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Am 01. November 2267 beginnt für Tess Kensington eine Reise, die sie tief in das Territorium der Ash'Gul'Kon führt. Bis heute ist nicht bekannt, was sie auf der anderen Seite, im Inneren des Schlundes, erlebte. Nach einem letzten Blick zurück veränderte sich ihr Leben für immer. Dies ist ihre Geschichte. In der Gegenwart hat die Stimme ihr Ziel erreicht und holt zum großen Schlag aus. Ein Simultanangriff auf die Welten des Imperiums und der Interstellaren Allianz beginnt, während die Tachyoneneinheit vorbereitet wird. Das Ende des großen Krieges scheint gekommen. Und mit ihm das Ende der Menschheit. Dies ist der 36. Roman der Serie "Heliosphere 2265". Das dritte Zyklusfinale.
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Seitenzahl: 259
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Table of Contents
„Ash’Gul’Kon - Der letzte Blick zurück“
Was bisher geschah
Teil 1 - Der letzte Blick zurück
Innerhalb der Tachyonenblase, irgendwann, irgendwo
Die Primespore, TrES-2-System, 14. November 2267, 15:31 Uhr
Innerhalb der Tachyonenblase, irgendwann, irgendwo
An Bord eines Sporenschiffes, Tau 1 Gruis III, 13. Januar 2268, 03:41 Uhr
Innerhalb der Tachyonenblase, irgendwann, irgendwo
Tikara-System, 2. Mond von Tikara 5, 20. Februar 2268, 08:35 Uhr
Tikara-System, Tikara 2, in der Hauptstadt, 24. Februar 2268, 21:30 Uhr
Innerhalb der Tachyonenblase, irgendwann, irgendwo
Außerhalb der Tachyonenblase, 25. Februar 2268 – 17. Oktober 2268
Innerhalb der Tachyonenblase, irgendwann, irgendwo
Sol-System, SOL-18, in der Nähe des Merkurs, 05. August 2268, 14:38 Uhr
Innerhalb der Tachyonenblase, irgendwann, irgendwo
Alzir-System, an Bord von Alzir-12, 04. November 2268, 06:54 Uhr
An Bord der NOVA-Station
Zwei Tage später
Innerhalb der Tachyonenblase, in einem Albtraumszenario, 06. November 2268, 21:58
Teil 2 - AshGulKon
Prolog
Alzir-System, Raumstation Alzir-12, 09. November 2268, 16:03 Uhr
Sol-System, Raumstation SOL-1, 09. November 2268, 16:11 Uhr
Irgendwo im Leerraum, zwischen Alzir und TrES-2, LK IONE KARTESS, 09. November 2268, 18:57 Uhr
Alzir-System, NOVA-Station, 14. November 2268, 09:01 Uhr
Randgebiet des TrES-Systems, IL HYPERION, 18. November 2268, 01:01 Uhr
Alzir-System, Präsidiale Residenz, 14. November 2268, 13:01 Uhr
Am Rande des TrES-Systems, Interlink-Kreuzer HYPERION, 21. November 2268, 15:41 Uhr
Alzir-System, Trägerschiff APOLLO, 21. November 2268, 10:13 Uhr
IL HYPERION, im Randgebiet von TrES, 21. November 2268, 16:04 Uhr
TrES-System, innerhalb des Tachyonenschlundes, in einem Albtraumszenario
Alzir-System, PRÄSIDIALE RESIDENZ, 21. November 2268, 19:01 Uhr
Im Randgebiet des TrES-Systems, 21. November 2268, 19:04 Uhr
IL HYPERION, TrES-System, 21. November 2268, 23:55 Uhr
Epilog I – Speerspitze
Epilog II – Kollision
Vorschau
Seriennews
Die Charaktere von Heliosphere 2265
Impressum
Heliosphere 2265
Band 36
von Andreas Suchanek
Anfang des Jahres 2268 herrscht Chaos in der Milchstraße. Das übermächtige Solare Imperium, mit Björn Sjöberg an der Spitze, hält seine Welten im Würgegriff. Gleichzeitig greifen die zurückgekehrten Ash‘Gul‘Kon, Spinnenskorpione, die ihrem temporalen Gefängnis entkamen, alle Völker an.
Um überhaupt eine Chance gegen die Widersacher zu haben, schmiedet die Präsidentin der Solaren Republik, Jessica Shaw, einen Pakt mit den Aaril, den Kybernetikern, den Rentalianern und den Parliden. Nach zahlreichen Rückschlägen gelingt das Vorhaben – die Interstellare Allianz wird gegründet.
Fernab der Politik schafft es Captain Noriko Ishida zusammen mit Unterstützern befreundeter Aliennationen, den gefangenen Commodore Jayden Cross aus den Händen des Imperiums zu befreien. Die Flucht von Alpha Centauri gelingt, und die Crew der HYPERION kehrt in das Alzir-System zurück.
Dort wartet eine entsetzliche Nachricht: Bereits vor Monaten wurde Admiral Mario Pelsano, den Jayden Cross und Isa Jansen als Freund betrachteten, getötet und durch eine Kopie ersetzt – die Kriegshand der Ash‘Gul‘Kon.
Die Erkenntnis kommt zu spät. Der Verband mit der Tachyoneneinheit, der unter dem Kommando des falschen Admirals Mario Pelsano steht, ist bereits auf dem Weg ins Heimatsystem der Spinnenskorpione. Diese besäßen damit eine der gefährlichsten Waffen der Galaxis – eine Möglichkeit, die Zeit nach Belieben einzufrieren oder zu beschleunigen.
Gibt es noch eine Möglichkeit, das Ende abzuwenden?
I
Der letzte Blick zurück
Prolog
Am 01. November 2267 an Bord der Schlüsselstation von Richard Meridian
(Vor einem Jahr)
Der Schmerz in ihrem Inneren war allumfassend. Jemand hatte ihr den Brustkorb aufgerissen, mit bloßen Händen das Herz genommen und einfach zerquetscht. Im Vorbeigehen.
Wir hatten nie eine Chance. Unser Erbe hat uns getötet.
Die Irisblende öffnete sich. Sarah stürmte herein. Sie hielt einen klobigen Deatomisierer im Anschlag, der einem alten Science-Fiction-Holovid entliehen schien. Captain Cross schaute ihr niedergeschlagen entgegen. Akoskin stand neben Larik, den er soeben aus einem der verdammten Eier geholt hatte.
Tränen rannen Tess‘ Wangen hinab.
Sie schämte sich dafür, doch sie hatte mit jeder Faser ihres Körpers gehofft, dass es John wäre, der in diesem einen Ei festsaß. Stattdessen war der Marsianer gerettet worden, kurz bevor die Kriegshand ihn zu winzigen, feingranularen Partikeln zersetzt hätte. John dagegen war gestorben. Zuvor allerdings hatte die Kriegshand jedem Einzelnen eine DNA-Probe entnommen. Die von Meridian vor Jahrhunderten auf dem Mars erschaffenen Verlorenen Kinder, die Kopien der Öffnungssequenz für den Tachyonenschlund in ihrer DNA trugen, hatten heute ihr Schicksal erfüllt.
John war einer davon gewesen. Er und die anderen enthielten in ihrer DNA eine Sequenz, die den Tachyonenschlund, der die Ash‘Gul‘Kon über Äonen hinweg gefangen gehalten hatte, öffnen konnte. Sie selbst trug einen Teil der Versiegelungssequenz in sich.
Und sie war die letzte der Schlüsselträger. Alle anderen waren tot.
Sarahs Blick traf den ihren. Mit wenigen Schritten war die Freundin bei dem Podest, auf dem Tess stand. Ein Prallschild umgab es. „Tess! Was ist passiert?“
„John ist tot“, brachte sie heraus. Es war die Stimme einer Fremden.
„Aber … oh nein.“ Sarah blickte fahrig umher. „Was ist mit …?“
„Die Schlüssel wurden vereint“, sagte Cross. „Wir konnten nur Lieutenant Larik retten.“
Sarahs Augen weiteten sich. Sie schaute auf zur transparenten Decke. Bis vor wenigen Minuten hatte dort ein Planet gehangen, dunkler als das All, schwarz wie Kohle. Nun waberte an der Stelle ein Schlund, durch den in diesem Augenblick die ersten Sporenschiffe der Ash‘Gul‘Kon flogen.
Zwischen Sarah und Captain Cross entspann sich eine Unterhaltung. L.I. Lorencia sprang an das Podest heran, um den Schild zu deaktivieren, der Tess gefangen hielt.
„Es ist soweit“, erklang die Stimme der Kriegshand aus dem Interkom-System. Der digitalisierte Geist des Kriegsherrn der Spinnenskorpione hatte sein Ziel erreicht. „Ich werde dich jetzt zu meinen Herren schicken, letzte Vertreterin der fünf Dynastien. Auf dass du den Untergang einleitest.“
Für sie persönlich hatte der Untergang längst begonnen. Jahrelang hatten John und sie nach dem Mörder ihrer Eltern gesucht. Am Ende waren sie fündig geworden. Doch John hatte nach einer Kette unglücklicher Ereignisse den Tod gefunden. Nun würde sie ihm folgen. Seltsamerweise fühlte sie dabei keine Angst. Nur Müdigkeit.
Die Decke verschwand, als sei sie nichts weiter als eine Projektion gewesen. Während die Helme aller Anwesenden ausklappten, um sie vor dem Atmosphärenverlust zu schützen, senkte sich über Tess ein goldgelbes Gespinst herab. Es umwaberte Tess wie ein wunderschöner tödlicher Schleier.
„Leb wohl“, sagte Tess leise zu der Frau, die ihr Freundin und Verräterin, Weggefährtin und Kameradin gewesen war. Die vielen Gesichter der Sarah McCall. Ein paar werde ich nie kennenlernen. Was sie wohl noch alles ausgeheckt hätte? „Benimm dich!“
„Nein!“, brach es aus Sarah in tiefem Schmerz heraus. „Du gehst nicht. Nicht auch noch du!“
Das Kraftfeld verschwand. Nahezu gleichzeitig sog das Gespinst Tess ein. Es wurde zu einer festen Kugel, in deren Innerem sie gefangen war. Sie war der Schmetterling im Bernstein.
„Nein“, sagte Sarah.
Die Kugel schoss in die Höhe. Unter Tess wurden ihre Freunde und Kameraden immer kleiner und verschwanden schließlich. Ebenso die Raumstation. Sie flog erst an der HYPERION, dann an den Kampfraumern der Assassinen vorbei. Als sie an den Sporenschiffen der Ash‘Gul‘Kon vorbeischoss, hatte sie den Eindruck, sie berühren zu können. Es waren gewaltige Gewebeklumpen, die ihr einen Schauer über den Rücken jagten.
Der Schlund erfasste sie. Die Kugel durchdrang die Porta, als bestünde sie aus Wasser. Als sie zurückblickte, wirkte das All, das ihr bisher Heimat gewesen war, als betrachte sie es von den Tiefen eines klaren Sees aus. Ihr Blick glitt über die Sterne, den Raum ringsum, die Schiffe. Irgendwo dort draußen war die HYPERION mit Ishida auf dem Sitz des Kommandanten. Zu Hause hofften Präsidentin Shaw und Isa Jansen, dass die Crew den Auftrag erfolgreich zu Ende gebracht und Richard Meridian aufgehalten hatte.Oder zumindest verhindert hatte, dass sein Plan gelang.
Diesmal nicht.
Es war ein letzter Blick zurück, das wusste Tess. Denn wie tollkühn Captain Cross auch sein mochte: Gegen die Übermacht der Spinnenskorpione kam niemand an.
Sie drehte sich um, wandte sich von ihrem bisherigen Leben ab. Die Energieblase flog tiefer in den Raum hinter der Porta. Die Umgebung war in einen grünen Schimmer getaucht. Es schien Tess, als bewege die Kugel sich durch etwas Festeres, als es das All war, doch es schien keinen nennenswerten Widerstand zu geben. Überall waberten Sporenschiffe, atmeten, sonderten Gase oder etwas Ähnliches ab. Riesige Klumpen zuckten konvulsivisch und spien weitere Sporenschiffe aus.
Dazwischen hingen Kuben, die aussahen, als bestünden sie aus Metall, das mit organischer Materie kombiniert worden war. Es sah aus wie der Menger-Schwamm.
Die Kugel umrundete ein Sporenschiff …
… und Tess hielt den Atem an.
Aus den Erzählungen der Hüterin des Wissens wusste sie um den Krieg zwischen den Ash‘Gul‘Kon und dem Iljianischen Bund. Dabei waren auch die Dunklen Archen zur Sprache gekommen. Mit diesen brachen die ersten genetisch veränderten Wesen aus dem Bund auf, entwickelten sich zu den Spinnenskorpionen und kehrten dann zurück. Sie hatten den Krieg mit sich gebracht.
Im Näherkommen begriff Tess, dass es sich um eine der Dunklen Archen handeln musste. Ein lang gezogenes Ovoid aus einem metallartigen Material. Verblüfft realisierte sie, dass es keinen organischen Bestandteil gab, zumindest war äußerlich nichts davon zu sehen.
Die Kugel hielt auf die Dunkle Arche zu.
Damit war ihr Ziel klar. Tess begriff, dass ihr Leben vorbei war.
Sie sollte recht behalten.
Es ist der Geist der Ewigkeit,
der jeden Geist der Zeit
richtet und überschaut.
Jean Paul (1763 -1825)
Zuerst war da Wärme. Sonnenstrahlen fielen auf ihren nackten Rücken, Morgenlicht drang durch ihre geschlossenen Lider. Tess rekelte sich wohlig zwischen den Bettlaken. Im nächsten Augenblick pressten sich feste Bauchmuskeln an ihren Rücken, spürte sie Lippen im Nacken. Ein Kuss. Ein Hauch an ihrem Ohr: „Guten Morgen, du Schlafmütze.“
„Morgen“, murmelte sie zurück. „Welcher gemeine Schuft hat das Glas transparent geschaltet?“
„Schuldig“, gestand John. „Andererseits hätten gewisse Personen mich ohne Antigravpack aus dem Fenster geworfen, wenn ich das nicht getan hätte. Wir erinnern uns, was heute für ein Tag ist?“
Tess öffnete ein Auge. Grummelig linste sie zu dem Mann hinüber, der – nur mit Shorts bekleidet – neben ihr lag. Auf seinem Gesicht ruhte ein lausbubenhaftes Grinsen. „Ja, ein verschwendeter.“ Sie schloss das Auge wieder.
„Ich wurde ja vorgewarnt“, sagte er mit einem Seufzen. „Aber gut, von mir aus bleiben wir hier den ganzen Tag liegen. Ohne Klamotten. Wälzen uns wild über das Laken und …“
„Später vielleicht“, gab sie – nun ebenfalls seufzend – zurück. „Ich komme ja nicht drumherum.“
„Endlich, die Pragmatikerin ist aufgewacht. Andererseits, jetzt hättest du sie auch schlafen lassen können.“ Er zwinkerte.
„Ich fürchte, wir müssen heute alle Opfer bringen.“ Sie stupste ihn in die Seite. „Aber heute Abend gedenke ich, auf das Angebot mit dem Wälzen und den Laken zurückzukommen.“
John rollte sich wieder zu ihr, hauchte ihr einen verführerischen Kuss auf den Mund. „Wann ist ‚Abend‘?“
Sie erwiderte den Kuss. „Später.“
Glücklicherweise war sie sportlich und schnell. Das Kissen flog hinter ihr gegen den Türrahmen, als sie in die Küche sprintete.
Auch hier hatte John das Glas transparent geschaltet. Die morgendliche Sonne flutete das Penthouse und gab einen wunderschönen Blick auf die Skyline von New York frei. Auf dem Tisch standen zwei Teller. Auf jedem lag ein French Toast. Daneben stand die obligatorische Müslischüssel. Ein Frühstück ohne Müsli ließ für den Rest des Tages alle in Tess‘ Umgebung in Deckung gehen, denn es machte sie unausstehlich. Daneben stand ein Green Smoothie, den John selbst zubereitet hatte. Sie nippte daran. „Gute Mischung, aber ein wenig zu viel Spinat.“
Er sank ihr gegenüber auf den Stuhl. „Sonst noch irgendwelche Beschwerden, Eure Hoheit?“
Sie erwiderte nasal: „Nein, wir sind sonst ganz zufrieden mit Ihm. Unsere Füße allerdings verlangen nach einer Massage.“ Sie kicherte.
„Und mein Magen nach Futter.“ Er ignorierte den ausgestreckten Fuß und vertilgte seinen Toast.
Tess machte sich über das Müsli her. Während sie die Cerealien löffelte, fiel ihr Blick immer wieder auf den Verlobungsring an ihrer Hand. Nachdem heute in einer feierlichen Zeremonie das neue Gebäude von Kensington Inc. eingeweiht worden war, würden sie gemeinsam zum Mittagessen fahren: Johns Mum, die Ex-Präsidentin der Union, sein Dad und Tess‘ Eltern. Dort wollten sie ihnen die Verlobung verkünden.
Vermutlich würde ihre Mum einfach sagen: „Es wurde aber auch Zeit.“
Sie kicherte.
„Was ist so lustig?“, fragte John.
„Ach“, sie winkte ab. „Ich habe mir nur gerade einen Witz erzählt, den ich noch nicht kannte.“
Stirnrunzelnd beugte er sich über ihre Müslischüssel. „Ist da ein Clown hineingeraten und du hast ihn gegessen?“
„Spinner.“ Sie bewarf ihn mit ein paar Haferflocken.
Er revanchierte sich mit einem Stück Toast.
Bevor das Ganze zu einer wüsten Essensschlacht ausarten konnte, erklang die Stimme des Haussystems. „Der Flugwagen wird in sechsunddreißig Minuten eintreffen.“
„Jetzt hast du Glück“, kommentierte Tess. „Das Müsli hätte den Toast fertiggemacht.“
In Rekordzeit hatte sie die neue Sporendusche benutzt, verteilte Nanogel für einen frischen Teint auf ihrem Gesicht und schlüpfte in ein elegantes schwarzes Businesskostüm. Im Dunkeln fluoreszierte es leicht und bildete den Sternenhimmel ab.
Als sie aus dem Bad kam, stand John mit verschränkten Armen im Türrahmen. „Wird das heute noch was?“ Der Lausbube grinste erneut.
„Na warte, Freundchen, diesen Abend wirst du nicht vergessen.“
Der Flugwagen brachte sie direkt vor das neue Gebäude der Kensington Inc., wo Kameradrohnen schwebten, eine Schar an Reportern alles belagerte, was Rang und Namen hatte, und ihre Mutter wie ein Irrwisch hin- und her hetzte.
Sie hatten den Pendergast-Garten reserviert. Ein wunderschöner Rosengarten, benannt nach der obersten Befehlshaberin der Space Navy, die den Sjöberg-Putsch verhindert hatte. Bei dem Gedanken, was alles hätte passieren können, wenn dieser Wahnsinnige erfolgreich gewesen wäre, wurde Tess schlecht.
Der Flugwagen setzte im dritten Sicherheitsperimeter auf. Sofort eilten genetisch designte Bodyguards der Alpha-Klasse herbei. Die Tür glitt auf.
„Guten Abend, Miss Kensington, Mister Kartess“, begrüßte sie ein breitschultriger Mann mit zurückgelegtem blonden Haar. „Ich bin Alpha 365 und heute der Chef der Sicherheit.“
Tess nickte freundlich zurück, obgleich sie natürlich wusste, dass ihm das egal war. Alpha-Klone besaßen keine Emotionen. Bei der nächsten Generation wollte man das ändern. „Danke.“
Gemeinsam mit John ging sie zum Übergangsbereich des zweiten Sicherheitsperimeters. Hier wurden sie noch einmal gescannt und erhielten alle Zugangscodes in den URFID-Chip im Handgelenk übertragen.
„Was für ein Aufwand.“ Tess schüttelte den Kopf. „Und das alles wegen dieser Irren.“
John winkte ab. „Nachdem sie zwei Wolkenpfeile in die Luft gesprengt hat, kann ich die Sicherheitskräfte verstehen. Gehen wir lieber kein Risiko ein.“
„Hab gehört, ihre Tochter wurde mittlerweile verhaftet.“
„Noriko, ja“, bestätigte John. „Aber Yuna ist noch frei. Und ihr Hass auf die Firmendynastien und die Regierung ist ungebrochen.“
„Das Miststück bekommen sie auch irgendwann.“
„Endlich!“ Tess zuckte zusammen. Ihre Mum stürzte sich auf sie wie ein Raubtier.
Es folgten Gesichter, die ihr zulächelten, Hände, die sie schüttelte, und nichtssagende Floskeln, die sie herunterbetete. Diesen Teil hasste sie. Aber auch er gehörte zum Job – den sie unterm Strich liebte.
Nach und nach kehrte Ruhe ein, die Gäste nahmen Platz, der Vorredner kündigte sie an. Alles verlief nach Plan. Dann fiel ihr Name.
Tess erhob sich. Zielstrebig ging sie zur Bühne. Obgleich sie ein Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmen lenkte, verabscheute sie Ansprachen vor größeren Mengen.
„Vor vier Jahren hatte ich eine Idee“, begann sie. „Eine jener großartigen Ideen, die einfach umgesetzt werden müssen. Ich wollte zur Space Navy. Daraufhin sagte meine Mum: ‚Kind, du kannst unmöglich eine Uniform anziehen, dich in ein Raumschiff setzen und durchs All gondeln. Du bist einfach zu frech. Du wirst einen interstellaren Zwischenfall auslösen‘.“
Die Menge lachte. Das Eis war gebrochen.
„Heute stehe ich hier, vier Jahre später, und kann nur sagen: Danke, Mum. Vermutlich hattest du recht.“
Wieder Lachen.
Tess schaute zu ihrer Mutter.
Im gleichen Augenblick explodierte deren Kopf. Blut und Gehirnmasse verteilten sich auf ihren Dad und John. Schüsse surrten, Personen kippten zu Boden. Überall Blut und Schreie.
Tess konnte sich nicht bewegen. Fassungslos starrte sie auf das Gemetzel. Aus einem der Lautsprecher erklang, zeitlich auf ihre Rede abgestimmt, die Hymne der Solaren Union. Ein Mann in dunklem Kampfdress erschien. Er ging durch die Menge und tötete; brach hier ein Genick, schoss dort einen Pulserpartikel in eine Stirn. Die Sicherheitskräfte wurden mit Blasterstrahlen niedergestreckt.
Wolken schoben sich vor die Sonne und tauchten den Pendergast-Garten in düsteres Zwielicht.
Am Ende waren nur noch Wenige am Leben. Tess wollte zu John, der ebenfalls fassungslos dastand, konnte sich aber nicht bewegen. Zwischen den Toten und Verletzten standen aber auch andere. Da war ein Mann mit dunkelblondem Haar in einer Uniform der Space Navy. Eine Frau mit langen schwarzen Haaren – Ishida! Ihr Sicherheitschef, Alpha 365, stand neben ihnen, auch er trug eine Uniform der Space Navy.
Der Assassine ließ seine blauen Augen aufleuchten, während er durch die Reihen schritt und jeden von ihnen tötete. Am Ende stand nur noch John. Er stellte sich dem Assassinen in den Weg.
„Nein“, hauchte Tess. Tränen liefen über ihr Gesicht.
Der Assassine hob die Hand. Blaue Blitze zuckten daraus hervor. John verwandelte sich in Sand, der vom Wind davongetragen wurde.
Weit in der Ferne erblühte eine gewaltige Explosion. Der Himmel färbte sich rot. Abertausende von winzigen Schiffen glitten über das Firmament. Es war das Armageddon.
Der Assassine stieg zu ihr auf das Podest, stand ihr gegenüber, den Blick freudig lächelnd gen Himmel gerichtet. Dann sah er sie an. Mit einem Ruck bohrte er seine Fingernägel in seinen Hals und riss die Maske herunter.
Tess erblickte sich selbst.
Die Erinnerung kam zurück. Das alles hier war nicht echt. Ebenso wenig wie die Male zuvor. „Ihr werdet mich nicht brechen!“
„Das Böse in dir wird stärker“, sagte Assassinen-Tess. „Mit jedem Mal wird es dir schwerer fallen, dich zu erinnern. Du wirst zerbrechen, Tess Kensington. Einzig deine Stimme wird bleiben.“
„Niemals!“
Die Welle der Explosion raste heran. Und bevor sie sie erneut verschlang, erneut ein Szenario beendete, fragte Tess sich verzweifelt: Wie lange bin ich schon hier?
*
(Vor etwa einem Jahr)
„… ebenso fallen wie all die anderen Welten, die zwischen uns und der Wiege der Menschheit liegen. Kein Volk der Galaxis ist vor uns sicher, niemand wird verschont.“
Die Stimme fühlte pure Genugtuung. Im Holoband, das vor ihr in der Luft schwebte, sah sie jene, die mit Tess Kensington befreundet waren. Verblüfft und entsetzt starrten sie sie an, ihren Leib, ihr Gesicht, ihr Ich.
„Aber warum tun Sie das?“, fragte Cross.
Sie lächelte, doch es war ein Lächeln der Abscheu. Eine Grimasse der Verachtung.
Für sie war jede Sekunde in diesem neuen starken Körper eine Wohltat, jeder Augenblick machte ihr aufs Neue klar, dass sie sich von diesen Wesen dort unterschied.
Zum Glück. Das ursprünglich lange blonde Haar war nun kurz und schwarz, ihre Haut von Chitin bedeckt. Hier und da gab es noch Uniformfetzen, die zwischen den Chitinplatten klebten und die auch die Säure nur langsam auswusch, die sie ständig absonderte, um die Platten zu reinigen. Dass man sie noch nicht entfernt hatte, war der Hektik geschuldet. Ihre Augen glichen zwei wunderschönen Kohlestücken, aus dem Rücken ragten in regelmäßigen Abständen messerscharfe Krallen. Ihr eleganter Skorpionschwanz zuckte, wollte Gift in Leiber pumpen. Kurz gesagt: Sie war perfekt, schon jetzt.
„Die Menschheit hat ihre Existenz verwirkt.“ In wenigen Worten zerstörte sie Cross‘ letzte Hoffnung an eine friedliche Lösung.
Natürlich appellierte er an sie, sprach von dem Kampf, den er und die Menschen ihr liefern würden. Kapitulation kam für ihn nicht infrage. Welch eine Überraschung.
Sie schleuderte ihm ihren Hass entgegen. Dann lächelte sie ein letztes Mal, zeigte ihm, wie sanft sie sein konnte und wie erbarmungslos. Die Menschheit konnte nicht gewinnen. Nicht gegen die Ash‘Gul‘Kon. „Wir sind Legende.“
Damit beendete sie die Verbindung.
Das also war der Beginn.
Sie war zurückgekehrt aus der Zone hinter dem Schlund, doch die geistige Nabelschnur bestand weiter. In ihrem Kopf hörte sie die flüsternde Stimme, die immer da war. Sie blieb nebulös und diffus. Stimme, Hand und Geist waren noch nicht vereint.
Die Stimme stand im Kommandoalkoven auf der Primespore. Der Bruttümpel blubberte und verströmte Gärgase, die sie genüsslich einsog. Der Kontaktschleim lief über die Steuerflächen der organischen Terminals. Die Wand zuckte, atmete, nahm Nährstoffe auf, sonderte andere Stoffe nach außen ab.
Eine der niederen Kreationen wuselte heran. Sie glich einer überdimensionalen Spinne aus heller organischer Materie. Die Stimme nannte sie Klumpen-1. „Der Prozess wurde ausgelöst, die Reifung des neuen Körpers für die Kriegshand ist im Gange.“
„Ausgezeichnet.“
„Darf ich vorschlagen, den Reifeprozess auf die andere Seite zu verlagern?“, sagte er kriecherisch. „Da der Zeitablauf dort schneller ist, werden für uns nur Augenblicke vergehen, bis der Körper gereift ist.“
Sie winkte ab. „Mein Befehl war klar. Das Risiko, dass die menschlichen Zellen durch die veränderte Tachyonenstrahlung korrumpiert werden, ist zu groß. Er muss perfekt sein.“
„Selbstverständlich.“
„Du hast mich kritisiert.“ Ihr stieg der Duft der Angst, den seine Hormondrüsen in die Luft abgaben, in die Nase. Eine Wohltat. Ihr Skorpionschwanz zuckte. Kurzerhand durchbohrte sie Klumpen-1 mit ihrem Stachel, zog ihn zu sich heran und zerfetzte seinen Körper. Danach verspeiste sie genüsslich die Überreste.
„Gutes Personal ist so schlecht zu finden“, murmelte sie. In Gedanken stellte sie sich vor, wie sie alle ehemaligen Freunde und Kameraden von Tess Kensington ebenso in Stücke riss.
Die Kriegshand reifte also heran, die Flotte wuchs mit jeder Minute, die Menschheit war zerstritten wie eh und je. Nur das Imperium stellte noch ein Problem dar – genauer gesagt, der Mann an seiner Spitze. Sjöberg. Der Klon mit der DNA eines Ash‘Gul‘Kon.
Alles zu seiner Zeit.
Sie mussten auf der Hut sein. Die Stimme wusste, wie einfallsreich die Menschen waren. Gleichzeitig wurde immer offensichtlicher, dass die Zeitdifferenz zwischen der Welt da draußen und dem Inneren der Tachyonenblase zurückging. Der Tachyonenfluss innerhalb des Gefängnisses passte sich dem Raum außerhalb an, nun, da der Schlund geöffnet und eine Verbindung hergestellt war. Am Ende würden die Reste der Schale einfach vergehen.
„Möglicherweise lässt sich daraus noch etwas machen“, murmelte sie. Nicht umsonst war der neue Körper der Kriegshand dazu gedacht, die Menschheit zu infiltrieren.
Bei dem Gedanken, dass sie mit dieser Infiltration einen Streich wiederholte, der der Republik von den Assassinen – und damit Meridian – bereits einmal gespielt worden war, lachte sie gehässig. „Ihr mögt ja alle dem Untergang geweiht sein, doch vorher habe ich noch eine Menge Spaß mit euch.“
Entspannt lehnte sie sich zurück und betrachtete die Horden der Sporenschiffe, die Entermannschaften ausspuckten. Flugdrohnen übermittelten ihr, wie sie den Fortpflanzungsvirus in die Leiber der Besiegten injizierten. Es störte sie ein wenig, dass Stunden vergingen, in manchen Fällen gar Tage, bis der Bauch des infizierten Menschen aufplatzte und der Nachwuchs geboren wurde.
„Aber jetzt bin ich ja da“, sagte sie. „Wir werden das alles verbessern. Und dann“, sie erhob sich, „werden Welten brennen“.
*
Die Erschütterung schleuderte Tess durch den Raum. Erneut bebte die NOVA-Station.
„Wenn wir die Rebellen nicht aufhalten“, sagte Captain „Kirby“ Belflair, „werden sie uns die Station unter dem Hintern wegschießen.“
Tess konnte es noch immer nicht fassen, dass es diesem verdammten Miststück McCall gelungen war, eine Sub-Routine in den Computerkern der Raumstation zu speisen. Das hatte die HYPERION maskiert, die seit Wochen unter der Station gehangen hatte – und so von den Sensoren andockender Schiffe nicht hatte erfasst werden können. „Ich gebe hier mein Bestes.“
Sie rappelte sich auf. Ihre Taktik- und Waffenkonsole hatte es überstanden, was man vom Rest der Kommandobrücke nicht behaupten konnte. John saß noch hinter seinem Kommunikationsterminal, abgesehen von ein paar Schrammen war er wohlauf. Die Sensorspezialistin – Tasha Yost – lag jedoch reglos am Boden. Eines der Terminals war derart heftig explodiert, dass es ihr das Gesicht zerfetzt hatte.
„Verdammt noch mal, was haben die für einen Navigator?“, fluchte Commodore Sjöberg. „Wie kann der nur jedem unserer Schüsse ausweichen?“
Tess‘ Finger flogen über das Terminal und kalibrierten die Zielerfassung neu. Hinter dem Steuer der HYPERION, das wusste sie, saß Lieutenant Michaela Sal, ein Ass auf ihrem Gebiet. „Ich kriege euch trotzdem!“
Sie wusste, dass Captain Hekun niemals aufgeben würde. Nach der Schlacht bei Tikara 2, bei der nahezu seine gesamte Mannschaft umgekommen war, war er zum Helden aufgebaut worden. Michalew hatte ihn auf den Posten des Kommandanten der HYPERION gesetzt. Nun war der Putsch in vollem Gange. Falls die Rebellen die NOVA-Station eroberten, war es vorbei, dann fiel ihnen auch Puls, die Kriegswelt des Systems, in die Hände. „Ziel ist erfasst.“
Der Gefechtscomputer feuerte Salve um Salve auf die HYPERION. Gleichzeitig wurden die Torpedoforts endlich erfolgreich rebootet. Es war gelungen, McCalls eingeschleusten Virus zu deaktivieren.
Commodore Sjöberg ballte die Fäuste. „Vernichten Sie sie!“
Die Torpedos schlugen in die Schilde der HYPERION ein und brachten sie so schließlich zum Kollabieren. Der erste Interlink-Kreuzer der Menschheit verging in einer lautlosen Explosion. Die Heimatflotte Alzirs konnte die übrigen Einheiten, deren Moral nach diesem Verlust keinen Cent mehr wert war, problemlos aufreiben. Die Schlacht war vorüber.
Die Paramedics kamen herein, versorgten die Verwundeten und brachten die Toten fort.
Commodore Sjöberg kam zu Tess und legte ihr väterlich die Hand auf die Schulter. „Was Sie heute hier geleistet haben, Lieutenant, war brillant. Das wird Ihnen eine Beförderung einbringen. Machen Sie weiter so.“
„Danke, Sir.“
Ein Grinsen erhellte seine Züge. „Wer weiß, die Ingenieure suchen noch nach einem Namen für die neuen Gefechtsgondeln.“
„Kensington-Gondeln?“ Sie erschauerte. „Bloß nicht. Aber vielen Dank, Sir.“
„Weitermachen.“
Kurz darauf verließ der Commodore die Kommandobrücke. John übernahm die Koordinierung der Aufräum- und Reparaturarbeiten. Abgesehen von ein oder zwei Schrammen waren sie beide glimpflich davongekommen.
Die folgenden Stunden vergingen wie im Flug, bestanden sie doch darin, die Systeme wieder online zu bringen – und zwar fehlerfrei. Auch der Kern wurde neu gebootet.
Schließlich schlenderte sie gemeinsam mit John über das Erholungsdeck. Vor der transparenten Wand flogen Shuttles und Reparaturschiffe hin und her. Ingenieure in Skinsuits krochen über die Außenwände von Raumschiffen, Keramikplatten wurden verschweißt, andere Schiffe geöffnet, um Aggregate herauszuziehen, die ausgetauscht werden mussten.
„Die Ruhe nach einer Schlacht“, murmelte sie.
„Ja, sehr angenehm“, sagte er. „Ich habe den Commodore eben noch getroffen.“
„Und?“
„Er bringt gerade Paramedic Syra Pembleton zur Luftschleuse“, sagte John. „Sie gehört zu Michalews Leuten.“
„Wieso zur Luftschleuse?“ Tess nippte an ihrem Kaffeebecher. Mit gerunzelter Stirn schaute sie auf das Gefäß. Kaffee?
„Sie wird exekutiert“, erwiderte John.
Sie zuckte zusammen. „Wie bitte?“
„Was dachtest du denn, was mit Verrätern geschieht?“ Er warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Immer schön auf Linie bleiben, verstanden? Nur so schaffen wir es.“
Ein eisiger Schauer rann ihren Rücken hinab.
Wo bin ich? Was ist das hier?
Als ziehe ein Magier das Tuch beiseite, das seinen Zaubertrick bisher verborgen gehalten hatte, kam die Erinnerung zurück. Das hier war nicht echt. Sie erkannte, dass es sich nur um ein Szenario handelte. Eines von Tausenden, die sie schon durchlebt hatte. Sie wollten sie brechen, eine andere Erklärung gab es nicht.
Sie wollte ihren Pulser ziehen und diese John-Karikatur erschießen, die neben ihr stand. Doch sie konnte es nicht. Niemals würde sie ihn verletzen. Auch, wenn es nur ein Abbild war. Das war ihre Achillesferse.
Sie blickte auf ihren Hand-Com, um Zeit zu gewinnen. Sie musste sich fangen. „Mist. Ich muss in den Maschinenraum“, lenkte sie dann ab. „McAllister will mich sehen.“
„Ich dachte, der Wunderknabe bekommt alles alleine hin“, sagte John.
„Wohl doch nicht. Wartest du hier auf mich?“
„Klar.“ Er zog sie in eine Umarmung, hauchte ihr einen Kuss auf den Mund.
Tess war stolz auf sich. Sie verzog keine Miene. Als das Schott hinter ihr einrastete und sie seinen Blicken entzogen war, atmete sie auf. Zielsicher strebte sie auf den Maschinenraum zu.
Es war ein ständiger Kampf. Wie in einem Traum. Ihr Unterbewusstsein kämpfte gegen sie, versuchte, ihr das Bewusstsein für die falsche Realität zu nehmen. Erst wenn ein Hinweis ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, kam die Erinnerung zurück. Bis dahin war sie Teil des Theaterstücks, das auf einer unbekannten Bühne aufgeführt wurde.
Ohne Hilfe von außen würde sie hier gefangen bleiben, da sie nicht einmal wusste, wo ‚hier‘ eigentlich war. Aber was immer sie dieses Mal planten, sie würden nicht damit durchkommen. Keinesfalls.
Tess erreichte den Maschinenraum. Sie war kein kaltblütiger Mensch. Auch wenn das alles hier nur Trugbilder, Hologramme oder Ausgeburten ihrer Fantasie waren, konnte sie nicht einfach mit einem Pulser alle niedermetzeln. Rasch überbrückte sie die Sicherheitskontrolle und betrat den Fusionsreaktorraum. Dort zog sie den Pulser.
„Was tust du?“, erklang eine Stimme. Die andere Tess trat plötzlich hinter einem der Reaktoren hervor.
Tess begegnete ihr gelassen, auch wenn die Andere mittlerweile schwarze Haare trug und an verschiedenen Stellen des Körpers Chitinplatten hervorragten. „Wolltest du es diesmal mir überlassen, ein Gemetzel auszulösen?“
„Eigentlich sollte John das tun“, gab ihr Gegenüber zurück. „Der seelische Schock wäre größer gewesen.“
„Zweifellos. Aber dafür ist es zu spät.“
„Was hat uns verraten? Hm? Sarah als Brautjungfer war beim letzten Mal zu viel, das gebe ich ja zu. Und die Sache mit Cross und John, die sich gegenseitig umbringen, weil sie eifersüchtig sind, auch. Wir experimentieren nun mal mit verschiedenen psychischen Faktoren.“ Die falsche Tess lehnte sich an die Wand. „Dir ist schon klar, dass du mit der Zerstörung des Reaktors alle hier tötest, oder?“
„Das ist der Sinn.“
„Wie diabolisch“, kam es zurück. „Dann kannst du wohl nur hoffen, dass es tatsächlich ein fiktives Szenario ist.“
„Mach dich nicht lächerlich. Ich erinnere mich an das, was real ist.“
„Ah. Natürlich.“ Die andere Tess stieß sich von der Wand ab, ging gemächlich auf den Reaktor zu und legte eine Hand auf das Gehäuse. „Oder du glaubst zumindest, dass du es weißt. Theoretisch könnte es auch umgekehrt sein, nicht wahr? Wir könnten dir Erinnerungen an eine fiktive Realität eingepflanzt haben, um dich als Werkzeug zu benutzen. Du sollst hier, in der echten Realität, den Kern zur Explosion bringen, um deine Freunde zu töten. Die Frage ist jetzt natürlich: Was von beidem ist echt, was ist nur Illusion?“
Tess schluckte. Sie war ein logisch denkender Mensch. Zugegeben, manchmal übernahmen ihre Emotionen die Kontrolle über ihr Mundwerk. Davon abgesehen ging sie Probleme aber durchaus rational an.
Und ihre Feindin hatte in diesem Fall recht. Was war real? Theoretisch konnte sie sich die andere Tess auch nur einbilden, während das alles hier eben keine Fiktion darstellte. Hatte man ihr die Erinnerung an frühere Szenarien und ein anderes Leben davor nur eingeimpft, um sie zu einem Anschlag zu motivieren?
Entsetzt begriff Tess, dass sie ohne einen Input von außen nicht sagen konnte, was real war.
„Du kannst natürlich den Reaktor sprengen“, sagte das Miststück. „Aber bist du wirklich bereit, Johns Leben zu opfern, weil du glaubst, das alles hier sei nicht echt? Möglicherweise würde dir ein guter Psychologe weitaus mehr helfen als dieser Pulser.“
Schweißperlen bildeten sich auf Tess‘ Stirn, die Waffe in ihrer Hand wurde schwer. Langsam ließ sie den Lauf sinken.
Plötzlich packte eine Hand nach ihrem Gelenk, schob den Arm wieder in Position.
„Schieß“, sagte Sarah. Sie stand neben ihr und trug eine Uniform der Space Navy. Das dunkelblonde, gelockte Haar fiel ihr über die Schultern. Nur der Bambi-Blick fehlte. Stattdessen wirkte sie ernst. „Es ist ein Szenario. Denk nicht nach, verlass dich auf dein Gefühl. Wo du auch landest, ich finde dich.“
„Aber …“
„Vertrau mir. Es ist anders, als du denkst.“ Sarahs Stimme wurde brüchig.
Tess hörte auf zu denken. Sie zielte und schoss.
„Es ist viel schlimmer“, flüsterte Sarah.