Hotel Papa - Benno Bach - E-Book

Hotel Papa E-Book

Benno Bach

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Beschreibung

Überall Socken und keiner spült ab: Hilfe, mein Sohn wohnt wieder bei mir!

Benno will eigentlich gerade mit seiner Lebensgefährtin zusammenziehen, da steht sein 25-jähriger Sohn Max vor der Tür: Max macht ein Praktikum in der Stadt und geht ganz selbstverständlich davon aus, dass er in dieser Zeit im Hotel Papa wohnen wird. Dass Max einen riesigen Flatscreen im Wohnzimmer installiert, Bennos Hund mit Max' Katze überhaupt nicht klarkommt und Benno plötzlich einem aberwitzigen Fitness-Wahn verfällt, um mit seinem Sohn mithalten zu können – das sind noch die kleineren Probleme. Denn seine Lebensgefährtin findet Bennos neue Wohnsituation alles andere als lustig, und dann steht auch noch Max' Freundin vor der Tür …

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Seitenzahl: 326

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BENNO BACH hätte sich nie träumen lassen, wie turbulent es zugeht, wenn der erwachsene Sohn plötzlich wieder im »Hotel Papa« wohnt. Eigentlich hat der gestresste Vater einen anderen Namen – damit er offen und unverblümt aus dem Nähkästchen plaudern kann, schreibt er hier unter Pseudonym.

 

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BENNO BACH

HOTEL PAPA

Der Tag, als mit meinem erwachsenen Sohn das Chaos wieder bei mir einzog

 

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von Penguin Books Limited und werden

hier unter Lizenz benutzt.

 

Copyright © 2020 by Penguin Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag und Umschlagmotiv: www.buerosued.de

Redaktion: Angela Kuepper

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24084-4V001

 

www.penguin-verlag.de

Die Nacht

Als ich in der Nacht aus unruhigen Träumen erwachte, hatte ich mich zwar nicht wie Gregor Samsa aus Kafkas Roman Die Verwandlung in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt, aber in einen Zitteraal: Ich schlotterte vor Angst. Da war doch jemand in der Wohnung! Ich hörte ganz deutlich Schritte auf dem Parkett. Durch den Türspalt schimmerte für eine Sekunde Licht, dann wurde es wieder dunkel.

Das musste ein Einbrecher sein, denn wer sonst sollte um diese Zeit herkommen? Meine Partnerin Marlene besaß zwar einen Ersatzschlüssel, aber sie hätte doch niemals mitten in der Nacht meine Wohnung betreten, ohne mir Bescheid zu sagen. Außerdem hatte ich vorhin noch mit ihr telefoniert, sie war in Frankfurt auf einer Tagung. Nein, das konnte nur ein Fremder sein.

Wieso reagierte meine Hündin Bonny nicht auf den Eindringling? Anstatt laut anzuschlagen, schnarchte der kleine Terrier-Mix friedlich neben mir im Körbchen. Normalerweise begrüßte sie jeden Briefträger mit Bellen, aber jetzt, wo ein Unbekannter in die Wohnung eindrang, schlief sie den Schlaf der Gerechten. Offenbar träumte sie davon, wie sie einem riesigen Kampfhund einen Knochen abjagte, ja wunderbar.

Es half nichts, ich musste selbst ran. Leise stand ich auf, schlich auf Zehenspitzen zur Tür und presste das Ohr dagegen. Der Fremde war noch da. Ich wagte einen Blick durch das Schlüsselloch. Er hatte jetzt das Licht im Flur ausgeschaltet und befand sich in der Küche. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er auch das Schlafzimmer betreten würde. Fieberhaft überlegte ich, wie ich mich wehren konnte. Ich besaß keine Waffen, ich musste mir anders helfen. Mit dem Prospekt auf dem Nachttisch konnte ich höchstens Fliegen zu Leibe rücken, aber keinem Einbrecher. Die fragile Bambuslampe eignete sich auch nicht als Schlaginstrument. Der Staubsauger neben dem Kleiderschrank? Und wenn ich mich unter dem Bett versteckte? Lächerlicher Gedanke. Sollte ich das Stichwort »Nahkampf« googeln? Dauerte zu lang, außerdem könnte der Kerl bewaffnet sein. Ich erinnerte mich, dass ich mal einen Film gesehen hatte, in dem die Ehefrau ihren untreuen Gatten mit einer Krawatte erwürgte. Ich suchte fieberhaft in meinem Schrank nach einer Krawatte, da fiel mir ein, dass ich keine besaß. Mist. Jetzt hatte ich den Salat. Anzugträger lebten länger. Hätte ich doch nur eine kleine Pistole! Auf einmal beneidete ich die Amerikaner, die in jedem gut sortierten Supermarkt ein M16 besorgen können.

Apropos Waffe … Ich musste die Polizei anrufen, aber von einem sicheren Ort aus. Mein Kleiderschrank wurde mein Panikraum. Schnell zwängte ich mich zwischen die Jacken und Mäntel und wählte 110.

»Hallo, hier ist Bach«, flüsterte ich. »In meine Wohnung wird gerade eingebrochen.«

»Verstanden. Wo sind Sie denn?«

»Im Schlafzimmerschrank.«

»Welche Nummer?«

»Im Schlafzimmerschrank.«

»Verstehe ich nicht. Was für ein Schrank?«

»Passen Sie mal auf. Ich habe mich im Schlafzimmerschrank versteckt, weil ich Angst habe.«

»Ach so. Ja, dann geben Sie uns doch endlich die Adres­se durch.«

»Berger Allee 296. Dritte Etage. Beeilen Sie sich!«, drängte ich, als die Geräusche lauter wurden.

»Sind Sie sicher, dass es sich um Einbrecher handelt?«

»Absolut, wer soll es sonst sein?«

»Okay, wir schicken ein paar Kollegen vorbei.«

»Kollegen? Schicken Sie das SEK. GSG 9, was weiß ich, ich komme noch um vor Angst.«

»Verhalten Sie sich still, und schließen Sie sich in Ihrem Schlafzimmer ein.«

»Wie denn? Ich habe keinen Schlüssel.«

»Keine Panik, bleiben Sie ruhig. Wenn die Kollegen vor Ort sind, melden wir uns wieder.«

Ich legte auf und war ein wenig beruhigt. Eins, zwei, drei, Polizei, scherzte ich im Stillen und versuchte, etwas lockerer zu werden.

Jetzt wachte Bonny auf und warf mir fragende Blicke zu: »Hallo, Herrchen, warum bist du um die Zeit wach?«

»Was bist du mir nur für ein Wachhund«, schimpfte ich leise.

Anstatt in den Kampfmodus zu gehen und die Zähnchen zu fletschen, streckte sie sich und machte Dehnübungen. Die hatte ja Nerven! Und ich? Ich versuchte, meinen Puls zu kontrollieren, während ich auf die Polizei wartete. Was, wenn es vorher zum Kampf kommen würde? Meine Angst stieg. Ich dachte an meine Lieblingsmenschen. Da war Marlene, meine langjährige Partnerin, mit der ich in Kürze zusammenziehen wollte. Und da war mein Sohn Max, der in Hamburg studierte. Ihn hatte ich seit einem halben Jahr nicht gesehen. Hätte ich mich nicht öfter bei ihm melden müssen?

Offenbar wurde man in Momenten der Todesangst sentimental. Ich dachte an früher, an die Zeit von Max’ Kindheit, an gemeinsame Urlaube, an turbulente Geburtstagsfeiern, an das Fest nach seinem erfolgreichen Seepferdchen und wie ich ihn zum Fußballverein gebracht hatte. War ich ein guter Vater gewesen? Ich hatte ihm immer alle ­Wünsche erfüllt, bis auf einen, und das bereute ich jetzt. Er wollte so gern ein Haustier haben, am liebsten eine Katze, aber ich hatte mich dagegen gesträubt. Jetzt würde ich ihm tausend Katzen besorgen, wenn ich ihn nur wiedersehen würde.

Er ist wieder da

Was machte der Fremde? Ich wagte einen erneuten Blick durch das Schlüsselloch. In der Küche tat sich etwas. Ich sah die Umrisse einer Person, ich hörte leise Geräusche. Klang so, als hantierte jemand mit einem Werkzeug. Hatte es der Einbrecher auf meine Küchengeräte abgesehen? Verstand ich nicht. Thermomix, Kitchenaid oder Ähnliches gab es bei mir nicht, ich schnippelte und rührte selbst. Endlich blinkte mein Handy, das ich auf lautlos gestellt hatte. Das musste die Polizei sein.

»Unsere Beamten befinden sich vor dem Haus. Sind die Einbrecher immer noch da?«, hörte ich und antwortete mit einem knappen »Ja«.

»Entweder die Kollegen brechen die Wohnungstür auf, oder Sie öffnen uns.«

»Warten Sie, ich schleiche mich in den Flur und lasse Sie herein.«

Ich legte auf, holte tief Luft wie ein Taucher, öffnete leise die Schlafzimmertür und lief auf Zehenspitzen Richtung Diele. Unterwegs sah ich die Umrisse einer Person in der Küche, die am Tisch mit irgendwelchen Werkzeugen zugange war. Schnell ging ich weiter und verharrte dann. Moment mal. Ich kannte diese Person doch. Natürlich. Das war mein Sohn Max!

Sofort legte ich den Rückwärtsgang ein und lugte in die Küche. Was sah ich da? Er kraulte Bonny, die zu ihm gelaufen war.

»Max!«, rief ich erstaunt. »Was machst du denn hier?«

»Was macht man schon um diese Zeit in der Küche? Ich will was essen«, lachte Max, als wäre es das Normalste der Welt, um zwei Uhr morgens in meiner Küche zu stehen.

»Bist du nicht in Hamburg?«, wunderte ich mich.

»Sieht nicht so aus, Papa, oder?«

»Junge, warum hast du dich nicht gemeldet?«, fragte ich und nahm ihn freudig in den Arm.

»Ich hab dir doch eine Mail geschickt.«

Die ganze Spannung löste sich von mir, aber dann fiel mir siedend heiß ein, dass die Polizei vor der Tür stand.

»Warte kurz, ich muss mal was klarstellen«, lachte ich und eilte zur Wohnungstür. Kaum hatte ich sie geöffnet, sprangen mich zwei riesige Gestalten an, die in einer Art Rüstung steckten. Sie warfen mich auf den Boden, begruben mich unter sich.

»Keine Bewegung, Polizei!«, brüllten sie im Chor.

»Sie können mich loslassen, ich wohne hier«, presste ich mühsam hervor, die stabile Seitenlage suchend.

Was danach folgte, gehört zu den peinlichsten Momenten meines bisherigen Lebens. Schnell waren die Beamten davon überzeugt, dass sie den Einsatz als Übung verbuchen konnten. Das allerdings fanden sie gar nicht lustig.

»Sie können doch nicht einfach die Polizei rufen, nur weil Ihr Sohn Sie besucht«, schimpfte einer der beiden.

»Leiden Sie unter Paranoia, oder wie?«, ergänzte der andere. »Vielleicht sollten Sie weniger Krimis gucken.«

»Das war ein Irrtum«, versuchte ich zu erklären. »Außer­dem brauchen Sie doch nicht gleich mit dem Überfallkommando anzutanzen.« Ich war ebenfalls sauer, weil ich jeden Knochen meines Körpers spürte.

»Sie haben der Zentrale gesagt, dass wir mit vollem Lametta kommen sollen. Sie waren angeblich in Lebensgefahr«, erinnerte mich einer der Beamten, und ehrlich ­gesagt hatte er recht.

»Uns macht es auch keinen Spaß, mitten in der Nacht aufzustehen und in voller Montur Treppen zu steigen«, erklärte sein Kollege und wischte sich den Schweiß vom ­Gesicht.

»Es tut mir ja leid, ich habe mich vertan, entschuldigen Sie bitte«, ruderte ich zurück und bot den engagierten Beamten Kaffee an, den sie aber ablehnten. So schnell, wie sie gekommen waren, waren sie wieder weg.

»Also wirklich, Papa, ich verstehe dich nicht. Du weißt doch, dass ich einen Schlüssel habe«, meinte mein Sohn kopfschüttelnd.

»Das hatte ich vergessen. Du hast dich ja seit Monaten nicht blicken lassen.«

»Ich studiere vielleicht in Hamburg?«

»Das ist auch gut so, aber du hättest wirklich schreiben können, dass du kommst.«

»Hab ich doch. Hier ist meine Mail.«

Max holte sein Handy hervor und rief sein Programm auf.

Ich blickte auf die Mail und schüttelte den Kopf.

»Bin wahrscheinlich im Spam-Ordner gelandet, typisch Papa. Aber das kriegen wir hin. Morgen checke ich deine Firewall.«

»Mach das«, sagte ich, und dann musste ich über mich selbst lachen. Ich hatte mich wirklich albern verhalten.

»Eins verstehe ich nicht. Was, um Himmels willen, hast du in der Küche gemacht? Das hat sich so angehört, als wenn du irgendetwas aufgebrochen hättest.«

»Ich hatte Hunger und wollte was essen«, erklärte Max und zeigte auf den Küchentisch. Dort stand ein halbes Dutzend angebrochener Konserven: Bohnen, Weinblätter, Tomaten, Litschis, Gluten-Ente und sogar eine Dose Hunde­futter. Daneben lag ein Büchsenöffner.

»Ich kriege blöderweise die Dosen nicht auf«, erklärte er. »Wird Zeit, dass jemand einen besseren Dosenöffner erfindet.«

»Millionen Menschen haben mit diesen Geräten kein Problem.«

»Normalerweise bin ich technisch ganz versiert«, versuchte Max sich rauszureden, während er aus den angebrochenen Dosen Weinblätter und Bohnen in Tomatensoße auf einen Teller gab.

»Guten Appetit«, wünschte ich ihm und machte mich daran, den Inhalt der restlichen Konserven in Tupper­dosen zu verteilen.

»Mir reichen die Weinblätter und die Bohnen.«

»Und der Rest?«, fragte ich rhetorisch, weil mir klar war, dass er unmöglich noch Litschis und Hundefutter essen würde. Max zuckte bloß die Schultern. Bonny ihrerseits war froh, mitten in der Nacht zu einem unerwarteten Dinner zu kommen.

»Und jetzt erzähl. Wie geht es dir? Was macht dein Studium?«

»Papa, können wir das nicht morgen regeln? Bin echt kaputt. Ich muss jetzt schlafen.« Er gähnte unüberhörbar und gab ein Bäuerchen von sich.

»Kein Problem«, antwortete ich, obwohl ich schon sehr neugierig war, da wir uns so lange nicht gesehen hatten.

Er will bestimmt seine alten Freunde besuchen, die in der Stadt wohnen, dachte ich, während ich die Couch ausbreitete und Bettzeug bereitlegte.

»Wann soll ich dich wecken?«

»Nicht nötig, Papa, ich stelle mir den Wecker. Muss morgen früh aufstehen. Gute Nacht.«

Gluten-Ente aus der Dose

Was Max unter »ganz früh« verstand, sollte ich am nächsten Morgen erfahren. Sein Wecker meldete sich um elf Uhr. Ich war gespannt, was er mir zu sagen hatte. Doch meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn es dauerte eine Weile, bis er ansprechbar war und aus dem Badezimmer kam. Als wir endlich am Küchentisch saßen, hätten wir glatt zu Mittag essen können. Stattdessen gab es frische Brötchen, die ich beim Bäcker geholt hatte, obendrein Aufschnitt vom Metzger, da bei mir als Vegetarier im Kühlschrank nur Tofu-Aufstrich und Grünkernsalami zu finden waren. Natürlich wollte ich, dass es meinem Sohn an nichts fehlte, wenn er schon ein, zwei Tage bei mir übernachtete.

»Ich hoffe, du bleibst das Wochenende«, sagte ich und reichte ihm den Brotkorb. »Hier sind frische Brötchen, habe ich vorhin geholt.«

»Cool, aber wenn du nächstes Mal ein, zwei Laugenbrötchen eintüten würdest, wäre das sensationell nett«, antwortete er, während er mit seinem Handy hantierte und irgendwelche Nachrichten schrieb.

»Mache ich doch glatt«, versprach ich ihm.

Anstatt sich der Wurst zu widmen, nahm er aus einer der Tupperdosen ein Stück Gluten-Ente und belegte damit eine Semmel.

»Habe ich gestern probiert. Ente aus der Dose, yummy«, meinte er und begann sie mit der Gabel zu zerteilen.

»Das ist keine Ente. Das ist Gluten«, erklärte ich.

»Wie meinen?«

»Fleischersatz aus Klebereiweiß. Ich bin doch Vegetarier.«

Max verzog das Gesicht und gab die Portion Bonny, die in null Komma nichts den falschen Vogel verputzte.

»Aber, Papa, du weißt schon, dass ich gerne Fleisch esse?«, fragte er vorsichtshalber nach, während er am Bildschirm seines Smartphones herunterscrollte.

»Natürlich. Ich habe dir doch Aufschnitt besorgt.«

»Das ist auch supi, aber leider ist kein Schinken dabei. Könntest du nächstes Mal bitte daran denken?«, fragte er mich mit Dackelblick.

»Wenn du bis zum Wochenende bleibst, besorge ich welchen.«

»Wochenende? Aber, Papa, ich bleibe doch mindestens drei Monate«, sagte er eher beiläufig.

»Drei Monate?«

»So lange dauert meine Probezeit.«

»Welche Probezeit? Ich verstehe nur Bahnhof.«

Zum ersten Mal legte Max sein Smartphone weg, sah mich kopfschüttelnd an und seufzte tief.

»Mensch, Papa, das habe ich dir doch in der Mail ausführlich geschrieben. Also noch mal. Wie du sicher weißt, bin ich mit dem Studium fertig. Auf der Suche nach einer guten Kanzlei bin ich auf eine in Düsseldorf gestoßen. Die haben zugesagt, deshalb jetzt die dreimonatige Probezeit.«

»Mensch, das ist ja super. Da gratuliere ich aber herzlich.« Obwohl ich mich aufrichtig für Max freute, hatte ich ein Problem. »Nun ist es aber so«, holte ich aus. »Ich wollte die Wohnung gerade kündigen, weil ich mit Marlene zusammenziehen werde …«

»Hört sich nach einem guten Deal an.«

»Na ja, wir wollten das jetzt zügig durchziehen.«

»Hast du die Wohnung schon gekündigt?«

»Noch nicht, aber die Kündigung ist geschrieben und steckt im Umschlag.«

»Moment. Habt ihr denn überhaupt eine neue Wohnung oder nicht?«

»Fast so gut wie sicher. Wir wollten am Samstag den Mietvertrag unterschreiben.«

»Dann ist rechtlich alles im grünen Bereich. Du hast noch nicht gekündigt, und der neue Mietvertrag ist noch nicht unterzeichnet«, erklärte er mir.

»Was meinst du damit?«, fragte ich stirnrunzelnd.

»Du bleibst noch ein wenig in der Wohnung hier, und wenn ich wieder ausgezogen bin, suchst du mit Marlene eine neue Bleibe. Ist doch keine schlechte Idee, oder?«

»Aber das ist nicht so einfach …«, wandte ich ein.

»Das kriegen wir beide doch locker hin.«

»Ich denke, wir sollten noch darüber …«

Aber Max hörte gar nicht mehr hin, weil ihn ein anderes Problem plagte.

»Shit, mein Akku ist gleich alle. Hast du ein Ladekabel?«

»Im Arbeitszimmer.«

»Wo denn da? Bitte, Papa, schnell, ich habe sonst ein Blackout.«

Das einzige Problem, das er hatte, war sein Ladekabel! Dass ich jetzt mit Marlene klarkommen musste, interessierte ihn gar nicht. Ganz schön egoistisch, sagte ich mir, während ich ins Arbeitszimmer ging und das Kabel holte.

»Danke, Papa.«

»Diese Wohnung ist doch zu klein für uns beide«, gab ich zu bedenken, um ihn von seinem Plan abzubringen.

»Warum? Jeder hat ein Zimmer, das reicht doch. Als ich mit Mama darüber gesprochen habe, meinte die auch, dass das funktionieren würde«, erwiderte er und schien froh, dass sein Smartphone wieder Saft bekam.

»Mama weiß davon, aha. Nur ich werde nicht informiert.«

»Sie hat sofort auf meine Mail geantwortet, während ich bei dir im Spam gelandet bin.«

Ich fühlte mich ungerecht behandelt. Warum kümmerte sich nicht meine Ex, die in München lebte, um ihn?

»Hast du dich denn nicht in München beworben? Da soll es doch auch gute Kanzleien geben?«, fragte ich deshalb nicht ohne Hintergedanken.

»Negativ. Dead trouser.«

»Wohnen auf Zeit ist auch keine Alternative?«

»Zu teuer. Außerdem habe ich keine Zeit, mir was zu suchen, ich fange übermorgen in der Kanzlei an. Und ich habe denen zugesagt, weil ich dachte, dass ich erst mal bei dir unterkommen könnte … für den Anfang wenigstens … Aber wenn das so ein Problem für dich ist, muss ich halt sehen, wie ich das stemme …«

Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Meine Fragen zielten allesamt darauf ab, dass Max woanders unterkommen sollte. Das war aber nicht richtig. Ich liebte ihn doch, und natürlich würde ich ihn niemals im Stich lassen. Und das mit Marlene würde ich schon regeln. Max würde bei mir einziehen. Er war mein Sohn, und ich würde alles für ihn tun. Dass er in den letzten vier Jahren woanders gelebt hatte und wir nur sporadischen Kontakt pflegten, spielte dabei keine Rolle. Und dass er mittlerweile erwachsen war, auch nicht. Er brauchte meine Hilfe, und die sollte er bekommen.

»Also gut. Dann werde ich mit Marlene reden.«

»Ach, die wird schon Verständnis haben«, sagte er erleichtert und widmete sich wieder seinem Smartphone.

Die Landhausküche

Marlenes Verständnis hielt sich in Grenzen, um es diplomatisch auszudrücken.

Aber der Reihe nach.

Ich hatte, wie schon erwähnt, vor, mit meiner langjährigen Partnerin zusammenzuziehen. ­Vorausgegangen waren längere Diskussionen und Gespräche. Würde das Zusammenleben funktionieren? Würden die unterschiedlichen Charaktere in vier Wänden harmonieren? So war halt unsere Beziehung, es ging immer rauf und runter, man konnte scherzhaft auch von einem Jojo-Verhältnis sprechen. Die einzige Konstante war unsere Liebe, die alle Schwankungen, Krisen und Turbulenzen überlebt hatte. Jetzt hatten wir wieder eine Sonnenschein-Ära, die mit dem Umzug in eine gemeinsame Wohnung belohnt werden sollte. Wir hatten schon eine in Aussicht, vier Zimmer mit zwei Balkonen, kleiner Garten on top. In wenigen Tagen sollte der Mietvertrag unterschrieben werden, und das hatte Marlene zum Anlass genommen, mit mir eine neue Küche auszusuchen. So fanden wir uns in einem Küchen­studio wieder.

Gemeinsam mit Marlene und Bonny schritt ich die unterschiedlichen Küchenwelten ab, während der freundliche Verkäufer, ein kahlköpfiges Männlein mit Fistelstimme, uns beriet.

»Welcher Stil darf es denn sein? Modern, vintage, nordisch oder vielleicht rustikal?«

Ich nickte abwesend, weil ich mit meinen Gedanken woanders weilte. Wie sollte ich Marlene nur erklären, dass sich mein Umzug verzögern würde? Dazu muss man wissen, dass ich in den letzten Monaten öfter den Umzugs­termin verschoben hatte. Mal war beruflich etwas dazwischengekommen, mal war ich nicht hundertprozentig von der neuen Wohnung überzeugt gewesen. Zunächst hatte Marlene Verständnis gezeigt, aber letzten Endes nahm sie mir den Willen zum Zusammenziehen nicht ab. Noch ahnte sie nichts von Max’ Auftauchen, weil ich nicht am Telefon mit ihr darüber hatte reden wollen. Solche wichtigen Dinge mussten von Angesicht zu Angesicht geregelt werden.

»Wenn es nach mir geht, befürworte ich etwas Modernes«, meinte sie gerade, und ich sah ihr an, dass sie sich auf die neue Küche freute. »Was denkst du, Schatz?«

»Auf keinen Fall rustikal. Modern passt«, gab ich zur Antwort und überlegte fieberhaft, wie ich ihr am besten unsere neue Situation erklären könnte.

»Das ist gut. Die modernen Fronten könnten auch schnell geliefert werden, während es bei den rustikalen momentan zu Lieferengpässen kommt«, erklärte der Küchen­berater.

Ich stutzte. Was hatte er da gesagt? Lieferengpässe? ­Sofort kam mir eine Idee, um das Problem elegant zu umschiffen.

»Was heißt Lieferengpässe?«

»Och, da kann man schon von vier, fünf Monaten ausgehen. Aber die modernen Fronten könnten in zwei, drei Wochen geliefert werden.«

»Das ist perfekt, weil wir unsere Wohnung spätestens in vier Wochen beziehen werden. Das hört sich doch gut an, nicht wahr?«, wandte sich Marlene zu mir und gab mir einen Kuss.

»Auf jeden Fall … Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob diese schnörkellosen Fronten nicht zu langweilig sind. Es wird Zeit für Abwechslung.«

»Wie meinst du das?«

»Dieses rustikale Design hat was. Es bringt etwas Gemütliches in die Küche, man fühlt sich wohl, es ist sozu­sagen familiär«, fabulierte ich.

Marlene sah mich irritiert an.

»Das meinst du doch nicht im Ernst?«

»Im Grunde mag ich es nostalgisch«, log ich, was das Zeug hielt. Natürlich fand ich das rustikale Design grauenhaft. Für mich war es der Inbegriff der Spießigkeit. Und das wusste auch Marlene.

»Du machst Witze. Wir haben kein einziges Möbelstück, das rustikal ist.«

»Umso mehr gefällt mir der Kontrast. Wir sollten nicht alles verteufeln, was auf den ersten Blick etwas altmodisch aussieht. Es geht um Gemütlichkeit.«

Ich spielte diese neue Rolle derart überzeugend, dass Marlene sie mir abnahm. Obwohl sie anderer Ansicht war, wollte sie keine Diskussion mit mir. Sie wollte, dass wir uns für eine gemeinsame Küche entschieden.

»Also gut, bitte, wenn es dir gefällt, dann bestellen wir sie eben.«

Ich wandte mich an den Küchenverkäufer: »Und die Lieferzeiten?«

»Mit vier, fünf Monaten müssten Sie wie gesagt schon rechnen«, antwortete er mit Blick auf seine Unterlagen.

»Kein Problem. So lange können wir warten«, antwortete ich schnell. Offenbar etwas zu schnell, denn Marlene wurde plötzlich misstrauisch.

»Ich sehe mich mit meinem Partner ein wenig um, dann kommen wir zu Ihnen«, sagte sie zu dem Mann, und ohne seine Antwort abzuwarten, zog sie mich außer seiner Hörweite.

»Ist was?«, fragte ich scheinheilig.

»Wenn erst in fünf Monaten geliefert wird, dann würden wir in unserer neuen Wohnung vier Monate ohne Küche leben, ist dir das klar?«

»Natürlich. Deswegen müssten wir leider unseren Umzug etwas verschieben und eine andere Wohnung suchen«, erklärte ich bedauernd.

Ihr Blick verfinsterte sich.

»Es geht dir gar nicht um diese dämliche Küche. Du willst einen Rückzieher machen und nicht mit mir zusammenziehen«, sagte sie mit scharfer Stimme.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Du bist ein schlechter Schauspieler. Als ob du das rustikale Design mögen würdest. Nein, ich kenne dich. Du hast es dir wieder anders überlegt.«

»Du irrst dich! Natürlich freue ich mich auf die Wohnung. Aber sollten wir nicht eine optimale Küche haben?«

»Schluss mit dieser dämlichen Landhausküche. Du sagst mir sofort, was los ist. Willst du mit mir zusammenziehen oder nicht?«

Marlene befand sich jetzt im Verhör-Modus. Sie war nicht mehr meine Freundin, sondern die Anwältin vor Gericht. Es gab für mich kein Entrinnen.

»Natürlich will ich das, aber … na ja«, druckste ich.

»Erzähl mir nichts. Du willst dich davor drücken, ich kenne dich doch. Deswegen hast du dir eine Küche ausgesucht, die eine möglichst lange Lieferzeit hat.«

Sie hatte mich durchschaut. Im Grunde mochte ich sie wegen ihres Scharfsinns, und da ich eigentlich auch ein Freund der Wahrheit bin, gab ich klein bei.

»Okay, Schatz, du hast recht, wie so oft. Ich hätte es dir gleich sagen sollen«, meinte ich schuldbewusst, und dann schenkte ich ihr reinen Wein ein. Ich erzählte ihr vom Einzug meines Sohnes und dass er die nächsten drei Monate bei mir wohnen würde, was unseren geplanten Umzug verzögern würde.

»Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?«, fragte sie erstaunt.

»Weil ich die Befürchtung hatte, dass du davon nicht begeistert sein würdest.«

»Deine Befürchtung ist absolut richtig. Wenn wir noch länger warten, ist die Wohnung vergeben. Und ich frage mich, ob wir je wieder eine so schöne finden werden.«

»Ich weiß, ich weiß«, versuchte ich abzuwiegeln.

»Nichts weißt du«, unterbrach sie mich. »Dein Sohn kann doch in den nächsten drei Monaten woanders unter­kommen. Ich kann ihm genug Agenturen nennen, die Wohnen auf Zeit vermitteln.«

»Aber er ist Student und will sparen«, versuchte ich ihr zu erklären, was jedoch nicht fruchtete.

»Dann zahl du ihm die Miete«, forderte sie mich auf.

»Also, das sehe ich auch nicht ein, außerdem will er nicht allein wohnen, jedenfalls nicht während der Probezeit.«

»Benno, Max ist angehender Anwalt und vierundzwanzig Jahre alt.«

»Fünfundzwanzig«, berichtigte ich sie und fügte hinzu: »Aber er ist mein Sohn, und daher lasse ich ihn nicht im Stich.«

»Deswegen hast du ihn die letzten Monate auch kaum zu Gesicht bekommen …«

»Weil er in Hamburg war.«

Das Gespräch war meinerseits beendet. Sie musste doch verstehen, dass ich meinen Sohn nicht hinauswerfen würde. Aber Marlene hakte nach.

»Warum kümmert sich deine Ex eigentlich nicht um ihn?«

»Weil sie in München lebt«, antwortete ich trotzig, schaltete aber sogleich in den Versöhnungsmodus um. »Schatz, auf die kleine Verzögerung kommt es doch nicht an, oder? Außerdem, was würdest du denn in meiner Situa­tion tun, wenn Becky bei dir einziehen würde?« Marlenes Tochter war ebenfalls fünfundzwanzig und studierte in Paris.

»Becky würde nie auf so eine Idee kommen. Hotel Mama ist für sie ein No-Go. Und das ist auch gut so. Ich habe meine Tochter zur Selbstständigkeit erzogen«, machte sie klar.

Ich musste ihr recht geben. Jedenfalls beschränkte sich ihr Kontakt zu Becky auf wenige Telefonate, soweit ich es beurteilen konnte. Trotzdem wollte ich Marlenes Vorwurf nicht auf mir sitzen lassen.

»Willst du damit sagen, dass mein Sohn unselbstständig ist?«

»Na ja, du hast ihn schon ganz schön verzogen. Becky würde nie an meinem Rockzipfel hängen.«

Das hörte ich überhaupt nicht gern, denn wer lässt sich schon schlechten Erziehungsstil nachsagen? »Nimm das sofort zurück.«

Das tat Marlene nicht, im Gegenteil, sie kritisierte meine pädagogischen Methoden. »Du hast ihn verwöhnt, mein Gott, ist doch kein Drama.«

»Habe ich nicht.«

Mir war überhaupt nicht nach einem Streit, und wahrscheinlich hatte auch Marlene keine Lust darauf, aber wir konnten beide nicht über unseren Schatten springen und dem Ganzen ein Ende setzen.

»Ich bin mir sicher, dass du eigentlich alleine wohnen willst«, resümierte sie schließlich. »Es hat Monate gedauert, bis du deinen Widerstand aufgegeben hast. Du liebst mich gar nicht.«

»Das ist nicht wahr.«

»Wenn du mich lieben würdest, hättest du mich gefragt, ob ich einverstanden wäre, dass er bei dir einzieht.«

»Wenn wir zusammengewohnt hätten, hätte ich dich natürlich gefragt … Außerdem habe ich gedacht, dass du so denkst wie ich.«

»Deswegen die Ablenkung mit der dämlichen Landhausküche? Heuchler.«

Zum Glück tauchte der freundliche Küchenberater auf und zwang uns, einen Gang runterzuschalten.

»Ich habe eine gute Nachricht für Sie.«

Wir sahen ihn gespannt an.

»Die Landhausküche ist doch schneller lieferbar. Wir könnten es so einrichten, dass Sie bereits beim Einzug in den Genuss der neuen Küche kommen könnten.«

Der arme Mann verstand nicht, dass wir sein Angebot nicht voller Freude quittierten. Im Gegenteil, Marlene und ich gingen in Unfrieden auseinander, und wenn ich ehrlich bin, war das meine Schuld. Ich hätte ihr direkt reinen Wein einschenken müssen. Sie wäre zwar über die Verschiebung nicht begeistert gewesen, aber wir hätten vernünftig nach einer Lösung suchen können. Wie dem auch sei, das Kind war in den Brunnen gefallen, und ich hoffte, dass Marlene sich schnell wieder beruhigen würde.

Kafka, der Pinkler

Ich ging nicht gerade in bester Stimmung nach Hause. Bonny, die bis jetzt erstaunlich ruhig geblieben war, merkte, dass meine Laune im Keller war. Sie hatte eine Antenne für die Stimmung ihres Herrchens und versuchte mich zu trösten, leckte meine Hand ab. Als ich mit ihr vor der Wohnungstür stand, hatte ich nur lobende Worte für sie.

»Ach, Bonny, wenn alle Menschen so wie du wären … Du könntest dich nie mit jemandem streiten.«

Wenige Sekunden später führte sie meine Behauptung lautstark ad absurdum, denn kaum hatten wir die Wohnung betreten, sträubten sich ihre Nackenhaare. Sie hob die linke Pfote hoch und begann laut zu knurren und zu kläffen – eindeutige Indizien ihres Jagdmodus.

»Bonny, lass das. Hier gibt es keine Kaninchen«, schimpfte ich.

Kaninchen nicht, aber stattdessen entdeckte ich einen dicken breiten Katzenkopf, der neben der Tür zum Vorschein kam und uns neugierig anglotzte. Nun kannte ­Bonnys Bellen kein Halten mehr. Und nicht nur das. Da ich sie vor der Tür abgeleint hatte, schoss sie wie eine Rakete auf das Objekt ihrer Begierde zu.

Es folgte eine wilde Verfolgungsjagd, die mich an Tom und Jerry erinnerte. Allerdings jagte kein Kater die freche Maus, sondern ein Hund die freche Katze. Bei dem Versuch, Bonny einzufangen, stolperte ich über zwei Umzugskartons und ein Fahrrad, das mitten im Flur stand. Wo kamen denn die Sachen her?

Unterdessen versuchte Bonny, den Kater zu ergreifen. Dabei fiel die kostbare Lampe um, Blumentöpfe kippten, und meine chinesische Vase splitterte klirrend. Das Tohuwabohu endete damit, dass Max die Katze auf den Arm nahm und zu beruhigen versuchte.

»Wo kommt diese verdammte Katze her?«, rief ich, während ich die kläffende Bonny im Griff hielt.

»Das ist doch Kafka, mein Kater«, erklärte Max und streichelte den dicken Katzenkopf.

»Seit wann hast du einen Kater, und seit wann ist er in meiner Wohnung?«

»Ein Freund hat ihn vorhin aus Hamburg mitgebracht.«

»Dann ruf ihn an, dass er ihn wieder abholen soll. Eine Katze geht gar nicht. Das ist ein Hundehaushalt.«

»Papa, du machst Witze. Wo soll Kafka denn hin? Sure, ich könnte ihn ins Tierheim geben, aber das ist doch nicht dein Ernst, oder?«

»Soll ich etwa meinen Hund ins Tierheim bringen? Die beiden verstehen sich nicht. Das ist wie Feuer und Wasser«, sagte ich und hatte Mühe, die knurrende Bonny im Zaum zu halten.

»Ach komm, Kafka ist ganz harmlos«, meinte Max, während sein Kater Bonny provozierte, indem er ihr die Krallen zeigte. »Sie wird sich bestimmt an ihn gewöhnen. Die beiden werden das schon rocken.«

»Dass dein Kater harmlos ist, wage ich zu bezweifeln. Warum faucht er jetzt wie ein Monster?«

»Das ist normales Abwehrverhalten.«

»So kommen wir nicht weiter, Max, wir müssen eine Lösung finden.« Ich hatte überhaupt keine Lust auf einen Hunde-Katzen-Konflikt. Mir reichte der Streit mit Marlene.

»Richtig, und diese Lösung kann nur friedliche Koexistenz heißen. Die beiden müssen sich arrangieren.«

»Sie sollen sich beriechen«, schlug ich vor. Also näherte ich mich mit Bonny ganz langsam Max und seiner Katze. Von wegen friedliche Koexistenz! Sie fauchten und knurrten, was das Zeug hielt.

»Hast du eine Idee, wie die beiden Ruhe geben?«, fragte Max, dem wohl dämmerte, dass wir ein tierisches Problem hatten.

»Wir müssen sie bestechen«, fiel mir ein. »Ich schlage ein All you can eat in Sachen Leckerlis vor. Für beide.«

Gesagt, getan. Max gab Kafka leckere Belohnungs­snacks, und Bonny bekam von mir Kaustangen. Mein Plan schien aufzugehen. Die beiden schlugen sich die Wampe voll und vergaßen dabei ihre angeborene Feindschaft.

»Papa, du bist ein Katzen- und Hundeflüsterer«, lobte mich Max.

Das konnte man leider nicht sagen, denn kaum waren die Leckerlis verputzt, ging erneut das Knurren und Fauchen los. Mir platzte der Kragen.

»Ruhe jetzt, verdammt! Wenn ihr euch nicht vertragt, dann setze ich euch aus!«, brüllte ich und drohte mit erhobenem Zeigefinger. Das wirkte. Kafka verzog sich schnell ins Schlafzimmer, während Bonny in die Küche verschwand. Sie gingen sich aus dem Weg, und jeder schien das Revier des anderen zu akzeptieren.

Apropos Revier. Als ich beim Aufräumen des Chaos, das die beiden bei der Jagd angerichtet hatten, eine Platte auflegte, tauchte Kafka plötzlich auf. Zu meiner Überraschung marschierte er auf meinen Röhrenverstärker zu, hob den Schwanz und brachte mit einem gezielten Pipi­strahl John Lennon zum Schweigen. Was Paul McCartney nicht geschafft hatte, gelang Kafka binnen Sekunden.

»Verschwinde, du Viech!«, brüllte ich und versuchte den Verstärker mit einem Papiertaschentuch zu säubern. Vergebens. Die Milliliter Katzenpipi stanken nicht nur fürchterlich, sie hatten auch einer der Röhren den Garaus gemacht.

»Papa, was schimpfst du so mit Kafka? Siehst du nicht, dass er Angst hat? Er hat sich unter dem Schrank versteckt.«

»Er kann froh sein, dass ich ihn nicht aus dem Fenster werfe. Er hat gerade meinen teuren Verstärker geschrottet.« Ich war außer mir.

»Mein Gott, er hat sein Revier markiert. Das ist doch normal.«

»Das ist scheiße«, rief ich, während ich mich fragte, wie ich den Schaden beheben konnte.

»Papa, chill mal. Du musst doch zugeben, dass ein Röhrenverstärker retro ist. Und dann auch noch Platten. Noch nie was von Online-Stream gehört?«, fragte er mich in einem Ton, als käme ich geradewegs aus dem Neandertal. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen, und so versuchte ich ihm die Vorzüge der Schallplatte näher­zu­brin­gen.

Max sah das anders, und es folgte eine Diskussion analog versus digital. Welche Musik klang besser? Vater und Sohn schenkten sich nichts und warfen sich Begriffe wie »vinyltypisches Rauschen«, »sterile CD-Klänge« und »Placebo-HiFi« um die Ohren.

Irgendwann wurde es mir zu viel, und ich kehrte den erfahrenen Musikhörer hervor: »Max, ich möchte mich mit dir nicht länger darüber unterhalten. Sei mir nicht böse, aber in Sachen Musik hast du andere Ansprüche – man kann auch sagen, Online-Mucke ist kastrierter Musik­genuss.«

»Wenn du meinst, bitte. Aber wegen des Verstärkers brauchst du dich wirklich nicht so aufzuführen. So was kriegst du auf jedem Flohmarkt.«

»Schön wäre es. Das ist ein handgefertigtes Stück, das kostet so viel wie ein halber Kleinwagen«, machte ich ihm deutlich. »Deine Katze ist nicht stubenrein, bring ihr das endlich bei.«

Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, tauchte Bonny auf, ging auf einen Umzugskarton zu und pinkelte ihn an.

»Guck dir mal deinen Hund an. Ist der etwa stubenrein?«, gab Max voller Schadenfreude zurück.

»Das hat sie noch nie gemacht. Das ist der schlechte Einfluss deiner Katze.«

»Klar doch, nur mein Kater ist der bad guy. Dann wirf uns doch gleich raus«, meinte er beleidigt und begann, seine Klamotten wieder in die Umzugskartons zu ­packen. Das wollte ich natürlich auch nicht.

»Ich habe doch nichts gegen deinen Kater persönlich, aber hier lebt nun mal ein Hund. Die beiden müssen sich halt zusammenraufen.«

Max beruhigte sich wieder. Es herrschte zwar kein richtiger Frieden, aber doch weitestgehend Waffenstillstand. Später bestellte ich für uns zwei Pizzas, die wir in der Küche verdrückten.

»Wie ist dein Tag sonst so gelaufen?«, wollte er wissen, und ich erzählte ihm, was im Küchenstudio vorgefallen war.

»Damit hätte ich nicht gerechnet, Papa. Das tut mir echt leid. Ich kann mit Kafka auch wieder ausziehen, no problem.«

»Kommt nicht infrage«, antwortete ich mit Blick auf Bonny. »Wir sind eine Familie, wir schaffen das.«

»Ja, Papa, wir schaffen das«, meinte auch Max, der Kafka anblinzelte.

Fetti und Co.

Hund und Katze arrangierten sich irgendwie. Sie wurden zwar keine best friends, aber sie mieden den direkten Schlagabtausch. Vater und Sohn arrangierten sich auch, trotz aller Unterschiede und Differenzen. Grundsätzlich kann man sagen: Ich tickte analog, er dagegen digital. Ich las gedruckte Bücher, er E-Books. Ich hörte Schallplatten, er mp3. Ich liebte den deutschen Wortschatz, er liebte Angli­zis­men.

»Warum sagst du eigentlich immer ›Kids‹ und ›Spoiler‹ und so weiter?«, fragte ich ihn, denn er gebrauchte zahlreiche englische Wörter in seinen Sätzen. Und wer – wie ich – nur ein Ausreichend in Englisch gehabt hatte, verstand manchmal bloß die Hälfte. »Rede deutsch mit mir.«

»I do, Papa.«

»›Kids‹ und ›Spoiler‹ sind aber keine deutschen Wörter.«

»Klar sind sie es.«

Ich beendete die Diskussion. No sense, um in seinem Deutsch zu sprechen.

Eine weitere Differenz zwischen uns sollte sich als weitaus gravierender erweisen.

Max war ein TV-Serien-Junkie, ich dagegen besaß überhaupt keinen Fernseher, und das aus gutem Grunde, denn ich war als freiberuflicher Texter für diverse Sendeanstalten tätig.

»Mir reicht es, dass ich für die TV-Branche arbeite, Max. Wozu noch die Soaps, Schmonzetten und Koch-Shows angucken? Wenn ich etwas sehen will, dann kann ich das auf meinem Tablet.«

Er dagegen schaute viel TV, allerdings nicht das klassische Programm der Öffentlich-Rechtlichen. Er war Abonnent diverser Streamingdienste. »Serien sind ein must-do. Und ich will die in Kino-Qualität sehen, deshalb habe ich mir einen fetten Screen gegönnt.« Max verwies auf seinen riesigen Bildschirm, den sein Kumpel aus Hamburg mit den Umzugskartons hergeschafft hatte.

»Leider ist im Wohnzimmer kein Platz für dieses Ungetüm«, sagte ich. »Aber wenn du eine neue Wohnung hast, kannst du es ja aufstellen.«

»Papa, this is not funny. Zumal gerade einige sehr interessante Serien angelaufen sind, die ich auf keinen Fall verpassen möchte.«

»Du hast doch überhaupt keine Zeit dafür. Ich denke mal, dass dein neuer Job dich ziemlich beanspruchen wird.«

»Papa, hast du das Wesen von Streaming nicht verstanden? Ich gucke mir die Serien in der Nacht an, nach der Arbeit.«

»Und wo sollen wir dieses Ungetüm anbringen? An den Wänden hängen Bilder, und dann sind da auch noch die Bücherregale.«

»Das Logischste wäre, dass ich ins Schlafzimmer upgrade, da passt der Screen locker an die Wand.«

»Aber wie soll das denn funktionieren? Du willst nachts deine Serien sehen, während ich schlafe?«

»Und wenn du umziehst? Du könntest das Wohnzimmer nehmen, dann würde ich dich im Schlafzimmer nicht stören.«

»Ich soll auf der Couch schlafen?«, empörte ich mich.

»Couchsurfing ist heutzutage doch normal. Mache ich auch oft im Urlaub.«

Ich sollte Urlaub machen? In meiner Wohnung? Ich schüttelte den Kopf.

»Papa, denk doch mal darüber nach. Ich stehe jeden Morgen um acht Uhr auf, während du schon um sieben Gassi gehst. Wenn ich im Wohnzimmer schlafe, würdest du mich immer wecken.«

Da hatte er recht. Das Wohnzimmer war ein Durchgangszimmer. Ich gab meinen Widerstand auf und überließ ihm das Schlafzimmer. So kam ich jedenfalls in den Genuss des Schlafsofas, das gar nicht mal so übel war und seit einigen Jahren in meinem Wohnzimmer ein langweiliges Dasein fristete.

Als guter Vater wollte ich Max beim Anbringen des größten Bildschirms der Welt an die Schlafzimmerwand helfen, schließlich besaß ich eine Bohrmaschine, die ich allerdings das letzte Mal vor gefühlten zehn Jahren benutzt hatte. Ich sollte ergänzen, dass ich zwar im Besitz einer umfangreichen Werkzeugsammlung bin, meine handwerklichen Fähigkeiten sich aber leider in Grenzen halten, oder in Marlenes Worten: »Du hast zwei linke Hände, Benno.«

Und genau davon konnte sich Max ein Bild machen, weil es mir nicht gelang, die Dübel für die Befestigung des Bildschirms halbwegs ordnungsgemäß anzubringen.

»Papa, soll ich nicht lieber bohren?«

»Sorry, Max, aber ich kann mich nicht erinnern, dich jemals mit einer Bohrmaschine gesehen zu haben. Schon als Junge wolltest du nicht mit Lego spielen. Hier muss dein Vater ran.«

In der Tat hatte Max als Kind nie gerne gebastelt oder etwas gebaut, was ich nicht als problematisch ansah, denn jeder Mensch hat andere Vorzüge. Der eine war praktisch veranlagt, der andere geistig. Mein Sohn hatte Letzteres von mir geerbt, nicht umsonst hatte er Jura studiert anstatt Ingenieurwesen. Das hatte ich allerdings auch nicht, und daher sah die Wand nach meinen Bohrversuchen aus wie Schweizer Käse. Ein Gutes hatte die ganze Angelegenheit: Der infernalische Lärm der Bohrmaschine hatte für eine Fraternisierung zwischen Katze und Hund gesorgt. Beide suchten einträchtig akustischen Schutz im Badezimmer.

»Papa, soll ich wirklich nicht lieber bohren?«, wiederholte Max, der die allmähliche Zerstörung der Wand nicht länger mit ansehen konnte.

»Die Bohrmaschine ist sehr schwer zu bedienen, nachher tust du dir weh«, erklärte ich ihm, als wäre er ein Dreijähriger.

»Papa, bitte. Ich war in unserer WG der Bohrloch-Experte.«

»Du?«, fragte ich ungläubig.

»Ja, ich«, sagte er bestimmt und nahm mir einfach die Bohrmaschine aus der Hand. Dann überprüfte er die Wandbeschaffenheit mittels Klopfprobe.

»Das ist eine Massivwand, Beton. Du verwendest leider den falschen Bohrer«, erklärte er, und dann ging es Schlag auf Schlag. Er suchte sich den passenden Bohrer aus und spannte ihn ein. Als Nächstes markierte er die Dübellänge auf dem Bohrer mit einem Stück Klebeband. Ich staunte nicht schlecht.

»Wo hast du das denn gelernt?«

»Von Willy«, lautete die knappe Antwort.

»Willy was?«

»Willy hat einen Kanal bei YouTube.«

Max griff nach seinem Smartphone und rief YouTube auf.

»Was ist jetzt?«

»Bevor ich die Dübel anbringe, muss ich deine Löcher dicht machen. Willy zeigt uns, wie es geht.«