Heliosphere 2278: Der Anschlag - Andreas Suchanek - E-Book

Heliosphere 2278: Der Anschlag E-Book

Andreas Suchanek

5,0

Beschreibung

Der Kampf um die Zukunft der Menschheit beginnt zwischen den Sternen: »Heliosphere 2278 – Der Anschlag« ist der Auftakt zur neuen Trilogie von Science-Fiction-Bestseller-Autor Andreas Suchanek. Acht Jahre sind seit dem Krieg gegen das Imperium und die Ash'Gul'Kon vergangen. Eine Zeit, in der die Interstellare Allianz wachsen konnte. Als eine alte Freundin im Verlauf eines Forschungsprojektes verschwindet, begibt sich Admiral Jayden Cross mit dem HYPERION-Verband zum Ort des Geschehens. Die Suche führt ihn zu einem Vermächtnis des Krieges und setzt eine katastrophale Kette aus Ereignissen in Gang. Jayden muss feststellen, dass es Gefahren gibt, vor denen sich niemand schützen kann. Eine Military-SciFi Space Opera für alle Freunde von Peter F. Hamilton und David Webber. 

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Table of Contents

Der Anschlag

Prolog

Vorboten

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Die 1. Welle

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

Das Planeten-Netzwerk

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

Seriennews

Impressum

Heliopshere 2278

 

»Der Anschlag«

 

Andreas Suchanek

 

 

Prolog

»Du klingst schon wie Noriko«, erklang die Stimme von Commander Giulia Lorencia über den ComLink.

»Weil sie recht hat.« Mark prüfte das Feedback der Vermessungsdrohnen auf seinen Linsen. »Du kannst nicht einfach hier herunter translozieren und irgendein gefährliches Experiment starten, das dir der Captain verboten hat.«

»Du siehst doch, dass ich es kann.« Ihre Stimme war unterlegt vom Feedbackgeräusch berührter Icons und dem Schaben von Geräten, die auf dem Steinboden neu positioniert wurden. »Ich bin die wichtigste Spezialistin im Team, er kann mich kaum ersetzen.«

Mark fluchte lautlos. Diese Frau war wie ein Block Duspanit. Die Argumente kamen gar nicht bei ihr an. Er könnte jetzt entspannt mit seinem Ehemann im Quartier sitzen, eine Flasche Wein köpfen und eine Holovid ansehen. Stattdessen stapfte er durch das endlose Höhlensystem auf diesem Drecksbrocken.

»Dir ist schon klar, dass ich ebenfalls Ärger bekomme«, erklärte er. »Ich hätte dich melden müssen.«

Ein Stöhnen drang durch den ComLink. »Das Zeug ist verdammt schwer.«

»Weil es normalerweise von einem Team platziert wird.« Auf seinen Linsen etablierte sich ein grünes Symbol über den stilisierten Linien des Höhlensystems.

Giulia befand sich an Punkt Beta-9. Eine der Sackgassen, in der die Reststrahlung sich am längst gehalten hatte. Seit acht Jahren untersuchten sie diesen Ort, diesen Planeten. Während der Rest der Galaxis nach dem großen Krieg noch immer instabil war, die Folgen bis in die Gegenwart nachhallten, hatten sie hier in dieser Enklave nicht nur eine Forschungsstation errichtet. Sie hatten Fortschritte gemacht, zumindest anfangs. Das Team verfügte über die besten Spezialisten der Space Navy.

Mark eilte durch die Gänge. »Ich werde es Irina sagen.«

Ein Fluch drang aus dem ComLink. »Du bist so eine Petze.«

»Sie wird dir so was von den Kopf waschen.«

»Ich kann dein Grinsen durch die Leitung hören.« Giulia klang mürrisch. »Aber das ändert nichts. Wir treten seit zwei Jahren auf der Stelle. Und der Captain lässt uns den nächsten notwendigen Schritt nicht tun.«

»Weil er gefährlich ist«, sagte Mark.

»Ich bin natürlich vorbereitet.«

»Den Satz hast du Admiral Cross doch sicher auch ständig gesagt, bevor die HYPERION dann in die nächste Katastrophe gerasselt ist.«

»Ich war nicht das Problem«, stellte sie klar, »sondern die Lösung.«

Mark erreichte ein Loch im Boden, das mit einem eingepassten Ring ausgekleidet war. Er visierte diesen an. Seine Okularlinsen verarbeiteten das Signal und sein Companion sandte es über den Nanosender in seinen Knochen. Die Antigravfunktion wurde aktiviert. Langsam schwebte er hinab.

Via ComLink erklang ein Mehrfachsignal, das ihn das Schlimmste erahnen ließ. Kurz darauf erschien eine Wellenlinie auf seinen Linsen. Giulia hatte ihre Geräte erstmals außerhalb des Labors aktiviert.

Mark erreichte den Boden und rannte. Die Gänge flogen an ihm vorbei, schrundige Felsen, Geröll. Die Basiserweiterungen in seinem Körper garantierten seine Ausdauer, Muskelkraft und Schnelligkeit. Es gab kaum noch einen Menschen innerhalb der Solaren Republik, der keine Inserts besaß.

Manchmal reichte das jedoch nicht aus.

Mark erreichte den Gang. »Giulia.«

Keine Antwort.

Commander Giulia Lorencia war ein Genie im Maschinenraum. Sie erfasste technische Probleme, dachte sich innerhalb kürzester Zeit hinein, fand eine Lösung und entwickelte dabei nicht selten neue Geräte, die ganze Wissenschaftszweige revolutionierten. Sie war die Spezialistin für den Interlink-Antrieb, hatte sich in die Interphasentechnologie eingearbeitet und in den letzten Jahren dank der Technik der Interstellaren Allianz das Fachgebiet der Quantenverschränkung im Kontext von Sivor-Strahlung vertieft. Jayden, Marks bester Freund, hatte nur ungern auf seine Chefingenieurin verzichtet. Doch am Ende war dieses Projekt zu wichtig gewesen.

Giulia Lorencia und auch der Rest der Crew der HYPERION I waren zu Helden des großen Krieges geworden. Sie hatten ihn beendet.

Rührte daher Giulias gefühlte Unbesiegbarkeit? Irgendwann würde sie sich einmal zu viel in Gefahr begeben. War dieser Tag heute?

Es gab einen letzten Signalton, dann erloschen die Geräte im Gang. Er war zu spät.

»Das wird Jayden gar nicht gefallen.«

Giulia Lorencia war verschwunden. Und es war an Mark, den berühmtesten Admiral der Interstellaren Allianz davon zu unterrichten.

 

 

 

 

 

 

 

I

 

Vorboten

 

 

 

 

 

 

 

1. Kapitel

Jayden Cross

 

Alzir-System, Hope, 4. Januar 2278, 09:12 Uhr Allianzstandardzeit

 

Die Sonne ging auf und tauchte das Grün in satte Farbschattierungen. Jayden stand vor dem Bett und betrachtete seine schlafende Tochter. Sie drückte ihre Plüschfigur fest an sich und wirkte dabei so friedlich. Jeden Morgen vollzog er dieses Ritual, sah versonnen auf das kleine Wunder und fühlte das Glück in seiner Brust kribbeln.

»Avena«, sagte er leise, beugte sich hinunter und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

Die zahlreichen Einsätze hatten ihn viel zu oft weggeführt von seiner Heimat Hope, der zentralen Welt des Alzir-Systems. Die Keimzelle der Republik.

Er sah auf, als in seinem Gesichtsfeld ein Icon erschien. Das Transmittertor war aktiviert worden. Ein letzter Blick auf Avena, dann verließ er den Raum. Die Tür schloss sich ohne das pneumatische Zischen, dem Kindermodus sei Dank. Als er die Eingangshalle der weitläufigen Wohnung erreichte, deaktivierte sich gerade die Quantenverschränkung. Das Tor erlosch.

»Hey.« Sanft zog er Kirby in seine Arme.

Sie wirkte müde, lächelte aber. »Hey.«

Der Kuss war so innig wie am ersten Tag. Jaydens Dankbarkeit für das Glück und den Frieden der letzten acht Jahre hielt an. »Wie schlimm?«

Kirby schnaubte. »Ich hätte diese Verwendung ablehnen sollen.«

»Dass Admiräle mehr Entscheidungsfreiheit haben, ist ein Gerücht«, erklärte er. »Frag mich mal. Was war wieder los?«

Nach dem Krieg hatte Präsidentin Jessica Shaw keine Zeit verloren und das Wiederaufbauprogramm in Gang gesetzt. Gleichzeitig galt es, bereit zu sein, um auf äußere Bedrohungen jederzeit reagieren zu können. Kirby war zur zuständigen Admiralin für die Schutzflotte der Interstellaren Allianz ernannt worden. Auf diese Art konnte sie weiter mit den Völkern zusammenarbeiten, die geholfen hatten, den Krieg gegen die Diktatur auf der Erde und die Ash’Gul’Kon zu beenden.

»Alle wollen eine Schutzflotte, aber kaum jemand ist bereit, die notwendigen Einheiten abzustellen«, sagte sie. »Und ich kann es ihnen nicht mal verdenken. Das Gebiet der Allianz wirkt zwar durch die neuen Phasenraum-Tore, als befänden wir uns in unmittelbarer Nachbarschaft, aber in Wahrheit liegen viele Lichtjahre zwischen uns. Und so ziemlich jede Sternennation grenzt an ein instabiles Gebiet. Ehemalige Welten der Solaren Union, einzelne Systembündnisse, aggressive Machtblöcke. Die wollen ihre Verteidigung für zu Hause behalten.«

Gemeinsam gingen sie in die Küche und Jayden forderte zwei Kaffees der Jansen-Röstung an. Die Haus-KI fertigte alles, und kurz darauf erschienen die Tassen in einem Regen aus rotgoldenen Funken. Translokationen verliefen mittlerweile deutlich schneller.

Kirby griff dankbar nach ihrer Tasse, schloss genießerisch die Augen und nippte an dem frisch aufgebrühten Getränk. »Danke dir. Hast du irgendwelche guten Nachrichten aus dem Shenowin-Raum?«

Jayden stöhnte genervt auf. »Frag nicht. Am Anfang hatte ich da noch Hoffnung, aber es ist einfach zu viel. Die Menschen realisieren nicht, was ein Krieg bedeutet. Unsere Industrie boomt, es gibt hier in der Republik schlicht niemand mehr, der Mangel leidet. Jeder Zivilist kann in einen Shuttletrain steigen, fliegt durch einen Phasenstromtunnel und ist in einer Stunde im Sol-System. Eine Translokation später schlendert er auf Terra durch London, Paris oder Berlin. Uns geht es gut. Doch die Kolonien, die von den Satelliten Sjöbergs beschossen wurden …« Er schüttelte den Kopf. »Um uns herum gibt es fast nur noch Ruinen, kaputte Volkswirtschaften und sterbende Systeme. Wir können gar nicht schnell genug Hilfslieferungen schicken.«

Fünf Jahre lang hatte Jayden Hilfsflotten in Sonnensysteme geschickt, Verbände koordiniert, Lazarettschiffe zugeteilt. Der Krieg hatte Narben hinterlassen, die noch in fünfzig Jahren sichtbar sein würden.

Doch die Stimmung kippte.

Die Menschen der Republik, die längst von dem Technologietransfer der Mitgliedsvölker profitierten, wandten sich mehr ihrem eigenen Leben zu, den eigenen Bedürfnissen. Die Präsidentin geriet zunehmend unter Druck, die Hilfssendungen zu minimieren. Das Leid der anderen war fern.

»Die Shenowin haben uns vor drei Jahren den Einflug in ihren Systemverbund untersagt«, erklärte er. »Und das an einem Punkt, an dem ihre Wirtschaft gerade wieder im Aufschwung begriffen war. Seitdem dringt kein Bit an Informationen mehr heraus. Sie waren schon vorher sehr aggressiv, niemand weiß, wie es jetzt aussieht. Lass mich raten, die Rentalianer haben das als Grund genutzt, ihre Einheiten zurückzuhalten?«

»Treffer, versenkt«, bestätigte Kirby.

»Das lässt meine Einsätze im Rückblick deutlich erfüllender erscheinen.«

»Und das, obwohl du nichts kaputt machen durftest«, sagte sie neckend.

»Da findet sich früher oder später immer etwas«, gab er zurück.

Er blickte sie lächelnd an; ihre leuchtenden Sommersprossen, das zu einem Pferdeschwanz gebundene Haar. Manchmal erwachte er am Morgen und hatte für eine Sekunde vergessen, dass der Krieg vorbei war. Dass sie es beide geschafft hatten. Glücklicherweise griff sein Companion sofort ein und aktivierte die Ausschüttung von stabilisierenden Hormonen.

»Dass dir noch nicht langweilig geworden ist.« Kirby trank den Rest ihres Kaffees.

»Ich genieße es, wieder mehr Zeit hier verbringen zu können«, sagte Jayden. »Allerdings ist später ein weiterer Test geplant.« Bei dem Gedanken spürte er das Prickeln der Vorfreude. »Sie ist fast fertiggestellt.«

»Und soweit ich in die Unterlagen linsen konnte, hat die Admiralität alle möglichen Vorgaben gebeugt und gestreckt, damit dein Vorschlag angenommen werden konnte. Du …«

Sie erstarrten beide.

Jaydens Companion hatte ein Überrangsignal empfangen. Kirbys ebenso. Sie hatten einen SharedSpace eingerichtet, über den sie Daten ständig synchronisierten.

Mit einem kurzen Blickbefehl auf das notwendige Icon gab Jayden den Holoprojektor frei. In einem Regen aus Photonen entstand das Abbild einer vertrauten Person.

»Mark«, sagte Kirby freudig, wurde aber sofort ernst, als sie wie Jayson das Gesicht des Freundes sah. »Was ist passiert?«

»Es geht um Giulia.«

Jayden verdrehte die Augen. »Was hat sie jetzt wieder angestellt? Ich schwöre, wenn sie noch einmal einfach einen der mobilen Fusionsreaktoren anfordert, hole ich sie zurück und sperre sie in einem Maschinenraum.«

Er brachte Giulia Lorencia reine Hochachtung entgegen. Ja, er schätzte es sogar, dass sie ihre Meinung ohne Wenn und Aber kundtat. Auch wenn das durchaus mal auf einem Galaempfang mit der Präsidentin geschah. Wirklich, das war total in Ordnung. Und was er sich danach anhören durfte, nahm er natürlich in Kauf, aber es gab Grenzen. Diese Grenze war eindeutig ein Fusionsreaktor.

»Sie hat die Maschine aktiviert«, sagte Mark.

Bei diesen Worten befahl Jayden seinem Companion bereits, alle Termine der nächsten Wochen aus dem Kalender zu streichen und die Abfolge der kommenden Anrufe festzulegen. »Was ist passiert?«

»Sie ist weg«, sagte Mark. »Einfach verschwunden. Die Spezialisten prüfen bereits die Speicher und Konfigurationen, aber das ist das Problem … Jay, die Speichercluster sind leer. Als hätte ein EMP das gesamte Konstrukt erledigt. Schrottwert.«

»Niemand verschwindet einfach so«, sagte er. »Wir wissen, dass sie mit Quantenverschränkung gearbeitet hat, verdammt. Wir benutzen die Dinger täglich, schicken sogar Schiffe durch Wurmlöcher. Das muss doch nachvollziehbar sein.«

»Sie hatte in ihrem Labor einen Versuchsaufbau angefertigt, bei dem sie die Strahlung auf der Oberfläche mit einbezogen hat«, erklärte Mark. »Irina hat bestätigt, dass diese auf organische Materie nicht schädlich wirkt. Es gab Probleme mit dem Verschränkungsmechanismus, doch sie hat in den letzten Jahren die Quantenknoten auf der Oberfläche erhöht. Das muss irgendeinen Effekt gehabt haben.«

»Sag mir bitte, dass sie Protokoll geführt hat«, sagte Kirby.

Mark blickte betreten zu Boden.

»Verdammt.« Jayden wusste, dass die nächste Frage das Schlimmste implizierte, doch er musste sie stellen. »Wie alt ist ihr MindSave?«

»Zwei Wochen«, erwiderte Mark. »Wir haben kein Todessignal erhalten, also gehen wir erst einmal nicht vom Körpertod aus. Ich habe zur Sicherheit dennoch eine Anfrage an das Illinger-Habitat gestellt. Sie ist vollständig gesichert und ihre DNA eingelagert.«

Zwei Jahre nach dem Krieg hatte das erste Habitat seine Speichercluster für MindSaves geöffnet. Da jene internen Körpererweiterungen, die Kirby und Jayden schon länger zur Verfügung gestanden hatten – inklusive BioTat –, nun für alle Menschen verfügbar waren, konnten auch neurale Abbilder gesichert werden. Auf diese Art konnte jede Person einen MindSave einspielen und im Falle seines oder ihres Körpertodes mit eingelagerter DNA relifed werden. Etwa ein Jahr später war es Doktor Siu Damato endlich gelungen, das Aetas-Serum nachzubilden. Der Alterungsprozess jedes Menschen konnte mittlerweile auf ein Zehntel reduziert werden, ein Privileg, das Jayden und Kirby in stärkerer Form schon lange genossen. In Ihnen befand sich ein Aetas-Serum, das die Alterung sogar vollständig stoppte. Ein Geschenk.

Ein Speicherchip aus CX-Duspanit, der – wie viele andere Erweiterungen – eingesetzt wurde, ermöglichte es sogar, die Erinnerungen bis zum Zeitpunkt des Todes zu speichern und das MindSave vor dem relife zu aktualisieren.

Die Folgen für die Gesellschaft, die unterschiedlichen Strömungen und neuen Religionen, die dadurch aus dem Boden geschossen waren, die Politik und Wirtschaft waren ein Beben. Nahezu jeder Sektor hatte durch einen Quantensprung in der Technologie eine vollkommene Disruption erlebt und erfand sich seit einigen Jahren neu.

»Dann hoffen wir, dass wir darauf nicht zugreifen müssen. Ich wollte sowieso in Kürze nach HIDEAWAY aufbrechen. Dort bespreche ich das persönlich mit Jansen.«

»Bist du sicher, dass du das nicht lieber via Holo machen willst?«, fragte Kirby. »Ihr Blick wird dadurch irgendwie gedämpft.«

Er schmunzelte. »Komm schon, wir sprechen von Isa. Sie weiß, dass wir nichts dafürkönnen, wenn Giulia Mist baut.«

»Ich erinnere dich daran«, sagte Kirby.

»Wir bekommen hier also Hilfe?«, fragte Mark.

»Versprochen.« Jayden nickte. »Ihr dreht mir jeden Stein dort unten um, jeder Datencluster wird geprüft. Und befragt Irina. Die beiden haben doch garantiert jeden Abend zusammengesessen und sich unterhalten.«

Mark schürzte die Lippen. »Und nicht allein. Meist war mein Göttergatte mit dabei.«

»Brett?«, fragte Kirby. »Dann fängst du am besten mit ihm an. Vielleicht weiß er etwas.«

»Der Captain ist nicht gut drauf«, sagte Mark. »Irgendwie erinnert er mich an einen Chondrit-Quader kurz vor dem Abschuss.«

Jayden winkte ab. »Sobald er hört, dass wir auf dem Weg sind, wird er sich beruhigen.«

Mark zwinkerte ihm zu. »Der große Admiral Jayden Cross hat diesen Effekt auf viele. Und seit es diese Holovidserie über die Abenteuer der HYPERION während des Krieges gibt, ist es nicht besser geworden.«

»Ach, hör mir bloß damit auf.« Jayden gelang es gerade noch, ein Knurren zu unterdrücken. »Das Ding ist auf fünf Staffeln angelegt, und schon nach der ersten hatte ich darin Affären mit zwei Crewmitgliedern.«

»Aber die Sache mit der ständigen Zerstörung haben sie ganz gut getroffen«, warf Kirby ein.

»Auch du, Brutus?«

Sie zwickte ihm in die Seite. »Es kann nur besser werden.«

Mark seufzte auf. »Ich bekomme gerade ein Signal vom Captain. Dann stelle ich mich mal dem Schwurgericht. Und du bewegst dich, so schnell du kannst, hierher. Bis dann.«

Das Hologramm erlosch.

»Es gab mal eine Zeit, da wurde mein Rang als Vorgesetzter respektiert«, sagte Jayden dramatisch. »Und jetzt sagt ein Captain zu mir: ›Und du bewegst dich, so schnell du kannst, hierher‹. Wo ist der Respekt geblieben?«

»Armer Schatz.« Kirby kraulte ihm den Nacken. »Sieh es doch mal positiv, du darfst wieder hinausfliegen und auf irgendetwas schießen. Auch wenn es am Ende hoffentlich nur Simulationen für den Ernstfall sind.«

Ein Kichern erklang.

Beide sahen sich schmunzelnd an.

»Hast du das auch gehört?«, fragte Kirby.

»Ich? Nein, das musst du dir eingebildet haben.«

Ein weiteres Kichern folgte.

»Oder halt«, sagte Jayden. »Ist das etwa ein Rentalianer, der sich versteckt?«

Kirby machte große Augen. »Dann sollten wir den aber mal ganz schnell fangen.«

Beide rannten gleichzeitig los. Avena drückte den Plüsch-Rentalianer an sich und flitzte lachend in ihr Zimmer. Was folgte, war eine Kitzelschlacht, die für kostbare Minuten alles aussperrte, was dort draußen möglicherweise wartete.

Jayden hatte seinen Companion längst angewiesen, Isa Jansen um einen Termin zu bitten. Er ließ eine Nachricht an Ishida abschicken, dass sie vermutlich früher in den Einsatz gehen mussten. Und so positiv der neue Chefingenieur sich auch gab, es war möglich, dass sie mit ein paar Kinderkrankheiten an Bord aufbrechen würden.

Der Verband mochte bereit sein, die HYPERION II war es eigentlich noch nicht.

Als sich die Zahl in seinem Gesichtsfeld beständig mit jeder eingehenden Nachricht erhöhte, wusste er, dass die Zeit abgelaufen war.

Er wechselte einen kurzen Blick mit Kirby und wandte sich dann Avena zu.

»Ich muss langsam los, mein Schatz.«

»Nein.« Kurzerhand klammerte sie sich an sein Bein. »Du bleibst hier. Noch viel länger.«

Er strich ihr über das Haar und zog sie in seine Arme. »Eine gute Freundin deines Daddys benötigt Hilfe, mein Schatz.«

»Dann soll das Tante Noriko machen«, verlangte sie. »Oder Oma Isa.«

Jayden räusperte sich. »Wir haben doch darüber gesprochen. Wir nennen Isa nicht Oma. Das hat ihr beim letzten Mal gar nicht gefallen.«

Genau genommen war das Gesicht von Admiralin Jansen entgleist und die Schmunzler im Raum waren sofort mit Räuspern und Husten überspielt worden.

»Aber sie ist doch noch älter als du und Mama. Also superalt.«

»Nur innerlich, mein Schatz«, sagte Jayden.

»Also ist sie innerlich eine Oma.« Womit die Kausalkette geschlossen war und er verloren hatte.

»Isa ist ja glücklicherweise in einem anderen Sonnensystem«, sagte Kirby. »Da besteht erst mal keine Gefahr.« Sie nahm Avena von ihm entgegen.

»Bis bald.« Er küsste seine Tochter auf die Stirn und Kirby auf die Lippen.

»Halte mich auf dem Laufenden, was Giulia angeht.«

»Versprochen.«

Jayden eilte zum Ankleidezimmer. Noch trug er simple Jogginghosen und ein Shirt der Sorte, die man nur zum Schlafen überstreifte.

Er aktivierte die Ankleidefunktion. Der Translokator wurde aktiv und ein Funkeln später trug er seine Uniform. Die Reinigung seines Körpers hatten die Nanodepots bereits übernommen sowie die Haare in Form gebracht.

Danach ging er zum Transmittertor und richtete es auf die Zentrale für militärische Transportflüge aus. Ein kurzes Flimmern, dann sah er auf der anderen Seite des Rahmens die Halle mit den Shuttles. Es fühlte sich an, als trete er einfach in einen Raum nebenan, nicht auf eine Station im Orbit von Hope. Er trat hindurch.

Ein letzter Blick zurück auf das Grün vor dem Fenster und Kirby, die mit Avena auf dem Arm zu ihm herüberblickte. Er deaktivierte das Transmittertor.

2. Kapitel

HIDEAWAY-System, CORTEX-Station, 4. Januar 2278, 10:44 Uhr Allianzstandardzeit

 

Es mutete unwirklich an, dass Flüge zwischen Sonnensystemen, die früher Wochen gedauert hatten, jetzt innerhalb weniger Stunden möglich waren.

Von der Transportstation hatte ein Shuttle Jayden durch den nächsten Phasenstromtunnel auf direktem Weg ins HIDEAWAY-System gebracht. Dieses war mittlerweile zum Zentrum der Flotte ausgebaut worden. Konstruktionswerften, Raumstationen, Habitate für Techniker und Offiziere gruppierten sich in einer Schale um das Gehirn – die CORTEX-Station. Nach dem Ende der NOVA-Station war der Neubau innerhalb kürzester Zeit geplant und umgesetzt worden. Seit 2275 war er in Betrieb.

Als das Shuttle die diesseitige Porta verließ, leitete er die Translokation ein. Wie auch in allen anderen Sonnensystemen der Republik gab es hier Hunderte von kleinen Translokationsstationen, die es ermöglichten, an jeden Punkt des Systems zu gelangen. In einem rotgoldenen Flimmern bildete sich die Porta um Jayden herum. Bei den alten Translokatoren hatte nach der Aufnahme ein Gefühl des freien Falls eingesetzt, bevor ein weiteres Flimmern die Person wieder absetzte. Das war vorbei. Die Funken erschienen und verschwanden innerhalb von Sekunden, Jayden stand auf der Plattform der CORTEX-Station.

Sein Companion übertrug bereits die ID-Schlüssel an den Software-Guardian des SmartCores. Das transparente Panzerschott, das die Empfangsplattform vom Rest des Raumes abtrennte, schob sich in die Wand.

»Willkommen auf der CORTEX-Station, Admiral Jayden Cross«, erklang die androgyne Stimme des Hauptcomputers aus dem Interkom-System. »Admiralin Isa Jansen erwartet Sie bereits.«

Der Rahmen des Ausgangs, der vor dem Schott in den Raum hineinragte, aktivierte sich. Das Büro von Isa Jansen wurde sichtbar.

Jayden trat hindurch.

»Admiral Cross.« Sie erhob sich von ihrem Tisch und kam mit einem Lächeln auf ihn zu. »Und ich dachte, wir sehen uns erst beim nächsten Dinner wieder.«

»Es gibt eine wichtige Sache, die ich mit Ihnen besprechen muss.« Er schüttelte ebenfalls lächelnd ihre Hand.

Äußerlich sah die Admiralin noch immer aus wie eine Frau in den Vierzigern, die sich sehr gut gehalten hatte. Das Haar trug sie in einer eleganten Kurzhaarfrisur, ihre Augen blitzten lebenslustig. Mittlerweile hatte sie ihre Aetas-Injektion erhalten, der Alterungsprozess war damit auf ein Zehntel der normalen Geschwindigkeit reduziert.

»Setzen Sie sich.« Sie deutete auf den Konturensitz.

Er sank hinein. »Ist Ihnen bekannt, was bei DARK CLOUD geschehen ist?«

Jansen faltete die Hände ineinander und warf ihm einen tiefen Blick zu. »Glauben Sie mir, sobald mit einem Besatzungsmitglied der HYPERION etwas geschieht – selbst wenn es aktuell nicht mehr auf dem Schiff eingesetzt wird –, bin ich im Bilde. Die Suche nach Commander Giulia Lorencia läuft.«

»Ich möchte tätig werden.«

»Sie sehen mich überrascht«, sagte Jansen trocken. »Ihre Kommandantin kam ihnen zuvor.« Sie warf einen Blick auf das projizierte Chrono neben der SmartWall, in der ein Interlink-Kreuzer in einer Konstruktionswerft zu erkennen war. »Um exakt dreißig Minuten.«

»Zu meiner Verteidigung: Sie ist bereits vor Ort, ich musste gut sechsundsiebzig Lichtjahre hinter mich bringen.«

»Mit einen Phasenstromtunnel, das zählt nicht.« Jansen schmunzelte. »Normalerweise würde ich Ihnen die Bitte rundheraus abschlagen. Sie sind jetzt Admiral. Andererseits geht es hier um eine Welt, die aus dem Nichts aufgetaucht ist, als der größte Feind der Menschheit besiegt wurde. Und einige Jahre später kam ein Stern hinzu. Jetzt haben wir hier ein komplettes Planetensystem, das einfach so erschienen ist. Da werde ich ebenfalls unruhig.«

»Es wird ein kurzes Rein-Raus.«

»Heute beweisen Sie Humor«, sagte Jansen. »Wir wissen beide, dass, sobald Sie oder Belflair irgendwo auftauchen, sehr komplexe Dinge geschehen, die in einer Explosion enden. Doch zum einen würde es mich tatsächlich beruhigen, wenn Sie einen genaueren Blick auf diese Welt werfen, zum anderen wäre es ein perfekter Einstand für den neuen Sondereinsatzverband.«

In der aktuellen, politisch sehr heiklen Lage war es Jayden gelungen, dass er nicht irgendeiner gewaltigen Flotte zugeteilt wurde. Stattdessen war aus vier Schiffen ein Verband geformt worden, der schnell und agil überall innerhalb und außerhalb der Republik eingesetzt werden konnte. Es war eine Menge Geld geflossen, um die Neubauten anzugleichen und mit dem neuen Antrieb auszustatten. Über eine ganz bestimmte Neuentwicklung verfügte jedoch nur die HYPERION II.

»Ist das Schiff einsatzbereit?«, fragte er.

»Die neuen Daten kamen heute herein.« Jansen berührte in schneller Folge ihren Touchscreen, worauf Jaydens Companion den Eingang eines Datensatzes in seinem persönlichen Speicher bestätigte. »Grundsätzlich ist der gesamte Verband bereit, die Crew und die Kommandanten an Bord. Was den experimentellen Prototyp angeht, konnten die Kinderkrankheiten leider nicht ganz beseitigt werden. Die Auswertung läuft, und sobald die HYPERION wieder hier ist, werden sich die Techniker damit befassen. Bis dahin sollte er nicht eingesetzt werden.«

»Verstanden. Irgendwelche Vorgaben?«

Jansen schmunzelte. »Sie sind jetzt Admiral, Jayden. Die Vorgaben, die Sie von mir als dienstälteste Admiralin und Leiterin der Space Navy noch bekommen, sind eher ratgebender Natur.« Ihr Gesicht wurde ernst. »Finden Sie Lorencia und kommen Sie gesund hierher zurück.«

»Ich gebe mein Bestes.«

»Und wenn wir hier schon einmal so nett zusammensitzen, ohne dass Leslie oder Michael sich über Budgetzuteilungen und das Dessert beschweren, möchte ich noch eine persönliche Sache ansprechen. Als Isa Jansen, die Mutter.«

Jayden spürte einen dezenten Kloß im Hals. »Ich werde immer ein Auge auf ihn haben. Wie bei jedem anderen Offizier auf meinem Schiff.«

»Ich habe wirklich nach irgendwelchen Vorschriften gesucht, die das stoppen. Sagen sie nichts, ich weiß, das ist mies. Aber er ist verdammt noch mal mein Sohn.«

Nun war es Jayden, der die Finger ineinander verschränkte. »Joey hat das gesamte Alzir-System zusammen mit Mark Tarses gerettet.«

»Indem er die NOVA in eine Sonne steuerte«, fuhr Jansen auf. »Soll mich das beruhigen?«

»Ich glaube kaum, dass er auf dieser Mission in irgendeine prekärere Situation geraten kann.«

»Aus Ihren letzten Missionen wurde eine Holovidserie«, sagte Jansen trocken. »So was passiert nicht, wenn die Spannung fehlt. Und wir reden hier nur über den Teil, der nicht der militärischen Geheimhaltung unterliegt.« Sie seufzte. »Wieso konnte er nicht einfach sein Kaffee-Imperium weiter ausbauen? Er ist mit Anfang zwanzig Millionär. Glauben Sie mir, ich habe durch Zufall einen Blick auf sein CryptoWallet werfen können. So viele Units sollte es gar nicht geben.«

Ein Jahr nach dem Krieg hatte die Allianz sich auf eine gemeinsame Zweitwährung verständigt. Damit hatten CryptoUnits den alten solaren Dollar ergänzt und kurze Zeit später in der ganzen Republik ersetzt. Handelsbarrieren waren gefallen und hatten die Völker noch näher miteinander vernetzt. Vor allem die Kybernetiker und Parliden exportierten Hochtechnologie und der Prototyp auf der HYPERION II hatte nur deshalb angefertigt werden können.

»Joey ist einer der schlauesten Köpfe, die ich kenne«, sagte Jayden. »Es hat seinen Grund, dass er es zum Taktik- und Waffenoffizier der HYPERION geschafft hat. Die Tests waren eindeutig, er ist Bester seines Jahrgangs und hat durch seine Erlebnisse bereits Praxiserfahrung – auch wenn er da noch Zivilist war.«

»Und Teenager«, ergänzte Jansen. »Und ich habe auch nichts dagegen, dass er hier in der Navy dient. Allerdings hatte ich da eigentlich einen Schreibtischjob im Auge. Einen langweiligen. Auf einem Planeten. Vorzugsweise Hope.«

Jayden lachte leise. »Das kann ich verstehen.«

»Warten Sie nur, bis Avena alt genug ist. Dann werde ich hier sitzen und lachen.« Sie schenkte ihm einen funkelnden Blick. »Er hat für seinen Erfolg hart gearbeitet. Ich bitte Sie nur … keine Ahnung, halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich will nicht diese Helikoptermutter sein, die ihren Sohn ständig überwacht. Ich will nur wissen, ob es ihm gut geht.«

»Das verspreche ich.«

»Dann treten Sie schon weg, bevor Ihre Kommandantin mich noch mal kontaktiert.«

Jayden nickte der Admiralin zu und trat an den Türtransmitter. Sein persönlicher Code genügte, um die Verbindung zur Konstruktionswerft HA-12 herzustellen. Es überraschte ihn keine Sekunde, dass er in das Gesicht von Captain Noriko Ishida auf der anderen Seite blickte. Sie erwartete ihn.

Er machte einen Schritt und stand direkt vor ihr.

»Admiral«, sagte sie mit einem Schmunzeln.

»Captain«, erwiderte er und umarmte seine Kommandantin.

Sie waren allein in einer der Beobachtungslounges, die wie Kokons am inneren Rahmen der Konstruktionswerft hingen. Sein Companion hatte automatisch dieses Ziel angesteuert, weil Ishida es ihm geschickt hatte. Solange sie unter sich waren, spielten Ränge oder das Protokoll keine Rolle. Dafür hatten sie zu viel gemeinsam erlebt.

Als Empathin konnte sie die Emotionen der Menschen um sich herum problemlos lesen, mittlerweile sogar auf weite Entfernung. Ihre eigenen verbarg sie hingegen ausgezeichnet – zumindest vor allen anderen.

»Ich bin sicher, ihr geht es gut«, sagte Jayden.

»Das hoffe ich«, gab sie zurück. »Andernfalls werde ich sie anbrüllen.« Sie schmunzelte. »Noch mache ich mir keine allzu großen Sorgen. Dafür haben wir alle zu viel erlebt. Allerdings hatte ich gehofft, dass Admiralin Jansen mir einen der Leichten Kreuzer zur Verfügung stellt, um selbst nachzusehen.«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Jayden. »Wir haben die Erlaubnis erhalten, den neuen HYPERION-Verband zu nutzen.«

Seine Kommandantin atmete auf. »Danke.«

»Wir lassen niemanden zurück.«

Sie traten gemeinsam an die transparente Wand und er genoss die Erhabenheit des Augenblicks. Die HYPERION II besaß eine ähnliche Grundform wie ihre Vorgängerin, ein lang gezogener eckiger Körper. Zur Seite hin war sie abgeflacht, und es gab auf einer Länge von neunhundert Metern Andockmöglichkeiten für JETs. Der Rumpf war überzogen mit Sensoren, Waffenaufbauten und Schildgeneratoren. Dazwischen ragten die kreisförmigen Auswölbungen der Stelaratoren hervor, die zum Prototyp gehörten. Die Brücke befand sich auf einem erhobenen Aufbau im rückwärtigen Bereich. Das gesamte Schiff besaß eine neue Hüllenpanzerung und konnte PRISMA-Gondeln ausstoßen.

Der alte Pike-Antrieb war durch den Sublichtantrieb der Aaril ersetzt worden. Mit diesem konnte die HYPERION II innerhalb von dreißig Minuten 0,9 LG erreichen. Die gesamte Energiegewinnung basierte auf einem modernisierten Energienetz aus Fusionskraftwerk und Speicherbatterien. Für den Überlichtflug war es den Wissenschaftlern gelungen, einen Interphasenantrieb zu verbauen.

»Beeindruckend, nicht wahr?«, fragte Ishida. »Und das ist nur die äußere Hülle. Vierundzwanzig Decks, neun Sektionen. Wir haben eine komplette Einheit der neuen Androiden an Bord und die Spezialisten zur Fernsteuerung über MindSync. Ich könnte den ganzen Tag Neuerungen aufzählen, doch so viel Zeit haben wir wohl nicht.«

»Wie immer werden die üblichen Kinderkrankheiten erst auf dem Flug auftauchen. Admiralin Jansen hat uns die Erlaubnis zum Start erteilt. Ist die Mannschaft bereit?«

»So bereit es nur geht«, erwiderte sie und atmete über den Startbefehl sichtlich auf. »In den letzten Stunden haben die im Versorgungsbüro quasi alle Anfragen auf einmal bearbeitet, weil unser Auslaufen vorgezogen wurde. Der Translokator hat überall im Schiff Material abgesetzt. Das Chaos hat sich also potenziert. Vor wenigen Minuten ging die letzte Einheit Nanomaterie ein, wir sind damit in der Lage, für mehrere Monate autark zu funktionieren. Ich habe eine positive Rückmeldung vom gesamten Verband.«

»Gute Arbeit.« Jayden atmete noch einmal tief durch. »Trennung von HA-12 einleiten, es geht los.«

»Verstanden.« Sie nahm Haltung an. »Ishida an HYPERION, translozieren Sie den Admiral und mich.«

Rotgoldene Funken breiteten sich um Jayden herum aus, dann standen sie auf der Zielplattform. Der Translokationsprozess benötigte längst keinen Offizier mehr, der darin geschult wurde. Der SmartCore an Bord übernahm das. In diesem besonderen Fall allerdings eine echte KI.

»Hallo, Jayden«, erklang eine wohlbekannte Stimme aus dem Interkom. »Es freut mich, dass du wieder hier bist.«

»Mich auch, CARA.« Es fühlte sich tatsächlich an, als käme er nach Hause. Eine komplett neue Wohnung, doch mit altbekannten Gesichtern – und KIs. »Wann hast du dich übertragen?«

»Ich habe die KSI vor zwei Tagen verlassen, um mich in diesen Körper zu begeben«, sagte CARA, und das Glück in ihrer Stimme war deutlich herauszuhören. »Die Aufnahme in den Biocluster hat problemlos funktioniert.«

»Wie gefällt dir dein neues Heim?«

»Sehr gut«, erwiderte sie. »Aber ich befinde mich noch in der Eingewöhnungsphase.«

Ishida ging voran auf das Schott zu. Da der Translokationsraum direkt an die Kommandobrücke anschloss, musste der Türtransmitter nicht aktiviert werden.

Ein vertrautes pneumatisches Zischen erklang und der Geruch nach frischem Plastoplex stieg Jayden in die Nase. Sein Blick traf Saphirglasoberflächen mit eingelassenen Mini-Holosphären, bekannte und neue Gesichter wandten sich ihm zu.

Die Kommandobrücke besaß eine rechteckige Grundform. Das Kommandopodest war leicht erhöht und bot Platz für das Kommandotrio. Im Zentrum saß Captain Ishida, zu ihrer Linken er selbst. Zur Rechten ihr I.O., Commander Michael Larik. Der Marsianer trug das übliche Augenbrauentattoo und die Uniform spannte über seinen breiten Schultern.

Die neuen Uniformen besaßen im Zentrum der Brust eine Farbmarkierung, die das Spezialgebiet verdeutlichte, kombiniert mit neutralen grauen Elementen. Sein Companion blendete die Rangabzeichen automatisch ein.

»Willkommen an Bord, Admiral Cross, Captain Ishida.« Er erhob sich, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und schien vor Energie zu bersten.

»Schön, wieder hier zu sein.« Jayden nickte.

Er ließ kurz seinen Blick wandern. Die einzelnen Konsolen waren vor dem Kommandopodest angeordnet. Ein wenig seitlich gab es einen Konsolenaufbau für die Sensoren.

Dort saß Commander Jane Winton. Sie wirkte höchstens wie Anfang fünfzig, obwohl sie bereits sechsundneunzig Jahre alt war. Und auch bei ihr würde sich das dank Aetas nicht mehr ändern. Sie war schlank und grazil, wie eine Grande Dame der High Society, die sich versehentlich auf ein Raumschiff verirrt hatte. Sie stammte von Terra und war laut Akte im Britischen Sektor geboren worden.

Die Taktik- und Waffenkonsole stand ihr gegenüber und fiel in die Zuständigkeit von Lieutenant Commander Joey Jansen. Der sechsundzwanzigjährige Sohn der Admiralin wirkte mit seinem dunklen Strubbelhaar und der schlaksigen Figur sogar noch jünger. Er hatte bisher keine Aetas-Injektion erhalten, wollte damit auch noch warten. Ein Trend, der sich in der Bevölkerung widerspiegelte. Viele entschieden sich dazu, das Altern erst in den Dreißigern zu verlangsamen und davor ganz normal zu altern. Er und sein Vater – ein Journalist – stammten von Terra, waren aber bei Sjöbergs Machtergreifung in den Radar der Inner Security Police geraten. Ihre Flucht hatte sie ins Alzir-System geführt, wo Admiralin Jansen Joey nach dem Tod seines Vaters adoptiert hatte.

Im vorderen Bereich an der Navigation hatte Lieutenant Nilay Chaudhari Platz genommen. Die Dreiunddreißigjährige besaß Vorfahren aus dem Indischen Sektor von Terra, war jedoch auf Alpha Centauri geboren und aufgewachsen. Sie hatte von der dortigen Space Navy über das Austauschprogramm in die Allianzflotte gewechselt. Sie trug ihr schwarzes Haar zu einem Zopf geflochten, die Uniform saß akkurat.

Es war ungewohnt, dass der stets so euphorische Peter Task nicht länger hinter der Konsole saß. Er war der neue Chefingenieur der HYPERION II, sein Platz war inzwischen im Maschinenraum.

Rechts neben Chaudhari saß Lieutenant Stefanie Hill an der Kommunikationskonsole. Die einundvierzigjährige Frau mit Vorfahren aus dem Deutschen Sektor war Teil des Widerstands in Neu-Berlin gewesen, wo sie aktiv gegen Sjöberg gearbeitet hatte und später zusammen mit Isa Jansen evakuiert worden war. Im Verlauf des Krieges wurde sie mehrfach verletzt, hatte sich danach aber sofort wieder in Einsätze gewagt. Als Kommunikationsspezialistin war sie zuständig für die Dechiffrierung neuer Codes gewesen und hatte selbst einige entworfen. Sie trug das rotblonde Haar schulterlang und hatte ihre Aetas-Injektion vor einem Jahr erhalten.

Jayden vernetzte seinen Companion mit den Kommandofunktionen seines Admirals-Chair und aktivierte einen ComLink, der ihn sowohl innerhalb der HYPERION II als auch zu den drei anderen Schiffen des Verbands übertrug.

»Mein Name ist Admiral Jayden Cross, und ich freue mich, Ihnen allen mitzuteilen, dass das Warten ein Ende hat. Der Sondereinsatzverband mit der HYPERION als Flaggschiff geht um exakt 21:00 Allianzstandardzeit in den Einsatz. Ich bitte Sie, die Vorbereitungen abzuschließen und Ihr finales MindSave vorzunehmen. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir uns aufeinander einspielen, und ich freue mich darauf, Sie alle kennenzulernen.«

Er deaktivierte die Verbindung.

Sekunden später schmunzelte Ishida. »Captain Ortega lässt ausrichten, wie froh er darüber ist, dass Sie sich vorgestellt haben. Nicht dass jemand Sie mit einem anderen Mitglied der Crew verwechselt.«

Jayden beschränkte sich auf ein Knurren.

»Captain Gale schickt Grüße und erinnert an einen feuchtfröhlichen Abend, bei dem sie Sie doch durchaus schon kennengelernt hat. Ach, und Captain Manninen …«

»Was Ellen gesagt hat, will ich gar nicht wissen«, stoppte Jayden seine Kommandantin. »Ich hätte meine Kommandanten einfach austauschen sollen.«

»Das ging ins Herz, Sir, wirklich. Ganz tief.«

»Als alter Mann darf ich durchaus auch mal patzig sein.« Er kratzte sich am Kinn.

»Sie sehen aus wie Ende dreißig, Sir.«

»Ich bekam das Aetas eben früher.«

»Das tut mir leid.« Sie lächelte diabolisch.

»Ich sehe Mehrfachschichten für meine Kommandantin. Nachtschichten. Disziplinarmaßnahmen.«

»Immer diese Versprechungen.«

Sie lachten beide.

»Sie überwachen den Start, Captain.« Jayden erhob sich. »Ich bin in meinem Bereitschaftsraum und arbeite mich in die Unterlagen zum DARK-CLOUD-Projekt ein. Wenn wir das Ziel erreichen, will ich alle Details kennen.«

Er ging zum Türtransmitter und ließ die Kommandobrücke hinter sich. Endlich war die HYPERION II wieder im Spiel.

3. Kapitel

Noriko Ishida

 

HYPERION II, Auf dem Weg zum DARK CLOUD-System, 4. Januar 2278, 21:09 Uhr Allianzstandardzeit

 

Noriko saß in ihrem Captains-Chair und überblickte die Arbeit der Kommandobrückencrew. Seit zwei Jahren hatte sie den Neubau begleitet, kannte jede Ecke ihres Schiffes, das für Admiral Cross das Flaggschiff des Verbands geworden war.

Als Kommandantin war es ihre Aufgabe, die technischen Spezifikationen zu kennen, die Lebensläufe ihrer Offiziere, aber auch die Schwächen und Stärken, die sie selbst noch gar nicht erkannt hatten.

Seit dem Anschlag auf sie im Verlauf des Krieges besaß sie als einziges menschliches Wesen die Fähigkeit der telepathischen Empathie. Sie konnte Emotionen erfassen. Wer glaubte, dass es sich dabei um einen Segen handelte, irrte sich. Es hatte lange gedauert, sich nicht von den ganzen Emotionen in ihrer Nähe aus der Fassung bringen zu lassen und alles auszublenden, damit es nur noch wie ein Hintergrundrauschen wirkte, das ebenfalls anstrengend war.

Instinktiv prüfte sie erneut ihren persönlichen Speicher. Nichts. Ihr Companion hätte sie natürlich sofort informiert, wenn eine Nachricht ihrer Ehefrau eingegangen wäre. Giulia konnte sich auf etwas gefasst machen.

»Lieutenant Chaudhari«, wandte sie sich an die Navigationsspezialistin. »Ist der Flugplan mittlerweile überall bestätigt?«

»Positiv, Ma’am«, kam es sofort zurück. »Wir nutzen Alpha Centauri als Brücke. Wir verlassen den Phasenstromtunnel in wenigen Minuten und gehen von dort in den Interphasenflug.«

Noriko nickte zufrieden.

Die HYPERION II befand sich an der Spitze des Formationsfluges, umgeben von der APOLLO II unter Isam Ortega. Das Versorgungsschiff bot Reparatur- und Versorgungseinheiten, vergleichbar mit einem Flugzeugträger auf dem Meer von Terra vor der großen Einheit. Die IONE KARTESS II unter Captain Rebeca Gale und die TÉQUAN II unter Captain Ellen Manninen waren Neubauten der Republik-Klasse.

»Ziel erreicht, wir treten aus.« Sofort nahm Lieutenant Chaudhari Eingaben auf ihrer Konsole vor. Auf der kleinen Holosphäre über der Touchoberfläche wurden Vektoren und Zeitdaten eingeblendet. »Wir beschleunigen.«

»Datenupdate von Alpha Centauri erhalten«, meldete sich Jane Winton von der Sensorkonsole. »Neue Systemdaten und ein paar aktualisierte Stellardaten, die noch nicht an die CORTEX-Station übertragen worden waren.«

»Die Systemsicherheit wünscht guten Weiterflug«, schaltete sich Stefanie Hill ein.

Von ihr ging ein wirbelnder Strom an freudigen Emotionen aus. Alpha Centauri war nicht irgendein Sonnensystem. Als Schwestersystem von Sol hatte der Sieg über die Diktatur des Imperiums auf dieser Welt das Ende des Krieges und den Sieg der Allianz eingeläutet.

»Bester Absatzmarkt für Kaffee«, warf Lieutenant Commander Jansen leise ein.

Noriko lächelte. Obwohl Joey im Privaten ein ziemlich selbstbewusster Mann war, wirkte er auf der Kommandobrücke doch wie das Küken, das vor langer Zeit noch eine gewisse junge Frau namens Sarah McCall gewesen war. Er war der absolute Kontrast zu Jane Winton, der ›Seniorin‹ an der Konsole.

Zufrieden betrachtete Noriko in der zentralen Holosphäre, wie der Verband beschleunigte. Die Werte waren ein Traum und reduzierten die Zeit bis zu den notwendigen 0,45 LG für den Überlichtflug von über neun Stunden auf unter dreißig Minuten.

»Bereit für den Interphasenflug«, meldete Lieutenant Chaudhari.

Noriko nickte zufrieden. »Also schön, etablieren Sie die Blase.«

Wie auch bei den Flügen mit Interlink, wurde eine Sphäre um das Schiff herum aufgebaut, die das Raumschiff dem Higgs-Feld entzog und damit den kompletten Higgs-Mechanismus außer Kraft setzte. Die HYPERION II verlor ihre Masse. Auf diese Art waren bereits gewaltige Beschleunigungen möglich, doch an dieser Stelle kam dann der alte Phasenantrieb ins Spiel. Dieser erzeugte keinen Durchbruch in den Phasenraum, sondern brach die Schwelle mittels Stoßdurchbrüchen lediglich auf.

Dadurch entstand ein verzerrter Übergangsbereich, in dem die Raumkrümmung bereits stattfand. Das Schiff befand sich in einer Phase zwischen dem Normalraum und dem Phasenraum, gehüllt in eine Interlink-Blase, die die Masse außer Kraft setzte.

»Geschwindigkeit steigt.« Chaudhari blickte hoch konzentriert in ihre Holosphäre. »Überlichtfaktor bei 48.000 … 49.000 und 50.000. Spitzengeschwindigkeit erreicht. Unsere Reisezeit beträgt siebzehn Stunden und einunddreißig Minuten. Ankunftszeit bei DARK CLOUD wird mit 14:00 Uhr Allianzstandardzeit terminiert.«

Durch die anwesenden Offiziere ging eine Welle der Euphorie. Dieser Verband war der erste Neubau mit dem neuen Interphasentriebwerk, das bisher lediglich auf der JAYDEN CROSS II im Einsatz gewesen war. Falls der neue Prototyp an Bord sich irgendwann als funktional erwies, war die Technik jedoch möglicherweise schon wieder veraltet. Dank der Parliden.

»So haben Sie sich also damals gefühlt, Ma’am.« Commander Larik beugte sich zu ihr herüber. »Als Sie den Interlink testeten?«

»Wenn Sie das so sagen, habe ich direkt das Gefühl, auf die neunzig zuzugehen. So lange ist das noch gar nicht her.«

»Dreizehn Jahre«, sagte er.

Sie räusperte sich. »Wie schön, dass wir alle unsere straffe Haut behalten dürfen. Das federt es ein wenig ab, wenn die Realität einen mal wieder frontal trifft.«

Larik hatte das Aetas im Alter von achtunddreißig Jahren erhalten und den physischen Zustand damit eingefroren. Sie selbst war einundvierzig gewesen – aufgrund von Aufenthalten in einem Raum mit verlangsamter Zeit hatte sie sowieso nicht den normalen Prozess mitgemacht.

»Wir sind bereit, sobald der Verband das Ziel erreicht«, sagte ihr I.O. und eine Welle des Mitgefühls ging von ihm aus.

»Danke.« Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln. »Ich werde dem Maschinenraum einen Besuch abstatten und der Krankenstation. Sie haben die Kommandobrücke, Commander.«

»Ich habe die Kommandobrücke.«

Sie vermerkte die Übergabe im Logbuch und ging zum Brückenschott. Ihr Companion nahm bereits Zugriff auf den Türtransmitter. Als sie davorstand, war ihr Ziel auf der anderen Seite der Fläche zu sehen.

Ein Schritt, und sie stand in dem üblichen Chaos aus herumwuselnden Technikern, die über Codekonstrukte, neue Konsoleninterfaces oder fehlende Werkzeuge fluchten.

Im Raum befanden sich zahlreiche Konsolen und Messstationen. Dicke Energieleitungen verliefen vom Bereich mit dem Fusionsreaktor hinaus ins Schiff. Zwar gab es erste Versuche, Strom über Transmittertore zu leiten, doch die Schwankungen waren noch nicht so weit unter Kontrolle, dass man dieses Risiko bereits in einem Raumschiff eingegangen wäre.

Ein dickes Panzerschott führte in den Raum mit dem Kern des neuen Prototyps. Unweigerlich musste Noriko an angreifende Parlidenschiffe und attackierende MOSKITOs denken. Ihre Feinde hatten die Technik in Grundzügen entwickelt. Allerdings war der Einsatz meist mit massiven Problemen oder gar tödlichem Ausgang für die Piloten verlaufen. Diese Version könnte die erste funktionsfähige Neuentwicklung sein. Seit acht Jahren wurde daran gearbeitet.

»Ist das Liebe in Ihrem Blick?« Ein grinsender Chefingenieur trat an ihre Seite, die Arme verschränkt, den Fokus ebenfalls auf das Schott gerichtet.

»Eher eine gesunde Skepsis.« Sie erwiderte sein Grinsen. »Wie steht es hier unten, L.I.?«

Commander Peter Task wirkte wie immer fröhlich und energiegeladen. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. In seiner ausgebeulten Uniformhosentasche erspähte sie die Konturen des mittlerweile legendären Büchleins.

Eine Krankheit hatte ihn für viele Jahre in einen Zustand versetzt, in dem sein Gehirn jedes Detail der Umgebung gleichzeitig ungefiltert interpretierte. Stets hatte es so gewirkt, als schwebe er in höheren Sphären. In seiner Privatzeit hatte er sich zurückgezogen und isoliert. Dann war die Heilung eingetreten. Seit diesem Zeitpunkt genoss er das Leben in vollen Zügen und wo er nur konnte. In dem Büchlein hatte er notiert, was er alles verpasst hatte und noch tun wollte. Sie konnte nur hoffen, dass kein Sublicht-Surfen mit einem Shuttle in der Korona eines Sterns dazugehörte.

»Glauben Sie mir, die habe ich auch.« Task nickte in Richtung Schott. »Das Ding hat so viele Probleme, die kann ich gar nicht alle aufzählen. Wir benötigen noch locker drei Jahre Forschung, bevor es online gehen kann. Der Datenaustausch mit dem Steuerinterface ist da nur eine Sache. Außerdem reichen die SmartCores für die Zielbestimmung keinesfalls aus.«

»Das ist irgendwie beruhigend«, sagte Noriko. »Mir reicht es vollkommen, wenn wir den ersten Eigenbau des Interphasentriebwerks besitzen.«

»Das ist ja alt. Die JAYDEN CROSS hat ihres ja schon ewig, da konnten wir Stück für Stück die Struktur scannen und Reverse Engineering betreiben.«

»Und wir wissen ja, dass dabei niemals etwas schiefgeht.«

»Sie sind heute aber mies drauf.« Der L.I. schürzte die Lippen. »Ist es die Giulia-Sache?« Er winkte ab. »Unsere Ex-L.I. ist doch nicht totzukriegen. Sorry wegen der Formulierung. Ich meine, Sie wissen schon, Unkraut vergeht nicht. Ähm …«

»Solche Redewendungen lassen wir für heute besser bleiben«, sagte sie trocken. »Es wird nur schlimmer.«

Task grinste verschmitzt. »War noch nie meine Stärke. Aber um den Maschinenraum müssen Sie sich auf jeden Fall keine Sorgen machen.«

Hinter ihm erklang ein wütender Fluch und eine elektrische Überladung ließ eine Konsole erlöschen.

»Wie war das?«, fragte Noriko. »Keine Sorgen?«

»Tja, also … ich gehe mal wieder an die Arbeit.« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter.

Während sie sich erneut dem Türtransmitter zuwandte, schüttelte Noriko den Kopf. »Hoffentlich kann Euphorie unseren Antrieb zusammenhalten.«

Ihr Companion schaltete den Durchgang zur Krankenstation und sie trat hindurch. Das typische Summen von Keimfilteranlagen drang an ihr Ohr, der Geruch von Nanopartikeldesinfektion lag in der Luft. Der Raum war in gedecktem Weiß gehalten, aus den Wänden konnten Biobetten ausgefahren werden. Mehrere medizinische Labore waren angeschlossen, wo Nano- oder mRNA-Mischungen angefertigt wurden. Ein 3-D-Drucker konnte aus Basispartikeln Gegenstände bis hin zu künstlichen Gliedmaßen herstellen.

Im Zentrum des Raums gab es einen runden Bereich, der wie eine Röhre anmutete. Das Büro von Doktorin Zohra Amari, von wo aus sie alles im Blick behalten konnte. Sie hatte ihre Augenlinsen blau geschaltet, was bedeutete, dass sie aufmerksam die Daten in ihrem Sehfeld interpretierte.

Noriko schickte mit ihrem Companion einen Ping.

Sekunden später wurden die Okularimplantate wieder transparent und Amari kam aus ihrem Büro. Sie trug die weiße Uniform des medizinischen Corps mit den Rangabzeichen einer Commander auf der Brust. Ihr schwarzes Haar fiel in Curls bis auf die Schulter.

»Captain Ishida.« Sie kam entspannt näher. »Was führt Sie auf die Krankenstation?«

»Sie wissen schon, Doc, ein wenig vor der Ankunft die Beine vertreten.«

Doktorin Amari schürzte die Lippen. »Und es hat nicht vielleicht eher etwas mit der Sorge um Ihre Ehefrau zu tun?«

»Und da sag noch mal jemand, dass ich eine Empathin bin.«

»Wissen Sie, mit meinen einundvierzig Körperjahren ist da ein gewisses Maß an professioneller Erfahrung zusammengekommen.« Sie winkte Noriko, mit ihr das Büro zu betreten. Aus dem Boden entfaltete sich ein Konturensitz.

Noriko sank hinein. »Es ist nicht so, als könnte ich etwas tun.«

»Manchmal ist genau das das Problem. Und wir kennen es alle. Ich kann Patienten nicht retten, Sie müssen auf dem Sitz da oben ertragen, dass Sie eine Schlacht nicht wenden oder einer Kolonie nicht helfen können. Und in diesem Fall ist es persönlich.«

Noriko rieb sich den Nasenrücken, spürte die Müdigkeit und nahm dankbar ein Glas mit klarer Flüssigkeit entgegen. »Sie treten doch nicht in die Fußstapfen von Doktorin Petrova? Ist das Wodka?«

»Es mag ja sein, dass die alten Getränke wieder Hochkonjunktur haben und der ViKo out ist, aber deshalb serviere ich der Kommandantin des Schiffes doch keinen Alkohol.« Sie schüttelte den Kopf, ein Schmunzeln auf den Lippen. »Das hier ist besser.«

»Lassen Sie das Ihre Vorgängerin nicht hören.« Noriko roch an dem Glas und nippte schließlich daran. »Schmeckt leicht harzig, mit einem Honigaroma.«

»Sehr gut. Meine Eltern haben eine Bienenzucht am Rand von Kenia«, erklärte Amari. »Das ist eine Propolis-Honig-Mischung. Sehr gesund und natürlich. Ich arbeite noch daran, den Geschmack mit Fruchtzusätzen leicht zu verbessern.«

»Um es dann an unser Erholungsdeck zu verkaufen?« Noriko stellte das Glas auf dem Tisch ab.

»Ich glaube, die sind schon vollständig ausgestattet. Das bleibt erst mal mein Hobby. Aber ich finde, es hat etwas Entspannendes.«

Was wohl eher daran lag, dass Amari es mit ihrer Heimat und Kindheit in Verbindung brachte. Für Noriko war es ähnlich, wenn sie eine Grünteemischung mit hellem Blatt trank. Ihr Favorit war ein Sencha Gyokuro, zweiter und dritter Aufguss.

»Was wird am Ziel passieren?«, fragte Amari.

»Ich gehe davon aus, dass die Suche bereits in vollem Gang ist. Wir werden uns anschließen. In meinem Fall kann ich möglicherweise etwas beitragen, worüber sonst niemand verfügt.« Sie tippte gegen ihre Schläfe und die Ärztin verstand, was gemeint war.

»Und deshalb schickt Admiral Cross gleich den gesamten Verband nach DARK CLOUD – die Bezeichnung trägt ein gewisses negatives Echo mit sich.«