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24 Stunden lang können die Menschen im Alzir-System ihre Stimme abgeben und damit über das neue Staatsoberhaupt der Solaren Republik entscheiden. Während die Wahl ihren Lauf nimmt, versucht Admiral Isa Jansen mit einer kleinen Gruppe Verbündeter Santana Pendergast zu retten und den Plan des Ketaria-Bundes zu vereiteln. Gleichzeitig macht sich Commodore Ashton dazu bereit, die Dunkle Welle einzusetzen und damit der Republik den Todesstoß zu versetzen. Auch Sjöberg ahnt nicht, dass er durch diese Tat Richard Meridian direkt in die Hände spielt. Dies ist der achtzehnte Roman aus der Serie "Heliosphere 2265" Am 01. November 2265 übernimmt Captain Jayden Cross das Kommando über die Hyperion. Ausgerüstet mit einem neuartigen Antrieb und dem Besten an Offensiv- und Defensivtechnik, wird die Hyperion an den Brennpunkten der Solaren Union eingesetzt. Heliosphere 2265 erscheint seit November 2012 monatlich als E-Book sowie alle 2 Monate als Taschenbuch. Hinter der Serie stehen Autor Andreas Suchanek (Sternenfaust, Maddrax, Professor Zamorra), Arndt Drechsler (Cover) und Anja Dyck (Innenillustrationen).
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Seitenzahl: 141
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Heliosphere 2265
Band 18
„Die Wahl“
von Andreas Suchanek
Ende des Jahres 2266 hat Imperator Björn Sjöberg seine Macht als Diktator gefestigt und die Solare Union in ein Schreckensregime verwandelt, das Solare Imperium.
Auf der NOVA-Station konnten sich die Rebellen gegen jeden Angriff erfolgreich zur Wehr setzen, das Verfassungsreferendum erzielte eine überwältigende Mehrheit; die Solare Republik gilt zum 1.1.2267 als gegründet. Nach zähem Ringen wurde der Termin für die Wahl des neuen Staatsoberhaupts auf den 8. Mai 2267 festgelegt. Ein erbitterter Wahlkampf entbrennt.
Gleichzeitig entdeckt Isa Jansen, dass Admiral Santana Pendergast vom Ketaria-Bund durch bionische Erweiterungen zu einer unfreiwilligen Spionin und Geisel gemacht wurde. Was die Assassinen damit bezwecken bleibt einstweilen im Dunkeln. Als der Wahltag anbricht, beginnt ein Rennen gegen die Zeit. Während der Urnengang seinen Lauf nimmt, versucht Isa Jansen die Freundin zu retten, und den Bund der Assassinen aufzuhalten.
Die HYPERION ist nach wie vor in der Zukunft des Jahres 2317 auf dem Weg zumDunklen Wanderer. Die Crew erreicht schließlich das Zielsystem, findet aber nicht denDunklen Wanderer,sondern einbewohntesSonnensystem vor. Die dort lebenden Aaril öffnen dem Schiff nachdem alle Missverständnisse ausgeräumt sind den Zugang zu einer Gravitationssenke, wo sie den Planetoiden mit dem ersten Fraktal einst aus Sicherheitsgründen verbargen. Die letzte Etappe der Reise beginnt.
Samuel trat vor den Mann, dessen Gesicht von einer Maske aus schwarzem Ebenholz verborgen war, und senkte den Blick. Es war stets ein Gefühl, als unterwerfe er sich einem Scharfrichter, der eine Axt in Händen hielt. Würde diese Axt heute auf ihn herabfahren?
„Wie geht unser Projekt auf der NOVA-Station voran?“, fragte der Oberste Assassine, der Anführer des Ketaria-Bundes.
Er thronte hinter dem wuchtigen Schreibtisch in seiner stets gleichen Aufmachung; ein weißer Anzug, schwarze Lederhandschuhe, die übliche Maske.
Samuels Blick wurde wie magisch von den Sternen angezogen, die in der Dunkelheit des Alls winzigen Glühmoskitos glichen. Die gesamte Außenwand des Raumes war transparent geschaltet und bot einen unglaublichen Ausblick in die Weiten des Weltalls und des Sonnensystems, in dem der Bund seit jeher verborgen vor den Augen Außenstehender existierte.
Wie viele haben das Panorama schon betrachtet, sich davon beeindrucken lassen, nur um kurz darauf festzustellen, dass ihr Todesurteil längst gesprochen wurde?„Admiral Santana Pendergast hat keinen erneuten Versuch unternommen, unsere Kontrolle abzustreifen.“
„Die Lektion kam also an.“
„Davon ist auszugehen. Wir überwachen weiterhin all ihre Sinne und Vitalwerte, prognostizieren potenzielle Reaktionen, evaluieren ihre psychische Verfassung. Aktuell ist sie noch verwendbar.“
„Gut.“ Der OA nickte anerkennend. „Wie immer leistest du ausgezeichnete Arbeit. Nachdem deine Mission als Adjutant von Admiral Juri Michalew seit Monaten beendet ist, steht am Ende dieses Auftrags erneut die Chance an, dich im Einsatz zu bewähren.“
Samuel atmete auf.
„Falls du nicht versagst.“
Die Härte in der Stimme ließ die Erleichterung so schnell verpuffen wie sie aufgekommen war.
„Der Tag der Wahl ist gekommen und das in mehr als einer Hinsicht. Die Menschen der neuen Solaren Republik werden sich heute für ein Oberhaupt entscheiden, sie sind abgelenkt, angreifbar.“
„Janos Akoskin spricht mit der Admiralin per Phasenfunk, hält sie verbal unter Kontrolle“, erklärte Samuel. „Er nutzt dabei weiterhin den Namen Calvin Hugh, auch wenn sie natürlich längst weiß, dass er der Bruder von Lukas ist.“
Sein Gegenüber schwieg, betastete einen Moment die Ebenholzmaske. „Lukas, ja. Welche eine Enttäuschung er doch war.“ Die Augen hinter der Maske richteten sich für einen Augenblick ins Nichts, der OA versank sichtlich in Erinnerungen. Und es waren keine der guten Sorte. Abrupt schaute er auf. „Alle drei Phasen wurden vorbereitet?“
Er nickte euphorisch. „So ist es. Nicht einmal Santana Pendergast weiß, was wirwirklichvorhaben. Es kann jederzeit losgehen. Allerdings ...“
„Ja?“ Die Stimme des Obersten Assassinen bekam einen gefährlich ruhigen Klang.
„... es ist nichts Ernstes“, versicherte Samuel schnell. „Unsere Analysten glauben, dass auch Sjöberg etwas plant. Leider haben wir aktuell keinen Zugriff auf militärische Informationen aus dem inneren Kreis des Imperators.“
Der OA nickte. „Finde heraus, ob dieInner SecurityPoliceoder dieSpace Navydes Imperiums uns Probleme bereiten könnten. Vergiss nicht, dass Richard Meridian lange Zeit die Fäden in seinen Händen hielt.“
Beim Gedanken an den wahnsinnigen Wissenschaftler aus einer alternativen Zukunft spürte Samuel den alten Hass in sich aufsteigen.
„Wie könnte irgendjemand von uns das vergessen?“, flüsterte er.
„Gut.“ Der OA stand auf, trat an die transparente Wand und blickte hinaus. In seinem weißen Anzug glich der Mann vor der Schwärze des Alls einem aus dem Himmel herabgestiegenen Racheengel. „Starte Phase eins“, kam der erhoffte Befehl.
Samuel lächelte.
Was verdammt noch mal ist hier los?
Doktor Amon Isaak hörte kaum, wie sein Paramedic hinter ihm herrief, als er aus dem Obduktionsbereich in die angrenzende Krankenstation hastete. Zischend schloss sich das Schott hinter ihm. Sein Stellvertreter, Markus Jäger, erkundigte sich besorgt ob alles in Ordnung sei.
Amon ignorierte den Kollegen. Es war keine Zeit, die Hintergründe zu erklären.
Denn beinahe nichts war in Ordnung.
Die Krankenstation blieb hinter ihm zurück, als er in Richtung der Gästequartiere rannte.
Das ist doch unmöglich.
Die ganze Raumstation, ja das gesamte Alzir-System, hatte gesehen, wie der Journalist Jeff Stevenson unter einem Gleiter zerquetscht worden war. Natürlich nicht der komplette Körper, doch ein Schädelbasisbruch, gebrochene Rippen und eine angebohrte Lunge in Kombination mit einer Resistenz gegenüber nanobasierten Heilmitteln hatten den Mann das Leben gekostet.
So dachten wir zumindest. Aber jetzt ist die Leiche verschwunden. Wie zur Hölle ist das möglich?
Aufgrund der offensichtlichen Todesursache hatte es niemals zu einer Obduktion kommen sollen. Doch dann hatte die Presse im Wahlkampf immer weiter gebohrt, Unterlagen evaluiert und Dirtcrawler auf einen Hack der Datenbanken angesetzt. Admiral Jansen hatte daher die Order ausgegeben, dass im Fall von Jeff Stevenson kein Fehler gemacht werden durfte.
Mit zwei Monaten Verspätung hatte Amon eine Obduktion durchführen wollen. Es war bei dem Vorsatz geblieben. Denn die Leiche war verschwunden.
Wo ist die Leiche?
Vor seinem inneren Auge sah er das leere Stasisfach.
Paramedic Seeward hatte zudem herausgefunden, dass jemand vor kurzer Zeit den DNA-Eintrag in der medizinischen Datenbank gefälscht hatte, der von jedem Bürger dort bei seiner Geburt hinterlegt wurde. Ein dummer Zufall: Wegen einer Störung hatte eine alte Sicherung eingespielt werden müssen, die den Originaldatensatz enthielt. Und diesem Originaldatensatz nach war der Tote nicht Jeff Stevenson.
Aber wer ist er dann?
Amon kamen zahlreiche katastrophale Szenarien in den Sinn. Hatte jemand etwas in der Leiche verborgen? Einen viralen Kampfstoff oder vielleicht Chemikalien, die man zu einem Explosivstoff mixen konnte? Ein Journalist war der Tote auf jeden Fall nicht gewesen, was die Frage aufwarf, wie der Kerl an den Sohn des echten Stevenson gekommen war.
Es blieb zu hoffen, dass Seeward Amons letzten Befehl ausgeführt und Marjella Cruz verständigt hatte. Amon benötigte jemand an seiner Seite, dem der Junge vertraute. Andernfalls würde der nicht reden.
Er hechtete in den nächsten multidirektionalen Lift, der um diese späte – oder besser frühe – Uhrzeit glücklicherweise leer war. Vermutlich wirkte er aktuell nicht gerade Vertrauen einflößend, so übermüdet und hektisch, wie er war. Immer wieder tippte er auf das Icon für die Ebene mit den Gästequartieren.
Wie war es möglich, dass ein Mann sein Äußeres und redundant gesicherte Datenbankeinträge so einfach fälschen konnte? War er Teil einer weiteren Attacke von Sjöberg?
Die Türen des Lifts öffneten sich.
Amon sah Marjella Cruz schon von weitem. Die Bordpsychologin betreute Joey, den Sohn des echten Journalisten Jeff Stevenson. Mochten auch alle Daten gefälscht sein, der Teenager musste wissen, wo sein echter Vater war und was hier gespielt wurde.
Was zur Hölle geht hier nur vor?
„Was zur Hölle soll das?“, fragte Marjella Cruz, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Die sonst so elegant erscheinende vierzigjährige Psychologin wirkte, als hätte ein Tornado sie erwischt und direkt aus dem Bett gefegt. Die Wahrheit kam dem vermutlich recht nahe. Immerhin konnte Seeward sehr überzeugend und durchsetzungsstark sein, wenn es um die Ausführung von Befehlen ging. „Wenn du mich um diese Zeit hier antanzen lässt, Amon, hoffe ich der Notfall hat mindestens eine Sjöberg-steht-vor-der-Tür-Priorität.“ Etwas leiser fügte sie hinzu. „Gut, ganz so schlimm ist es hoffentlich nicht.“
„Ich muss mit dem Jungen sprechen!“
„Es ist mitten in der Nacht!“, sagte sie. Ihre Augen glichen zwei Torpedos, die kurz vor der Explosion standen. „Vergiss es. Ich kann nicht einfach einen Teenager aus dem Schlaf holen, der zwei Monate zuvor - also quasi gestern - traumatisiert worden ist.“
„Erklärungen folgen später.“
„Amon ...“
Er griff sie an der Schulter. „Es geht um Leben und Tod, vertrau mir. Bitte.“
Es musste etwas in seinem Blick gewesen sein, das Marjella zum Einlenken bewegte. „Okay. Aber deine Erklärung sollte mich besser überzeugen.“
Sie öffneten das Quartier mit dem ärztlichen Überrangcode. Sekunden später schreckte ein zerzauster Teenager aus dem Schlaf hoch. Amon stellte die Fragen ...
... und Joey antwortete.
Als Amon klar wurde, welcher Verschwörung er auf der Spur war, wurde ihm heiß und kalt zugleich. Die zuständigen Stellen mussten darüber informiert werden.
Aber an wen sollte er sich zuerst wenden?
Pendergast oder Jansen?
*
Admiral Isa Jansen starrte auf den Monitor und versuchte die Konsequenzen zu erfassen, die sich aus der Enthüllung von Doktor Damato ergaben. „Wie konnten diese Dreckskerle das vor uns verbergen? Warum hat Isaak bei der medizinischen Untersuchung nicht bemerkt, dass Santana von den Assassinen ...verwanztworden ist?“
Es fiel dem Wissenschaftsgenie sichtlich schwer, sich von der Übertragung loszureißen. „Vergessen Sie nicht, dass der Ketaria-Bund die Körper seiner Leute ständig verbessert. Anfangs verbargen sie ihre auffälligen Augen durch spezielle Kontaktlinsen. Später, als wir das feststellen konnten, griffen sie in den genetischen Code ein und sorgten dafür, dass das Blau nicht mehr von Natur aus leuchtete. Stattdessen passiert das nur noch gesteuert - oder wenn sie sterben.
Auch die Implantate werden weiterentwickelt. Jene in Santana haben irgendwie alle Tests durchlaufen, ohne entdeckt zu werden. Entweder es ist dem Bund gelungen, eine neue Legierung zu entwickeln, oder ...“
„Oder?“
Damato wirkte mit einem Mal sehr beunruhigt. Der sonst so quirlige Japaner mit dem kurzen schwarzen Haar war heute aufgewühlt und zittrig, von der ihm sonst eigenen Euphorie keine Spur. Bedachte man seine gerade gemachte Entdeckung, war das nicht verwunderlich. „Vielleicht haben sie auch einen Weg gefunden, unsere Geräte zu manipulieren. Der Bund ist kreativ, wenn er seine Ziele erreichen will“, sagte er fast ehrfürchtig. „Kaum zu glauben, was aus diesem zusammengewürfelten Haufen, den anfangs niemand ernst nahm, geworden ist. Eine straff organisierte Infiltrations- und Kill-Einheit, die sich von den Eriin-Piraten mit Nachwuchs versorgen lässt. Ich wüsste zu gerne, was sie hier wollen.“
„Bitte etwas weniger Bewunderung, Doktor. Diese Killer waren an dem Coup beteiligt, der Sjöberg an die Macht brachte, und halten Santana Pendergast als Geisel.“ Isa wollte gar nicht weiter darüber nachdenken. Jedes potenzielle Szenario trat eine Lawine los. Technische Manipulation? Verräter? Umprogrammierte K.I.s?
„Es ist perfekt“, murmelte Damato. „Sie überwachen ihre gesamten Biowerte, alle Arten von Input. Admiral Pendergast ist eine lebendige Drohne.“
„Nicht mehr lange“, stieß Isa zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Als das Schott von Damatos Labor zur Seite fuhr und Isa herumwirbelte, reagierte der Wissenschaftler glücklicherweise korrekt. Er deaktivierte den Monitor. Es waren Chefarzt Amon Isaak und die Psychologin Marjella Cruz, die hereingestürmt kamen.
„Ma'am, wir ...“
„Das muss warten, Doktor“, unterbrach Isa. „Wir sind hier beschäftigt.“
„Tut mir leid, Admiral.“ Isaak warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Aber unser Anliegen kann nicht warten. Es geht um den Reporter Jeff Stevenson.“
„Was ist mit ihm?“ Isa runzelte die Stirn. Auf der einen Seite ungehalten über die Störung in dieser Situation, war sie doch gleichzeitig neugierig.
Stevenson war durch eine technische Panne im Shuttlehangar gestorben, die auch Captain Jackson Brown - Isas Freund - beinahe das Leben gekostet hatte.
„Gab es Probleme bei der Autopsie?“
„Schön wär's“, sagte Isaak. „Unser auf so tragische Weise verblichener Besucher ist scheinbar noch am Leben. Er hat kurz nach seinem angeblichen Tod Kontakt mit Joey aufgenommen und ihn dazu aufgefordert weiterhin die trauernde Waise zu spielen.
So, wie es aussieht, hat der Ketaria-Bund ein perfekt geplantes Spiel mit uns gespielt. Ich fürchte um die Sicherheit der Station.“
Isa starrte den Arzt an. Es dauerte einen Moment, bis sie zu begreifen begann – zumindest teilweise. „Deshalbhaben sie ihn als Opfer ausgewählt. In der ersten Übertragung des unbekannten Assassinen an Santana hat der Kerl gesagt, dass sie zuerst Tarses ausgewählt hat. Doch er nahm stattdessen Jeff Stevenson. So konnte der nach seinem Wiedererwachen auf der Raumstation bleiben und war von der Bildfläche verschwunden. Aber das Kind ...“
Cruz atmete schwer. Sie wirkte unglücklich, als sie sagte: „Der arme Junge hat einiges durchgemacht. Ich habe ihn in den letzten Wochen betreut und war trotz des Traumas, das er durchlitten hat, verwundert über seine Reaktion. Da war Aggression, geboren aus tiefsitzender Angst.“
„Ist das nicht verständlich?“, hakte Damato nach.
„So, wie sich diese Aggression bei Joey äußerte, eben nicht. Er bestand darauf zur Wohneinheit gebracht zu werden, die er mit seinem Vater bewohnt hatte. Aufregung, Fixierung auf die Wohneinheit, Aggression, dazu Angst, aber wenig Trauer - das passt nicht zusammen.“
Isa begriff. „Sein echter Vater ist dort, in der Wohneinheit, vermutlich als Geisel. Das hat den Kleinen dazu gebracht brav mitzuspielen. Natürlich. Joey ist der perfekte Schutz. Wer verdächtigt einen Mann mit einem Kind der Spionage, wer untersucht ihn genau, hinterfragt seine Intentionen? All die Fragen, die er zur Sicherheit und zur Stationsstruktur gestellt hat – wir dachten, er will eine Story. Ein paar davon hat er sogar den Jungen stellen lassen.“ Sie zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. „Ich lasse sofort ein paar Sicherheitskräfte die Wohneinheit umstellen und aus sicherer Entfernung überprüfen.“
„Ein Kind als Schutzschild“, sagte Damato. „Das ist krank.“
„Nicht kränker als das, was wir entdeckt haben.“ Sie winkte Isaak und Cruz herein und versiegelte das Schott hinter den beiden. „Bitte aktivieren Sie den Monitor wieder, Doktor Damato.“
„Sollten wir nicht die Sicherheit alarmieren, die Station abriegeln und den Kerl suchen?“
Isa schnaubte. „Glauben Sie mir, Doktor, das würde ich gerne tun. Aber es gibt da noch etwas anderes zu bedenken. Nehmen Sie Platz.“
Auf dem Monitor erschien die Übertragung aus der Ich-Perspektive von Santana.
*
Das Interface ihres Wahl-Accounts materialisierte auf dem Monitor. Santana hakte mit einer Berührung den stilisierten Kreis hinter einem der Kandidaten an. Fast erwartete sie, erneut Calvins Stimme zu hören, der ihr sagte, dass sie einem anderen Präsidentschaftskandidaten ihre Stimme geben musste. Zu oft war das in den letzten Wochen passiert. Doch der Assassine schwieg.
Immerhin, es schien, als dürfe sie in dieser Sache ausnahmsweise selbst entscheiden.
Sie bestätigte die Sicherheitsabfrage. Auf dem Monitor erschien der Satz: Vielen Dank für Ihre Stimme.
„Du bist so berechenbar“, sagte Calvin.„Unsere Analysten haben vorausgesehen, dass du Jessica Shaw wählen wirst.“Ein Seufzen erklang.„Wie kann man nur so langweilig sein.“
Santana verzog das Gesicht. „Ah, ich habe mich schon gefragt, warum du nichts von dir hören lässt, Calvin. Was also soll ich als Nächstes für den Bund tun?“ Sie deutete auf die medizinischen Artikel und taktischen Analysen, die sie als „zur Kenntnis genommen“ abgezeichnet hatte. Dafür hatte man sie sicher nicht verwanzt. „Das Zeug hier ist uralt. Du willst mich bloß beschäftigt halten. Wird es nicht langsam Zeit, dass etwas geschieht?“
„Warum so ungeduldig? Ich muss schon sagen, du hast mir auf Cas III besser gefallen. Eine zerbombte Stadt, radioaktiver Fallout, eine geheime Wissenschaftsstation“, er seufzte,„und wir beide mittendrin. Das war prickelnd.“
Santana hätte alles dafür gegeben, Calvin Hugh – dessen Nachname in Wahrheit Akoskin war, wie sie seit seiner Offenbarung wusste - die Faust ins Gesicht zu rammen. Stattdessen war sie einmal mehr zur Untätigkeit verdammt.
Auf der sterbenden Welt der Genetiker hatte sie sich aufgrund eines Pheromon-Aerosols zu dem Scheißkerl hingezogen gefühlt. Erst später hatte er enthüllt, dass er über sie an seinen Bruder hatte herankommen wollen, Lukas Akoskin. Da dieser aber mit der HYPERION untergegangen war, hatte der Ketaria-Bund seinen Plan kurzerhand geändert. Sie hatten Santana betäubt und mit Nano-Chirurgie verändert. Seither war sie keine Sekunde ihres Lebens mehr alleine. Stets saß jemand gefühlt hinter ihrer Stirn und beobachtete ihr Handeln, machte Notizen und berechnete voraus, was sie tun würde.
Ihr Blick fiel auf das Chrono in der Ecke, das dem Äußeren einer antiken Standuhr nachempfunden war. Die Zeit verstrich unaufhaltsam. Santana hatte keine Ahnung, was der Ketaria-Bund mit ihrer Hilfe erreichen wollte, aber sie wusste, dass er mit jedem Augenblick der Vollendung seines Plans näherkam.
Und sie konnte nichts dagegen tun.
„Sag mir was du willst, oder lass mich einfach in Ruhe.“ Sie gähnte. „Es ist sowieso an der Zeit, schlafen zu gehen.“
„Aber nicht doch. Heute wirst du auf deinen Schönheitsschlaf verzichten müssen, meine Liebe. Unter uns: Du brauchst ihn gar nicht. Vielleicht bleiben später ein paar Stunden, in denen du dich ausruhen darfst. Zuerst wirst du allerdings den Stapel an Berichten zu Ende durchgehen. Und danach ... Schau‘n wir mal. Möglicherweise bekommst du endlich Antworten.“
„Du widerst mich an.“
„Ich weiß.“
Stille.
„Calvin?“
Keine Antwort.