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Von zarter Lyrik über schräge Kurzgeschichten bis zu spannenden Theatermonologen mit ungewissem Ausgang reicht die Palette von Karl-Friedrich Reinhardt. Seine genaue Beobachtung und die Liebe zum Nächsten sind die großen Leitlinien in Reinhardts Texten. Seine Erzählungen spiegeln die Einsamkeit der Menschen, das Fremde in uns, das Erschrecken über uns. Die Geschichten enden scheinbar im Nichts und hinterlassen manchmal eine kleine Gänsehaut.
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Seitenzahl: 237
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Von zarter Lyrik über schräge Kurzgeschichten bis zu spannenden Theatermonologen mit ungewissem Ausgang reicht die Palette von Karl-Friedrich Reinhardt. Seine genaue Beobachtung und die Liebe zum Nächsten sind die großen Leitlinien in Reinhardts Texten. Seine Erzählungen spiegeln die Einsamkeit der Menschen, das Fremde in uns, das Erschrecken über uns. Die Geschichten enden scheinbar im Nichts und hinterlassen manchmal eine kleine Gänsehaut.
Karl-Friedrich Reinhardt arbeitete in seiner Jugend als Rangierer, Fotograf, Hilfsarbeiter, Schauspieler, Regisseur und viele Jahre als Geschäftsführer bei der SPD. Die turbulenten Jahre um 1968 haben ihn wie viele andere auch für den Rest seines Lebens nachhaltig geprägt. Unter dem Einfluss von Edward Albee, Bukowski, Ionesco, Mrozek und Handke begann Reinhardt sein Leben in und mit dem Theater. Er schreibt und veröffentlicht seit vielen Jahren eigene Erzählungen, Lyrik und Theaterstücke. Seine Erfahrungen mit so vielen verschiedenen Menschen und seine Beobachtungen in so unterschiedlichen Lebensbereichen werden in seinen Texten immer wieder sichtbar.
Reinhardt lebt seit einigen Jahren in Potsdam.
Für Britta und Waltraut
Was auch immer geschehen wird:
Ich bin nicht damit einverstanden
ich werde niemals zugeben
welches Vergnügen
es mir bereitet haben könnte.
Niemals.
Sowohl die Bühne als auch der Zuschauerraum sind wie ein Café eingerichtet.
Auf dem Tisch von Max steht eine Flasche Cognac und ein großes Cognacglas, aus dem Max bis zum Ende immer wieder trinkt.
Cognac ist mir zuwider! Wenn ich nur den Geruch erahne, wird mir leicht übel. Und dann das ganze Zeremoniell, das damit zusammenhängt. Erst muss man das Etikett prüfen, herumzeigen, sich wegen des Jahrgangs bewundern lassen, den Staub auf der Flasche wegblasen, nein, nicht wischen, er muss weggeblasen werden, als sei es die Asche eines teuren Verblichenen, das Öffnen, manche proletarisch Gesinnte reiben noch den Korken am Flaschenhals und freuen sich über das quietschende Geräusch, das so sehr einer Gummiente ähnelt, der erste Schluck im Glas, groß gebaucht muss es sein, das Glas, wer trinkt schon Cognac aus Schnapsgläsern, nicht einmal die Proletarischen, den Duft atmen, die Farbe vergleichen gegen das Licht und immer noch nicht trinken, NEIN, es muss kommentiert werden mit den Anderen, die geistreicher sein wollen als der Gastgeber, was den ersten Ärger verursacht, den man lächelnd verbirgt, um dann mit großer Geste den ersten Schluck, nein, immer noch nicht zu trinken, sondern über die Zunge rollen zu lassen, die Mundhöhle in allen Falten zu füllen, um dann den Rest, den die Schleimhäute noch nicht absorbiert haben, hinunterzuschlucken.
AAH!
Dann folgt das keusche Augensinken, was die absolute Verinnerlichung zeigen soll, die automatische Entrückung und doch nur Schafsgesichter nach der Beichte zeigt.
Da lobe ich mir doch den ehrlichen Schnaps, klar, ein leichter Duft nach Obst, Kirschen, Pflaumen, auch Birnen, ohne Zeremoniell, unter Freunden, Kumpels, Männern,
ZACK
nach hinten gekippt und fertig. Es bleibt die Wärme im Magen und der Geschmack eines Sommertags auf der Zunge.
Aber haben Sie schon mal versucht, Tabletten in klarem Schnaps aufzulösen?
Wer bringt sich freiwillig um? Nur Feiglinge, Waschlappen und Frauen. Ein richtiger, also ein echter Kerl, kennt seinen Platz im Leben und seine Aufgabe. Seine Aufgabe, das ist wichtig.
Ich hab´ das auch Fred gesagt, damals, als seine Frau, na, Sie wissen schon. Nachhilfe hieß es, für die Tochter, war damals schon groß für ihr Alter, ich sag´ noch, pass auf, Fred, diese Studenten, skrupellos, hemmungslos, kennt man ja, wies heutzutage ist, also, ich sag noch, pass auf, aber was ist passiert? Eines Tages war er verschwunden, die Frau gleich mit,
ES GING GAR NICHT UM DIE TOCHTER!
Die ging dann zu ihrer Großmutter, MÜTTERLICHERSEITS.
Es war nicht einfach, hej, Fred, habe ich gesagt, pass jetzt auf, nicht gleich den Kampf verloren geben,
DU HAST JETZT EINE AUFGABE!
An dem Abend haben wir Schnaps getrunken. Ist ja sonst nicht so meine Art, aber er war mein Freund, und, hej, oh Mann, waren wir besoffen an diesem Abend, richtig gut, er hat dann bei uns geschlafen, ich konnte ihn ja schlecht allein lassen in diesem Zustand, Frau weg, Tochter weg und der verdammte Nachhilfelehrer hatte schon sein Geld für den ganzen Monat bekommen und es war erst der Fünfte!
Schwamm drüber, habe ich zu Fred gesagt, und dann hat er über den Tisch gekotzt, ganz still ohne Geräusch, war ´ne ziemliche Schweinerei. Der Wirt war beträchtlich sauer und wollte, dass WIR alles aufwischen sollten, aber mit ein bisschen Geld kann man ja alles regeln.
Du musst nur einen festen Standpunkt haben, ja, und eine Aufgabe.
An diesem Abend war Fred meine Aufgabe.
SCHEISS-COGNAC!
Als meine Frau am nächsten Morgen Fred auf der Couch liegen sah, war sie erst ziemlich wütend. Das fehlt mir noch, hat sie gesagt, dass ich jetzt zwei Säufer im Hause habe. Ich find das etwas unfair, erstens so vor Fred und zweitens stimmte es ja auch nicht, wann trinke ich schon, nach Feierabend mal ein Gläschen, zum Abschalten, machen doch alle, und nie Zuviel, einer meiner Grundsätze. Ein Mann, ich meine ein richtiger Mann, HAT GRUNDSÄTZE!
Frauen verstehen das nicht, nie, sie schwafeln lieber von Flexibilität, Konsensbereitschaft, Toleranz, was weiß ich. Na, ich sehe schon, Sie verstehen mich.
Fred blieb noch, wo sollte er auch hin, jetzt, wo seine Frau und die Tochter.
Ich bin dann ins Geschäft gefahren.
Als ich abends meine Frau fragte, wie lange Fred noch geblieben sei, sagte sie nur, DER ARME KERL, und warum ich ihn so abgefüllt hätte. Da hätte ich gleich aufpassen müssen. Von wegen Toleranz und Hilfsbereitschaft.
Kurze Zeit später war Fred arbeitslos. Angeblich wegen Alkoholproblemen. Dabei hatte Fred nie mehr getrunken als ich oder die anderen Jungs.
Jetzt war er allein zu Haus, den ganzen Tag. Er fragte mich, ob er mir helfen könnte. Zum Beispiel im Garten und so. Es war ihm wohl langweilig. Von dem Moment an saß Fred bei uns in der Küche. Nicht dass ich was dagegen hätte. Fred war mein Freund und ein Gläschen war immer für ihn da. Er war ja auch in einer beschissenen Situation. Nein! Ich fand es sogar angenehm. Man sparte sich das Geld für die Bar und hatte immer Unterhaltung. Und Frauen hatten wir sowieso schon lange nicht mehr in unseren Stammkneipen gesehen. Jedenfalls keine, mit denen man auf die Schnelle was hätte anfangen können. Wir hatten dann irgendwann festgestellt, dass Frauen uns sowieso nur stören würden. Als Mann hat man ja nicht so viel Gelegenheit sich auszuquatschen. Die Frauen haben es da viel leichter. Obwohl, wenn ich daran denke, was sie oft für einen Blödsinn verzapfen. Immer auf der Oberfläche dümpeln, immer unverbindlich über die Anderen herziehen. Da war ein Gespräch unter Männern direkt eine Erholung.
Intellektuell meine ich.
Meine Frau hatte am Anfang noch ein Gesicht gezogen. Sie sah es wohl nicht gern, dass wir in ihrer Küche saßen.
»Jennifer, sagte ich, wir können ihn doch jetzt nicht im Stich lassen. Es ist nur vorübergehend, Du wirst sehen, dann hat Freddieboy wieder einen neuen Job. Die Zeiten sind hart, aber alles ist im Fluss. Mein Gott, wenn ich daran denke, wie es mir vor zehn Jahren ging, weißt Du noch, nein, das kannst Du ja gar nicht wissen, das war ja noch die Zeit von Maria.«
Mein Gott, die hat sich um nichts geschert, immer eine flotte Lippe und einen kräftigen Schluck hat sie auch vertragen, aber mit ein bisschen Mut und Gottvertrauen, ja, Gottvertrauen, das ist wichtig im Leben, Gottvertrauen und einen guten Stand, wie beim Sport, jedenfalls hat es nicht lang gedauert, vielleicht ein Jahr, und es ging mir wieder GLÄNZEND! Leider war Maria inzwischen verschwunden. Aber die Zeiten ändern sich eben. Immer anpassungsfähig und flexibel muss man sein im Geschäft, trotz aller Grundsätze.
Ach ja, die Grundsätze. Ich wollte Ihnen ja von Fred erzählen. Inzwischen änderten sich bei uns die Zeiten. Jennifer, meine Frau Jennifer setzte sich auf einmal, GANZ PLÖTZLICH, zu uns und sagte: Jungs, schenkt mir auch ein Glas ein.
UND SIE TRANK!
Jungs, schenkt mir auch ein Glas ein.
DAS MUSS MAN SICH MAL VORSTELLEN.
Sie trank nie. All die Jahre hatte sie nie ein Glas getrunken. Doch, einmal, als Onkel Albert starb, aber da war ihr später tagelang schlecht. Nie wieder, sagte sie damals. Es war ihr entsetzlich peinlich, als ich ihr am nächsten Morgen schilderte, wie sie Helen an die Brust gefasst hatte und unter dem meckernden Lachen vom alten Henry sagte, du lässt auch schwer nach, Schätzchen! Der Pfarrer ließ den Kaffeelöffel fallen und sagte sofort, lasst uns für den armen Verblichenen beten. Henry lachte noch, als er zur Toilette ging, man hörte es bis über den Flur, ehe die Tür zuschlug. Henry war der Mann von Helen und er musste es wissen. Aber Henry ließ selber schon lange nach. Nur drei Bier und er kommt regelmäßig mit offener Hose vom Klo zurück. Helen verdeckt ihn dann mit ihrer breiten Figur und nur an den ruckartigen Bewegungen ihrer Arme lässt sich erahnen, wie sie ihm hilft. Oder auch nicht.
Und jetzt saß meine Frau bei uns und trank, und im Laufe der Zeit blieb es nicht bei dem einen. Manchmal wurde es selbst mir zu viel. Dann ließ ich die beiden in der Küche sitzen und ging schlafen. Einer musste ja das Geld verdienen. Sie schlief dann bei den Kindern, sagte sie, um mich nicht zu stören, dabei hatten wir überhaupt keine Kinder. Aber ein Kinderzimmer. Nach der letzten Abtreibung sagte sie, wir lassen jetzt alles so, wie es ist, dann fällt es uns leichter. Und jedes Jahr, an unserem Jahrestag, wie sie sagte, mir ist das ja egal, kaufte sie irgendein großes Stofftier und setzte es auf das Kinderbett. Verstehe einer die Frauen.
Aber wenn ich morgens in die Küche kam, war immer topp aufgeräumt, dass musste man ihr lassen. Und sogar Fred war weg.
Die Zeiten ändern sich wie gesagt. Man merkt es ja überhaupt nicht. Erst wenn es passiert ist.
PENG!!
Es kam, wie es kommen musste. Mein Chef rief mich zu sich. Kunden hatten sich beschwert, das heißt, eigentlich hatten sich die Frauen der Kunden beschwert. Die eine, weil ich nichts von ihr wollte und die andere, na ja, sah schon verdammt gut aus.
Wir saßen nach Vertragsabschluss noch zusammen und quatschten und tranken ein Gläschen Champagner, man ist ja erleichtert nach einem solchen Schritt.
Meine Firma, das heißt, Miller, Miller und Grünstein, makeln Grundstücke, Häuser, mit oder ohne Möbel, alles was so anfällt, sehr erfolgreich übrigens, was mit Sicherheit auch was mit mir zu tun hat. Jedenfalls saßen wir noch zusammen, sie, ihr Mann und ich und tranken den üblichen Schluck nach der Unterschrift, ich wollte auch gleich weiter, ich schwöre es, hatte ja auch noch einen weiten Weg, aber sie wollte unbedingt noch eine Flasche aufmachen, nein, keinen Schampus, nicht so ein französisches Schlabberwasser, NEIN!, sie hatte einen sauberen, echten, mindestens 20 Jahre alten Whisky aus dem Keller geholt, extra aufgehoben für diese Gelegenheit!
Und so kam es.
Im Laufe des Abends rückte sie immer näher.
MANN, ROCH SIE GUT!
Und Titten hatte sie.
Direkt vor meinen Augen!
Jennifer ist ja eher schmal.
Ihr Mann schlief schon fast ein.
Als er aufstand, um ins Bett zu gehen, sagte er: »Nein, bleiben Sie nur, wir sind Ihnen wirklich dankbar, Sie sind ein feiner Kerl, Max, wäre doch schade um den Whisky.«
Damit hatte er Recht.
Auch mit dem Whisky.
Nach zwei Stunden kam er wieder herunter. Zum Glück lag noch eine Wolldecke auf dem Sofa. Gloria, so hieß seine Frau, zog sie blitzschnell über den Kopf, leider war die Decke nicht so groß, dass sie auch noch für mich gereicht hätte, bei ihr sah man den ganzen blanken Arsch, aber der Kopf war bedeckt. Als ob der Kopf nackt gewesen wäre!
Er hat nichts gesagt, ganz still war er, keine Miene hat er verzogen, hat nur zu uns gesehen, bestimmt zwei Minuten, hat sich umgedreht und ist wieder nach oben gegangen.
Als ob nichts gewesen wäre!!
Ich bin sofort aufgesprungen, um zu verschwinden. An der Tür habe ich mich noch einmal umgedreht. Das Bild werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen.
Sie saß immer noch unter Decke, völlig regungslos. Nur der untere Teil. BLANK!
Schade. Ich hätte meinen Whisky noch austrinken sollen. Aber den Vertrag nahm ich mit. Unterschrieben! So besoffen kann ich gar nicht sein, um meinen Vertrag zu vergessen. Und jetzt das.
Sie hatten sich beschwert. Nein, nicht wegen Gloria. Wegen des Whiskys!
Der Vertrag wäre nichtig, weil ich sie unter Alkoholeinfluss gezwungen hätte, einen für sie so ungünstigen Vertrag zu unterschreiben.
»Und das glauben Sie?«, habe ich meinen Chef gefragt.
»Max, mein Junge, natürlich glaube ich Dir. Ich kenne Dich doch,« hat er gesagt, »aber lass die Finger von den Weibern.«
Er ist manchmal ein bisschen wie Paps. Wir nennen ihn auch alle Paps. Er ist gütig, oft streng, und er kennt mich.
»Du bist der Beste von uns allen, Max«, sagt er oft zu mir.
Ich mag ihn, oh ja, ich mag ihn. Aber jetzt hat er mich in den Norden geschickt. Bis Gras über die Sache gewachsen ist, hat er gesagt.
Guter Boden für Geschäfte hier, wirklich, lauter verdammte Spießer, die keine Ahnung haben. Die Frauen gehen mit Lockenwicklern einkaufen und die Männer mit Krawatte ins Bett. Man kann viel Geld machen mit ihnen. Aber ich komme oft nur noch am Wochenende nach Hause. Und Fred sitzt in der Küche und säuft mein Bier! Nicht, dass ich ihm den Schluck nicht gönnen würde, Fred ist mein Freund. Aber immer nur in der Küche.
Er hatte vor dem Kühlschrank gesessen, als ich morgens herunterkam, und die erste Büchse Bier stand schon vor ihm. Er hätte mir wenigstens einen Kaffee machen können. Er wusste ja, wann ich so aufstand. Das würde ich ihm noch beibringen, wer hier die Nummer eins war. Ohne mich würde er in seiner leeren Hütte vor alten Blechdosen sitzen und Trübsal blasen.
In letzter Zeit schlief ich im Kinderzimmer, um meine Frau nicht zu stören. Durch diese langen Reisen kam ich immer später nach Hause. Außerdem drehte sie mir immer den Rücken zu, wenn ich ins Bett kam. Weiß der Teufel, was in sie gefahren war.
»Nein«, sagte ich zu Jennifer, »ich mach das gern für Dich. Du brauchst deinen Schlaf.«
Sie drehte sich zu mir in ihrem grauen Baumwollhemd und zog die Arme fest um ihren Körper, als wollte ich sie angreifen.
»Bei der Armee haben wir auch Rücksicht genommen auf die Kumpel, wenn wir von einer kleinen Spritztour zurückkamen.«
Da wurde sie ganz blass und hatte auf einmal so einen tückischen Ausdruck im Gesicht. Vielleicht bekam ihr der Alkohol nicht, den sie mit Fred trinken musste, damit er mit seinen Problemen nicht so allein saß.
Ja, Jennifer war manchmal großartig in ihrer Güte.
Auf jeden Fall zog ich mit Fred an jenem Tag ein bisschen durch die Stadt.
»Fred, mein Junge«, hatte ich zu ihm gesagt, »Du musst wieder unter die Leute, ehe Du vergessen wirst. Das geht ganz schnell, glaub mir, ich kenne das. Und wenn Du jeden Tag Deine Nase auf meinen Küchentisch legst, kommen Deine Weiber auch nicht zurück.«
Ich merkte schon bald, dass er Probleme hatte, ich meine, finanzieller Art. Es wurde immer schwieriger für ihn, einen guten Job zu finden, in seinem Alter. Immerhin war er fünf Jahre älter als ich.
»Fred«, sagte ich, »mach nicht so ein beleidigtes Gesicht. Es kann jeden treffen, auch mich. Das Leben ist hart, aber Du bist nicht allein. ICH wäre froh, wenn ich so einen Freund hätte, wie mich.«
Dann schob ich ihm einen Zwanziger oben in seine Jackettasche und gab ihm einen leichten Klaps auf die Wange. »Freddieboy, ich lass Dich nicht im Stich. Max hat noch nie einen Kumpel im Stich gelassen.«
Drei Kneipen später hatte er schon wieder etwas Farbe im Gesicht.
Das war der Zeitpunkt, ihm meinen Sanierungsplan »Rettet Freddie« zu erläutern.
Ich konnte ihm ja nicht dauernd Geld zuschießen.
OHNE GEGENLEISTUNG!
Geschäft ist Geschäft. Das sah er auch ein.
»Du kannst nicht immer ohne Geld sein, mein Junge. Ohne Geld verlierst Du Deine Würde. Schau Dir nur die Bettler oder Junkies an. Willst Du wirklich so werden. So ganz
OHNE GESICHT?«
Das traf ihn. Man sah ihm genau an, wie er sich das vorstellte. Er auf der Straße, ohne Gesicht. Er brauchte nicht mehr viel.
»Es ist ganz einfach. Ich helfe Dir und Du hilfst mir.«
Er trieb sich ja sowieso mehr bei uns rum, als bei sich drüben.
»Du kannst ein bisschen Jennifer helfen. Seit den Kindern wird sie immer dünner. Und Jennifer mag Dich. Keine Widerrede. Ich bin Dein Freund. Einer muss ja auf Dich aufpassen, jetzt, wo Deine Frau und die Tochter.«
Da wurde er ganz still und weinte etwas.
Am selben Abend setzten wir noch einen Vertrag auf, mit allen Rechten und Pflichten, die Freddieboy jetzt hatte. Ich schrieb einen Scheck über eine anständige Summe und er gab mir schriftlich als Sicherheit sein Haus. Sollte er das Geld innerhalb eines Jahres nicht zurückzahlen, ging das Haus an mich.
Es fiel ihm schwer, diese Klausel zu unterschreiben, dass merkte man, aber wie gesagt, Geschäft ist Geschäft. Und viel Auswahl hatte er auch nicht, das wusste er.
Ich war großzügig zu ihm, ich half ihm. Ich fühlte mich ziemlich gut.
ICH WAR EIN GUTER MENSCH!
»Es ist doch nur eine Formsache, mein Junge. Was soll ich mit Deinem Haus. Etwa auf Deine Frau warten, bis sie zurückkommt?«
Sie war ein scharfer Feger, schon immer gewesen, aber er musste ja nicht alles wissen. Einen Freund musste man auch schützen können, auch vor sich selbst.
Fred wurde an jenem Abend noch sehr glücklich. Er ließ sich von mir gleich einen kleinen Vorschuss geben und lud mich ein. Übrigens auch die Frauen, die in der Nähe standen.
»Doch, Max, das muss sein«. Und dann küsste er immer abwechselnd mich und die Lady, die zwischen uns saß. Als er ihr zum Schluss seine Liebe erklären wollte, nahm sie ihre Hand von meinem Oberschenkel und schob ihn zur Tür hinaus.
Mann, haben wir gelacht an diesem Abend!
Am nächsten Tag fuhren wir zum Notar, um den Vertrag beglaubigen zu lassen. Ordnung musste sein, auch unter Freunden. Als Fred dann die Summe hörte, die wir ausgemacht hatten, wurde er noch blasser.
»Stell Dich jetzt bloß nicht an«, sagte ich zu ihm, »ist Dein Handschlag nichts mehr wert?«
Freddieboy war ein Schisser und machte leicht Zicken, wenn es drauf ankam.
»Und was denkst Du«, sagte ich zu ihm, »bekommst Du noch für die alte Hütte? Abgemacht ist abgemacht, alter Junge! Und jetzt sei um alles in der Welt wieder optimistisch und mach nicht so ein Gesicht. In einem Jahr bist Du längst wieder eine große Nummer im Geschäft und lachst darüber.«
Dann unterschrieb er. Es blieb ihm ja auch nichts anderes übrig.
Von dem Tag an änderte sich unser Leben.
Am Anfang nahm ich Fred das Versprechen ab, Jennifer nichts von unserem Vertrag zu erzählen.
»Es ist besser, wenn sie nichts davon weiß«, sagte ich Fred, »Du kennst ja die Frauen. Sie glaubt dann, Du würdest mich nur ausnutzen und sie wird dem guten Geld hinterher jammern. Was wissen Frauen schon von uns Männern, wenn wir Kumpels in Not helfen wollen. Frauen denken nicht so wie wir, glaub mir das.«
»Aber, Fred, mein Junge,« sagte ich zu ihm, »niemals, hörst Du, niemals darf Jennifer davon erfahren.«
Fred nickte nur. War ja auch klar und verständlich.
»Und was unser Abkommen betrifft, genügt es, wenn Du Jennifer ein bisschen unter die Arme greifst, du verstehst schon. Vielleicht mal beim Einkaufen, die schweren Tüten tragen, den Rasen mähen, ach, und Fred, sei so nett und streich mir das Garagentor. Du siehst ja, wie es mir geht.«
Es ging auch ganz gut. Am Anfang.
Jennifer berichtete mir, etwas verwirrt, von den Fortschritten, die Fred machte. Ganz eifrig schien er zu sein. Das Garagentor hatte er auch tatsächlich gestrichen. In einem scheußlichen Gelb. Wie Hühnerdünnschiss. Er meinte, ich würde dann immer die Sonne aufgehen sehen, wenn ich mein Auto holte. Na ja, da musste er eben nächste Woche noch einmal ran. Und die neue Farbe konnte er bezahlen. Er wollte ja die Hühnerkacke.
Wenn ich heute darüber nachdenke, war es eine schöne Zeit.
Wenn ich morgens aufstand, war Freddieboy schon in der Küche, der Kaffee duftete, er fragte mich, wie ich die Eier haben wollte. Oft tranken wir noch ein kleines Schnäpschen zusammen, »zum munter werden!«. Dann schnappte er sich ein Tablett, pfiff ein Lied und ging nach oben, um Jenny das Frühstück zu bringen. Sie schienen länger zu plaudern, denn ich sah ihn erst am Abend wieder.
»Freddie«, sagte ich dann zu ihm, »ich würde es schön finden, wenn du mir meine Hausschuhe bringen könntest, wenn ich nach Hause komme. Du kennst das doch, wenn man sich den ganzen Tag mit Idioten rumschlagen musste.« Und Freddie grinste verlegen, brachte die Hauschuhe und hängte meinen Mantel auf.
Freddie machte all das, was ich bei Jenny immer vermisst hatte. Er dachte an mich.
Freddie machte mein Leben schöner.
Bis er anfing, nachzulassen.
Immer öfter musste ich ihn darauf hinweisen, dass nicht alles so in Ordnung war, wie es sein sollte.
»Fred«, sagte ich zum Beispiel zu ihm, »mir ist gestern Abend ein Bier umgefallen. Direkt über dem vollen Aschenbecher. Sei so nett und kümmere Dich darum.«
Oder ich bat ihn, diese verdammten Bierbüchsen, die wir abends ausgesoffen hatten, doch endlich in den verdammten Müll zu werfen.
»Ich helfe Dir doch, Fred, jetzt enttäusche mich nicht. Oder willst Du wirklich, dass Jennifer oder die Kumpels von Deinen Problemen erfahren?«
Da schaute er mich mit großen Augen an und kniff den Mund gefährlich zusammen. Als ob ein Kaninchen gefährlich schauen könnte. Dann räumte er seinen Dreck weg.
Jetzt sagen Sie doch selbst, ist das zu viel verlangt? Schließlich hatte ER doch auf der Straße gestanden. Und wer hatte ihm sofort geholfen? Ich bot ihm Wärme, Heimstatt, immer einen guten Schluck und DAS VIELE GELD!
Aber es wurde noch schlimmer.
Als ich eines Tages etwas früher nach Hause kam, lief Jennifer völlig aufgelöst in SEIDENER UNTERWÄSCHE durch das Haus und als sie mich sah, fiel sie mir sofort um den Hals. Auf dem Tisch stand ein riesiger Blumenstrauß.
BEI UNS STEHEN NIE BLUMEN AUF DEM TISCH!
Es sei denn Jenny hat mich mal wieder erwischt oder ich habe Geburtstag.
»Wo ist Fred«, fragte ich in ihr Haar. Sie begann wie eine Irre zu lachen, warf sich auf die Couch und erzählte wirres Zeug. Dann goss sie sich einen doppelten Drink ein. Mir bot sie nichts an. Ich hörte aus ihrem Gestammel nur heraus, dass Fred wohl beim Pokern oder Pferderennen eine größere Summe gewonnen haben wollte. Und dass er sie für heute Abend in einen Club eingeladen hatte.
Fred gewann nie.
Fred und Jennifer.
Von meinem Geld.
Es war grotesk!
Ehe ich nachfragen konnte, kam Fred durch die Tür, aufgetakelt wie eine alte Tunte, die es noch einmal wissen wollte.
»Gratuliere, Freddieboy, ist das Dein Hochzeitsanzug? Welches Pferd hat denn gewonnen?«
Als ich über dem Tisch nach einem Bier angelte, fiel mir leider die verdammte Vase um. Das ganze Wasser lief über seine Hose.
»Oh, Freddie, das tut mir jetzt wirklich leid. Aber ich denke, Du hast ja noch Zeit, die Schweinerei hier wegzumachen, ehe ihr Euch endlich in die Arme fallen könnt.«
Jenny schrie mich plötzlich an, was ich nur für ein Dreckskerl wäre, und wenn nun so ein armer Mensch wie Freddie endlich mal ein bisschen Glück hätte und so weiter und so weiter. Dann nahm sie einen Lappen, um das Wasser aufzuwischen. Ich konnte gerade noch dazwischen gehen, hielt sie fest, sehr fest am Handgelenk, sie schrie kurz auf und ich sagte: »Freddie, Du wirst doch nicht Jenny dein ganzes geklautes Grünzeug aufwischen lassen. Soll SIE vor uns knien, in dieser feinen Wäsche? Oder hast Du alles vergessen, was Du gelernt hast?«
Dabei warf ich ihm den Lappen zu, ungeschickt wie er war, griff er daneben, ließ ihn fallen und bückte sich tatsächlich. Freundlich lächelnd sang ich, nur für ihn:
»Oh, er ist ein guter Junge, alle Mädchen seh´n nur ihn!«
Dann ging ich ins Bad, um zu duschen.
An diesem Abend trank ich zu viel und allein trinken ist gottverdammt beschissen. Zum Schluss fiel ich über unseren Glastisch und warf alles zu Boden, die Flaschen, den Aschenbecher, die Schale mit den kleinen Kräckers und das scheußliche rosa Pferd aus Murano, dass meine Frau so liebte.
Ich ließ alles liegen. Wozu hatte ich Freddieboy.
Wann die beiden nach Hause kamen, habe ich nicht mehr gehört.
Es war mir auch egal.
In dieser Woche hatte ich einen neuen Bezirk bekommen, gar nicht so weit weg, wie sonst. Vielleicht wurde es ja wieder besser. Paps war sehr zufrieden mit mir, keine Weiber, kein Alkohol, keine kleinen Schweinereien und ordentliches Geld für ihn. Ich war ein Musterknabe.
Ich stieg in einem kleinen Hotel etwas außerhalb ab. Es war ein grünes Haus, die Wände waren mit wildem Wein zugewachsen, eine Familienpension mit schönem Garten, nicht die übliche Absteige für Vertreter. Alles war grün an diesem Hotel, ein grüner Traum.
Ich war früher fertig geworden an diesem Abend, hatte frisch geduscht und saß bei einem gepflegten Drink in der netten sauberen Stube in dieser hübschen heilen Welt. Paps hätte es gefallen.
Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, stellte mir den nächsten Whisky hin. Sie errötete dabei jedes Mal auf eine ganz zauberhafte Art. Beim dritten Glas bat ich sie, mir doch Gesellschaft zu leisten. Sie trank eine grüne Limonade.
Wir waren ganz allein in der Bar.
Sie roch auf eine verrückte Weise nach Frühling und Flieder und ich ertappte mich, wie ich dabei war, mich zu verlieben.
Max, pass auf, sagte ich mir, du kennst die Weiber, kennst du eine, kennst du alle, aber da war es schon zu spät.
In der letzten Nacht vor meiner Abreise lag sie bei mir im Bett. Ich fühlte mich wie ein junger Kerl, stark, geschmeidig, sogar klug kam ich mir vor, bei allem, was ich ihr in dieser Nacht erzählte.
Am nächsten Morgen schenkte ich ihr einen schmalen goldenen Ring mit einer Perle, nicht besonderes, aber sie weinte etwas und küsste mir die Hand, bevor ich wegfuhr.
SIE KÜSSTE MIR DIE HAND! WOW!!
Während der ganzen Rückfahrt war ich wie besoffen und sang ununterbrochen alle Lieder von Frank Sinatra. Als ich zuhause in die Einfahrt bog, mähte Freddie den Rasen. Das Leben war wieder schön.
Leider blieb nicht alles so wundervoll.
Freddie fing an, das Geld rauszuwerfen. Ich sah es ja, wenn ich nach Hause kam. Er hatte sich einen gebrauchten Wagen gekauft, nicht so alt wie Hookie, von dem er ihn hatte, der selber in den ältesten Karren der Stadt herumfuhr, aber auch nicht so neu, dass man beunruhigt sein musste. Dafür schien er ein Faible für neue Krawatten entwickelt zu haben. Und Hemden. Und Anzüge. Freddie donnerte sich auf. Es fehlte nur noch, dass er sich die Haare färbte.
Eines Tages lud er mich ein: »Max, ich muss dringend mit Dir reden!«
Warum nicht. Freddie war mein Kumpel, was rede ich, MEIN FREUND, und für Freunde bin ich immer da.
Wir hatten schon die ersten drei Schnäpse zu uns genommen und er druckste immer noch herum.
»Was ist los, Fred, langt das Geld nicht? Soll ich Dir noch was geben?«