Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Das Außenteam betritt die Dunkle Arche. Endlich ist Tess Kensington in Reichweite, obgleich noch immer gefangen in der virtuellen Realität. Jayden und Kirby schmieden einen Plan, wie das verlorene Crewmitglied gerettet werden kann. Doch der Geist gibt nicht so einfach auf. Unterdessen kommt es zu dramatischen Entwicklungen im Heimatsystem der Rentalianer. Ist ein Sieg überhaupt noch möglich? Dies ist der 38. Roman aus der Reihe "Heliosphere 2265".
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 144
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Heliosphere 2265
Band 38
von Andreas Suchanek
Ende des Jahres 2268 steht die Menschheit am Abgrund. Der übermächtige Imperator Björn Sjöberg konnte bei einem Staatsstreich im Februar 2266 die Macht an sich reißen. Im Würgegriff von Überwachung, Geheimpolizei und absoluter Kontrolle gibt es auf den Kolonien der ehemaligen Union keine Freiheit mehr.
Nach zahlreichen Rückschlägen, verlorenen Freunden, Kämpfen und Gefangenschaft erscheint für die aus den Rebellen hervorgegangene Solare Republik endlich ein Lichtblick am Horizont. Präsidentin Jessica Shaw ist es gelungen, die Interstellare Allianz zu gründen. Gemeinsam mit den Rentalianern, den Parliden, den Aaril und den Kybernetikern bildet die freie Menschheit eine Schicksalsgemeinschaft.
Doch die gute Nachricht wird getrübt. Die Ash’Gul’Kon, Spinnenskorpione, die Äonen in einem Tachyonengefängnis eingeschlossen waren und im November 2267 entkommen sind, holen zum großen Schlag aus. Ein lange vorbereiteter Plan wird umgesetzt. Die Tachyoneneinheit, bestehend aus zwei genetisch manipulierten Menschen, soll die Zeit im Bereich aller besiedelten Planeten der galaktischen Völker einfrieren, um den Ash’Gul’Kon den letzten Vernichtungsfeldzug zu ermöglichen.
Die HYPERION unter Commodore Jayden Cross und Captain Noriko Ishida fliegt ins System der feindlichen Aliens und verändert erfolgreich die Zieleinstellung des Geräts. Während den Welten der Allianz damit eine Ruhephase vergönnt ist, werden die Spinnenskorpione sowie das Imperium in der Zeit eingefroren.
Commodore Jayden Cross, Commander Noriko Ishida und die Crew der HYPERION können zusammen mit der IONE KARTESS dank eines in die Schiffe integrierten Neutralisators den fremden Weltraum erkunden, bewegen sich dabei aber massiv verlangsamt gegenüber dem normalen Zeitablauf außerhalb des Ash’Gul’Kon-Gebietes.
Kurz vor der endgültigen Sicherheit für die Republik gelang es jedoch einer Flotte aus Schiffen der Spinnenskorpione, in das System der Rentalianer einzufallen. Damit steht erneut alles auf dem Spiel. Denn mit dem Feind im eigenen Raum könnte der erste Dominostein fallen und in einer Kettenreaktion die gesamte Allianz in den Abgrund reißen.
Die Kämpfe im All stehen unter keinem guten Stern – eine der äußeren rentalianischen Welten fällt den Ash’Gul’Kon zum Opfer. Nur knapp kann sie vor der Invasion evakuiert werden. Bevor eine Gegenoffensive startet, erreicht die Crew der APOLLO unter Captain Isam Ortega eine folgenschwere Nachricht: Alus, die Hauptwelt der Hundealiens, wurde von einem Landeteam der Spinnenskorpione infiltriert, die sich rapide ausbreiten. Ist das das Ende des Widerstands gegen die Invasion?
Die HYPERION fliegt durch den Schlund im Gebiet der Ash’Gul’Kon in jenen Bereich, der viele Jahrhunderte eingeschlossen war. Hier sollen Tess Kensington befreit und Antworten auf die Fragen zum Fortpflanzungsvirus gefunden werden.
Doch kurz nach dem Einflug bricht ein Raumschiff aus dem übergeordneten Phasenraum hervor. Es stellt sich heraus, dass es sich hierbei um die verschollen geglaubte JAYDEN CROSS handelt, die zudem einen Eriin-Kreuzer im Schlepptau hat.
Nach dem Wiedersehen der Crews erfolgt der erste Außeneinsatz auf einer Sporenstation. Doch die Spinnenskorpione erwachen, da die Station die Neutralisationsstrahlung des Shuttles gegen die verlangsamte Zeit ausnutzt. Nur knapp können Cross, Ishida, Belflair, Alpha 365 und Ian McAllister durch eines der Transporttore entkommen. Sie erreichen eine Dunkle Arche und sind Tess Kensington damit so nah wie nie zuvor, seit diese gefangen genommen wurde.
Ein schmatzendes Geräusch erklang. Schleimfäden zogen sich zwischen Schott und Siegelbereich der Wand in die Länge, als Fähnrich Ian McAllister und Commodore Jayden Cross es öffneten.
»Ist hier eigentlich alles widerlich?«, fragte Kirby.
»Rhetorische Frage?«, sagte Jayden grinsend.
»Aber sowas von.«
Gemeinsam betraten sie den nächsten Raum der Dunklen Arche. Die Passage durch das schwarze Wurmloch hatte sie direkt ins Zentrum des Feindes gebracht. Der Tachyonenschleier lag noch immer über der Galaxis und fror die Ash’Gul’Kon in der Zeit ein. Trotzdem betrachtete Jayden misstrauisch jeden Spinnenskorpion, an dem sie vorbeigingen. Immerhin hatte sich die Sicherheit an Bord der Sporenstation, von der sie geflohen waren, letztlich als trügerisch entpuppt.
»Dort vorne«, sagte Ishida. Die Kommandantin der HYPERION wies mit der Hand in den Korridor vor sich. »Es wird immer deutlicher.«
Jeder von ihnen hielt seinen Pulser in der Hand. Auf die Scanner der Anzüge konnten sie sich aufgrund der veränderten physikalischen Konstanten nur bedingt verlassen.
Alpha 365 bildete die Nachhut und sah bei jedem Schritt sichernd umher.
»Da überstehe ich eine Havarie, Verräter, unsterbliche Diktatoren und Biokonstrukte und was passiert?«, sagte Kirby leichthin. »Frau landet auf einer Dunklen Arche. Eingefroren in der Zeit.«
Jayden schmunzelte. Er fühlte sich wohl mit dem viel zu lange vermissten warmen Gefühl in seiner Magengegend.
Als Kirby sein Grinsen bemerkte, erwiderte sie es sofort.
»Da ist es!«, rief Ishida und beendete damit den Moment intimer Stille.
Vor ihnen schälten sich zwei Behältnisse aus der Finsternis. Eines glich einem hermetisch abgeschlossenen Sarkophag. Das andere war ein Pool, angefüllt mit einer schleimigen Nährstofflösung, der nach oben hin offen war.
Sie blieben zwischen den beiden Gefäßen stehen. So nah am Ziel konnten die Scanner Daten aufzeichnen.
»Es ist Tess Kensington«, sagte Ian McAllister. »Das andere ist die Stimme.«
»Die Stimme!«, rief Ishida. »Schade, dass ihr Behälter nicht geöffnet ist. Da hätte ich doch gerne ein paar Pulserschüsse auf den Weg gebracht. Bevor wir gehen, müssen wir unbedingt eine Haftmine anbringen. Das ist eine einmalige Gelegenheit.«
»Sie sprechen mir aus der Seele, Captain«, sagte Jayden. Er beugte sich über die Flüssigkeit.
Er konnte kaum glauben, dass Lieutenant Commander Tess Kensington all die Zeit hier gefangen gewesen war … während eine aus ihren Genen gezüchtete Schimäre, ein Ebenbild, Chaos in der Galaxis angerichtet hatte.
»Wie können wir ihr helfen?«, fragte er.
Ian McAllister untersuchte bereits die Tanks. »Eine faszinierende Technologie. Sie basiert auf ...«
»Das dürfen Sie alles mit L.I. Lorencia besprechen, Fähnrich«, sagte Kirby. »Aber die Zeit drängt. Wie kriegen wir Tess Kensington da raus?«
»Zum einen müsste ich unser Zeitfeld erweitern«, überlegte er. »Um den Tank herum. Und das Zeitfeld muss stabil um sie erweitert bleiben.«
»Das klingt alles machbar«, konstatierte Jayden.
»Schon«, kam es zurück, »aber es gäbe da noch eine kleine Hürde.«
»Von der Größe eines Dreadnoughts, nehme ich an«, sagte Kirby.
»Exakt, Ma’am«, erwiderte McAllister mit einem schiefen Grinsen, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Kensingtons Geist ist in eine virtuelle Realität integriert, wie wir durch das Hologramm erfahren konnten. Eine abrupte Abschaltung hätte schwerwiegende Folgen.«
»Jemand muss hinein, um sie darauf vorzubereiten«, warf Alpha 365 ein.
»Ganz genau«, bestätigte McAllister. »Anders wird es nicht gehen.«
»Aber wie?«, fragte Jayden.
Der junge Ingenieur hatte bereits die Seite des Tanks geöffnet. Darunter kamen diverse technisch-organische Komponenten zum Vorschein.
McAllister prüfte mit Scannern und Feinmechanikwerkzeug die Verbindung.
Alpha 365 trat neben den Tank. Im grünlichen Nährschleim zeichneten sich dunkel die Umrisse von Tess Kensington ab. »Halten Sie noch eine Weile durch, Commander«, flüsterte er.
»Ha!«, rief McAllister, wobei er auf eine bestimmte Komponente deutete. »Ein Interface. Sehen Sie den Schleim darauf?«
»Kaum zu übersehen«, sagte Jayden angeekelt.
»Die Substanz stellt die Verbindung her. Mit Ihren Bioneuralen Tattoos könnten Sie beide«, dabei zeigte er abwechselnd auf ihn und Kirby, »sich in die virtuelle Realität einklinken. Sobald Sie mit Kensington gesprochen haben, beenden Sie einfach die Verbindung.«
»Klingt nach einem Spaziergang«, sagte sie.
»Bei dem wir einen Plausch mit Tess und der Stimme halten dürfen«, ergänzte Jayden.
Sie besprachen ihr Vorgehen.
Captain Ishida würde ihre Emotionen überwachen, Alpha 365 die Lebenszeichen. Ian McAllister sollte sich derweil daran machen, das Tess-Hologramm aus den Speichern zu extrahieren.
»Wie kann es sein, dass die virtuelle Realität überhaupt noch abläuft?«, fragte die Kommandantin der HYPERION. »Müsste der Tachyonenschleier sie nicht ebenfalls einfrieren?«
»Tut er auch«, sagte McAllister. »Allerdings ist es eben nur ein Verlangsamen. Aber diese K.I. ›denkt‹ um ein Millionenfaches schneller als ein Mensch oder auch ein Ash’Gul’Kon, daher ist die Beeinflussung der Zeit in diesem Fall für uns kaum spürbar.«
»Also gut.« Jayden saß mit dem Rücken am Gel-Tank, neben Kirby. »Bereit?«
Sie nickte. »Bereit.«
Er berührte das Kontakt-Interface ...
... und die Welt hörte auf zu existieren.
Sie versank zwischen den Totenschädeln.
Wie eine Ertrinkende reckte Tess ihre Hände gen Himmel, wohl wissend, dass es kein Entrinnen gab. Niemand würde sie retten, sie greifen und in Sicherheit ziehen. Diese Hoffnung hatte sie nach dem tausendsten Tod aufgegeben.
Eine zweite Sonne ging auf.
Ihr Feueratem, geboren aus einem atomaren Sprengkopf, verschlang jedes Leben auf dem Planeten. Wieder einmal würde sie sterben. Genau wie die virtuellen Abbilder all ihrer Freunde. Doch wo sie früher Bedauern gespürt hatte, war nur noch grimmige Entschlossenheit geblieben.
Das Hologramm, das ihr im dystopischen Konstrukt des Mars erschienen war – sie selbst, geschaffen von Sarah –, hatte berichtet, dass die HYPERION hierher unterwegs war.
Commodore Cross ließ sie nicht im Stich. Seitdem trieb die Hoffnung auf Rettung sie an. Durch den unterschiedlichen Zeitablauf war in der realen Welt etwa ein Jahr vergangen, seit sie hier all diese Szenarien durchlebte. In Wahrheit befand sie sich jedoch hier drinnen, wo die Zeit schneller ablief, schon seit vielen Jahren.
Kein Wunder also, dass ihre Freunde sie nicht früher gerettet hatten.
Das Hologramm hatte von der Tachyoneneinheit berichtet. Davon, dass sie planten, die Ash’Gul’Kon in der Zeit einzufrieren. Nur so konnte die HYPERION das Ende der Allianz verhindern und obendrein Tess retten.
Ob sie es geschafft hatten, wusste sie allerdings nicht.
Grundsätzlich wertete Tess es aber als gutes Zeichen, dass die Stimme selbst sich in die virtuelle Realität begeben hatte, um sie zu jagen. Sie war ihr bereits begegnet.
Dabei hatte das Wesen, das aus Tess' DNA geschaffen worden war, deutliche Worte gefunden. Sie hatte genug. Der Geist würde bald erwachen und nun wollte die Stimme Tess endgültig töten.
»Dies ist dein letztes Leben, Tess Kensington«, hatte die Stimme ihr beim vergangenen Stelldichein voller Hass entgegengeschleudert. »Ich werde deinen Körper zerfetzen und damit den Tod in der echten Welt einleiten.«
Es schien einen Unterschied zu machen, ob sie durch die Szene selbst starb oder die Hand ihrer Feindin.
Die Glutwelle der Explosion war heran. Tess' Gedanken zerstoben, als ihr Leib innerhalb von Sekunden verbrannt wurde.
Im nächsten Augenblick öffnete sie die Augen.
Sie trug nicht länger den Raumanzug, den sie aus dem Bestand der terranischen Allianz gestohlen hatte. Stattdessen war sie in eine eng geschnittene Bluse und Stoffhosen mit weitem Schlag gekleidet. Überall waren winzige Ablativelemente eingenäht, scheinbar hatten sie eine technische Funktion, denn als sie nach oben zur Sonne blickte – und die Hitze des Tages bewusst wahrnahm – kühlte der Stoff ab.
»Na, was hast du dir jetzt ausgedacht, du dämlicher Mistkerl?«, fluchte sie.
Ob der Geist tatsächlich als »er« bezeichnet werden konnte ... sie wusste es nicht. Aber das war ihr auch herzlich egal.
Die Umgebung, das realisierte sie sofort, schien nicht feindlich auf sie zu reagieren. Sie schritt durch eine saubere Straße, der Boden war mit weichem, leicht nachgiebigen Beton ausgekleidet. An der Seite erhoben sich Holoemitter, projizierten Werbungen für Produkte, die über die Eingabe einer ID käuflich erworben werden konnten. Am Himmel glitt ein Schwebegleiter dahin.
»Das wird ja diesmal richtig übel«, murmelte sie.
Je besser die Szenarien begannen, desto schlimmer entwickelten sie sich.
Allerdings schien es sich auf den ersten Blick nicht um eine terranische Welt zu handeln. Die Luft roch anders, die Technik wirkte fremd und von Sjöbergs Sicherheitspolizei war nichts zu sehen. Genaugenommen war überhaupt niemand unterwegs.
Eine leere Stadt.
Tess bekam eine Gänsehaut.
Sie ging einfach weiter, viel mehr konnte sie sowieso nicht tun. Irgendwie würde die Umgebung auf sie reagieren. Wenn das nicht geschah, würde zweifellos die Stimme irgendwann auftauchen, um sie zu jagen.
Stimmengewirr drang an ihr Ohr.
Tess steuerte die Quelle des Geräuschs an. Als sie um die nächste Ecke bog, sah sie sich unversehens einer gewaltigen Menge gegenüber. Dicht an dicht gedrängt strömten Personen eine breite Straße entlang, die auf einen hohen Tower zuführte.
Sie sah menschenähnliche Humanoide, mit schmalem Gesicht und hohen Wangenknochen. Dazwischen Rentalianer, geschuppte Reptilienwesen, Aaril sowie Mensch-Maschinen-Hybriden. Einige hielten Projektorstäbe in der Hand, die Holos in die Luft warfen. Die Schrift war Tess unbekannt.
Jemand gab ihr einen Stoß.
Sie wurde Teil der Menge, ließ sich mit forttragen, auf den Tower zu. Immer tiefer wurde sie in die Masse hineingezogen, ohne Chance darauf, den Rand wieder zu erreichen.
Ringsum war die Luft erfüllt von Rufen. Worte in einer fremden Sprache wurden ausgestoßen, Fäuste gen Himmel gereckt.
»Super, Tess, gut gemacht. Und für was demonstrieren wir hier wohl?«
»Das, meine Liebe, wird dir gleich klar werden«, erklang eine Stimme zu ihrer Linken.
»Sie?!«
»Ausgezeichnete Beobachtungsgabe«, sagte die Alte. »Ich. Es wird Zeit, dass du siehst und verstehst. Wir sind nicht länger allein. Beobachte gut. Das Schicksal deines Volkes könnte dereinst davon abhängen.«
»Was soll das heißen, wir ...?«
Die Alte war fort. Jene Frau, die sie vor dem Zugriff der Stimme gerettet hatte.
Tess wurde weitergetragen bis vor den Tower.
Und hier begriff sie endlich, wohin es sie verschlagen hatte.
*
April 2269
Verdutzt blickte Isa sich um. Der Raum war leer. Sie zog ihr Pad hervor und prüfte die Daten, die ihr neuer Adjutant ihr gegeben hatte, ein weiteres Mal. Sie fluchte laut.
»Na, na, na«, erklang eine Stimme, »lassen Sie das Joey nicht hören.«
Sie zuckte zusammen. »Yuna. Sie hier?«
»Aber ja. Was für ein glücklicher Zufall.« Die quirlige japanische Frau grinste bis über beide Ohren. »Wollen wir ein Stück gehen?«
Isa unterdrückte die aufkeimende Panik. »Ich würde ja so gerne. Aber das Meeting ...«
»Scheint nicht hier stattzufinden. Oder wollen Sie Selbstgespräche führen?«
»Hm.«
Sie verließen gemeinsam den Raum.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte Yuna.
»Bis jetzt gut«, erwiderte Isa. »Allerdings frage ich mich, ob das so bleibt.«
»Ich mag Ihren Humor.« Der Schulterschlag kam keinesfalls unerwartet. Immerhin – und Isa war stolz auf sich – konnte sie die Balance mittlerweile halten und krachte nicht gegen die nächste Wand, wie es einem bedauernswerten Kollegen kürzlich passiert war.
Sie sah ihren Adjutanten, der auf sie zueilte, Yuna erblickte und prompt in einen anderen Gang flüchtete.
Wir sprechen uns noch, Mister.
»Aber wo wir schon so nett plaudern«, begann Ishidas Mutter, »ich bin da tatsächlich auf ein interessantes Projekt gestoßen. Nicht meins, versteht sich, trotzdem höchst interessant.«
»Aha.«
»Wie steht es um Pearl?«
»Nun, gut, würde ich sagen. Der Terraformingprozess läuft. In einigen Monaten wird der Planet wieder bewohnbar sein«, sagte Isa. Sie wusste, dass Gespräche mit Yuna gefährlich waren. Die Frau argumentierte exzellent und baute Kausalketten auf, die man erst bemerkte, wenn das Fazit einen erschlug. »Zufälligerweise bin ich gerade auf dem Weg zur Präsidentin, um das weitere Vorgehen mit ihr zu besprechen.«
»Ach, ja, ein schöner Zufall. Ich nehme an, dass zügig Infrastruktur erbaut wird, um den Menschen wieder einen Planeten zur Verfügung zu stellen. Frische Luft, klares Wasser ...«
»Natürlich.«
»Und die Befreiten, was ist mit ihnen?«
Verblüfft trat Isa hinter Yuna in den multidirektionalen Lift. »Die Tender werden landen.«
»Verstehe.«
Die Türen schlossen sich. Schweigen senkte sich auf sie herab wie ein Schwerer Kreuzer.
Isa seufzte. »Also gut: raus damit.«
»Bitte?«
»Yuna, treiben Sie es nicht zu weit.«
»Ach, ich will mich keinesfalls in Belange einmischen, die mich nichts angehen«, sagte sie, worauf Isa ein lautes »Ha« entfuhr. »Aber hat irgendjemand schon mal die Befreiten selbst gefragt, was sie möchten?«
Das Schweigen kehrte zurück.
Verblüfft starrte Isa ihr Gegenüber an. »Das sind traumatisierte Menschen, die alles verloren haben. Ich nehme doch an, dass sie ... aber nein, so richtig gefragt ... hm.«
»Nicht alle sind traumatisiert. Oder genauer: nicht mehr«, sagte Yuna. »Es gibt durchaus Fortschritte zu verzeichnen. Sehen Sie«, dabei hakte sie sich kameradschaftlich bei Isa unter, »diese Menschen wollen wieder mitreden. Es soll nicht länger über ihren Kopf hinweg entschieden werden.«
Das klang für Isa absolut logisch. Die bedauernswerten Befreiten waren von den Parliden entführt und bei vollem Bewusstsein in Sklavenrüstungen gesteckt worden. Viele hatten Jahrzehnte in diesem Zustand verbracht. Nach ihrer Rückkehr fanden sie eine zerstörte Union, eine Diktatur auf der Erde und eine Rebellenrepublik vor. Nicht unbedingt die beste Ausgangslage, um ein neues Leben zu beginnen. »Vermutlich haben Sie da bereits eine Idee.«
»Ich?« Geradezu beleidigt legte Yuna die Hand auf ihre Brust. »Aber bitte, Isa, ich übermittle nur die Bedenken einer Randgruppe. Natürlich kenne ich Sie, daher weiß ich, dass solche Anmerkungen nicht auf taube Ohren stoßen.«
»Verstehe.«
»Möglicherweise wäre es hilfreich, wenn die Präsidentin einen Vertreter der Befreiten regelmäßig empfängt«, schlug Yuna vor. »Gerade jetzt, wo über die Zukunft am Boden entschieden wird, ist das doch eine schöne Gelegenheit, Einheit zu demonstrieren. Das würde auch gewissen populistischen Parteien in die Parade fahren.«
Wieder ein guter Punkt, befand Isa. Kirkov war ruhiger geworden, seit mit Pearl eine Lösung für die Befreiten-Krise aufgetaucht war. Seine Argumente der Ressourcenknappheit zogen nicht mehr. Außerdem schwamm Jessica auf einer Beliebtheitswelle, seit die Allianz entstanden war und es überall vorwärtsging. Mit Kritik schnitt Kirkov sich aktuell ins eigene Fleisch. Er wartete jedoch auf den nächsten Fehler der Regierung, um vor ein Kamerafeld zu treten und irgendwelche sinnlosen Forderungen zu brüllen; die rechtlich natürlich gar nicht umsetzbar waren.
»Ich denke, die Präsidentin würde dem zustimmen«, sagte Isa vorsichtig. »Versprechen kann ich ...«
»Nichts«, unterbrach Yuna. »Schon klar. Wir sind da.«
Verblüfft stellte Isa fest, dass sie unbewusst Yuna nachgelaufen war, diese hatte sie auch in Sichtweite zu einem Konferenzraum geführt, den soeben der Außenminister betrat. »Woher wussten Sie, wo die Konferenz stattfindet?!«
Isa blickte sich um.
Von Yuna war nichts mehr zu sehen.
»Diese Frau«, grummelte sie leise.
*