Heliosphere 2265: Der Ash'Gul'Kon-Zyklus 4 - Ein letzter Blick zurück - Andreas Suchanek - E-Book

Heliosphere 2265: Der Ash'Gul'Kon-Zyklus 4 - Ein letzter Blick zurück E-Book

Andreas Suchanek

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Beschreibung

Gemeinsam mit den befreundeten Völkern plant Captain Noriko Ishida das Unmögliche. Sie wollen Alpha Centauri infiltrieren und Commodore Jayden Cross befreien. Die Zeit drängt, denn in einem aufsehenerregenden Schauprozess soll er hingerichtet werden. Freunde, Verbündete, Menschen und außerirdische Alliierte müssen zusammenstehen, als der Kampf um einen Mann entbrennt, der längst zum Symbol der Republik geworden ist. Enthalten: * Band 34: Infiltration * Band 35: Einheit * Band 36: Ash'Gul'Kon - Der letzte Blick zurück

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DER ASH’GUL’KON-ZYKLUS 4: EIN LETZTER BLICK ZURÜCK

HELIOSPHERE 2265

BUCH 12

ANDREAS SUCHANEK

1. Auflage Juni 2024

© 2024 by Greenlight Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Greenlight Press

Gartenstr. 44B

76133 Karlsruhe

E-Mail: [email protected]

ISBN E-Book: 978-3-95834-509-6

ISBN Hardcover: 978-3-95834-507-2

ISBN Taschenbuch: 978-3-95834-508-9

Sie finden uns im Internet unter:

https://www.andreassuchanek.de

Erstellt mit Vellum

INHALT

Was bisher geschah

Prolog

Infiltration

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Einheit

Prolog

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Der letzte Blick zurück

Prolog

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Ash’Gul’Kon

Prolog

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Epilog

Bücher von Andreas Suchanek

WAS BISHER GESCHAH

Anfang des Jahres 2268 herrscht Chaos in der Milchstraße. Das übermächtige Solare Imperium, mit Imperator Björn Sjöberg an der Spitze, hält seine Welten im Würgegriff. Gleichzeitig greifen die zurückgekehrten Ash’Gul’Kon, Spinnenskorpione, die ihrem temporalen Gefängnis entkommen konnten, alle Völker an.

Um überhaupt eine Chance gegen die Widersacher zu besitzen, versucht die Präsidentin der Solaren Republik, Jessica Shaw, eine Allianz zwischen den kleineren Sternennationen zu formen. Parliden, Aaril, Rentalianer und die Kybernetiker sollen mit der Republik in einer interstellaren Gemeinschaft vereint werden. Doch das Ziel ist fern, die Hürden sind groß.

Fernab der Politik formt die Space Navy einen Verband, bestehend aus der SJÖBERGS UNTERGANG, der IKARUS, der IONE KARTESS und der HYPERION. Im NORTHSTAR-System kommt es zu einem Kampf gegen einen imperialen Schiffsverband unter dem Kommando von Admiralin Kendra Ironstone. Während seine Leute entkommen, ergibt sich Commodore Jayden Cross der feindlichen Admiralin, erschießt sich jedoch kurz vor der Gefangennahme selbst. Einzig dem bioneuralen Tattoo in seinem Körper ist es zu verdanken, dass die Verletzungen geheilt werden können. Er wird an Imperator Sjöberg übergeben.

Im Alzir-System hat Alexis Cross ebenso erfolgreich wie heimlich den Körper mit Präsidentin Shaw getauscht. Damit regiert sie unerkannt als Staatsoberhaupt die Solare Republik; mit nur einem Ziel, das sie rücksichtslos verfolgt: Sie will Republik und Imperium vereinen. Um Chaos zu säen, entlässt sie Isa Jansen. Die Admiräle Juri Michalew und Yoshio Zhang werden wieder in den Admiralsrat eingegliedert. Nun steht die größte Herausforderung an: Sie muss verhindern, dass die Interstellare Allianz Realität wird.

Auf Terra wird Commodore Cross von Imperator Sjöberg massiv gefoltert – physisch und psychisch. Doch als sein Geist neuronal restrukturiert wird, macht das bioneurale Tattoo die Veränderung kurz darauf rückgängig.

Cross kann seine Peiniger überwältigen und einen Orbitalkampfjet in das SOL-CENTER steuern. Damit zerstört er das Wahrzeichen des Imperiums und tötet Doktor Florian von Ardenne. Imperator Sjöberg hat genug! Er lässt Cross nach Alpha Centauri bringen, wo ihm ein Schauprozess gemacht werden soll. Die Todesstrafe wartet. Zuvor soll das bioneurale Tattoo extrahiert werden.

Unterdessen konnte der neue Verband unter Commodore Hawking Kontakt zu den Assassinen herstellen. Dabei wird deutlich, dass Hawking Ishida und der Mannschaft der HYPERION feindlich gesinnt ist. Einzig Lukas Akoskin ist es zu verdanken, dass eine friedliche Lösung den Konflikt beendet. Zurück im Alzir-System offenbart Sam Drake – Chef des Zentralen Geheimdienstkontrollgremiums der Republik – Agentin Jane Winton, dass Cross noch lebt. Als Ishida diese Information erhält, beschließt sie zu handeln. Sie will die Unterstützer der HYPERION-Crew vereinen, um ihren Vorgesetzten und Freund gemeinsam zu befreien.

Fernab der Konflikte ist es ein sechzehnjähriger Junge, der das große Geheimnis enthüllt. Der Adoptivsohn von Admiralin Jansen offenbart durch einen Computerhack, dass die Präsidentin und Alexis Cross die Körper getauscht haben. Isa Jansen ist entsetzt.

Doch was kann sie tun …?

PROLOG

Es waren jene Momente, jene Augenblicke der friedlichen Ruhe, die ihm verdeutlichten, welch herausragende Arbeit er leistete. Imperator Björn Sjöberg atmete tief ein und wieder aus, trank seinen ersten ViKo des Tages und ließ seinen Blick über die Grünfläche wandern. Er sog das Aroma der Bittermischung ein, vertrieb jeden Gedanken an die Probleme, die auf ihn warteten.

Als der Signalton des Türschotts erklang, überlegte er ernsthaft, denjenigen aus der nächsten Schleuse zu werfen, der ihn in diesen so wichtigen Minuten störte.

»Herein«, knurrte er.

Es war Harrison Walker. Seine Schultern waren gestrafft und sein Gesicht – so denn das überhaupt möglich war – bleicher als üblich. Vermutlich stand er nur noch dank einer ordentlichen Dosis Aufputschmittel aufrecht. »Wir haben Nachrichten von Alexis.«

»Ich höre.« Björn setzte sich ruckartig auf.

»Sie konnte eines der Datenpakete abfangen, die Cross versendet hat.« Harrison gähnte kurz, dann sprach er hastig weiter. »Darin hat ihr Sohn ihren Körpertausch offenbart. Das Paket ging direkt an den Verteiler des Parlaments und hätte die Wahrheit über Cross enthüllt. Glücklicherweise lässt sie den Verteiler von ihrer Wundermaschine überwachen.«

»Wenigstens etwas«, murmelte er.

Mit einer vordefinierten Geste deaktivierte Björn die Smartwall. Das Grün verschwand und machte einer Liveübertragung des Alls vor SOL-1 Platz. Nachdem Commodore Cross es tatsächlich geschafft hatte, das SOL-CENTER zu zerstören, waren sie hierher ausgewichen. Die Raumstation war gigantisch und wurde ständig auf dem neuesten Stand der Technik gehalten.

Aufgrund der Größe hatten findige Architekten und Ingenieure sogar kleine Wälder anlegen können, Erholungsparks und Seen in einer gesteuerten Biosphäre. Die meisten Offiziere lebten und arbeiteten hier oben und sahen jahrelang keine andere Umgebung. Es war ihre Heimat. Eine Heimat auf einer Fläche von insgesamt fünfzig Quadratkilometern, die sich auf eine Kugel verteilte, die von einem vertikalen und einem horizontalen Ring umschlossen wurde. Streben verbanden die einzelnen Elemente.

Ringsum waren Phasen- und Interlinkstörer angebracht. Torpedoforts wechselten sich mit gewaltigen Lasermatrizen ab. Sogar Stealth-Raumer konnten durch ein neues modernes Verfahren anhand der von ihrer Masse ausgehenden Gravitation erkannt werden.

Es lief auf Sicherheit hinaus. SOL-1 bot Sicherheit.

Björn ballte die Fäuste. Er konnte bei aller Sicherheit nicht vergessen, dass er ein Vertriebener war. Geflohen vor der Gefahr, die Cross ausgelöst hatte. Nach seinem kleinen Aufstand kam es überall im Imperium zu Scharmützeln. Die Inner Security Police rechnete mit Anschlägen. Da ging man lieber auf Nummer sicher und steckte ihn in eine Festung.

»Schön, dann ist Alexis also noch einmal davongekommen. Niemand weiß, dass sie mit der Präsidentin der Republik den Körper getauscht hat und die echte Jessica Shaw in irgendeiner Zelle dahinvegetiert. Aber uns hilft das mit der aktuellen Problematik nicht weiter.«

»Nein«, gab Harrison zu. »Wir haben zwölf Horchposten, einundzwanzig Raumschiffe und alle in der Solaren Republik befindlichen Agenten verloren. Es wird Jahre dauern, das Spionagenetz wiederaufzubauen. Falls Alexis versagt, können wir in der Solaren Republik keinen Angriff mehr von innen heraus durchführen.«

Im Geiste warf Björn seinen ViKo-Becher an die Wand. Dieser verdammte Cross. Durch seine Gefangenschaft hatte er noch mehr Schaden angerichtet, als er es in freier Wildbahn hätte tun können. Und er, Björn, war selbst schuld. Irgendwie unterschätzte er diese blöde kleine Assel immer wieder. Aber damit war jetzt Schluss.

»Hat die EMPIRE Alpha Centauri erreicht?«

»Das hat sie«, bestätigte Harrison. »Cross ist auf die gewünschte Art transportiert und eingelagert worden.«

Das war nicht genug. Björn aktivierte das Kommunikationsmodul und stellte einen Kontakt zur ersten Kolonie der Menschheit außerhalb des Sonnensystems her. Kurz darauf waberten Photonen durch die Luft, bevor das Antlitz der dortigen obersten Executive Controllerin materialisierte.

»Imperator«, grüßte sie ihn mit leuchtenden Augen. »Es ist mir eine Ehre.«

»E.C. Mialnika.« Er nickte huldvoll. Die Frau hatte sich nicht umsonst einen der wichtigsten Posten des Imperiums verdient. Sie war die oberste E.C. von Alpha Centauri geworden, nachdem sie verhindert hatte, dass Pendergasts Trümmerflotte vor gut zwei Jahren die IKARUS bekommen hatte. Sie hatte die gesamte Kommandobrückencrew mit den Killchips getötet. Nur Aliou Nymba war entkommen, der heute auf der JAYDEN CROSS der Republik als Erster Offizier diente. »Sie erhalten hiermit die offizielle Order, das Isolationsprotokoll auszulösen.«

Wenn die E.C. davon überrascht war, musste er ihr zugutehalten, dass sie das nicht zeigte. Sie nickte nur, bestätigte den Befehl und ging ans Werk.

Er beendete die Verbindung.

Damit stand das Alpha-Centauri-System unter Quarantäne. Abgesehen von überlebenswichtigen Lieferungen externer Frachter – deren Passagiere genauestens überprüft wurden – kam niemand herein oder heraus. Zusätzlich wurden keine externen Funksprüche mehr angenommen, damit niemand einen Virus als angehängtes Datenpaket einschleusen konnte. Funksprüche nach außen waren untersagt.

Die einzige Person, die noch über Phasenfunkprivilegien verfügte, war E.C. Mialnika selbst. Sie sollte ihm regelmäßig Bericht erstatten. Doch abgesehen von ihrem zentralen Kommunikationsknoten waren alle Phasenfunkeinheiten stillgelegt.

Cross‘ Exekution würde über den Hauptknoten in das GalNet gespeist werden, danach – und erst dann – würde Björn das Isolationsprotokoll wieder aufheben.

Er hob sein ViKo-Glas und nahm einen großen Schluck.

»Sterben Sie wohl, Commodore Cross. Die Republik wird Sie nicht lange überleben.«

INFILTRATION

1

IL HYPERION, am Rand der Galaktischen Seidenstraße, 21. Oktober 2268, 04:32 Uhr

Wie ein Raubtier auf der Jagd pirschte die HYPERION sich heran und glitt durch das All. In ein paar hundert Metern Entfernung tat die DARK KNIGHT es ihr gleich.

»Wir befinden uns in Waffenreichweite«, sagte Commander Lukas Akoskin, der I.O., der gleichzeitig Taktik- und Waffenoffizier war. »Auf Ihren Befehl, Captain.«

Noriko nickte nur. Dieser Teil des Plans lag ihr schwer im Magen. Mochte es sich bei dem Ziel auch um einen Frachter des Imperiums handeln, so war er doch besetzt mit Zivilisten. Das war der Grund, weshalb sie noch wartete.

Sie mussten heute zum Präzisionswerkzeug werden, nicht zum Vorschlaghammer. Kein unschuldiges Leben durfte durch sie in Gefahr geraten.

»Störsender sind bereit«, sagte Lieutenant Commander Winton. »Der Frachter wird blind und taub sein.«

»Die vorbereiteten Funksprüche gehen kurz vorher raus«, warf Lieutenant Commander Larik, der marsianische Kommunikationsoffizier, ein. »Ich habe einen Virus eingebettet, mit dem wir die interne Kontrolle übernehmen können, vorausgesetzt, deren Fireshield ist nicht auf dem neusten Stand.« Mit einem Lächeln ergänzte er: »Aber das ist es ja nie.«

»Mister Task …«

Der Navigator saß kerzengerade in seinem Konturensitz und klatschte bei seinem Namen kurz energiegeladen in die Hände. »Vektor liegt an, wir gehen längsseits.«

Noriko wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit Akoskin, der nur grinste. »Genau«, sagte sie dann.

Task wirkte wie eine voll aufgeladene Energiebatterie, die über zwanzig Jahre die Zellen hatte füllen können. Vorher war er in sich gekehrt gewesen, hatte sich stets intensiv auf seine Arbeit konzentrieren müssen. Schlaf war nur dank eines Medikaments von Doktor Petrova möglich gewesen. Jetzt wirkte er, als wolle er vor Tatkraft bersten.

Der Navigator war vor Kurzem von seinem multisensorischen Input geheilt worden und wirkte seitdem, als tränke er jeden Morgen zehn Energydrinks. Von den Gerüchten über seine Freizeitaktivitäten gar nicht zu reden.

»Also gut, Signal an die DARK KNIGHT. Wir greifen an.«

Die HYPERION ließ ihren Stealth fallen. Gleichzeitig wurden die Schilde hochgefahren und der Antrieb ging online. Ausgesetzte Torpedoforts aktivierten sich in Flugrichtung des Frachters, bereiteten einen Teppich aus Torpedos mit Laserlafetten-Gefechtskopf, Typ L-78, vor. Die Störsender verhinderten jeden Hilferuf, nachdem die Aufforderung zur Kapitulation rausgegangen war.

»Das nenne ich eine flüssige Operation«, sagte Akoskin zufrieden.

»Der Frachter sprengt einen Teil seiner Hülle«, kommentierte Winton. »Ortung läuft. Vier Torpedoluken geortet, sie waren bisher verborgen.«

»Eine Falle«, sagte Larik. »Die wollten, dass der Frachter aufgebracht wird.«

»Nein.« Akoskin schüttelte den Kopf. »Wir haben die Listen des Starthafens genau überprüft. Die haben das Schiff lediglich aufgerüstet, weil sie Angst vor Eriins hatten. Selbst mit diesen Waffen können die uns nicht besiegen, was ihnen bewusst sein muss.«

Noriko ballte die Fäuste. »Sollten sie es versuchen, müssen wir den Frachter beschädigen. Das wird auffallen.« Sie runzelte die Stirn. Die Emotionen der Besatzung schwappten zu ihr herüber. »Nein, das ist keine Falle. Die haben Angst. Mister Larik, ich brauche eine gerichtete Phasenverbindung.«

»Aye, Ma’am, ich schalte eine Lücke im Störfeld.«

»Und kontaktieren Sie die DARK KNIGHT, die sollen nur die Torpedos abfangen, kein direkter Beschuss.«

Der Marsianer bestätigte. Kurz darauf kam die Verbindung zustande.

»Frachter MEDICI, hier spricht Captain Noriko Ishida vom Interlink-Kreuzer HYPERION der Solaren Republik. Bitte stellen Sie das Feuer ein und ergeben Sie sich. Ich sichere Ihnen allen freien Abzug zu.«

Es dauerte nur Sekunden, dann wurde die Übertragung akzeptiert und zu einer Liveschaltung. In der Holosphäre entstand das Gesicht eines hageren blonden Mannes. »Ich bin Captain Frey vom Frachter MEDICI. Verzeihen Sie, wenn es mir schwerfällt, Ihnen zu glauben, Captain Ishida. Aber die Kriegsverbrechen, die Sie und Ihre Crew begangen haben, sind mittlerweile legendär. Wir werden uns nicht kampflos vor Ihre Laserklinge werfen.«

Beinahe hätte Noriko müde aufgeseufzt. Es war stets das Gleiche: Bei allem, was sie taten, trachteten die Kommandanten der Republik danach, das Imperium zu besiegen und die geknechteten Menschen zu befreien. Aufgrund der Propaganda des Imperiums, der gesteuerten Berichterstattung, glaubten viele allerdings, dass die Republik aus einem Haufen Meuchelmörder bestand. Wie sollte man dem entgegentreten?

»Captain Frey«, sagte Noriko. »Ihnen muss doch klar sein, dass wir Sie längst hätten zerstören können.«

»Mir ist vor allem eines klar, nämlich, dass Sie die MEDICI wollen. Wir werden uns verteidigen. Notfalls sprenge ich das ganze verdammte Raumschiff.«

Damit beendete er abrupt die Verbindung.

»Er meint es ernst«, sagte Noriko. »Seine Emotionen waren echt, keine Täuschung. Er hat Angst vor der HYPERION und glaubt, was er sagt.«

»Dass wir gemeinsam mit einem Eriin-Piraten angreifen, macht das nicht besser«, kommentierte Akoskin.

»Mag sein, aber was derartige Operationen angeht, sind die Eriins einfach am geschicktesten.«

»Ma’am«, meldete sich Michael Larik, »ich besitze die Kontrolle über die MEDICI.«

Noriko nickte. Darauf hatten sie gebaut. »Das Enterkommando soll übersetzen. Torpedoluken schließen. Betäuben Sie die Besatzung.«

Larik begann fieberhaft mit der Arbeit. Wenige Augenblicke später war alles vorbei.

* * *

Das rotgoldene Funkeln der Translokationsporta entließ Noriko im Shuttlehangar der MEDICI.

»Schicker Frachter«, sagte Captain Michael Aury. Der Eriin-Kommandant hatte sich der kleinen Gruppe angeschlossen, deren Ziel es war, Commodore Cross zu befreien. »Die Besatzung schlummert friedlich. Wir haben sie für den Transport vorbereitet.«

»Ausgezeichnet.«

Noriko würde Wort halten. Die Männer und Frauen bekamen ein kleines Shuttle, allerdings ohne Phasenfunkmodul. Damit konnten sie die nächstgelegene Kolonie erreichen. Das würde jedoch etwa drei Wochen dauern.

Aury stand selbstzufrieden neben ihr. Seine Arme waren verschränkt, auf seinen Lippen lag ein Lächeln. Er trug wie immer eine dunkle Lederhose, ein weißes Hemd unter einer ärmellosen Hartlederweste und dazu einen Gürtel, an dem tatsächlich eine altmodische Degenscheide baumelte. Sein Gesicht war von einem Dreitagebart bedeckt.

Gemeinsam begannen sie ihren Gang durch den Frachter.

»Das sieht gut aus«, sagte Noriko. »Der Frachtraum ist groß genug für die Transmitterkapseln.«

»Meine Leute haben sich den Speicherkern angeschaut. Wir können ihn mit den Modulen der Kybernetiker aufrüsten. Fen Kar wird das persönlich überwachen. Unsere parlidischen Freunde werden das ExMat-Modul einbauen, allerdings wird es nur einmal funktionieren. Die Energieleitungen sind nicht dafür ausgelegt.«

»Das macht nichts. Einmal ist genug.«

Sie erreichten die Kommandobrücke. Der Raum war in die Länge gezogen. Im Zentrum stand der Kommandosessel, davor und dahinter waren die Konsolen im Boden verankert. Die alte Bauweise war vor allem auf Frachtern noch immer beliebt und kam teilweise auch auf modernen Raumschiffen wieder auf.

Sie hielt direkt neben dem Sitz des Kommandanten inne. »Dann wären wir wohl soweit.« Sie schenkte ihm einen tiefgründigen Blick. »Starten wir Operation ›Zerschlagene Ketten‹.«

2

An Bord des Frachters MEDICI, Einflug ins Alpha-Centauri-System, 24. Oktober 2268, 09:42 Uhr

Zu behaupten, es läge »gespannte Erwartung« in der Luft, wäre untertrieben gewesen, überlegte Noriko. Die Anspannung der Besatzung brandete auf sie ein wie die Welle eines Tsunami.

Drei Tage waren vergangen, seit sie den Frachter MEDICI aufgebracht hatten. In diesen 72 Stunden hatten die Ingenieure der Aaril, der Parliden, der Kybernetiker und der Rentalianer alles gegeben, um das Schiff umzurüsten. Das Ganze war geschehen, während sich der Verband dem Alpha-Centauri-System näherte, denn schließlich durfte der Frachter sich nicht merklich verspäten, das hätte Fragen aufgeworfen.

»Wenn das hier überstanden ist, schuldet uns der Commodore eine Runde Ale auf dem Erholungsdeck«, sagte Lieutenant Commander Peter Task. Die Tatkraft und Energie, die Gier nach Erfahrung, umloderte ihn wie eine alles verzehrende Flamme. Nun, nach dem er nicht länger überflutet wurde – und tatsächlich äußere Eindrücke verarbeiten konnte wieder jeder andere Mensch –, schien er jede Minute zu genießen.

Noriko hätte ihn daher gerne auf der HYPERION zurückgelassen, doch Task besaß eine Eigenschaft, die sie heute dringend benötigten. Er war attraktiv. Mal sehen, ob er nach diesem Einsatz noch immer so tatenfreudig ist. »Da kann ich Ihnen nur zustimmen.«

»Können Sie jetzt endlich mal stillstehen?«, fluchte Sarah McCall. »Sie machen mich wahnsinnig.« Wütend funkelte sie den Navigationsoffizier an. »Ich verpasse Ihnen höchstpersönlich einen weiteren multisensorischen Superinput, wenn Sie so weitermachen.«

»Unwahrscheinlich«, kommentierte Alpha 365 trocken. »Dazu wären Sie gar nicht fähig.«

»Ist das wieder ein Versuch, gegenläufige Psychologie anzuwenden?«

»Möglich.«

Noriko lächelte. Ein Lächeln, das verging, als sie einen kurzen Blick mit Janis Tauser und Doktor Petrova wechselte. Die beiden wirkten todernst. Sie nickte dem Psychologen und besten Freund Jayden Cross‘ aufmunternd zu. Wir werden es schaffen.

Sie hielten sich alle im kreisrunden Kontrollraum auf, der Kommandobrücke, verteilt auf Konsolen und Besuchersitze.

»Wir verlassen den Phasenraum … jetzt«, sagte Task.

»Ich bin noch nicht so weit«, erklang die Stimme von Fen Kar. Der Kybernetiker hatte seine Hände auf ein Kontaktinterface gelegt. Auf seinem Gesicht, das vollständig aus dunklem Metall bestand, zeigten sich fein ziselierte rötliche Linien, die ein wenig an Schaltkreise erinnerten.

»Nur keine Hektik«, sagte Sarah McCall. »Sie haben locker Zeit, bis der erste Torpedo einschlägt.«

»Ach was.« Task grinste über beide Ohren. »Wir schaffen das schon.«

»Ihr neu gewonnener Optimismus ist zum Kotzen«, erwiderte McCall.

Der Kybernetiker grinste, was durch das Metallgesicht seltsam unpassend wirkte. »Ich mag Ihre Crew, Captain Ishida. Vermutlich wird es Ihnen nie langweilig.« Er trug eine dunkle Uniform mit dem Emblem der kybernetischen Zivilisation auf der linken Brustseite und diversen Ablativelementen überall verteilt.

»In Zeiten, in denen ich keine Migräne davon bekomme, genieße ich den Schlagabtausch um mich herum. Ab und an hege ich allerdings auch Mordfantasien. Trotzdem sollten Sie sich beeilen.«

»Funkkontakt mit der Einflugkontrolle«, meldete Akoskin, der am Phasenfunkmodul saß. Michael Larik war gemeinsam mit Jane Winton auf der HYPERION zurückgeblieben, um mit U‘Ral den zweiten Teil des Rettungsplans zu koordinieren. Etwas abseits stand Lu, dem ebenfalls eine wichtige Aufgabe zukommen sollte.

»MEDICI, hier Einflugkontrolle Alpha Centauri. Das System steht unter dem Isolationsprotokoll. Ihr Frachter wird geprüft. Bitte gedulden Sie sich.«

»Einflugkontrolle, hier ist die MEDICI«, sagte Noriko. Sie wusste, dass der Filter aktiv geschaltet war. Ihre Stimme wurde massiv verfälscht. »Wir haben verstanden.«

Die rötlichen Linien auf Fen Kars Metallgesicht pulsierten in rascher Folge. »Infiltration läuft.«

Das Problem war recht simpel. Sie trugen allesamt Mikropunkte auf dem Gesicht, die eine Holoschicht generierten. Damit besaß jeder ein fremdes Antlitz. Bedauerlicherweise waren selbst die neuesten Mikropunkte nicht gut genug, um ein menschliches Gesicht exakt nachzustellen. Sie hatten also auf fremde Gesichter zurückgreifen müssen.

Diese befanden sich allerdings nicht in der Datenbank der Einflugkontrolle. Ein Abgleich würde unweigerlich eine fremde Besatzung enthüllen.

»Achtung, MEDICI, Sie stehen auf der Prioritätsliste und dürfen nach erfolgreicher Überprüfung einfliegen. Bitte aktivieren Sie Ihre bordeigenen Biometriescanner und geben Sie uns einen Live-Zugriff.«

»Fen Kar«, sagte Noriko. »Das wäre der passende Moment.«

Der Kybernetiker arbeitete verbissen weiter. »Unsere Technologie mag fortschrittlich sein, doch sie benötigt ihre Zeit.«

»Genau die haben wir nicht. Sollten die einen Trupp an Bord schicken, sind wir erledigt.«

»Achtung, MEDICI, bitte schalten Sie umgehend ihre Biometriescanner frei. Es wird keine weitere Aufforderung geben.«

»Die schalten die Waffen scharf«, kommentierte Akoskin.

Sie befanden sich längst in der Reichweite von drei Torpedoforts und einem Patrouillenschiff. Selbst eine abrupte Vektoränderung würde sie nicht davor bewahren, in eine Trümmerwolke verwandelt zu werden.

»Lasergitter heizen sich auf«, ergänzte Akoskin.

»Geschafft«, sagte Fen Kar.

»Achtung, Einflugkontrolle, Freigabe erfolgt jetzt«, sprach Noriko schnell.

Überall im Kontrollraum verteilte Scanner nahmen ihre Arbeit auf und übermittelten den Anblick der Besatzung. Glücklicherweise gehörte die MEDICI zu den alten Frachtern, die man leicht überlisten konnte. Sie hatten längst falsche DNA-Proben genommen und daraus eine dünne künstliche Hautschicht erschaffen. Jeder hatte eine solche auf seiner Handfläche kleben, die er jetzt auf die Berührungsflächen legte. Okularimplantate sorgten für eine simulierte Iris.

Auf modernen Schiffen wären die künstlichen Implantate und Hautschichten erkannt worden. So aber wurden die Werte an die Flugkontrolle übertragen. Eine K.I. glich sogar die visuellen Daten – die Gesichter – mit jenen in der Datenbank ab.

»MEDICI, Sie haben Einflugerlaubnis.«

»Danke, Einflugkontrolle.«

Der Frachter schob sich an den Torpedoforts vorbei ins Innere des Alpha-Centauri-Systems. Jetzt gab es endgültig kein Zurück mehr. Nicht, dass irgendwer das noch wollte.

Noriko deaktivierte ihre Mikropunkte, genau wie alle anderen. Am Boden konnten sie sie nicht einsetzen, da moderne Scanner das Vorhandensein der Täuschtechnologie erkannten.

»Sehen Sie, es hat funktioniert«, sagte Task triumphierend.

»Glück«, gab McCall spitz zurück.

»Ihnen beiden ist schon klar, dass Sie Ihren Teil des Einsatzes gemeinsam bestreiten?«, fragte Noriko. »Das werden Sie doch hinbekommen?«

Beide warfen ihr ein Lächeln zu und sagten synchron: »Natürlich, Ma’am.«

Noriko übersah das Grinsen von Akoskin und die hochgezogene Augenbraue von Alpha 365 geflissentlich. Der Frachter hielt Kurs auf Earth-2, wie die Hauptwelt des Doppelsternsystems genannt wurde. Abgesehen von zahlreichen kleineren Monden gab es noch zwei weitere Planeten in der habitablen Zone, dazu Eiszwerge und Glutriesen. Gasriesen hatten sich aufgrund der gravitativen Störungen, die durch die zwei Sonnen erzeugt wurden, niemals bilden können.

Nach einem zweistündigen Flug auf gleichbleibendem Vektor war es soweit: Ein Icon sprang auf Grün.

»Wir haben Kontakt zum geheimen Horchposten«, meldete Akoskin.

Ishida atmete auf. Die einzige Möglichkeit, hier im Sonnensystem eine Basis zu errichten, war der geheime Horchposten der Republik. Nach ihrer Beförderung hatte sie erstmals davon erfahren. Im Zuge des Ausfalls des gesamten Phasenfunknetzes der Republik – was, wie sie heute wussten, zu Alexis Cross‘ Plan gehörte – hatte man bereits befürchtet, dass der Horchposten aufgeflogen war. Diese Annahme erwies sich jedoch als unbegründet.

Praktischerweise musste der Horchposten absolute Funkstille halten, da er sonst automatisch entdeckt worden wäre. Alle paar Wochen flog ein kleines Stealth-Schiff unter höchstem Risiko aus dem System, um Daten zu überbringen. War das aufgrund der Patrouillenschiffe nicht möglich, wagte man einen verschlüsselten Phase-2-Sprung.

»Senden Sie meinen vorbereiteten Kommandocode«, befahl Noriko.

»Erledigt.«

»Dann finden wir jetzt also heraus, wie gut die Parliden in dem sind, was sie tun«, sagte Noriko. »Fen Kar, wir gehen zuerst.«

Der Kybernetiker nickte. »Koordinaten eingeloggt.«

Mit einem mulmigen Gefühl stieg Noriko neben dem Verbündeten auf die ExMat-Plattform. Die neueste Entwicklung der Parliden basierte auf der Generierung von exotischer Materie mit negativer Energiedichte. Eine neue Art von Translokation, die weitere Distanzen zurücklegen konnte und keinerlei Sivorstrahlung erzeugte. Anders ausgedrückt: Zum jetzigen Zeitpunkt war niemand dazu in der Lage, einen Transport zu orten.

»Schicken Sie uns rüber«, befahl Noriko.

Im nächsten Augenblick hatte sie das Gefühl von tausend Nadeln, die sich in ihr Inneres bohrten, während gleichzeitig jede Zelle aufschrie. Es war dunkel und hell, eng und weit. Sie wurde zusammengepresst und auseinandergerissen.

Dann waren sie am Ziel angekommen.

Keuchend ging sie neben Fen Kar zu Boden. »Zum Oni, nie wieder.«

Vor ihnen stand eine Gruppe von Offizieren, die ihre Handpulser auf sie gerichtet hielten.

»Auf diese Erklärung bin ich gespannt«, erklang eine Stimme.

Noriko sah auf. »Sie sind der Kommandant, nehme ich an.«

»Pembleton. Commander Ken Pembleton.« Er nickte.

Noriko zuckte zusammen. Es gab wohl niemanden auf der HYPERION, der die tragische Geschichte vergessen hatte. Paramedic Syra Pembleton hatte versucht, Tess Kensington zu töten, damit die I.S.P. ihren Bruder aus der Haft entließ. Er gehörte zu den Gefangenen auf Pearl. Der Anschlag schlug fehl, Syra starb. Monate später wurde Pearl befreit. Ein glücklicher Ken Pembleton musste erfahren, was seine Schwester für ihn bereit gewesen war zu tun. Eine von unzähligen Tragödien, die durch Sjöbergs verbrecherisches Regime verursacht worden waren.

»Benötigen Sie ärztliche Hilfe?«, fragte Pembleton sanft.

»Nein.« Noriko richtete sich wieder auf.

Neben ihr kam Fen Kar in die Höhe. »Ich grüße Sie.«

Der Commander erwiderte den Gruß. Er trug eine saubere Uniform, das braune Haar war kurz geschnitten, und Lachfalten umrahmten seine Augen. »Der Abgesandte einer fremden Welt in einem geheimen Horchposten der Republik zusammen mit einem unangekündigten Besuch von Noriko Ishida höchstselbst – auf Ihre Erklärung bin ich gespannt.«

Noriko erfasste klare Emotionen der Freundschaft. Ursprünglich hatten sie den Kommandanten des Hochpostens belügen wollen. Da sie ranghöher war, konnte sie jeden beliebigen Befehl aussprechen, solange dieser keine Rücksprache mit NOVA hielt. Sie gab ihrem Gefühl nach.

In kurzen eindringlichen Worten schilderte sie die Situation.

»Sie wollen also Cross befreien«, sagte Pembleton. Er bedeutete seinen Leuten, die Pulser zu senken. »Was brauchen Sie?«

»Nun, einstweilen Platz.«

Augenblicke später gab Noriko das Okay an die MEDICI.

Mithilfe des ExMat-Gerätes holte man alle wichtigen Komponenten von dem Frachter herüber. Der letzte, der den Horchposten betrat, war Commander Akoskin. Bei seinem Aufbruch löste er ein Programm aus, das die Fusionseindämmung des Frachters versagen ließ. Die MEDICI wurde zu einem Trümmerhaufen, der sich im All verstreute.

Sie waren angekommen.

»Und jetzt?«, fragte Pembleton, als er gemeinsam mit Noriko im Kontrollraum des Horchpostens stand, tief in den Eingeweiden des Asteroiden.

»Nun sind wir mitten in Phase drei«, sagte sie lächelnd. »Infiltration.«

3

Hochsicherheitsgefängnis auf Earth-2, Alpha-Centauri-System, 24. Oktober 2268, 10:13 Uhr

Wärme.

Es war jene behagliche Wärme, die man beim Aufwachen fühlte. Die letzten Reste des Traums klebten am Bewusstsein, wollten einen nicht gehen lassen.

Die wachen Gedanken kamen nur langsam. Die Nährlösung, die in den Körper gepumpt wurde, das Betäubungsmittel, das die Schmerzen linderte. Das erste Gefühl der Kontaktstellen. Die Schläuche, die an der Wirbelsäule angebracht waren; Elektroden, die Muskelkontraktionen steuerten.

Revitalisierungsmedikamente liefen in die Blutbahn. Das bewusste Erwachen kam. Der Würgreflex. Auf seinem Gesicht saß eine Maske, Beatmungsschläuche führten in seine Luftröhre. An seinen Schläfen klebten Steuerkomponenten.

Panik wallte auf.

Dann griff das bioneurale Tattoo ein. Wissen wurde bereitgestellt, der Puls sank, der Würgereflex stoppte. Das aktuelle Datum erschien in seinem Gesichtsfeld, Körperwerte expandierten.

»Er ist jetzt bei vollem Bewusstsein«, sagte ein Mann in einem weißen Kittel. »Beeindruckend. Das neural-zerebrale-Netz, das bioneurale Tattoo, hält weiterhin alles aufrecht. Körperfunktionen, Gedächtnis – absolute Kontrolle.«

Admiralin Kendra Ironstone sah zu ihm auf. Ihr Blick war kalt und hart. »Ja, absolut beeindruckend. Einfach gigantisch. Entfernen Sie es, Doktor.«

»Das kann ich nicht.«

»Sie sind einer der besten Genetiker, die wir noch haben«, sagte sie. »Das verdammte bioneurale Tattoo muss raus.«

»Mag ja sein«, sagte der Unbekannte. »Aber dabei würde er sterben.« Seine rechte Hand lag auf einem Interface-Port. Gitternetzlinien leuchteten auf der Haut. »Ich habe jetzt mehrfach versucht, die Kontrollinstanz zu infiltrieren, den Code zu überschreiben und es zu deaktivieren.«

»Aber …?« Kendras Wangen waren zornesrot, was Jayden unglaubliche Genugtuung verschaffte.

Er konnte sich nur eingeschränkt bewegen, doch immer mehr Informationen drangen bis zu seinem Bewusstsein vor. Der Raum um ihn herum war nahezu leer. Vor dem Tank, in dem er in Nährflüssigkeit dahintrieb, war ein kleines Podest angebracht. Auf ihm befand sich die Steuerkonsole mit dem Interfacepod. Der Boden bestand aus dunklen, metallischen Deckplatten.

»Es ist ein Wunder, dass ich noch hier stehe«, sagte der schwarzhaarige Genetiker. »Die Kontrollinstanz hätte beinahe einen Virus in meine Speicherbänke geladen. Dann hätte sich mein BioTat deaktiviert.«

»Großartig.« Ironstone massierte ihre Nasenflügel. Im Gegensatz zu dem bleichen Mann war die Haut der Admiralin ebenholzfarben, ihre Augen von einer dunklen, unbändigen Glut. »Er behält es also. Isolieren Sie den gesamten Raum von jedweder Netzwerktechnologie. Cross wird schnellstmöglich extrahiert und in eine hermetisch abgesicherte Zelle gesteckt.« Sie wandte sich dem Genetiker direkt zu. »Sie sind dafür zuständig, die Gefahr durch das BioTat zu evaluieren und Gegenmaßnahmen festzulegen.«

Sie sprachen über das Für und Wider von Isolation, weiteren Angriffsversuchen und Möglichkeiten.

Jayden ließ seine Gedanken treiben. Sie hatten es also getan. Das hier war Alpha Centauri. Die Endstation. An diesem Ort sollte ihm der »Prozess« gemacht werden. Ein Regime wollte Macht demonstrieren.

Das Eingangsschott versank in der Wand. Eine grimmig dreinblickende Frau mit stahlhartem Blick kam herein. »Admiralin Ironstone«, grüßte sie.

»Executive Controllerin Mialnika«, sagte Kendra und vollführte einen militärischen Gruß.

»Wie steht es denn um unseren Ehrengast?«

»Er macht Probleme, selbst im Schlaf«, erwiderte sie.

Die E.C. trat mit wenigen Schritten an den Tank heran. »Bis zum Letzten, wie immer. Worte können meine Abscheu nicht ausdrücken, Commodore. Das SOL-CENTER zerstören, Sie sind unfassbar. Vermutlich sind Sie auch noch stolz darauf. Aber damit ist es jetzt genug. Sehen Sie, Ihr Prozess läuft bereits.«

Sie hob ein Pad in die Höhe. Auf dem Monitor war ein Gerichtssaal zu sehen. Neben dem Richter und den Staatsanwälten war auch er selbst anwesend. Vermutlich ein Hologramm, das schweigend in einem Stuhl saß und nach unten blickte.

»Genießen Sie die kommenden Stunden«, sagte Mialnika. »Es werden Ihre letzten sein.«

Damit verließ sie den Raum.

Ironstone und der Genetiker schlossen sich ihr an.

4

Alpha-Centauri-System, Earth-2, Central-City, 24. Oktober 2268, 10:53 Uhr

Vor ihnen wuchsen Häuser in die Höhe, deren Spitzen bis in die Wolken reichten. Die früheren Wolkenkratzer waren längst zu Wolkenpfeilen geworden, die die Schwaden durchstießen und teilweise sogar an der Atmosphäre kratzten.

Lieutenant Commander Peter Task stand inmitten der Menschenmassen und schaute sich einfach nur um. Mit klarem Geist und hellwachen Sinnen nahm er den Trubel auf, die vorbeihetzenden Anwohner, die gigantischen Hausfassaden und Schwebegleiter, die Gerüche der Metropole.

Central City war für normale Menschen ein überwältigendes Erlebnis. Für Offiziere, die monatelang auf einem Raumschiff eingepfercht waren, wirkte die Weite sogar beängstigend. Für ihn, Peter Task, besaß das Ganze aber noch einmal eine gänzlich andere Qualität.

Die Folgen der Infektion mit dem Erios-Virus der ersten Generation hatten ihn sein gesamtes Erwachsenenleben begleitet. Doch seit wenigen Tagen war das vorbei. P‘Hol, der Heiler der HIMMELSFEUER, hatte ihn kuriert.

Als habe ein Magier einen Schleier vor seinem Gesicht beiseitegezogen, erlebte Peter nun, wie das echte Leben war. Er konnte sich mit Menschen unterhalten, geselliges Beisammensein genießen, sogar Flirts waren möglich. Er gierte nach jeder Erfahrung. Einige Tage zuvor hatte er den ersten Sex seines Lebens gehabt. Eine Erfahrung, die er an jedem folgenden Tag wiederholt hatte – mit wechselnden Personen.

Sein Leben war plötzlich so einfach, so leicht.

»Wenn man Sie so ansieht, möchte man glauben, dass Sie sich wieder mit dem Erios-Virus infiziert haben«, sagte Sarah McCall neben ihm trocken. »Bitte sagen Sie mir, dass ich recht habe.«

Peter verdrehte die Augen. Ganz so einfach und leicht war das Leben eben doch nicht. »Warum nur mussten sie uns beide in ein Team stecken?«

»Das habe ich mich auch schon gefragt. Der Sinn entgeht mir vollständig. Hier haben wir eine gutaussehende, intelligente …«

»… absolut psychopathische …«

»So wird das aber nichts«, sagte McCall, süffisant grinsend. »Teamwork geht anders. Die Kleidung steht Ihnen übrigens vortrefflich.«

Irgendwie würde er es überstehen. Vermutlich. Mit viel Glück. Sein Blick wanderte über McCall. Sie hatte die Haare geglättet und mit Glitzerpartikeln eingestäubt. Auf den Wangen trug sie feine Einmaltattoos, wie sie der aktuellen Mode in dem Gewerbe entsprachen, das sie beide repräsentierten. Ihre Hosen lagen knalleng an, das Top reichte ihr gerade so unter die Brüste.

Er selbst trug ein enges Shirt, das vorne tief ausgeschnitten war – bis zum Bauchnabel. Seine Arme waren von oben bis unten ebenfalls mit Tätowierungen bedeckt, dazu hatte er sich einen Dreitagebart wachsen lassen. Immerhin, er hatte verhindern können, dass Petrova ihm die Haare vollständig abrasierte. Stattdessen waren sie nur raspelkurz. Die Hose war von so vielen künstlichen Rissen überzogen, dass er sich nahezu nackt vorkam.

»Bringen wir es einfach hinter uns«, sagte er grimmig.

Gemeinsam betraten sie die Lobby des Wolkenpfeils. Ein Wachmann trat hervor und überprüfte ihren subkutanen ID-Marker. Ein anderer ließ den Scanner über ihre Leiber fahren, wobei er ein dreckiges Grinsen aufsetzte. Mehr wagte er nicht, doch Peter hatte keinen Zweifel daran, dass die beiden planten, sie später am Verlassen des Gebäudes zu hindern, um selbst auch ein wenig Spaß zu haben.

Einmal mehr wurde ihm bewusst, wie es gerade in Diktaturen immer wieder dazu kam, dass ausgerechnet Subjekte in Machtpositionen gelangten, die damit nicht umgehen konnten. Einmal an der Macht, schalteten und walteten sie unkontrolliert, denn hatte man nur genug Freunde in hohen Positionen, konnte einem sowieso nichts geschehen.

»Geht durch«, sagte der Wachmann schließlich.

Peter spürte noch lange seinen gierigen Blick im Rücken, was unweigerlich das Bedürfnis auslöste, unter eine Dusche zu steigen.

Das Foyer war weitläufig. Der Boden bestand aus schwarz-glänzenden Fliesen, die Wände aus edlem einheimischen Holz.

Peter atmete auf, als sie den Antigravlift betraten und die Türen hinter ihnen zuglitten. Sanft setzte die Kabine sich in Bewegung. Wenige Sekunden später waren sie auch schon angekommen – ganz oben. Die Trägheitsdämpfer hatten die Geschwindigkeit kompensiert, mit der die Kabine hinaufgeschossen war. Ins 344. Stockwerk.

Die Türen glitten beiseite und gaben den Blick auf ein gewaltiges Penthouse-Appartement frei, das das Wort »Luxus« förmlich atmete. Jeder einzelne Gegenstand bestand aus edlen Materialien und war vermutlich handgefertigt worden. Glas, Stahl und Holz dominierten das Innere des Raums, kleine Haufen aus Stein waren zur Zierde aufgerichtet. In der Mitte floss ein kleiner künstlicher Bach entlang, über den eine aus Prallfeldern geformte Brücke führte.

Er erwartete sie bereits.

Inmitten des Raumes stand Direktor Mikael Powers, ein Hüne mit dichtem schwarzen Haar und stahlgrauen Augen. Sein Blick glitt ungeniert über McCall und Peter. In der Hand hielt er ein Glas, in dem eine rötliche Flüssigkeit schwappte. Ein Aphrodisiakum, wie Peter vermutete.

»Im Katalog habt ihr anders ausgesehen«, sagte Powers. Langsam kam er näher. »Aber es wird reichen.«

McCall verfiel sofort in ihre Art des lasziven Bad Girls, die sie so sehr perfektioniert hatte. Sie steckte einen Finger in den Mund und führte ihn danach an Powers‘ Lippen. »Wir sind sogar besser.«

Jede Faser in Peters Körper schrie danach, die Informationen einfach aus diesem Kerl herauszuprügeln. Bedauerlicherweise war er einer der höchstrangigen linientreuen Offiziere innerhalb der Inner Security Police. Nicht umsonst hatte er es auf den Posten des Direktors des zentralen Gefängniskomplexes für politische Gefangene gebracht.

Powers ließ sich einmal pro Woche je ein Callgirl und einen Callboy kommen. Aus seiner Akte ging hervor, dass er auf die härtere Gangart im Bett stand und keiner seiner Besucher ohne blaue Flecken und Wunden davonkam.

Laut der Analyse von Doktor Tauser überkompensierte der Direktor seine Minderwertigkeitskomplexe mit einem massiven Hang zum Sadismus. Ab und an lebte er diesen Drang auch an Gefangenen aus. An jenen, deren Verschwinden niemandem auffiel, weil sie zu unbedeutend waren.

Sein Blick bohrte sich förmlich in Peter. Ein Lächeln erhellte die Gesichtszüge, entblößte strahlend weiße Zähne. »Du bist neu.« Powers schob McCall beiseite. »Das hier ist dir unangenehm. Bin ich dein erster Kunde?«

Innerlich verfluchte sich Peter. Jemand mit einem Hang zum Sadismus wollte sich nicht an Personen wie McCall austoben, die abgebrüht und routiniert waren. Er wollte Frischfleisch. Genau deshalb hatte seine Teamgefährtin so reagiert. Damit blieben ihm nicht mehr viele Optionen. »Ja.«

»Vermutlich werden wir tatsächlich Spaß haben«, sagte Powers. »Ich gehe jetzt in mein Schlafzimmer. Du«, damit deutete er auf Peter, »kommst in fünf Minuten nach. Ich bereite alles vor.«

Powers stellte das Glas ab. »Und du, Frau, wartest, bis ich dich rufe.«

Er ging davon.

»Damit wären die Würfel gefallen«, sagte McCall. »Sie lenken ihn ab, während ich das Wohnungskontrollsystem hacke.«

»Sie machen Scherze.«

»Sehen Sie es pragmatisch«, sagte sie in neutralem geschäftigen Ton. Keine Spur war mehr zu sehen von der frechen Femme fatale. »Das hier ist ein Auftrag. Wir müssen in das Gefängnis hinein. Die nächste Gruppe kann nur starten, wenn wir alles richtigmachen.« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Meine Inserts gehen online.«

Fast erwartete Peter, dass im nächsten Augenblick ein Alarm losgellte. Doch nichts geschah.

»Wie lange brauchen Sie?«

McCall zuckte mit den Schultern. »Einige Minuten. Er hat gute Fireshields, aber ich werde sie knacken.«

»Minuten«, echote Peter. »Das ist zu lang.«

»Halten Sie ihn irgendwie hin. Und beschaffen Sie uns DNA-Proben und einen Fingerabdruck. Zur Sicherheit auch einen Pupillenscann. Das dürfte ja nicht so schwer sein.«

Peter schluckte. Wenigstens Ersteres war kein Problem. »Da, das Glas. Damit haben wir DNA.«

McCall lächelte. »Ich mag ihren Pragmatismus. Aber für den Rest müssen Sie dort hinein.«

Sie deutete auf das Schlafzimmer.

* * *

»Aufgeregt?«

Doktor Irina Petrova ging in die Knie und prüfte den Puls der beiden bewusstlosen Offiziere. »Natürlich bin ich das. Nur ein Idiot wäre das nicht.« Sie erhob sich. »Beide werden die nächsten Stunden schlafen.«

»Perfekt«, sagte Doktor Janis Tauser.

Irina betrachtete ihn eingehend. »Diese Uniformen sind widerlich. Schwarz und Anthrazit, wer denkt sich so etwas aus?« Sie wischte ein imaginäres Staubkorn von seiner Schulter. »So geht das aber nicht, Doktor!«

»Entschuldigung, Executive Controllerin, das wird nie wieder vorkommen.« Er grinste.

»Wir werden so viel Spaß haben.« Sie öffnete ihr medizinisches Notfallkit, überprüfte die Injektoren. »Alles da. Das Gift wird als echt durchgehen. Genau genommen ist es das auch, bis ich das zweite Molekülderivat dazugebe. Es wird ihn in einen scheintoten Zustand versetzen, wir karren ihn raus und – voilà.«

»Der Graf von Monte Christo, Teil zwei«, kommentierte Janis.

»Ich vergesse manchmal, wie alt du bist.«

»Danke.« Er schaute auf seinen Chrono. »In zwei Minuten müssen wir translozieren.«

Sie hatten die Offiziere der I.S.P. überfallen und betäubt, um von einer freigegebenen Translokationskonsole ins Innere des Gefängnisses zu gelangen. Dort würden sie ihr unangekündigtes Eintreffen allerdings erklären müssen. Eine Freigabe konnte nur der Direktor geben. Damit lag der Ball im Feld von McCall und Task, was Irina nicht im Geringsten beruhigte. Die eine war fast unmöglich einzuschätzen, der andere auf einem Trip nach Erfahrungen.

»Beruhige dich.« Janis umarmte sie. »Wir schaffen das. Die Inserts von McCall werden es hinbekommen.«

»Das hoffe ich«, sagte sie. »Immerhin setzen wir unser Leben darauf. Wenn die Freigabe dieses verdammten Translokators nicht durch Biometrieeingabe und Codes bestätigt wird, was die bewusstlosen Herren hier nicht mehr tun können, deaktiviert er sich in wenigen Minuten. Wir müssen ihn also jetzt benutzen. Noch kein Signal von den beiden?«

Er schüttelte den Kopf.

Sie traten gemeinsam auf die Plattform.

Das typische rotgoldene Funkeln des Transfers erschien, gefolgt von dem Gefühl zu fallen. Im nächsten Moment fanden sie sich auf der Plattform des Gefängnisses wieder.

Gegenüber saß ein junger Offizier hinter einem Kontrollpult. Vor ihm standen zehn uniformierte Marines mit Pulsern im Anschlag.

»Was geht hier vor?«, bellte Irina, ganz in ihrer Rolle der gnadenlosen Executive Controllerin. »Senken Sie die Waffen!«

Der Offizier starrte auf seine Konsole. »Der Transfer kommt von einer autorisierten Transfereinheit, aber ich habe keine Ankündigung.«

»Keine Ankündigung!« Petrova stemmte die Fäuste in die Hüften. »Wird dieses Gefängnis hier so geführt? Befinden wir uns in der Provinz?! Das hier ist der zentrale Gefängniskomplex, und wir sind hier, um Jayden Cross zu untersuchen.«

Das Schott fuhr zur Seite. Ein grimmig dreinblickender Mann stürmte herein. »Wer sind Sie?«

Petrova warf ihm einen Blick zu, so kalt wie der Saturnmond Titan. »Die Frage lautet für mich eher: Wer sind Sie? Ich habe Direktor Powers erwartet.«

Der Mann schluckte. »Ich bin sein Stellvertreter, Josef Dust.«

Irina atmete innerlich auf. Ihr Gegenüber war schlank, dünn und bleich. »Wo ist der Direktor? Mir wurde zugesichert, dass unser Kommen angekündigt wurde. Es geht um Jayden Cross.« Sie wiederholte noch einmal, weswegen sie hier waren.

»Aber … wir haben erwartet, dass die nächste Untersuchung erst morgen ansteht. Mir liegt keine Genehmigung vor.« Er tippte hastig auf einem Pad herum. »Das muss ich mir erst bestätigen lassen. Direktor Powers hat heute frei.«

»Frei«, sagte Tauser. »Wissen Sie eigentlich, wer ich bin? Natürlich nicht, aber das spielt auch keine Rolle. Meine Zeit ist knapp. Sie klären das jetzt, oder es wird Folgen haben.«

Dusts Finger flogen über die Touch-Konsole. »Verbindungsanfrage läuft.«

Irina konzentrierte sich auf den Grund ihres Hierseins und verbarg ihre Nervosität hinter einer Maske der Professionalität. Auch Janis hielt sich tapfer.

»Es tut mir leid, aber ich erreiche ihn nicht«, sagte Dust. »Ich werde stattdessen die Zentrale kontaktieren, das lässt sich bestimmt leicht klären.«

»Die Zentrale? Sie wollen bei allem, was gerade geschieht, die Zentrale kontaktieren, um ein simples Einsatzzertifikat zu erbitten?« Irina starrte ihn fassungslos an. »Na, in Ihrer Haut will ich nicht stecken, wenn Harrison Walker das erfährt. Sollte hier nicht alles reibungslos und flüssig ablaufen? Ich nehme an, wir müssen ein Evaluierungsteam durch das Gefängnis schicken.«

»Es tut mir leid, Ma’am, aber ich darf nicht von dem Protokoll abweichen«, sagte Dust. So kriecherisch er auch war, vermutlich besaß er gar nicht die Möglichkeit abzuweichen. »Das wissen Sie sicher.«

»Natürlich weiß ich das. Verdammt noch eins, senken Sie endlich ihre Pulser!« Petrova machte eine herrische Geste, worauf die Marines tatsächlich die Läufe senkten. »Sie sollen gar nicht vom Protokoll abweichen, Sie Esel. Verschaffen Sie mir einen Kontakt zu diesem Subjekt, was sich Direktor schimpft.«

Dust versuchte es erneut. Wieder kam kein Kontakt zustande. »Es tut mir … Oh, Moment.« Er atmete auf. »Das Auftragszertifikat ging soeben ein. Executive Controllerin Aria Morlich und Doktor Paul Schiwago.«

Schiwago, echote Irina gedanklich. Eine solch dämliche Idee konnte nur von McCall stammen, die während ihres jahrhundertelangen Lebens auf Terra eine Schwäche für historische Filme und Serien entwickelt hatte.

»Ein sehr ausgefallener Name«, sagte Dust auch direkt, bemüht, Konversation zu betreiben.

»Ja, da haben sie recht«, erwiderte Janis. »Grauenvoll.«

»Ich meinte eher Ihren, E.C. Morlich.« Er lächelte unterwürfig. »Sehr ausgefallen. In einem positiven Sinn.«

»Bringen Sie uns einfach zu Cross.« Bei jedem Schritt, den sie taten, war Irina bewusst, dass das Chrono im Hintergrund tickte. Von diesem Moment an befanden sie sich alle in Lebensgefahr.

5

Alpha-Centauri-System, im Orbit um Earth-2, Dreadnought EMPIRE, 11:30 Uhr

Admiralin Kendra Ironstone saß im Kommandositz an Bord des Flaggschiffs des Imperiums und ließ ihre Gedanken schweifen. Um sie herum herrschte emsige Betriebsamkeit. Die Offiziere gingen ihrer Arbeit nach, beschäftigen sich mit der Rekalibrierung von Konsolen und spielten Updates ein. CENTAURI-11 hatte mehrere Versorgungstransporter angekündigt, die Munition liefern sollten.

Als Jayden von der EMPIRE gebracht worden war, war ihr ein Berg von der Seele gerollt. Nun war er also am Boden und damit in der Verantwortung anderer. Trotzdem, das war ihr klar, würde sie verantwortlich gemacht werden, falls auf Earth-2 etwas schiefging. Als Kommandantin der EMPIRE war sie ranghöchste Offizierin der Navy im System.

Am morgigen Tag wollte der Genetiker seinen Abschlussbericht vorlegen. Danach würde Jayden endlich für immer ausgeschaltet werden. Möglicherweise ließen sich ähnliche BioTats nachbauen. Wenn man zugrunde legte, was dieses Ding für Jayden alles getan hatte, würde die Schlagkraft von Offizieren, die damit ausgestattet waren, enorm erhöht werden.

Trotzdem wollte sie auf Nummer sichergehen. Sie benötigte volle Autorität innerhalb des Gefängniskomplexes. Die konnte allerdings nur von Harrison Walker selbst vergeben werden. Ihre Autorität beschränkte sich auf die EMPIRE, im Notfall auf die Heimatflotte des Alpha-Centauri-Systems.

Ihr E.C., Lucio Grant, befand sich aktuell in seiner Kabine und zog sich die neuen Protokolle für Executive Controller aus dem Systemnetz.

»Stellen Sie mir einen Kontakt zu SOL-1 her«, verlangte sie von ihrem Funkoffizier.

»Tut mir leid, Ma’am, aber ich komme nicht durch.«

»Wie bitte?«

Im gleichen Augenblick aktivierte sich ein rotes Warnicon auf ihrer Konsole. In einem Regen aus Photonen entstand das Abbild von Executive Controllerin Mia Mialnika. »Was glauben Sie hier zu tun, Admiralin?«

Für einen Moment war Kendra sprachlos, was äußerst selten vorkam. »Ein Gespräch mit Harrison Walker führen?«

»Sicher nicht. Das System steht unter dem Isolationsprotokoll.«

»Aber …« Kendra starrte die andere Frau fassungslos an. »Das gilt doch nicht für das Flaggschiff.«

»Mir wurden keine Ausnahmen vom Imperator genannt. Und …«

»Aber …«

»… und solange mir diese nicht vorliegen, gilt das für jeden, Admiralin. Da machen Sie keine Ausnahme. Der Wille des Imperators ist Gesetz.«

Kendra schluckte ihren Widerspruch hinunter. »Selbstverständlich.«

»Ausgezeichnet.«

Die Verbindung erlosch.

Auf der Kommandobrücke der EMPIRE breitete sich Stille aus.

»Weitermachen!«, bellte Kendra.

Niemand wagte es, von seiner Konsole aufzublicken. Gut so. So weit käme es noch, dass diese vertrottelte E.C. den Respekt untergrub, den ihre Crew Kendra entgegenbrachte.

Einmal mehr wurde ihr die Konsequenz der Neuronalen Restrukturierung der ersten Generation deutlich. Kein davon Betroffener konnte von den vorgegebenen Befehlen abweichen. Es war ein vollständiges Dominieren. Kendra hatte erst vor Kurzem begriffen, dass das Verfahren der zweiten Generation auch bei ihr angewendet worden war. Das ließ ihr wenigstens etwas mehr Spielraum.

Solche Situationen wie eben brachten sie jedoch zum Grübeln. Wie würde sie sich verhalten, wenn die Neuronale Restrukturierung gelöst wäre? Bestand die Möglichkeit, dass sie Sjöberg gar nicht so treu ergeben war? Sie wies den Gedanken als abstrus zurück. Sie verehrte den Imperator und konnte diese Ehrfurcht, ihre Loyalität, auch logisch herleiten; an Fakten festmachen.

Sie, Admiralin Kendra Ironstone, hatte nichts mit diesen blinden Befehlsempfängern gemeinsam, die mittlerweile den Beamtenapparat, die Geheimpolizei und einen Großteil der politischen Offiziere stellten.

Ihre Loyalität war echt, daher war sie auch so effektiv.

Doch was, wenn sie nur glaubte, dass sie Sjöbergs Taten guthieß? Was, wenn sie sie normalerweise verabscheut hätte?

Sie schüttelte den Kopf.

Diese Gedanken waren müßig, gefährlich und ganz und gar sinnlos. Stattdessen wollte sie handeln. Während sie sich auf den Weg zum Translokationsraum begab, forderte sie vier genetische Soldaten an. Wenn Kendra eines gelernt hatte, dann, dass man nie über zu viel Feuerkraft verfügen konnte.

Die neuesten Züchtungen der Genetiker besaßen Verbesserungen, die über alles hinausgingen, was es bisher gab. Das Bataillon auf der EMPIRE war als Erstes verstärkt worden.

Wenige Minuten später translozierte sie in den zentralen Gefängniskomplex.

* * *

Sarah McCall saß am Terminal der Wohneinheit von Mikael Powers, hatte die Beine auf die Tischplatte gelegt und trank entspannt einen Tee. Vor wenigen Minuten – gerade noch rechtzeitig, denn die Anfrage aus dem Gefängniskomplex war zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt – hatten Tasks subkutan implantierte Sensoren alle notwendigen Daten geliefert. Damit hatte sie Petrova und Tauser ihre Legitimation verschafft.

Der eigentliche Plan sah nun vor, dass sie sich ebenfalls in das Schlafzimmer dieses Mistkerls begab, doch sie hatte wahrlich keine Lust dazu.

Kurz darauf erklang ein Rumpeln.

Task kam aus dem Schlafzimmer gestürmt, nur noch mit Shorts bekleidet. »Sorry, weiter konnte ich wirklich nicht gehen. Ich habe ihn mit einem Betäubungspflaster ausgeschaltet. Was …« Erst jetzt realisierte er, dass McCall entspannt vor dem Terminal saß. »Sie sollten mir doch Bescheid geben, sobald die Legitimation durch ist.«

»Jaaa«, gab Sarah zu, »aber ich dachte dann, dass Sie doch in den letzten Jahren so viele Erlebnisse versäumt haben. Und da sie momentan so darauf bedacht sind, alles aufzuholen, wollte ich dabei nicht stören.«

Task starrte sie einen Moment schockiert an, dann schien er zu explodieren. »Sind Sie noch ganz dicht? Dieses Ekel dort drin ist einer der übelsten Sadisten, die es gibt, und sie wollen mich Erfahrungen sammeln lassen?«

»Nun ja … ja.« Es war immer wieder schön, Menschen aus dem Takt zu bringen. »Wie war es?«

»Sie …«

Überraschenderweise hielt Task sich nicht zurück. Er sprang nach vorne, nahm ihre Tasse und warf sie gegen die Scheibe. Nachdem er jahrzehntelang jede einzelne Bewegung kontrolliert hatte ausführen müssen, gab er nun überraschend leicht jedem Impuls nach.

Sie wich ihm spielerisch aus. »Das war jetzt nicht nett«, sagte sie. »Dabei lief doch alles glatt. Petrova und Tauser sind im Komplex, und wir können heimgehen. Tadaaa. Was haben Sie dem Kerl eigentlich verabreicht? Muss ja ein starkes Mittel gewesen sein.«

Task bekam sich nur langsam wieder in den Griff. Sie musste zugeben, dass er mit seiner animalischen Wut ganz sexy wirkte. Vermutlich merkte er gar nicht, dass er noch immer lediglich Shorts trug. »Das war nicht notwendig. Ein leichtes Sedativ hat ausgereicht.«

Ein heißer Schreck durchfuhr Sarah. »Moment. Aber Sie wissen doch, dass er einer der aufgewerteten E.C.s ist, oder? Die besitzen ebenfalls Inserts. Darunter Implantate, die Toxine neutralisieren.«

Für einen geschockten Augenblick starrten sich beide an.

Dann erklang das typische Geräusch eines Energiemagazins, das entsichert wurde.

»Shit!«, sagte Sarah.

Sie sprangen beide gleichzeitig.

Man musste Powers, der mit grimmigem Blick im Durchgang zum Schlafzimmer stand, zugutehalten, dass er Sarah als gefährlicheres Ziel einstufte. Bedauerlicherweise bedeutete das auch, dass er versuchte, sie als Erstes zu töten. Die Schüsse waren letal, was dadurch erkennbar war, dass sie problemlos die Möbelstücke durchschlugen.

Sarah warf sich herum, rollte ab, machte einen Sprung und war über dem Gefängnisdirektor. Oder sie sollte es sein. Doch der wechselte ebenso schnell die Position.

»Gute Aufrüstung«, kommentierte er.

Ein weiterer Schuss zwang Sarah dazu, zurückzuweichen. Gleichzeitig näherte Powers sich Task. Dieser wich geschickt zwei Schüssen aus, machte dann jedoch den ultimativen Fehler: Er ging zum Angriff über.

Der Direktor parierte seine Schläge problemlos, hebelte ihn aus, und plötzlich lag seine linke Hand wie ein Schraubstock um Tasks Hals. Die rechte hielt unbeirrt den Pulser. »Ich werde Ihrem Gefährten umgehend das Genick brechen, falls Sie mich angreifen.«

Sarah blieb im Durchgang zum Schlafzimmer stehen. Hier konnte sie jederzeit in Deckung gehen.

Powers grinste böse. Wenige Schritte brachten ihn aus dem Penthouse hinaus auf die luxuriöse, mit einem Pool und Servicebots ausgestattete Dachterrasse. Dort trat er an die Balustrade heran und schob Task von sich. Damit konnte der Navigationsoffizier sich nur noch mit den Zehen abstützen, während er über dem Abgrund hing.

»Ich habe das Sicherheitsfeld deaktiviert«, sagte Powers. »Wenn ich ihn loslasse, ist er tot.«

Sarah trat auf den Balkon hinaus. Sie suchte fieberhaft nach einer Lösung. Niemals wäre sie dazu in der Lage, Powers zu erreichen, bevor er Task das Genick brach oder ihn einfach hinabstieß. Es erschreckte sie, wie stark die Inserts des Mannes waren. Ihre eigenen entstammten immerhin der Zukunft.

Doch durch das Wissen, das von Richard und Cassy und zu einem gewissen Teil auch durch sie selbst in die Gesellschaft eingeflossen war, schmolz jeder Vorteil dahin. Mittlerweile hatte die Menschheit einen technologischen Quantensprung getan, viele Entwicklungen waren beschleunigt worden.

Ich hätte ihn einem Tiefenscann unterziehen sollen!

»Sie sind gut«, gab Powers zu. »Welcher Fraktion gehören Sie an?«

»Fraktion?«

»Spielen Sie nicht das Dummchen. Kybernetiker?« Er betrachtete Task. »Aber warum ist er dann nicht aufgerüstet? Gehören Sie zum Widerstand? Marsianer?« Er biss wütend die Zähne zusammen. »Ich bekomme keinen Zugriff auf meine Kontrolleinheit, was haben Sie damit gemacht?«

Sarah beglückwünschte sich zu ihrer Idee, die biometrischen Referenzdaten zu korrumpieren. Andernfalls hätte dieser Idiot zweifellos eine Anfrage an die zentrale I.S.P.-Stelle hier auf Earth-2 gestellt. Ein visueller Abgleich wäre vermutlich nicht einmal notwendig gewesen. Jeder Agent der Inner Security Police kannte die Gesichter der wichtigsten Mitglieder der Rebellion. Wäre Powers nicht so sehr mit seiner sexuellen Gier beschäftigt gewesen, hätte er sie ebenfalls erkennen können.

»Ich bin eine Ketaria-Assassine«, improvisierte sie schnell. »Ey, Frau muss sehen, wo sie bleibt. Wir rauben gemeinsam ›Kunden‹ aus, er und ich.«

»Ja, ist klar. Und warum habe ich dann noch nie von euch gehört?«

»Wer will schon zugeben, dass ihn zwei Sexarbeiter ausgeraubt haben?«

Ihr kam ein Gedanke. Sie besaß Zugriff auf die Kontrolleinheit des Apartments, und obgleich ihr persönliches Raumschiff schon lange zerstört war, hatte sie das Steuerinterface nie in das Speicherarchiv verschoben. Blitzschnell griff sie darauf zu, ließ eine automatische Schnittstellenanpassung durchführen und griff auf die Servicebots zu.

Powers fuhr herum, als einer der beiden seine Elektromuskeln bewegte. Dafür übersah er den anderen, der ihm das Handgelenk zerquetschte.

Sarah befand sich bereits in Bewegung. Task ruderte mit den Armen, dann kippte er nach hinten weg. Sie sprang, glitt elegant über die Brüstung, fegte dabei die Beine des brüllenden Powers beiseite – und packte Task.

Während sie sich wieder nach oben zog, verwehte der Schrei des Direktors tief unter ihnen.

»Hm, ich frage mich, ob er diese extreme Situation so genossen hat wie sonst die in seinem Schlafzimmer«, sagte Task keuchend.

»Sie haben ja tatsächlich sowas wie Humor.« Sarah klopfte ihm auf die Schulter. »Gern geschehen. Die Rettung, meine ich. Aber jetzt sollten wir abhauen. Und zwar schnell.«

»Da kann ich nur zustimmen.«

Sie half ihm in die Höhe. Im gleichen Augenblick wurde das Gebäude in ein tiefes Rot getaucht. Der Sicherheitsalarm erklang. »Er hatte einen Transponder«, sagte sie. »Und der hat ein Todessignal an die Sicherheitsdatenbank gesendet. In wenigen Augenblicken wimmelt es hier nur so von Sicherheitskräften.« Sie fluchte. »Mit etwas Glück halten die es anfangs für einen Selbstmord, immerhin hat Powers das Sicherheitsfeld selbst deaktiviert. Aber sobald sie die Wachen befragen, sind wir dran.«

Gemeinsam rannten sie zum Ausgang.

Task stoppte. »Ich brauche meine Kleidung.«

»Vergessen Sie es.« Sarah packte ihn. »Wir betäuben die Wachleute und holen uns ihre Uniform. Damit kommen wir weiter, und die beiden schlummern in einer Servicebot-Kammer. Das verschafft uns Zeit, bis sie gefunden werden.« Sie erreichten den Lift, stürmten hinein.

Etwas leiser fügte sie hinzu: »Wenn auch nicht viel.«

* * *

»Los, los, Doktor«, sagte Irina zackig. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

»Du machst das überraschend gut«, sagte Janis leise aus dem Mundwinkel.

»Ist ähnlich wie auf der Krankenstation«, erwiderte sie.

Dust lief vor ihnen den Gang entlang. Irina bekam eine Gänsehaut, wenn sie daran dachte, dass hinter den Sicherheitstüren zu den Zellen, die links und rechts alle paar Schritte abführten, Gefangene saßen. Wie viele Schicksale hatte die I.S.P. hier zerstört, wie viele Seelen gebrochen?

Vor ihnen tauchte ein breites Sicherheitsschott auf. Dust schaltete es mittels seiner biometrischen Daten, einem sechzehnstelligen Zugangscode und einem verbal gesprochenen Schlüsselsatz, frei. Irina blieb verblüfft stehen, als das Material biegsam wurde und sich der Zugang als Irisblende entpuppte.

Sie betraten den dahinterliegenden Raum. Irina setzte eine neutrale Miene auf und betete, dass Cross begriff, was hier ablief. Er durfte kein Zeichen des Erkennens von sich geben.

»Wo ist der Gefangene?«, fragte sie überrascht.

Der Raum war vollgestopft mit Terminals und einer länglichen Projektionsfläche. Doch keine Spur des Commodore.

»Gemäß der Order aus dem I.S.P.-Hauptquartier erhält niemand Zugang«, erwiderte Dust verblüfft. »Ich dachte, das wissen Sie. Die Projektionsmatrix bietet Ihnen allerdings Zugang zu allen medizinischen Daten. Es ist eine Liveschaltung.«

»Natürlich wusste ich das«, fauchte Irina. »Trotzdem hätte ich diesem Verräter an der Menschheit gerne ins Gesicht gespuckt.«

»Wir alle«, versicherte Dust schnell. »Für den Imperator. Das Imperium wacht.«

»Das Imperium wacht.«

»Ich lasse Sie nun allein. Falls Sie etwas brauchen …«

»… melden wir uns«, unterbrach Irina und schob den eifrigen Speichellecker aus der Tür.

Als sie alleine waren, atmete sie auf. Eine kurze Überprüfung ihres Hand-Coms bestätigte, dass es keine aktive Überwachung gab. Die I.S.P. war eben heilig.

»Das Imperium wacht«, echote Janis. Er schüttelte sich.

»Man weiß nie, wer diesen Schwachsinn ernst nimmt, wer nur so tut und wer aufgrund von Neuronaler Restrukturierung keine Wahl hat.« Sie trat an das Display. »Die Interface-Steuerung ist modernisiert worden, aber ich werde schon … ah, da.«

Sie berührte ein Icon.

Die Projektionsmatrix bestand aus einem transparenten, der Länge nach stehenden Energieblock. Im Inneren erschien das Abbild von Jayden Cross.

Janis ging staunend näher. Es wirkte unwirklich, ihn in der Uniform eines I.S.P.-Arztes zu sehen. Seinen Bart hatte er sich für seine Tarnung raspelkurz gestutzt, sich aber geweigert, ihn vollständig zu entfernen. Auch sein Haar war gekürzt. Alles in allem wirkte er kantiger als die gutmütige Version, die auf der HYPERION ihren Dienst tat. »Das ist beeindruckend. Diese Schärfe, der Detailgrad. Das übertrifft sogar die neuen Holobänder, und die sind noch nicht einmal überall angekommen.«

»Es ist immer dasselbe«, murmelte Irina, während sie weiter Eingaben vornahm. »In Kriegszeiten werden die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen stets mit ausreichend finanziellen Mitteln versorgt. Natürlich nur, um die theoretischen Grundlagen und Prototypen für Waffen zu erarbeiten und zu konstruieren. Oder, wie hier, für die medizinische Analyse Gefangener.« Sie seufzte. Manchmal war es schwer zu glauben, dass es lediglich gut drei Jahre her war, seit sie ihre Freiheit verloren hatten und der alte Status quo zerbrochen war.

»Wer wird denn so destruktiv sein«, sagte Janis prompt. »Du hast Pearl überlebt, Irina. Immer lächeln.«

Unweigerlich musste sie grinsen. »Hör auf, mich zu psychotherapieren. Immerhin muss ich noch eine wahnsinnige Executive Controllerin spielen. Das geht mit einem Lächeln so schlecht.«

Endlich hatte sie die richtige Einstellung herausgefunden.

»Okay, das wird schwierig. Die haben Cross von allen Kontaktpods abgeschnitten. Es gib auch keinen offenen Port in der Nähe. Hm.« Sie ließ die Schultern hängen. »Plan A wird nicht funktionieren. Ich müsste ihm vorher ein Antitoxin injizieren, sonst stirbt er am Ende wirklich.«

»Wir haben keine Zeit mehr«, sagte Janis. »Der Gerichtsprozess läuft bereits. Alle Welt dort draußen glaubt, Jayden sitzt im Gerichtssaal. Sobald er verurteilt ist, wird der echte sofort hingerichtet. Dann machen wir es also auf Jaydens Art.«

»Ach, und die wäre? Improvisieren und etwas Großes kaputtmachen?«

»Genau.« Janis klatschte zufrieden in die Hände.

»Es wundert mich nicht, dass ihr so gute Freunde geworden seid.«

Sie wandte sich wieder der Kontrolleinheit zu. Theoretisch konnte sie – bis zu einem gewissen Grad – auch auf den Tank zugreifen, in dem Cross gefangen gehalten wurde. Das würde allerdings jeden Alarm auslösen, den es in diesem Komplex gab. Kurz darauf würde es hier nur so von Sicherheitskräften wimmeln, allesamt genetisch gezüchtet oder mit Inserts versehen.

»Wir könnten ihn rausholen, aber das wird verdammt schwierig. Theoretisch könnte ich mit der E.C.-Vollmacht alle Gefängnistüren öffnen. Das brächte Chaos. Andere müssten jedoch den Preis dafür bezahlen.«

Janis schüttelte den Kopf. »Wenn wir Leben opfern, um Jayden hier herauszuholen, wird er uns das niemals verzeihen.«

»Ich bin Ärztin«, sagte Irina. »Weiß du, das bedeutet in der Regel, dass ich Leben rette, nicht leichtfertig oder absichtlich aufs Spiel setze. Du musst es also nicht extra erwähnen.«

»Ist ja gut.« Janis hob die Arme in einer Ich-gebe-auf-Geste. »Aber was tun wir dann?«

»Sei mal kurz ruhig.«

»Aye, Ma‘am.«

Irina durchdachte die möglichen Szenarien. Natürlich konnte sie im Gefängnisraum, in dem der Commodore sich befand, den Tank öffnen. Der erste Primäralarm ließ sich durchaus hierher umleiten. Das verschaffte ihnen allerdings nur Minuten. Danach gingen sekundär und tertiär Warnungen an den aktuellen Komplexleiter und die stationierten Wachen heraus.

In der verbleibenden Zeit würden sie es niemals zum Translokationsraum schaffen. Das war der einzige Ort, der nicht von einem mehrfach gestaffelten Schutzschild abgeschirmt wurde. Nur von dort konnten sie fliehen.

»Verdammt!«

»Ganz ruhig«, sagte Janis. »Erkläre es mir. Schritt für Schritt.«

* * *

Admiralin Kendra Ironstone materialisierte auf der Translokationsplattform. Sie hatte sich auf vier genetische Soldaten beschränkt, die sie eskortierten.

»Admiralin«, sagte ein dünner, bleicher Mann. Er keuchte, vermutlich war er hierhergerannt, als er von ihrem Eintreffen erfahren hatte. »Dust ist mein Name, Josef Dust. Heute ist hier ja richtig etwas los.«

Sie trat von der Plattform. »Mister Dust, ich hatte erwartet, Direktor Powers vorzufinden. Wo ist er?«

»Ich musste bereits unseren anderen Besuchern mitteilen, dass er momentan nicht im Komplex anwesend ist. Eine wichtige Konferenz.«

»Andere Besucher?« Kendra wurde sofort hellhörig, wenn etwas von der Norm abwich. In der Regel deutete das auf Probleme hin.

»E.C. Morlich und Doktor Schiwago«, bestätigte er.

»Hm.« Der Name des Doktors brachte etwas in ihr zum Klingen, doch sie konnte es nicht zuordnen.

»Ich versichere Ihnen, es ging alles mit rechten Dingen zu«, fügte Dust schnell hinzu. »Beide wurden durch ein Zertifikat von Direktor Powers bestätigt.«

»Der Direktor Powers, der aktuell nicht anwesend ist?«

Ein Muster formte sich in Kendras Geist. Wenn ihr eines im Kurs für militärische Analyse an der Akademie eingebläut wurde, dann, auf Muster zu achten.

»Das Zertifikat entstammte seiner persönlichen Kontrolleinheit«, sagte Dust. »Es ist fälschungssicher.«

»Nichts ist fälschungssicher«, widersprach Kendra. Trotzdem war sie nun beruhigt. »Dann sollte ich mich mit diesen beiden Neuankömmlingen mal unterhalten.«

Die genetischen Soldaten machten Anstalten, von der Plattform zu steigen. »Es tut mir leid, Admiralin, aber ich darf nur hauseigenes Sicherheitspersonal in die Einrichtung lassen. Keine Ausnahmen.«

Sie sah Dust an, wie schwer es ihm fiel, sich ihr in den Weg zu stellen. Andererseits zollte sie ihm Hochachtung, gerade weil er sich an die Vorschriften hielt.

»Zurück auf die EMPIRE«, befahl sie ihren Leuten. »Ich melde mich stündlich.«

Damit war klargestellt, was passieren würde, falls sie das nicht tat.

Du wirst langsam, aber sicher paranoid, Kendra, sagte sie sich selbst. Und Schuld daran ist nur Jayden.

Sie folgte Dust in den Gefängniskomplex, während hinter ihnen die genetischen Soldaten in der Wurmlochporta der Translokationsverbindung verschwanden.

Was Kendra in der Akte von Powers gelesen hatte, die ihr Lucio netterweise zugänglich gemacht hatte, war gelinde gesagt besorgniserregend. Ob Harrison Walker und Imperator Sjöberg davon wussten, was der Kerl hier trieb? Vermutlich war das so, doch es spielte keine Rolle. Politische Gefangene eben. Das gefiel Kendra nicht, aber sie akzeptierte es. Befehle waren Befehle, und eine Hierarchie war dazu da, eingehalten zu werden. Andernfalls entstand Chaos.

Ein hektisches rotes Blinken auf dem Pad von Dust ließ sie innehalten. »Was ist los?«