Hoibdepp - Robert von Ramersdorf - E-Book

Hoibdepp E-Book

Robert von Ramersdorf

0,0

Beschreibung

Wem Münchner Geschichten, Irgendwie und Sowieso, Kir Royal oder Monaco Franze gefallen haben, der ist im Hoibdepp bestens aufgehoben! Denn da wird gelacht, geheult und so mancher Brand entfacht. Ob in der Liebe, auf trockenen Wiesen oder beim Spannen hinter einem Isarbusch. Der Hauptdarsteller Fritz Garke nimmt uns mit auf eine Zeitreise von den 1960ern bis zur Gegenwart. Dazwischen werden Knallerbsen gezündet, Furzkissen versteckt und die «Roka Gäng» gegründet. Da wird den Mädchen auf Bonanza-Rädern imponiert und mit 20 Pfennig nach Hause telefoniert. Man fährt zum Campen über den Brenner - wie die letzten Penner. Überall im Auto Konserven und jede Menge Münchner Bier dabei, denn Italiener trinken ja nur roten Wein!? Fritz Garke, der schon bei seiner Geburt den liebevollen Spitznamen «Hoibdepp» erhielt, hat diese verrückten Zeiten erlebt. Und wer wissen will, wie es wirklich war, der sollte dieses Buch lesen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 303

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

1 Zuerst die Vorsuppe und jede Menge «Gurken»

2 Selbstgemachte Ravioli oder lieber aus der Dose?

3 Ramersdorfer Geschichten. Der beschwerliche Weg in die Büezer-Siedlung

4 Milbertshofener Erlebnisse

5 Wer früher stirbt

6 Bella Italia

7 Schmeckts ned, gibts ned

8 Des Kindergartens Watschenbaum

9 Hurra, hurra die Schule kommt!

10 Notruf 112. Wahre Lausbubengeschichten

11 Die fünfte Klasse

12 Von Liebenden und Hieben

13 Mädchen mögen keine fettigen Haare

14 Roberts spezieller Tag

15 14 Jahr, versengtes Haar

16 Sein Betragen ist lobenswert?

17 Vier dicke Sommerhunde

18 Juhu, mei Bua hods Rotzlöffel-Abitur!

19 Nun kommen die Alten dran

20

The Specials in Concert,

München, Schwabingerbräu, 1981

21 A fesche Dauerwelle und andere haarsträubende Probleme

22 Von Björn Borg zu Fritz Garke. Eine Nebenjob-Odyssee

23 17 Jahr, schütteres Haar!

24 Barras-Leiden

25 Arbeit ist Körperverletzung

26 Drei Beerdigungen und eine Liebesgeschichte

27 Dernière

Dank

1 Zuerst die Vorsuppe und jede Menge «Gurken»

Willkommen imHoibdepp, der Hauptdarsteller stellt sich kurz vor: «Servus, hawedehre.1 I bins, Fritz Garke, Garke wie Gurke, nur mit A!»

Und hier kommen Fritzis erste Charakterköche im Kurzporträt.

Los geht’s mit Oma Theresia und einigen Wesenszügen aus ihrem Arbeitszeugnis vom 15. Dezember 1928, ausgestellt von einer Münchner Pension: Fräulein Gleixner2 war in unserem Hause als Zimmermädchen tätig. Sie hat sich während dieser Zeit als sehr brauchbar, fleißig & treu erwiesen.

Respekt, liebe Oma, von solchen Softskills träumen Arbeitgeber bis heute!

Daheim hatte sie die Hosen an und ließ sich ihre freche Goschn3 nicht verbieten. Zum Leidwesen von Augusts Gemüt, dem Rauchenden Colt4. Opas Stammtisch fürchtete seine Fluchakrobatik, wenn ihn Oma dorthin verbannte. Anders bei Fritzi, hier fand er die nötige Gelassenheit. Der gelernte Former5 förderte den heranwachsenden Frechdachs, brachte ihm das Zündeln bei und beschützte ihn vor bösen Wichten.

Und natürlich die Eltern:

Fritzis Mama Maria entsprach dem klassischen Rollenbild einer 60er-Jahre- Hausfrau. Ohne überzukochen, sprang sie vom Putzeimer rüber zur Waschmaschine und wieder zurück an den Herd. Insgeheim träumte sie von mediterranen Stränden, der Fontana di Trevi und feurigen Südländern, die ihr rattenscharfe Ravioli kochten. In der Realität landete sie bei Albin Garke, dem der ständig wiederkehrende Münchner Föhn sein fröhliches Naturell versaute.

«Kreiz-Zefix! Maria, wo san de Aspirin?»

Ansonsten glich er einem treuherzigen Teddybären, mit dem man gerne im Wirtshaus saß. Kurzum, a typischer Bayer. Morgens frohgelaunt amWitze reißen und abends grantelte er wie ein Grizzlybär. Mehr zu den Eltern und die Annalen der Großeltern mütterlicherseits gibt es später zu lesen.

Aus diesem bayrisch-gemischten Genpool also entsprang Fritz Garke, dessen Lebensgeschichte im Folgenden erzählt werden soll.

1 Bayrischer Gruß: Habe die Ehre.

2 Spätere Garke.

3 Mundwerk.

4Rauchende Colts, US-amerikanische Fernsehserie, 1955 bis 1975.

5 Berufsbezeichnung für einen Hersteller von Gussformen.

2 Selbstgemachte Ravioli oder lieber aus der Dose?

Freitag, 30. August 1963, Abendessen vorbereiten. Der werdende Papa beabsichtigte original italienische Teigtaschen mit fleischhaltiger Füllung herzustellen. Er probierte es zumindest.

«Maria, wo isn da Büchsenöffner?»

«Pscht, ned so laut! Sonst denkt unsa Schnurzeli, do heraußen gibts nur Dosenravioli.»

Albin beruhigte den künftigen Nachwuchs in Marias Ravioliwampe, indem er ein Verserl reimte.

«I koch uns ned nur Dosenfraß, i brüha Wiener ausm Glas!»

Obacht, Herr Garke! Solch kulinarische Freveltaten könnten unter Umständen die Geburt eines Münchner Lausbuben oder einer Lausbübin auf unbestimmte Zeit verzögern.

Knappe 14 Tage später, 12. September 1963, Privatklinik Dr. Haas, Richard-Wagner-Straße 19, Treffpunkt oberer Kreißsaal. Zwei bayrische Geburtshelferinnen versuchten, sie oder ihn herauszulocken. Die Blondgelockte erwartete etwas Feminines und säuselte dementsprechend putzig daher:

«Dutzi dutzi, kimm raus, du Buzerl.»

Funktionierte nicht! Die Rothaarige wählte die radikalere Variante, wohl-wissend, dass da ein raviolisatter Schlawuzi6 seinen Geburtstermin verpennte.

«Jetzt geh weida Bürscherl, sonst zerr i di an deine Ohrwaschl ins Freie!»

Okay, in dem Fall nix wie raus aus Mamas Ranzen. Und wegen Missachtung der «Hebammen lässt man gefälligst nicht so lange warten»-Regel versohlten sie dem neugeborenen Garke-Buben abwechselnd den Hintern. Sein anschließendes Gebrüll animierte zwei anwesende Mediziner zu einer spontanen Lästerrunde. Papa hörte sie aus dem Kreißsaal frotzeln.

«Is do da Bua vom Tarzan auf d’ Welt kemma?»

«Na, des klingt eher nach am bayrischen Hoibdepp!»

Hoibdepp? Jene akademische Namensfindung begründete Fritzis Spitznamen und prägt seine Biografie bis heute.

6 Schlitzohr.

3 Ramersdorfer Geschichten. Der beschwerliche Weg in die Büezer7-Siedlung

Papa schluchzte zur Melodie von House of the Rising Sun8:

♫ Da steht a Haus in Moosach drauß, do schmeißens alle Garkes naus! ♫

Presslufthammer, Kernsanierung und Eigenbedarf sorgten unmittelbar nach Fritzis Geburt für folgende Tour de Force: Kreißsaal – Moosach – Rechtsanwalt – Ramersdorf, Büezer-Siedlung. Die 60er-Jahre-Neubausiedlung bot, ironischbetrachtet, beste Voraussetzungen für artgerechte Kinderhaltung. Eingekesselt zwischen fünfstöckigen Wohnblocks, der Salzburger Autobahn und einer umzäunten Trambahntrasse spielten die Kids lieber drinnen, als draußen umzukommen.

Zurecht motzte Fritzis Oma über dieses kinderfeindliche Nest.

«Wui da Bua moi etwas werden, darf er hoid ned vorher sterben!»

Die Umgebung passte ihr und Opa erst recht nicht. August kritisierte die exotische Lage.

«Wia ko ma so weit südlich hausen, do kummt mir ja des koide Grausen!» Ja, in den Vorstellungen der Großeltern lag die Büezer-Siedlung Lichtjahre von Milbertshofen entfernt. Was eindeutig zutraf, wenn man auf allen vieren dorthin kroch. Sie fuhren dann doch mit der Tram zur Familie nach Ramersdorf.

Dummerweise erwischte Opa einen suboptimalen Besuchertag. Zuerst klingelte ihn um sechs Uhr früh die örtliche Lausbubengang aus dem Bett. Wie fast jedes Wochenende. Hierauf stürmte er barfuß vor die Mietskaserne, um ihnen den Hintern zu versohlen. Der erst jüngst ertappte und verhaute Anführer hatte mit dieser Opa-Reaktion gerechnet und ein Grußwort vor die Tür gekritzelt:

Jetzt stehst bis zum Gnack9 im wohlverdienten Kack!

Real betrachtet trat Opa in hinterlistig drapierte Hundehaufen.

Und Oma? Sie hörte dank Oropax keine Lauselümmel bimmeln. Erst der Duft von Opas Füßen erweckte ihre Lebensgeister.

«August, wos stinktn da so?»

«Hundescheiße!»

Jener Fehltritt war ihm megapeinlich, neben der Fußreinigung in der Kloschüssel und dem einbeinigen Gehopse über die hölzernen Treppenstufen. August hatte den versauten Fuß inAltpapier gewickelt, das beim Nachbarn vor der Tür lag, undwar so die Stufen raufgehoppelt. Als er im dritten Stock ankam, schallte es durchs Treppenhaus. Der norddeutsche Nachbar vom

Erdgeschoss schrie:

«Wer bummst hier so?» (Ein Wüterich namens Garke!)

«Und wo ist meine Tageszeitung?» (Die umhüllte Opas rechten Haxen!)

Wegen Augusts Fauxpas verzögerte sich die Tramfahrt nach Ramersdorf um gute zwei Stunden. Unterwegs zur Haltestelle grantelte er weiter herum und verfluchte sozial auffällige Mitmenschen.

«Ja du Hirnwurscht, du damische. Muas dei Zamperl do hischeißn?»10

Keine drei Minuten später.

«Des is koa Radlweg du gwamperte Henna!»11

Kurz vor der Tramhaltestelle kam ihnen eine Nachbarin entgegen.

«Zefix, jetzt kummt de oide Senfgurkn a no daher! Grüß Gott, Frau Kitzberger.»

Wow, ein zehnsekündiger Charmeanfall? Nein, kaum war sie ums Eck …

«De bläde Sau!»

Wie versaut ihr damaliger Ausflug endete, erzählte Oma erst hinterher.

«An da Haltestelle hod er dann weida rumgfluacht, weil a oide Trambahn kemma is.»

Opa, dein Einsatz bitte:

«Zefix nomoi nei, mit dera Schepperkistn fahr i ned!»

August weigerte sich beharrlich, in einer antiken Rumpeltram aus den Vorkriegsjahren mitzufahren. (Opas Alptraum, die Baureihe E.)

Abgesehen davon störte ihn «de oide Schachtel» neben ihm. Nein, er meinte damit nicht zwingend Oma Theresia. Opas Arbeitskollegin wartete ebenfalls am Bahnsteig.

«Grias God Frau Kapallo, mia nehma de nächste, neuere Tram.»

Besser so, jene Modellreihe verfügte über mehr Beinfreiheit, Pobacken-angepasste Schalensitze und moderne Stempelautomaten. Apropos Fahrkarten entwerten: Oma stand rätselnd vor diesem neumodischen Apparat und versuchte, ihren Fahrschein abzustempeln.

«August, wia funktioniertn des Ding do?»

«A geh weida, bist zbläd zum Stempeln?»

Der Fahrgast neben Oma kommentierte Opas fiese Diffamierung.

«A charmante Begleitung hams do dabei! Seids es zwoa verheirat?»

Oma rollte ihre Augen, in welche Richtung bleibt ein Familiengeheimnis. Stinksauer verließ sie daraufhin die Tram und kehrte nach Milbertshofen zurück. Papa wartete inzwischen am Ramersdorfer Bahnhof auf Augusts Tatzelwurm,12 dessen Ankunft sich wegen des vorausgegangenen Ehekraches verzögerte. Der übriggebliebene Streithansel stolperte an der Endhaltestelle heraus und fluchte:

«Zefix, de blädn Treppn!»

Papa vermisste seine Mutter und fragte:

«Servus August, wo isn de Oma?»

«Die is wieda hoamgfahn!»

«Warum? Gehts ihr ned guad?»

«Na, de war z’ bläd zum Stempeln!»

Papa hakte genauer nach.

«Des host aba ned in da vollen Tram zu ihr gsagt?»

«Ja freile, wenns ned stempln ko!»

Opas verkorkster Vormittag bot jede Menge Zündstoff für die spätere Besichtigung. Vater und Sohn − hier trafen zwei unterschiedliche Wohnungstypen aufeinander.

Nördlich der Milbertshofener:

«Mia ham koa Heizung aufm Klo.»

Im Gegensatz zu Ramersdorf:

«Mia scho!»

Des Weiteren: Altbau, dritte Etage, ohne Aufzug gegen Neubauklotz, zweiter Stock, mit Lift. Papa aktivierte den Angebermodus und erklärte Opa August die Vorteile einer modernen Zwei-Zimmer-Wohnung.

«Überall Zentralheizung und unsa Eingangstür hod a Guggerl13! Wega de damischn Hausierer.»

Opa schaute ins Badezimmer und erblasste vor Neid.

«Jesus Christus, do is ja a richtige Badwanna drin.»

Er öffnete die Wohnzimmertür.

«Vorhäng? Und sonst nix?»

Er sah genauer hin.

«ADO-Gardinen mit da Goldkante, öha!»

Im Schlafzimmer ein Hoffnungsschimmer.

«Na ja, immerhin a Schnackselbett14!»

Buchstäblich erschlagen von diesem Luxus, zählte er nochmals alle Räume durch und vermisste Fritzis Kinderzimmer.

«Ja, und wo schlaft da Bua? Bei de Nachbarn drübn?»

«ImKammerl, bis mia a größere Wohnung finden.»

«Wo? In München? Ach übrigens, wo isn euer Mobiliar?»

«Des steht no im Neckermann-Katalog, oder Maria?»

Sie kam mit Fritzi vom Einkaufen zurück und korrigierte ihn:

«Na, Quelle!»

Solch papierlastiges Konsumverhalten änderte sich erst, als ein gewisser Ingvar Kamprad trendige Regalsysteme nebst Köttbullar und Hot Dogs unter dem Namen Ikea anbot – ab 17. Oktober 1974 auch in Eching bei München.

Abschließend fragte Opa nach dem sozialen Umfeld.

«Und de andern Mieter? San des a so Gratler15 wia bei uns? Hundescheiße vormHauseingang, samstags Klingelstreiche, Kaugummi im Schlüsselloch und so weida.»

Albin sagte nur:

«Bis jetzt hod uns no koana vor d’ Tür gschissn. Kumm August, i zoag dir no den Keller.»

Weit kamen die beiden Herren nicht, denn im Parterre öffnete die Grantlhuberin ihre berühmte Lästertüre.

Zuerst ein Kurzporträt der größten Quadratratschen Ramersdorfs. Optisch glich sie Miss Marple (Margaret Rutherford) aus der gleichnamigen Detektivserie von Agatha Christie. Geschätzte 58 Lenze, gewogene 116 Kilo und bestätigte 362 Kalendertage hockte sie am Fenstersims und spionierte ohne Unterlass. Ihrem analogen Google entging nichts. Mülleimerschlachten, verbotenes Ballspielen, stinkende Aufzüge oder illegale Ölentsorgung. Die Grantlhuberin kannte die Täter und deren Komplizen. Fast täglich tratschte sie über freche Kinder und ihre blöden Eltern. Auweh, und jetzt tappten die Garkes in ihr Schmähgespinst.

«GriaßGod, seids es de Neuen vom Zweiten? Mögens an Obstler und a Stückerl Käsesahne? Kommens rein, i muas eana wos erzähln.»

Die Grantlhuberin petzte Neuzugängen gern die Eigenarten der regionalen Problemfälle. Vor allem derer in Fritzis Hausgemeinschaft.

«No anObstler, Herr Garke? Und da Opa? I lass uns einfach de Flaschn do.» Sie erzählte von den Gratlern im dritten Stock, dort konflikte es ständig.

«Letzte Woch hod de bläde Kuah ihrn Mo mitm Dreckkübl übern Laubengang droschn.»16

Blöd, dass sie dabei vergessen hatte, den vollen Eimer vorher auszuleeren. Was für ein Spektakel! Die Bewohner des gegenüberliegenden Hippieblocks freuten sich und grölten über ihre Balkongeländer.

«Zu-ga-be! Zu-ga-be!»

Außer ihr direkter Nachbar, der tobte vor Wut! Denn überall lagen abgefieselte Hähnchenknochen und stinkende Fischgräten herum. Der Betroffene intervenierte und schmierte diverse Schmähverse an die Hauswände.

Mia ham koan Bock auf euren Mist, uns langt scho euer Ehezwist!

No oamoi Dreck vor meinem Heim und i schleif eich bis nach Stadelheim17!

Nützte alles nichts, es landeten weiterhin Lebensmittelreste neben und unter seiner Fußmatte. Zur Freude der darunter lebenden Ameisenkolonie. Die Grantlhuberin verwies auf ein weiteres Büezer-Highlight und fragte, ob bei den Garkes jemand länger schliefe.

«Ja, unsa Hosenbisler pennt oiwei bis neine!»18

«Auweh, da lassens ihrn Burli bessa im Bad übernachtn! Auf dera Seitn is ruhiger ois vorn raus!»

Sie berichtete vom regionalen Eierdandler,19 der jeweils Dienstag und Donnerstag gegen sieben Uhr früh vor Fritzis Kammerlfenster randalierte. Begleitet von nervigem Glöckchengebimmel und Megaphon.

«Friiischee Eiaaa, zehn Stück zwoa Mark. Friiischee Eiaaa, zehn Stück ...»

Ui, beinah vergessen, der röhrende Katoffi-Mo20 kam um acht Uhr, zur Freude aller Schichtarbeiter. Sein Gebrüll und Topfgetrommel hörte man bis zum Siegestor.

«Kabumm-wumm-krach! Katoffii, Kaatooffiii, vier Pfund drei Mark! Katoffiii ...»

Spätestens um acht Uhr zehn flogen dem Katoffi-Mo die Eier-Mo-Eier hinterher!

Der größte Vorteil der Dandlerguerilla (neben der Lebensmittellieferung vor die Haustür): Am Verkaufstresen traf sich die Siedlungsstasi zu ihrem analogen Facebook-Plausch und tauschte belanglose Informationen aus, die die Grantlhuberin wie ein Schwamm aufsog, um sie später brühwarm weiterzuerzählen. Wie die Geschichte der lokalen Autonarren.

Jedes Wochenende blockierten sie sämtliche Parkplätze im Rondell. Ihr Motto lautete: «Umweltschutz? Mia braucha an gscheidn Unterbodenschutz!»

Eimerweise schleppten sie Putzwasser heran. Die Kanalisation ächzte und schäumte vor Wut. Hier sickerte Altöl durch die Böden, dort landete Getriebeöl im Busch und mit den abgefahrenen Reifen spielten die Kinder. Man kroch unter aufgebockte Räder und riskierte Leib und Leben. Wie an jenem Samstagvormittag, als der berühmteste Schrauber regungslos zwischen Vorder- undHinterachse gelegen hatte. Emotional erschlagen vomRostfraß seines südeuropäischen Modells. Ein Kollege versuchte, ihn musikalisch aufzuheitern. Zur umgemodelten Melodie von Janis Joplins Mercedes Benz.

♫ Oh Lord − bitte befrei ihn − aus dieser − Lageee! ♫

Es wirkte. Ölkanderl-Ede alias Rost-Inspektor Clouseau kroch ölüberströmt unterm Auto hervor und verfluchte jedes entdeckte Rostloch. Dreifach! Es dauerte Stunden, bis er sich beruhigte.

Kein Wunder, Ede gehörte zu jener Autofraktion, die lieber unter ihrem Gefährt lagen als auf ihrer angetrauten Ehefrau. Obwohl die tragenden Teile seiner Karre bereits nach drei Jahren komplett durchgerostet waren. Hohn und Spott begleiteten nicht nur ihn, sondern annähernd alle Besitzer dieses Modells. Der Büezer-Autoclub verarschte Ede regelmäßig:

«Do rost ja scho des Papier im Prospekt!»

«Da Tengelmann hod Rostpflaster im Angebot.»

«Willst du trockne Wadeln haben, darfst nie durch tiefe Pfützen fahren!»

Korrekte Analyse einer erfahrenen Lästertruppe. Sie genossen ihre Schadenfreude bis zur nicht vorhandenen Rostversiegelung jenes Fahrzeugtyps. Die hiesigen Autofreaks liebten Edes stramme Haxen. Herausragend unter dem Türschweller, untermalt von bayrischem Fluchen über südländische Rostlöcher, die es per englischem Unterbodenschutz zu bekämpfen galt.

Die Grantlhuberin hatte ihn letztens beim Basteln erwischt und gefrotzelt:

«Servus Ede, na wieda Fehla in allen Teilen?»

Er rumpelte samt Ölkanne unterm Auto empor und brüllte:

«Na! Feuer in allen Töpfen!»

Edes Markenphilosophie aktivierte eine beispiellose Rede- und Lästerschlacht, die sich von Mund zu Mund über sämtliche Ramersdorfer Stammtische verbreitete. Sieger dieser Auseinandersetzung wurde sechs Monate später der bayrische TÜV. Tränenüberströmt erzählte Ede an jenem schrecklichen Tag:

«Dem Prüfer san litaweise Getriebeöl ins Gsicht gspritzt, dann hods an Reifen zerissn und de hoibe Vorderachs is aufm Rütteltisch wegbrocha.»

Egal, treue Kunden wechseln nicht! Kurz darauf stand das feuerrote Spielmobil21 im Hof. Oben ohne, dafür mit zwei Megaantennen für den CB-Funk.

1 500 Kubik Hubraum, circa 90 PS, vier Scheibenbremsen und Edelstahl-Auspuffanlage. Damit röhrte Ede die notorischen Neider an ihre Schmähfenster. Na ja, ehrlicherweise überforderte sein Musikgeschmack das Nervenkostüm der Anwohner. Wenn aus dem Autoradio die unzerstörbaren Klassiker Ein Student aus Uppsala22 oder Heintjes Version von Heidschi bumbeidschi in höchster Lautstärke erklangen, segelten schon mal faule Tomaten oder «weich» gekochte Eier über Edes Seitenscheitel. Die Grantlhuberin beendete ihre dreistündige Lästerrunde und fragte Albin und August Garke:

«No an Obstler zumAusklang?»

«Ja freile!»

«Sowieso!»

Opa erkundigte sich abschließend, ob sie ihre Kinder in Mundart oder Schriftart aufgezogen hatte. Dieses Thema beschäftigte Fritzis Familie seit Wochen. Die Grantlhuberin meinte:

«Wird er denn katholisch getauft? Dann bayrisch!»

Welch exzellenter Vorschlag! Obwohl viele Großstadtpädagogen Mitte der 60er etwas anderes empfahlen. So wie Papas ehemaliger Deutschlehrer.

«Mensch Garke, Hochdeutsch ist gleich Abitur, Studium, Mercedes 300 SL und a Haus am Starnberger See. Dialektsprecher enden oft in diversen Förderschulen. Euer Bub wird vielleicht mal Suppenkoch und wohnt dann auf 14 Quadratmeter am Hasenbergl23.»

Solche Argumente waren en vogue in den 60er Jahren. Mundart verband man mit niedrigem sozialem Status. Gschwerl24 quasi! Familie Garke stimmte mehrheitlich ab und beschloss.

«Der Bua red boarisch, basta!»

Was ein fescher Amerikaner am 26. Juni 1963 auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses leider nicht beherrschte. Er elektrisierte die Massen lieber mit jenem hochdeutschen Spruch: «Ich bin ein Berliner!». Trotz dieses präsidialen Fauxpas verehrte Fritzis Mama John F. Kennedy und verfluchte dessen unfreiwillige Amtsenthebung am 22. November 1963. Gute viereinhalb Jahre später war sie Feuer und Flamme, als im Fernsehen eine Dokumentation über jenes schreckliche Attentat in Texas lief. Geplanter Sendetermin 18 Uhr. Gegen 17:55 Uhr spielte Mamas Kochtopf verrückt und verteilte Fritzis Abendessen unter, vor und neben dem Herd. Was zuerst erledigen? Die halbe Küche renovieren, Kennedy anbeten und zeitgleich neuen Milchreis kochen? Schwierig, sie kannte ja den hitzigen Charakter ihres Gasherdes sowie dessenWeigerung, das Überschäumen einer bayrischen Kuhmilch zu verhindern. Maria führte ein kleines Selbstgespräch:

«Erstens, mei Burli kriagt heid frische Büchsn-Ravioli! Zwoatens, danach putz i de Sauerei weg. Drittens, da Bua übawacht drüben den Bildschirm.» Sie stellte sich nur eine Frage: Wie erkennt ein Vierjähriger den amerikanischen Präsidenten in einem Ramersdorfer Schwarzweiß-Fernseher?

Mama überlegte blitzschnell und kramte die QUICK, Ausgabe 50 von 1963, mit dem Titel Jacqueline Kennedy − Mein Mann John aus ihrer Zeitschriftensammlung hervor und zeigte Fritzi die Fotos darin.

«Do, schau her, des is er! Und wenn der glei im Fernsehn kummt, schreist drauf los, host mi verstanden?!»

Maria verschwand und Fritzi gammelte unter der Glotze umher, nichts-ahnend dass soeben John undJackie aus ihrem Lincoln Continental grüßten. Er winkte ihnen cool zurück und genoss deren glamouröse Stadtrundfahrt durch Dallas. Mama versuchte derweil, ihrer übergelaufenen Milch Herr zu werden. Fatalerweise verlor die letzte Dose Scheuerpulver den Putzkrieg gegen jenen ungestümen Eutersaft. Und während sie nach alternativen Milchentfernern suchte, schrie jemand aus dem Wohnzimmer:

♫ Whoa! ♫

Hä? Zuerst ignorierte Maria den Schrei, beim zweiten Whoa! Whoa! stürmte sie rüber zu Fritzi. Der deutete eifrig auf Kennedys Frisur und Mama fragte sich:

«Seit wann hod da Kännedi an Afrolook?»

Hier stimmte etwas nicht!

«Jetzt host an Kennedy mitm James Brown verwechselt!»

Mama hörte nicht auf herumzumosern.

«Sitzt do rum und schaut da Sexmaschin beim Danzn zua!»

Ihr neuer Schwarzweiß-TV sah’s recht entspannt und wiederholte den Refrain ♫ Whoa! Whoa, so good! ♫

Von wegen ♫ Ei fiel guad ♫! Stinksauer stapfte Maria zurück in die Küche. Abendessen vorbereiten. Sie holte rotes Gemüse, bayrischen Leberkäse, frischen Gurkensalat und Allgäuer Emmentaler aus dem Kühlschrank. Leider litt die Vorabendstimmung unter Papas föhngeplagtem Schädel. Er versuchte, den Schmerz mit Gstanzl25-Singen loszuwerden.

♫ Mia brennt da Huat und des find i ned guad. I stöhn wegam Föhn, und mei Oide finds obszön. Wer erlöst mi jetzt von dem Gedröhn? ♫

Niemand, da es bis zum heutigen Tag keine wirksame Arznei dagegen gibt!

Zu allem Übel fehlte im Kühlschrank kühlender Gerstensaft.

«Maria, do is koa Bier drin!?»

«Na, dann geh in Bierkeller runta!»

Dort traf Albin den Hausmeister beim Glühbirnenwechseln.

«Servus Gurke. Host koa Starkbier mehr daheim, dann trinkst hoid an Lita Wein!»

Papa rezitierte sein persönliches Vaterunser. Ein bis heute populäres Gebet in Bayern:

«Kreizkruzefix-Mileckstamoschnomoinei-Scheissglumpverreckts!»

Abgekürzt und sinngemäß übersetzt: Zefix!

Konsequenz? Er kehrte mit zwei Flaschen Billigwein zurück und kritisierte Mamas Abendmahl.

«Maria, wos isn des rote Zeigl26 da?»

«A Mitbringsel vo de Nachbarn, a Südtiroler Paprikaschote, hams gsagt.»

«Bua, mogst a Stückerl probiern?»

Fritzi nickte und verschlang dieses nach Tomate aussehende Gemüse. Keine fünf Sekunden später strömte massenweise Rotz aus seiner Gurke. Papa erging es genauso, er probierte ebenfalls von jener norditalienischen Spezialität und überschwemmte den halben Tisch mit Nasenschleim. Welch Drama!

Mama versuchte, die beiden feuerspeienden Drachen wieder einzufangen. Sie lief zum Kühlschrank, riss die Tür auf und brüllte ins Gefrierfach:

«Eis, Eis! Wo san de Eiswürfel?»

Gab es keine, also stattdessen Salatdressing gurgeln! Das hilft gegen hinterfotzige Peperonigeschenke. Stimmt, vor allem wenn erfrischender Joghurt die Salatsoße bereichert! Kurz darauf klingelte es. Die norddeutsche Chili- Guerilla stand draußen. Geplagt von Gewissensbissen.

«Wir haben euch schreien gehört. Könnte es sein, dass unser Südtiroler Souvenir ...?»

Fritzi kam aus der Küche geschlichen und bejahte diese Vermutung. Die

Hamburger Nachbarin sah seine rauchende Gurke und zuckte erschrocken zusammen.

«Heiliger Klabautermann!»

Nein, der nicht, sondern Fritz Garke! Der über zehn Jahre kein rotes Gemüse mehr anrührte! Die vermeintlichen Übeltäter spendeten dem Buben 20 Mark Schmerzensgeld und Papa tröstete ihn mit der Aussicht auf das kommende Wochenende bei Oma und Opa.

7 Büezer: Schweizer Begriff für Arbeiter.

8 Angelehnt an Bob Dylans 1962er-Version.

9 Genick.

10 Du Hirnmortadella, du hirnlose. Muss sich dein Hündchen hier versäubern?

11 Dies ist kein Fahrradweg, Sie fettes Huhn!

12 Spitzname der Münchner Bevölkerung für den Trambahntyp P 1.65. Im Einsatz von 1960 bis 1976.

13 Türspion.

14 Ein sex-zertifiziertes Ehebett.

15 Asozialer. Abgeleitet von «Kratten», ein zweirädriger Wagen, mit dem fahrende Händler einst von Tirol nach Bayern reisten.

16 Letztens hat die blöde Kuh ihren Ehemann mit Hilfe eines Mülleimers über den Hausflur gejagt.

17 Justizvollzugsanstalt in München-Giesing.

18 Ja, unser bettnässender Junior schläft immer bis neun Uhr.

19 Eierhändler.

20 Kartoffelmann.

21 Titel einer Fernsehserie des Bayerischen Rundfunks für Kinder (1972 bis 1981); konzipiert als deutsche Version der Sesamstraße, die die soziale Situation in Deutschland widerspiegeln sollte.

22 Von Kirsti, 1969.

23 Münchner Stadtteil; bis in die 2000er Jahre hinein als sozialer Brennpunkt Münchens bekannt.

24 Gesindel.

25 Bayrisches Spottlied, meist vierzeilig vorgetragen.

26 Zeug.

4 Milbertshofener Erlebnisse

Fritzi und Albin fuhren am darauffolgenden Samstag zu den Großeltern, ihr renoviertes Gemeinschaftsbad im Keller bestaunen. Vorausgesetzt niemand anders besetzte die Wanne. Opa und Papa schauten heimlich durchs Schlüsselloch und erschraken. An jenem Tag planschten zwei imposante Busen darin. Albin stöhnte:

«Allmächtiger!»

Nein, der badete woanders! Hier lag Garkes Nachbarin Helga P. im Schaum, was ihr Opas Verserl am Kellereingang bescherte. Die betroffenen 120 Kilo und deren Ehemann fanden es nicht komisch! Zur Melodie von Die alten Rittersleut:

♫ Woits amoi wieda richtig baden, müassts eich in den Keller wagen. Da schnorcheln Helgas Hängebrüste und scho is vorbei mit eure Lüste! ♫

Fritzi dachte genauso, er hasste dieses finster-feuchte Kellerloch. In Omas verzinktem Wäschebottich fühlte er sich wesentlich wohler. Obwohl die Großeltern, wie früher bei den Kannibalen, sein Badewasser über dem Feuer erhitzten. Begleitet von Opas Gscheidhaferl27-Blabla.

«Theresia, schütt no a koids Wasser eine. Du verbrühst ja des arme Kind!»

«Gib a Ruah, August, kipp liaba no mehr badedas nei!»

Ui, wie dies knisternd schäumte und Fritzis Zinkeimer in einen duftend-grünen Fichtenhain verwandelte. Opa nutzte lieber das winzige Waschbecken neben der Fensterfront. Dank exotischer Verrenkungen gelang es ihm, fast alle Körperregionen selber einzuseifen. Außer die Kehrseite, hier kam Opas umfunktionierte WC-Bürste zum Einsatz.

Ein kurzer Rundgang durch die damalige Zwei-Zimmer-Altbauwohnung. Hereinspaziert, äh, die Schuhe bitte! Geradeaus das Schlafgemach, ohne Heizung und TV-Anschluss, dafür knarzte der Holzboden bei jedem Schritt und Tritt!

Links vom Eingang die Wohnküche mit Omas dominantem Tellerbuffet, daneben ein Vier-Flammen-Gasherd, fabriziert um 1935. Halbrechts davon ein verrußter Kohleofen. Hinten im Eck thronte Opas Nordmende-Röhrenradio und Fritzi kannte nahezu alle Sender! Bayern 1, Bayern 2 und AFN auf der Mittelwelle. (Nicht zu verwechseln mit der Münchner Eisbachwelle.)

Und jetzt kommt der Clou! Oma und Opa besaßen eine vollintegrierte Geschirrspülvorrichtung des Fabrikats Theresia Garke, welche folgendermaßen zu bedienen war:

Drehe die obere Schwenkeinheit aus dem Küchenspülkasten heraus. Es erscheinen zwei versenkbare Kunststoffschüsseln. Schütte das zuvor erwärmte Leitungswasser in die rechte Schüssel und gib handelsübliches Geschirrspülmittel dazu. Im linken Behältnis kannst Du wahlweise das Geschirr abtropfen lassen oder einen Kartoffelsalat zubereiten. Alternativ können die beiden Plastikwannen zum Teig rühren, Kinder baden, zur Fußpflege und für allgemeine Reinigungsarbeiten verwendet werden. Bitte beachte: Die maximale Belastung liegt bei zehn Kilogramm pro Spüleinheit! Für unsachgemäßen Gebrauch (z.B. als Gäste-WC) übernehmen wir keinerlei Haftung!

Kein Problem, in der Wohnung existierte ja eine separate Brunzkabine28. Knappe 1,2 Quadratmeter, ohne Heizung, dafür mit undichten Fenstern und zeitgemäßem Kettenzug, den man schon während des Kackvorgangs bediente, nach der Devise: Darf’s nicht mehr übel stinken, musste fix die Kette finden! An frostigen Winter- und kühlen Sommertagen hieß es: Lieber schiffst im Bahnhofsklo, ois dahoam ins koide Klo! Zum Glück hing der Wasserkasten unterhalb des Plafonds29. Dort oben staute sich die warme Abluft aus der darunterliegenden Kloschüssel, sodass dieser nicht einfror. Auf dem Toilettensitz unten lauerten dagegen die Eisheiligen auf überhitzte Hodenträger. Fritzi schrie an einem sehr kalten Frühlingstag um Hilfe.

«Opaa, i frier aufm Klositz fest!»

August kannte alle Tricks, um so etwas zu vermeiden.

«Leg hoida Zeitungspapier drunta! »

Welch innovativer Einfall. Jene Isolierschicht aus Papier erwärmte und reinigte nicht nur kühle Hinterbacken, sie reduzierte auch den Donnerhall, wenn der hölzerne Klodeckel auf die Klobrille krachte. Was Garkes lärmempfindliche Nachbarin tierisch stresste. Ständig moserte sie über diverse Bums- und Knallgeräusche von oben. Egal ob Oma Schnitzel verdrosch oder Fritzi amWC-Deckel hängenblieb. Beim geringsten Laut bumperte sie mit ihrem Besenstiel gegen die Zimmerdecke. Opa nervte diese Bumserei gewaltig und er bumste schnurstracks zurück. Oma versuchte, schlichtend einzugreifen. Vergeblich.

«Gustl, kimm sofort vom Stuhl runta!»

«Host recht, Theresia, i hoi unsa Staffelei! Des bumst no bessa!»

Doch mit dieser Bumstechnik riskierte August, im Boden einzubrechen. Die

Zwischendecken bestanden zu jener Zeit aus einer windigen Holzbalkenkonstruktion mit innenliegenden Strohschichten. Der Volksmund nannte diese Bauweise auch Spanner- oder Lauscherbeton.

Fritzi erinnert sich gerne an Opas Versuch, die neue Küchenlampe aufzuhängen. Zuerst schoss ihm der Handbohrer durch den Hohlraum und landete unsanft auf dem darüberliegenden Dachboden.

«Zefix!»

Daraufhin bohrte er über 20 Löcher ins Gebälk.

«Zefix, wieda nix!»

Bei Nummer 21 erwischte er endlich tragendes Material. Und bis dahin hörte Fritzi die ordinärsten Kraftausdrücke seines Lebens. Opa verfluchte sich an jenem Vorabend quasi den fix gebuchten Platz im Paradies!

«Himmeoschundzwirn, Sacklzement, Kreizognogelter, Scheißglumpvarrecktz, Saubohrer bläda, damischa Brunzdübel!»30 Und: «Jamileckstamosch, jetzt hob i as Kabel obohrt!»

So klang die gekürzte und entschärfte Version von Opas zehnminütiger Schimpftirade. Den restlichen Abend verbrachten Fritzi und Opa dann relativ entspannt vor dem Schwarzweiß-Fernseher. Oma war saure Sülze beim Metzger holen und August musste zwischendurch aufs Klo. Dieses «Fritz allein im Zimmer» nutze er aus, um sich durch das TV-Programm vom 12. Mai 196731 zu zappen. Dazu drückte er die Tasten am Gerät. Zuerst die Unterste:

ZDF, 18:20, Die Drehscheibe. Erik Silvester sang «Das kann nicht wahr sein». Etwa dieser Bericht aus den österreichischen Nachrichten? Fritzi schaltete nach Eriks Gesangseinlage auf:

ORF 1, 18:30, Kurznachrichten.

Und welche Neuigkeiten präsentierten sie im ORF? Kochten da Rainer Langhans und Uschi Obermeier ihr Kommunensüppchen Nummer 1? Oder hüpfte dieser Afrolook tragende Präsident aus Berlin durchs Bild? Nein, Fritzi entdeckte drei spärlich bekleidete Damen beim kollektiven Herum-hopsen. Halleluja, jene Aufnahmen bescherten dem Frechdachs das ultimative TV-Trauma vor der Einführung des Privatfernsehens. Oma Theresia, die gerade vom Metzger zurückkamerblickte die Nackedeis und stellte sich breitbeinig vor den Bildschirm. Dabei versuchte sie, die gezeigten Schweinereien abzudecken.

War sie damit erfolgreich? Leider nein, der neugierige Enkel fragte genauer nach:

«Ui, des warn doch grad Nackerte, oda?»

«Schau weg! Des is nix für kloane Buam!»

«Wieso? Warum?»

Oma brüllte Opa vom Klo herunter:

«Gustl. A-U-G-U-S-T, machs Hosentürl zua und kumm rüber!»

«Wos isn los?»

«I kumm ned an den Knopf. Sonst sieht da Bua an nackaten Busen! Umschoitn soist, aufs Erste. Zefix!»

«Bin ja scho da. Öha, i seh da aber sechs, äh − Dingsbums!»

Opa, der alte Schelm, drückte versehentlich daneben, zur Freude des schau-und fraglustigen Buben.

«Warum san de alle nackert?»

«Weils nix oham!»32

Erfreulicherweise hinterließen jene Bilder keine bleibenden Schäden bei Fritzi. Und beiläufig noch erwähnt: Ein Glück, dass ihn Mama nie in Omas Gegenwart gestillt hatte. Die strenge Sittenwächterin hätte sie glatt auf Opas Couch erschlagen! Oma Theresia repräsentierte das prüde Wertesystem des 19. Jahrhunderts und erstickte dabei jedweden freizügigen Gedanken. Opa nicht! Fatalerweise erreichte Theresia mit ihrer «Allmächtiger, der Bub sieht an nackerten Busen!»-Philosophie genau das Gegenteil bei Fritzi. Er schnüffelte regelmäßig in der Wohnung herum und stellte bezüglich seiner Fundstücke peinliche Fragen an die Oma.

«Oma, wos isn des? Oma, wofür braucht ma sowos? Oma, warum fibriert des so? Omaa?»

Viele Fragezeichen, die selbst abgebrühte Großmütter in Erklärungsnöte bringen! Theresia verzichtete auf ausgiebige Erklärungsversuche, sie kam lieber mit ihrem altbewährten Wischiwaschi ums Eck.

«Des verstehst eh ned! Dafür bist no z’ jung! Jetzt hob i koa Zeit und mia woitn doch mitmOpa aufn Spielplatz gehen!»

Juhu, rüber zur Rutschbahn und rein in den Sandkasten! Dort spielten brave Kinder Viehtreiber und Ortsansässige33. Dumme Buben warfen Kieselsteine umher und Garke Fritz formte zwei halbmondförmige Sandhaufen. Oma gelang es diesmal nicht, sofort zu reagieren und die Skulpturen abzudecken. Sie litt unter Schockstarre, hervorgerufen durch fiese Lästerattacken ehrfürchtiger Kindermütter. Opa zeigte da ein wesentlich entspannteres Verhalten. Er erklärte den verdatterten Damen, dass Fritzi da keine Busen aus Sand modelliert hatte, sondern die Zwiebelhauben oberbayrischer

Wallfahrtskirchen. Was ihm niemand glaubte, daher folgten die üblichen Sanktionsmaßnahmen katholischer Frauenzimmer.

«Sebastian, Gabriel. Gehts fort von dem Schmutzfinken!»

«Walbona, Gundula, lasst doch das Schmuddelkind alleine spielen!»

«Jonathan, nimm bitte Abstand von diesem Strolch!»

Die in Oberbayern geborene Großmutter nicht zu vergessen!

«Reserl, spui ja ned mit dera Satansbrut!»

Den Schlusspunkt setzte ein schaukelndes Kind. Das kleine Mädchen reklamierte die schlüpfrige Kleiderordnung des Halbmondbauers.

«Mama, Mama! Dem Ferkel schaut hinten sei Arschloch naus!»

Zugegeben, Fritzis Hintern-Gate verletzte die Schamgefühle von mindestens sieben sakral angehauchten Sandkastenkindern und deren Müttern. Seine Ritze war ja weithin sichtbar! Opa dagegen amüsierte sich köstlich über die frommen Damen vom Spieleparadies Sankt Georg34.

«De ganzen Eisheiligen woitn den Sandkastn am liabsten mit Weihwassa besprühn. Heilig desinfizieren, quasi!»

Und Oma fügte noch hinzu:

«Wos für a Kaschperltheater, schlimma ois jeder Woid- und Wiesenzirkus!»

Nicht ganz, denn auch da kann so manches aus dem Ruder laufen, gell Familie Garke!

Fritzis Lieblingszirkus gastierte in Milbertshofen und überall hingen die Clown-Plakate an den Häuserwänden.

Pitschi & Patschi machen lauter drollige Sachen.

Opa besorgte hochkarätige Eintrittskarten für die Kindervorstellung und Oma überraschte Fritzi.

«Schau, wos uns da August gschenkt hod, zwoa Freikartn im ersten Rang.»

«Boah, ganz vorn an da Arena!»

Freitagnachmittag, zuerst mal Schlange stehen und Popcorn mampfen. Es regte sich was am Eingangstor. Der Harlekin Pitschi begrüßte die ihm bekannten Gäste.

«Ah, der Prinz von Wollmatingen mit Gemahlin von Betting und die lieben

Kinderlein. Bitte folgen Sie meinem Zwillingsbruder Patschi auffällig zu ihrem reservierten Logenplatz. Kapellmeister: Fanfaren, Tusch!» Jetzt die ihm unbekannten Gesichter.

«Die Eintrittskarten!? Rechte Treppe hoch, Reihe 16, neben der Kapelle und hinter dem zweiten Pfosten links außen.»

Da stimmte irgendetwas nicht, Oma reklamierte:

«Äh Sie, Herr Pitschi oder Patschi, wieso ganz nauf? Mia ham doch Kartn ganz vorn?»

«AhMademoiselle, bedaure. Erster Rang ist weiter oberhalb, gnihihi.»

Besser gesagt unterm Dach! Oh weh, Opa. Hatte er unten mit oben verwechselt? Mist, ohne Fernglas sahen sie hier weder die Blutlache des abgestürzten Seiltänzers noch den Hintern eines Haflingers. Wurscht, die Pferdenummer langweilte Fritzi eh und hopsende Schweinderl kannte er vom österreichischen Fernsehen her. Im Anschluss verging dem vierbeinigen Löwenimitator die Lust am Brüllen. Er warf sein Löwenkostüm ab und sauste kläffend ins Freie. Oma äußerte dezente Kritik an diesem zur Bestie mutierten Bernhardiner.

«Ja, war des koa echta Löwe? Mia san doch in koam Bamperlzirkus35!»

Nein, aber in einem Kinderzirkus und die wahre «Raubtiernummer» kam fünf Minuten später.

«Ui Oma, de Clowns kemma. Schau, da Pitschi rennt zu uns aufi.»

«Ja, wos wui denn der da heroben?»

Na, was wohl? Rauben, plündern und blamieren! Ratzfatz klaute er Fritzis rechten Schuh und rannte damit Richtung Manege. Des Harlekins Kurzprogramm: zuerst den Latschen jonglieren, im Anschluss daran riechen und zuletzt dahinsiechen. Die Rettung nahte dank zweier Reserve-Clowns. Sie leisteten erste Hilfe und schleppten ihren erstunkenen Scherzkeks an die frische Luft. Hierauf stürmten drei weitere Faxenmacher samt Gasmasken herein und desinfizierten Garkes Killerschlappen. Zwei von ihnen fielen dabei in Ohnmacht. Der übriggebliebene Patschi rannte hinter die Manege und holte eine XXL-Angel hervor. Dort befestigte er Fritzis Stinkstiefel und kurbelte ihn unters Dach zurück. Die vollbesetzte Arena tobte und am Ende der Vorstellung tanzten circa 400 Zeigefinger auf Gurkes Nase herum. Einschließlich blöder Sprüche. Ein verstörtes Kind beschuldigte Fritzi.

«Mamaa, wegen dem seim Käshaxn san de Klauns verreckt!»

«Ach Sörenson, Mutti vertraut dir nun einGeheimnis an: Die ohnmächtigen Clowns gehörten sicher zum Programm.»

Na toll, was nützte dies dem armen Fritz? Er fühlte sich wie Rik Battaglia, alias Bandit Rollins, der in Winnetou 3 den berühmten Apachenhäuptling erschossen hatte.

Nach dieser Blamage suchte Fritzi Trost bei Omas weltbestem Apfelkuchen.

Welch Genuss! Luftiger, saftiger Biskuit gespickt mit dezent sauren Apfelstücken unter einer schneeweißen Puderzuckerhaube. Lauwarm serviert und innerhalb von fünf Minuten vernichtet. Opa schlug ihm zur Verdauung vor:

«Mia könntn am Bahndamm wieda Geldmünzen drucka.»

Warum nicht? Die beiden spazierten zu ihrem Stammplatz nahe dem Milbertshofener Bahnhof. Da stellten sie jede Menge Blödsinn an, wie Pfennigstücke auf die Schienen kleben. Die darüberrollenden Züge prägten deren Nennwert neu und Fritzi frohlockte.

«Ha, des Fünferl is jetzt quasi a Fünfer!»

Oder Opas legendäre Knatterorgel. Er leimte circa 500 Knallerbsen hintereinander auf den Schienenstrang. Vorsichtshalber hundert Meter entfernt, damit kein Verdacht aufkam, dass alt Dick und jung Doof sowas Saublödes anstellten.

«Wahnsinn Opa, mei hod des gscheppert.»

«I hob no a Packerl dabei!»

Übrigens, die Bahnpolizei verdächtigte Milbertshofener Jugendbanden.

Schokoladefressende Picknicker dienten ihnen als hilfreiche Zeugen.

«Äh, de zwoa Gratler san do hinta grennt.»

Ja, darum besuchten sie regelmäßig das Bahngelände am Oberhofer Weg: Geldmünzen drucken, Lokführer erschrecken und antike Züge fotografieren. Opa stand auf professionelle Fototechnik. Legendär sein geheimes Kellerlabor und das 500er-Teleobjektiv, mit dem er auch gerne halbnackte Isarmadel abschoss. Blöderweise landete die letzte Filmrolle in einem regulären Fotolabor. August erzählte erst bei Fritzis 18. Geburtstag von dieser peinlichen Verwechslung.

«Herr Garke, ham sie den Fuim versehentlich bei uns entwickeln lassn? Normalaweis stellens soiche Buidl doch liaba selber her, oda!?»

«Äh, die da? Ui, do hod sicha mei Enkel irrtümlich aufn Auslöser druckt.»

Ja, die analoge Technik konnte gewaltig nerven, vor allem wenn es pressierte und der Scharfsteller klemmte. Regelmäßig versauten Belichtungszeit, korrekte Blendenwerte oder fehlende Objektive den idealen Schnappschuss.

Heute saßen die beiden Eisenbahnfans zwischen zwei breiten Büschen an vorderster Front. Fritzi verdrückte die mitgebrachte Sprengel-Schokolade und Opa klebte die übrig gebliebenen Knallerbsen auf die Schienen. Sie versteckten sich gut getarnt im angrenzenden Gebüsch. Da, ein grünes Signal und Zuggeräusche. Bingo! Der Lokomotivführer tappte in ihre Sprengfalle und reduzierte das Tempo. Au weh, da kam Ärger angebremst! Opa rechnete gedanklich durch: Anzeige wegen gefährlichem Eingriff in den Bahnverkehr – eine Vorstrafe für den Großvater − Oma ergreift Strafmaßnahmen und backt uns Apfelkuacha ohne Äpfel! Jetzt brauch ma a Jesuswunder! Der Heiland erhörte Opas flehen und schickte zum Glück jemanden vorbei. August und Fritzi drehten sich um und sahen einen komischen Vogel Richtung Schienen flattern. Opa checkte sofort, was dieser plante. Er zog den Enkel hinter sich und deckte ihn komplett ab. Sekunden später hörten sie Bremsgeräusche und ein schrilles Pfeifen der ankommenden Lokomotive. Dank Augusts Reflex blieb Fritzi der schaurige Aufprall erspart.

Opas erster Gedanke: Rückzug! Weg von den Geleisen und wie erkläre ich sowas meinem Enkel? Gespickt mit schwarzem Humor?

Opa: «Bei dene gabs fünfmoi in da Wocha Dosenravioli! Und zwoamoi Blutwürscht mit Sauerkraut!»

Fritzi: «Do dad i mia umbringa!»

Doch durch die zuvor eingeleitete Knallerbsenbremsung des Lokführers überlebte der Möchtegern-Selbstmörder den Aufprall. Die eintreffenden Polizisten riegelten alles ab und der Notarzt erzählte ihnen, was passiert war. Opa berichtete ebenfalls und belauschte nebenbei den Polizeifunk:

«Isar 12 an Zentrale ... Ja mei, do hods oan sauba dabräselt. Litaweise Bluad hod der verloren. A haufa brochane Knocha, Platzwunden und Hautabschürfungen vom Mitschleifa.»

Fritzi fragte hinterher:

«Opa, und wenn der voll unta de Lok kemma wär?»

«Vermutlich a Begräbnis aufm Ostfriedhof!»

Mehr dazu, und wie man dort (verfrüht) eincheckt, im folgenden Kapitel.

27 Schlaumeier.

28 Toilette.

29 Zimmerdecke.

30 Himmel-Hinterteil und Zwirn, Sakrament, der ans Kreuz genagelte Herr Jesus Christus, wertloser Plunder und blödes Equipment.

31 Quelle: http://retro-media-tv.de.

32 Weil sie keine Kleider tragen!

33 Cowboy und Indianer.

34 Der Spielplatz der Kirchengemeinde.

35 Miniaturzirkus oder sehr laienhaft geführter Zirkus.

5 Wer früher stirbt ...

... füllt unter Umständen die Kassen der Hinterbliebenen. Oder auch nicht! Oiso, let´s go Ostfriedhof, den Nachlass eines verstorbenen Verwandten überprüfen. Ursprünglich hatten beide Elternteile geplant, dass Fritzi den beobachteten Suizidversuch bei Oma und Opa verdaute, die sich am nächsten Tag vergeblich bemühten.

«Burli, soi i heidMitdog an Obaztn36 und abends a Gschnetzeltes mit Püree macha?»

«Geh Theresia, jetzt hob i extra fünf Pfund Hackfleisch kafft.»

«Ja guad, dann mach i an Hackbratn und ois Beilage gibts echte Reibadatschi37.»