Hot Jesus: Ziemlich verrückt verliebt - Katharina Gersch - E-Book
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Hot Jesus: Ziemlich verrückt verliebt E-Book

Katharina Gersch

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Beschreibung

Um ihren Job in London zu behalten, verschlägt es Journalistin und Workaholic Millie Jones vom Großstadtdschungel mitten ins Schweizer Nirgendwo. Ihre Mission? Gloria, partyfreudiges It-Girl und Tochter ihrer Chefin, ausfindig zu machen und heil nach Hause zu bringen. Ein ohnehin schon schweres Unterfangen, das sich noch schwieriger gestaltet, als sie auf Hot Jesus trifft. Sexy Gründer einer Hippie-Kommune, der Millies Verständnis von einem geordneten Leben völlig auf den Kopf stellt und auch ihr Herz nicht unberührt lässt ...

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HOT JESUS

ziemlich verrückt verliebt

a

Katharina Gersch

© 2022 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Titelabbildung: © Photosum (Depositphotos)

Lektorat & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-14-6

ISBN-EPUB:978-3-903413-15-3

www.romance-edition.com

Für Martin,

meinen persönlichen Hot Jesus.

1. Kapitel

Glückwunsch

Das Klackern meiner Absätze und das Rattern meines knallroten Rollkoffers auf den Fliesen des Hauptbahnhofs unterstrichen akustisch die Dringlichkeit meines Vorhabens.

Ich war auf einer Rettungsmission, bewaffnet mit meinem Laptop, meiner Ray-Ban-Sonnenbrille und der neuesten Ausgabe der Gloria,zusammengerolltin meiner Hand.

Gekonnt manövrierte ich mich an allen für mich zu langsamen Fahrgästen vorbei und bahnte mir einen Weg durch die Menschenmassen zum ersehnten Gleis.

»Entschuldigung, darf ich mal?«, sagte ich zu einem gemütlich schlendernden, rundlichen Mann, der unentschlossen hin und her schaukelte. Er sah aus wie ein Bär auf der Suche nach einem Plätzchen für seinen nächsten Mittagsschlaf.

Als Antwort erhielt ich ein Brummen.

Der Schweiß stand mir auf der Stirn, und das mochte ich gar nicht. Ich hasste es, zu schwitzen, deswegen bevorzugte ich die kühleren Temperaturen im Frühling statt der sengend heißen des Hochsommers, und innerlich verfluchte ich die flügge Tochter meiner Chefin dafür, dass ich ihretwegen nach einem fast zweistündigen Flug aus London auf Pumps durch diesen stickigen Schweizer Bahnhof hechten musste. Für meine Hast konnte sie natürlich nichts. Das Taxi hatte mich zu spät vom Flughafen abgeholt, und nun war ich, trotz meines peniblen Zeitplans, sehr knapp dran. Das mochte ich übrigens auch nicht. Alles, was nicht vorhersehbar und planbar war, verabscheute ich. Ich machte einen weiten Bogen darum. Ordnung war für mich das ganze Leben. Keine halben Sachen.

Gloria, die Tochter meiner Chefin und ungewollte Namensgeberin ihrer Frauenzeitschrift, war das komplette Gegenteil von mir. Sie war fast noch ein Kind, Konsequenzen waren ein Fremdwort für sie, und sie nahm jeden Fehler mit, der ihr nur hell und schrill genug ins Auge sprang. Alles Neue probierte Gloria aus, ohne Rücksicht auf Verluste. Sie war wie der Terminator, wenn es um Abenteuer ging, und jedes Mal musste ich ihr aus der Patsche helfen. Und wirklich jedes Mal endete es in einer Katastrophe. Gloria war Wiederholungstäterin, einfach beratungsresistent. Gloria auf Abenteuerreise war mehr als bedenklich. Es war gefährlich.

Mein Handy klingelte, und ich zuckte zusammen. Schon bevor ich auf das Display schaute, wusste ich, wer mich anrief. Endlich erreichte ich das Gleis und sprang in den Zug. Das Klingeln hörte auf, aber mir war klar, dass sich meine Chefin jeden Moment wieder melden würde, und so suchte ich mir schnell einen freien Platz. Der Zug war zum Glück klimatisiert, doch auch hier roch es nach Schweiß, Fritten und schalem Bier – der Geruch fehlender Privatsphäre.

Ich Glückspilz fand einen freien Vierer-Sitz, sodass mein roter Koffer und ich genügend Platz hatten. Für eine zweistündige Fahrt in die Pampa genau das Richtige. Als ich den kleinen Klapptisch entdeckte, freute ich mich, gleich noch etwas arbeiten zu können und genug Zeit für eine ausführliche Recherche meines Reiseziels zu haben.

Vor ungefähr drei Wochen hatte Gloria auf Twitter einen Post von einem Mann entdeckt, der angeblich der Gründer einer Art Hippie-Kommune war. Es schrie förmlich nach Sekte und Bitte-nicht-mitmachen. Mehr Einladung benötigte Gloria von Goldberg nicht.

Es hatte ziemlich genau achtundvierzig Stunden gedauert, bis sie sich auf den Weg zu diesem aufgehenden Stern am Hippie-Himmel, dem sogenannten Hot Jesus, und seiner selbsternannten Gemeinde gemacht hatte. Wie besessen war sie davon gewesen. Seitdem hatte niemand mehr etwas von ihr gehört oder gesehen. Selbst ihr heißgeliebtes Handy war seit ein paar Tagen ausgeschaltet. Das wiederum beunruhigte meine Chefin Cordelia. Bis ihr die perfekte Lösung für dieses Problem eingefallen war: in Form von mir, ihrer loyalsten Redakteurin. Und schwupps schubste sie mich ins kalte Wasser.

Mein Auftrag: Ich sollte ihre geliebte Tochter Gloria aus den Fängen dieses, ich zitiere, Perversen retten, und dabei zu hundert Prozent diskret vorgehen. Da unser It-Girl schon genug Schmutzwäsche zu waschen hatte, würde ein Sektenbesuch bestimmt nicht zu der geplanten Image-Aufbesserung beitragen. Sie war zwanzig Jahre alt, und ihre Mutter rechtfertigte ihr zügelloses Verhalten vor sich und den Medien als eine nie enden wollende Selbstfindungsphase.

Mein Handy klingelte erneut. Ich holte tief Luft, um mich auf den Anruf vorzubereiten. Meine Chefin konnte sehr respekteinflößend sein, und ich wollte meinen Job unbedingt behalten. Für eine Sache, die mir leichtfiel und die mir meistens Spaß machte, bekam ich sehr gutes Geld, das ich dringend brauchte. Es würde mir die Türen zu meiner Luxus-Traumwohnung öffnen.

»Millie?! Bist du dran?«, krächzte meine Chefin aus der Leitung.

Um mein Trommelfell nicht auf Dauer zu schädigen, hielt ich mein Telefon ein Stück von meinem Ohr entfernt.

»Ja, Cordelia, bin ich«, sagte ich und versuchte, mich mit einem Blick aus dem Zugfenster auf die Bergkulisse zu beruhigen.

Es war eine Ehre, Frau von Goldberg beim Vornamen nennen zu dürfen. Ich war nun schon seit neun Jahren als Redakteurin ihrer Zeitschrift Glitter, Glamour, GLORIA tätig und hatte mir das Recht dazu hart erarbeitet. Und zwar mit zahlreichen Überstunden, egal ob unter der Woche, an Wochenenden oder an Feiertagen. Zusätzlich war ich zeitweise persönliches Mädchen für alles. Wie auch in diesem Moment: ein Eine-Frau-Suchtrupp.

»Wie weit bist du, Millie?«

Trotz fast ein Jahrzehnt andauernder Zusammenarbeit hatte ich mich noch nicht an ihre krächzende Stimme gewöhnt.

»Ich bin auf dem Weg in die Schweizer Alpen.« Und wie ich das war. Die Berge wirkten wahrscheinlich auf viele beeindruckend. Auf mich machten sie eher den Eindruck wie übergroße Hindernisse, die eine schnelle Flucht aus diesem Schlamassel erschwerten. Mitten rein ins Nirgendwo, und das auf viel zu selten gesäuberten Stoffsitzen. Wenn ich mich so umsah, hatte ich keine Ahnung, weshalb ich damals in der Schule den Deutsch-Leistungskurs belegte. Vielleicht ein Anflug von Nostalgie, weil meine Vorfahren aus dem Land dieser hartklingenden Sprache kamen. Warum auch immer, jetzt nutzte es mir immerhin etwas.

»Sehr gut. Ausgezeichnet. Bring mir meine Gloria heil wieder nach Haus.«

Es klang nicht wie eine Bitte, sondern wie eine Anordnung. Cordelia von Goldberg würde nie um etwas bitten, sie erwartete und war gnadenlos.

»Natürlich, Cordelia. Habe ich je versagt?« Eine rhetorische Frage, und Cordelia von Goldberg ignorierte sie. Natürlich.

»Ich will meine Tochter!«, verdeutlichte sie noch einmal meine mir sehr klare Aufgabe.

»Bekommen Sie, Cordelia«, versprach ich und hoffte, dass Gloria dieser Sekte in den paar Tagen noch nicht beigetreten war und sich ein Klan-Symbol oder etwas Ähnliches hatte stechen lassen.

Damit legte sie auf. Begrüßung und Verabschiedung waren für Cordelia Zeitverschwendung, und Zeit war Geld. Der kleine Plastik-Tisch war flink aufgeklappt, und ich stellte meinen Laptop darauf. Bei Google gab ich das Stichwort Schweizer Alpen ein, um mich zu informieren, wohin es mich verschlagen würde. Klar hatte ich davon gehört, aber bisher hatte mich nichts hierhergezogen, und ich hatte keine genaue Vorstellung von diesem Land. Abgesehen davon hatte ich das letzte Mal vor drei Jahren Urlaub gemacht, und das auch nur, weil sich Gloria eine spontane Auszeit in Spanien gönnte und ich sie wie eine Kopfgeldjägerin aufspüren musste. Als ich sie fand, waren wir noch vier Tage länger am Playa es Trenc geblieben. Ich aalte mich gedanklich in dieser Erinnerung.

Das Suchergebnis zu den Schweizer Alpen hatte so gar nichts mit Spanien gemein. Mich erwarteten Bilder mit vielen sehr hohen Bergen, Tannenbäumen und Kirchenspitzen in kleinen Tälern. Selbst die Fotos sahen eingestaubt aus. Ich erschauderte. Hätte dieser Hot Jesus seinen Harem nicht irgendwo in der Karibik, in Australien oder in Südfrankreich aufbauen können? Meer, salzige Luft und Sonne auf der dann bald gebräunten Haut wären mir lieber gewesen.

Als ich so die Landschaft auf den Bildern betrachtete, überdachte ich meine mitgebrachte Garderobe. Vermutlich würde die Funktionsfähigkeit meiner Kleidung nicht ausreichen für so eine, sagen wir mal, ursprüngliche Gegend.

Mit Argwohn stellte ich mir vor, wie ich mit meinen Pumps und den engen Röcken und Kleidern felsige Berge hochklettern würde, mit rechts und links nur Tannen im Blickfeld.

Aber das wahrgewordene Grauen erreichte meine Augen auf den nächsten Seiten.

Trachten.

Unvorteilhafte Kleider, die alles Gute versteckten und puffige Ausbuchtungen an Stellen hatten, die man eigentlich zierlich halten wollte. Ich verzog mein Gesicht. Hoffentlich war es nicht Pflicht in dieser Sekte, Trachten zu tragen. Über diese Leiche konnte ich nicht gehen. An meinen Ärmeln würde sich nie etwas puffen! Wie üblich würde Gloria zwei oder drei Tage benötigen, um sich zu besinnen. So lange würde ich wohl die Trachten von mir fernhalten können.

Schnell klappte ich den Laptop zu. Das war erstmal genug Recherche. Mehr konnten zwei Augen nicht verkraften.

Über das Handy versuchte ich, etwas über diesen Hot Jesus herauszufinden, aber digital gesehen war er ein Geist. Auf allen gängigen sozialen Plattformen hielt ich nach ihm Ausschau, aber es blieb bei nichts.

Es gab genau ein Bild von ihm, relativ unscharf, wie er oberkörperfrei und bis zu den schmalen Hüften im Wasser stand und in die Kamera blickte. Sein hellbraunes Haar fiel ihm auf die Schultern, und er hatte einen Vollbart. Er sah wirklich wie ein gutgebauter Jesus aus, der gerade im Jordan Taufen durchführte.

Dieses Foto von ihm, umrahmt von Bäumen und Bergen, hatte etwas. Das musste ich zugeben. Es weckte Sehnsüchte und strahlte eine gewisse Zuflucht aus. Aber warum dieses Bild und diese Person gehypt wurden, verstand ich ganz und gar nicht.

In den Kommentaren wollte man natürlich wissen, wer dieser ausgesprochen heiße Typ war und um welchen wundersamen Ort es sich handelte. Es dachte wohl niemand an die Schweiz. Alle wollten ihn und diesen See finden. Aber warum? Wofür? Was wollten sie von Hot Jesus? Was hatte er zu geben? Bis auf die sexy Pose auf dem Bild. Andererseits war mir mit meinen zweiunddreißig Jahren klar, dass online nichts hinterfragt wurde und das auch nicht gewünscht war. Nichts brauchte einen Hintergrund, solange die Oberfläche so strahlend war wie seine.

Es hatte meine Chefin einige Gefallen gekostet, dass man mich am Bahnhof abholen und dort hinbringen würde. Dieser Ort war topsecret und nur die wahrhaft Willigen, wie es hieß, wären fähig, dieses Fleckchen Erde zu finden.

Das kristallklare Blau des Sees auf dem Foto hätte mich fast in Trance versetzt. Das saftige, tiefe Grün des Waldes war wie ein kontrastreicher Rahmen und es ließ das Abendrot des Himmels noch mehr leuchten. Die ganze Pracht der Natur, vereint mit einer attraktiven Schöpfung in der Mitte. Ich versuchte, sein Gesicht zu vergrößern, aber es war nur ein verpixeltes Gewirr aus warmen Farben.

Da musste ich mich wohl noch etwas gedulden. Falls ich ihn überhaupt zu Gesicht bekam. Gerüchte kursierten, dass er sich nie zeigte und in der Abgeschiedenheit seine Ruhe und sein Glück fand.

Manche vermuteten sogar, dass Hot Jesus ein Fake war. Es gäbe ihn nicht und jemand hätte sich mit diesem Foto einen Scherz erlaubt. Auf mich wirkte er sehr real, und ich zweifelte nicht an seiner Existenz. Eher zweifelte ich am Vorhandensein seines gesunden Menschenverstandes. Wer badet denn nackt in einem arschkalten Bergsee? Egal wie heiß dieser Sommer sein mochte, die Temperatur war niemals ausreichend für ein Eisbad.

Viel interessanter fand ich die Vermutung, dass der gute alte Hot Jesus etwas vor der Menschheit versteckte, das unser Leben für immer verändern sollte. Aber was sollte das sein? Eine Maschine, mit der man Wasser in Wein verwandelte? Wein! So sehr hoffte ich, dass mich am Abend ein gutes Schlückchen erwarten würde. Dieser Tag hatte eigentlich erst begonnen, und ich fühlte mich schon jetzt wie nach einem Triathlon.

Ich lehnte mich zurück und gab mein Bestes, zu entspannen. Die Gedanken an Gloria und ihre Eskapaden versuchte ich ganz weit in die hinterste Ecke meines Kopfes zu schieben. Wie immer gelang es mir nicht. Ich musste sie finden und auf den rechten Pfad zurückbringen, direkt nach Hause in die Arme ihrer respekteinflößenden Mutter. Wenn Gloria dablieb, war ich meinen Job los, dazu den Traum von meiner kostspieligen Eigentumswohnung nahe der Londoner City und meiner vielversprechenden Zukunft. Mein geordnetes Leben mit all den fristgerecht bezahlten Rechnungen, regelmäßigen Gehaltserhöhungen und planbaren Einnahmen und Ausgaben. Das durfte mir Gloria nicht versauen. Immer wenn sie solche Aktionen durchzog, sah ich im Geiste, wie sie mit einer Nadel neben meiner Traumblase stand. Ich seufzte.

Mit aller Kraft versuchte ich, den Stoffbezug der Sitze zu ignorieren, der eigentlich weich sein sollte, aber leider kratzig war und mich dadurch von meiner inneren Motivationsrede ablenkte. In Gedanken beschwor ich meine zukünftige, natürlich schon perfekt durchgeplante Einrichtung herauf. Eine multifunktionale Hochglanzküche, farblich abgestimmt zum Marmorboden, eine überdimensionale Walk-In-Dusche mit einer XXL-LED-Rainshower und eine weiße, handgefertigte Ledercouch mit seidenen, perfekt weichen Designerkissen. Darunter einen Hochfloorteppich, in den man einsank, wenn man barfuß darüber lief. So versnobt schwärmen durfte ich, denn ich hatte es mir redlich verdient. Für meinen Luxus arbeitete ich hart und genoss ihn mit jeder Faser. Nie mehr heruntergewirtschaftete Wohnblöcke wie jene, in denen ich aufgewachsen war, nur noch schicke Apartments in angesagten Vierteln. Mit dem jetzigen Vorschuss und der ausstehenden Sonderzahlung würde ich endlich die Hundertzwanzig-Quadratmeter-Wohnung am Holland Park in South Kensington mein Eigen nennen können. Durch die Panoramafenster hatte man eine tolle Aussicht. Meine Couch würde sich wunderbar davor machen.

Ich, Millie Jones, musste nur diese verantwortungslose, spaßsüchtige Unternehmertocher ausfindig machen, dann wäre mein neuer Lebensweg aus feinstem Marmor geebnet.

Es war ja nicht so, als wäre sie das erste Mal entlaufen. Die vielen Male davor war es mir auch gelungen, sie einzufangen. Es würde etwas Geduld und Überredungskunst erfordern, gepaart mit einer Prise Bestechung, und Gloria würde ihr altes luxuriöses Leben vermissen, um dann lieb und brav mit nach Hause zu kommen. Etwas Schadensbegrenzung meinerseits und alles wäre wieder in bester Ordnung.

Erschöpft schloss ich die Augen und dachte unwillkürlich an das Foto. An die intensiven Farben, die eigenwillige Natur und die Ehrlichkeit in dem Blick des Mannes. Der Hot-Jesus-Wahnsinn hatte mich also auch erfasst. Glückwunsch, Millie.

2. Kapitel

Alles eine Frage der Perspektive

Das Quietschen der Zugbremse weckte mich aus meinen Träumen. Erst völlig schlaftrunken, dann panisch, blickte ich mich um und suchte mein Telefon. Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass ich fast den ganzen Vormittag verschlafen hatte. Das war mehr als untypisch für mich, und ich betete, nicht krank zu werden. Außerdem musste ich hier aussteigen. Puh, ein Glück, dass ich pünktlich aufgeschreckt war.

Mein Nacken schmerzte, der nach dieser nicht schonenden Haltung verspannt war, und ich massierte ihn ein wenig. Mein Schlaf war unruhig gewesen. Während des Gerappels der Bahn hatte ich von Trachten, klobigen Wanderschuhen und viel zu hohen Bergen geträumt. Kein Wunder. Noch immer wünschte ich mir die spanische Küste herbei.

Eine freundliche, etwas zu hohe Männerstimme sicherte sich meine Aufmerksamkeit, spätestens durch den ungewohnten Dialekt. Mein Deutsch war nicht akzentfrei, aber sehr gut, und dieser Dialekt würde eine Herausforderung darstellen, die ich natürlich mit Bravour meistern würde. Einmal Streberin, immer Streberin. »Hallo, junges Fräulein. Schön, dass Sie jetzt wach sind. Könnten Sie mir noch Ihre Fahrkarte zeigen?«, fragte mich der hochgewachsene Mann mittleren Alters. Er trug einen beachtlichen Schnauzer, der rotbraun war und wie ein Eichhörnchenschwanz wirkte, den er sich ins Gesicht gelegt hatte.

»Ähm, ja, natürlich«, erwiderte ich und griff in die Seitentasche meines Koffers. Aus der Klarsichtfolie holte ich die Fahrkarte, die sich in dem kleinen grauen Organizer befand, den ich so liebte. Dinge, die mir halfen, Ordnung zu bewahren.

Mit einem Lächeln reichte ich dem Schaffner meine Fahrkarte. Er erwiderte vermutlich meine Geste, aber es war durch das Eichhörnchen schwierig zu deuten, ob er wirklich lächelte. Auf jeden Fall hatten sich in seinen Augenwinkeln kleine Fältchen gebildet.

»Das erste Mal in der wunderschönen Schweiz?«, wollte er freundlich wissen und wartete auf eine ebenso freundliche Antwort.

»Ja, genau«, antwortete ich.

Sein Eichhörnchen zuckte. »Dann wünsche ich Ihnen, junges Fräulein, viel Freude hier bei uns in der wunderschönen Schweiz.«

Er hatte schon erwähnt, dass es hier wunderschön sei. Allerdings überzeugte ich mich gern selbst von angeblicher Schönheit.

Die Enden seines Eichhörnchens bogen sich nach oben. Jetzt lächelte er definitiv. Verständnislos blickte ich ihn an und fragte mich, wie er so gut gelaunt sein konnte bei einer Uniform, die ziemlich ungemütlich wirkte und bei diesem Wetter bestimmt wie eine Sauna fungierte. Und warum dieser Mann, der vielleicht zehn Jahre älter war als ich, mich junges Fräulein nannte? Nur weil ich unverheiratet war? Auch ohne Ehe war ich eine Frau. Vielleicht war das hier im Nirgendwo noch nicht angekommen.

»Ihnen auch noch einen schönen Tag.« Ihm zunickend stand ich auf, um den Zug zu verlassen.

»Oh, den werde ich haben in der wunderschönen Schweiz.« Der Schaffner nickte mir zufrieden zu und ging weiter zum nächsten Fahrgast.

Als ich ausstieg, erfasste mich ein Föhn heißer Luft. Es atmete sich augenblicklich unglaublich schwer.

Den Koffer hielt ich in meiner rechten Hand, die linke hob ich an meine Stirn. Die Mittagssonne blendete mich, und ich suchte nach meinem Fahrer, der mich zur Siedlung chauffieren sollte.

Seufzend stand ich auf diesem kleinen, recht übersichtlichen Bahnhof und fand keinen Mann im schwarzen Anzug vor. Noch einmal schaute ich auf mein Smartphone und checkte, ob ich zu früh oder zu spät war. Weder noch. Es musste eindeutig an ihm liegen. Das ärgerte mich etwas, weil ich unnützes Warten nicht leiden konnte und ich noch einen beachtlichen Weg vor mir hatte, zumindest wenn man dem Plan und der Wegbeschreibung der Reiseabteilung des Goldberg Unternehmens trauen konnte.

Gedanklich ging ich durch, wann der beste Zeitpunkt sein würde, mich mit einer neuen Ladung Deo einzudieseln.

Erneut blickte ich auf mein Handy, dann um mich herum und entdeckte immer noch niemanden, der infrage kam.

Etwas gestresst von dem nicht reibungslosen Ablauf und der prallen Sonne, trat ich vor dem Bahnhof auf den Bürgersteig. Mein roter Koffer bot genügend Platz für meinen Hintern, und ich sackte etwas in mich zusammen. Gerade hatte ich eine zweistündige Zugfahrt einfach so verschlafen und fühlte mich trotzdem nicht erholt. Ich setzte meine Sonnenbrille auf, um meinen Augen etwas Schutz vor den gleißenden Sonnenstrahlen zu bieten, und tippte mit meinem Handy eine Mail an die Reiseabteilung. Dieser Wagen musste doch irgendwo sein. Vielleicht stand er im Stau oder an einem Bahnhof im falschen Kaff. Ich war sicher, es würde mehr von diesen Dörfern geben, die allesamt klein, rückständig und mitten im Niemandsland der hohen Berge und der extra spitzen Kirchtürme gelegen waren.

Ich fächerte mir mit der Gloria ein frisches Lüftchen ins Gesicht, als mir ein älterer Mann zuwinkte, der wie ein Gärtner aussah. Verdattert drehte ich mich um, weil er ja wohl kaum mich meinen konnte. Aber niemand sonst befand sich hinter mir, und sein überaus freundliches Winken wurde energischer. Ich tippte auf meine Brust, um stumm zu fragen, ob er mich mit seinem Rudern meinte.

»Junges Fräulein!«, rief er über die holprige Mittelalterstraße.

Was hatten die Männer hier mit dem jungen Fräulein? Erstens gab es diese Bezeichnung nicht mehr, und das zu Recht. Und zweitens war ich nun rein alterstechnisch weit über die Grenze eines Fräuleins hinausgewachsen. Mehr Frausein ging gar nicht als mit über dreißig.

Er kam mir schwerfällig entgegen. Von Schritt zu Schritt wirkte er älter. Schnell schnappte ich meinen Koffer und zog ihn beschwerlich über die holprigen Steine, die aus prähistorischen Zeiten stammen mussten. Als er näher kam, sah ich, dass er selbst wohl auch aus dieser Zeit stammte. Ich hatte noch nie ein so verwittertes Gesicht gesehen. Die Schultern waren so breit wie seine Hüften, und er wirkte etwas schief. Er setzte seinen Hut ab und begrüßte mich anständig. Damit war ich völlig überfordert. Würde er mir auch noch die Autotür aufhalten?

»Einen schönen guten Tag, ich bin Manfred. Sind sie Fräulein Jones?«, fragte er freundlich.

»Ja, genau. Frau Jones. Sind Sie der Fahrer, auf den ich schon warte?«

»Ja, richtig, Fräulein Jones.«

Ach, ich gab es auf. Hatte ich keinen Mann an der Seite, war ich hier offensichtlich keine echte, wahrhaftige Frau.

»Wo steht denn der Wagen?« Ich suchte die freie Fläche nach einer schwarzen Limousine oder Ähnlichem ab, konnte aber nichts dergleichen entdecken. Hier gab es bestimmt ein Halteverbot, und darum parkte er um die Ecke.

»Der steht gleich hier vorn«, sagte er mit Stolz in der Stimme und doppeltem Brustumfang.

»Wo denn?«

»Pedro wird uns schleunigst zum Zielort bringen. Er kennt alle Wege in- und auswendig.« Mit seinem knochigen Arm deutete er nach rechts.

Ich wollte gerade etwas darauf erwidern, aber vor lauter Verwirrung kam rein gar nichts über meine Lippen.

Noch einmal setzte ich an und nochmals. Manfred lächelte mir weiterhin zu und wartete auf meine Reaktion, die Begeisterungsstürmen gleichkommen sollte.

»Dort steht ein Pferd«, sagte ich, endlich meine Stimme wiederfindend. »Ein Pferd an einer Kutsche«, ergänzte ich.

»Nein, nein, meine Gute.« Er lachte über meine Aussage. Erleichterung machte sich in mir breit. Ich hatte schon gedacht, ich müsste auf einer alten, klapprigen Kutsche mit diesem Alm-Öhi ins Nirgendwo reiten.

Ich schmunzelte darüber, dass ich ihm blindlings auf den Leim gegangen war, und klopfte ihm für seinen Prank anerkennend auf die Schulter. Das mussten sich die Jungs aus der Redaktion ausgedacht haben.

»Die Kutsche ist natürlich am Pferd. Und das ist nicht irgendein Pferd. Das ist ein Vollblüter mit tadellosem Stammbaum. Ich habe seine Mutter eigenhändig besamt.«

Schlagartig erstarb mein Lachen und Angst keimte in mir auf. Zum einen würde ich jetzt wer weiß wie lange auf einer Kutsche mit einem wirklich seltsamen alten Mann in die Wildnis fahren, und zum anderen beunruhigte mich diese neugewonnene Information fast noch mehr. Der Alm-Öhi-Anteil war für mich eindeutig zu groß.

»Das ist schön mit der Besamung und all dem, aber ich denke, ich versuche doch, ein Uber zu kriegen.« Hoffentlich würde er ganz schnell mein Gesicht vergessen.

»Ein was?«

»Ein Uber. Ähm, ein Taxi.« Schnell nahm ich mein Telefon zur Hand.

Er lachte laut auf. Erschrocken sah ich ihn an, weil ich erst nicht erkannte, was da für ein Geräusch aus seinem Mund kam. Sein Lachen war so laut und rau, dass ich dachte, er würde Pfeifenrauch vom Abend zuvor ausstoßen.

»Junges Fräulein, hier gibt es kein Taxi oder dieses Uma. Und da, wo Sie hinwollen, kommt auch kein Auto hin. Sie können ihr Mobiltelefon beiseitelegen. Das funktioniert in ungefähr fünfhundert Metern eh nicht mehr richtig.«

So viele schlechte Nachrichten in drei Sätzen, das konnte ich wirklich nicht verarbeiten. Ich musste versuchen, mich zu beruhigen. Innerlich wägte ich ab, was sinnvoll wäre und was nicht.

Um ihm zu verstehen zu geben, dass er bitte kurz warten sollte, hob ich meinen Zeigefinger. Schnell tippte ich die Nummer von Ralph aus der Reiseabteilung ein. Das musste ein Missverständnis sein. Nach drei unendlich langen Klingelzeichen nahm er ab. Um einigermaßen ungestört telefonieren zu können, drehte ich mich vom Alm-Öhi weg.

»Ralph? Bist du dran?«, fragte ich leicht panisch und hielt mir mit der freien Hand das andere Ohr zu, damit ich Ralph ohne Probleme verstehen konnte.

»Ja, Millie, was ist los?«

»Was los ist? Ich bin am Ende der Welt, und als ob das nicht reichen würde, steht mit Sicherheit fest, dass – wenn die Menschheit in naher Zukunft aussterben sollte –, dann beginnt es genau hier. Direkt hier, in der Pampa, wo ich gerade stehe.« Ich sprach genauso aufgebracht weiter, wie ich begonnen hatte. »Vor mir befindet sich eine Kutsche mit einem Pferd, mit dem ich auch noch freiwillig ins Nirgendwo reiten soll. Sag mir bitte, dass das alles ein riesengroßes, eventuell verzeihliches Missverständnis ist.« Es entstand eine kurze Pause.

»Ähm, na ja, also die Sache ist die, Millie. Du musst mit dieser Kutsche fahren, weil kein Auto oder Ähnliches zu Hot Jesus gelangt, und dazu wissen nur sehr wenige, wie man dort hinkommt«, erklärte Ralph sehr zögerlich diese verzwickte Situation.

»Ralph! Ich trage neunhundert Pfund Schuhe mit Absätzen, so groß wie die Zahnlücken vom Alm-Öhi neben mir«, rief ich gedämpft ins Telefon. Ich verlor nicht gern die Beherrschung, aber das war zu viel des Guten.

»Es tut mir leid, Millie. Dann setz dich mit Goldberg in Verbindung und sag ihr, dass du den Auftrag ablehnen musst.«

»Du weißt, ich habe noch nie einen abgelehnt und werde es auch jetzt nicht tun.« Genervt schloss ich die Augen und seufzte laut.

»Dann halte dich bei der Kutschfahrt gut fest und wechsle deine Schuhe.« Ralph klang bemüht aufmunternd.

»Danke, Ralph, für deinen einfallsreichen Hinweis. Falls ich es lebendig zurückschaffe, bist du mir was schuldig.«

Wir verabschiedeten uns und ich legte auf. Mit ein paar tiefen Atemzügen versuchte ich, mich innerlich zu zentrieren. Ich dachte wieder an meine Traumwohnung, die nach diesem Auftrag mein sein würde, und das motivierte mich durchzuhalten.

Beim Glattstreichen meines Haares merkte ich, dass sich mein ordentlich eingedrehter Dutt ganz zerrupft anfühlte. Vermutlich passte meine Frisur zu meiner Stimmung. Na ja, ich würde meine Contenance bewahren und das Pferd schon schaukeln.

»Kann es losgehen, junges Fräulein?«, erkundigte sich Manfred.

Entschlossen nickte ich ihm zu. Er warf meinen Koffer auf die Ladefläche. Ja, warf. Keine Ahnung, wie er das anstellte. Wahrscheinlich war das sein Heuballen-Wurfarm und die Bewegung wurde über Jahrzehnte automatisiert. Mein Koffer knallte dumpf auf die staubige Ladefläche – samt Laptop und all den anderen Sachen, mit denen man eigentlich nicht um sich werfen sollte.

»Welche Seite ist die Fahrerseite?« Unschlüssig schaute ich mir das Vehikel an.

Der Alm-Öhi lachte laut auf.

»Vorn«, kommentierte er kurz.

»Aber ich bin doch Beifahrerin? Wo soll ich hin? Oder sitzen Sie auf dem Pferd, äh, Vollblüter?«

Er lachte wieder und bewies damit, dass sein Pferd mehr Zähne hatte als er.

»Sie sind ja ein drolliges Fräulein!«

Ich brachte gern Menschen zum Lachen, aber in diesem Moment war das nicht meine Intention.

»Sie krabbeln mit zu Ihrem Koffer. Vorn ist es zu eng für uns zwei. Und meine Lisl würde es nicht gut finden, wenn so ein junges Ding mit mir kutschiert.«

Ich dankte Gott für die Lisl. Wir Frauen mussten zusammenhalten, und sie bewahrte mich vor zu viel ungewollter Nähe zum Alm-Öhi.

Und schon fand ich die Vorstellung einer Fahrt in die Pampa auf einer Kutschen-Ladefläche neben meinem Koffer gar nicht mehr so schlimm. Alles eine Frage der Perspektive, Millie!

3. Kapitel

Alles mal anders

Die Kutschfahrt war holpriger als gedacht, und ich wünschte mir so viel Abenteuerlust wie Gloria, dann wäre meine Gesichtsfarbe wahrscheinlich nicht grün und mir wäre mein schmerzender Hintern egal.

Alkohol wäre eine Alternative zur Abenteuerlust, aber der fehlte ebenfalls. Ich versuchte ungefähr das fünfte Mal vergeblich, mir meinen Dutt zu erneuern. Immer, wenn ich die Haare drehte und zusammenrollte, raste Manfred mit Pedro über das nächste Schlagloch, und alles fiel mir wiederholt aus den Händen. Resigniert knüllte ich irgendwie alles zusammen. Als ich mein Haar gebändigt hatte, ohne mich zu übergeben, sprach mich Manfred an.

»Sie haben ja lustiges Haar. Wächst das so?«

Mit seiner Frage konnte ich nichts anfangen und pustete mir in meinen fransigen Pony, um mich zu erfrischen.

»Was meinen Sie, Manfred?«

»Na, es ist oben so dunkel und dann wird es auf einmal hell. Bei meiner Lisl ist es andersherum.«

Ich überlegte mir, wie ich ihm die Erfindung der Haarfärbung näherbringen sollte.

»Das dunkle dort oben ist meine Naturhaarfarbe und das helle, blonde Haar ist gefärbt.«

»Aber wieso machen Sie Ihr dunkles Haar hell?«

War das eine reale Unterhaltung oder halluzinierte ich schon?

»Weil ich es blond schöner finde.« Gebeutelt von Übelkeit und fast totalem Kontrollverlust über mein aktuelles Leben, schenkte ich ihm ein schiefes Lächeln, als er ein weiteres Mal zurückblickte.

»Und warum färben Sie nicht ihr ganzes Haar, junges Fräulein?«, fragte er lachend, als wäre ich die Verrückte von uns beiden.

»Weil es so gerade Mode ist.«

»Es ist Mode, sich nicht zwischen zwei Farben entscheiden zu können?«

Er klang sehr amüsiert, und Pedro wieherte einmal laut, scheinbar seinem Schöpfer beipflichtend. Nun war auch noch das Pferd gegen mich und meine Haarfarbe.

Besser, ich behielt meine Antwort für mich, bevor ich Sachen sagte, die ich nicht zurücknehmen konnte.

Die Sonne zeigte, was sie konnte, und ich zog meinen Blazer aus. Die frische Luft, die nun meine Arme umgab, tat gut. Glatt legte ich meinen Blazer über den Koffer, der neben mir stand.

Wild schaukelte ich auf der Ladefläche hin und her. Ab und zu hüpfte ich sogar. Der Pfad führte mitten durch die Felder und war sehr schmal, da rechts und links von uns hohes Getreide stand. Alles schwirrte und surrte um uns herum, und Manfred fing an, ein Lied zu pfeifen. Kurzzeitig überlegte ich, ob man mit oder ohne Zähne besser Pfeifen konnte.

Mittlerweile hatte ich keinen Handy-Empfang mehr, und ich hoffte, dass wir bald ankamen. Meine Beine und Arme waren staubig von dem trockenen, sandigen Weg. Jetzt wusste ich auch, warum Manfred so verwittert aussah, wenn er immer bei solcher Hitze durch Staub fuhr. Da konnte seine Haut ja nur kapitulieren. Absolute Austrocknung war da vorprogrammiert.

Als wir in den schattigen Wald fuhren, spürte ich kühle Luft. Noch nie war ich für Holz so dankbar gewesen. Kurz schloss ich meine Augen und atmete tief ein und aus.

»Die frische Luft tut Ihnen gut, was?« Manfred wackelte auf seinem Sitz mit lockerem Griff um die Zügel.

»Ja, ganz erholsam nach der staubigen Fahrt.«

»Richtige, frische Landluft ohne Gift, daran müssen Sie sich noch gewöhnen.«

Das war das Einzige, an das ich mich nicht gewöhnen müsste. Die klare Luft gefiel mir gut. Sie hatte etwas Befreiendes. Es sah märchenhaft aus, wie das Licht durch die Bäume fiel und den Blättern die unterschiedlichsten Grüntöne verlieh. Die Baumkronen waren sanft, zart und leuchtend.

Manfred unterbrach meinen innigen Moment mit der Schweiz. Wir waren kurz davor gewesen, vorläufig Frieden zu schließen.

»Mögen Sie Ziegelsteine? Meine Lisl hat uns etwas eingepackt«, sagte er und blickte kurz zu mir nach hinten.

Wer mag denn Ziegelsteine? Zum Bauen, eventuell zum Werfen oder Verteidigen. Er sollte mir keinen Grund dafür geben. In London habe ich ein halbes Jahr lang an einem Power-Pilates-Kurs teilgenommen und weiß meinen Körper und seine Kräfte gut einzusetzen.

Manfred beugte sich leicht nach vorn und kramte in seiner ledernen Umhängetasche, die mindestens so alt war wie er selbst.

Mit Unbehagen schaute ich zu, was er da aus seiner Tasche zaubern würde. Ich bereitete mich auf absoluten Irrsinn vor. Als Erstes zog er einen Eis-Akku heraus. Den rückte er erst jetzt raus? Dieses wundervolle, kühlende, kleine Etwas könnte ich mir jetzt in den Rücken packen. Sofort geriet ich ins Träumen und sehnte mich nach dem eiskalten Bergsee von dem Foto. Wenn Hot Jesus hier auch entlangspazierte, verstand ich, warum er sich freiwillig in das Eiswasser begab. Mich hatten die Temperaturen und der beschwerliche Weg auch kleinbekommen.

Manfred reichte mir ein Bündel nach hinten. In ein Stofftuch waren seltsam geformte braune Würfel gewickelt.

»Was ist das?«, fragte ich. Es sah aus wie Schokolade. Aber vielleicht träumte ich ja nur.

»Das sind Ziegelsteine. Eine Spezialität aus der wunderschönen Schweiz«, erklärte er, nachdem er meinen fragenden Blick gesehen hatte. »Schokolade und Keks.«

Normalerweise machte ich einen Bogen um Schokolade und alle anderen Süßigkeiten. Mit dem dreißigsten Lebensjahr veränderte sich der Stoffwechsel und frau speckte einfach schwerer ab. Aber ich hatte unglaublichen Hunger, deshalb brach ich meine eigens aufgestellte Regel. Beherzt biss ich hinein und schmolz dahin wie die Schokolade in meinem Mund. Ich hatte fast vergessen, wie unglaublich gut Süßigkeiten schmeckten. Fast göttlich. Als Entschuldigung für mein Gewissen, das getrieben war von unbändiger Disziplin, wählte ich diesen Ausnahmezustand. Dieser erforderte ungewöhnliche Maßnahmen.

»Eigentlich wollte ich teilen, aber Sie scheinen hungrig zu sein«, unterbrach Manfred meinen sündigen Genuss. Ich wischte mir die Schokolade von den Lippen und sah ihn schuldbewusst an.

»Essen Sie ruhig. Sie brauchen es nötiger als ich«, sagte er mit einem lückenhaften Schmunzeln und klopfte sich auf den kugelrunden Bauch.

Für mein Benehmen entschuldigte ich mich. Im Zuckerrausch war mir entgangen, dass ich Manfred seine Ziegelsteine weggegessen hatte. Kurzzeitig war mir sogar mein Name entfallen.

»Essen Sie ruhig, drolliges Fräulein.«

Dankend steckte ich mir den letzten Bissen in den Mund und verschlang ihn genüsslich.

Dann fiel mir der kühlende Akku wieder ein, aber bevor ich danach fragen konnte, schnappte sich Manfred das kleine eckige Teil und steckte es sich in seine Hose. Ich überdachte nochmals die Notwendigkeit. Immerhin war ich nicht mehr hungrig, und ich sollte nicht zu gierig sein.

»Kennen Sie den Hot Jesus?« Fragend blickte ich Manfred an.

»Niemand kennt ihn so richtig. Aber ich habe ihn schon öfter mal gesehen, und wir sprechen uns immer kurz. Scheint ein anständiger, junger Mann zu sein.«

»Wie kam er hierher?«

»Das weiß ich nicht genau. Er hat ein Stück Land gekauft und beschlossen, dort zu leben. Es ranken sich einige Geheimnisse um dieses Stück Land. Und nach und nach sind mehr Leute zu ihm gekommen und haben Zuflucht gesucht. Mittlerweile dürften es um die vierzig oder fünfzig Seelen sein«, erklärte mir Manfred.

»Seelen? Ist das eine regionale Redensart?«

»Nein, das kommt nicht von hier. So sprechen sie in der Kommune.«

»Und was für Geheimnisse?« Meine Redaktions-Nase roch eine Story.

»Es ranken sich Gerüchte um einen Jungbrunnen, der sich auf seinem Land befinden soll«, sprach der Alm-Öhi ehrfürchtig. Offensichtlich glaubte er an das Gerede.

Jungbrunnen, na klar, und bewacht wurde er von Elfen und Trollen. Gab es wirklich Menschen, die so einen Blödsinn glaubten und dorthin wanderten, wegen eines angeblichen Brunnens, der Jugend und Schönheit schenkte? Das war lachhaft. Dann fiel mir wieder ein, dass auch Gloria dort war. Aber sie war das bestimmt nicht wegen dieser Gerüchte, sondern eher wegen des Mannes in dem Post. Hot Jesus. Das würde zumindest am meisten Sinn ergeben. Und das war nicht nur der naheliegendste Grund, sondern auch der beste.

Dann hatte es sich wenigstens bald mit ihrem neuen Abenteuer erledigt, sie würde mit nach Hause kommen, und ich hatte meine Mission erfüllt. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte sie ihr Techtelmechtel mit Hot Jesus schon satt, und wenn ich mit Pedro und dem Alm-Öhi dort ankam, würde sie mit gepackten Koffern auf mich warten.

Erstaunlich fand ich, dass es mindestens vierzig bis fünfzig Leute gab, die etwas an diesem Mann fanden. Ich fragte mich, wie viele davon weiblich und ledig waren.

Unsere Fahrt blieb schaukelig, während der Wagen Wurzel um Wurzel immer weiter bergauf durch den tiefen Märchenwald holperte, bis wir an eine Lichtung kamen. Manfred hielt kurz an. Kein Wunder, denn der Ausblick war sagenhaft.

Eine Wiese mit Wildblumen, die sich erstreckte, so weit das Auge reichte, umrahmt von einem sattgrünen tiefen Wald. Im Hintergrund hohe Berge und ein blauer Himmel. Alles wirkte frei, wild und unbezähmbar. Tief im Inneren verspürte ich den Anflug von einem Wunsch, es der Natur gleichzutun. Aber es war eben auch nur ein Anflug, und ich war noch ich. Mit meiner Vorliebe für Regeln, Grenzen und Ordnung.

Hier war es auch heiß, aber nicht so stickig wie im Tal. Auf der Lichtung wehte ein frischer Wind, der die Sinne beflügelte. Jetzt traf das Adjektiv wunderschön wirklich auf die Schweiz zu, zumindest auf dieses weitläufige Fleckchen Erde.

»So, junges Fräulein. Wir sind gleich da. Bitte schnallen Sie sich an, es könnte uneben werden.«

Jetzt könnte es uneben werden? Was war es dann davor gewesen? Alm-Öhi war wirklich hartgesotten.

Also tat ich, wie mir geheißen, und klammerte mich an der alten, marode wirkenden Kutsche fest. Pedro gab nochmals sein Bestes und zog uns auf dem antiken Ding über die Wildwiese, ohne Pfad oder Weg.

So langsam beschlich mich ein Gefühl völliger Abgeschiedenheit. Und ich konnte meine aktuelle Gefühlslage gar nicht beschreiben. Ich war nicht verängstigt, aber frei fühlte ich mich auch nicht. Etwas berührte mich unumstritten. Die Stille traf mich und trug mich für eine Weile fort.

»Wir sind da«, unterbrach Manfred meine Gedanken, hielt an, und ich stellte mich auf die Ladefläche, auf der ich zuvor gesessen hatte, um mich umzuschauen.

Tatsächlich hatten wir die besagte Siedlung erreicht. Auf den ersten Blick wuselten viele Menschen zwischen kleinen Holzhütten umher und gingen irgendwelchen Tätigkeiten nach. Alles wirkte einen Hauch exotisch mit all den Früchten, Grünpflanzen und der Freizügigkeit, mitten im Bergland der Schweiz. Ein buntes Treiben. Ich konnte mit einem Mal nicht die ganze Fläche erfassen, die sie besiedelt hatten. Es war also wesentlich größer als vermutet. Ihre Siedlung wurde umrahmt von hohen Bäumen und Bergen. Nur den See vom Post konnte ich von hier aus nicht entdecken.

Manfred stieg von der Kutsche, reichte mir seine Hand und half mir, überraschenderweise gentlemanlike, von der Ladefläche seines Gefährts. Pedro schnaubte anerkennend. Suchend sah ich mich um und hoffte, Gloria am Eingang abfangen zu können.

Eine ältere Person mit langem weißen Haar kam uns mit freiem Oberkörper entgegen. Ich erkannte nicht, ob Männlein oder Weiblein, weil um die Hüften ein Leinentuch gebunden war, welches das enthüllende Merkmal verdeckte. Die Oberweite konnte ich beim besten Willen keinem Geschlecht zuordnen.

»Manfred, gute Seele. Was machst du denn hier? Bringst du uns etwas?«, fragte die wirklich kleine Person.

»Ich bringe euch ein junges Fräulein«, antwortete Manfred freudig. Für mich klang es, als würde Manfred eine Opfergabe vorbeibringen.

Ungelenk und wacklig stakste ich mit meinen zu hohen Absätzen über die Wiese zu der kleinen Person hinüber. Höflich reichte ich ihr meine Hand, um mich vorzustellen.

»Hallo, guten Tag. Ich bin Frau Millie Jones und bin auf der Suche nach Gloria.« So vertrauenswürdig wie möglich sprach ich zu ihr. Ich wusste ja nicht, wie schreckhaft dieses Völkchen gegenüber Fremden war.

»Aha. Ich bin Forest. Wen suchst du, du einsame Seele?« Also doch ein männliches Wesen, wie ich an der Stimme erkannte. Hier sprachen anscheinend alle deutsch. Auch wenn es durchaus wie eine abstrakte Version klang. Ein wenig wie der Picasso der Sprache. Gloria konnte froh sein, dass Cordelia sie gezwungen hatte, zwei Jahre auf ein streng deutschsprachiges Internat zu gehen. Ohne ihre Sprachkenntnisse wäre sie an diesem Ort aufgeschmissen.

»Ich suche Gloria von Goldberg, und ich bin definitiv nicht einsam.« Ich stellte mich mit meinen einsinkenden Absätzen so gerade hin wie möglich.

»Ach, du meinst Glow. Sie singt dort drüben mit der Musiktruppe. Sie planen für heute Abend ein Ständchen«, erklärte mir Forest.

Ich folgte seinem Finger, der auf einen Pavillon neben vielen kleinen Obstbäumen zeigte.

Von hier aus konnte ich Gloria nicht entdecken. Moment mal. »Glow?« Meine Irritation machte sich in meinem Tonfall bemerkbar.

Forest nickte mir selbstverständlich zu. »Ja, sie hat sich den Namen selbst gegeben. Wie wir alle hier«, erzählte er mir im Schnelldurchgang. Crash-Kurs für Sekten-Einsteiger.

»Und Sie haben sich Forest ausgesucht?« Ich schaute zwischen Forest und Manfred hin und her.

Er trat verlegen von einem auf das andere Bein und sah aus, als würde er auf heißen Kohlen stehen.

»Na ja, eigentlich heiße ich Peter Hackebeil.«

Kurze Stille.

Okay, da hörte sich Forest wirklich besser an. Als Antwort, weil mir die passenden Worte fehlten, hob ich meinen Daumen in die Höhe.

»Wir mögen hier keine Besucher, die zu viele Fragen stellen«, entgegnete er meinem gefühlt eingefrorenen Gesichtsausdruck. War ja klar, wie alle Sekten. Bloß keine Fragen stellen. Dringend musste ich Gloria hier rausholen.

»Manfred, könnten Sie kurz warten? Gleich komme ich mit meiner Freundin zurück zur Kutsche und dann fahren wir gemeinsam zum Bahnhof«, bat ich ihn.

»Kein Problem, ich werde etwas trinken und mit Forest plaudern. Machen Sie ganz gemütlich, junges Fräulein.«

Entschlossen nickte ich ihm zu und betrat dieses seltsame Gelände, das so wirkte, als hätte es seine eigene Mechanik.

Immer wieder mit den Absätzen einsinkend, den Koffer ziehend und schwitzend, stakste ich zwischen Hühnern, Dreck und Kräuterbeeten umher. Ich hätte natürlich meinen Koffer gleich auf der Kutsche lassen können, aber ich befürchtete, dass die Anwohner meine Kleidung klauen würden. Offensichtlich war das an diesem Ort Mangelware. Dafür, dass es hier einen echten Jungbrunnen geben sollte, liefen ziemlich viele sehr alte Leute auf diesem Gelände herum. Alle hatten graues Haar und waren halbnackt. Es wirkte eher wie ein Nudisten-Camp.

Es gab keine richtigen Wege, höchstens Trampelpfade. Frei verteilt standen ohne erkenntliches System Holz-Pavillons auf der Wiese. Dazwischen flitzten Nutztiere umher, wie Hühner, Ziegen, Kühe, und ab und zu auch mal eine Katze. Um die Hütten standen üppige Bäume, Büsche, und überall zierten Bergblumen in großen Töpfen die Hütten oder Beete mit Kräutern und Gemüse- sowie Obstpflanzen. Zu meiner Linken erkannte ich einen bewirtschaften Acker. Diese Seelen waren eindeutig Selbstversorger.

Endlich hatte ich den gezeigten Pavillon erreicht. Kurz stellte ich meinen Koffer neben der Tür ab und schaute hinein, aber niemand war in diesem kleinen Raum zu erkennen. Als ich außen herumging, sah ich eine wilde Meute von leicht bekleideten Menschen, die ungezügelt tanzten und mit Hölzern und Steinen Geräusche fabrizierten. Wenn das die Musiktruppe war, würde die abendliche Darbietung recht spartanisch ausfallen. Gefühlt klopfte, sang oder tanzte nicht ein einziger von ihnen in irgendeinem Takt. Etwas so Unbeholfenem zuzusehen, könnte allerdings auch eine magische Wirkung haben. Wegsehen war fast unmöglich. Innerlich drückte ich ihnen die Daumen, dass sie alle Zuschauer am Abend von ihren Steinen reißen würden.

Der musikalische Zirkel trommelte wild weiter. Gloria konnte ich nicht erblicken, dafür aber einen gigantischen See.

Völlig perplex stand ich neben dieser alternativen Blue-Man-Group und blickte fassungslos auf das mir schon bekannte tiefe Blau. Es war der See von dem Foto. Fast Raum und Zeit vergessend, ging ich auf ihn zu. Er zog mich wie ein Magnet an, und ich konnte den Blick nicht abwenden. Er sah genauso aus wie auf dem Foto. Es war nicht bearbeitet worden. Das Bild zeigte die gleichen intensiven Farben wie die Realität, und die Proportionen stimmten auch überein. Alles daran wirkte seltsam berauschend. Ich musste einfach noch näher heran. Gut vorstellbar, dass das der besagte Jungbrunnen war. Auf mich hatte er auf jeden Fall eine magische Wirkung.

4. Kapitel

Versuchung

Auf dem Weg zum märchenhaften See streifte ich mir gedankenverloren die Pumps von den Füßen und trug sie an ihren Riemchen.

Ich schlenderte und wendete den Blick nicht für eine Sekunde vom Wasser ab. Völlig vertieft in die Schönheit des Sees, blieb ich am kleinen Sandstrand davor stehen und geriet ins Träumen.

Ein laues Lüftchen streifte mein Haar und kühlte die Haut unter meinen verschwitzten Strähnen.

Ein lautes Platschen holte mich aus meiner Tagträumerei zurück.

Ich sah etwas nach links auf die Seeoberfläche, die noch immer größer werdende Ringe zeigte. Die kleinen Wellen waren hypnotisch. Ich kniff meine Augen zusammen, um die gleißende Oberfläche des Sees besser fixieren zu können.

Plötzlich stiegen Blasen auf, und ich befürchtete schon, ein Seeungeheuer würde aus dem Wasser hervorblubbern, aber stattdessen war es ein Mann, der langsam auftauchte und sich aufrecht stellte.

Ich hielt den Atem an. Mit jedem Schritt, den er weiter an Land ging, gab er zügig viel von seinem athletischen, fast göttlichen Körper frei. Er schwang sein klatschnasses Haar mit einer fließenden Bewegung nach hinten, als wäre er noch unter Wasser. Alles um mich herum lief urplötzlich in Zeitlupe ab. Ich konnte jeden Quadratzentimeter seines Körpers wahrnehmen und in mein Langzeitgedächtnis aufsaugen. Meine Eierstöcke gaben meinem Hirn einen Impuls, den Lambada-Song abzuspielen. »Ai Ai Ai«, ertönte es in meinen Ohren, und ich begriff schlagartig, dass dieser Mann meine sexuelle Sehnsucht versinnbildlichte. Jeder einzelne Tropfen, der sich von seinem schulterlangen, hellbraunen Haar über seinen muskulösen Oberkörper den Weg zu seinen sehr tiefsitzenden alternativen Badeshorts bahnte, verdiente jegliche Aufmerksamkeit, von jetzt bis in alle Ewigkeit. Seine Augen stachen wie zwei Türkis Edelsteine hervor. Sie bildeten einen wundersamen warmen Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut. Genau wie der See, aus dem er schritt, sah er wie nicht von dieser Welt aus. Einfach zu schön und sagenhaft. Er sollte die Vorlage für jeden Mann auf dieser Welt sein. Dieser Mann war das Original und wirkte unantastbar.

Meine Knie zitterten, und ich hatte Angst, in mich zusammenzusacken wie Treibsand. Ich hatte noch nie in meinem Leben einen so schönen Menschen gesehen. Aufgrund meiner Arbeit in der Redaktion einer Frauenzeitschrift war ich schon auf viele schöne Menschen getroffen, aber keiner begeisterte und faszinierte meine Augen so sehr wie er.

Als ich mich noch fragte, ob ich ihn mir nur eingebildet hatte, lächelte er mich an und zeigte mir außerordentlich hübsche, weiße Zähne. Er wischte sich über das nasse Gesicht. Um seine Handgelenke trug er zwei oder drei dünne Lederarmbänder. Er hätte mit seinem Anblick auch gut an den Bondi Beach in Sydney gepasst.

Ich hatte ja keine Ahnung, dass meine Fortpflanzungsorgane noch interessiert an ihrer eigentlichen Aufgabe waren. Er aktivierte sie jedenfalls.

Die göttliche Fügung stand vielleicht zwei Meter von mir entfernt und sprach mich an.

»Hi«, sagte er mit einer tiefen, rauen Stimme.

Normalerweise würde die Natur so ein Aussehen mit einer Kermit-Stimme ausgleichen. Es musste sich die Balance halten. Aber ich suchte noch nach seinem Ausgleich. Wahrscheinlich war er außerordentlich dumm.