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Ein vom Krieg gezeichnetes Land – und eine mutige Heldin: Der dramatische historische Roman »Hexengold« von Heidi Rehn als eBook bei dotbooks. Frankfurt am Main im Jahre 1650: Nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges hat sich die ehemalige Wundärztin Magdalena mit dem Kaufmann Eric in der Reichsstadt eine Existenz aufgebaut. Doch als Eric unter dem Vorwand einer Handelsreise überstürzt aufbricht und die junge Mutter allein zurücklässt, legen sich dunkle Schatten über ihr Glück. Was verschweigt er ihr über sein früheres Leben? Magdalena ahnt, dass es mit ihrem Familienerbe zusammenhängt, einem großen Schatz aus Bernstein – und sie weiß auch, wie Macht und Geldgier selbst den edelsten Menschen verderben können. Es bleibt ihr nichts anderes übrig: Sie muss sich auf die weite und beschwerliche Reise in ihre Heimat Königsberg machen, um das Geheimnis um Erics Vergangenheit und ihr Erbe zu lüften – und für ihr Glück zu kämpfen … Hochspannend und bildgewaltig lässt Heidi Rehn das 17. Jahrhundert und ein Europa im Umbruch lebendig werden: »Rehn zeichnet ein überzeugendes Bild der Zeit und schafft eine Heldin, die dem Leser ans Herz wächst«, urteilen die Ruhr Nachrichten. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der opulente Historienroman »Hexengold« von Bestseller-Autorin Heidi Rehn, der zweite Band ihrer farbenprächtigen historischen Familiensaga um die Wundärztin Magdalena, der unabhängig vom ersten Teil gelesen werden kann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 946
Über dieses Buch:
Frankfurt am Main im Jahre 1650: Nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges hat sich die ehemalige Wundärztin Magdalena mit dem Kaufmann Eric in der Reichsstadt eine Existenz aufgebaut. Doch als Eric unter dem Vorwand einer Handelsreise überstürzt aufbricht und die junge Mutter allein zurücklässt, legen sich dunkle Schatten über ihr Glück. Was verschweigt er ihr über sein früheres Leben? Magdalena ahnt, dass es mit ihrem Familienerbe zusammenhängt, einem großen Schatz aus Bernstein – und sie weiß auch, wie Macht und Geldgier selbst den edelsten Menschen verderben können. Es bleibt ihr nichts anderes übrig: Sie muss sich auf die weite und beschwerliche Reise in ihre Heimat Königsberg machen, um das Geheimnis um Erics Vergangenheit und ihr Erbe zu lüften – und für ihr Glück zu kämpfen …
Hochspannend und bildgewaltig lässt Heidi Rehn das 17. Jahrhundert und ein Europa im Umbruch lebendig werden: »Rehn zeichnet ein überzeugendes Bild der Zeit und schafft eine Heldin, die dem Leser ans Herz wächst«, urteilen die Ruhr Nachrichten.
Über die Autorin:
Heidi Rehn, geboren 1966 in Koblenz/Rhein, steht mit ihren mitreißenden historischen Romanen regelmäßig auf den deutschen Bestsellerlisten. Nach einem Studium der Germanistik und Geschichte arbeitete sie als Dozentin und als PR-Beraterin, bevor sie sich als Texterin, Journalistin und Autorin selbständig machte. 2014 erhielt sie den »Goldenen Homer« für den besten historischen Beziehungs- und Gesellschaftsroman. Neben dem Schreiben bietet sie Romanspaziergänge durch die Münchner Innenstadt an, bei denen sich die realen Schauplätze und eindrucksvollen Hintergründe ihrer Romane hautnah miterleben lassen.
Die Website der Autorin: www.heidi-rehn.de
Die Autorin bei Facebook: www.facebook.com/HeidiRehnAutorin
Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/Heidi_Rehn
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin die historischen Krimis »Mord am Marienplatz«, »Tod im Englischen Garten« und »Die Tote am Fluss«; die zwei erstgenannten Bücher sind auch in dem Sammelband »Mord in München« erhältlich.
Außerdem erscheint bei dotbooks ihre große historische Saga um die Wundärztin Magdalena: »Die Wundärztin«, »Hexengold« und »Bernsteinerbe«. »Die Wundärztin« ist bei dotbooks auch als Hörbuch erhältlich.
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eBook-Neuausgabe November 2022
Copyright © der Originalausgabe 2010 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Kathy SG und eines Gemäldes von Christian Georg Schütz »Frankfurt am Main«
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)
ISBN 978-3-98690-342-8
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Heidi Rehn
Hexengold
Historischer Roman
dotbooks.
Fürchte den Bock von vorn,das Pferd von hintenund den Menschen von allen Seiten.
(russisches Sprichwort)
Meiner Schwester
Frankfurt am MainHerbst 1650
Im zweiten Jahr nach Ende des Großen Krieges meinten es die göttlichen Heerscharen gut mit den Frankfurtern. Seit Tagen strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, und es herrschten spätsommerlich milde Temperaturen. Die Ernte auf den Feldern war nahezu eingebracht, in den Weinbergen mainaufwärts versprachen die reifenden Trauben einen hervorragenden Tropfen. Die Herbstmesse präsentierte sich von ihrer besten Seite. In den frühen Morgenstunden schon drängten sich die Schaulustigen in der Stadt. Während des Gottesdienstes lag die Kanzel von Sankt Bartholomäus in goldenem Sonnenschein. Ein Kaufmann aus Holstein deutete das als Fingerzeig Gottes, die Messe und ihre Besucher auch in der nachfolgenden Woche weiterhin mit spätsommerlichem Wetter zu verwöhnen. In Vorfreude auf gute Geschäfte lauschten Kaufleute und Händler der Predigt.
Draußen fasste Magdalena nach der von Sommersprossen übersäten Hand Erics und lächelte ihn an. Wohlige Wärme durchflutete sie, als sie den Blick seiner blauen Augen auf ihren Wangen spürte. »Welch ein Trubel!«, rief sie und schaute von ihrem Platz vor dem Kirchenportal auf die Menschenmenge. »Wie schön, dass du mich hierher mitgenommen hast.« Ein Schatten huschte über Erics Gesicht. Sie schmunzelte. »Keine Sorge, ich werde dich in den nächsten Tagen nicht auf Schritt und Tritt begleiten. Deine Gespräche mit den anderen Kaufleuten interessieren mich weniger. Viel mehr brenne ich darauf, die unzähligen Stände ausgiebig anzuschauen und die Stadt kennenzulernen. Du wirst sehen: Am Ende vergesse ich darüber sogar die Sehnsucht nach unserer kleinen Carlotta. Doch bei der guten Berta weiß ich sie ohnehin in besten Händen.«
Ihre smaragdgrünen Augen sprühten vor Übermut. Sie schüttelte den roten Lockenschopf und reckte das spitze Kinn. Neben dem groß gewachsenen Eric wirkte sie so ein klein wenig stattlicher. Ihre Worte entsprachen allerdings nur der halben Wahrheit. Insgeheim hoffte sie darauf, endlich die Menschen kennenzulernen, mit denen er seit Jahr und Tag regen Handel trieb. Eric durchschaute sie. Ein spöttisches Zucken umspielte seine Mundwinkel. »Das sieht dir ähnlich, Liebes. Seit Jahr und Tag tust du nichts anderes, als dich mit niedlichem Putz zu beschäftigen«, spottete er. Doch dann wurde er ernst: »Sei ehrlich, weder die bunten Seidenbänder noch die prächtigen Samtstoffe oder all der andere Zierat fesseln dich an der Frankfurter Messe. In Wahrheit bist du darauf aus, mit mir an die Börse zu gehen und dir die Leute anzuschauen, mit denen ich verkehre.«
»Was ist falsch daran?«, entgegnete sie verwundert. Abermals meinte sie, in seinem sonnengebräunten Antlitz leichten Unmut zu lesen. Auch wenn im nächsten Moment das vertraute Lächeln zurückkehrte, blieb sie beunruhigt.
»Wie kann ich nur dein ewiges Misstrauen besiegen?«, fragte er leise und beugte sich vor, um sie zu küssen. Sie aber wich zurück. Dass Eric nicht begriff, worauf es ihr ankam, verletzte sie. Wie so oft in den letzten Monaten erschien er ihr mit einem Mal fremd. Niemand ist der, den man seit langem zu kennen meint, schoss es ihr durch den Kopf. Ohne Vorwarnung wurde sie laut: »Sag mir die Wahrheit! Verrat mir endlich, was in den zweimal zwei Jahren geschehen ist, die du gegen Ende des Großen Krieges aus meinem Leben verschwunden bist.«
Der offene Vorwurf traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Sie bereute es sogleich und wollte es wiedergutmachen, doch dazu war es zu spät. »Warum fängst du immer wieder damit an?« Verärgert entriss er ihr die Hand. »Es gibt keine Geheimnisse aus dieser Zeit! Du weißt über alles Bescheid. In den ersten Jahren haben mich die Franzosen festgehalten, und während der zweiten Trennung habe ich versucht, dich wiederzufinden. Als Kaufmannssohn habe ich das viele Herumreisen natürlich auch genutzt, um den Grundstein für unsere gemeinsame Zukunft zu legen. Dabei habe ich wichtige Kontakte geknüpft. Davon zehren wir gerade jetzt, vergiss das nie!« Atemlos hielt er inne und rang nach Luft. Unterdessen kam ihm ein Gedanke. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, abwehrend verschränkte er die Arme vor der Brust. »Jetzt verstehe ich. Du bist mit mir nach Frankfurt gereist, um auf der Herbstmesse herumzuhorchen, ob ich tatsächlich die Wahrheit sage. Wenn du mir nicht traust, sollten wir besser gleich wieder abreisen.« Abrupt drehte er sich um.
»Eric, bleib!« Sie hielt ihn am Arm zurück. »Verzeih mir, bitte.« Ihre Stimme wurde flehentlich, sie senkte den Blick und sprach leise weiter. »Ich wollte dir weder die Laune verderben noch etwas Böses unterstellen. Es ist einfach das untätige Herumsitzen auf Bertas Hof, das mich allmählich in den Wahnsinn treibt. Du bist immerzu unterwegs und erlebst die aufregendsten Dinge, ich aber hocke da und warte, spiele mit Carlotta und schaue dem Unkraut beim Wachsen zu. Kein Wunder, dass mir dabei die unsinnigsten Gedanken kommen!« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schlang ihm die Arme um den Hals. Fest drückte sie den zierlichen Leib gegen seine breite Brust. »Bitte, sei mir wieder gut, Liebster! Du hast recht, es gibt keine Geheimnisse zwischen uns. Ich weiß auch nicht, warum mir das vorhin rausgerutscht ist. Meine Angst, dich noch einmal zu verlieren, ist einfach zu groß. Ein weiteres Mal überstehe ich das nicht. Es war die Hölle, nicht zu wissen, wo du steckst, was du treibst. Die Angst, ob du überhaupt noch am Leben bist.«
Tränen traten ihr in die Augen, und sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Sie spürte, wie versteift er war. Die Finger ihrer rechten Hand glitten um den Bernstein auf ihrer Brust, der unter dem Mieder verborgen war. Sie hoffte, das Pfand ihrer Liebe würde sie vor neuem Unheil bewahren.
Es dauerte, bis Eric sich aus der Starre löste. »Da ist nichts zu verzeihen.« Er löste ihre Arme sanft von seinem Hals und schob sie ein Stück von sich fort. Ein warmer Sonnenstrahl traf ihr Haupt. Das Haar leuchtete kupferfarben, die smaragdgrünen Augen schimmerten feucht. Mit klopfendem Herzen sah sie zu ihm auf. Endlich fuhr er fort: »Ich hätte mir denken können, dass du auf törichte Gedanken kommst, wenn du allein auf Bertas Hof bleibst. Sesshaft zu werden, musst du wohl erst noch lernen. Dabei ist es keine Kunst, an ein und demselben Ort ein zufriedenes und ausgefülltes Leben zu führen. So viele Menschen tun das. Seit zwei Jahren schon herrscht Frieden im Land. Höchste Zeit, dass auch wir das Umherziehen beenden und uns einen Platz suchen, an dem wir die Früchte unserer Arbeit in Ruhe genießen.«
Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Willig gab sie sich der Zärtlichkeit hin. Wenigstens liebte er sie noch immer so leidenschaftlich wie am ersten Tag ihrer Beziehung. Das war das Wichtigste. Alles andere musste dahinter zurücktreten.
Eng aneinandergeschmiegt verließen sie den Vorplatz des Kaiserdoms. Ganz Frankfurt hatte sich in einen riesigen Messeplatz verwandelt. In sämtlichen Winkeln der Stadt präsentierten Händler und Kaufleute aus aller Herren Länder ihre Waren. Der Geruch vertrauter Kräuter mischte sich mit dem Odem exotischer Gewürze, es duftete nach röschen Backwaren und knusprig gebratenen Spanferkeln. Von einer anderen Ecke zog der Geruch nach gegerbtem Leder, gefärbten Stoffen und frisch gehobeltem Holz herüber. Überall entlang des Mainufers, auf dem Römerberg, der Neuen Kräme, dem Liebfrauenberg sowie auf Heu- und Rossmarkt wurde gefeilscht und geschachert. Die patrouillierenden Büttel hatten alle Hände voll zu tun, über Qualität und Preis streitende Kampfhähne voneinander zu trennen. Zwischendrin erklangen immer wieder Aufschreie: »Haltet den Dieb!«, »Ergreift die windigen Betrüger!« Gelegentlich sah man, wie ein Langfinger flink wie ein Kaninchen Haken schlug, um den wütenden Verfolgern zu entkommen.
Die Läden der Einheimischen hatten ihre Pforten weit geöffnet. In Höfen und Hauseingängen priesen Handwerker ihre Erzeugnisse an. Dazwischen zeigten Gaukler und Spielleute halsbrecherische Kunststücke, selbst englische Komödianten boten ihr Können dar. Venezianische Theaterleute umtanzten Magdalena und Eric. Einer bot Eric seine phantasievolle Maske zum Kauf an. »Die würde gut zu dir passen.« Magdalena war begeistert von der verschmitzten Grimasse, Eric aber schob den Spielmann brüsk beiseite. »Ich brauche keine Maske. Ich habe nichts zu verbergen.«
»Es war doch nur ein Spaß!« Rasch zog sie ihn zur nächsten Ecke, wo ein Bauernmädchen bunte Gebinde aus Astern, Veilchen und Vergissmeinnicht anpries. Hinter ihr streckte ein altes Weib Sträuße mit Heilkräutern in die Höhe. Beglückt sog Magdalena den Duft von Rosmarin, Thymian und Salbei ein. Eric erspähte unterdessen einen Bäckerjungen und erstand einen ofenwarmen Schmalzkringel. »Das macht wenigstens satt!«, erklärte er und stopfte Magdalena ein Stück des Gebäcks in den Mund. Seine gute Laune war zurück. Im Weitergehen bissen sie abwechselnd von dem Kringel ab, bis sich ihre Lippen bei der letzten Krume zum innigen Kuss fanden.
Trotz dieser Neckerei entging Magdalena nicht, dass ihr rotblonder Liebster mit der stattlichen Figur und der prächtigen Kleidung Aufsehen erregte. Selbst biedere Bürgersfrauen drehten sich nach ihm um und steckten anschließend tuschelnd die Köpfe zusammen. Wahrscheinlich wunderten sie sich, dass ein so beeindruckender Mann mit einer zierlichen, rothaarigen Frau wie ihr vorliebnahm. Sie lächelte, wusste sie doch, dass auch sie mit ihrem auffälligen Haar, den leuchtend grünen Augen, der makellosen Haut und dem sicheren Auftreten bei nicht wenigen Männern Gefallen fand. Stolz streckte sie die kleine Brust heraus. Ihr dunkelblaues Taftkleid, über dem sie ein fliederfarbenes Tuch mit feiner Spitze trug, raschelte bei jedem Schritt. Eric tat, als merkte er nichts von der Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwurde. Hin und wieder grüßte er einen Bekannten, blieb allerdings selbst auf nachdrückliche Einladung bei niemandem längere Zeit stehen. Ihr war das nur recht, schenkte ihnen das ausreichend Muße, die mannigfaltigen Eindrücke gemeinsam zu genießen. »Wir müssen daran denken, Carlotta etwas Besonderes mitzubringen«, sagte sie, als sie bei einem Händler einen Ballen edelsten Kamelhaarstoffs entdeckte. Versonnen befühlte sie das weiche Material. »Daraus könnte Berta uns allen dreien ansehnliche Wintermäntel nähen.«
»Lass uns das in den nächsten Tagen entscheiden.« Plötzlich wirkte Eric unruhig und zog sie weiter. Erstaunt beobachtete sie, wie er mehrmals über die Schulter zurückschaute. »Was hast du?«, fragte sie und versuchte, seinen Blicken zu folgen.
»Nichts«, beeilte er sich zu versichern und legte ihr den Arm um die Schultern. Flüchtig hauchte er ihr einen Kuss aufs Haar und zeigte nach vorn. »Schau, das dort hinten interessiert dich bestimmt.«
Mit großen Schritten eilte er in die Richtung einer engen Gasse. Die Sonne reichte nicht weit in die Häuserschlucht hinein. Magdalena brauchte eine Weile, bis sie in der Dämmerung Genaueres erkennen konnte. Unzählige kleine Läden reihten sich aneinander. Mehrere Büttel zogen ihre Bahnen und warfen drohende Blicke, von denen sich die Schaulustigen jedoch nicht einschüchtern ließen. Sie schlenderten neugierig umher, blieben mal hier, mal dort stehen und bestaunten die Auslagen. Endlich begriff Magdalena, was hier gehandelt wurde: In den Läden präsentierten die Händler ein reiches Angebot an Juwelen, Silber und Gold, selbst Bernstein gab es in allen erdenklichen Größen und Güteklassen, mit und ohne Einschlüsse von Insekten, poliert oder noch im Rohzustand. Unwillkürlich fasste sie sich an die Brust, spürte die beruhigende Erhebung, die ihr eigener Bernstein unter dem Mieder warf. Ein Stein dieser seltenen Beschaffenheit würde ein Vermögen erzielen. Für sie aber war der honiggelbe Talisman mit dem sechsbeinigen Insekt unbezahlbar. Eric hatte ihn ihr einst als Pfand ihrer Liebe geschenkt. Wurden sie getrennt, führte er sie immer wieder zusammen. Wie verlässlich seine Kraft war, hatte er in der Vergangenheit mehr als ein Mal bewiesen. An die Gasse mit den Schmuck- und Bernsteinhändlern schlossen sich breitere Straßen an, in denen vor allem Leder, Stoffe und Pelze angeboten wurden.
Obwohl sie nun schon lange auf den Beinen waren, wurde Magdalena nicht müde, sich alles anzusehen. Am meisten reizten sie die Bücher, die an den Straßenecken angepriesen wurden. »Dafür ist Frankfurt hinlänglich bekannt«, belächelte Eric ihre Entzückensrufe. Kein einziges Mal jedoch blieb er stehen, wenn sie in den Stapeln wühlen wollte. »Die kannst du dir alle später noch anschauen, wenn du allein unterwegs bist.«
»Was hast du vor?«
»Nichts Besonderes«, wiegelte er ab und erklärte nach einigem Zögern, als wäre es ihm gerade erst eingefallen: »Komm, ich zeige dir das Haus, in dem der Kaiser bei seinen Besuchen in Frankfurt residiert.«
»Ist der hohe Herr da? Dann wird es Zeit, dass wir ihm unsere Aufwartung machen.« Liebevoll puffte sie Eric in die Seite. Er aber drängte bereits weiter. Sie kamen nicht weit, weil der Trubel auf dem Römerberg und der Neuen Kräme ein rasches Vorankommen verhinderte. Bald schien es unmöglich, auch nur in die Nähe des Liebfrauenbergs mit dem Haus Braunfels zu gelangen. Mehr und mehr kamen Magdalena und Eric von dem direkten Weg ab, bis sie sich schließlich am Rande des Römerbergs wiederfanden. Erst im letzten Moment konnte Magdalena einem Knecht ausweichen, der ein Weinfass aus einem Hoftor rollte. Dabei stieß sie Eric gegen einen entgegenkommenden Mann. Wütend entrüstete sich dieser. »Pass gefälligst auf!«
Doch als der Mann erkannte, wer ihn angerempelt hatte, verzog sich seine erboste Miene zu einem erfreuten Lachen. »So ein Zufall! Eric! Was machst du hier?« Schon breitete er die Arme zum Willkommensgruß aus.
Statt in ebensolche Freude auszubrechen wie sein Gegenüber, rang sich Eric nur ein wohlwollendes Lächeln ab. Neugierig wartete Magdalena, dem Fremden vorgestellt zu werden. Eric aber schien ihre Anwesenheit vergessen zu haben. Der Fremde war nicht ganz so groß, dafür kräftiger gebaut als er. Der Kleidung nach mochte er ein ähnlich erfolgreicher Kaufmann sein: Die Kniehosen und der Rock waren aus feinstem Tuch gearbeitet, das Hemd unter dem Wams war von weißer Seide und elegantem Schnitt. Kurz lupfte er den modischen Spitzhut zum Gruß. Hellbraune Locken, die von ersten Silberfäden durchzogen waren, blitzten darunter hervor. An den Schläfen lichtete sich die Pracht allerdings deutlich. Daraus schloss Magdalena, dass er einige Jahre älter war als Eric. Die ordentlich gestutzten Barthaare zeigten sich von ebenso lichtem Braun wie das Haupthaar, selbst die Augen schienen von der gleichen Farbe. Das Auffälligste an dem Mann aber war seine Nase. Einem gewaltigen Erker gleich, ragte sie weit aus dem Gesicht.
»Vinzent!«, rief Eric endlich aus. »Welch Überraschung, dich hier zu treffen.« Er schaute auf Magdalena und schien sich erst jetzt wieder an ihre Anwesenheit zu erinnern. Offenkundig suchte er nach passenden Worten, sie vorzustellen. Es zuckte um seine Mundwinkel, oberhalb der Nasenwurzel gruben sich zwei steile Falten ein. Als sich ihre Blicke trafen, zwinkerte sie ihm aufmunternd zu. Verlegen hüstelte er in die Faust, um schließlich zu erklären: »Das ist meine Gemahlin Magdalena.«
Sie stutzte. Nie zuvor hatte er sie als seine Ehefrau ausgegeben. Seit längerem sprachen sie zwar voneinander als Eheleuten, waren aber noch immer nicht rechtmäßig miteinander verheiratet. In all den Aufregungen nach dem Friedensschluss von Münster und dem dadurch ermöglichten Wiedersehen hatten sie einfach nicht die Zeit gefunden, das Eheversprechen vor Gott und aller Welt abzulegen.
»Wie schön, endlich Eure Bekanntschaft zu machen, Verehrteste.« Steinacker lupfte abermals den Hut und verbeugte sich tief. Der Blick seiner hellbraunen Augen glitt neugierig über ihre zierliche Gestalt. »Ich bin übrigens ebenfalls in Begleitung meiner Angetrauten.« Er winkte eine hochgewachsene Frau herbei, die nicht weit entfernt an einem Stand mit Büchern stand. »Adelaide, komm her und sieh, wen ich im Getümmel aufgespürt habe.«
So schnell, wie sie daraufhin das Buch in ihrer Hand zuklappte und zur Seite legte, konnte sie unmöglich in die Lektüre vertieft gewesen sein. Magdalena war sich gewiss, dass die schwarzhaarige Adelaide das unverhoffte Aufeinandertreffen die ganze Zeit schon aufmerksam beobachtet hatte.
Als sie näher kam, musterten die beiden Frauen einander unverhohlen. Die makellose Schönheit der Fremden erfüllte Magdalena mit aufrichtiger Bewunderung. Adelaides Augen waren nahezu ebenso schwarz wie ihr Haar, das sie züchtig mit einer hellen Haube aus durchbrochener Spitze bedeckte. Den Verlauf der hohen Wangenknochen hatte sie durch leichten Puder betont, ebenso waren ihre Lippen dunkelrot geschminkt. Umso heller strahlte ihre makellose weiße Haut. Kerzengerade ragte der lange Hals empor. Der weite Ausschnitt des dunkelgrünen Damastkleids ließ der Vorstellungskraft des Betrachters genügend Raum, sich die gelungene Form der Brüste auszumalen. Trotz der beeindruckenden Körpergröße waren Adelaides Bewegungen äußerst grazil. Huldvoll nickte sie Eric zu und reichte Magdalena die schlanke Hand. Dabei spitzte sie kurz die Lippen. Ihrer Mimik war nicht zu entnehmen, welchen Eindruck Magdalena auf sie machte. So schön sie war, genügte Magdalena ein Blick auf Eric, um zu wissen, dass sie ihn gefahrlos mit dieser Frau allein lassen konnte. Die so offen zur Schau gestellten Reize prallten an ihm ab. Dennoch wich er Adelaides Blick verlegen aus.
Magdalena kam nicht dazu, sich länger darüber zu wundern, da Adelaide das Wort an sie richtete. »Es scheint, als hätten unsere Männer nicht damit gerechnet, dass wir uns einmal so unverhofft begegnen.« Ihre Stimme klang dunkel, hatte etwas Betörendes, gar Geheimnisvolles. »Warum sonst nennen sie uns gegenseitig nur unsere Namen? Dabei gäbe es doch so viel mehr über uns zu sagen, was wir unbedingt voneinander wissen sollten, nicht wahr, meine Liebe?«
Sie lächelte und legte ihrem Gatten die Hand auf die Schulter. Die offene Zurechtweisung war ihm sichtlich unangenehm, gleichzeitig fehlten ihm die Worte für eine geistreiche Bemerkung. Leicht vorgebeugt verharrte er, als wollte er sich Eric gegenüber, der ihn um gut eine Handbreit überragte, noch kleiner machen. Adelaide dagegen hielt sich betont aufrecht. Nahezu gleich groß wie ihr Gemahl wirkte sie dank dieser Geste noch imposanter.
Verblüfft gestand sich die zierliche Magdalena ein, dass es Adelaide binnen weniger Augenblicke gelungen war, sie vollständig in ihren Bann zu ziehen. Ihre Mimik verriet, dass sie das für selbstverständlich erachtete. Kein Zweifel, diese Frau war es gewohnt, ihre Umgebung sogleich in Freund und Feind zu teilen. Ersteres war erstrebenswert, Letzteres gewiss ein Alptraum. Magdalena hoffte, diese Erfahrung bliebe ihr zeit ihres Lebens erspart.
Als Erster der beiden Männer fand Eric die Sprache wieder. »Eben weil ich bereits weiß, welch großer Verlust es wäre, dir niemals begegnet zu sein, Adelaide, erübrigt es sich, viele Worte über all deine Vorzüge zu verlieren.« Als er den Kopf hob, umspielte der altbekannte Ausdruck von Spott seine Mundwinkel. Ein Anflug von Unsicherheit erfasste Magdalena. Seltsam, dass Eric ihr nie von dieser ungewöhnlichen Frau erzählt hatte. Dabei duzte er sie und war offensichtlich bereits vertraut mit ihr. Sie tastete nach dem Bernstein unter dem Mieder und hielt ihn fest.
»Keine Sorge, Ihr habt nichts zu befürchten, meine liebe Magdalena.« Adelaide hakte sich bei ihr unter und zog sie einige Schritte von den Männern weg. Nichts in ihrem Verhalten verriet, ob sie Magdalenas Geste mit dem Stein bemerkt hatte. »Euer Gemahl verheimlicht Euch nichts. In den letzten Jahren ist er oft Gast in unserem Hause gewesen. Die beiden Herren machen seit langem gute Geschäfte miteinander. Dass sie uns nicht über alle ihre Schritte auf dem Laufenden halten, sollten wir Frauen nicht überbewerten. Gehen wir einfach davon aus, dass sie wissen, was sie für uns tun.«
Magdalena wollte widersprechen. Adelaide schien nicht die Frau, die sich vorbehaltlos in die Hände ihres Gatten begab. Zudem missfiel ihr, wie selbstverständlich sie Eric in die Bemerkung einbezog. Wie konnte sie sich anmaßen, sich derart über ihn zu äußern? Adelaide ahnte ihren Widerspruch und legte beschwörend den Finger auf die Lippen. Zugleich schüttelte sie sacht den Kopf. Als wären sie seit Jahren gut miteinander bekannt, wechselte sie die Anredeform und sprach leise auf sie ein. »Ich denke, meine Liebe, wir beide sind uns einig, dass es so besser ist. Nicht alles von den Männern zu wissen schenkt uns Frauen ebenfalls wertvolle Freiheiten. So wie ich dich einschätze, lässt du dir von Eric auch nicht gern in deine Angelegenheiten hineinreden, oder?«
Verschwörerisch zwinkerte sie ihr zu. Magdalenas Wangen begannen gegen ihren Willen zu glühen. Rasch sah sie zu Boden, damit die andere die Röte nicht bemerkte. Adelaide schien das Talent zu haben, mit einem einzigen Blick selbst die verborgensten Geheimnisse zu erfassen.
»Hat Eric dir schon euer neues Heim an der Fahrgasse gezeigt?« Adelaide war wieder zu den Männern getreten und sah nun fragend zwischen Eric und Magdalena hin und her. »Ein wundervolles Haus. Ich bin sicher, ihr werdet euch sehr wohl darin fühlen.«
»Wieso ›unser‹ neues Heim in der Fahrgasse?« Magdalenas Stimme klang heiser. »Von welchem Haus redest du?« Erstaunt sah sie zu Eric. Der wirkte wie vom Donner gerührt. Adelaide tat, als bemerkte sie nichts von der eigenartigen Stimmung, und redete einfach weiter: »Du musst wissen, unser guter Oheim selig hat das Anwesen stets in Ehren gehalten. Selbstverständlich haben wir seit seinem Tod vor wenigen Wochen nichts daran verändert. Ihr beide sollt euer rechtmäßiges Erbe schließlich genauso antreten, wie er es immer gewollt hat.«
»Welches Erbe? Welcher Oheim?« Magdalena trat neben Eric und rüttelte ihn leicht am Arm. »Worum geht es überhaupt? Ich weiß nichts davon, dass du Bertas Gehöft bei Rothenburg verlassen willst.«
Ihr Blick wanderte zwischen ihm und Steinacker hin und her. Allmählich begriff sie. »Es gibt also einen gemeinsamen Oheim. Das heißt, ihr beide seid verwandt, seid also Vettern.«
Betreten schwiegen die Männer und bestätigten die Feststellung nur mit einem leichten Nicken.
Magdalena betrachtete Erics aus dem Nichts aufgetauchten Verwandten ausgiebig. Weder in seinem Antlitz noch in seiner Gestalt fand sich die geringste Ähnlichkeit. Die Erinnerung an einen anderen Vetter Erics erwachte in ihr. Der schwedische Hauptmann Christian Englund hatte sie mehrere Wochen in einem Würzburger Kloster gefangen gehalten. Abermals tastete sie nach dem Bernstein. Auch von Englunds Verwandtschaft mit ihrem geliebten Eric hatte sie damals unvermutet erfahren. Nur mit Glück war sie kurz zuvor dem grausamen Tod durch seine eigene Hand entronnen.
Ihr Blick lag weiter auf Steinacker. Sein Lächeln wirkte steif. Zumindest schien ihr von diesem neuen Vetter keine körperliche Gewalt zu drohen. Dennoch verstärkte sich das anfängliche Unbehagen ihm gegenüber. Gutes, dessen war sie sich schließlich sicher, hielt er nicht für sie bereit.
Indes ging ein Ruck durch Erics Körper. Ein Leuchten blitzte in seinen blauen Augen auf. Er nahm ihre Hand, führte sie zum Mund und küsste sie. »Das alles sollte eine Überraschung sein, Liebste. Gleich nachher wollte ich dir das Haus zeigen und dir bei dieser Gelegenheit von einem weiteren Zweig unserer großen, infolge des Krieges leider weit verstreuten Familie erzählen.«
Laut atmete Steinacker aus und sah vorwurfsvoll zu seiner Frau. »Was hast du da nur wieder angestellt, Adelaide? Jetzt hast du unserem Eric die schöne Überraschung verdorben!« Er tätschelte seiner Gemahlin mit einem verschmitzten Lächeln die Wange. Die ließ es geschehen und verzog keine Miene, als sie trocken feststellte: »So, habe ich das? Das tut mir jetzt aber aufrichtig leid. Mir war gar nicht bewusst, dass ich meiner Base gegenüber unsere Verwandtschaft geheim halten muss. Dabei freue ich mich doch so sehr über den Familienzuwachs.«
Sie raffte den Rock und knickste übertrieben unterwürfig erst vor ihrem Gatten und dann vor Eric. Magdalena dagegen zwinkerte sie ein weiteres Mal verschwörerisch zu: »Habe ich es dir nicht eben erst gesagt, meine Liebe? Unsere verehrten Herren denken sich immer etwas dabei, wenn sie uns nicht gleich über alles informieren. Wir sollten sie wohl einfach gewähren lassen. Es geschieht gewiss nur zu unserem Besten. Jetzt aber zählt vor allem eines: Wir beide gewinnen einander als Basen. Das lässt mein Herz vor Glück schier überschäumen! Noch dazu, wo ich weiß, dass ihr euch zudem über eine einträgliche Erbschaft freuen könnt.«
Stürmisch umarmte sie sie. Magdalena erstarrte. Der Veilchenduft, der Adelaide umwehte, schien ihr einen Hauch zu aufdringlich. Ebenso empfand sie den Freudenausbruch als übertrieben. Zudem stieß ihr der Gedanke, wieder eine Base zu haben, bitter auf. Die Erfahrungen mit ihrer leiblichen Kusine Elsbeth waren nicht weniger durchwachsen gewesen als die mit Erics Vetter Englund. Zwar war seither viel Wasser den Main heruntergeflossen, dennoch suchten sie die Erlebnisse in so manchen Alpträumen weiterhin heim. Demzufolge schenkte sie Adelaide nur ein gezwungenes Lächeln. Das sonnige Frankfurt schien auf einmal von der Vergangenheit überschattet. Sie schwankte, ob sie sich bereits wieder stark genug fühlte, den Kampf aufzunehmen. Ihre Finger umklammerten den Bernstein und erflehten seinen Beistand. »Lass uns umkehren«, flüsterte sie Eric zu. »So schnell will ich unser neues Zuhause gar nicht kennenlernen.«
Eric hatte nicht zu viel versprochen. Sobald Magdalena das Haus erblickte, vergaß sie ihre Bedenken. Stolz und mächtig, ohne jeden überflüssigen Zierat, schob es sich an der Ecke der Fahrgasse ins Blickfeld. Er lenkte den Wagen an den Straßenrand und hielt an. Seit der Herbstmesse waren etwas mehr als fünf Wochen vergangen. Zeit genug, die Nachricht von dem unerwarteten Erbe zu verdauen und sich mit der Zukunft als Kaufmannsfrau in Frankfurt auseinanderzusetzen.
Neugierig betrachtete sie das Anwesen. Das Haus war aus Stein und hob sich so von den benachbarten Gebäuden ab, die lediglich ein ebenerdiges Steingeschoss und darüber die fragile Fachwerkkonstruktion vergangener Jahrhunderte aufwiesen. In gebührendem Abstand duckte sich das gedrungene Gebäude der Mehlwaage auf dem weitläufigen Vorplatz. Die Vorzüge der Lage lagen auf der Hand: Das neue Zuhause befand sich zwar mitten in der Stadt, strahlte aber dennoch weder Enge noch Bedrängnis aus. Selbst der Schatten des mächtigen Doms im Westen rückte dank des auslaufenden Garküchenplatzes nicht zu nah an das Anwesen heran. Golden spiegelte sich die Nachmittagssonne auf den blank geputzten Fensterscheiben der oberen Geschosse. Hauswände und Tor wirkten sauber geschrubbt, die Gasse davor war ordentlich gefegt und bar jeglichen Unkrauts. Einige Bauersfrauen kauerten mit ihren Huckelkiezen an der Straßenecke und boten Äpfel, Birnen und Kräuter feil. Schon kam ein bärtiger Mann aus dem Hoftor und scheuchte sie fort. Im nächsten Moment entdeckte er den Wagen und winkte.
Magdalena rutschte auf dem schmalen Kutschbock nach vorn. Drei Stockwerke mit jeweils zwei großen Fenstern nach Süden zählte sie. Ein hoher Stufengiebel fand sich Richtung Osten. Direkt darunter vermutete sie weitere Kammern oder zumindest einen großen Speicher, der sich bestimmt als Trockenboden für Kräuter sowie als Lagerraum für Mineralien und sonstige Utensilien eignete, die sie für ihre Rezepturen benötigte. Lächelnd lehnte sie sich zurück. Unbeabsichtigt hatte Eric ihr mit dem Haus einen großen Gefallen getan: Es war wie dafür geschaffen, ihre Tätigkeit als Wundärztin wieder aufzunehmen.
»Zufrieden?« Eric nahm die Zügel locker in die linke Hand und legte den rechten Arm um ihre Schultern. »Endlich ein Zuhause, endlich ein eigenes Dach über dem Kopf! Dort wirst du uns ein gemütliches Nest einrichten. Jetzt, da wir richtig verheiratet sind, ist es Zeit, mehr Kinder in die Welt zu setzen und eine große Familie zu gründen! Als tüchtige Hausfrau wirst du prächtig für uns sorgen. Für immer und ewig können wir in diesem Haus miteinander leben. Davon habe ich all die Jahre geträumt.« Er hauchte ihr einen Kuss auf den Kopf, schnalzte mit der Zunge und trieb die Braunen wieder an.
Magdalena versteifte sich. So schnell, wie sie aufgeflammt war, erlosch ihre Freude an dem neuen Heim. Ihre eigenen Wünsche spielten für Erics Zukunftspläne keine Rolle. Dabei wusste er, wovon sie seit jeher träumte. Bei ihrer Heirat vor zwei Wochen auf Bertas Hof hatten sie erst wieder darüber gesprochen. Es schmeckte bitter, sich einzugestehen, dass er sie nach all den Jahren weiterhin verkannte. Sie rückte von ihm ab, schlang das leichte Wolltuch enger um die Brust und schob die Hände unter die angewinkelten Arme. Noch besaß die milde Herbstsonne ausreichend Kraft, angenehm zu wärmen. Trotzdem fröstelte sie, brachte es aber nicht mehr über sich, sich wieder eng an Erics Schulter zu schmiegen. Steif verharrte sie neben ihm auf dem Wagen, während sie gemächlich auf ihr neues Heim zuzockelten. Eric schien ihren Stimmungswandel nicht zu bemerken.
»Die warten schon auf uns!« Die fünfjährige Carlotta sprang auf und zeigte aufgeregt zum Hoftor. Eine Handvoll Leute hatte sich dort aufgereiht und sah ihnen entgegen. Die Kleine wollte nicht mehr stillhalten und trippelte auf dem Kutschbock umher. Es kostete Magdalena Kraft, ihre Tochter festzuhalten.
»Schau nur, das Gesinde hat sich für uns versammelt.« Die Aufregung des Kindes steckte Eric an. In diesem Moment erfüllte sich sein Lebenstraum. Mit stolzgeschwellter Brust kutschierte er sie ans Ziel.
Magdalena schalt sich innerlich für ihre Unfähigkeit, das neue Glück in vollen Zügen zu genießen. Besser würde sie es nie mehr im Leben treffen, durchzuckte es sie. Trotzdem kam keine Freude in ihr auf.
»Vorsicht!«, rief Eric und lenkte das Gefährt durch das enge Hoftor. Die Kisten auf dem hoch beladenen Wagen schwankten gefährlich. Sofort sprang der kräftige Mann mit dem dunklen Bart zu Hilfe, griff geschickt ins Zaumzeug und brachte die beiden Braunen rechtzeitig zum Stehen.
»Herzlich willkommen!« Eine kleine, rundliche Frau mit roten Apfelbäckchen trat nach vorn und verneigte sich ehrerbietig. Ihre hellen Augen glänzten, als Carlotta flink von dem hohen Wagen sprang. Geschwind folgte Magdalena der Kleinen nach, insgeheim darauf bedacht, Eric zuvorzukommen, damit er nicht auf die Idee verfiel, sie vom Wagen herunterzuheben.
Daran dachte er jedoch nicht im Geringsten. Breitbeinig stand er bereits auf der Schwelle zur Diele. Den spitzen Hut in der Hand, leuchtete sein rotblonder Haarschopf im Sonnenlicht. Selbst auf die Entfernung mehrerer Schritte nahm Magdalena das Strahlen seiner blauen Augen wahr. Um die Mundwinkel huschte das wohlbekannte Zucken. Auf einmal wirkte er nicht mehr wie der gestandene Kaufmann von Anfang dreißig, sondern wie der ungestüme Geselle von zwanzig Jahren, der Bäume ausreißen konnte. Wehmütig erinnerte sich Magdalena, wie rückhaltlos sie sich damals in ihn verliebt hatte. Selbst auf dem Sterbebett hatte sie ihrem Vater nicht versprechen können, von dieser Liebe zu lassen. Was hinderte sie in diesem Augenblick daran, sich in Erics Arme zu stürzen? Als erriete er ihre Gedanken, breitete er bereits einladend die Arme aus. Magdalena wollte zu ihm laufen, doch ihre Beine rührten sich nicht von der Stelle.
An ihrer Stelle hüpfte Carlotta übermütig wie ein junges Zicklein los. Die rotblonden, zu zwei strengen Zöpfen gebändigten Locken flatterten munter um den kleinen Kopf. Noch auf dem Wagen hatte sie die ungeliebten Schuhe und Strümpfe abgestreift. Nackt lugten die Füße unter dem roten Rock hervor, aufjuchzend flog sie in die Arme ihres Vaters. Gemeinsam wirbelten sie zwei-, dreimal um seine Achse. Magdalena konnte den Blick nicht von ihnen wenden. Ein Stich fuhr ihr ins Herz. Vielleicht hatte Eric recht. In einer großen Familie mit vielen Kindern lag womöglich das wahre Glück. Sie sollte aufhören, sich dagegen zu stemmen.
»Warum kommt Ihr ausgerechnet heute?« Die rundliche Alte watschelte auf krummen Beinen näher zu ihr. Magdalena wandte den Kopf und betrachtete sie. Die Frage klang aufrichtig besorgt. Von einem Moment zum anderen hatten die hellen Augen der Frau das unbekümmerte Leuchten verloren. Spärlich kräuselten sich graue Haarsträhnen auf der breiten Stirn. Das blütenweiße Kopftuch war eng um den runden Schädel gebunden. Schürze und Rock wirkten sauber, Hände und Unterarme waren rau geschrubbt. Kein Zweifel, die Köchin hatte sich alle Mühe gegeben, einen guten Eindruck auf die neue Herrschaft zu machen.
»Warum nicht?« Noch während sie fragte, ahnte Magdalena, worauf die Frau hinauswollte. Die Alte aber kam ihr zuvor: »Mittwoch ist kein Tag, an dem man ein neues Haus bezieht. Mittwoch ist gar kein rechter Tag für irgendwas, am allerwenigsten für Neues. Reisen sollte man meiden, kein Brot backen und nicht aufs Feld hinausfahren. Auch sollte man an diesem Tag keine neuen Mägde oder Knechte dingen und nicht das Haus putzen.«
»Und auch nicht heiraten«, ergänzte Magdalena und dachte mit Schrecken, dass sie diese Regel vor vierzehn Tagen erst missachtet hatte. Sichtlich beeindruckt trat die Köchin einen Schritt zurück. Magdalena musterte sie. Sie waren fast gleich groß. Die Lippen der Köchin waren ein wenig zu schmal und gerade für das volle Mondgesicht, vielleicht ein Hinweis, dass sie zur trüben Sicht auf die Dinge neigte. Dennoch strahlte sie Herzenswärme aus. Beruhigend legte Magdalena ihr die Hand auf die Schulter und fügte lächelnd hinzu: »Du vergisst, dass heute der Sommer in den Herbst übergeht. Der Durchzug der Jahreszeiten bedeutet immer Glück. Gerade heute ist noch dazu ein wichtiger Lostag und gleichzeitig der Tag des heiligen Matthäus. Was kann einem Kaufmann Besseres passieren, als an seinem Tag ein neues Geschäft zu beginnen? Genau das tut mein Gatte gewissermaßen mit dem Einzug in das Kontor seines verstorbenen Oheims.«
Die Köchin zeigte sich besänftigt, allerdings weniger, weil die Worte sie überzeugten, als vielmehr, weil die neue Herrin gleich gewusst hatte, was es mit dem Mittwoch auf sich hatte. Magdalena dagegen spürte, wie ihr Unbehagen angesichts des Neubeginns in Frankfurt abermals zunahm.
»Wie heißt du?«, fragte sie die Köchin, um sich auf andere Gedanken zu bringen. »Hedwig«, antwortete die rasch und sah sie offen an. Es war, als schaute sie tief in Magdalena hinein, die rasch den Blick abwandte und über den gepflasterten Hof schweifen ließ. An der rückwärtigen Seite befanden sich die Stallungen, links davon lagen ein kleiner Hühnerstall, das Waschhaus sowie die Küche. In der Ecke war ein überdachter Brunnen. Auf der rechten Hofseite schlossen sich weitläufige Lagerräume an. Zwei junge Mägde und zwei Knechte hatten unter Anweisung des mürrischen Bärtigen bereits begonnen, den Wagen abzuladen. Das Rufen und Singen überdeckte das Schweigen. Überrascht bemerkte Magdalena, dass weder Federvieh noch Katze oder Hund zu sehen waren. »Wo ist das Vieh, Hedwig?«, fragte sie.
»Das haben Hermann und die anderen Knechte in der Früh fortgebracht und verbrannt.« Sie nickte zu dem Bärtigen hin. Das war also Hermann, der Verwalter von Haus und Hof, von dem Eric bereits erzählt hatte. Schon sprach Hedwig weiter. »Bis auf die letzte Maus und die dünnste Feder hat er alles ins Feuer geworfen. Die Steinackerin wollte nicht, dass etwas davon übrig bleibt, geschweige denn, dass Ihr davon esst.« Verbissen kniff sie die Lippen zusammen. Es war nicht zu übersehen, als welch üble Verschwendung sie das erachtete.
»Warum?« Verständnislos schüttelte Magdalena den Kopf. Hatte Eric nicht erzählt, dass er nicht nur das Handelskontor, sondern den gesamten Hausstand, also sämtlichen Besitz bis zum letzten Löffel und zur allerletzten Erbse aus der Vorratskammer, von seinem Onkel geerbt hatte? Bei ihrer ersten Begegnung auf der Messe hatte Adelaide davon gesprochen, nicht das Geringste davon anzurühren, bis Eric und sie es übernahmen. »Wie kommt die Steinackerin dazu, das zu verfügen?«
»Soweit ich weiß, war es noch nicht Euer Vieh. Die Steinackerin hat in den vergangenen Monaten alles getan, damit es dem alten Herrn, Eurem Oheim, in seinen letzten Stunden an nichts fehlt. Sie hielt es für ihre Pflicht, bis zuletzt auch für das Vieh zu sorgen. Weil aber keiner wusste, wie Ihr es damit haltet ...« Sie hob die Arme und setzte ein verwirrtes Gesicht auf, bis sie schließlich die Hände wieder sinken ließ und kopfschüttelnd fragte: »Ach, was rede ich da? Ich weiß doch auch nicht, weshalb sie die letzten Kräutersäcke und Mineralien oben auf dem Dachboden gestern Abend noch eigenhändig ins Feuer geworfen hat. Kein Staubkorn aus dem Besitz Eures Oheims liegt noch irgendwo im Haus herum. Am besten fragt Ihr sie selbst, warum sie sogar das Kleinvieh hat fortschaffen lassen. Nachher werden sie und ihr Gemahl wohl kommen, um Euch ihre Aufwartung zu machen.«
Hedwig winkte eine der Mägde herbei und erteilte ihr in barschem Ton Anweisungen, Gemüse zu putzen und das Herdfeuer in der Küche anzuschüren. Ohne ein weiteres Wort raffte sie den Rock und ging ebenfalls in die Küche. Wie sie dabei die breiten Hüften wiegte und die krummen Beine bewegte, sah Magdalena auf einmal Roswitha vor sich. Beschämt wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dass ihr früheres Leben sie in Frankfurt auf Schritt und Tritt einholte! Nie würde sie die alte Hebamme vergessen. Ein Großteil ihres Lebens hatte sie ihr wie ein Schutzengel zur Seite gestanden. Berta, die Bäuerin auf dem Hof nahe Rothenburg, bei der sie die letzten beiden Jahre verbracht hatte, war ihr ebenfalls ähnlich gewesen. Es war wohl ein Wink des Schicksals, dass solche Frauen immer wieder ihren Weg kreuzten.
Magdalenas Gedanken wanderten zu Adelaide, der Steinackerin, wie die Köchin sie nannte. Ein wahrhaft dunkler Engel, der Erics Oheim in dessen Todesstunden gepflegt hatte. In jedem Winkel des Anwesens schien ihr Schatten gegenwärtig. Magdalena lachte auf. Eine seltsame Laune, ihnen jegliches Vieh aus den Ställen zu nehmen. Die neu gewonnene Base schien für Überraschungen gut. Langweilen würde sie sich in deren Nähe bestimmt nicht.
»Magdalena, wo bleibst du?« Ungeduldig rief Eric aus einem offenen Fenster im ersten Stock des Wohnhauses. »Carlotta hat sich schon die schönsten Räume im Haus ausgesucht. Wenn du nicht bald kommst, bleibt dir nur der Hühnerstall als Unterschlupf.«
»Bin schon da.« Auch wenn sie sich innerlich sträubte, blieb ihr nichts anderes übrig, als Mann und Kind zu folgen und das neue Heim mit ihnen gemeinsam in Besitz zu nehmen. So lange zu warten, bis der Donnerstag anbrach und die Aussichten für Neues besser standen, würden weder Eric noch Carlotta dulden.
Adelaide fand es unangemessen, den Weg zu den Grohnerts zu Fuß zurückzulegen. Nicht einmal die laue Spätsommerstimmung konnte sie dazu ermuntern. Laut Kalender begann an diesem Tag der Herbst. Ein Grund mehr, sich wenn schon nicht mit der Kutsche, dann doch wenigstens mit einer Sänfte zum Antrittsbesuch bei Vinzents Vetter und neuem Teilhaber in die Fahrgasse bringen zu lassen. Gerade weil die Grohnerts an ihrer statt das schmucke Anwesen des Oheims in der Fahrgasse fortan ihr Eigen nannten, war es wichtig, dass Vinzent nie vergaß, was er sich und vor allem ihr als seiner Ehefrau schuldete: angesichts der an Eric abgetretenen Erbschaft nun erst recht das Gesicht zu wahren.
Prüfend wiegte sie die Hüften vor dem mannshohen Spiegel im Wäschekabinett. Dabei zupfte sie die Enden des leichten Gazeumhangs zurecht. Wie bei den meisten ihrer Kleider gewährte der Ausschnitt einen großzügigen Einblick auf die Ansätze ihrer Brüste. Die alabasterweiße Haut war seidig und gepflegt. Zufrieden drehte sich Adelaide einmal um die eigene Achse. Der rotblaue Damastrock, für den sie sich nach längerem Überlegen entschieden hatte, schimmerte durch den Faltenwurf mal heller, mal dunkler, was ihm einen besonderen Reiz verlieh. Um die schlanke Taille band sie einen breiten, goldenen Gürtel. Kurz lupfte sie den weit ausgestellten Rock und prüfte den Zustand der zierlichen Schuhe, die über dem Spann eine üppige Seidenschleife zierte.
Vinzent begriff den verdeckten Hinweis und lächelte spöttisch: »Keine Widerrede: Wir gehen zu Fuß! Die frische Luft wird uns guttun. Du spazierst doch sonst so gern über den Römer. Vergiss nicht, wer uns um diese Uhrzeit begegnen und dein prächtiges Gewand bewundern kann.«
Adelaide warf ihm aus ihren dunkelbraunen Augen einen abschätzigen Blick zu. Sie wusste selbst, welch eindrucksvolle Erscheinung sie war. Nicht allein ihre stattliche Größe, auch die tiefschwarzen Haare, die sie an den Schläfen zu Lockentuffs arrangiert hatte, sowie die reine, gepflegte Haut und die rot geschminkten Lippen zogen die Blicke an. Glücklicherweise war Vinzent nicht weniger ansehnlich, auch wenn er die aufsehenerregenden neuen Rheingrafenhosen mit den vielen Schluppen und Falten zu ihrem größten Bedauern noch vehement ablehnte. Insgeheim musste sie sich jedoch eingestehen, dass die mäßig weiten Kniebundhosen besser zu seinen kräftigen Waden passten. Seit er die Stulpenstiefel beiseitegestellt hatte und Schnallenschuhe bevorzugte, galt es, diesen Umstand stärker zu berücksichtigen. Sie rückte ihm die Halskrause über dem Wams zurecht und schnupperte an ihm. Er roch verführerisch nach Rosen. Sie schmunzelte und reichte ihm den schwarzen Spitzhut. Lächelnd schüttelte er die hellbraunen Haare zurück, setzte den Hut auf und bot ihr den Arm. Gern schmiegte sie ihre schlanke Taille an seinen Leib. Auch nach den vielen Ehejahren tat es gut, seine Nähe zu spüren.
Seite an Seite betraten sie die Sandgasse. An der Ecke zur Neuen Kräme trat ihnen ein Bauernmädchen mit einem Korb Blumen entgegen. Schüchtern bot sie einen bunten Strauß Astern an. »Warum nicht?« Übermütig kramte Vinzent viel zu viele Münzen aus seiner Tasche und nahm die Blumen. »Magdalena wird ihre Freude daran haben.«
»Meinst du?« Zweifelnd zog Adelaide die rechte Augenbraue hoch. »Auf mich wirkte sie nicht wie eine leidenschaftliche Hausfrau. Ist sie nicht Wundärztin im Tross der Kaiserlichen gewesen?«
Erstaunt runzelte Vinzent die Stirn. »Ich dachte, du magst sie und freust dich, endlich jemand Gleichgesinnten in deiner Nähe zu wissen?«
»Was hat das eine mit dem anderen zu tun?« Erneut hakte sie sich unter und zwang ihn zum Weitergehen. Huldvoll lächelnd grüßte sie nach allen Seiten. Vinzent hatte recht gehabt: Kurz vor der Vesper war halb Frankfurt auf den Straßen um Römer und Markt unterwegs. Wie gut, dass sie den neuen Rock trug.
Pünktlich zum Beginn des Abendläutens erreichten sie den Domplatz. Die Marktfrauen packten ihre Körbe, die Händler verräumten die Auslagen ihrer Buden. Einige findige Burschen kauften für einen Spottpreis die Reste der Tagesware auf. Handwerker zogen vorbei, schleppten Werkzeuge und Materialien heimwärts. Laufburschen trugen die letzten Nachrichten aus, Mägde und Hausfrauen riefen nach umherstreunenden Kindern. Einen Trupp alter Weiber zog es in die Abendmesse von Sankt Bartholomäus. Reich gekleidete Bürgersfrauen flanierten Arm in Arm mit ihren Gatten vorbei. Wie Adelaide und Vinzent waren sie unterwegs, Besuche abzustatten.
»Gleich werden wir Erics Frau endlich näher kennenlernen und uns selbst ein Bild von ihren Vorzügen machen«, nahm Vinzent das unterbrochene Gespräch wieder auf, als sie zum Garküchenplatz gelangten. »Bislang wissen wir leider viel zu wenig von ihr. Ganz gleich, ob sie Wundärztin gewesen ist oder als brave Hausfrau ihr Glück findet: Sie ist unsere Base. Als Familienzuwachs ist sie uns jederzeit herzlich willkommen.«
Für einen Moment spitzte Adelaide die roten Lippen. Wieder rutschte ihre Augenbraue hoch, dann entspannten sich ihre Gesichtszüge. »Es freut mich zu hören, wie bereitwillig du sie in unsere Familie aufnimmst.«
»Warum nicht?« Vinzent blickte Adelaide fragend an. Als sie nichts antwortete, ging er kopfschüttelnd weiter. »Eins zumindest ist gewiss: Magdalena wird uns viel zu erzählen haben. Schließlich ist sie in ihrem Leben weit herumgekommen.«
»Stimmt. Als Söldnertochter im Heerestross hat sie es nie lange an einer Stelle ausgehalten. Ob sie sich in einer so langweiligen Stadt wie Frankfurt überhaupt wohlfühlt?« Sie reckte die Nase in die Luft. Für einen Moment überragte sie ihren kräftig gebauten Gatten. Sofort schob der die Brust heraus und sah sie mahnend an. Seine Worte klangen streng: »Ihr zwei Frauen werdet euch mindestens ebenso gut verstehen wie Eric und ich. Dank der gemeinsamen Erbschaft sind wir nicht nur eine Familie geworden. Eric und ich sind außerdem Teilhaber eines Kontors und damit in all unseren Geschicken eng miteinander verbunden.«
»Du vergisst, welch hohen Preis wir dafür gezahlt haben«, entgegnete sie harsch. »Warum muss Eric ausgerechnet deinen lang verschollenen Vetter spielen? Dadurch hat er dich von der direkten Nachfolge deines Oheims verdrängt. Ohne dieses Theater könntest du das Kontor allein führen.«
»Und du vergisst, dass wir ohne Erics Hilfe nicht einmal mehr den kleinsten Teil des Kontors besäßen. Statt weiterhin in dem Haus in der Sandgasse zu wohnen und zumindest Teilhaber von Onkel Friedrichs Geschäft zu sein, stünden wir ohne einen einzigen Heller auf der Straße, wenn sie uns nicht gleich mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt hätten.« Vinzents Stimme war schneidend geworden.
»Um uns davor zu bewahren, hättest du ihn aber nicht gleich als erbberechtigten Vetter ausgeben müssen. Hättest du mich rechtzeitig eingeweiht, wäre uns gewiss noch eine andere Lösung eingefallen. Fürchtest du nicht, dass jemand anderes durchschaut, was es mit dem plötzlichen Auftauchen Erics als deinem lang verschollenen Vetter und Onkel Friedrichs Neffen auf sich hat? Das ist doch alles fadenscheinig.« Sie raffte den Rock und sprang geziert einen Schritt zur Seite, um einem halbverfaulten Kohl auszuweichen.
»Wenn Eric sich nicht als Neffe von Onkel Friedrich ausgegeben hätte, wären unsere Familienverhältnisse auf der Suche nach rechtmäßigen Erben genauer untersucht worden.« Energisch riss Vinzent Adelaide am Arm, so dass sie gezwungen war, stehen zu bleiben. Bevor er weiter ausführen konnte, warum das so bedrohlich gewesen wäre, musste er Haltung annehmen und freundlich lächeln, denn aus einem Hoftor kam ihnen die Apothekergattin Petersen entgegen. Adelaide und Vinzent verbeugten sich knapp, aber nicht zu tief vor ihr, was sie mit einem scheuen Lächeln erwiderte. Der Junge an ihrer Seite schnitt eine Grimasse. Adelaide übersah das geflissentlich. Ihrem eigenen Sohn hätte sie dafür eine kräftige Ohrfeige verpasst. Schweigend wartete Vinzent, bis sie außer Hörweite war, dann zischte er Adelaide wütend an: »Was denkst du, wie lange man gebraucht hätte, um herauszufinden, dass meine Eltern mich unehelich gezeugt haben? Obwohl Onkel Friedrich es mir fest versprochen hat, hat er den Fehltritt meiner Eltern nie aus den Taufbüchern gestrichen. Dabei hätte er dazu mehr als ein Mal gute Gelegenheit gehabt. Nur weil Eric Grohnert für meine ehrenhafte Herkunft gebürgt hat, ist uns das Schlimmste erspart worden. Damit hat er uns nicht nur unser Geld, sondern auch unsere Bürgerrechte bewahrt. Oder hast du vergessen, dass jeder, der nachweislich unehelich gezeugt wurde, laut Statuten der Stadt Frankfurt als nicht ehrenwert gilt?« Er hielt inne, atmete einmal tief ein und aus, ohne sie aus den Augen zu lassen, und fügte bitter hinzu: »Wie ich dich kenne, bist du die Letzte, die mit der Schmach der Unehrenhaftigkeit versehen aus der Stadt vertrieben werden will.«
Erstaunt reckte Adelaide die Nase noch ein Stück höher. »Du hast es Eric also gesagt?« Forschend sah sie ihrem Gatten ins Gesicht. Ihre dunklen Augenbrauen waren zu finsteren, geraden Linien geworden.
»Was?« Aufrecht hielt er ihrem Blick stand. »Dass zwischen der Heirat meiner Eltern und meiner Geburt nicht die geforderten neun Monate liegen? Natürlich habe ich ihm das erklärt. Wie hätte ich ihm sonst die Dringlichkeit vermitteln können, sich überhaupt auf den Trug mit der Erbschaft einzulassen? Andernfalls hätte er doch keinerlei Anlass gesehen, für meine ehrenwerte Abkunft zu bürgen. Und das wiederum ging nur, indem er sich selbst als Vetter zu erkennen gab. Weil er Onkel Friedrichs Vermögen bekommen hat, konnte er mir aus der misslichen Lage mit den offenen Wechseln helfen.«
»Ja, ja, schon gut. Ich habe verstanden.« Schließlich verzog sie den Mund zu einem breiten Lächeln, schob die Hüften heraus und sagte zuckersüß: »Unter diesen Umständen werde ich Erics verehrte Gattin natürlich besonders fest in die Arme schließen. Ich konnte ja nicht ahnen, welch großzügigen Leuten wir unser rechtmäßiges Erbe abtreten! Du kannst dir sicher sein, dass ich ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen werde, damit sie das schmucke Haus unseres Oheims noch gemütlicher herrichten kann.«
Die honigsüßen Worte wurden von einem bösen Funkeln der Augen begleitet. An Vinzents Miene las sie ab, dass er begriffen hatte, was sie meinte. »Das werde ich dir nie verzeihen«, zischte sie nun leise. »Ausgerechnet Eric anzuvertrauen, dass wir keinen Anspruch auf eine ehrenhafte Mitgliedschaft in der Bürgerschaft haben, war ein großer Fehler. Dir ist hoffentlich klar, dass du uns damit einem dahergelaufenen Marktschreier und seiner unberechenbaren Zauberfrau ausgeliefert hast.«
»Und ich habe bislang geglaubt, du magst Eric. Bei seinen Besuchen war nicht zu übersehen, wie sehr du ihn schätzt.« Eifersucht schwang in Vinzents Worten mit.
»Zwischen Mögen und Vertrauen ist ein gewaltiger Unterschied, mein Lieber«, stellte Adelaide fest. »Ich hoffe nicht, dass wir jemals die Folgen davon werden tragen müssen.«
Abschätzig sah sie ihren Gemahl an. Das Bild von Erics Gattin schob sich vor ihre Augen. Wie unerschrocken die zierliche Person letztens vor ihr gestanden hatte! Eigentlich hatte das Adelaide gut gefallen. Ob Magdalena überhaupt von dem Trug mit der falschen Vetternschaft wusste? Die kleine Frau mit dem lockigen roten Haar und den unwiderstehlichen grünen Augen war alles andere als einfältig. Adelaide wurde flau im Magen. Ihr Schicksal lag fortan in Magdalenas schmächtigen Händen. Noch war nicht abzusehen, ob das gut oder schlecht war. Lediglich eines wusste sie ganz sicher: Familienbande waren keine Gewähr für die Ewigkeit, ganz gleich, ob die Verwandtschaft zu Recht bestand oder nicht. Sie zerrissen in dem Moment, in dem die eine Seite begriff, dass ihr Unheil von der anderen Seite drohte. Für die frisch gewonnene Base hoffte Adelaide, dass es nie so weit kam, die Probe aufs Exempel bestehen zu müssen.
Als sie wenig später an Vinzents Seite das prächtige Haus an der Fahrgasse betrat, schluckte sie bittere Tränen hinunter. Jahrelang hatte sie gehofft, eines Tages selbst Einzug in dem Anwesen zu halten. Dazu hatte sie schließlich den alten Oheim so aufopferungsvoll gepflegt. Umso schlimmer, nicht nur diese Hoffnung nicht erfüllt zu sehen. Fortan galt es, Tag für Tag Magdalena als Hausherrin darin ertragen zu müssen. Als diese neben dem hoch aufgeschossenen, wohlgebauten Eric die Treppe herunterkam, sah sie erschreckend blass aus. Adelaide schaute zu Eric, der sich nicht im Geringsten um seine Gemahlin zu sorgen schien.
Einen Augenblick länger als nötig verweilte Adelaide in der Betrachtung des stattlichen Mannes. Anders als sonst trug er einfache Kleidung, hatte auf jeden modischen Schmuck verzichtet. Doch ganz gleich, ob in derben Hosen und einfachem Leinenhemd oder in prächtigem Kaufmannsgewand: Eric machte in jedem Aufzug etwas her. Ihr Blick wanderte zurück zu der zierlichen Rothaarigen an seiner Seite, der die beschwerliche Reise tief in den Knochen zu stecken schien.
Adelaide schob die Brust heraus, schürzte die roten Lippen und flötete in ihrer melodischen Stimme: »Herzlich willkommen in Frankfurt, meine liebe Magdalena! Ich freue mich, dich endlich wieder an mein Herz drücken zu dürfen. Seit unserem Zusammentreffen im August habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dich hier in Frankfurt in meiner Nähe zu wissen.«
In den nächsten Wochen war Magdalena vollauf mit der Einrichtung des Hauses beschäftigt. Trotz des Geschirrs, der vielen Möbel, Teppiche und Vorhänge, die schnell aus Lagerbeständen beschafft waren, fehlte es an allen Ecken und Enden, um es nach ihrem Geschmack wohnlicher werden zu lassen.
»Ohne die gute Hedwig wüsste ich gar nicht, wo mir der Kopf steht«, sagte Magdalena eines Morgens zu Eric. Gedankenverloren stand er an der Tür zum Kontor und schien ihre Anwesenheit wieder einmal nicht zu bemerken. Erst als sie ihn direkt ansprach, hob er den Kopf und sah sie an.
»Was erzähle ich dir von meinen lächerlichen Sorgen! Du bist sowieso mit deinem Kopf ganz woanders, Liebster.« Sie reckte sich auf die Zehenspitzen und strich ihm zärtlich über die glattrasierten Wangen. Dabei erhaschte sie einen unbekannten Geruch an ihm. Etwas Bitteres lag in seinem Atem. Das rührte wohl von dem neuen Getränk, das er gekostet hatte, beruhigte sie sich. »Seit wir hier in Frankfurt sind, kriege ich dich kaum mehr zu Gesicht, und selbst dann scheinst du mit deinen Gedanken ganz weit weg.«
»Es gibt einfach so vieles zu regeln und zu bedenken.« Sein Mund verzog sich zu einem entschuldigenden Lächeln. Er fasste nach ihren Händen und küsste sie. »Vinzent steht mir zum Glück zur Seite. Trotzdem ist es etwas ganz anderes, als einzelner Kaufmann durch die Lande zu ziehen, als einem so großen, alteingesessenen Handelsgeschäft vorzustehen. Zudem muss ich als Bürger Frankfurts besondere Rücksicht auf Zunftgenossen und langjährige Kundschaft nehmen. Ganz abgesehen davon, dass erwartet wird, dass ich mich entsprechend meiner Stellung in der Bürgerschaft einbringe.«
»Du Ärmster! Mir scheint, über all diesen Verpflichtungen vergisst du das Wichtigste.« Prüfend sah sie ihm in die Augen. Der unbeschwerte Glanz der Jugend war endgültig daraus verschwunden. Die Falten oberhalb der Nasenwurzel wollten dagegen gar nicht mehr verblassen. Schon meinte sie, nicht mehr sagen zu können, wann er zuletzt ausgelassen mit ihr gelacht hatte. »Deine Gemahlin und deine Tochter fordern auch ihr Recht.«
»Ach, Liebste«, seufzte er. »Es wird gewiss besser, sobald ich alle Bücher geprüft und die wichtigsten Zunftgenossen persönlich kennengelernt habe. Dann haben wir drei auch wieder mehr Zeit füreinander.«
Flüchtig wollte er sie küssen und ins Kontor eilen, sie aber schob sich geschickt vor die Tür und versperrte ihm den Weg. »Vielleicht hätte ich eher Hermann heiraten sollen. Mit dem guten Mann verbringe ich inzwischen mehr Zeit als mit dir. Er hört mir zu, wenn ich meine Sorgen über die Unerfahrenheit der neuen Mägde loswerden will oder mich beschwere, weil die beiden Knechte gar zu schnell ohne jede Überlegung das Vorratslager einräumen. Gestern erst haben sie das Fass mit den frisch eingelegten Bohnen umgeworfen, als sie die Kisten mit den Äpfeln umschichten wollten. Die arme Hedwig wusste gar nicht, was sie zuerst tun sollte: über die Ungeschicklichkeit der Burschen schimpfen oder von den Bohnen retten, was noch zu retten war. Ganz zu schweigen von den Äpfeln, die in der sauren Tunke geschwommen haben.«
»So?«
»Ich weiß, das kümmert dich weniger als die Zahlen in deinen Büchern. Letztlich fällt es dir erst dann auf, wenn wir gegen Ende des Winters keine Äpfel mehr zu essen und keine Bohnen für die Suppe haben. Dann wirst auch du merken, wie wichtig diese Dinge sind.« Lächelnd gab sie ihm zwar den Weg frei, redete aber weiter: »Wie gesagt, ohne Hermann und die tüchtige Hedwig wüsste ich nicht, wie ich es bewerkstelligen soll, bis zum Winter einen ordentlichen Haushalt auf die Beine zu stellen. Die Zeit ist einfach zu knapp, um das Haus wohnlich herzurichten und gleichzeitig an all die Dinge zu denken, die wir bis ins Frühjahr hinein brauchen werden. Mir mangelt es an Erfahrung. Ich bin nun einmal eine gelernte Wundärztin und keine Hausfrau.«
»Du machst das hervorragend, Liebste. Wenn es an Geld fehlt, um etwas zu besorgen, dann sag es. Gerade zu Anfang sollten wir nicht an den falschen Ecken sparen.« Die Hand bereits auf der Klinke, drehte Eric sich noch einmal um und kramte aus seinem Rock eine prall gefüllte Börse hervor.
»Das ist nicht das Problem«, unterbrach ihn Magdalena, »und das weißt du. Sieh nur in den Hof. Dort gackern seit gestern ein Dutzend Hühner sowie zwei gut gemästete Gänse. Am Martinstag wirst du bereits einen ordentlichen Braten auf dem Tisch vorfinden. Außerdem stehen eine Ziege, eine Kuh und zwei Schweine im Stall. Hermann hat das Vieh von einem Bauern nahe Sachsenhausen bringen lassen. Auch der Hund stammt von dort. Carlotta hat sich bereits mit ihm angefreundet. Wollen wir hoffen, dass er sich unerwünschten Besuchern gegenüber nicht ganz so unterwürfig verhält wie bei ihr. Als sie vorhin vom Nachbaranwesen ein schwarzgrau gestreiftes Kätzchen angeschleppt hat, hat er zumindest böse geknurrt. Das lässt hoffen, wie ernst er seine Aufgabe als Wachhund eines Tages noch nehmen wird. Geld genug ist also da.«
»Dann ist doch alles bestens.« Erleichtert steckte Eric den Beutel wieder ein. »In Hermann und Hedwig hast du zwei tüchtige Helfer. Du wirst sehen: Nächstes Jahr schon kannst du dich aus den alltäglichen Ärgernissen heraushalten. Dann ist auch das restliche Gesinde mit den Aufgaben besser vertraut.«
»Und du?«
»Was soll mit mir sein?«
»Bist du dann auch besser mit dem Kontor vertraut und hast wieder mehr Zeit für Carlotta und mich?«
»Das habe ich eben doch gesagt.« Er gab sich keine Mühe, seine Verärgerung zu verbergen.
»Nein, mein Lieber, das glaube ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. Ihre Finger spielten mit dem Bernstein. Im herbstlichen Sonnenlicht, das durch das große Dielenfenster fiel, schimmerte er golden. »Sobald du hier in Frankfurt alles geregelt hast, wirst du aufbrechen, um in anderen Städten die Kontakte zu pflegen, Messen zu besuchen, neue Waren in den Häfen am Meer jenseits der Alpen zu ordern. Nie mehr wird es so sein wie früher. Das ist wohl der Preis, den uns das sesshafte Leben abverlangt.«
Ihre Stimme war leise geworden. Sie mühte sich, ihn die Enttäuschung nicht allzu deutlich merken zu lassen, konnte die aufsteigenden Tränen jedoch kaum mehr zurückhalten.
Eric nahm sie in die Arme, drückte sie an sich und presste die Lippen auf ihre roten Locken. »Sieh das nicht alles so düster, Liebste. Es braucht einfach ein wenig Zeit, bis wir uns an dieses Leben gewöhnt haben. Aber wir beide haben es uns doch so sehr gewünscht, endlich ein richtiges Zuhause zu haben. Letztlich ist es schneller gegangen, als wir es uns erträumt haben. Es fehlt uns an nichts, und die Aussichten für die nächsten Jahre könnten nicht besser sein.«
Sie hob den Kopf und suchte seinen Blick. Im tiefgründigen Blau seiner Augen blitzte ein Funken auf. Das ließ sie hoffen, dass sein altvertrautes Wesen noch nicht ganz versunken war.
»Ich habe den Fehler gefunden!« Plötzlich schwang die Tür zum Kontor hinter ihnen auf. Einer der beiden Schreiber stand dort. Magdalena schälte sich aus Erics Armen, auch Eric drehte sich um. »Gut, Walther! Zeig mir sofort, woran es gelegen hat, dass die Bestände im Hamburger Speicher nicht mit den Mengen auf der Rechnung übereingestimmt haben. Wenn wir Glück haben, fällt der Gewinn beim Verkauf des schwarzen Pfeffers also doch größer aus. Dann kriegst auch du deinen Teil davon ab, das verspreche ich dir.«
Hastig hauchte er Magdalena einen Kuss auf die Wange und verschwand mit dem Mann im Kontor. Traurig starrte sie selbst dann noch auf das dunkle Eichenholz der Tür, als sie sich längst wieder fest geschlossen hatte.
»Das Leben als Kaufmann füllt Euren Herrn Gemahl voll und ganz aus.« Hedwig stand auf einmal neben ihr. Ihr rundes Gesicht strahlte eine beneidenswerte Ruhe aus. Und doch entging ihr nichts von dem, was um sie herum geschah. »Wie alle Männer lebt er in seiner eigenen Welt. Das Kontor ist sein Reich, darum dreht sich sein gesamtes Denken. Nie wird er sehen, ob im Vorratskeller eine Kiste Äpfel fault oder ob das Mehl über den Winter knapp und teuer wird. So ist das nun einmal, Herrin. Freut Euch daran, wie glücklich er ist, seine wahre Bestimmung leben zu können.«