörigen des MAD auswies.

»Ich möchte ohne große Umschweife direkt zur Sache kommen. Das Dossier, das Sie in den Händen halten, stammt von Diana Lenz. Sie ist die Schwester von Oberstleutnant Georg Lenz, der ebenfalls in unseren Diensten steht. Frau Lenz ist gerade in den Polizeidienst eingetreten, und ich möchte, dass Sie ihr in zwei Jahren ein Angebot unterbreiten, in die Dienste des MAD zu treten.«

Blankenstein hatte den Mann verwundert angeschaut.

»Und warum sollte ich das tun?«

»Weil diese Frau unser aller Leben in ihren Händen hält.«

Verständnislos starrte Blankenstein ihn an.

»Im Jahr 1972 wurde eine archäologische Grabung von der Freien Universität Berlin in Ägypten finanziert, genauer gesagt: bei einem Ort namens Nag Hammadi, die unter der Leitung von Professor Harald Eissing stand und sich mit der Ausgrabung einer frühchristlichen Kirche befasste. Als man die Fundamente des Gebäudes freilegte, fand man einen kleinen Tonkrug, der sich unter dem damaligen Boden des Gebäudes befand, sozusagen eine Art Grundstein. Und in diesem Krug fand Eissing ein Pergament, dessen Text so brisant war, dass er ihn sofort persönlich nach Deutschland brachte, ohne jemanden über dessen Inhalt in Kenntnis zu setzen. Dieser Text stammte eigenhändig von Julia Helena, der Mutter Kaisers Constantins des Großen, von der wir wissen, dass sie in ihren späten Jahren die heiligen Stätten in Jerusalem besucht hat. Scheinbar hat sie sich ebenfalls in Ägypten aufgehalten, da auf ihr Wirken hin diese Basilika errichtet wurde. Der Inhalt dieses Textes besagt, dass Helena die Kapelle einer Frau gewidmet hat, die ihr einmal sehr nahegestanden hat. Der Name der Frau war Diana Lenz und in dem Text wird beschrieben, dass sie aus der Zukunft stammte und zwar aus dem Jahre 2770, römischer Zeitrechnung versteht sich. Das entspricht unserem Jahr 2017. Sie hat wohl an dem großen Feldzug teilgenommen, den Constantin gegen seinen Widersacher Maxentius führte und ihn dabei unterstützt. Das Pergament geht dabei noch mehr ins Detail, aber Sie können sich vorstellen, welchen Schock Eissing erlitt, als er diese Zeilen gelesen hatte. Eine Fälschung war unmöglich, da der Topf gerade aus den Schuttbergen freigelegt worden und das Siegel unversehrt war.«

»Und die Frau aus ihrem Dossier ist zweifelsfrei …?«

»Die Diana Lenz, von der Helena in ihrem Pergament berichtet. In dem Dokument wird auch ihr Bruder Georg erwähnt, sodass wir sicher sind, die richtige Person gefunden zu haben. Diana Lenz muss die bestmögliche Ausbildung erhalten und dafür haben sie Zeit bis zum Jahre 2017.«

Blankenstein schwirrte der Kopf. »Aber wie ist sie in diese Epoche gelangt?«, fragte er seinen Besucher.

»Das wissen wir nicht; noch nicht. Aber wir haben noch über zwanzig Jahre Zeit uns mit diesem Phänomen zu beschäftigen«, lächelte er. »Unnötig zu sagen, dass Sie ihr Führungsoffizier im Rang eines Oberst des MAD sein werden.«

 

*

 

Zwei Jahre später trat Diana Lenz in die Dienste des MAD und Blankenstein lernte eine junge Frau kennen, deren Ruhe und Ausgeglichenheit ihn vom ersten Augenblick an faszinierte. Im Laufe der Zeit entwickelte sie sich zu seiner besten Agentin und ihm wurde klar, dass nur sie mit der Frau aus dem Pergament gemeint sein konnte.

Die Wissenschaft, gerade auf dem Gebiet der Datentechnik, war inzwischen soweit fortgeschritten das man in der Lage war, Gehirnströme eines Menschen in Bilder umzuwandeln und so war man auf den Tag X vorbereitet. Als Diana Lenz nach der Sitzung mit Dr. Rech in einen katatonischen Zustand gefallen war, hatte man das Experiment gewagt und es erwies sich als voller Erfolg.

Dianas Geist und Körper wurde ständig von Monitoren und Geräten überwacht und man konnte manchmal sogar schemenhaft erkennen, welche Ereignisse sie gerade durchlebte.

Der General widmete sich nun dem Schreiben, das er von Müller bekommen hatte und studierte dessen Inhalt.

 

 

3. Kapitel

 

Alessandro Metello stand in einem blauen Morgenmantel gekleidet auf der Terrasse seiner Villa, die sich inmitten einer alten Parklandschaft auf einem kleinen Hügel im Stadtteil Parioli im Norden von Rom befand.

Es war früher Morgen und er lauschte auf das Zirpen der Zikaden, die sich in den Zypressen niedergelassen hatten und den sonnigen Apriltag begrüßten. Alessandros Blick fiel auf den Tiber, dessen braunes, träges Wasser langsam in die ewige Stadt floss, so wie schon seit tausenden von Jahren.

»Was hast du schon alles gesehen?«, sinnierte er und vor seinen Augen sah er die prachtvollen Bauten seiner Vorfahren, von denen größtenteils nur noch Ruinen übriggeblieben waren. Sein Blick schweifte weiter über die Villa Borghese und in der Ferne erblickte er die gewaltigen Umrisse des flavischen Amphitheaters und des Forum Romanums. Gedankenverloren nippte er an seinem Espresso und wieder schweiften seine Gedanken in die ferne Vergangenheit. Es schien ihm fast so, als hätte er das Geschrei der fünfzigtausend Zuschauer vernehmen können, welche den Spielen in der antiken Arena ihre Aufmerksamkeit widmeten und er stellte sich vor, wie seine Ahnen ebenfalls in Jubelstürme ausbrachen, wenn die Gladiatoren zu ihren Kämpfen in der Arena erschienen. Und die Vorstellung war gar nicht so abwegig.

Alessandros Familienstammbaum reichte bis in die Antike zurück, genauer gesagt bis in das Jahr 284 vor Christus. Er gehörte einem Zweig der Gens Metelli an, die zu den wichtigsten und reichsten Plebejerfamilien in Rom gehörten und deren Mitglieder viele Male den Posten eines Konsuls innehatten. Die Fähigkeit zum Regieren hatte sich anscheinend in ihren Genen vererbt, da er als Staatssekretär im Auswärtigen Amt Italiens tätig war und einen hohen Machteinfluss besaß, wie fast alle seine männlichen Vorfahren, die zum Hochadel der italienischen Gesellschaft gehörten.

»Was beschäftigt dich am frühen Morgen?«, hörte er die seidenweiche Stimme seiner Frau Chiara an seiner Seite.

»Nichts Besonderes«, lächelte Alessandro und legte seinen Arm um ihre Schulter. »Die Aussicht fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Hier kann ich Ruhe und Kraft tanken. Wird ein schwerer Tag heute.«

»Wann fliegst du nach Schanghai?«

»Um fünfzehn Uhr. Allerdings muss ich vorher noch ins Amt, um die restlichen Details zu besprechen. Monti legt, wie du weißt, großen Wert auf Perfektion. Aber bis dahin haben wir noch genug Zeit«, antwortete er und ging mit seiner Frau ins Speisezimmer.

Sie betraten den eleganten Salon, wo die Hausangestellten ein üppiges Frühstück für sie bereitet hatten. Alessandro und seine Frau nahmen an einem Tisch Platz, der sich direkt vor der Veranda befand und ebenfalls einen herrlichen Ausblick gewährte.

Er nahm einen Schluck Kaffee zu sich und spürte plötzlich ein leichtes Kribbeln, das sich von seinen Füßen aus auf seinen ganzen Körper ausdehnte, gleichzeitig jedoch eine gewisse Leichtigkeit in ihm verbreitete. Verdutzt schaute er auf seine Hand, die ihm im morgendlichen Licht der Sonne fast durchsichtig erschien. Er blickte genauer hin und erkannte das Blut, das durch seine Adern strömte. Er hörte einen leisen Schrei, hob seinen Kopf und sah in das vor Schreck erstarrte Gesicht Chiaras, die ihn mit weit aufgerissenen Augen entsetzt anschaute. Alessandro schob den Ärmel seines Morgenmantels nach oben und sah, dass sein Arm denselben Zustand aufwies wie seine Hand. Voller Panik entledigte er sich des Mantels und musste feststellen, dass sein ganzer Körper von diesem Phänomen betroffen war. Ein lautes Scheppern von zerbrechendem Porzellan brachte ihn wieder in die Realität zurück. Chiara war aufgesprungen, schrie nach Hilfe und eilte auf ihn zu. Sie legte ihre Hände um seinen Kopf und schrie etwas, was er jedoch nicht verstand und die Umgebung um ihn herum schien plötzlich wie in trüber Milch getaucht zu sein.

»Was geschieht hier mit mir?«, war sein letzter Gedanke als sich das Licht schlagartig auf einen Punkt zusammenzog und für immer erlosch.

 

*

 

Chiara Metello starrte fassungslos auf den seidenen Morgenmantel, der halb auf dem Stuhl lag, auf dem sich vor wenigen Sekunden noch ihr Mann befunden hatte. Alessandro hatte sich praktisch vor ihren Augen in Luft aufgelöst und war verschwunden. Chiara wurde schwarz vor den Augen und sank leblos in die Arme einer Hausangestellten, die auf ihren Hilferuf sofort in den Salon geeilt war. Sie rief nach dem Hausherrn, aber niemand antwortete und ihr fragender Blick fiel auf den dunkelblauen Morgenmantel, der ausgebreitet auf dem Boden lag.

 

 

4. Kapitel

 

»This is not how I am. I have become comfortably numb«, schallte es durch das alte Amphitheater von Pompeji. Diana Lenz blickte auf die, im Hintergrund projizierte irisierende Sonne, als David Gilmour zu seinem Gitarrensolo ansetzte. Hellgrüne Blitze der Lasershow zuckten durch die antike Stätte und durch das Einsetzen der Nebelmaschine erschien alles in einem diffusen Licht.

Ein Begeisterungssturm ging durch die Menge und Diana wurde durch die einmalige Atmosphäre angesteckt, die von diesem Ort ausging.

Sie war durch einen Artikel im Internet auf das Konzert von David Gilmour, welches in Pompeji stattfinden sollte, aufmerksam geworden und hatte sofort entschlossen, sich dieses Ereignis nicht entgehen zu lassen. Über einen ihrer Kontakte in Italien hatte sie eine der wenigen Karten ergattert und nun stand sie hier und lauschte den Klängen der tragenden Musik zwischen den nur dreitausend Zuschauern, da nur der Innenraum der Arena besetzt werden durfte. Als sie die Anfangssequenz des nächsten Stückes hörte, die durch das Drehen eines Frequenzrades an einem Radio eingeläutet wurde, wurden ihre Augen feucht und sie bekam Gänsehaut. Zu sehr verband sie »Wish you were here« mit Helena, die dieses Stück so sehr liebte. Tränen kullerten über ihre Wangen, als sie den Text mit den anderen Zuschauern mitsang und in ihren Gedanken war sie wieder im Jahr 312 n.Chr.

 

*

 

Sieben Monate waren es jetzt her, als sie aus ihrem Koma ähnlichen Schlaf erwacht war und sich ihrem Bruder Georg, zu dem sie mittlerweile wieder eine herzliche Beziehung pflegte, anvertraut hatte. Zunächst hatte er ihrer Schilderung der Ereignisse skeptisch gegenübergestanden, aber sie hatte ihn aufgrund von Fakten und Beweisen restlos von ihrer Anwesenheit in der Vergangenheit überzeugt. Nach einer Erholungsphase von sechs Wochen hatte sie ihr spezieller Alltag wieder eingeholt und Diana war zu einer Mission nach Libyen aufgebrochen, wo sie zu ihrem Erstaunen einem Team zugeteilt wurde, welches zur Bekämpfung einer professionellen Schleuserbande eingesetzt war, die Flüchtlinge mit Booten über das Mittelmeer verbrachte. Dort war sie für die Koordination zuständig, was eigentlich nicht zu ihrem Einsatzrepertoire gehörte. Sie arbeitete stets alleine und daher war sie sehr verwundert darüber, dass Blankenstein sie in einen solchen, für ihre Verhältnisse harmlosen Einsatz schickte. Als sie diesen beendet hatte und nun vor Blankenstein saß, wurde sie das Gefühl nicht los, dass es die Ruhe vor dem Sturm war. Scheinbar gleichgültig nahm ihr Vorgesetzter ihren Bericht entgegen.

»Sehen Sie die vergangene Aktion als so etwas wie eine Wiedereingliederung an«, schmunzelte er.

»Ich muss zugeben, dass mich das Ganze etwas irritiert«, antwortete Diana. »Fast könnte man denken, dass Sie mich in irgendeiner Art schützen wollen. Der Einsatz in Libyen war mehr als lächerlich und ich habe mehr Zeit am Pool verbracht, als ich im Einsatz war.«

»Man hat einen erfahrenen Agenten angefordert und ich dachte, nach all dem, was Sie durchgemacht haben, wäre das genau das Richtige für einen Wiedereinstieg für Sie. Ich weiß über Ihre Qualitäten mehr Bescheid als jeder andere und das wissen Sie auch. Aber ich brauche Sie im Vollbesitz Ihrer Kräfte. Sie waren, sagen wir es mal so, mehr als ein halbes Jahr außer Gefecht gesetzt und das hat auch körperlich ihren Tribut gefordert. Auch Sie können nicht von null auf hundert durchstarten und daher kam der Einsatz genau zur richtigen Zeit. Sie werden sich jetzt einen zweiwöchigen Urlaub gönnen und dann will ich Sie hier wieder in Hochform sehen«, grinste er.

Diana schmunzelte leicht. Eine solch lange Ansprache hatte sie von Blankenstein schon lange nicht mehr gehört und sie spürte, dass er sich mehr um ihren mentalen Zustand sorgen machte, als um ihre Fitness. Seit den Ereignissen in der Vergangenheit hatte sie selbst einen Wandel an sich feststellen müssen und dieser betraf tatsächlich ihren Gemütszustand. Sie empfand einen Zustand, den sie als Empathie lokalisierte und über den sie vor ihrer »Reise« praktisch nicht verfügte. Vor allem vermisste sie Helena, Aurora und Lydia, die sie als ihre Familie betrachtet hatte und selbst in ihren Träumen erschienen sie ihr.

Nach ihrem Gespräch mit Blankenstein war sie nach Hause gefahren und dort las sie im Internet vom Konzert David Gilmours in Pompeji. Und nun stand sie inmitten der Menschenmenge und genoss den Schlussakkord des Konzertes, während das Amphitheater in gleißend hellem Licht getaucht war.

 

*

 

Als die letzten Töne verklungen waren, bewegte sie sich in Richtung des Ausgangs, nahm sich ein Taxi und fuhr in ihr Hotel, das sich in Sorrento befand und einen herrlichen Ausblick auf den Golf bot.

Diana bestellte sich über den Zimmerservice eine Flasche Barolo und genoss auf der Terrasse ihres Zimmers den Blick auf das Lichtermeer des nächtlichen Neapels, wo im Hintergrund der Vesuv wie ein drohendes Fanal schemenhaft in der Dunkelheit zu erkennen war. Der Klingelton ihres Smartphones ertönte und bereits am Klang des Signals erkannte sie, dass ihr Urlaub ein abruptes Ende gefunden hatte.

»General Blankenstein. Ein Anruf von Ihnen zu so später Stunde bedeutet nichts Gutes.«

»Es tut mir leid, dass ich Sie stören muss, aber Ihre Anwesenheit hier erfordert höchste Priorität«, hörte sie seine belegte Stimme. »Bitte begeben Sie sich sofort zum Flughafen von Neapel. Ein Hubschrauber erwartet Sie dort und wird Sie direkt nach Pullach bringen. Eigentlich sollte ich diesen Anruf schon vor zwei Stunden tätigen, aber ich wusste, dass Sie sich so auf das Konzert gefreut hatten. Das konnte ich Ihnen nicht antun.«

Diana war nicht erstaunt darüber, dass Blankenstein genau wusste, wo sie sich befand. Jeder der Topagenten hatte einen Chip implantiert bekommen, sodass die Zentrale jederzeit im Bilde darüber war, wo sich ihre Leute gerade befanden. Und aus ihrem Faible für Pink Floyd hatte sie nie ein Hehl gemacht, zumal sie genau wusste, dass Blankenstein den gleichen Musikgeschmack hatte wie sie. Vielmehr war sie darüber erstaunt, dass extra ein Helikopter auf sie wartete. Die Sache musste mehr als ernst sein.

»Ich mache mich sofort auf den Weg. Das Konzert war übrigens superb. Schade, dass Sie es nicht erleben konnten. Und vielen Dank!«, sagte sie leise in den Hörer.

»Keine Ursache. Ich erwarte Sie dann in etwa drei Stunden.«

Diana packte rasch ihre Tasche, checkte aus und begab sich zum Flughafen, wo sie bereits von einem Agenten des MAD erwartet wurde. Diana stellte keine Fragen, da sie davon ausging, dass der Agent nicht über ihren bevorstehenden Einsatz unterrichtet war und setzte sich ins Cockpit des NH90, dessen Pilot sofort eine Starterlaubnis bekam.

 

*

 

Diana schaute aus dem Fenster und die atemberaubende Kulisse Neapels entschwand ihres Blickes. Zweieinhalb Stunden später landete die Maschine in München und Diana wurde von General Blankenstein persönlich erwartet.

»So dringend?«, fragte sie ihn, als sie aus der Maschine kletterte.

»Mehr als das«, antwortete er und aus seinem Gesichtsausdruck erkannte sie sofort, dass es um eine sehr ernste Sache gehen musste. Neben Blankenstein stand ein unscheinbarer Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war. Nachdem Blankenstein Diana begrüßt hatte, wand er sich dem Mann zu, der Diana neugierig musterte.

»Darf ich Ihnen Heinz Müller vorstellen? Er arbeitet an einem Projekt, das unmittelbar mit unserem Problem zu tun hat.«

»Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Frau Lenz«, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen und reichte ihr seine Hand zur Begrüßung. »General Blankenstein hat Sie in den höchsten Tönen gelobt und Sie sind die Einzige, die uns bei unserem plötzlich aufgetretenen Problem helfen kann.«

»Überschätzen Sie meine Fähigkeiten nicht, Herr Müller«, lächelte Diana.

»Wenn ich sage die Einzige, dann meine ich das genau so. Lassen Sie uns in General Blankensteins Büro fahren und dann erkläre ich Ihnen alles.«

 

*

 

Eine halbe Stunde später saßen die drei in Blankensteins Büro. Er servierte ihnen einen Cognac und steckte sich eine Zigarette an.

»Um welches Problem geht es?«, kam Diana direkt zur Sache.

»Lassen Sie mich zuerst eine Frage an Sie richten, Frau Lenz«, sagte der Mann in Schwarz. »Bedauern Sie es, dass Sie die Zeit Constantin des Großen wieder verlassen mussten?«

Diana wurde aschfahl im Gesicht und spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals.

»Wie haben sie davon … Georg?«, stammelte sie.

»Nein, Ihr Bruder hat kein Wort über das verloren, was Sie ihm vermutlich berichtet haben. Ich werde Ihnen jetzt eine Geschichte erzählen, wobei ich natürlich nicht erwähnen muss, dass der Inhalt dieses Gespräches diesen Raum nicht verlassen darf.«

Müller schilderte ihr in allen Einzelheiten über die Ereignisse in Nag Hammadi sowie die Planung ihres eigenen Werdegangs und Diana hörte ihm teils staunend, teils entsetzt zu, während Müller ihr ein paar Fotos der Ausgrabungsstelle herüberreichte, die sie ausgiebig betrachtete.

»Aus dem Pergament ging klar die Jahreszahl hervor, aus welcher der Besucher aus der Zukunft stammte. So wussten wir, dass Ihnen das Ganze im vergangenen Jahr passieren musste, aber nicht, was der Auslöser für dieses Ereignis war. Da Sie über keine Zeitmaschine verfügen, haben unsere Wissenschaftler eine, wenn auch abstrakte Möglichkeit in Erwägung gezogen, wie eine solche Zeitreise zustande kommen konnte. Die neuesten Forschungen auf diesem Gebiet erstrecken sich auf die Theorie der Parallelwelten, eines sogenannten Multiversums. Ich muss gestehen, dass diese Materie auch für mich und ich denke, das gilt für uns alle hier, schwer zu verstehen ist, wenn man nicht gerade eine Professur in Physik besitzt«, lächelte Müller. »Auf jeden Fall war es für unsere Spezialisten die plausibelste Erklärung, dass es sich um eine Zeitreise des Geistes gehandelt haben musste.«

»Deshalb haben Sie damals darauf bestanden, dass ich die Sitzung bei Doktor Rech besuchen sollte«, schaute Diana Blankenstein mit vor Zorn blitzenden Augen an.

»Ja«, antwortete er und schaute betreten zu Boden. »Aber wie Sie eben gehört haben, war es Ihr Schicksal, in die Zeit Constantins zu gelangen.«

»Und wir waren auf dieses Ereignis vorbereitet«, warf Müller ein. »Wir haben Sie die ganze Zeit während Ihrer geistigen Abwesenheit unter einer gewissen Kontrolle gehabt und haben Ihre Gefühlsmomente jederzeit überwacht, ja, manchmal haben wir sogar schemenhaft erkennen können, welche Ereignisse Sie gerade durchlebt haben.«

Diana wurde schlecht bei diesem Gedanken.

»Sie haben mich wie in einem Film beobachtet?«, fragte sie Müller mit fassungsloser Miene. »Meine intimsten Gedanken kontrolliert? Meine Gefühle wurden Ihnen offengelegt?«

»Nicht so, wie Sie denken. Ich sagte ja, manchmal haben wir schemenhaft etwas beobachten können und seien Sie versichert; Ihre Intimsphäre wurde jederzeit gewahrt. Frau Lenz, Sie sind Profi genug, um zu wissen, dass Sie einer ständigen Überwachung unterliegen. Der Umstand ist für Sie ja nichts Neues«, sagte Müller und schaute wie zufällig auf die Stelle an ihrem Oberarm, wo sich der implantierte Chip befand. »Aber lassen wir uns auf das Wesentliche zurückkommen, weswegen wir hier heute Abend sitzen. Frau Lenz, wir haben ein Problem und wir befürchten, dass dieses aus Ihrer Anwesenheit in der Vergangenheit resultiert.«

Diana schaute Müller mit versteinerter Miene an. Er hatte recht mit dem, was er gesagt hatte. Sie war Profi durch und durch und natürlich befolgte sie Befehle, die sie in aller Konsequenz erledigte, aber hier fühlte sie sich einfach nur wie eine Straßenhure benutzt. Gleichzeitig jedoch beunruhigte sie die Aussage von Müller, dass etwas aus dem Ruder gelaufen war.

»Reden Sie weiter«, forderte sie ihn knapp auf.

»Heute Morgen erreichte uns eine beunruhigende Nachricht, eine von mehreren in letzter Zeit, aber dieser Vorfall erregte insofern die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, da sie einen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Italiens betraf. Sein Name war Alessandro Metello und heute um zirka acht Uhr morgens verschwand Metello vor den Augen seiner Ehefrau, als er gerade sein Frühstück zu sich nehmen wollte.«

»Er verschwand?«, schaute Diana ihn mit fragendem Blick an.

»Er löste sich praktisch in Luft auf. Seine Frau jedenfalls schilderte den Vorgang genau so. Eine Hausangestellte erschien unmittelbar nach seinem Verschwinden, da sie durch den Schrei von Metellos Frau zur Hilfe eilen wollte. Alessandro Metello war verschwunden und nur noch sein Morgenmantel lag auf dem Boden. Wie ich schon eingangs erwähnte, war dies nicht der erste Fall und bis auf wenige Ausnahmen betraf dies ausschließlich italienische Staatsbürger.«

»Wie viele?«, fragte Diana mit tonloser Stimme.

»Einhundertachtundvierzig. Bis jetzt. Und nur die, von denen wir definitiv wissen. Es können noch weitaus mehr sein, aber erst durch das Verschwinden Metellos hat dieser Vorgang die höchste Priorität erhalten. Und wir wissen nicht, wie lange sich dieses, sagen wir, Phänomen fortsetzt. Es war für uns nur wichtig, dass Sie diese Reise unternehmen und glauben Sie mir, dass Letzte, was wir wollten, war, sie auszuspionieren. Wir mussten lediglich sicherstellen, dass Sie unversehrt aus dieser Geschichte herauskamen. Angesichts der neuen Situation ist es aber dringend erforderlich, dass wir alles, möglichst bis ins kleinste Detail erfahren, was sich damals zugetragen hat.«

»Sie vermuten, dass ich ein Zeitparadoxon geschaffen habe, nach dem Motto: Ich reise in die Vergangenheit, bringe meinen Opa um und existiere daher nicht. Aber da ist ein Denkfehler. Wenn ich im Jahr 312 ein Zeitparadoxon ausgelöst hätte, dann wäre Alessandro Metello gar nicht geboren worden, da seine Vorfahren bereits nicht existiert hätten. Wenn dem aber doch so ist, dann wäre meine Zeitreise parallel zu der unsrigen Zeit verlaufen.«

»Wobei wir wieder bei der Theorie des Multiversums wären. Frau Lenz, ich habe keine Ahnung, was geschehen ist, aber so abstrakt das ist; genau das sagen unsere Wissenschaftler und ist für sie die einzige Erklärung.«

Diana schaute auf ihre Hände. »Also gut, ich schildere Ihnen alles, was damals passiert ist. Irgendwo habe ich wohl tatsächlich ein Paradoxon geschaffen und dieses Ereignis müssen wir genau lokalisieren. Es muss etwas sein, das nicht von geschichtlicher Bedeutung war. Aber was passiert, wenn wir denken, dass wir die Ursache gefunden haben.«

»Dann werden Sie sich wieder in die Zeit begeben und das Paradoxon aus der Welt schaffen«, sagte Müller mit ernster Miene.

Diana wusste, dass Müller mit seiner Vermutung recht hatte. Als er den Namen Metello erwähnte, schrillten bei ihr sofort die Alarmglocken. Sofort hatte sie das jugendliche Gesicht von Lucius Metellus vor Augen, über dessen weiteres Schicksal sie nach der Schlacht an der Milvischen Brücke nichts wusste. Bei Alessandro Metello handelte es sich zweifellos um einen seiner Nachfahren und wenn sie wirklich für dieses auftretende Phänomen verantwortlich war, lag der Schlüssel in ihren Abenteuern verborgen, die sie damals erlebt hatte. Sie sparte sich ihre Frage auf, wie Müller es bewerkstelligen würde, ihren Geist wieder in die Vergangenheit zu schicken, aber ihr Herz machte einen kleinen Sprung vor Freude.

Blankenstein kochte ihnen einen starken Kaffee und Diana begann, ihre Geschichte zu erzählen.

 

 

5. Kapitel

 

Der Morgen graute bereits, als Diana ihre Schilderung der Ereignisse abschloss, aber keiner der beiden Männer zeigte irgendeinen Ausdruck von Müdigkeit auf dem Gesicht. Im Gegenteil: Sowohl Blankenstein als auch Müller hatten ihren Ausführungen gelauscht wie Kinder, denen man ein spannendes Märchen erzählt hatte.

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass Sie die Nachfolgerin von Scheherazade sind«, sagte Müller mit einem Lächeln auf den Lippen und goss sich die gefühlte zehnte Tasse Kaffee ein. »Nach all dem, was Sie uns geschildert haben, kann ich mir vorstellen, wie sehr Ihnen diese Menschen ans Herz gewachsen sind.«

Dabei hatte Diana ihnen natürlich nicht alles erzählt. Ihre sexuellen Erfahrungen gingen niemanden etwas an und sie hatte sich im Wesentlichen darauf beschränkt herauszufinden, wo sie den Fehler begangen haben könnte. Gleichzeitig hatte sie jedoch auch die emotionale Schiene nicht außer Betracht gelassen. Sie wollte bewusst hervorheben, dass sich die Menschen der Antike nicht so sehr von den heutigen unterschieden, vor allem, was den sozialen Aspekt betraf. Natürlich war es eine andere Zeit mit anderen Moralvorstellungen und die Kluft zwischen Arm und Reich war viel größer, als dies heute der Fall war, aber im Grunde genommen bewegten die Leute damals dieselben Probleme wie in ihrer Gegenwart, nur auf einer anderen Ebene.

»Das stimmt«, antwortete Diana auf Müllers Feststellung. »Besonders zu Helena hatte ich eine besondere Beziehung. Aber wir müssen zunächst analysieren, was der Auslöser des Paradoxons gewesen sein könnte.«

»Ich glaube, die Kampfhandlungen im Allgemeinen können wir ausschließen«, sagte Blankenstein. »Im Laufe einer Schlacht ergeben sich so viele Möglichkeiten und Gelegenheiten, dass auch diejenigen, die Sie getötet haben, ohnehin das Schlachtfeld nicht lebend verlassen hätten. Auch Ihre recht gewagte »Erfindung« der Hellebarde fällt unseres Erachtens nach nicht so sehr ins Gewicht. Viele technische Errungenschaften, welche die Römer erfunden hatten, sind nach dem Fall des römischen Imperiums schnell in Vergessenheit geraten. Man denke nur an die der Medizin und der Architektur. Ich denke, dass wir einer Meinung sind, dass es ein Ereignis gewesen sein muss, welches weitreichendere Folgen hinterlassen hat. Gehen wir am besten chronologisch vor und beschäftigen wir uns mit dem Angriff auf das Dorf, den Sie letztendlich vereitelt haben.«

Dianas Gedanken schweiften zu ihrem Eintreffen an den Ort zurück, an dem das Ganze begonnen hatte. Damals war sie auf Julia und Tullius den Schmied getroffen und hatte ihnen dabei geholfen, einen Überfall auf deren Dorf abzuwehren.

»Das wäre eine Möglichkeit. Wahrscheinlich wären die Dorfbewohner getötet worden und die Angreifer wären mit ihrer Beute abgezogen, wie schon in den anderen Fällen vorher. Dann wäre die Verschwörung nicht durch mich aufgedeckt worden, aber dieser eigentlich unbedeutende Vorfall hätte nicht dazu geführt, dass ein Anschlag auf Crispus und Helena durchgeführt wurde. Helena ist nur aufgrund meines Auftauchens am Hofe Constantins in die Therme gegangen und alles andere war praktisch Folge des missglückten Anschlags. Ich habe in Trier nur Theophanos und diesen namenlosen Attentäter getötet und diese hatten keine Familie, ebenso wenig wie Demosthenes, den Bruder von Theophanos und den Majordomus im Haus des Valentinus, den ich ebenfalls zur Strecke gebracht habe. Von den beiden Straßenräubern, die sie zur Unterstützung angeheuert hatten, will ich gar nicht reden. Die wären eh irgendwann in den Gassen von Turin ums Leben gekommen. Nein, ich denke, dieses Ereignis können wir ausschließen. Wir müssen die Sache anders angehen. Sie dürfen nicht vergessen, ich war Teil der Geschichte und alles ist so eingetroffen wie es sein sollte. Das Dorf, meine Anwesenheit am Hof des Kaisers, der Gewinn Seines und Helenas Vertrauen in meine Person wegen der Rettung beider Leben, der Marsch auf Rom et cetera. Nein, es muss etwas anderes gewesen sein, eine relative Kleinigkeit, ein Geschehen am Rande der großen Ereignisse.«

»Aurora«, hörte sie die leise Stimme Müllers und dieser Gedanke beschäftigte sie schon die ganze Zeit, ohne ihn aussprechen zu wollen.

»Sie haben ihr wahrscheinlich das erste Mal das Leben gerettet, als Sie auf die Kleine und ihren Vater stießen. Ohne Sie hätte sie das Fieber wahrscheinlich nicht überlebt. Und selbst wenn es so gewesen wäre, was wäre weiter passiert? Rufus und Aurora wären zu seiner Familie gestoßen, Aurora hätte eine Kindheit in Armut verbracht, wäre verheiratet worden und höchstwahrscheinlich früh und vergessen gestorben. Aber durch Ihre Intervention ist ihr Leben in völlig andere Bahnen geraten. Sie haben Aurora unter Ihre Fittiche genommen und sie praktisch an den kaiserlichen Hof gebracht, wo sie nun unter der Obhut von Lydia stand und vor allem Helena sich ihrer angenommen hat. So, wie Sie diese Frau schildern, hat sie sich mit Sicherheit weiter um sie gekümmert. Leider geht das aus dem Pergament, das Eissing gefunden hat, nicht hervor. Sie wird, durch Ihre Intervention, ein ganz anderes Leben geführt haben, als es ihre eigentliche Bestimmung war. Die Person Aurora ist für mich Favorit.«

»Das war auch mein erster Gedanke«, murmelte Diana. »Aber wenn es so ist; verlangen Sie etwa von mir, dass ich das Mädchen, das für mich wie meine Tochter war, einfach ausschalte?«

Die beiden Männer blicken betreten zu Boden.

»Lassen wir uns zunächst andere Möglichkeiten ausloten«, sagte Blankenstein in die eintretende Stille.

Sie diskutierten über weitere Aspekte und Möglichkeiten wie über die Rolle von Lucius Metellus und auch über Marcus, den verräterischen Neffen von Sulpicius Valentinus, dem Tuchhändler aus Trier. Aber schnell verwarfen sie diesen Verdacht wieder. Marcus wäre mit Sicherheit durch die Agenten Constantins nach dessen Machtergreifung enttarnt und beseitigt worden. Diana hatte lediglich die Sache verkürzt. Und was Lucius Metellus betraf; er hätte ohnehin überlebt, so wie sie Constantins Charakterzüge analysiert hatten.

»Also müssen wir uns auf Aurora konzentrieren«, sagte Diana mit niedergeschlagener Stimme.

»Es muss ja nicht so sein, dass sie selbst der Grund allen Übels ist«, sagte Blankenstein. »Es kann und ich denke, dass es mit ihrem direkten Umfeld zu tun hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Mädchen zu einer killenden Amazone mutiert ist; nicht in dieser Gesellschaft, in der sie wohl aufgewachsen ist.«

»Das glaube ich auch nicht, oder besser, ich hoffe es nicht.« In Dianas Stimme klang etwas Hoffnung. »Nicht, wenn Helena und Lydia sie erzogen haben. Aber wer weiß schon, was sich damals nach meiner Rückkehr abgespielt hat.«

»Über Lydia wissen wir nichts. Die ist in der Geschichte verschwunden. Aber über Helena. Wenn auch nicht viel; bis heute jedenfalls«, lächelte Müller und machte Diana wieder Mut. »Sie hätte es niemals zugelassen, dass Aurora in irgendeiner Art und Weise auf die schiefe Bahn geraten wäre. Wenn alles normal verlaufen ist, wird aus dem Kind Aurora eine gebildete und kultivierte Frau geworden sein, die sich in den höchsten Kreisen bewegt hat. Und da sehe ich den Ansatzpunkt. Etwas anderes haben wir nicht und dort müssen sie ihre Ermittlungen ansetzen.«

»Sie haben wirklich vor, mich beziehungsweise meinen Geist wieder in die Zeit zurückzuschicken«, stellte Diana nüchtern fest.

»Was Ihnen, wenn ich richtig vermute, sehr entgegenkommt«, schmunzelte Müller.

»Das kann und will ich nicht abstreiten«, lächelte nun auch Diana. »Aber wie wollen Sie das bewerkstelligen? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hatten Sie mit meinem Zeitsprung eigentlich nichts direkt zu tun. Sie haben lediglich gewusst, dass er stattfindet und etwas darauf eingewirkt.«

»Wir haben einen Plan, um Ihre Rückreise in die Zeit zu ermöglichen. Wir kennen nun den Auslöser und wissen, dass Sie oder besser ihr Geist dazu in der Lage ist. Also haben wir ein Experiment mit Ihnen vor. Ob es funktioniert …? Das wissen selbst unsere Wissenschaftler nicht. Aber es ist unsere einzige Chance, die Sache wieder zu korrigieren. Ihr Geist ist während einer Rückführung mit Doktor Rech praktisch kollabiert und hat zu diesem Phänomen geführt. Wir haben vor, dass Ganze zu wiederholen, allerdings werden wir versuchen, Einfluss auf das Ankunftsdatum zu nehmen. Wir wissen nicht, warum Sie gerade in diese Zeit zurückgefallen sind. Der Auslöser des Ereignisses hatte, soweit wir wissen, nichts mit der Zeitepoche zu tun.«

»Nein, überhaupt nichts. Der Auslöser war gewissermaßen ein ethischer Konflikt, in dem ich mich befunden habe.«

»Daher wollen wir versuchen, Ihr Bewusstsein dahin gehend zu steuern, dass Sie in der richtigen Epoche landen. Wir haben das Jahr 324 n.Chr. ausgesucht und wie sich nun herausstellt, unbewusst ins Schwarze getroffen. Aurora müsste dann etwa sechzehn Jahre alt sein. Damit wäre sie, nach römischen Verhältnissen, bereits in einem heiratsfähigen Alter und wenn wir davon ausgehen, dass nicht sie, sondern ihr soziales Umfeld mit dem Zeitparadoxon zu tun hat, könnte es die richtige Zeit sein, wo Sie den Hebel ansetzen können. Außerdem spielten sich in diesem Jahr einige wichtige Ereignisse ab. Es war das Entscheidungsjahr über die Gesamtherrschaft über das römische Imperium, in dessen Verlauf Constantin seinen Widersacher Licinius entscheidend geschlagen hat. Zudem kommt die Pilgerfahrt Helenas nach Jerusalem hinzu, bei der wir vermuten, dass diese nach der Inthronisierung ihres Sohnes stattgefunden hat, quasi eine Art Propagandaaktion für den neuen Herrscher. Aber das Datum dafür ist nicht genau überliefert.«

»Das würde den beiden ähnlichsehen«, schmunzelte Diana. »Auf diesen Aspekt hat er schon bei meiner Anwesenheit großen Wert gelegt.«

»Bei dieser Gelegenheit muss es auch zu der Grundsteinlegung bei Nag Hammadi gekommen sein, obwohl die Chronisten über einen Abstecher Helenas nach Ägypten nichts berichtet haben. Aber wie ich schon erwähnte, waren die Informationen über Helena bislang recht spärlich. Man wusste nicht viel über ihr Leben, aber das hat sich ja nun grundlegend geändert. Kommen wir auf das Wesentliche zurück. Über dieses Jahr gibt es eine relative Fülle von Aufzeichnungen. Diese haben wir zusammengefasst und werden Ihnen, wenn Sie den Zustand erreichen sollten in dem Sie sich schon einmal befanden, als eine Art Reizüberflutung in Ihr Unterbewusstsein steuern. Auf diese Weise hoffen wir, dass wir in etwa eine Punktlandung hinbekommen. Ob uns das gelingt weiß niemand. Aber es ist unsere einzige Chance.«

»Wer stellt sicher, dass mein Gehirn durch die von Ihnen angestoßene Reizüberflutung keinen Schaden nimmt?«, fragte Diana geradeheraus.

»Sie stehen ständig unter Kontrolle und wenn Sie, wie sage ich es, »angekommen« sind, werden wir uns komplett zurückziehen.«

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«

»Wir werden versuchen, einen etwaigen Schaden auf ein Minimum zu reduzieren. Ein solches Experiment wurde noch niemals durchgeführt und wir betreten völliges Neuland. Eine Garantie kann ich Ihnen nicht geben«, stellte Müller klar. »Frau Lenz, niemand wird Sie zwingen, sich auf das Ganze einzulassen. Sie sind zwar Angehörige des MAD, aber das geht über einen normalen Einsatz weit hinaus und wir haben volles Verständnis, wenn Sie das Risiko scheuen.«

Diana grinste ihn an: »Sie wissen ganz genau, dass ich das Risiko nicht scheue. Bei jedem meiner Einsätze, bis auf den letzten vielleicht«, und schaute dabei Blankenstein schräg von der Seite an, »setze ich mein Leben aufs Spiel. Mir behagt nur der Gedanke nicht, bis zum Ende meiner Tage als psychisches Wrack dahinzuvegetieren. Aber es bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig. Es fängt mit hundertachtundvierzig an und endet vielleicht mit Millionen, wenn überhaupt. Wann fangen wir an?«

»Zunächst werden Sie Ihre Geschichte wohl noch öfters erzählen müssen. Ihre Informationen und Erkenntnisse aus erster Hand sind für die Wissenschaft Gold wert und werden dem hinzugefügt, was uns durch die Chronisten bereits bekannt ist. Gleichzeitig werden Sie mit den schon vorhandenen Informationen gefüttert, sodass Sie bestens vorbereitet dort ankommen werden. Wir wollen so wenig wie möglich dem Zufall überlassen.«

»Wie wollen Sie meinen Ankunftsort, wenn das Experiment gelingt, bestimmen?«

»Das können wir nicht. Wir können nur hoffen, dass er nicht allzu weit von Ihrem Einsatzziel entfernt ist. Wir wissen ja auch nicht, wo sich dieses befindet. Das müssen Sie vor Ort herausbekommen. Sie müssen zunächst Helena finden und dann werden Sie auch über Auroras Aufenthaltsort Bescheid wissen. Gott sei Dank haben wir eine bedeutende historische Person als Anlaufstelle, ansonsten wäre es die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen.«

 

*

 

Nach der anstrengenden Nacht fuhr Diana gegen Mittag in ihre Wohnung und ließ sich erst einmal ein heißes Bad ein. Eingehüllt von Schaum und einem kalten Glas Prosecco lag sie entspannt in der Wanne und zog ein erstes Resümee, wobei ihr der Inhalt des Pergaments leichte Kopfschmerzen bereitete. Wenn ihre zweite Zeitreise tatsächlich gelungen war, warum hatte Helena sie in ihrem Papyrus nicht erwähnt? Denn das musste sie vermuten, da Müller und Blankenstein ihr den Inhalt des Textes nicht gezeigt hatten, wohl aus dem Grund, um sie nicht zu beunruhigen.

Eigentlich gab es nur eine Erklärung: Das Experiment war misslungen und sie hatte nie ein zweites Mal diese Zeitebene erreicht. Aber diesen Gedanken schob sie zur Seite. Zu groß war die Verführung, dass sie die Chance bekommen sollte, ihre »Familie« wiederzusehen und dafür war ihr kein Risiko zu groß. Es konnten sich auch andere Umstände aufgetan haben, warum Helena dies unterlassen hatte. Diana schloss ihre Augen und genoss die Stille, die sie umgab. Niemals zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so zufrieden und glücklich gefühlt wie in der Vergangenheit und sie hätte jede Möglichkeit genutzt, dorthin zurückzukehren.

Sie stieg aus der Wanne, summte »Every breath you take« von Police und frottierte sich ab. Anschließend ließ sie sich in ihr Bett fallen und schlief fast sofort ein. Im Halbschlaf sah sie die Gesichter von Helena und Lydia vor sich und ein zufriedenes Lächeln stahl sich um ihre Lippen.

 

 

6. Kapitel

 

Das Läuten der Türglocke riss Diana am nächsten Morgen unsanft aus ihren Träumen und sie schlich, nur mit einem Morgenmantel bekleidet und noch recht verschlafen zu ihrer Haustüre. Sie staunte nicht schlecht, als sie die Tür öffnete und ihr Blick auf Müller fiel, der mit einer Brötchentüte in seiner Hand im Rahmen stand.

»Sie hatte ich um diese Uhrzeit am allerwenigsten auf dem Schirm«, gähnte sie und ließ ihren frühen Gast eintreten.

»Es ist neun Uhr«, grinste er und betrat die Wohnung.

»Haben Sie eigentlich auch einen richtigen Vornamen«, fragte Diana ihn mit missmutiger Stimme, während er ihr ins Wohnzimmer folgte. »Heinz Müller ist ja wohl ein schlechter Scherz.«

»Sie können mich auch Sebastian nennen«, lachte er, »aber der Nachname bleibt.«

»Schon gut. Sie können uns schon mal einen Kaffee kochen während ich mich frisch mache. Die Maschine steht dort hinten«, nuschelte sie und zeigte auf einen Kapselautomaten, der sich auf der Arbeitsplatte befand, während sie in Richtung Bad verschwand. Müller schaute ihr nach und sein Blick glitt über ihre schlanke Figur, die von einem seidenen Morgenmantel umhüllt war.

»Und das nächste Mal ziehe ich einen Frotteemantel an«, hörte er ihre nun belustigte Stimme, als sie die Tür zum Badezimmer schloss. Müller musste grinsen und legte zwei Kapseln in die Maschine. Nach kurzem Suchen fand er Teller, Tassen und etwas Aufschnitt, während er aus dem Bad das Rauschen der Dusche hörte.

Dabei hatte er kurz Dianas Körper ohne ihren Morgenmantel vor Augen. Eine schöne Frau und zudem noch äußerst intelligent, dachte er bei sich, als das Geräusch der Dusche verstummte. Kurze Zeit später kam Diana mit Jeans und T-Shirt bekleidet aus dem Bad. Sie schnupperte den Geruch des frisch gekochten Kaffees und beide ließen sich zum Frühstück nieder.

»Sie wollten mich doch bestimmt nicht nur mit frischen Brötchen überraschen«, fragte sie ihn, während sie eine Hälfte mit einer Nussnougatcreme bestrich.

»Nicht nur. Ich wollte Ihnen den Einstieg in den Tag versüßen. Heute beginnt unsere Mission und dazu muss ich Sie leider entführen.«

»Dachte ich mir schon«, antwortete Diana und trank einen Schluck Kaffee. »Meine Sachen habe ich schon gepackt. Wo geht es hin?«

»Wir haben ein Haus in der Nähe des Schliersees ausgesucht, welches schön abgelegen liegt. Unser Wissenschaftsteam ist schon vor Ort, sodass wir direkt loslegen können. Dort ist man schon sehr gespannt auf Sie.«

»Kann ich mir vorstellen«, kaute sie auf ihrem Brötchen herum. »Für die Egg Heads muss ich so eine Art Alien sein.«

Müller lachte laut auf. »Ganz so ist es wohl nicht, aber es kommt der Sache schon sehr nahe. Wann hat man schon die Gelegenheit, einen Zeitzeugen aus der Antike zu befragen.«

 

*

 

Nachdem sie gefrühstückt hatten, holte Diana ihren Trolley und die beiden machten sich auf den Weg ins Voralpenland. Müller hatte nicht zu viel versprochen, als er von einem abgelegenen Haus berichtet hatte. Ihr Aufenthaltsort für die nächsten Tage war ein wunderschöner Berghof, und als sie auf die Terrasse ihres Zimmers trat, empfing sie ein fantastischer Ausblick auf den Schliersee.

»Ein herrliches Panorama«, hörte sie Sebastians Stimme, der ganz Gentleman ihren Koffer nach oben getragen hatte.

»Ja, das muss man schon sagen«, antwortete sie. »Eigentlich hatte ich einen Bunker mit Stacheldrahtverhau und grimmig dreinschauendem Wachpersonal erwartet.«

Müller lachte leise auf. »Die Idylle täuscht etwas. Natürlich ist das Gebäude …«

»Bewacht«, ergänzte Diana mit einem spöttischen Grinsen. »Ich habe das Aufblitzen eines Zielfernrohres wohl bemerkt und ein Objekt des MADs wird immer geschützt. Sie vergessen anscheinend, dass ich vom selben Verein bin.«

»Nicht im Geringsten, gnädige Frau«, frotzelte Müller und beide mussten lachen.

»Wenn Sie sich eingerichtet haben, melden Sie sich bitte unten. Die Herrschaften sind erpicht darauf, Sie kennenzulernen.«

»Geben Sie mir eine halbe Stunde. Ich komme dann hinunter.«

 

*

 

Diana betrat einen großen Konferenzraum und die Blicke aller Anwesenden richteten sich sofort auf sie. Ein großer Mann trat auf sie zu und begrüßte sie herzlich.

»Schön, Sie wiederzusehen, Frau Lenz«, hieß Doktor Rech sie willkommen.

»Hallo Doc. Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen wiedergetroffen«, lächelte Diana ihn an.

Müller machte sie nun mit den anwesenden Wissenschaftlern bekannt.

»Herr Doktor Ulrich Esters«, stellte er einen Mann in mittlerem Alter vor. »Sein Fachgebiet ist die Spätantike. Frau Doktor Inge Paulus, eine Kollegin von Doktor Rech auf dem Gebiet der Psychiatrie und Doktorin für Naturheilkunde. Wolfgang Schwahlen, seines Zeichens Militärhistoriker sowie Dekan Engelskirchen als Vertreter der Römisch-katholischen Kirche aus Rom. Dies sind die Personen, die Sie auf den nötigen Wissensstand bringen, das heißt, die Sie auf die Ereignisse im Jahr 324 n.Chr. vorbereiten sollen. Umgekehrt ist Ihr gesammelter Erfahrungsschatz natürlich für sie von unschätzbarem Wert.«

Diana schaute in die teils skeptisch schauenden Mienen der anwesenden Personen.

»Verzeihen Sie uns bitte unser Misstrauen, aber als wir über den Fall unterrichtet wurden, konnten wir Ihre Geschichte kaum glauben«, sagte Engelskirchen, worauf Schwahlen und Esters nickten.

»Das kann ich voll und ganz verstehen«, antwortete Diana ihm in fehlerfreiem Latein. »Das Latein, welches Sie verwenden, entspricht nicht ganz dem, wie es zur Zeit der Spätantike gesprochen wurde«, lächelte sie, als sie in der Sprache fortfuhr und amüsiert den verblüfften Gesichtsausdruck des Manns aus Rom studierte.

»Sie sind wirklich mit Helena zusammengetroffen?«, fragte er fast ehrfürchtig.

»Ja. Sie war mir eine gute Freundin und ich hoffe, dass ich sie mit Ihrer aller Hilfe bald wiedersehen werde.«

»Ich möchte Ihnen am liebsten tausend Fragen gleichzeitig stellen«, meldete sich Dr. Esters.

»Sie werden genug Zeit füreinander haben«, bemerkte Müller nun. »Dafür sind wir schließlich hier.«

 

*

 

In den folgenden Tagen wurde Diana mit Fragen bestürmt und immer wieder musste sie alle Einzelheiten ihrer Reise berichten. Engelskirchen war erpicht darauf, alles über die Frühkirche in Erfahrung zu bringen, während sich Esters für alles interessierte, was das allgemeine Leben in der Zeit betraf. Als Diana über ihren Werdegang in der Garde Constantins berichtete und dass sie eine Legion im Rang eines Legaten ins Feld geführt hatte, wurde Schwahlen fast ohnmächtig. Als sie ihm dann noch berichtete, dass sie Maxentius an der Milvischen Brücke eigenhändig getötet hatte, geriet er völlig aus der Fassung.

Er fragte sie die halbe Nacht über die Taktiken, Schlachtordnungen, Truppenteile und über deren Bewaffnung aus.

Nachdem sie ihnen fast alle Fragen beantwortet hatten, gingen sie zu dem Teil über, der sie selbst betraf. Schwahlen berichtete ihr über die Schlachten im Jahr 324, deren bekannten angewandten Taktiken und über deren Ausgänge und Engelskirchen gab Auskunft über die bekannten Begebenheiten der Pilgerreise Helenas ins Heilige Land, während Esters sie noch etwas über die Gepflogenheiten schulte, obwohl ihr diese bestens bekannt waren. Frau Dr. Paulus gab ihr indessen Nachhilfe in der Naturheilkunde, deren Wissen sie bestimmt benötigen würde.

Nach einer Woche hatten sie alle Informationen ausgetauscht und Diana suchte Müller auf, der sich in dieser Zeit recht rar gemacht hatte.

»Ich glaube, wir sind durch«, teilte sie ihm mit, als sie zusammen das Mittagessen einnahmen.

»Ich habe mit ihren Gesprächspartnern gesprochen und diese sind ebenfalls der Meinung. Wenn ich das Leuchten in deren Augen richtig gedeutet habe, haben Sie ihnen wertvolle Erkenntnisse überbracht.«

»Besonders Engelskirchen war begeistert und hat mir Löcher in den Bauch gefragt«, grinste sie. »Wann können wir loslegen? Ich brenne darauf, wieder in den Einsatz zu gehen.«

»Gönnen Sie sich noch drei Tage. Bis dahin haben wir alle Vorbereitungen getroffen und Sie können sich mental auf Ihre Aufgabe vorbereiten. Nervös?«

»Wie ein Rennpferd vor dem Start«, beantwortete Diana seine Frage. »Und gleichzeitig Vorfreude. Kann ich Georg kontaktieren?«

»Natürlich. Er hat eine so hohe Geheimhaltungsstufe; da sehe ich kein Problem.«

»Gut. Dann mache ich mich gleich auf nach München und bereite mich auf das Unternehmen vor. Wir sehen uns dann in drei Tagen.«

 

*

 

Diana verabschiedete sich von Müller sowie den anderen und machte sich auf den Weg zurück in die bayerische Landeshauptstadt.

Dort fuhr sie schnurstracks zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen, nahm eine Maschine nach Köln und stand am späten Nachmittag vor Georgs Haus, dem sie vorher in einer WhatsApp-Nachricht ihr Kommen avisiert hatte.

»Sehnsucht nach deinem alten Bruder?«, begrüßte er sie herzlich und umarmte seine Schwester.

»Das auch«, lächelte sie, »aber der eigentliche Grund meines Kommens ist ein anderer.«

Sie erzählte ihm ausführlich von den Ereignissen der letzten Tage und Georg hörte ihr schweigend zu.

»Ich habe von dem Verschwinden der Leute gehört«, sagte er, als sie ihre Schilderung beendet hatte, »und ich hatte so meine Vermutung. Du gehst also wieder zurück!«, stellte er fest.

»Ja und ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten.«

»Trotz der Risiken?«, wandte Georg ein.

»Derer bin ich mir bewusst.«

Sie teilte Georg ihre Bedenken wegen der Nichterwähnung in Helenas Pergament bezüglich ihres zweiten Aufenthalts mit.

»Das kann tausend andere Gründe haben«, sagte er lapidar.

»Und das ist meine Hoffnung. Aber sei es wie es ist. Ich habe mich entschieden und wollte dich auf jeden Fall vor meiner Abreise ins Ungewisse noch einmal treffen«, lächelte Diana ihn an.

Die beiden verbrachten zwei unbeschwerte Tage miteinander und schließlich hieß es Abschied nehmen.

»Pass gut auf dich auf«, sagte Georg, als er seine Schwester in den Arm nahm und herzlich drückte. »Und viel Erfolg.«

»Mach ich, großer Bruder«, flüsterte sie. »Ich schaffe das schon.«

Diana schnappte sich ihren Trolley und ging zu dem bereits wartenden Taxi, das sie zum Flughafen Köln/Porz brachte.

 

*

 

Diana lag in einem abgedunkelten Raum, etliche Messgeräte waren an ihrem Körper befestigt und sie lauschte der Stimme von Dr. Rech.

»Wir werden dasselbe Procedere durchführen wie beim letzten Mal. Dieselben Fragen und derselbe Ablauf. Sie hatten uns geschildert, dass Sie auf das spezielle Ereignis in der Vergangenheit erneut reagiert haben.«

»Ja, das ist richtig. Da es sich ziemlich am Ende meines Aufenthaltes ereignete, halte ich es für möglich, dass die Spannungen, oder Schwingungen, ganz wie sie wollen, in meinem Geist zugenommen haben und ich deshalb so empfindlich reagierte. Zu diesem Zeitpunkt stand ich unter einer seelischen Belastung und das kann die Ursache für meine Ohnmacht gewesen sein.«

Absolute Ruhe legte sich über den Raum und nur Dr. Rechs ruhige Stimme war in der Stille zu vernehmen. Gespannt beobachteten Esters, Engelskirchen und Schwahlen das Geschehen an ihren Monitoren. Irgendwie erwarteten sie wohl, dass bläuliche Blitze durch den Raum zucken würden, wenn Diana sich auf ihre spezielle Reise begeben würde, aber alles blieb ruhig. Der Raum war lediglich in ein dunkelgrünes Dämmerlicht getaucht und man hörte die monotone Stimme von Rech.

»Atmen Sie tief und ruhig ein und aus, ein und aus, ein und aus«, sagte Rech in leisem Tonfall. Man konnte spüren, wie sich Dianas Körper entspannte und ihr Bauch sich unter ihren ruhigen Atemzügen hob und senkte.

»Wir gehen fünf Jahre zurück. Was erleben Sie gerade?«

»Ich komme von einem Einsatz zurück und erstatte Blankenstein Bericht über ein Terrorlager des IS. Zwei deutsche Frauen habe ich dort herausgeholt und den irakischen Sicherheitskräften übergeben.«

»Ein schönes Gefühl?«

»Ja, ungemein befriedigend«, sagte Diana leise.

»Gehen wir weitere fünf Jahre zurück.«

Dianas Miene wurde angespannter.

»Ruhig weiter ein- und ausatmen, ein und aus«, wirkte Rech beruhigend auf sie ein.

»Wir stehen unter Beschuss in Mumbai. Terroristen haben Anschläge auf Hotels begangen, in denen sich deutsche Staatsbürger befinden. Es gibt viele Tote.«

»Weitere fünf Jahre zurück«, erklang die leise Stimme von Rech.

Alle hielten den Atem an und die Nerven der Anwesenden waren bis zum Zerreißen gespannt. Dianas Augenlider fingen an zu flattern.

»Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?«, schrie sie plötzlich und ihr ganzer Körper erbebte.

»Ich will das nicht noch einmal erleben. Warum tun Sie mir das an?«

»Was sehen Sie?«, fragte Rech mit immer noch ruhiger Stimme und nickte einer Assistentin zu, die damit begann, Dianas Gehirn mit der Reizüberflutung der gesammelten Aufzeichnungen über das Jahr 324 zu überschütten.

»Ich bin kein Monster! Ich habe das nicht gewollt! Kinder sind …«, kreischte sie und ihr Körper bäumte sich erneut auf, um kurz darauf wie ein Ballon, dem man plötzlich die Luft entzogen hatte, in sich zusammen zu fallen. Rech setzte die Injektionsnadel und spritzte ihr das Mittel, das sie schon vor einem halben Jahr in der gleichen Situation erhalten hatte.

Dianas Körperfunktion sanken auf ein Minimum herab, waren aber gleichzeitig stabil.

»Genau derselbe Zustand wie damals«, resümierte Rech. »Sie hat es, denke ich, geschafft.«

»Jetzt fragt sich nur, ob auch alles andere so funktioniert, wie wir es geplant haben«, sagte Müller, der aus dem Dunklen hervorgetreten war.

 

 

 

Ankunft

 

 

1. Kapitel

 

Diana schlug fröstelnd die Augen auf und ihr Körper zog sich vor Kälte zusammen. Im Gegensatz zu ihrer ersten Reise wusste sie sofort, was geschehen war. Sie befand sich nicht mehr in dem Haus am Schliersee, sondern wieder in der freien Natur. Fast augenblicklich setzten ihre Sinne ein und sie spürte wieder das Besondere, Einzigartige, Fremde und zugleich doch so Bekannte. Ihr war kalt, bitterkalt und der eisige Wind gepaart mit kräftigem Regen, der wie kleine, eisige Nadelstiche auf ihren Körper prasselte, ließ sie erschauern.

Der Zeitsprung war gelungen, das war ihr sofort bewusst. Sie richtete sich leicht auf und inspizierte vorsichtig ihre Umgebung. Wie schon damals konnte sie keine Menschenseele erspähen, nur das Geplätscher des nahen Flusslaufes kam ihr bekannt vor.

Das ist doch nicht möglich, dachte sie und ließ sich auf allen Vieren nieder. Wieder war sie nackt, aber dieser Umstand erstaunte sie diesmal nicht sonderlich. Vorsichtig schlich sie in die Richtung des Flusses und erkannte schlagartig, dass sie sich an derselben Stelle wie vor über einem Jahr befand.

Hier muss irgendeine Anomalie im Raum-Zeitgefüge herrschen, dachte sie, während sie ihre Arme um ihren nackten Körper schlug und ihn rieb. Das Ganze konnte kein Zufall sein. Aber es hatte einen durchaus positiven Aspekt. Sie wusste genau wo sie sich befand und war mit der Umgebung vertraut.

»Zunächst brauche ich wie damals etwas zum Anziehen und zwar so schnell wie möglich, sonst hol ich mir hier den Tod«, sagte sie zu sich und wandte sich in die Richtung des kleinen Dorfes, in dem sie damals fast eine Woche verbracht hatte.

Diana schlug den geraden Weg dorthin ein und schon nach kurzer Zeit erblickte sie die kärglichen Hütten des Weilers. Eine der Behausungen stach ihr besonders ins Auge und ein warmes Lächeln umspielte ihre vor Kälte blauen Lippen.

Mittlerweile war das fahle Tageslicht fast verschwunden und die Dämmerung trat ein. Vorsichtig näherte sie sich der Hütte und beobachtete ihre Umgebung. Nach einiger Zeit öffnete sich die Türe des kleinen Hauses und eine weibliche Gestalt verließ das Gebäude.

 

*

 

»Wohin willst du wieder?«, hörte sie die herrische Stimme eines Mannes, der offensichtlich stark angetrunken war.