Herrengolf und andere Irrtümer - Rotraut Mielke - E-Book

Herrengolf und andere Irrtümer E-Book

Rotraut Mielke

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Beschreibung

Gerd, Alfred und Walter, drei gestandene Mannsbilder, kennen sich schon seit der Schulzeit. Sie haben es in ihrem Leben zu etwas gebracht. Der gewitzte Politiker Gerd kann jeden schwindlig reden. Alfred mit seiner zupackenden Art wurde erfolgreicher Bauunternehmer. Und Landwirt Walter sitzt in seiner ruhigen Art die Stürme des Lebens gerne aus. Eigentlich könnten sich die drei entspannt zurücklehnen und nur noch ihrem gemeinsamen Hobby frönen, dem Golfspiel. Aber noch immer sticht sie der Hafer. Aus einer fatalen Mischung von Langeweile und übersteigertem Ehrgeiz wird eine abenteuerliche Idee geboren: Warum nicht in ihrem Heimatort Gelnhausen einen Golfplatz bauen? Ihre Ehefrauen haben mit dem Golfspiel nichts am Hut. Aber jede hat ihr kleines Geheimnis, das sie ihrem Liebsten nicht auf die Nase binden will. Während sich die Männer bei Gemeinderat und Naturschutzbund die Köpfe heiß reden, schlagen sie sich mit einem miesen Erpresser und der 'Macht des Universums' herum. Da läuft so manches kreuz und quer und völlig anders als erwartet. Eines Tages entdeckt Walter auf seinem Feld ein unscheinbares, kleines Tier: die sehr seltene 'Gelnhausener Rotbauchunke'… Charaktere mit Ecken und Kanten, die Tücke des Objekts und ein Blick in die menschlichen Abgründe sind die Highlights dieser rasant erzählten Geschichte, die mit einer gehörigen Portion Humor gewürzt ist. Auch wenn Sie nicht Golf spielen, werden Sie Ihren Spaß an den urkomischen Szenen haben, die direkt aus dem Leben gegriffen sein könnten. Bonus: Für interessierte Nichtgolfer ist ein kleines Glossar der wichtigsten Golfbegriffe beigefügt.

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Seitenzahl: 460

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

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38.

39.

40.

41.

42.

Kleines Golfglossar

Impressum neobooks

2.

Herrengolf

und

andere Irrtümer

Rotraut Mielke

Roman

Zur Autorin:

Rotraut Mielke hat schon als Teenager angefangen, kleine Geschichten und Reiseberichte aufs Papier zu bringen. Aber erst seit einigen Jahren hat sie mehr Zeit für ihre Passion, das Schreiben. Über Kurzgeschichten und einen Reiseführer kam sie zum Roman- und Drehbuchschreiben.

Nach zwei „Rentner-Romanen“ (mainbook-Verlag) und einem Fantasyroman, den sie unter Pseudonym veröffentlichte (Sam R. Milekey: Das blutige Buch, Machandel-Verlag), liegt nun ihr viertes Buch vor.

Die geborene Frankfurterin lebt in Friedberg/Hessen. Sie spielt seit über zwanzig Jahren Golf „mit eher wenig Talent, aber großer Leidenschaft“, wie sie selbst sagt. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sie ihren Lieblingssport in einen Roman integrierte.

In gewohnt lockerer Schreibweise und gewürzt mit viel Humor erzählt sie die Geschichte dreier Freunde und ihrer Ehefrauen, die in einen Strudel haarsträubender Ereignisse gerissen werden.

Mehr Informationen finden Sie unter www.Rotraut.Mielke.de

Für Peter und seine Jungs

Danke für die schönen Golfrunden und besonders den Aufenthalt am 19. Loch, wo es immer viel zu lachen gibt!

Die Handlung dieses Romans sowie alle Personen, die darin vorkommen, sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen oder Vorkommnissen wären rein zufällig.

ISBN

Lektorat: Peter Mielke

Fotorechte: Peter Mielke

1.

Es war nicht ungewöhnlich, dass die Terrasse des Golfrestaurants um die Mittagszeit nahezu leer war.

„Das war ja heute mal wieder keine Ruhmestat.“ Bedächtig ließ sich Walter auf einem der nur mäßig bequemen Holzstühle nieder und faltete die Hände über seinem Bauch. Er war groß und massig, ein Mann wie ein Bär mit langsamen, behäbigen Bewegungen. Während sich die drei anderen Männer zu ihm an den Tisch setzten, schüttelte er in gelinder Verzweiflung über sich selbst den Kopf. „Zwei Ladys und dann noch einen Ball verloren. Das wird teuer.“ Er wischte sich mit der Hand über das von der Anstrengung gerötete Gesicht, und seine buschigen Augenbrauen zogen sich in stummer Qual zusammen.

„Du kannst dir das doch leisten!“ Gerd, der neben ihm saß, fuhr sich schwungvoll durch seine immer noch vollen, dunklen Haare. Er war ein Mann der großen Gesten, die manchmal etwas theatralisch wirkten. Nun huschte ein spitzbübisches Grinsen über sein Gesicht, und auch die anderen zwei konnten sich das Schmunzeln nicht verkneifen.

Walter zog ein Taschentuch aus seiner Hose und wischte sich damit ein paar Schweißtropfen von der Stirn. „Darum geht es ja nicht. Die Ladys hätten einfach nicht sein müssen“, stellte er sachlich fest. Seine wässrigen Augen schweiften über die sanften Hügel des Golfplatzes. Bis hinauf zum Wald konnte man schauen, über dem zwei Windräder gemächlich ihre Rotorblätter bewegten. Klein wie Ameisen bewegten sich ein paar Golfer auf den Bahnen. Der morgendliche Ansturm war abgeflaut.

„Es war schon schlimmer“, tröstete Ben, der ihm gegenüber saß. „Du hast halt heute einfach Pech gehabt.“ Er mochte an die dreißig Jahre jünger sein als die anderen und war ein eher sportlicher Typ. Im Gegensatz zu seinen Mitspielern, die erschöpft auf ihren Stühlen hingen, sah er auch nach der Golfrunde immer noch fit und tatendurstig aus.

Wie immer ließ man das Golfen auf der Terrasse ausklingen, und die Vier schauten erwartungsvoll auf die Tür, die vom Restaurant heraus führte. Aber vom Personal ließ sich niemand blicken.

„Soll ich reingehen?“, fragte Gerd nach einer Weile.

Walter winkte ab. „Es wird schon gleich einer kommen. Ist ja nicht so, als ob der Laden brechend voll wäre.“

Alfred, der sich als letzter dazugesellt hatte, zog eine Zigarettenschachtel und ein Feuerzeug heraus. Ein kleiner Bleistift folgte und dann die Scorekarte, auf der er die Spielergebnisse der einzelnen Bahnen notiert hatte. Er war schlank, fast hager, und alles an ihm wirkte wie aus einem Holzstück grob herausgeschnitzt. Sein Gesicht hatte durch das ausgeprägte Kinn etwas Kantiges, das durch die sehr kurz geschnittenen, steil nach oben stehenden Haare noch verstärkt wurde. Auch seine Mimik war sparsam, fast starr, und nur selten konnte man ihm ansehen, was gerade in ihm vorging. Unruhig scharrten seine Füße unter dem Tisch, während er versuchte, die völlig unterschiedlich geformten Gegenstände vor sich aufeinander zu türmen. Walter schaute fasziniert zu, wie das Gebilde ein ums andere Mal umkippte.

„Du kannst auch deine Finger nicht stillhalten“, raunzte Gerd. „Es macht einen ganz nervös, dass du immer mit was rumspielen musst.“

„Du mit deinem breiten Hintern hast ja genügend Sitzfleisch“, knurrte Alfred zurück. „Das brauchst du für deine dauernden Besprechungen. Ich würd verrückt werden, stundenlang nur rumhocken und reden. Und was kommt dabei heraus? Nichts, nur heiße Luft.“

Gerd lachte. „Tja, das ist halt die hohe Kunst der Politik, davon hast du Grobmotoriker natürlich keine Ahnung.“

„Steuer‘ du mal einen Bagger, und dann sag noch was von grobmotorisch“, brauste Alfred auf. „Es ist eine Kunst, so ein Ding zentimetergenau zu rangieren. Aber du hast dir ja noch nie die Finger dreckig gemacht, im ganzen Leben nicht.“

„Kriegt euch mal wieder ein. Ihr benehmt euch wie die Bauern. Dabei seid ihr doch studierte Herren. Wenn ich so reden würde, das wäre was anderes“, mahnte Walter zur Ruhe.

„Halt du dich raus“, giftete Gerd nun ihn an. „Alles, was schneller ist als ein wachsendes Radieschen, kriegst du doch gar nicht mit.“

Alfred lachte schallend, und auch Walter verzog den Mund zu einem Schmunzeln. „Unser Politiker mal wieder. Auf den Mund gefallen bist du nicht, das muss man dir lassen“, meinte er gutmütig.

Alfred fischte eine Zigarette aus der Packung und steckte sie an.

In behaglichem Schweigen schauten sie einem Dreierflight zu, der sich am Abschlag Eins auf seine Golfrunde vorbereitete.

Endlich näherte sich im Zeitlupentempo eine Kellnerin. „Guten Tag, die Herren. Was darf’s sein?“, fragte sie lustlos und schon wieder halb im Gehen begriffen. Außer Alfred entschieden sich alle für ein alkoholfreies Bier.

„Das müsste die doch allmählich wissen“, stänkerte Gerd. Jeden Dienstag und Donnerstag traf man sich hier, und stets wurden die gleichen Getränke bestellt.

„Die muss aufpassen, dass sie nicht unterwegs einschläft“, kommentierte Walter den Auftritt der jungen Frau, die ins Innere des Restaurants zurückgekrochen war.

Die anderen nickten zustimmend.

„Ist doch klar, je teurer, desto langsamer“, stellte Gerd fest. „Lange werden die sich hier nicht halten, so viel steht fest.“

Der Pächter hatte das Lokal erst vor kurzem übernommen und tat sich noch schwer damit, sich auf das recht eigenwillige Völkchen der Golfer einzustellen.

Selbstgefällig lehnte sich Gerd in seinem Sessel zurück. Das Polohemd spannte über seinem Bauch, und die Speckröllchen, ein deutliches Zeichen dafür, dass er den Kampf gegen gutes Essen und einen Schoppen in schönster Regelmäßigkeit verlor, quollen ringsherum aus dem Bund seiner Hose. Seine dunklen, unruhig hin und her schweifenden Augen musterten die Runde.

Alfred streckte Walter auffordernd die Hand entgegen. „Das macht zehn Euro für die Ladys.“

Der nestelte an seiner Gesäßtasche und zückte schließlich sein Portemonnaie. Es sah so aus, als müsse er sich den Zehn-Euro-Schein förmlich aus den Rippen schneiden, so zögernd holte er ihn heraus und legte ihn neben die ausgestreckte Hand auf den Tisch. „Ich zahle meine Schulden immer sofort“, murrte er. „Da kann man mir nichts nachsagen.“

„Aber nur, weil wir aufpassen“, krähte Gerd fröhlich.

„Das stimmt überhaupt nicht“, protestierte Walter, aber dann befand er, dass es nicht lohnte, sich aufzuregen. Er lehnte sich wieder zurück.

Sie schauten zur Terrassentür in Erwartung der Getränke. Es war ein warmer Tag, und die Golfrunde hatte gehörig Schweiß gekostet.

Alfred verstaute den Geldschein sorgsam in seinem Portemonnaie und kritzelte etwas mit dem Bleistift auf seine Scorekarte, die er dann lange aufmerksam studierte. „Achtzehn Punkte. Kein einziger Strich“, stellte er schließlich fest und warf Ben einen bedeutsamen Blick zu.

„Ihr seid wirklich viel besser geworden“, bestätigte der. „So kriegen wir aber unsere Spielkasse nie voll.“

Die drei älteren Männer lächelten. Dass sie Ben in ihre Runde aufgenommen hatten, war ein absoluter Glücksfall gewesen, golftechnisch und auch sonst. Besonders Walter betrachtete ihn fast so wohlwollend wie den Sohn, der ihm leider nicht beschieden war.

„Eigentlich müsstest du die Kasse führen. Du bist doch der Banker“, meinte er augenzwinkernd.

„Nein, nein, es ist schon besser, wenn das einer von euch übernimmt“, wehrte der ab. „Du weißt doch, Bankleute haben ein einnehmendes Wesen.“

„Na ja, manche schon“, wusste Gerd. „Wenn ich da an unseren Filialleiter denke, da glaubt man, dass in Kürze das Geld abgeschafft wird. Der rafft alles zusammen, was er kriegen kann. Nur wenn’s ans Ausgeben geht, da hat er zugenähte Taschen.“ Er schaute Zustimmung heischend in die Runde.

„Geschenkt“, meinte Alfred trocken. „Wenn es darum geht, anderen das Geld aus der Nase zu ziehen, seid ihr Politiker unschlagbar.“

Diesen Seitenhieb auf Gerds Aktivitäten im Gemeinderat konnte der nicht auf sich sitzen lassen. „So sorgsam, wie wir mit den Steuergeldern umgehen, müsste deine Frau erst mal sein. Da könnte sie noch viel lernen von mir.“

Von Walter und Alfred kam schallendes Gelächter.

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Meine Marion und von dir was lernen, da wären wir schon seit Jahren pleite.“ Alfred schüttelte amüsiert den Kopf.

Ben lehnte sich zurück. Diese dahinplätschernden Debatten, die kleinen Sticheleien und die gegenseitige Anmache gehörten nun einmal zu dem Kleeblatt dazu. Anfangs hatte er die Auseinandersetzungen ernst genommen, denn die gingen manchmal ziemlich unter die Gürtellinie. Aber schon bald hatte er festgestellt, dass das Trio, das sich seit Kindesbeinen kannte, sich nie wirklich ernsthaft in die Haare bekam.

Alle waren sie angesehene und gut situierte Geschäftsleute aus Gelnhausen, einer Kleinstadt, die eine Dreiviertelstunde entfernt lag. Jeder hatte es im Laufe seines Lebens zu etwas gebracht. Wie es genau dazu gekommen war, dass sie ihn vor gut einem Jahr aufgegabelt und als eine Art Coach in ihren Flight geholt hatten, hätte er nicht mehr sagen können. Aber sein Golfspiel war ganz passabel, und im Laufe der Zeit hatte er mit seinen Tipps und Hinweisen die drei soweit gebracht, dass auch sie stetig besser geworden waren. Er fühlte sich wohl in der Runde. Die Kabbeleien und schlagfertigen Bemerkungen bereiteten ihm großes Vergnügen, und die wöchentlichen Golftermine waren stets ein Highlight.

Bis auf das gemeinsame Hobby, das sie verband, hätte ihre Lebenssituation unterschiedlicher nicht sein können. Während sich Walter, Gerd und Alfred allmählich auf ihren beruflichen Lorbeeren ausruhen konnten, stand Ben erst am Anfang seiner Karriere. Sein Einkommen als junger Bankkaufmann war nicht gerade üppig, und der Jahresbeitrag für den Golfclub war der einzige Luxus, den er sich leistete. Leise seufzte er vor sich hin. Wie lange das allerdings noch weitergehen würde, stand in den Sternen. Vor ein paar Tagen hatte seine Pia ihn mit einer Neuigkeit überrascht, über die er sehr glücklich war. Eigentlich. Allerdings kam das freudige Ereignis zwei Jahre zu früh. Nachwuchs hatte sich angekündigt. Und auch wenn Ben davon ebenso begeistert war wie Pia, stellte das doch seine finanzielle Planung völlig auf den Kopf. Nun standen Heirat und Baby an, beides wichtige, aber auch kostspielige Ereignisse. Ben war sich völlig darüber im Klaren, wo die Prioritäten lagen. Wenn es hart auf hart kam, musste er eben den Golfsport aufgeben, auch wenn er mit großer Leidenschaft daran hing.

„So, die Herren.“ Die schlafmützige Bedienung verteilte die Getränke.

„Na endlich“, knurrte Alfred und begann sofort, durstig zu trinken.

Auch die anderen griffen zu ihren Gläsern. Ben schreckte aus seinen Gedanken hoch und bemerkte Walters prüfenden Blick.

„Alles in Ordnung?“, raunte der Ältere ihm zu.

Er nickte und rang sich ein Lächeln ab. „Ich muss mal wieder Abschläge üben. In letzter Zeit bin ich überhaupt nicht zufrieden damit.“

Walter nickte wissend, das Problem kannte er nur allzu gut. Aber er hatte das Gefühl, dass das nicht der eigentliche Grund für Bens Nachdenklichkeit war. Er ahnte seit langem, dass es für Ben finanziell nicht ganz einfach war. Die anderen leisteten sich ab und zu einen neuen Golfschläger in der Hoffnung, mit ihrer neuen Errungenschaft einen Quantensprung zum Besseren zu machen. Nur Ben spielte stets mit derselben verschrammten Ausrüstung, die schon deutliche Kampfspuren aufwies. Und die Zeit, die sie gemeinsam auf dem Golfplatz verbrachten, war mit vielen Überstunden bezahlt, wie Walter sehr wohl wusste. Gerne hätte er dem sympathischen jungen Mann unter die Arme gegriffen, wenn er nur gewusst hätte, wie er das anstellen sollte, ohne seinen Stolz zu verletzen.

Alfred hatte sein Glas als erster ausgetrunken. Nach einem hektischen Blick auf seine Armbanduhr stand er auf. „Ich muss heim“, erklärte er überflüssigerweise.

Man wusste Bescheid.

„Tja, wenn Marion mit der Suppe wartet…“ Walter lächelte vor sich hin. Da hatte er mit seiner Annelie einen besseren Griff getan. Die ließ ihm genügend Luft zum Atmen und seine kleinen Freiräume, die er nun einmal brauchte. Auch sonst war sie eine tüchtige, patente Frau mit einem großen Herzen. Sie stand mit beiden Beinen auf dem Boden. Eine einzige Schwäche hatte sie allerdings. Das waren Astrologie, Wahrsagen und andere dubiose Formen der Zukunftsdeutung. Darauf war sie richtiggehend versessen. Warum das so war, hatte er nie begreifen können. Aber leben und leben lassen, mit diesem Motto war er zeitlebens gut gefahren.

„Die Regierung darf man nicht warten lassen“, kommentierte Gerd staatsmännisch.

Mit säuerlichem Gesicht winkte Alfred ab. „Ihr mich auch“, brabbelte er, schon im Weggehen.

Die anderen blieben noch einen Moment lang sitzen.

„Ihr solltet eure Frauen auch zum Golf spielen bewegen, dann wäre das Ganze viel entspannter“, schlug Ben wieder einmal vor. Aber diese Idee war noch nie auf Gegenliebe gestoßen.

„Es ist schon gut so, wie es ist. Dann haben wir auch mal eine Weile unsere Ruhe.“ Gerd wusste, wovon er sprach. Er genoss die Stunden in der Männerrunde sehr und war sicher, dass Walter und Alfred das genauso sahen. „Die geben sowieso viel lieber Geld aus und gehen Kaffee trinken.“

***

Alfred Raule hatte direkt nach der Golfrunde seine Sachen im Wagen verstaut und konnte deshalb jetzt sofort losfahren. Er war gut gelaunt, so ein Ergebnis wie heute hatte er seit langem nicht mehr erzielt. Er drückte aufs Gaspedal. Das Mittagessen, das bestimmt schon auf ihn wartete, zog ungemein.

Gemächlich stieg Walter Pötz eine Weile später in sein Auto und gurtete sich an. Während er über die Landstraße zuckelte, überlegte er, was wohl mit Ben los sein mochte. Der war sehr ruhig gewesen heute und offensichtlich mit den Gedanken ganz woanders. Hoffentlich gab es keine Probleme in der Bank oder gar mit seiner Pia. Nun, er würde bald herausfinden, wo der Hase im Pfeffer lag.

Auf dem Weg zum Parkplatz zückte Gerd Scheurich sein Handy und checkte mit flinken Fingern, was während der letzten zwei Stunden los gewesen war. Als Mitglied des Gemeinderates wollte er ständig auf dem Laufenden sein. Die nächste Bürgermeisterwahl stand an, und er musste dringend seine Chancen für eine Kandidatur verbessern. Wenn nur diese blöde Sache vor ein paar Jahren nicht gewesen wäre. Eine Schmiergeldaffäre war etwas sehr Unschönes, und obwohl er sich keiner Schuld bewusst war, blieb doch immer etwas an einem hängen. Gegen das Gerede kam man einfach nicht an. Andererseits wuchs über alles irgendwann einmal Gras. Und besonders in der Politik hatte so mancher ein ausgesprochen schlechtes Gedächtnis, wenn man ihm nur gut zuredete.

Mit sorgenvoll gefurchter Stirn machte sich Ben Rennberg auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz. Schon lange träumten er und Pia von einer größeren Wohnung, denn in den vierzig Quadratmetern ihrer jetzigen Behausung ging es bereits jetzt reichlich eng zu. Wie das erst mit einem Baby werden würde, mochte er sich gar nicht ausmalen. Aber der Mietspiegel in Frankfurt ging seit ein paar Jahren durch die Decke, und sein Gehalt konnte da nicht Schritt halten. Die derzeit niedrigen Hypothekenzinsen spukten ihm im Kopf herum. Durch die Mitarbeiterkonditionen, die ihm zustanden, wurde das Schuldenmachen regelrecht attraktiv. Vielleicht war genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um langfristig die Weichen für die Zukunft zu stellen. Obwohl, und bei dem Gedanken lachte er etwas bitter auf, das hatte Pia ja bereits übernommen. Aber kurz darauf entspannten sich seine Gesichtszüge wieder. Pia als Mutter, er als Vater, und so ein kleiner Hosenscheißer, bei diesem Gedanken wurde ihm ganz warm ums Herz. Irgendwie werden wir es hinkriegen, dachte er mit neuer Zuversicht und pfiff fröhlich einen Schlager mit, der im Radio lief.

Marion Raule lief ein wohliger Schauder den Rücken hinunter. Es war aber auch zu aufregend. Am Wochenende sollte die neue Ausstellung in der kleinen Galerie am Marktplatz eröffnet werden. Franz von Herschede höchstpersönlich hatte sein Kommen zugesagt, und seine Fangemeinde war schon jetzt in heller Aufregung. Noch wurde seinen Werken nicht die Beachtung zuteil, die sie zweifellos verdienten. Aber das war nur eine Frage der Zeit. Für Marion jedenfalls stand außer Frage, dass von Herschede der aufsteigende Stern der deutschen, wenn nicht gar der internationalen Kunstszene war.

Als Stammkundin der Galerie, die auch Künstlerbedarf verkaufte, und mittlerweile auch gute Bekannte der Galeristin gehörte sie zum inneren Kreis, der den Künstler bei einem Sektempfang ganz privat kennenlernen durfte.

Sie griff zu ihrem Glas und trank es leer. Mit zittrigen Fingern blätterte sie zum wiederholten Mal ihre Skizzen und Bilder durch. Konnte sie es wagen, eines oder zwei davon mitzunehmen, um aus dem Mund des Fachmannes ein Urteil darüber zu hören? Gedankenverloren griff sie zur Wasserflasche und schenkte sich nach. Dann breitete sie einige Blätter auf dem Tisch aus und tippte mit dem Zeigefinger nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. Es waren sicher keine Meisterwerke, das war ihr klar. Aber der Leiter des Volkshochschulkurses, bei dem sie vor einigen Jahren mit dem Malen angefangen hatte, war von ihrem Talent überzeugt gewesen. Regelrecht bedrängt hatte er sie, noch zwei weitere Kurse bei ihm zu belegen.

„Für den Hausgebrauch reicht es“, wehrte sie stets bescheiden ab, wenn man auf ihre große Leidenschaft zu sprechen kam. Aber sie machte eindeutig Fortschritte, wie sie sich selbst bescheinigte. Allerdings wusste man nie, wie ein wirklicher Fachmann, ein großer Künstler, ihre Werke beurteilen würde. Alfred betrachtete ihre Kleckserei, so nannte er das, als reine Beschäftigungstherapie. Vielleicht würde er noch Augen machen, wenn sie eines Tages ganz groß rauskam.

Mit einem Schlag fiel die Haustür ins Schloss, und Marion schreckte hoch. Du meine Güte, Alfred war schon zurück. Sie wollte sich in die Küche schleichen, aber ihr Mann hatte sich breitbeinig im Flur aufgebaut und versperrte ihr den Weg.

„Was ist denn hier los, Weib?“, donnerte er los. „Wo ist das Essen? Mein Bier steht auch noch nicht da.“ Er schaute sie streng an. „Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht?“

Sie musste innerlich grinsen. Alfred liebte seine kleinen Auftritte, und auch ihr machte es Spaß, ab und zu ein bisschen Theater zu spielen. Heute war er wohl auf die Krawallnummer aus und gab den Macho. Nun, da hatte sie so ihre Methoden, um ihm ganz schnell den Wind aus den Segeln nehmen.

„Mein großer Brummbär hat wohl schlechte Laune. Hast du mal wieder ein paar Golfbälle verloren?“ Sie tätschelte ihm liebevoll die Wange.

Seine grimmige Miene zerfloss in purem Wohlbehagen. „Nö, ganz im Gegenteil. Ich war heute richtig gut. Besser als Walter. Und Gerd hab ich auch in die Tasche gesteckt.“

„Ihr benehmt euch immer noch wie Schulbuben, die sich um ein paar Klicker streiten.“

Jetzt grinste er spitzbübisch. „Klar! Das ist die Würze unseres Lebens. Das brauchen wir einfach. Schließlich kenne ich Gerd und Walter sogar schon länger als dich.“

„Ja, und eigentlich könnt ihr auch gar nicht ohne einander. Aber das würde keiner zugeben, stimmt’s?“

Er drückte sie kurz an sich und gab ihr einen Schmatzer. „Durchschaut! Gut, dass du mir immer sagst, wo es lang geht.“

Lachend machte sie sich los und ging in die angrenzende Küche. „Bier kommt sofort!“

Er setzte sich an den Tisch. „Aber mal ganz im Ernst: Was hast du heute Schönes gemacht, während ich weg war?“

Marion schwebte mit einem vollen Bierglas heran. „Im Haus ist immer was zu tun, das weißt du doch.“ Sie verschwand wieder, um das Essen zu holen.

Der erste Schluck war immer der beste, Alfred grunzte vor Behagen. Auch das Gulasch, das ein paar Minuten später vor ihm stand, roch köstlich. Er griff zu Messer und Gabel und nickte ihr zu. „Lass es dir schmecken.“

„Du dir auch.“

In ungewöhnlicher Eile schlang Marion das Essen hinunter. Es drängte sie, mit ihrem Mann über die Ausstellung zu reden, aber sie war klug genug, damit zu warten, bis er satt und zufrieden war.

„Fast hätte ich heute wirklich die Kocherei vergessen“, gestand sie, während sie den Verdauungsschnaps einschenkte. „Ich war so mit der Ausstellung beschäftigt, dass ich gar nicht auf die Uhr gesehen habe.“

Alfred schaute irritiert hoch. „Ausstellung?“

„Ich hab dir doch davon erzählt. Die Galerie am Marktplatz. Franz von Herschede wird kommen. Am Sonntag. Und wir sind zum Sektempfang eingeladen, das weißt du doch noch. Was zieht man zu so einer Vernissage eigentlich an? Es ist ja Vormittag, was Langes ist da wohl eher nicht angebracht… “

Ihr Redefluss schwappte über ihn hinweg, er hatte die Schotten dicht gemacht. Immerhin bekam er mit, dass er sich am heiligen Sonntag aus seiner Ruhe erheben sollte, um zu irgendeiner Ausstellung zu gehen. Womöglich auch noch in Anzug und Schlips. Marions Hobby in allen Ehren, aber das ging denn doch zu weit.

„Geh allein. Du weißt doch, so was interessiert mich nicht“, kam es knapp.

Marion wusste Bescheid. Es hatte jetzt keinen Sinn, weiter zu diskutieren. Wortlos stand sie auf, um den Tisch abzuräumen.

Es erstaunte Alfred ein wenig, dass sie nicht weiter versuchte, ihn zum Mitkommen zu überreden. Aber das würde bestimmt noch kommen, sie hatte da so einen siebten Sinn, den richtigen Moment abzupassen. Aber dieses Mal würde er eisern bleiben, so viel stand fest. Malerei, überhaut die sogenannte Kunst, es gab kaum etwas, das ihn weniger interessierte. Er stand auf und ging mit schleppenden Schritten die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Nach der anstrengenden Golfrunde und dem deftigen Essen war es höchste Zeit für seinen Mittagsschlaf.

***

Wie immer verzog sich Walter nach dem Essen auf die Couch zu einem Nickerchen. Er hörte Annelie in der Küche mit dem Geschirr klappern, ein vertrautes, behagliches Geräusch. Mit geschlossenen Augen ließ er die heutige Golfrunde noch einmal revuepassieren. Der verlorene Ball ärgerte ihn sehr. In letzter Zeit war es nicht mehr sehr oft vorgekommen, dass er einen Ballverlust einstecken musste. Aber in diesem verflixten, hohen Gras hatte man kaum eine Chance, da konnte man so lange suchen wie man wollte. Wenn er es recht bedachte, war der Golfplatz alles andere als gepflegt. Wenn er da an die tollen Fairways dachte, die er im Fernsehen sah, die sahen aus wie geleckt. Dort war es fast ein Ding der Unmöglichkeit, einen Ball zu verlieren. „Elender Schlampladen“, murmelte er vor sich hin, bevor er einschlief.

Mit einer Illustrierten und einer Kaffeetasse bewaffnet schlich Annelie zu ihrem Lehnstuhl. Sie wollte ihren Mann nicht wecken. Aber ihre Vorsicht war überflüssig, denn es hätte schon einer massiven Störung bedurft, dass das passierte. Wenn er schlief, dann schlief er, selbst wenn das ganze Haus über ihm zusammenbrach.

Sie betrachtete ihn liebevoll. Sein gebräuntes und mit Altersflecken gesprenkeltes Gesicht zeigte deutliche Spuren des harten Lebens, das die Landwirtschaft mit sich brachte. Sie hatten gut daran getan, vor einigen Jahren ihr Arbeitspensum zurückzufahren. Mittlerweile lag ein Großteil der Felder brach und brachte trotzdem gutes Geld. Die Subventionen vom Staat waren nicht zu verachten.

„Geld bekommen für nichts, wo soll das nur hinführen?“, hatte Walter zunächst geschimpft, aber dann hatte er es sich doch anders überlegt. Er spürte das Alter in seinen Knochen und war froh, dass er nicht mehr jeden Tag in aller Herrgottsfrühe mit dem Trecker hinausfahren musste.

Was sollte auch die ganze Plackerei, sinnierte Annelie weiter. Sie hatten keine Kinder, denen sie ihren Besitz vermachen konnten. Wenn wir nicht mehr sind, geht sowieso alles zum Teufel. Nein, es war schon gut, dass Walter langsamer machte. Sein schwaches Herz brauchte dringend Schonung, hatte der Arzt gesagt.

Dass er mit dem Golfen angefangen hatte betrachtete sie als Glücksfall. Er kam an die Luft, hatte nette Gesellschaft und immer etwas zu erzählen. Sie trank einen Schluck Kaffee und schlug dann erwartungsvoll die Zeitschrift auf. ‚Ihre Sterne im Juni‘, darauf hatte sie sich schon den ganzen Vormittag gefreut.

Gerade hatte sie es sich in ihrem Lehnstuhl bequem gemacht, als es einen lauten Schlag tat. Sie fuhr zusammen, und Walters leises Schnarchen hörte abrupt auf. Beide sahen sofort, was passiert war: Das Bild von Oma Josefa war von seinem Haken gerutscht und heruntergefallen.

„Jesus und Maria, die Josefa poltert“, jammerte Annelie und schlug entsetzt die Hände vors Gesicht.

Walter verdrehte die Augen. „Nicht schon wieder“, murmelte er leise, aber da legte Annelie auch schon los.

„Wenn die Josefa unruhig ist, passiert was, das weißt du doch auch. Das letzte Mal ist meine Cousine verunglückt.“ Sie stand auf und klaubte vorsichtig das gerahmte Ölbild auf, das an prominenter Stelle über dem offenen Kamin gehangen hatte. Der Rahmen war zum Glück heil geblieben, und sie lehnte das Bild an die Wand.

Wie es sich, zwar selten, aber immer zur Unzeit, von seiner Befestigung lösen konnte, war selbst Walter ein absolutes Rätsel. Es musste mit irgendwelchen Spannungen in dem gemauerten Rauchabzug zu tun haben. Er hing nicht an dem Ölschinken, und wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre das Gemälde schon längst in der Mülltonne gelandet. Aber auf ihre Oma Josefa ließ Annelie nichts kommen. Die hatte ‚das zweite Gesicht‘ gehabt, wie sie stets behauptete. Vermutlich rührte von diesen Ammenmärchen auch ihr Interesse an dem ganzen Hokuspokus, an den sie so fest glaubte.

Walter hatte sich schon halb von der Couch erhoben, um die Josefa wieder an ihren angestammten Platz zurück zu hängen, aber Annelie winkte ab. „Das kannst du später machen, jetzt schlaf erst einmal.“ Sie ging zu ihm hinüber und strich ihm übers Haar. Gehorsam schloss er die Augen, und schon Sekunden später war wieder sein leises Schnarchen zu hören.

Annelie hob die Illustrierte auf und setzte sich im Sessel zurecht. Sie warf einen ängstlichen Blick auf das Bild. Oma Josefa schien sie direkt anzuschauen, und heute war dieser Blick äußerst sorgenvoll. Das passt, dachte sie bang. Seit ein paar Nächten wurde sie von Alpträumen geplagt, und nun auch noch dieser Bildersturz. Sie riss sich von den düsteren Gedanken los und konzentrierte sich auf den Artikel, den sie gerade aufgeschlagen hatte. Beim Lesen bewegte sie die Lippen, um nur ja jedes Wort mitzukriegen. Ein neuer Astrologe war angekündigt worden, der schon vielen Prominenten die Zukunft vorausgesagt hatte. Sie war aufs Äußerste gespannt, was er über ihr eigenes Schicksal zu berichten wusste.

***

In vollem Lauf riss Gerd die Haustür auf und stürmte ins Wohnzimmer, wo Marlene gerade dabei war, ihre Fingernägel zu lackieren. Der Altersunterschied zwischen der attraktiven Mittvierzigerin und dem angehenden Senior war nicht zu übersehen. Sie war ihm vor ein paar Jahren bei einem Pressetermin über den Weg gelaufen. Ein Blick hatte genügt, und sein langjähriges Eheweib war sofort in Vergessenheit geraten. Ausgestattet mit einem kurvigen Körper, langen, schwarzen Haaren und einem vollen, sinnlichen Mund war sie das fleischgewordene Ebenbild seiner Träume gewesen. Und sie hatte ihre Karten gut ausgespielt. Nach einer unschönen Scheidungsschlacht war Marlene, gut zwanzig Jahre jünger als Gerd, ziemlich schnell die neue Frau Scheurich geworden.

„Stell dir vor, die sind schon wieder über mich hergezogen“, berichtete er aufgebracht.

Marlene schaute hoch. „Wer jetzt?“, fragte sie ohne großes Interesse. Bei Gerd war stets Alarm in der Hütte, man musste nicht auf alles springen, was in seinem Kopf so vor sich ging.

„Na, wer wohl? Der Schneider natürlich!“ Aufgeregt marschierte Gerd im Zimmer auf und ab. Der stellvertretende Bürgermeister Hartmut Schneider war sein erklärter Todfeind. Nur gut, dass er ein paar verlässliche Informanten im Rathaus sitzen hatte, die ihm jede seiner fiesen Schmähattacken sofort brühwarm aufs Handy schickten.

„Als ob der keinen Dreck am Stecken hat! Das ist jetzt Jahre her, und immer noch hackt dieser Saukerl auf mir herum.“

Marlene schraubte ungerührt das Fläschchen mit dem Nagellack zu. „Du sagst doch selbst, Politik ist ein schmutziges Geschäft.“ Sie stand auf und stöckelte auf pinkfarbenen Pantöffelchen auf ihn zu. „Warum hörst du denn nicht auf damit? Wir haben das doch gar nicht nötig. Es gibt so viele andere schöne Dinge, die sich lohnen.“

Vorsichtig, um den noch feuchten Nagellack nicht zu gefährden, schmiegte sie sich an ihn. Ihr Busen bohrte sich mit provozierender Festigkeit in seine Brust, aber er schien es gar nicht zu bemerken. Mit einem gereizten Schnauben machte er einen Schritt beiseite, so dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte.

„Das verstehst du nicht. Es gibt halt Leute, die sich um das öffentliche Wohl Gedanken machen. Die sich einbringen und aufopfern im Dienste der Allgemeinheit.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. Aufopfern war wohl kaum der richtige Ausdruck. Ihrer Meinung nach ging es dabei hauptsächlich um Selbstbestätigung und jede Menge Testosteron. Aber sie hütete sich, das laut zu sagen. Gelangweilt drehte sie sich zu dem niedrigen Wohnzimmertisch um und beugte sich vor, um die Maniküreutensilien einzusammeln. Ihr kurzberocktes Hinterteil ragte in die Luft.

„Wir könnten mal wieder schön essen gehen, nur wir beide. Ich hab da von einem neuen Restaurant gehört, ganz romantisch. Mit französischer Küche, die magst du doch so gern.“ Sie drückte provozierend das Kreuz durch. „Und den Nachtisch gibt es dann zu Hause.“

Diesen Wink mit dem Zaunpfahl musste er einfach verstehen. Aber hinter ihr blieb es still. Sie drehte sich um. Das Zimmer war leer, Gerd saß vermutlich schon wieder in seinem Arbeitszimmer und spielte mit dem Handy herum.

„Verdammt!“, schimpfte sie und gab dem Wohnzimmertisch einen deftigen Fußtritt. Der plötzliche Schmerz in ihren Zehen ließ ihr die Tränen in die Augen schießen. Sie schleuderte die rosa Pantoffeln von den Füßen und warf sich schluchzend auf die Couch, wobei es ihr tatsächlich gelang, die Finger mit dem noch feuchten Nagellack nach oben zu strecken.

Es hatte nicht lange gedauert, bis aus dem redegewandten, witzigen und großzügigen Gerd ein ganz normaler Ehemann geworden war. Marlene war das unerklärlich. Sie tat alles, um ihr Äußeres makellos in Schuss zu halten und quälte sich durch Diäten und Gymnastikstunden, um nirgendwo auch nur ein Gramm anzusetzen. Auf der Straße drehten die Männer die Köpfe nach ihr, wenn sie an ihnen vorbeistöckelte. Nur bei Gerd hatte mit dem Trauschein offenbar eine Phase völliger Blindheit eingesetzt. Bei einer Frau wie Marlene war eine solche Ignoranz äußerst gefährlich.

Ihr Schluchzen ebbte schnell ab und verwandelte sich in kalte Wut. Wenn er ihre Vorzüge nicht mehr zu schätzen wusste, dann musste sie sich eben anderswo Bestätigung suchen. Sie brauchte einfach eine stete Flut von Komplimenten, und lechzte nach dem Flirten wie eine Blüte nach Sonnenlicht. Und da gab es ja durchaus probate Mittel. Ein wenig Eifersucht hatte schon manchen Mann wieder auf Trab gebracht.

3.

Alfred war es wieder einmal langweilig. Mit der Fernbedienung in der Hand zappte er sich durch sämtliche Kanäle, die das Fernsehen zu bieten hatte. Es gab nur Schrott, und dafür zahlte er auch noch Gebühren! Er drückte genervt die Aus-Taste und stand auf.

Ziellos schlenderte er hinaus auf die Terrasse und schaute sich um. Der große, fast parkähnliche Garten war in einem äußerst gepflegten Zustand. Der Rasen sah aus, als wäre er mit der Nagelschere geschnitten worden. Und in der Mitte prangte Alfreds ganzer Stolz, ein großer Teich, der von einem üppigen Pflanzengürtel eingefasst wurde. Im klaren Wasser schwammen ein paar herrlich gefärbte Koifische herum. Es war ein wahrhaftiges Idyll, und der Blick von der großzügig angelegten Terrasse bereitete ihm immer wieder große Freude. Auch das Haus, das er höchstpersönlich entworfen hatte, war ein Traum.

Ja, Alfred hatte es geschafft, wie man so sagt. Er hatte vor vielen Jahren eine Baufirma aus dem Boden gestampft, mit der er ein Vermögen gemacht hatte. Fleiß und der richtige Riecher für lukrative Projekte, dazu das Quäntchen Glück, dass die Baubranche genau in dieser Zeit boomte, waren die Grundsteine für einen sorglosen Lebensabend gewesen.

Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, als er an die Zeit damals dachte. Knochenarbeit war es gewesen, und der Schweiß war in Strömen geflossen. Aber das erhebende Gefühl, etwas zu bewegen, war alle Strapazen wert gewesen. Und auch der Spaß war nie zu kurz gekommen. Das Feierabendbier hatte genauso dazu gehört wie die jährliche Betriebsfeier, bei der sie alle auf den Tischen getanzt hatten.

Vor ein paar Jahren, gerade rechtzeitig bevor die Konjunktur einbrach, hatte er den größten Teil der Firma verkauft. Nur ein bescheidenes Gebäude und einen kleinen Fuhrpark hatte er behalten, mehr aus Gewohnheit und aus einem gewissen Spieltrieb heraus. Schon als kleiner Junge hatte er stundenlang Bauklötze aufeinander gestapelt und mit seinem kleinen Plastikbagger eifrig Sandberge aufgetürmt. Und im Grunde gab es auch heute nichts, was er lieber tat.

Nun stand er da und schaute auf sein Eigentum, das so makellos durchgestylt war, dass ihm fast schlecht davon wurde. Immer noch stand er jeden Morgen um fünf Uhr auf, eine Gewohnheit, die er nicht ablegen konnte. Aber dann, schon nach dem Frühstück, wurde das Leben langweilig. Es war einfach nicht normal, dass man nichts zu tun hatte. Er schaute auf seine kräftigen Hände, die trotz professioneller Maniküre immer noch die unauslöschlichen Spuren harter Arbeit zeigten. Sie lechzten förmlich danach, wieder einmal kräftig zuzupacken. Das einzige Highlight seiner meist recht ereignislosen Woche waren die Golftermine. Dienstags und donnerstags wusste er zumindest, wofür er aufstand. Er stöhnte leise. So hatte er sich den Wohlstand nicht vorgestellt.

Marion kam irgendwie besser damit zurecht, das musste er zugeben. Sie beschäftigte sich immer mit irgendwas, allerdings meistens mit Sachen, die ihn nicht interessierten. Die Kleckserei zum Beispiel war ihr neuestes Steckenpferd. Sie kniete sich da richtig hinein, und er stand neidisch daneben, die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt. Er brauchte dringend wieder eine richtige Aufgabe, sonst würde er durchdrehen. Aber was?

Er drehte sich um und ging wieder ins Wohnzimmer zurück. Im Haus war es totenstill, es kam ihm vor wie ein Mausoleum. Mein Gott, er war doch nicht schon tot und hatte es womöglich gar nicht mitgekriegt? Aber nein, er stand ja noch in der Blüte seiner Jahre. Allerdings knackste und knirschte es hörbar in den Gelenken, als er sich jetzt dehnte und die Arme nach oben streckte.

Mit einem Klick stellte er wieder den Fernseher an. Vielleicht gab es ja wenigstens auf dem Sportkanal ein Golfturnier. Von den Profis konnte man sich das eine oder andere abgucken. Zumindest ging dabei die Zeit herum. Er setzte sich in seinen Ledersessel. Aber dort hielt es ihn nicht lang. Er sprang auf und tigerte wieder hinaus auf die Terrasse. Irgendetwas musste es doch zu tun geben, das ihn interessierte. Er starrte auf den Garten und sinnierte vor sich hin.

***

„Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ Mit zorngerötetem Gesicht stürmte Gerd aus dem Sekretariat des Golfplatzes. Um ein Haar hätte er Walter über den Haufen gerannt, der gerade mit seinem Golfwägelchen über den Vorplatz geschlendert kam.

„Hey, was ist denn mit dir los?“, fragte der gut gelaunt.

„Du kannst gleich wieder kehrt machen. Die haben unsere Tee Time vergessen.“

Walter schaute ihn ungläubig an. „Kann nicht sein.“

„Doch, ist aber“, brauste Gerd sofort auf. „Die behaupten glatt, dass wir uns nicht angemeldet haben.“

Walter überlegte. „Alfred hat das letzte Woche übernommen, da bin ich ganz sicher. Er hat sein Golfbag im Auto verstaut, und dann ist er extra noch einmal ins Sekretariat zurückgegangen.“

Gerd schaute auf seine Armbanduhr. „Wo steckt der überhaupt? Wir haben in zehn Minuten Abschlag. Also – wenn wir eine Tee Time hätten, hätten wir in zehn Minuten Abschlag“ korrigierte er.

Wie aufs Stichwort bog Alfreds grauer Kombi auf den Parkplatz ein.

„Wann können wir denn nun los?“, fragte Walter. „Ich will heute nicht so spät heimkommen.“

Gerd warf ihm einen höhnischen Blick zu. „Du wirst sogar sehr früh wieder zu Hause sein. Es geht nämlich gar nichts, alles belegt.“

„Ach nö!“

„Eine Dreiviertelstunde gefahren, und alles für die Katz“, schimpfte Gerd und kam nun erst richtig in Fahrt.

Zwischenzeitlich hatte Alfred sein Auto geparkt und machte sich am Kofferraum zu schaffen.

„Hallo!“, brüllte Gerd zu ihm hinüber. „Du brauchst gar nicht erst auszupacken.“ Aufgebracht fuchtelte er mit den Händen in der Luft herum.

Alfred schaute hoch. „Was ist los?“

„Der braucht dringend ein Hörgerät“, murmelte Gerd und machte sich auf den Weg zu ihm.

Walter schaute frustriert auf seinen Golfwagen, das er vor dem Sekretariat abgestellt hatte. Er hatte sich sehr auf die heutige Runde gefreut. Und außerdem wollte er Ben auf den Zahn fühlen, der vor zwei Tagen so auffallend schweigsam gewesen war. Der ließ sich aber heute nicht blicken. Walter beschloss, selbst bei den Damen des Golfplatzes nachzufragen, was eigentlich los war. Schwungvoll stieß er die Tür auf und betrat gesetzten Schrittes das Sekretariat.

Die Dame hinter dem Empfangstresen schaute hoch und setzte sofort eine abweisende Miene auf.

„Guten Morgen“, grüßte Walter artig, aber dann war es auch schon vorbei mit seiner Selbstbeherrschung. „Wir haben keine Tee Time heute, ist das richtig?“, fragte er mit vor Entrüstung bebender Stimme.

„Ich kann es nicht ändern, Ihre Tee Time ist gestern Nachmittag telefonisch storniert worden. Hier steht es.“ Sie zeigte auf den Monitor ihres Computers, von dem Walter allerdings nur die Rückseite sehen konnte.

„Das muss ein Irrtum sein. Wir spielen jeden Dienstag und Donnerstag um dieselbe Zeit. Das wissen Sie doch.“ Walter pflanzte seine stämmigen Beine in den Boden, gewillt, nicht ohne einen positiven Bescheid wieder abzuziehen.

„Tja.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Daraus wird wohl heute nichts werden. Der Platz ist voll gebucht.“

Alfred brauchte einen Moment, um die schlechte Nachricht zu begreifen. „Kein Golf?“, fragte er und starrte Gerd mit offenem Mund an.

Der schüttelte den Kopf. „Wir sind völlig umsonst hergefahren. Es ist eine Frechheit. Und das ist ja nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Letzten Monat hatten wir genau das gleiche. Eine Stunde haben wir blöd herumgesessen, bis wir endlich starten konnten.“

Alfred kratzte sich am Kopf. „Dann brauch ich auch nicht auszupacken“, folgerte er scharfsinnig und knallte die Kofferraumtür zu.

„So geht das nicht“, schimpfte Gerd wieder los. „Das werden wir jetzt ein für alle Mal klären.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und stapfte zurück zum Clubhaus. Alfred blinzelte sein Auto zu und folgte ihm.

Aber auch die geballte Männerpower, die sich vor dem Empfangstresen aufbaute, konnte nichts an der Situation ändern. Stocksauer mussten die drei zusehen, wie sich zwei wildfremde Damen zu ‚ihrer‘ Tee Time am Abschlag Eins spielbereit machten.

„Das ist ein absoluter Chaosladen. Wir zahlen schließlich gutes Geld für unsere Mitgliedschaft. So könnt ihr uns doch nicht behandeln.“ Wie immer war Gerd der Wortführer, und im Eifer des Gefechts war er zum vertraulichen ‚Du‘ übergegangen.

„Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen: Ihre Buchung wurde gestern telefonisch storniert.“ Die Dame wurde jetzt patzig.

„Der Platz ist sowieso völlig verwahrlost. Vorgestern habe ich einen Ball verloren, mitten auf dem Fairway von der Sieben. Das kann doch nicht sein. Wir haben alle gesehen, wo er gelandet ist. Und dann war er nicht mehr auffindbar.“ Die nun schon zwei Tage lang schwelende Empörung machte sich bei Walter endlich Luft.

Die Dame lächelte süffisant. „Da haben Sie wohl doch ins Rough geschlagen. Dafür können Sie kaum den Golfplatz verantwortlich machen.“

Walter verschlug es angesichts einer solchen Unverschämtheit kurzfristig die Sprache.

Gerd hatte endlich Zwei und Zwei zusammengezählt. „Wahrscheinlich ist Ben was dazwischengekommen, und er hat seine Startzeit abgesagt. Und ihr habt dann kurzerhand den ganzen Flight storniert.“ Da Ben immer noch nicht aufgetaucht war, sprach viel dafür, dass es sich genau so abgespielt haben musste.

„Dann müsst ihr halt sehen, wo ihr uns dazwischenschiebt. Das ist schließlich nicht unsere Schuld“, wetterte nun auch Alfred los.

Die Dame starrte verbissen auf ihren Monitor.

„Was ist jetzt?“, raunzte Gerd sie an, aber da fuhr sie auf wie eine Klapperschlange.

„Ich kann mir doch keine Tee Time aus den Rippen leiern. Wenn alles belegt ist, dann ist das eben so. Dann müssen Sie halt an einem anderen Tag wiederkommen.“

Dagegen war nicht anzukommen. Die drei Herren buchten ihre Abschlagzeiten für die kommende Woche und verzogen sich dann nach draußen. Wie verlorene Kinder standen sie da und wussten nicht, was sie jetzt machen sollten. Zur Beruhigung steckte sich Alfred erst einmal eine Zigarette an.

„Dass du das nicht lassen kannst“, ereiferte sich Gerd und wechselte den Platz, denn eine Rauchwolke schwebte genau in sein Gesicht.

Er schnappte sich eines der Hochglanzmagazine, die zum Lesen auslagen, und blätterte lustlos darin herum. Im Mittelpunkt standen die Fotos des letzten Masters-Turniers mit strahlenden Profis in Siegerpose. Und ein paar Promis, die erstaunlicherweise alle einstellige Handicaps hatten, eröffneten feierlich einen neuen Golfplatz, bereits den vierzehnten der Firma ‚Golf Unlimited‘, wie der rotgesichtige Firmensprecher stolz verkündete. Gelangweilt legte Gerd das Magazin auf ein Tischchen zurück. Es stand nicht wirklich etwas Interessantes darin.

Alfred setzte sich auf die Bank vor dem Clubhaus. „Schade um das Benzin, das wir verfahren haben.“ Seine Augen schweiften über den Golfplatz und hefteten sich kurz darauf auf die beiden Damen, die inzwischen den Hügel der Bahn Eins erklommen hatten. „Na, das Gelbe vom Ei ist das auch nicht, was die da zusammenspielen“, bemerkte er mit unverhohlener Schadenfreude.

Die Spielerinnen eilten mit gesenkten Köpfen auf dem Fairway hin und her, offensichtlich auf der Suche nach einem Ball.

„Sag ich doch: Der Platz ist einfach ungepflegt. Hier findet man keinen Ball wieder.“ Gedankenverloren lehnte sich Walter zurück. „So etwas hätten wir uns früher nie erlauben dürfen. Pfusch und Nachlässigkeit, das gab’s nicht. Da hätten wir gleich einpacken können. Aber heute sieht man das ja alles nicht mehr so eng.“

Gerd nickte heftig. „Genauso ist es. Daran krankt unsere Gesellschaft, dass jeder nur an sich selbst denkt. Aber wir sind ja selbst schuld. Wir haben eine Generation von Egoisten groß gezogen. Denen wurde alles zu leicht gemacht, da fehlt der Charakter, die innere Härte. Verhätschelt sind die und maßlos verzogen. Keiner ist mehr bereit, Verantwortung für irgendetwas zu übernehmen. Wenn sich das nicht schnellstens ändert, geht alles den Bach runter.“

Er schaute sich Beifall heischend um, aber Walter beäugte weiterhin fasziniert das Golfspiel der Damen, und Alfred war wie so oft geistig abwesend.

„Was machen wir denn jetzt?“ Nervös spielte Gerd mit seinem Handy.

Die beiden Damen waren in einer Bodenwelle verschwunden, und Walter drehte sich zu seinen Kumpels um. „Heimfahren, was sonst?“ Er zuckte mit den Schultern.

Aber keiner bewegte sich von der Stelle.

„Mir war langweilig“, sagte Alfred plötzlich in die Stille hinein.

„Dir ist doch immer langweilig.“ Gerd hatte keine Lust auf die Jammerarie, die jetzt wohl mal wieder fällig war.

„Du hörst nicht zu. Das ist auch so eine neumodische Krankheit, dass keiner richtig zuhört. Ich hab gesagt: Mir war langweilig.“

„Und dann hast du in der Nase gebohrt und dir den Finger verstaucht.“ Gerds Stimme troff vor Ironie.

„Wenn es euch nicht interessiert…“ Beleidigt wandte sich Alfred ab.

„Nun erzähl schon“, gab Walter ihm endlich das erhoffte Stichwort.

„Und dann hab ich angefangen, ein bisschen Erde zu schieben.“ Alfreds Augen funkelten plötzlich.

„Haste wieder mal mit dem Bagger im Sandkasten gespielt?“ Gelangweilt schaute Gerd auf das Display seines Handys.

„Ich hab einen ziemlich großen Bagger, wie du weißt.“ Alfred ließ sich nicht beirren.

„Ja und?“, hakte Walter nach. Besser, man brachte es hinter sich. Der Lange hatte manchmal völlig abgedrehte Ideen, vielleicht konnte er etwas zur allgemeinen Aufheiterung beitragen.

Alfred drehte seinen Kopf demonstrativ in Richtung Driving Range und grinste.

Gerd und Walter starrten ihn verständnislos an.

„Hast du nervöse Zuckungen?“ Genervt klappte Gerd sein Handy zu.

Wieder diese ruckartige Kopfdrehung, und endlich schwante Walter etwas.

„Die Driving Range?“, fragte er gedehnt.

Alfred nickte heftig.

Jetzt fiel der Groschen. „Du baggerst doch nicht etwa an einer Driving Range?“ Walter schaute ihn entgeistert an.

Alfred strahlte wie ein kleiner Junge.

Auch Gerd durchzuckte es jetzt. „Im Ernst? Du baust wirklich eine Driving Range?“

„Nein, aber eine Spielbahn. Es ist natürlich erst der Anfang. Ich hab das Feld hinten am Ortsausgang ein bisschen eingeebnet. Und eine erhöhte Plattform gebaut, so was wie einen Abschlag.“

„Ist das nicht Walters Acker?“ Plötzlich war Gerd sehr interessiert. Er stieß Walter seinen Ellenbogen in die Rippen. „Komm, das schauen wir uns an.“

4.

Eine knappe Stunde später standen die drei Freunde am Ort des Geschehens. Es war nicht wirklich viel zu sehen, aber mit etwas Fantasie konnte man sich durchaus einen passablen Abschlag vorstellen.

Walter staunte. „Wann hast du das denn alles gemacht?“

„Gestern Mittag.“ Alfred gab sich bescheiden. „Das war keine große Sache.“

„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Gerd, dessen Augen flink über das Areal huschten. Er wusste nicht genau, wo Walters Besitz endete, aber soweit er blicken konnte, war alles mit Brachland bedeckt, das vermutlich dem Freund gehörte.

Alfred zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Mir war nur so langweilig, und da habe ich halt mal was gemacht.“

In Gerd baute sich allmählich eine Erregung auf, die sich durch hektisches Hin- und Herlaufen Luft verschaffen musste. Er warf einen Blick auf Walter, der es sich auf einem großen Feldstein gemütlich gemacht hatte und einer Lerche nachschaute, die hoch in der Luft unermüdlich zwitscherte und sang. Diese zwei Schlafmützen! War sich denn keiner der Bedeutung dieses Moments bewusst? Genau jetzt, in diesem historischen Moment, wurde die Idee zu etwas ganz Großem geboren. Visionsartig schoss ihm durch den Kopf, was das alles nach sich ziehen konnte: Neue Arbeitsplätze, Prestige, Umsätze, Steuerzuwachs – es war einfach gigantisch. Es haute ihn fast um, als er am Ende seiner Gedankenkette angelangt war. Das hier war eindeutig der Weg zum Bürgermeisteramt, der Schlüssel zum Rathaus.

„Wisst ihr eigentlich, was ihr hier seht?“, flüsterte er mit vor Aufregung heiserer Stimme.

„Eine ziemliche Sauerei, würde ich sagen. Schau dir nur mal den Schlamm an“, kommentierte Walter trocken.

„Oh nein! Ihr seht genau hier die Anfänge des Golfplatzes Gelnhausen.“

Zwei Köpfe ruckten herum.

Nach einer Schrecksekunde fing Alfred an zu lachen. „Du spinnst doch.“

Walter ließ sich mehr Zeit, um über Gerds Satz nachzudenken. „Wieviel Platz braucht man eigentlich für einen Golfplatz? Und was könnte so was kosten?“

Ausgerechnet Walter, der sonst manchmal eher langsam im Denken war, hatte es voll erfasst. Begeistert klopfte Gerd ihm auf den Rücken. „Das werden wir alles noch herausfinden. Stellt euch das doch nur mal vor: Keine langen Anfahrten mehr. Keine arroganten Tussis im Clubhaus, die unsere Tee Time verbummeln.“ Er lachte fröhlich. „Uns gehört dann schließlich der Platz, und wir können spielen, wann immer wir wollen.“

Er sah es schon vor sich, wie die Leute respektvoll zur Seite wichen und Spalier standen, wenn er und seine Jungs zum ersten Abschlag marschierten. Das Clubhaus würde direkt neben der Driving Range liegen. Gute, deutsche Küche würde es geben, nicht so einen italienischer Fraß, wie es ihn heutzutage fast nur noch gab. Eine weitläufige Terrasse, von der aus man den halben Platz überblicken konnte, musste natürlich auch her. Dieser Golfplatz würde die gesamte Region aufwerten, etwas vom Feinsten sein. Und das direkt vor den Toren Frankfurts. Begeistert von seiner brillanten Idee reckte er die Arme in die Luft. Das alles war seinem genialen Geist entsprungen.

„Du siehst aus, als wolltest du gleich abheben“, holte ihn Walter aus seinen Tagträumen.

Gerd starrte ihn verwirrt an. „Aber das muss einen doch einfach vom Hocker reißen“, sagte er in völligem Unverständnis dieses bäuerlichen Phlegmas.

„So langsam kapier ich es auch. Dann kann ich endlich wieder baggern. Sogar sehr viel baggern.“ In Alfreds Augen lag plötzlich ein unternehmungslustiger Glanz. Tschüss, Langeweile! Ade, Altersruhestand! Wieder mit dreckbespritzten Gummistiefeln herumzulaufen, mit den Kumpels ein Bierchen zu zischen, hach, das wäre schön. „Aber wir werden einen ganzen Haufen Kohle brauchen.“

„Nun mal ganz langsam“, stoppte Walter die Gedankenflüge. Er hatte das Gefühl, dass er als einziger noch klar denken konnte. „Das ist doch eine völlig aberwitzige Idee. Keiner von uns hat eine Ahnung davon, wie man so einen Golfplatz anlegt. Geschweige denn betreibt. Ganz davon abgesehen, was das kostet. Und wie wir eine Genehmigung für so was kriegen, wissen wir auch nicht.“

Gerd winkte ab. „Alles machbar.“ Das waren doch nur Kleinigkeiten, die ganz sicher in den Griff zu kriegen waren.

Er sah im Geiste schon die Zufahrtsstraße vor sich, vielleicht würde sie sogar nach ihm benannt werden. ‚Gerd-Scheurich-Allee‘, das hatte was. Dankbar würden sie ihm alle sein, ihn förmlich dazu drängen, den Bürgermeisterposten anzunehmen. Sein Blick verfinsterte sich kurzzeitig, als er an seinen Erzfeind Schneider dachte. Der sollte am besten direkt auswandern, denn wenn er erst einmal am Ruder war, würde der keinen Fuß mehr auf die Erde kriegen.

„Das ist doch ausgemachter Blödsinn.“ Walter ließ sich von Gerd Beschwichtigungen nicht beirren. „Wenn ich das richtig verstehe, wollt ihr diesen Golfplatz genau hier bauen. Aber bevor Alfred auch nur eine weitere Baggerschaufel in meinen Grund und Boden versenkt, habe ich ein gewichtiges Wörtchen mitzureden.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Gerd in die Augen.

Du sturer Kerl, dachte der, auch du wirst noch kapieren, dass das der Grundstein für ein Vermögen ist. Aber im Moment war da nichts zu machen, und so gab Gerd erst einmal klein bei.

„Hahaha“, lachte er gekünstelt. „Da bist du mir aber schön auf den Leim gegangen. Das war doch nur so daher gesagt. Da braucht es schon ganz andere als uns drei, um so etwas auf die Beine zu stellen. Und außerdem weiß ich ja, wie sehr du an deinem Land hängst. Das würdest du doch nie und nimmer für einen Golfplatz hergeben.“

Das saß und sollte genügen, um Walter und Alfred zum Nachdenken anzuregen. Nun musste er sich in Geduld fassen und abwarten, bis die beiden das Ganze in aller Ruhe überlegt hatten.

***

Obwohl in den nächsten Tagen keinem der drei Herren das G-Wort über die Lippen kam, spukte es natürlich ständig in ihren Köpfen herum.

Stirnrunzelnd betrachtete Marion einen ganzen Haufen bekritzelter Zettel, den ihr Mann auf dem Wohnzimmertisch hatte liegen lassen. „Was malst du da eigentlich“, fragte sie ganz beiläufig.

„Nichts. Das sind nur so Ideen.“ Alfred knüllte die Blätter zusammen und warf sie in den Papierkorb.

Marion glaubte ihm natürlich kein Wort. Und sie beobachtete, wie er wenig später klammheimlich die Zettel wieder aus dem Abfall hervorholte und in der Schublade seines Nachttischs versteckte. Allerdings ergab selbst eine genaue Untersuchung keine Erkenntnisse. Da gab es Bögen und Kurven und straffierte Flächen, die mit Sternchen und Dreiecken verziert waren. Es war ein vollkommenes Rätsel. Eindeutig war da etwas im Busch. Aber was?

Alfred war keiner, der viel redete. Marion wusste, dass sie abwarten musste, bis er endlich sein Ei gelegt hatte. Dann würde er auch anfangen zu gackern.

Über mangelnde Kommunikation konnte sich Marlene nicht gerade beschweren. Ganz im Gegenteil, wenn Gerd schon immer wie ein Wasserfall alles Mögliche von sich gegeben hatte, so wurde es nun noch schlimmer. Aber es war nur unzusammenhängendes Gerede, das sie nicht verstand. Er schien von einer fixen Idee besessen zu sein, die ihn offenbar sogar bis in seine Träume verfolgte. Jedenfalls wachte sie ein paarmal auf und hörte, wie er im Schlaf redete. Sie verstand allerdings nur ein paar Satzfetzen, in denen sich die Wörter ‚Bürgermeister‘ und ‚Allee‘ regelmäßig wiederholten. Maßlos enttäuscht musste sie feststellen, dass sein Interesse an ihr nun auf den absoluten Nullpunkt gesunken war. Egal, was sie versuchte, er behandelte sie wie Luft. Frust und Zorn über den nachlässigen Ehemann erreichten ein neues Allzeithoch. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Kessel überkochte.

Walter ruhte wie immer ganz in sich. Wenn überhaupt etwas auffällig war, dann die Tatsache, dass er häufiger als sonst in seiner Lieblingspose auf der Terrasse seines Häuschens verharrte. Er hatte eindeutig etwas von einem hessischen Buddha, wie er, die Hände unter seinem Bauch gefaltet, völlig regungslos da saß und Löcher in die Luft starrte. Sein Gesicht war entspannt, und ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund, während er diese Sache mit dem Golfplatz von allen Seiten ausführlich bedachte. Es wäre schön, wenn die brach liegenden Felder endlich wieder sinnvoll genutzt würden. Saftiges Grün statt stoppeligem Unkraut, das war eine Vorstellung, die ihm sehr behagte.

Und es gab noch einen zweiten Punkt, der ihn beschäftigte. Ein Golfplatz musste organisiert werden, und besonders aufs Geld musste jemand ein scharfes Auge haben. Wer war besser dafür geeignet als Ben? Wenn man ihm die gesamte Finanzierung dieses Projektes übertrug, würde das ein Quantensprung für die Karriere sein. Dieser Gedanke gefiel Walter immer besser, je länger er darüber nachdachte. Ben war einfach ein feiner Kerl und zudem bestimmt äußerst tüchtig. So jemanden musste man doch einfach ins Boot holen.

5.

Jede der drei angetrauten Damen sah dem in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Kaffeeklatsch im kleinen Einkaufszentrum dieses Mal mit großer Spannung entgegen. Marion und Annelie kannten sich schon seit Ewigkeiten. Und irgendwann hatten sie, wenn auch zögerlich, Marlene in ihren Kreis aufgenommen. Einfach war es nicht gewesen, mit der jüngeren und sehr selbstbewussten Frau klar zu kommen. Marion hatte sofort gemutmaßt, dass die üppige Oberweite der zweiten Frau Scheurich nicht natürlichen Ursprungs sein konnte. Überhaupt, diese tadellose Figur und so ein makelloses Äußeres, das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Aber Marlene hatte sich stets bedeckt gehalten, es war nichts aus ihr herauszubekommen. Die vagen Anspielungen hatte sie rigoros im Keim erstickt. Und auch sonst hatte sie sich schnell zur Wortführerin entwickelt. Das heutige Treffen machte da keine Ausnahme.

„Ich weiß nicht, was in letzter Zeit mit Gerd los ist. Der führt sich auf, als hätte er mit den Fingern in eine Steckdose gegriffen, er steht ständig unter Strom. Hektisch war er ja schon immer, aber nun hat das ein Ausmaß erreicht, das nicht mehr auszuhalten ist. Er kann keine fünf Minuten still sitzen. Und seit Neuestem redet er sogar im Schlaf.“

Interessiert beugte sich Marion vor. „Was sagt er denn so?“

Marlene schüttelte den Kopf. „Es ist nicht richtig zu verstehen. Aber es muss was Politisches sein, er erzählt was von ‚Bürgermeister‘.“

Marion bleckte die Zähne. „Das wird dann wohl ein Traum bleiben. Diese Schmiergeldsache hängt ihm doch immer noch nach.“

Sie warf Annelie einen aufmunternden Blick zu, doch auch etwas zu sagen. Aber die hatte offensichtlich gar nicht zugehört. Sie starrte auf den Schaum ihres Cappuccinos, als läge darunter ein Goldschatz verborgen.

Seufzend gab Marion ihre eigenen Beobachtungen zum Besten. „Meiner kritzelt Zettel voll mit irgendwelchen Hieroglyphen. Ich werde nicht schlau daraus. Er versteckt sie vor mir, also muss es was Wichtiges sein. Allerdings hatte ich nicht viel Zeit, um mich darum zu kümmern. Herr von Herschede kommt in Kürze, das wisst ihr doch noch?“

Inzwischen war auch Marlene aufgefallen, dass Annelie einfach nur da saß und keinen Piep sagte. „Was ist mit Walter? Benimmt er sich irgendwie anders in letzter Zeit?“, bohrte sie in ihrer direkten Art.

Annelie schaute kurz hoch und schüttelte den Kopf. „Der ist wie immer. Wenn überhaupt, ist er noch ruhiger als sonst.“ Ihr Blick versank wieder im Milchschaum, der sich allmählich auflöste.

„Ist alles in Ordnung mit dir? Du kommst mir so bedrückt vor.“ Marion runzelte die Stirn. Annelie gehörte zwar auch sonst nicht gerade zu den Plaudertaschen, aber heute hatte ihr wohl jemand den Mund zugenäht. Da fiel ihr Annelies große Leidenschaft ein. „Ist was mit deinem Horoskop?“

Offenbar hatte sie da einen wunden Punkt berührt, denn Annelies Gesicht verdüsterte sich schlagartig.