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Die Rebellen konnten einen Sieg für sich verbuchen, der jedoch durch die I.S.P. gedämpft wird. Admiral Santana Pendergast versucht alles, die Gefangenenlager aufzulösen und die Geiseln zu befreien. Unterstützung erhält sie dabei von Irina Petrova. Gleichzeitig bricht die HYPERION zu einem neuen Auftrag auf, der Präsident Sjöberg schmerzhaft treffen soll. Dies ist der zehnte Roman aus der Serie "Heliosphere 2265" Am 01. November 2265 übernimmt Captain Jayden Cross das Kommando über die Hyperion. Ausgerüstet mit einem neuartigen Antrieb und dem Besten an Offensiv- und Defensivtechnik, wird die Hyperion an den Brennpunkten der Solaren Union eingesetzt.
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Seitenzahl: 167
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Table of Contents
»Zwischen Himmel und Hölle«
Sol-System, Terra, Hochsicherheitsgefängnis in Kanada, 07. September 2266, 22:30 Uhr
Alzir-System, NOVA-Raumstation, Besprechungsraum von Admiral Santana Pendergast, 09. September 2266, 08:30 Uhr
Sol-System, Terra, Residenz des Imperators, 10. September 2266, 09:30 Uhr
Alzir-System, NOVA-Station, Besprechungsraum von Admiral Pendergast, 16. September 2266, 09:25 Uhr
IL HYPERION, Sol-System, 16. September 2266, 14:10 Uhr
Alzir-System, Pearl, Forschungszentrum der nördlichen Hemisphäre, 17. September 2266, 15:36 Uhr
Sol-System, Terra, Paris, 17. September 2266, 16:12 Uhr
Alzir-System, Pearl, Forschungszentrum der nördlichen Hemisphäre, 17. September 2266, 17:46 Uhr
Sol-System, Terra, Paris, 17. September 2266, 17:10 Uhr
Algethi-System, Pearl, Forschungsstation der nördlichen Hemisphäre, 17. September 2266, 18:10 Uhr
Sol-System, Terra, Paris, 17. September 2266, 17:52 Uhr
Alzir-System, Pearl, Forschungsstation der nördlichen Hemisphäre, 17. September 2266, 18:25 Uhr
Sol-System, Orbitaler Raumhafen, IL HYPERION, 17. September 2266, 19:15 Uhr
Kurz zuvor
Alzir-System, Pearl, Forschungszentrum der nördlichen Hemisphäre, 17. September 2266, 19:20 Uhr
Sol-System, Terra, Paris, 17. September 2266, 19:45 Uhr
Alzir-System, Pearl, Orbitalstationen der I.S.P., 17. September 2266, 19:55 Uhr
IL HYPERION, auf dem Weg nach NOVA-Station, 18. September 2266, 06:30 Uhr
IL HYPERION, Konferenzraum, auf dem Flug nach NOVA-Station, 19. September 2266, 09:30 Uhr
Alzir-System, NOVA-Station, 21. September 2266, 14:00 Uhr
Sol-System, Terra, SOL-CENTER, 21. September 2266, 15:20 Uhr
Alzir-System, NOVA-Station, 21. September 2266, 16:45 Uhr
Epilog I – Unsichtbar, vor aller Augen
Epilog II – Projekt »Vergeltung«
Epilog III – der Beginn einer neuen Zeit
Vorschau
Nachwort
Die Charaktere
Impressum
Heliosphere 2265
Band 10
von Andreas Suchanek
Ein Summen erklang, als würde ein Schwarm Bienen über ihn hinwegbrausen. Es kündigte den neuen Morgen an. Da es keine Fenster gab, ebenso wenig sichtbare Türen, bestand sein Leben nur aus sechs grauen Flächen. An einer davon war die Pritsche angebracht; sie war hart, aber besser als nichts.
Düsen an der Decke bliesen kühle Luft in den Raum und vertrieben die abgestandene Atmosphäre. Es war das gleiche Prozedere wie jeden Tag. Mittlerweile mussten Wochen vergangen sein. In all der Zeit war er alleine gewesen, der erwartete Anwalt war nie aufgetaucht. Ein Kontakt nach draußen war nicht gestattet; es gab niemanden außer ihm und den Wärtern.
Seine Gedanken drehten sich im Kreis, immer weiter und weiter. Von einem Tag auf den anderen hatte die Inner Security Police sein Leben in eine Hölle verwandelt.
Und das alles nur wegen dir, Jay!
Sein verdammter Bruder hatte die Regierung betrogen und seinen Eid gebrochen. Er war zu Pendergast und den Rebellen übergelaufen. Anfangs wollte keiner in der Familie es glauben, doch schließlich lehrte sie die Realität, wie bedeutungslos Glaube war. Die Steuerbehörde hatte ihm – Jasper Cross – Betrug vorgeworfen. Alles Weitere war schnell gegangen: Die Konten der Gleiterfabrik seiner Eltern wurden eingefroren, er selbst wurde nur achtundvierzig Stunden später abgeführt. Was seitdem dort draußen – außerhalb seiner kleinen Welt – geschehen war, vermochte er nicht zu sagen.
Ein rostig klingender Dreiklang kündete das Frühstück an. Jasper trat an die Pritsche und erwartete das Unvermeidbare. Eine der Wände sank lautlos in den Boden. Dahinter wartete er. Er war groß, bullig und kannte kein Erbarmen. Es gab einen exakt vordefinierten Ablauf, der eingehalten werden musste. Wenn Jasper sich nicht daranhielt, bedeutete das Schläge, Tritte und … andere Dinge.
»Ich hoffe, unsere Prinzessin hat gut geschlafen«, erklang seine Stimme.
Jasper nannte ihn nur Cow; natürlich lautlos. Der Kerl ging gestelzt wie ein Cowboy aus alten Westernholos und war dumm wie ein Bulle. Trotzdem blieb Jasper keine andere Wahl, als zu gehorchen. Er sank auf die Knie und streckte die Arme aus.
Cow kam näher. Einen Schritt entfernt hielt er inne und schaute hinab. Bedächtig spuckte er in das Wasserglas. Sekunden später in das Essen. »Nur das Beste für unsere Prinzessin. Lass es dir schmecken, Crossi.«
Die Wut war noch immer da, der Hass wuchs von Tag zu Tag. Doch er konnte nichts tun. Stattdessen griff Jasper nach dem Tablett und begann – im Knien – zu schlingen. Cow sah ihm dabei zu, ein feistes Grinsen im schwammigen Gesicht.
Nach dem Essen wartete die Sparringsrunde. Wie so oft wollte Cow sich abreagieren. Und wer war dazu besser geeignet als der Bruder jenes Mannes, der bei einem Kampf gegen irgendein verdammtes Raumschiff Cows Cousin umgebracht hatte?
Der erste Schlag tat noch weh, den zehnten spürte Jasper schon nicht mehr. Sein Gesicht war längst eine blutige Masse, als der Wärter zufrieden nach hinten trat.
»So gefällt mir das«, sagte Cow.
Gerade, als er zum obligatorischen Abschlusstritt mit dem Fuß ausholte, erklang der Schuss. Eine Partikelsalve. Sie schlug in Cows Rücken ein und fällte ihn wie einen Baum. Sein Körper krachte auf den Betonboden, die Nase brach. Nur Zentimeter von Jasper entfernt lag der Peiniger, bewusstlos. Das Blut breitete sich um sein Gesicht herum am Boden aus, bildete eine dunkle Lache. Er war wehrlos. Jasper musste nur die Hand ausstrecken, seinen Kopf ergreifen und das ewige Leid mit einem kräftigen Ruck beenden. Doch er war nicht dazu in der Lage. Seine Arme waren schwer wie Blei, er blutete, jeder Knochen in seinem Leib schmerzte.
Auf makabre Art fasziniert, beobachtete er, wie sein eigenes Blut sich mit dem seines Peinigers vermischte. Die Hämatome um seine Augen schwollen jedoch schnell weiter an, bis er kaum noch sehen konnte.
Etwas berührte ihn. Jemand. Er wurde in die Höhe gehoben, über eine Schulter gelegt.
»Los, los«, erklang eine tiefe Stimme. »Das Chrono tickt.«
»Bereit«, erwiderte eine Frau mit tiefer Stimme.
Stiefel klackten auf Steinboden. Er wurde getragen. Die Erschütterungen gruben sich in seine Eingeweide. Als würde Cow ihn weiter mit seinen Fäusten traktieren.
»Noch vier Minuten«, sagte Tiefstimme.
»Das wird eng, verdammt eng«, bemerkte die Frau. »Mein Gott, dieses Schwein hat den armen Kerl ganz schön zugerichtet.«
»Immerhin ist er am Leben. Nicht alle hatten so viel Glück. Maria und Bea haben Özenirs Schwester nicht mehr rechtzeitig rausbekommen.« Ein Seufzen. »Wir können nicht jeden retten.«
»Aber jeder verdient den Versuch.«
Schweigen. Türen wurden entriegelt. Wieder Schritte und Schmerzen. Eine Alarmsirene begann zu plärren.
Um ihn herum war es dunkel. Er kicherte haltlos. Sie hatten ihm weisgemacht, es wäre Morgen, in Wahrheit war es Nacht.
»Damit sind wir offiziell nicht länger Angestellte dieses Dreckslochs«, sagte Tiefstimme. »Wenn sie uns erwischen, werden wir jedoch ganz schnell zu Insassen.«
Ein bitteres Auflachen. »Mach dir darüber keine Sorgen. Die nehmen uns gefangen, jagen uns einen Pulserschuss in die Stirn und verdampfen unsere Leichen. Da Pearl jetzt Geschichte ist – zumindest halbwegs –, geht das ruck, zuck.«
Die Schritte beschleunigten. Aus der Ferne hörte Jasper Stimmen. Seine Augen waren mittlerweile so zugeschwollen, dass er gar nichts mehr sehen konnte.
»Ich habe gehört, dass Sjöberg schon ein neues Gefängnis bauen lässt«, sagte Tiefstimme. »Eine mobile Raumstation. Kaum jemand kennt den Standort.«
»Gerüchte.«
Ein Antigravaggregat heulte auf.
»Beeilt euch«, erklang eine dritte Stimme, hell und klar. »Uns steht ein Höllenritt bevor. Der Luftraum wird soeben abgesperrt. Die I.S.P. verlegt die Satelliten, um die Umgebung zu überwachen. Das Zeitfenster schließt sich.«
Er wurde abgelegt. Der Untergrund war weich, so weich.
»Der Kerl benötigt dringend einen Arzt«, sagte die Frau, die ihn getragen hatte. »Ich glaube, er hat innere Verletzungen.«
Das Aggregat heulte auf, der Gleiter hob ab.
»Gute Nachricht aus dem japanischen Sektor«, rief die Pilotin in die Kabine. »Die Ishidas konnten erfolgreich extrahiert werden.«
Der Name sagte Jasper etwas. Hieß die Stellvertreterin seines Bruders nicht so? Ihr Fahndungsholo war überall im GalNet herumgegeistert. Genau wie das von Jay.
Was war nur aus Terra geworden? Wie hatte es so weit kommen können?
Das Aggregat heulte erneut gepeinigt auf, wurde bis an die Grenze seiner Belastbarkeit getrieben. Schüsse hallten durch die Nacht. Der Gleiter erbebte.
»Festhalten!« Die Stimme der Pilotin klang beunruhigt.
Etwas in Jaspers Brust knackte; ein Stich ließ ihn aufstöhnen. Das Atmen fiel ihm schwer. Plötzlich war Flüssigkeit in seinem Mund. Blut? Er gurgelte.
Dann kam die Schwärze.
*
Captain Jayden Cross überkam das Gefühl, auf der Kommandobrücke eines Raumschiffs zu sitzen. Seit der Übernahme der NOVA-Station durch die Rebellen hatten eifrige Techniker den Besprechungsraum von Admiral Pendergast mit zusätzlichen Holosphären, Monitoren und Panels ausgestattet. Während Ivo Coen und seine Offiziere alles vom echten Kommandozentrum der Raumstation aus im Griff behielten und koordinierten, war dieser Ort das wahre Herz des Alzir-Systems.
Der Raum war brechend voll, was nicht verwunderlich war, immerhin standen große Entscheidungen an. Unter anderem sollte er endlich erfahren, wohin die nächste Reise der HYPERION ging. Und auch Jackson Brown, der frisch gebackene Captain der TORCH II, und seine I.O., Kristen »Kirby« Belflair, waren anwesend. Kaum zu glauben, dass er noch wenige Stunden zuvor neben ihr gelegen hatte. Das wirkte schon wieder viel zu weit entfernt.
»Also gut«, sagte Pendergast, als der letzte Offizier am Konferenztisch Platz nahm. »Legen wir los. Wie die meisten von Ihnen wissen, bevorzuge ich kurze und effektive Konferenzen, keine stundenlangen Debatten.« Ihr Pferdeschwanz wippte auf und ab, als sie nach unten auf ihr Pad und wieder aufblickte. »Doktor Tauser, wie steht es um die Verhandlungen mit Ramson? Ich nehme an, er spricht noch immer für die komplette I.S.P. auf den Orbitalstationen von Pearl?«
»Zumindest das konnten wir bisher bestätigen«, erwiderte Janis. Dabei nickte er Jayden zu. Sie hatten keine Zeit gehabt, sich zu begrüßen. Der Freund begann gedankenverloren, über seinen weißen Vollbart zu streichen. »Bedauerlicherweise ist das aber auch der einzige Fortschritt. Die Geiselnehmer – und ich denke, es werden alle zustimmen, dass die Männer und Frauen der I.S.P. nichts anderes sind – …« Einhelliges Nicken. »… kommen uns in keiner Form entgegen.«
»Also weiterhin ein Patt?«, hakte Pendergast nach.
»Exakt, Admiral. Wenn wir sie angreifen, feuern sie Atomsprengköpfe auf Pearl. Das wäre der Tod aller Gefangenen, die noch immer dort unten auf ihre Rettung warten. Gleichzeitig würden sie aber ihren Trumpf verlieren.«
»Leiten Sie die Verhandlungsmitschnitte bitte an den Führungsoffizier der Task-Force weiter. Aktuell werden diverse Szenarien ausgearbeitet, wie wir die Orbitalforts ohne Gefahr für die Geiseln ausschalten können.« Sie gab etwas in ihr Memopad ein, Janis ebenso. »Kommen wir zum nächsten Punkt. Ich habe Doktor Damato hinzugebeten, er hat eine erfreuliche Mitteilung zu machen.«
Ein quirliger Japaner im weißen Kittel erhob sich. Er wirkte sichtlich nervös; wusste nicht, wohin mit seinen Händen. »Meine Damen, meine Herren.« Er verneigte sich dezent. »Für diejenigen, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Siu Damato. Ich war als Wissenschaftler in den Bereichen der Raumphysik und der Phasenraummechanik an Bord der TORCH II eingesetzt. Ich hatte das Glück, den Zwischenfall nach dem Verlassen des Algethi-Systems mitzuerleben.«
Damit besaß er Jaydens ganze Aufmerksamkeit, wobei »Glück« seiner Meinung nach das absolut falsche Wort dafür war.
»Als die TORCH II vor einigen Wochen die HYPERION vor einer angreifenden Parlidenflotte rettete und per Traktorstrahl mit in den Phasenraum nahm, aktivierte sich dort der Interlink-Antrieb des Kreuzers. Das Ergebnis war … beeindruckend. Gelinde gesagt. Die TORCH II wurde auf das vierte Phasenband versetzt. Die HYPERION aus der Interlink-Blase geworfen. Das Schiff von Captain Cross«, er deutete auf Jayden, »fiel zahlreiche Lichtjahre entfernt in den Normalraum zurück – bei extrem verminderter Geschwindigkeit.«
Ishida saß direkt neben Jayden. Sie wirkte mit einem Mal angespannt, ebenso Kirby. Captain Brown hörte dem Wissenschaftler mit stoischer Gelassenheit zu.
Damato winkte ab. »Bevor Hoffnungen aufkeimen, wir sind nach wie vor nicht dazu in der Lage, ein Raumschiff auf die vierte Phase zu bringen, schon gar nicht mit den bisher so eingeschränkten Forschungsmitteln. Wir können erst langsam wieder richtig forschen.« Er atmete tief durch. »Doch auf der Grundlage der Ereignisse konnten wir die Pläne für einen Interlink-Störer entwickeln.«
Die Bemerkung schlug ein wie eine Bombe. Sofort stürmten alle gleichzeitig mit Fragen auf den Wissenschaftler ein. Admiral Pendergast beendete das Ganze mit einem deutlichen Räuspern. Ruhe kehrte ein. Sie bedeutete Damato, fortzufahren.
»Bisher hatte die HYPERION gegenüber herkömmlichen Phasenraumern den Vorteil, dass Phasenstörer, mit denen sich Sonnensysteme vor potenziellen Angriffen schützen, auf den Interlink-Antrieb nicht wirken.« Er wartete, bis alle nickten. »Nun wissen wir jedoch, dass Sjöberg an einer eigenen Flotte dieser Kreuzer arbeitet. Daher haben wir in den letzten Wochen auch die Forschung intensiviert – soweit das eben möglich war. Bisher ist das Ergebnis nur Theorie. Doch basierend auf dieser sollte es machbar sein, in den nächsten Monaten einen Prototyp herzustellen.«
»Das wäre fantastisch«, sagte Jayden laut. »Damit ist das Alzir-System vor einem möglichen Einfall sicher. Eine Flotte müsste den herkömmlichen Weg gehen und am Rande des Systems den Interlink-Flug beenden. Wir wären also vorbereitet.«
»Exakt«, bestätigte Damato.
»Danke, Doktor.« Admiral Pendergast bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. »Ihr Projekt hat vor jedem anderen oberste Priorität. Ziehen Sie alle Koryphäen heran, die Sie benötigen und über die wir verfügen.«
»Natürlich.«
»Kommen wir also zu unserem nächsten – und aktuell wichtigsten – Punkt.« Dabei warf sie nacheinander Jayden und Captain Brown, dann Kirby und Commander Ishida einen Blick zu. »Die TORCH II ist voll einsatzbereit, die HYPERION wurde ebenfalls instand gesetzt.«
Er dachte mit einer Mischung aus Unglauben und Respekt an die letzten Wochen zurück. Seit die Rebellen das Alzir-System besetzt hielten, wurde eifrig gearbeitet. Die Versetzungen waren abgeschlossen; alle Offiziere befanden sich dort, wo sie sein sollten. In den ersten zwei Wochen hatte es noch Anschläge gegeben, sie hatten jedoch keinen größeren Schaden verursacht. Mittlerweile waren alle, die offen loyal zum Regime auf der Erde standen, aus dem System verbannt worden. Wie von Pendergast angeordnet, war niemandem ein Leid widerfahren.
Langsam, aber stetig kam die NOVA-Station zur Ruhe. Dass sein eigenes Schiff endlich weniger wie ein Schrotthaufen wirkte und stattdessen mit Stolz die Bezeichnung »Erster Interlink-Raumer der Menschheit« tragen konnte, tat sein Übriges, dass er den Ingenieuren Respekt zollte. In der Kürze der Zeit hatten sie wahre Wunder vollbracht.
Gleichzeitig waren die Nachrichten von außerhalb eine Katastrophe.
Sie hatten gerade die Eroberung des Alzir-Systems auf dem Erholungsdeck der NOVA-Station gefeiert, als die Mitteilung hereingekommen war. In einer Ansprache voller Phrasen und Pathos hatte Björn Sjöberg die Solare Union aufgelöst und in ein Solares Imperium umgewandelt. Was zu Beginn für Fassungslosigkeit und Unglauben gesorgt hatte, hatte sich schnell als grausige Realität entpuppt.
Tikara II, die Welt, auf der die Zieheltern von Tess Kensington lebten, war aus dem Orbit beschossen worden. Niemand wusste, wer dort überlebt hatte. Der Planet wurde zum Niemandsland erklärt; Schiffe riegelten ihn ab. Die Überlebenden blieben sich selbst überlassen, als mahnendes Beispiel für andere Lokalregierungen, die laut über Unabhängigkeit nachdachten.
Spätestens jetzt musste es einen ordentlichen Aufstand geben, so dachte zumindest Jayden damals. Doch Sjöberg bewies ausgezeichnetes Timing. Geklonte Alphas und gezüchtete Marines herrschten auf den Raumschiffen der Space Navy mit eiserner Hand. Die E.C.s waren mit einem Totmannschalter am Herzen gekoppelt. Als ein Kreuzer versuchte, das Alzir-System zu erreichen, kam es zu einer Katastrophe. Die Kommandooffiziere töteten den E.C., worauf alle Killchips in ihren Schädeln detonierten. Die übrige Besatzung wurde von den Marines niedergemacht.
Sjöberg hatte ihnen die Videoaufzeichnungen geschickt; auch eine Art, seinen Standpunkt deutlich zu machen. Und wie auf den Raumschiffen, so lief es auch auf den Planeten: Die Ordnungskräfte wurden von der I.S.P. geschluckt, alle wichtigen Regierungsmitglieder neuronal rekonfiguriert. Ein Verfahren, das immer noch Nebenwirkungen mit sich brachte. Ein brabbelnder und sabbernder E.C. Christopher Johnston zeugte davon. Das Hirn des Mannes hatte sein Versagen bei dem Versuch, die Kontrolle über die HYPERION zu halten, nicht verkraftet.
Es kam Jayden immer noch seltsam vor, das gerade mal vier Wochen vergangen waren. Sjöberg hatte in diesem Zeitraum mit einer Geschwindigkeit gehandelt, die er kaum für möglich gehalten hätte. Das machte erneut deutlich, dass diese Sache schon vor langer Zeit geplant worden sein musste.
Bevor seine Gedanken sich diesem Punkt zuwenden konnten, sprach Admiral Pendergast weiter. »Wie Sie alle wissen, hat Sjöberg vor Kurzem die ersten neuen Interlink-Raumer in Dienst gestellt. Die HYPERION ist damit nur noch ein Schiff von wenigen. Aber sie hat eine eingespielte Crew, und das wollen wir ausnutzen. Das Klima auf der Erde wird zunehmend rauer – gelinde gesagt. Aus diesem Grund hat Admiral Jansen Schritte eingeleitet. Es freut mich erst einmal, Ihnen, Commander Ishida, gute Nachrichten zu überbringen. Ihre gesamte Familie wurde von den Rebellen in Sicherheit gebracht.«
Seine I.O. strahlte über das ganze Gesicht. Jayden wusste, dass sie sich im Stillen Sorgen um ihre Eltern gemacht hatte.
»Vielen Dank, Admiral, das sind tolle Neuigkeiten.«
»Was Sie angeht, Captain Cross, kann ich Ihnen mitteilen, dass Ihr Vater und Ihre Mutter ebenfalls untertauchen konnten. Ihr Bruder wurde aus einem Hochsicherheitsgefängnis geholt. Seitdem haben wir leider den Kontakt verloren.«
»Wieso das?« Jayden war einerseits froh, andererseits beunruhigt. Waren die Rebellen aufgeflogen?
»Kein Grund zur Sorge. Es ist ein ewiger Krieg zwischen den Hackern. Wir finden ein Schlupfloch im ›Goldenen Schild‹, was uns für einige Zeit den Zugang zum GalNet und dem Phasenfunk-Netz ermöglicht. Dann kommen die und stopfen das Loch, die Suche beginnt von Neuem.«
»Was müssen das noch für Zeiten gewesen sein, als Nachrichten per Papier übermittelt wurden? Getragen von Briefeulen«, warf Captain Brown ein.
»Tauben«, korrigierte Kirby grinsend. »Es waren Brieftauben.«
»Ach, in der Tat?« Die Augen des Kommandanten blitzten belustigt auf. »Sie kennen sich also mit derart weit zurückliegender Geschichte aus?«
Und wieder ging es los. Jayden hatte anfangs befürchtet, dass Kirbys offene Art bei ihrem neuen kommandierenden Offizier nicht gut ankam. Doch das Gegenteil war der Fall. Brown hatte seinen jahrelangen unfreiwilligen Aufenthalt auf der PROMETHEUS im Stillen Sektor gut überstanden und genoss es, eine I.O. zu haben, mit der er auf der einen Seite über alle Veränderungen und Neuigkeiten diskutieren konnte, die sich aber auf der anderen Seite auch für Geschichte interessierte.
Es war zu einem Spiel zwischen ihnen geworden, dem jeweils anderen kleine Fallen zu stellen. Fehler in belanglose Gespräche einfließen zu lassen. Laut einer Tabelle von Lieutenant Özenir, dem Navigator der TORCH II, lag Kirby nach Punkten vorne.
Solange keiner von beiden einen Fehler in den Torpedobestand einbaut, sollen sie nur weitermachen.
»Wenn wir dann wieder zurück zum Punkt kommen könnten«, sagte Pendergast, wobei sie Kirby und Brown einen gespielt strafenden Blick zuwarf.
»Natürlich, Ma’am«, kam es aus beiden Kehlen.
»Danke, sehr freundlich von Ihnen. Die Rebellen haben in den letzten Wochen alle Schläfer aktiviert und Gefangene befreit. Nicht nur auf Terra, auch auf anderen Welten. Glücklicherweise haben wir nach dem ganzen Ausmisten der I.S.P. Platz genug auf den Habitaten.«
»Von wie vielen Leuten sprechen wir hier?«, fragte Jayden.
»Einige Hundert«, sagte Pendergast. »Zusammen mit den Gefangenen auf Pearl – die wir hoffentlich bald dort rausholen können – liegen wir dann zwar am Limit, doch ich werde niemanden zurücklassen.«
»Wir sollen die Rebellen also von Terra evakuieren?«, fragte Brown. »Die HYPERION und die TORCH II?«
»Exakt. Uns ist es dank einiger Schläfer gelungen, die Signatur eines Reparaturtenders in die Datenbank der Flotte zu speisen. Das hat leider etwas gedauert. Doch jetzt steht einem Flug der REP-I nichts mehr im Wege. Sie wird die HYPERION und die TORCH verankern und zur Erde bringen. Nach der Landung werden Materialtransporter die Rebellen zur REP-I schaffen, wo sie auf beide Schiffe verteilt werden. Ist das erledigt, wird der Tender einen Notstart unternehmen. Danach klinken sich die HYPERION und die TORCH II aus und verschwinden.«
»Ein waghalsiger Plan«, kommentierte Brown.
»Nicht waghalsiger, als Sjöberg ein Sonnensystem zu rauben«, erwiderte Pendergast. »Außerdem haben Sie Cross dabei. Bei ihm kann man sich auf zwei Dinge verlassen.« Sie zwinkerte Jayden zu. »Erstens: Er macht alles kaputt, was er in die Finger bekommt. Und zweitens: Er bringt seine Leute heil nach Hause.« Noch während er darüber nachdachte, ob er sich geschmeichelt fühlen sollte, fügte die Admiralin hinzu: »Wenn Sie sich dieses Mal auf ihr zweites Talent besinnen, Captain, wäre ich Ihnen dankbar. Die Werften und Reparaturdocks sind sowieso schon überlastet.«
»Ich werde mir Mühe geben, Ma’am.«
Einhelliges Gelächter.
»Ausgezeichnet. Dann legen Sie los. Ladies, Gentlemen, das war es einstweilen.«
Die Anwesenden erhoben sich nach und nach.
»Ich würde es wirklich begrüßen, Sir, wenn wir zukünftig weniger Heldentaten vollbringen«, sagte Ishida leise an ihn gewandt. »Andernfalls glaubt man in der Flotte irgendwann noch, dass Sie übers Wasser gehen können.«
»Und das Ergebnis wäre doch zutiefst enttäuschend.« Er lachte. »Keine Sorge, Commander. Ich werde dieses Mal versuchen, mich zurückzuhalten.« Sie verließen Pendergasts Kommandoquartier. »Versprochen.«
*