Hoffnung - Philipp Blom - E-Book

Hoffnung E-Book

Philipp Blom

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Beschreibung

Kann man in diesen Zeiten noch hoffen? Philipp Blom zeigt, wie Hoffnung möglich bleibt.

Es ist noch nicht lange her, da stand die Zukunft für eine bessere Welt. Inzwischen haben wir uns angewöhnt, mit dem Schlimmsten zu rechnen, und mussten oft genug erleben, dass es noch schlimmer kam. Gibt es wirklich keinen vernünftigen Grund mehr, zu hoffen? Philipp Blom findet die Ursprünge der Hoffnung in einem religiösen Weltverständnis, mit dem die Gegenwart nicht mehr viel anfangen kann: Das Dasein war sinnvoll, weil es in ein ewiges Leben münden würde. Heute könnte uns das Bedürfnis nach Hoffnung dazu treiben, ein sinnvolles Leben zu führen, indem wir Ziele für eine bessere Welt verfolgen: Gerechtigkeit etwa oder Nachhaltigkeit. Das wäre das Gegenteil von naivem Optimismus, das wäre eine vernünftige Haltung zur Welt. Sie ist nötiger denn je.

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Das ist das Cover des Buches »Hoffnung« von Philipp Blom

Über das Buch

Kann man in diesen Zeiten noch hoffen? Philipp Blom zeigt, wie Hoffnung möglich bleibt.Es ist noch nicht lange her, da stand die Zukunft für eine bessere Welt. Inzwischen haben wir uns angewöhnt, mit dem Schlimmsten zu rechnen, und mussten oft genug erleben, dass es noch schlimmer kam. Gibt es wirklich keinen vernünftigen Grund mehr, zu hoffen? Philipp Blom findet die Ursprünge der Hoffnung in einem religiösen Weltverständnis, mit dem die Gegenwart nicht mehr viel anfangen kann: Das Dasein war sinnvoll, weil es in ein ewiges Leben münden würde. Heute könnte uns das Bedürfnis nach Hoffnung dazu treiben, ein sinnvolles Leben zu führen, indem wir Ziele für eine bessere Welt verfolgen: Gerechtigkeit etwa oder Nachhaltigkeit. Das wäre das Gegenteil von naivem Optimismus, das wäre eine vernünftige Haltung zur Welt. Sie ist nötiger denn je.

Philipp Blom

Hoffnung

Über ein kluges Verhältnis zur Welt

Hanser

für Elias

It’s like fight, fight

keep going, keep going.

Hope and dreams

are like no, maybe not.

Bristol, 2023 mit rosa Lippenstift auf einen Spiegel geschrieben

Hat man sein warum? des Lebens,

so verträgt man sich fast mit jedem wie?

Der Mensch strebt nicht nach Glück;

nur der Engländer tut das.

Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung. Sprüche und Pfeile 12

Warum noch hoffen?

Den ganzen Tag hat es gedauert, bis ich mich nun endlich hinsetzen kann, um dir zu schreiben. Deine Frage ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. In all dem Trubel musste ich dir die Antwort schuldig bleiben. Jetzt bin ich wieder unterwegs, und mein Leben ist auf das reduziert, was in meine Tasche passt, und auf einige Adressen und Telefonnummern in meinem Handy: Hotels, Termine, Kontaktpersonen. Jetzt bewegen sich die Gedanken wieder, nehmen sich den Raum, aus dem sie sonst verscheucht werden.

Also komme ich zurück auf deine Frage. Warum noch hoffen? Kann man überhaupt noch hoffen in dieser Zeit?

Wie kann ich dir darauf antworten? Du fürchtest dich vor Dingen, vor denen man sich fürchten sollte, vor Entwicklungen, die jegliches menschliche Maß übersteigen. Wir leben in einer Zeit, in der eine Ordnung zusammenbricht und eine neue noch nicht entstanden ist und vielleicht so bald nicht entstehen wird. Jede Generation glaubt von sich, einzigartig zu sein und vor dem Ende der Welt zu stehen, vor der Apokalypse, schon immer liefen Propheten umher, die so etwas predigten — aber diesmal ist es wahr.

Ist es also alles nur erbauliches Gerede, wenn die Leute immer noch über Hoffnung sprechen? Ein Teil der großen Illusionsmaschine und ein Trostpflaster für Trottel? Ist es nicht idiotisch, irgendwelchen Hoffnungen hinterherzulaufen, der Idee, dass irgendwie alles sich schon zurechtrütteln wird, dass alle hässlichen Unkenrufe ignoriert werden können und rettende Technologien vor der Tür stehen, dass wir uns zwar Gedanken machen, aber nicht verzweifeln müssen, weil wir innovativ sind und flexibel und bis jetzt noch immer eine Lösung gefunden haben und …

Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft ich vor meinen Vorträgen (darüber nämlich, was die Klimakrise, das Artensterben und die künstliche Intelligenz für die Zukunft von Demokratien und liberalen Gesellschaften bedeuten werden) darum gebeten werde, doch bitte auch etwas Optimistisches zu sagen, vielleicht mit einer hoffnungsvollen Note zu enden, nicht mit einem Downer. Als hätte man mich für eine garantiert glückliche Zukunft eingeladen. Anscheinend fühlen wir uns in der Kommunikation miteinander zum Optimismus verpflichtet und wollen uns auch angesichts der schrecklichsten Neuigkeiten gerne noch an einem Silberstreif am Horizont erfreuen. Sag doch noch etwas Nettes, Verbindliches. Mach ihnen Hoffnung!

Von Hoffnung zu reden hat Konjunktur. Ganze Karrieren setzen auf das Geschäftsmodell, den Leuten zu erzählen, dass eigentlich, dass tatsächlich alles immer besser wird, dass der Mensch gut ist, alle Indikatoren nach oben zeigen, dass (je nachdem, wo du politisch stehst) Solidarität und Verantwortung oder Innovation und Deregulierung oder die Wiedergeburt der Nation bald, sehr bald die Rettung bringen, Wirtschaftswachstum, technologische Innovation, globale Solidarität oder moralische Einsicht endlich unsere Krisen lösen werden.

Diese etwas plattfüßige Auffassung einer Art ewiger Seligkeit ist der zweite Aufguss einer christlichen Idee, nach der die Geschichte auf ein Ziel zugeht, auf die Erlösung, das Himmlische Jerusalem. Wir haben diese christliche Idee geerbt und nennen sie jetzt Fortschritt. Alles wird unaufhörlich immer besser.

Zu diesem Recht auf Optimismus kommt der vermeintliche Anspruch auf das Glück. Viele Menschen meinen heute, dass sie ein Recht darauf haben, in Sicherheit und Wohlstand zu leben. Eine historische Vision von einem guten Leben schrumpft ihnen zu einem Verbraucherrecht. Sie führen ein Leben mit Sicherheitskonzept und Schutzweste, mit Garantie, Rückgaberecht, Kreditplan, Verbraucherschutz, DIN-Normen, Zulassungsprozessen und Zertifizierung. Jede Enttäuschung kann in eine Beschwerde münden, in eine Klage, eine Verurteilung.

Hoffnung als Garantie, die bessere Zukunft als Verbraucherrecht?

Ja, das ist Gewäsch. Verbaler Müll, moralisches Appeasement. Aber das wollen die Leute hören. Sie zahlen gutes Geld dafür. Psychologen und Ratgeberinnen befehlen uns, positiv zu denken und optimistisch zu sein, Religionen bieten uns einen schützenden Raum für unsere Ängste und unsere Erlösung vom Tod, Business Coaches und Management-Konsulenten und Meditations-Apps verdienen mit Phrasen wie diesen ordentliches Geld. Die Leute wollen das. Es gibt einen Markt, also gibt es auch Produkte, um diese Nachfrage zu befriedigen. (Es gibt übrigens natürlich auch einen Markt für Untergangspropheten, aber der würde ja zusammenbrechen, gäbe es nicht die große optimistische Erzählung, an der diese Schwarzseherinnen sich abarbeiten können.)

Und so verbünden sich Menschen, um nichts zu sehen, sich keine Sorgen zu machen, den Schreihälsen nicht zuzuhören, ihre eigenen Fakten zu behaupten. Wenn immer am Ende die gute Nachricht kommt, die Auflösung, die rettende Idee, die tiefe Reflexion über die Natur des Menschen oder die Evolution, die neue Technologie, dann wissen wir, dass am Ende der Geschichte alle Protagonisten, oder zumindest alle wichtigen, unversehrt durchgekommen sind. Manche von ihnen sind gestrauchelt und hätten es fast nicht geschafft und ein oder zwei (oder Millionen, wenn sie weit genug weg sind) sind auch tatsächlich dem Schicksal zum Opfer gefallen, aber sonst ist die Ordnung wiederhergestellt, es kann so weitergehen wie gehabt, Odysseus ist heimgekehrt.

Wenn dir diese Erklärung reicht, kannst du dir den Rest dieses Briefes sparen, aber ich weiß, sie reicht dir nicht, sonst hättest du dieses Gespräch nicht angefangen. Ich war nicht überrascht, dass du mich angesprochen hast. Oft steht nach einem Vortrag plötzlich ein Mensch in deinem Alter vor mir, und fast immer ist es dieselbe Frage, in verschiedenen Variationen, als ob ich darauf eine Antwort wüsste, nämlich ob es jenseits der Lügen noch Hoffnung gibt. Überrascht war ich nur, als wir uns wiedergesehen haben am nächsten Tag, dass du gekommen bist, um noch mehr zu fragen. Ich muss gestehen, dass ich deiner freundlichen Beharrlichkeit nichts entgegenzusetzen hatte. Du hast mich nach dem Hoffen gefragt und warst nicht zufrieden mit Plattitüden und Standardantworten, und ich musste dir eine bessere Antwort schuldig bleiben, weil der nächste Termin drängte.

Ich war dankbar für deine Geistesgegenwart, mir zumindest deine E-Mail-Adresse aufzuschreiben, und seitdem haben mich deine Fragen nicht losgelassen. Ich habe noch keine Antwort für dich, aber ich habe mich auf den Weg gemacht, und wir können diesen Weg ein Stück weit gemeinsam gehen, wenn du willst — und wenn es auch nur schriftlich ist.

Also, abseits von der Rhetorik, ist Hoffnung heute noch möglich? Ist es nicht zynisch, sich oder anderen abzuverlangen, angesichts des allgemeinen Zusammenbruchs eine glückliche Miene aufzusetzen und von Hoffnung zu faseln? Ist das alles, was uns dazu einfällt?

Wenn du aber darauf bestehst, nicht Teil dieser Verschwörung des Nichtwissens zu sein, und danach fragst, wie die nächsten Jahrzehnte aussehen werden, dann ist die Antwort der besten naturwissenschaftlichen Modelle ausgesprochen ernüchternd. Du hast ganz recht, wenn du Angst hast und tief besorgt in die Zukunft blickst.

Um es kurz zu machen: Wir befinden uns, die Menschheit befindet sich in einer dreifachen existenziellen Krise, die sich in zahllose kleinere zersplittert, die sich vielfach überlappen. Die drei ineinandergreifenden Arme dieser Krise sind die Erderhitzung, der Zusammenbruch der Artenvielfalt und die Risiken von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Jede davon hat das Potenzial, einen Großteil des Lebens auf diesem Planeten auszulöschen oder zumindest zutiefst zu beschädigen oder zu vermindern. Jede von ihnen hat bereits heute immense Ausmaße und unabschätzbare, unvorstellbare Konsequenzen.

Hier sind sie, unsere apokalyptischen Reiter:

Ein Temperaturanstieg um drei Grad (und darauf läuft noch immer alles hinaus) könnte einen großen Teil der Menschheit zur Flucht aus ihrer angestammten Heimat zwingen, verheerende Kriege um Wasser und Land verursachen, die Küstenlinien der Welt verändern, Ozeanströmungen und Wettersysteme umkehren, enorme Landstriche versteppen lassen, immense Mengen von Methan freisetzen und die globale Wirtschaft wie auch moderne Staaten zusammenbrechen lassen, ganz abgesehen von ihrem Effekt auf natürliche Organismen und ganze Ökosysteme, die ohne ausreichend Zeit zur Anpassung zum Zusammenbruch verurteilt sind, während Kaskaden von Arten verschwinden und tiefe Löcher in das Netz des Lebens reißen. Zusammen mit den immer häufigeren Naturkatastrophen und extremen Wettersituationen wäre das an sich schon eine Art Apokalypse. (Und natürlich wird der Planet wieder einen Zustand des Gleichgewichts finden, und das Leben wird sich anpassen — aber viel zu langsam für uns.)

Was mit der Vielfalt des Lebens auf diesem Planeten passiert und wie rapide dieser Zusammenbruch sich vollzieht, ist nicht weniger fürchterlich. Nicht nur, dass täglich Hunderte von einzigartigen Organismen aussterben, noch bevor sie jemals von Menschen identifiziert wurden — die rapide Veränderung und Verschlechterung von Lebensräumen führt dazu, dass Schlüsselarten verschwinden, auf denen ganze Ökosysteme aufbauen. In manchen Gegenden Europas sind schon jetzt durch Pestizide und Monokulturen achtzig Prozent der Insekten verschwunden. Die Verödung ganzer Landschaften oder Meeresregionen lässt sich in vielen Fällen gar nicht mehr oder nur sehr langsam wieder rückgängig machen. Mikroplastik hat inzwischen nicht nur den tiefsten Grund der Ozeane erreicht, sondern ist auch in menschlichen Hirnen und in Muttermilch gefunden worden, und jede Minute verschwinden dreißig Fußballfelder Regenwald und eine Million Tonnen arktisches Eis (ja, du hast richtig gelesen, jede Minute).

Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind zwei unterschiedliche Kräfte, die aber miteinander zusammenhängen. Beide bergen Potenziale und Gefahren, die wir noch gar nicht abschätzen können. Allein in der Biologie reichen sie von durch KI auf persönliche Genprofile zugeschnittenen Therapien mit speziell designten Molekülen bis hin zu neuen Biowaffen. Aber sie ziehen auch noch andere Konsequenzen nach sich, zum Beispiel einen Verlust von menschlicher Arbeit, der westliche Gesellschaften in den nächsten Jahrzehnten treffen wird. Weite Teile unseres Zusammenlebens und der politischen Machtverhältnisse werden sich verändern. Wovon sollen die Menschen leben? Und wer sind wir überhaupt in einer vollständig digitalisierten Welt? Können wir, permanenten Reizen ausgesetzt, die unsere Aufmerksamkeit okkupieren, verhindern, zu inkompetenten Narzissten zu degenerieren, die in einer Wolke personalisierter News und algorithmisch designter Unterhaltung vor ihren Bildschirmen dahinvegetieren? Und wie funktioniert dann eine Demokratie? Wer trifft dann noch die Entscheidungen?

Wie können wir Wirklichkeit und Fiktion, Systeme und Menschen voneinander unterscheiden, wenn KI immer besser darin wird, die Unterschiede zu verwischen? Wann wird die künstliche Intelligenz die menschliche überflügeln und hinter sich lassen? Basteln wir an unserer eigenen Überflüssigkeit? Du kennst vielleicht Goethes Ballade vom Zauberlehrling, aus der auch mal ein Disney-Film geworden ist (liebevoll per Hand animiert und begleitet von klassischer Musik). Der Meister ist aus dem Haus, und der Zauberlehrling soll die Hausarbeit machen, also erweckt er die Besen und Eimer und Putzlappen zum Leben. Sie machen ihm die Arbeit, aber sie weigern sich, seinen Gegenzauber zur Kenntnis zu nehmen, und hören nicht mehr auf, Wasser zu tragen und zu schrubben und alles zu überschwemmen, bis der Lehrling in seiner Not (»die Geister, die ich rief, die werd’ ich nicht mehr los!«) nach dem Meister rufen muss, der mit einem einzigen Zauberspruch alles wieder in Ordnung bringt. Ich habe den deutlichen Eindruck, dass wir dieser Zauberlehrling sind. Aber da ist kein Meister, den wir rufen könnten. Nietzsche würde sagen: Wir haben ihn ermordet.

Klimaerhitzung, die Zerstörung von Ökosystemen, die Verschmutzung der Ozeane, der Zusammenbruch der Artenvielfalt, die Explosion von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung in allen Lebensbereichen — und im Kontrast dazu hinter unseren Grenzen altmodische, mörderische Kriege, in die wir längst verwickelt sind und die noch weiter zu eskalieren drohen, enorme Fluchtbewegungen, hilflose Staaten, die immer größere Teile ihrer demokratisch legitimierten Macht an Märkte abgeben: Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen, und singen dabei ein fröhliches Lied.

Das gilt normalerweise nicht als besonders intelligent, aber wir sind intelligent. Wir entwickeln sogar wissenschaftliche Modelle, die uns genau vorhersagen, was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher, und wir machen so weiter wie bisher, und die Modelle sind wahnsinnig clever, sie behalten recht, erstaunlich oft. Und wenn sie mal nicht recht hatten, dann nur, weil sie zu unterkomplex oder zu konservativ waren und die Entwicklungen sich noch beschleunigen durch kommunizierende oder sich wechselseitig verstärkende Effekte.

»Lasst alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr eintretet.« Dantes Inferno scheint unsere Zukunft geworden zu sein. Die Gesellschaften, die ich kenne und in denen ich lebe, also hauptsächlich die europäischen, haben sich längst daran gewöhnt, sich vor der Zukunft wie vor einem Virus zu fürchten.

Die Zukunft ist in unseren Breiten kein Versprechen mehr, wie das vielleicht vor hundert Jahren noch selbstverständlich war. Damals setzten Millionen Menschen auf Ideologien, denen sie zutrauten, die Probleme der Welt ein für alle Mal zu lösen. Es würde einen Kampf geben, der würde blutig werden, aber am Ende stünde dann der Sieg der Arier, der Herrenrasse, der Arbeiterklasse, des Proletariats, der Christenheit, des Islam, des Imperiums, des Marktes. Die Menschen dachten im Ernst, dass dies der Moment sein würde, in dem alle existenziellen Probleme gelöst sein würden. Wenn man Krankheiten durch eine Impfung behandeln kann, dann sind Armut und Hunger als Nächste dran, dann wird die Welt endlich ganz der menschlichen Kontrolle und Steuerung unterworfen.

In Zeiten solcher Erwartungen war es recht einfach zu hoffen. Aber wir leben nicht mehr in Zeiten naiven Zukunftsglaubens. Die letzten beiden Jahrhunderte haben uns gezeigt, dass schlecht investierte, dumme Hoffnungen zu Katastrophen führen. Die vielleicht blutigsten und grausamsten Episoden der Geschichte entstanden aus den glühendsten Hoffnungen. Die Millionen, die auf den Sieg der Herrenrasse, der einzig wahren Religion, des Reiches oder der Diktatur des Proletariats hofften und bereit waren, dafür über Leichen, über schrecklich viele Leichen zu gehen, rücken die Hoffnung in ein zweifelhaftes Licht. Hoffnung hat immer eine moralische Komponente, weil sie mit einer Idee von einem guten Leben zu tun hat, und moralische Annahmen ändern sich. Sie können genauso schnell verschwinden und sich ins Gegenteil verkehren, wie ein Vermögen verschwinden kann oder ein beliebiger Mensch in Stalins oder Putins Russland.

Hoffen, so zeigt sich, ist schön und gut, wer aber auf das Falsche hofft, macht sich, ob sie will oder nicht, zur Komplizin von Folter und Massenmord. Da kann man sich nicht hinterher damit entschuldigen, dass sich diese Ideologie, diese kollektive Geschichte, einfach richtig anfühlte oder dass man nichts wusste, dass einem niemand etwas gesagt hatte. Wenn es um Gewalt geht, um tödliche Gewalt, kann man sich nicht mehr auf seine Gefühle hinausreden.

Vor einigen Jahren habe ich im Radio ein Interview mit einer alten Übersetzerin russischer Literatur geführt, einer sanften Frau, die auf die achtzig zuging. Ihr Vater, ein kommunistischer Funktionär aus Österreich, war in den 1930er Jahren, als Kommunisten in seiner Heimat verfolgt wurden, mit seiner Familie nach Moskau eingeladen und im berühmten Hotel Lux untergebracht worden, in dem alle kommunistischen Ehrengäste aus dem Ausland wohnten — und wo Genosse Stalin ein Auge auf sie haben konnte.

Die Übersetzerin beschrieb ihre Kindheit an diesem seltsamen Ort, an dem sich jeden Tag ungeheurer Idealismus und Hoffnung auf eine bessere Welt und die Angst vor der Geheimpolizei und dem plötzlichen, spurlosen Verschwinden von Freunden und Bekannten mischten. Sie selbst war in jungen Jahren ebenfalls eine glühende Kommunistin gewesen und hatte in der Sowjetunion das neue Jerusalem gesehen, aber irgendwann war sie desillusioniert nach Österreich zurückgekehrt, in ein Land, das sie kaum kannte. Seitdem hatte sie russische Literatur übersetzt, war aber nur kaum noch am Ort ihrer Kindheit gewesen.

Ich fragte sie:

»Wie können Sie sich erklären, dass dieses Projekt, an das Sie so tief geglaubt haben wie Millionen andere auch, dieses Projekt, in das so viele Menschen ihre Hoffnungen investierten, überall da, wo es umgesetzt wurde, eine breite Blutspur durch die Geschichte und die Träume der Menschen gezogen hat?«

Da war es still.

Wir waren live auf Sendung. Immer noch Stille. Man wird in dieser Situation etwas nervös, wenn gar nichts passiert. Dead Air nennt man das. Aber sie saß da und überlegte lange und sagte dann endlich ganz einfach:

»Wissen Sie, mein ganzes Leben habe ich über diese Frage nachgedacht, jeden Tag. Und heute muss ich Ihnen sagen: Ich weiß es nicht.«

So wie ihr ging es vielen Millionen von Menschen, die sich für ein Ideal engagiert haben, um am Ende zu erkennen, dass ihr Einsatz umsonst war, dass sie ihre Kraft und Zeit und Hoffnungen verschwendet hatten, oder schlimmer noch, dass sie Komplizen von Mordbanden oder Mördern geworden waren, alles für eine gute Sache, die in immer weitere Ferne gerückt und endlich ganz verschwunden war. Hunderte von Millionen von Menschen standen im 20. und frühen 21. Jahrhundert vor den Trümmern ihrer Träume und Hoffnungen. Jeden Tag werden Menschen auch heute noch aus ihren Häusern gebombt, Menschen, die häufig gerade in ihrer Verzweiflung tief und brennend hoffen, auch wenn manche ihrer Hoffnungen Rachefantasien sind.

Hoffnung scheint Trümmer zu lieben, aber das ist so eine schlichte Soundbite-Weisheit, der man schon aus Prinzip misstrauen muss. Dabei ist es eigentlich andersherum. Wenn Menschen Hoffnung haben, können sie vieles überstehen, ohne sie zu verlieren. Aber auch in einer reichen und friedlichen Gesellschaft kann man ohne Hoffnung sein. (Warum das so ist, müssen wir noch erkunden.)

Entschuldige diese harte Lektion in Sachen Realismus, aber gerade wenn du dich fragst, ob es möglich ist zu hoffen, darfst du nicht von falschen Voraussetzungen oder frommen Illusionen ausgehen, sondern musst klar sehen, wo wir stehen und was auf uns zukommt, in welcher Welt du auf diese Hoffnung zurückgreifen wirst.

Ist Hoffnung deswegen unmöglich? Sagen wir es so: Wenn du dich auf die Suche nach einer klugen Form der Hoffnung begeben willst, einer Möglichkeit einer solchen Hoffnung, wird es wichtig sein zu verstehen, wo du stehst, und zu erkennen, dass Hoffnung auch bedeutet, Risiken einzugehen, und dass diese Risiken verwundbar machen.

Zu diesen Risiken gehört, dass du im Voraus nicht wissen kannst, ob sich dein Einsatz lohnen wird und ob deine Hoffnungen nicht zertrampelt oder bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Politische Hoffnungen verlangen einen langen historischen Atem, denn die wenigsten Menschen, die in der Vergangenheit versucht haben, etwas zu verändern, haben es auch geschafft.

Andererseits aber kann ich dir diesen Brief nur schreiben, kannst du dein Leben nur leben, weil zahllose Menschen vor uns gehofft und gekämpft haben für Dinge, die völlig unrealistisch und unerhört waren. Von den meisten dieser Heldinnen und Helden kennen wir nicht einmal mehr den Namen, und die wenigsten unter ihnen haben erreicht, wofür sie gekämpft hatten. Viele sind in der Überzeugung gestorben, dass sie gescheitert sind, dass ihre Hoffnung nicht realisierbar war. Aber nur weil sie alle Teil einer Kette der hoffnungslosen Hoffnung geworden sind, gibt es heute Länder, in denen Menschen frei ihre Gedanken äußern können, frei und gemeinsam über ihre Zukunft entscheiden können (zumindest im Prinzip!).

Hoffnung ist oft ambivalent und schwer zu erkennen, schreibt Rebecca Solnit, weil sie ein eigenes, sozusagen unterirdisches Netz an Geschichten und Verbindungen webt, das auf den ersten Blick nicht sichtbar ist. Der »Arabische Frühling« von 2011, bei dem Hunderttausende von Menschen in der arabischen Welt es wagten, von einer besseren Welt ohne vergreiste Diktatoren zu träumen, und dafür in Massen auf die Straße gingen, war inspiriert von dem amerikanischen Bürgerrechtsaktivisten Martin Luther King zwei Generationen früher, aber die Kette der Inspiration durch Bücher, Begegnungen und gemeinsame Hoffnungen reicht weiter, von King zu Mahatma Gandhi und weiter zurück zu Leo Tolstoi und den radikalen Protesten der britischen Suffragetten, die um 1900 für das Frauenwahlrecht kämpften und sich dabei wiederum auf die Französische Revolution beriefen. Es ist wie ein Wurzelgeflecht, das durch die Geschichte wächst, ein unterirdisches Myzel, von dem wir nur die Früchte sehen, die über der Erde als Pilze plötzlich aus dem Boden zu schießen scheinen.

Der Arabische Frühling allerdings hat nicht zu dauerhaftem positiven Wandel in der Region geführt, im Gegenteil. Während der Aufstände kamen 60.000 Menschen ums Leben, und auch der Zusammenbruch Libyens und der fürchterliche syrische Bürgerkrieg gehören zu seinen Konsequenzen. Heute ist die Situation in den meisten arabischen Ländern im Mittelmeerraum verzweifelt, und die Staaten agieren autoritärer denn je. Ist es also besser, nicht zu hoffen? Oder braucht man einfach einen viel längeren historischen Atem, um zu verstehen, welche Effekte dieser Moment des kollektiven Hoffens und der kollektiven Ermächtigung bei einer bestimmten Generation auslöste, ob er Inspirationen für neue und erfolgreichere Hoffnungen lieferte oder ob er in der Vergessenheit verschwunden ist, die eine Diktatur dem Leben aufzwingt?

Große Hoffnungen politisch umzusetzen ist immer schwierig, frustrierend und langwierig, und die Resultate werden nie von allen Seiten anerkannt. Realisten werden argumentieren, eine Lösung sei besser als keine, Idealisten beklagen, dass ihre Träume verraten wurden. Die Friedensprozesse in Kolumbien und in Rwanda etwa stehen bis heute in der Kritik, aber sie haben dazu geführt, dass weniger Menschen politischer Gewalt zum Opfer gefallen sind und zahllose Familien begonnen haben, sich eine Zukunft aufzubauen. Auch wenn solche Prozesse immer wieder ins Stocken geraten und nur selten zu dauerhaften Lösungen führen, haben sie es Kindern ermöglicht, wenigstens zeitweise in Friedenszeiten aufzuwachsen, und die Erfahrung vermittelt, dass eine Einigung über die tiefsten Gräben hinweg möglich ist. Auch das ändert etwas.

Alle Hoffnungen, die sich erfüllt haben, werden durch die Trägheit der Wirklichkeit verändert und verzerrt. Aber man vergisst auch leicht, dass vieles tatsächlich erreicht worden ist. Wir neigen nun einmal dazu, alles, was wir einmal erreicht haben und was uns noch gestern völlig unmöglich schien, schon morgen als müde alte Selbstverständlichkeit oder als schlechte Kopie unserer Ideale zu verachten. Die Europäische Union etwa ist nicht nur enorm unbeliebt, sondern auch sehr, sehr weit davon entfernt, perfekt oder auch nur wirklich demokratisch zu sein. Trotzdem wäre noch vor hundert Jahren die Vorstellung völlig aberwitzig erschienen, dass verfeindete Nationen, die in ihren Kriegen gegeneinander Millionen von Menschen verheizt hatten, sich zu einem Bündnis zusammenschließen würden, das über die längste Friedenszeit auf dem Kontinent wacht. Das hat sicher nicht nur mit Hoffnung zu tun, sondern auch mit der Erfahrung der Weltkriege. Manchmal aber kann ein Trauma, eine begründete Angst, eine starke gemeinsame Erfahrung neue politische Möglichkeiten schaffen, die vorher nicht denkbar gewesen wären.

Das ist es, was ich dir bei unserem letzten Gespräch sagen wollte, warum ich dir keine befriedigende Antwort geben konnte: Die katastrophalen Umstände haben uns an den Rand der Verzweiflung getrieben, und nach mehr als einem Jahrhundert enttäuschter Hoffnungen und Ideologien ist es überhaupt schwerer geworden, noch zu hoffen. Trotzdem: Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass Hoffnung tatsächlich die Kraft haben kann, eine Wirklichkeit zu durchdringen und zu verwandeln.

Für viele Menschen, mit denen ich spreche, liegt diese Kraft allerdings außerhalb ihrer Reichweite. Die Zukunft ist zur Bedrohung geworden. Trotz aller Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, trotz Reichtum und Wachstum und Wissenschaft und Unterhaltung, trotz aller Sportplätze und Einfamilienhäuser, Straßen und Supermärkte und Restaurants, trotz Flatscreens und Urlaubsflügen und zwei Generationen Frieden ist die Zukunft für viele Menschen ein Ort, den sie vermeiden wollen, denn sie wird nichts Gutes bringen.

Es ist schwerer zu hoffen, wenn man in Gesellschaften lebt, die das Morgen eigentlich abwenden wollen, die nichts zu tun haben wollen mit Veränderung, die alles tun, um nicht zu verlieren, was sie angehäuft haben, deren schönste Hoffnung ist, dass sich nichts ändern wird, weil alle ahnen, dass nicht alles noch besser wird, noch reicher, noch sicherer, noch freier, noch geiler.

Aber die Dinge ändern sich, rasend schnell und destruktiv, fremd wie ein Dezembertag im letzten Winter, an dem bei sommerlichen fünfundzwanzig Grad die Sonne winterlich tief über dem Horizont hing. Die Welt ist aus dem Lot geraten. Die Menschen haben Angst. Also suchen sie nach den Führern und Parteien, die ihnen versprechen, dass sich gar nichts ändern wird und dass sie sich schon gar nicht ändern müssen, denn sie sind die Normalen, die Anständigen, sie haben eigentlich schon immer recht gehabt, und alles, was jetzt notwendig ist, ist, eine schöne, hohe Mauer um das Land zu bauen und alle, die nicht so aussehen wie wir, zu deportieren, und dann wird wieder Ordnung herrschen, dann wissen wir wieder, was ein Mann ist und was eine Frau und was ein Patriot ist und was ein Fremder und wie man zwischen ihnen unterscheidet. Drill, baby, drill.

Es ist schwerer geworden zu hoffen in Gesellschaften, in denen die Hälfte in eine Vergangenheit zurückkehren will, die es nie gegeben hat, während ein anderer Teil mit quasireligiöser Gewissheit behauptet, dass das Projekt der westlichen Gesellschaften von vorneherein unmoralisch und böse gewesen sei, gegründet auf nichts als Unterdrückung, Hass, Sklaverei und Zerstörung, und letztendlich eine Verschwörung zum Massenmord.