Hundert Briefe - Siegfried Unseld - E-Book

Hundert Briefe E-Book

Siegfried Unseld

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Beschreibung

Zum 100. Geburtstag von Siegfried Unseld

Für Siegfried Unseld waren Briefe nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Lebensform. In ihnen ordnet er seine Gedanken. Sie begleiten und festigen Freundschaften. Sie helfen auf seinem beispiellosen Weg. Wichtige Förderer wie Hermann Hesse oder Peter Suhrkamp lernen ihn zunächst schriftlich kennen. Auch später, als das Reisen und Telefonieren leichter, üblich wird, legt der berühmte Verleger größten Wert auf seine Korrespondenz.

Über ein halbes Jahrhundert hinweg verschickte Siegfried Unseld täglich zahlreiche Briefe. So finden sich in den Archiven heute über 50.000 eigenhändig geschriebene oder auch diktierte Schreiben. Aus dieser Fülle haben die Herausgeber 100 exemplarische Briefe ausgewählt und kenntnisreich kommentiert. In dem, was Siegfried Unseld Ingeborg Bachmann, Samuel Beckett, Ignatz Bubis, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Henry Kissinger, Autorinnen wie Autoren, Verlegern, Journalistinnen mitteilte, spiegelt sich nicht nur Unselds Denken. Diese Briefe dokumentieren eindrucksvoll und vielfältig die intellektuelle Geschichte der Bundesrepublik.

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Seitenzahl: 513

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Cover

Titel

Siegfried Unseld

Hundert Briefe

Mitteilungen eines Verlegers 1947-2002

Herausgegeben von Ulrike Anders und Jan Bürger

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der Bibliothek Suhrkamp 1560.

Erste Auflage 2024© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzungdes Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Umschlaggestaltung: nach einem Konzept von Willy Fleckhaus

Umschlagfoto: © Isolde Ohlbaum

eISBN 978-3-518-78098-5

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

1 »Ich lese, lese und lese«. 1947-1951

2 »Also keine Beunruhigung«. 1952-1958

3 »Spektralfarben«. 1959-1967

4 »Schiff und Motoren sind stark«. 1968-1977

5 »Wir wollen ja glaubwürdig bleiben«. 1978-1988

6 »Dann kommt es eben doch auf den an, der da schreibt«. 1989-2002

Für jetzt und für später Siegfried Unseld und seine Briefe

Zu dieser Ausgabe

Dank

Bildnachweis

Literatur. (Auswahl)

Veröffentlichte Briefwechsel mit Siegfried Unseld

Veröffentlichungen von Siegfried Unseld

Sonstige Literatur

Verzeichnis der Briefempfänger

Personenregister

Fußnoten

Informationen zum Buch

1

»Ich lese, lese und lese«

1947-1951

Einundzwanzig Jahre ist Siegfried Unseld alt, als er im Februar 1946 aus kurzer britischer Kriegsgefangenschaft in seine zerstörte Heimatstadt Ulm zurückkehrt. Die Familie – selbst ausgebombt – ist in Blaubeuren untergekommen. Im Juli 1942 hat er ein sogenanntes Notabitur bestanden, das ihm jetzt aber unzulänglich erscheint. Deshalb holt er die reguläre Reifeprüfung im Juli 1946 nach, um sich anschließend im Ulmer Aegis Verlag von Ernst G. ‌S. Bauer zum Verlagsbuchhändler ausbilden zu lassen. Zu den wichtigsten Schriftstellern der Gegenwart gehört für ihn Hermann Hesse, der 1946 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird. Schon während seiner Zeit im Aegis Verlag versucht Unseld, mit seinem Idol persönlich in Kontakt zu treten.

Nach erfolgreicher Prüfung zum Buchhandelsgehilfen möchte Unseld studieren. Hierfür zieht er von der amerikanischen in die französische Zone: ins gut 80 Kilometer von Ulm entfernte Tübingen. Parallel zum Studium arbeitet er im wissenschaftlichen Verlag J. ‌C. ‌B. Mohr (Paul Siebeck). Sein eigentliches Ziel steht ihm dabei klar vor Augen: Schon in seiner Bewerbung für den Studienplatz spricht er am 13. Juli 1947 davon, einen »geisteswissenschaftlichen Verlag« aufbauen zu wollen. Ende 1948 konkretisieren sich die Pläne: Nun denkt er allerdings an einen literarischen Verlag. Dieses Vorhaben soll gemeinsam mit einem Kommilitonen realisiert werden. »Ich möchte später in meinem Verlage eine Reihe: Romane der Weltliteratur (oder ähnlich) veröffentlichen«, teilt Unseld im November 1948 selbstbewusst seinem früheren Lehrer Eugen Zeller mit.

1948 wechselt Unseld die ersten Briefe mit Hermann Hesse, über den er bald seine Dissertation schreibt. Im April 1951 heiratet er Hildegard – »Hilde« – Schmid. Drei Monate später wird er promoviert. Das Ende des Studiums fällt zeitlich mit dem Tod seines Vaters Ludwig Unseld zusammen.

Übergangsweise unterstützt Unseld seinen Studienfreund Peter Meuer, der eine Buchhandlung in Heidenheim geerbt hat. Auf Empfehlung Hesses, dem Siegfried und Hilde Unseld auf einer »Pilgerfahrt« in die Schweiz erstmals persönlich begegnen, bewirbt er sich im Herbst 1951 beim Suhrkamp Verlag in Frankfurt am Main.

[1] Aus Blaubeuren an Hans Georg Siebeck in Tübingen

13. Juli 1947

Sehr geehrter Herr Siebeck!1

Herr Ehrlich erzählte mir, dass Sie wahrscheinlich in diesen Tagen am Bodensee auf Urlaub weilen. Ich erlaube mir, Sie während Ihres Ferienaufenthaltes mit einem Brief rein geschäftlichen Inhalts zu überfallen.

Nach eingehender Unterredung mit Herrn Ehrlich ergaben sich für meine Tübinger Arbeit und für eine eventuelle Arbeitsaufnahme in Ihrem Verlag doch einige neue Perspektiven. Ich möchte gleich mit einem Mißverständnis beginnen, das sich aus Ihrer freundlichen Unterhaltung mit mir ergeben hat. Für das Fortkommen und [die] Weiterbildung meiner Verlagsarbeit ist es mir wichtig, gerade in das Schaffen anderer Verlage Einblick zu gewinnen, umsomehr, als der AEGIS-Verlag durch den Weggang von Herrn Ehrlich an Bedeutung und Qualität verlieren wird.2 So ergriff ich auch die Gelegenheit, die sich mir durch Vermittlung Herrn Ehrlichs bei Ihnen bot, mit beiden Händen. Da sich nun Ihr Verlag glücklicherweise in Tübingen befindet, ließe sich – so dachte ich mir – ein gleichzeitiges Studium damit verbinden. Das Primäre und in erster Linie Wichtige ist mir jedoch die Arbeit in Ihrem Verlag. Ich habe mir nie gedacht, ein volles Studium mit Staatsexamen u. dgl. durchzuführen. Es ging mir hierbei lediglich darum, Lücken auszufüllen, und mir die notwendigsten, für meinen Beruf wichtigsten allgemeinen Bildungsgüter zu verschaffen: einmal in der Weltliteratur eine umfassende Schau, in meinem Denken (hab' ich überhaupt schon eines?) eine Richtung vermittelt zu bekommen und mir die nötigsten theoretischen Kenntnisse zur Bewertung von Dichtung und Kunstwerk zu erwerben. Sie mögen mir nun einwerfen, dass auch Sie und Herr Ehrlich, den ich jederzeit als volles Vorbild ansehe, sich alle diese Dinge auch ohne ein Studium erworben haben. Ich würde Ihnen aber entgegenhalten, daß Sie wohl noch eine andere, gründlichere Schulbildung als ich erfahren haben. Ich lege jedoch wert auf die Feststellung: es geht mir nicht um ein Studium an sich, sondern um Vertiefung der Allgemeinbildung und der Wissenszweige für meinen Beruf, umsomehr, als ich immer einem geisteswissenschaftlichen Verlage nahestehen werde.

Es ist mir klar, sehr geehrter Herr Siebeck, daß eine Tätigkeit bei Ihnen nur dann in Frage kommt, wenn ich mich ganz dem Posten widme, den Sie mir zur Verfügung stellen. Konkret gesprochen: Ich könnte mir für eine eventuelle Arbeitsaufnahme bei Ihnen folgendes denken: Ich arbeite während des Semesters 30 Stunden wöchentlich bei Ihnen. Während der Zeit der Semesterferien arbeite ich voll bei Ihnen, eventuell unter Aufholung der während des Semesters versäumten Stunden. Ausgangspunkt für ein am Rande betriebenes Studium wäre also volle Ausfüllung des mir von Ihnen angegebenen Arbeitsbereiches. Die Arbeitsaufnahme auch während der Semesterferien bedeutet natürlich eine volle und auch finanzielle Trennung vom Hause Bauer,3 die mir nicht schwer fällt; aber andererseits müsste ich dann mit meiner neuen Tätigkeit so viel verdienen, dass ich allein existent sein kann, da ich meinen Eltern nicht zur Last fallen möchte. Daß ich arbeiten kann, auch ohne Rücksicht auf meine Arbeitszeit, das glaube ich versichern zu können. Herr Ehrlich wird Ihnen das sicherlich bestätigen, umso mehr, als ich seit seines Wegganges schon die dritte Woche über 20 wöchentliche, reine Geschäftsüberstunden habe, ohne die Stunden häuslichen Studiums, die sich hauptsächlich auf das Gebiet der Herstellung erstrecken, zu berechnen (was doch etwas heißen will, bei der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden und der bekannten Ernährungslage). Zur Zeit führe ich im Verlag selbständig die Auslieferung durch. Darüber hinaus beschäftige ich [mich] mit Schriftleitungsarbeiten für PANDORA4 und vor allem mit der praktischen Herstellung, wozu mir ja durch den Weggang von Herrn Ehrlich und durch die zahlreichen AEGIS-Schnellschüsse ein reiches Tätigkeitsfeld geboten ist. Ich verkehre und arbeite in diesen Tagen sehr viel mit Druckereien, sodass ich die wichtigsten praktischen Kenntnisse bestimmt mitbringen kann. Die theoretischen kann man sich leichter zu eigen machen. Im Herbst dieses Jahres will ich dann meine Gehilfenprüfung hinter mich bringen, sodass ein gewisser Abschluss meiner Lerntätigkeit (wenigstens äusserlich) erreicht ist. Ich würde mich sodann sehr freuen, wenn eine Arbeitsaufnahme bei Ihnen unter den geschilderten Umständen möglich wäre.5

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir eine wenn auch vorläufige Zuzugsgenehmigung beschaffen könnten.6 Eine Annahme als Gasthörer ist nur mit dieser Zuzugsgenehmigung möglich. Ich möchte dieses Semester nur belegen, um schon versäumte Zeit einzuholen. Wenn Sie an meiner Arbeitsaufnahme Interesse hätten und es Ihnen recht wäre, würde ich März/April fest nach Tübingen ziehen.

Nachdem ich Sie nun lange genug aufgehalten habe, empfehle ich mich Ihnen mit den besten Wünschen für eine gute Erholung an dem schönen Bodensee.

Darf ich mir erlauben, Sie zu bitten, an Ihre Frau Gemahlin freundliche Grüße zu bestellen.

Ich verbleibe mit herzlichen Grüßen

Ihr

U[nseld]

Brief, Typoskript-Durchschlag mit handschriftlichem Kürzel, zwei Seiten, DLA/SUA

1 Der Verleger Hans Georg Siebeck (1911-1990) leitet den Tübinger Verlag J. ‌C. ‌B. Mohr (Paul Siebeck).

2 Unseld hat im Oktober 1946 ein Volontariat im Ulmer Aegis Verlag begonnen. 1947 gründen die Verleger Hermann Leins (Rainer Wunderlich Verlag), Kurt Port (Port-Verlag), Hans Georg Siebeck und Günther Wasmuth (Verlag Ernst Wasmuth) das Tübinger Verlagshaus, mit dem Ziel, hier eine »besondere Pflegestätte der älteren und neuen französischen Literatur« zu schaffen. Hans Jürgen Ehrlich, Unselds Kollege bei Aegis, übernimmt die Geschäftsführung.

3 Ernst G. ‌S. Bauer (1916-1991), gelernter Buchhändler und als junger Mann im Kampf gegen das NS-Regime aktiv, hat im April 1946 die amerikanische Lizenz für die Gründung des Ulmer Aegis Verlags erhalten.

4 Schon seit Beginn seiner Ausbildung arbeitet Siegfried Unseld mit an der Konzeption und Realisierung der Zeitschrift PANDORA. Schriften für lebendige Überlieferung.

5 Am 27. November 1947 legt Siegfried Unseld vor dem Prüfungsausschuss des Landesverbands der Buchhändler von Nord-Württemberg und Nord-Baden in Stuttgart die Gehilfenprüfung ab. Er bleibt noch bis Ende des Jahres 1947 im Aegis Verlag. Vom 1. Januar 1948 an arbeitet Unseld als Werkstudent im wissenschaftlichen Verlag J. ‌C. ‌B. Mohr in Tübingen, wo er für Vertrieb und Werbung sowie verschiedene herstellerische Aufgaben zuständig ist. Zeitgleich, zum Wintersemester 1947/1948, nimmt er das Studium an der Tübinger Eberhard Karls Universität auf. Ende Oktober 1948 kündigt er bei J. ‌C. ‌B. Mohr, um sich ganz seiner Promotion über »Hermann Hesses Anschauung vom Beruf des Dichters« widmen zu können und das Studium abzuschließen.

6 Ulm liegt in der amerikanischen Zone, Tübingen in der französischen.

[2] Aus Blaubeuren oder Tübingen an Walter Fritz in Stuttgart

16. November 1948

Lieber Herr Fritz!

Für Ihren Brief vom 11. d. ‌M.[onats], den ich gestern erhielt, danke ich Ihnen sehr. Er ward mit einiger Spannung erwartet. Sie hatten ja mit Ihrer Antwort auf sich warten lassen und ich musste schon annehmen, Sie seien unseres Planes überdrüssig geworden.1 Sie dürfen überzeugt sein, und hiermit greife ich zuerst den letzten Punkt Ihres Briefes auf, dass ich über die Pläne im allgemeinen und über Ihre Person im besonderen Stillschweigen wahre.2 Ausserdem wissen Sie ja, dass es gewisse Leute gibt, denen ich dies nur schonend beibringen könnte. Der einzige mit dem ich eigentlich näher darüber sprach, war mein Freund Ehrlich – jedoch ebenfalls ohne Ihre Person zu nennen. Mit ihm – er ist der Geschäftsführer des Tübinger Verlagshauses und wohl einer der gerissensten Verleger – habe ich den ganzen Plan kalkulatorisch durchgesprochen. Nach anfänglichem Zögern konnte ich ihn durchaus überzeugen und wir sind zu einer nicht unerfreulichen Bilanz gekommen.

Auch er wunderte sich über die angebahnten Autorenverbindungen. Damit könnten wir einen Start wagen. Ich habe das letzte Börsenblatt für den Weihnachtsmarkt – ein Schmöker mit ca. 500 Seiten [–] genau studiert und kann füglich behaupten, dass eine Verlagsneugründung nicht immer mit solchen Autoren aufwarten kann. Und dass uns auch späterhin die Autorenmangelkrankheit nicht befällt, lassen Sie mich sorgen. Ich muss mich schon jetzt im Zaume halten, dass ich nicht noch weitere Verbindungen anbahne. Ich habe schon wieder Einiges erfahren können.

Nun aber zu Ihren Fragen: 1. Das Problem der Papierbeschaffung ist natürlich schwierig. Hier ist jedoch noch grundsätzlich zu klären: Sie sprachen bei unserer Unterredung von einer schwedischen Papierquelle. Wie ist diese realisierbar? Bei einem einigermassen erschwinglichen Preis könnte ich Ihnen jede Menge abnehmen. Wenn nicht für uns, so zum Zwischenverkauf. Die Handhabung in der französischen Zone ist z. ‌Zt. folgendermassen geregelt: Die Verlage reichen ihre voraussichtlichen Halbjahresprogramme ein (das nächste am 1. ‌4.!) und erhalten der Bedeutung des Programms entsprechend ihre Papierschecks, die z. ‌Zt. von den hiesigen Papierfabriken mit einer Lieferzeit von 2-4 Monaten gedeckt werden. Ein anderes Werk als das auf dem Halbjahresverzeichnis genannte, darf nicht veröffentlicht werden, auf der anderen Seite besteht keine Verbindlichkeit, die eingereichten Werke auch tatsächlich zu veröffentlichen. Sie sehen also hier die Möglichkeiten, durch Maschen zu schlüpfen. Als Papierlieferant käme m. ‌E. in erster Linie die Firma Schachenmayr in Mochenwangen in Frage. Sie fertigt z. ‌Zt. in der franz. Zone das beste und billigste Papier an. In Stuttgart S[üd], Sonnenbergstr. 24 sitzt ihr Vertreter Herr Arthur C. Schultz. Ein sehr netter Herr. Er kennt mich vom Verlage her gut und ich habe ihm auch schon die meisten Mohraufträge zugeschanzt. Er kommt des öfteren hierher. Leider konnte ich ihn in dieser Angelegenheit noch nicht sprechen, d. ‌h. wollte es zunächst auch nicht, bis sich die Angelegenheit weiter geklärt hat. Vielleicht suchen Sie ihn einmal auf. Wenn Sie wollen, bezw. in nähere Unterhaltung mit ihm treten wollen, beziehen Sie sich natürlich auf mich.

Im übrigen wäre das Schwedenpapier halt der beste Ausweg. Dann wären wir u. ‌a. Umständen konkurrenzfähig, denn bis nächsten Herbst wird wohl Österreich und die Schweiz mit Büchern auf holzfreiem Papier aufwarten. Ausserdem wäre eine Lizenz, die man sans papier einreicht, wohl innerhalb 4 Wochen zu erhalten.3 Ich bin im übrigen mit Ihnen der Ansicht, dass die beste Ausstattung für uns gerade gut genug ist, wobei die beste nicht immer die teuerste sein muss.

Die Frage der Buchbinderei scheint mir deshalb nicht so vordringlich zu sein, da ich über gute Beziehungen verfüge. Bei meiner freund-nachbarschaftlichen Verbindung mit Herrn Dahm, dem Inhaber der Grossbuchbinderei Koch[,]4 kommen wir im 1. Jahr gut mit den vorgesehenen Büchern unter. Koch ist eine ausgezeichnete Buchbinderei, die ihre Aufträge sehr gut ausführt. Leinen ist zunächst nicht zu liefern. Ausserdem sind den Druckereien, mit denen ich zu verkehren gedenke, Buchbindereien angeschlossen, so dass wir hier nicht sonderlich besorgt sein müssen. Wesentlich ist hier ja auch die Gestaltung des Einbands. Ein schöner Pappband muss oft schlechten Leinenbänden vorgezogen werden.

Die Buchbinderpreise liegen nach den neuesten Aufschlägen

 Bogen

 Pappband pro Exempl-

 Leinen pro Exemplar

 10

 –. 50

 60 – – .70

 20

 –. 60

 –. 80-90

 30

   –

 1.10

Werten Sie diese Angaben bitte nicht als aus dem Handgelenk geschüttelte Preise. Sie sind sorgfältig erwogen und stimmen genau. Broschuren kommen m. ‌E. zunächst nicht in Frage.

Was den Fall Zuckmayer5 angeht, müssen wir hier überlegt vorgehen. Ich halte es zunächst für das Beste, wenn Sie ihm unterhaltender Weise Interesse für eine Verlagsgründung abgewinnen könnten. Ich komme selbstverständlich gerne, nur müssen Sie dann selbst das Gefühl haben, dass dies Z. dann nicht ungelegen kommt. Im übrigen würde ich mich auf die Unterredung sehr freuen. Vielleicht kann er uns, wenn er nicht ganz von Suhrkamp abgehen will, ein Verlagsrecht wenigstens für einen gewissen Zeitraum verschaffen, das nach Ablauf dieser Zeit automatisch wieder an Suhrkamp übergeht. Auch damit wäre uns sehr geholfen.

Was den Termin der Lizenzierung angeht, möchte ich natürlich keinesfalls voreilig drängen. Unter allen Umständen sollten wir jedoch bis zum 1. ‌4. die Lizenz haben um noch zu der Einreichung der Halbjahresverzeichnisse und zum Weihnachtsgeschäft 1949 zurecht zu kommen. Ich verstehe natürlich auch, dass Sie sich vor dem Lastenausgleich nicht festlegen wollen. Wäre denn eine rasche Geldanlage in unserem Unternehmen keine Möglichkeit, wenigstens mit einem Teil des Kapitals durch Maschen zu schlüpfen?6 Aber dies werden Sie ja besser als ich beurteilen können. Teilen Sie mir doch gelegentlich mit, ob Sie eine Möglichkeit befürchten müssen, sich nach einer ev. besonderen Belastung nicht mehr beteiligen zu können. Bei meiner Endkalkulation kommt die Herstellung 1 Buches (einschl. sämtlicher Unkosten, die das junge Unternehmen erfordert) auf ca[.] DM 10 ‌000.–, so dass das Kapital von DM 30 ‌000, das Sie einlegen wollten, ausreichen würde.

Das rasche Aufgeben der Studentischen Blätter hat mich in der Plötzlichkeit doch etwas überrascht.7 Was wird dann übrigens aus Ihrem Tübinger Zimmer? Sie wissen ja, dass ich an einer ständigen Bleibe sehr interessiert bin.8

Soviel nun für heute. Ich hoffe schon so, Ihre Fragen zu ausführlich beantwortet zu haben.

Mit herzlichen Grüssen

Ihr

U[nseld]

Brief, Typoskript-Durchschlag mit handschriftlichen Korrekturen und Kürzel, zwei Seiten, DLA/SUA

1 Unseld plant während seiner Zeit als Mitarbeiter bei J. ‌C. ‌B. Mohr und Student in Tübingen die Gründung eines eigenen Verlags, in dem er Klassiker, zeitgenössische Belletristik und eine zweisprachige Reihe herausbringen möchte. Walter Fritz, der zusammen mit Hans Bausch die Tübinger Studentischen Blätter herausgibt, hat er an der Universität kennengelernt. In einem Gespräch, das Unseld Mitte der 1980er Jahre mit Peter Roos führt, berichtet er über die Zusammenarbeit: »Einmal war ich ganz nahe an der Realisierung des eigenen Verlages, ein Kommilitone wollte mir Geld vorschießen, wir hatten schon ein ziemlich klares Konzept, doch als es zum Schwure kam, sprang der Geldgeber ab.« (Peter Roos, Genius loci. Gespräche über Literatur und Tübingen, Tübingen 1986, S. 62f.)

2 Fritz hat am Schluss seines Briefes vom 11. November 1948 vor einer »voreilige[n] Publizierung der Ereignisse« gewarnt (DLA/SUA).

3 Eine Verlagslizenz sans papier, d. ‌h. ohne Papierzuteilung, ist in der unmittelbaren Nachkriegszeit wesentlich leichter zu erreichen.

4 Die 1852 gegründete Großbuchbinderei Heinrich Koch hatte ihr Hauptgeschäft in Stuttgart und Filialen in Tübingen und Karlsruhe. Der Stuttgarter Betrieb sowie die Karlsruher Dependance wurden im Krieg zerstört, sodass das Geschäft von Tübingen aus weiter betrieben wird. Kurt Dahm ist der Geschäftsführer.

5 Carl Zuckmayer (1896-1977) gehört mit seinem Drama Des Teufels General (entstanden zwischen 1943 und 1945, UA 1946) zu den erfolgreichsten Dramatikern der frühen Nachkriegszeit und arbeitet zunächst eng mit Peter Suhrkamp (1891-1959) zusammen. Im Zuge der Trennung von Gottfried Bermann Fischer bzw. dem S. Fischer Verlag und Suhrkamp blieb Zuckmayer bei S. Fischer. Walter Fritz hat ein Zusammentreffen mit Zuckmayer in Aussicht gestellt.

6 Um die materiellen Folgen von Krieg und Vertreibung gleichmäßiger zu verteilen, wird ab Anfang 1948 ein Lastenausgleich diskutiert: Diejenigen, denen ein erhebliches Vermögen geblieben ist, sollen eine Abgabe zugunsten derjenigen leisten, die ihren Besitz verloren haben. Ein Soforthilfegesetz zur Abmilderung der größten Not tritt 1949 in Kraft, das eigentliche Gesetz erst 1952. Fritz hält sein Finanzierungsangebot »angesichts des im Dezember zu erwartenden Sachausgleichs« in der Schwebe, da er noch nicht absehen könne, »wie weit ich belastet werde« (Fritz an Unseld, 11. November 1948, DLA/SUA).

7 In seinem Brief vom 11. November 1948 hat Fritz dazu geschrieben: »Die Studentischen Blätter werden Bausch und ich nun endgültig an den Nagel hängen, das heisst, wir werden sie vermutlich dem ASTA mit einer grosszügigen Geste schenken.« (DLA/SUA)

8 Für die Anfangszeit hatte Unselds Ulmer Kommilitone Ulrich Gekeler ihm dessen Zimmer in der Tübinger Gartenstraße 137 zeitweise zur Verfügung gestellt. Im zweiten Semester bezog Unseld ein eigenes Zimmer in der Christophstraße 32. Durch wessen Vermittlung dies zustande kam, konnte nicht ermittelt werden.

[3] Aus Tübingen an Hermann Hesse in Montagnola

22. Dezember 1948

Hochverehrter Herr Hermann Hesse!1

Darf ich mir erlauben, Ihnen den beiliegenden kleinen Sonderdruck zu überreichen, der eine Besprechung Ihres Glasperlenspiels enthält und dessen Übersendung mich anlässlich des bevorstehenden Festes besonders freut.2 Ich habe diese Besprechung in den »Studentischen Blättern« veröffentlicht, weil gerade unter der Tübinger Studentenschaft sich Ihr Werk deutlich durchzusetzen beginnt. Wenn ich recht sehe, sind diese Studenten nicht mehr die Jugend jener Jahre nach dem 1. Weltkrieg, die Ihre Werte nur allzuleicht hinnahm. Es ist ein Wandel spürbar, ein Besinnen auf sich selbst, auf die Werte des Menschen überhaupt. Sie, hochverehrter Herr Hesse haben hierbei einen entschiedenen Anteil. Es sind immer wieder Ihre Werke, die in den literarischen Diskussionen der Studenten und auch schon in den germanistischen Seminaren genannt werden.

Ich persönlich danke Ihnen noch mehr. Durch meinen verehrten Lehrer, Professor Zeller in Schorndorf, der ja auch einer Ihrer treuesten Freunde ist, wurde ich auf die Kultur- und Geisteswelt des Ostens hingewiesen.3 In Ihren Werken finde ich sie wiedergespiegelt aus dem Blickpunkt einer grossen Einsicht und eines tiefen Verstehens. Ich selbst studiere, unmittelbar angeregt durch jenen magischen Ruf zum Osten, der Ihr Werk durchzieht, mit zwei Semestern an der Tübinger Universität Chinesisch und chinesische Philosophie, um dieser Kulturwelt noch näher zu kommen, sie im Keime zu erfassen und dem »Weg« und der »Tugend«, tao und te[,] mich zu nähern, die für unser Dasein angemessen sind.4 Ihnen danke ich den Weg hierzu.

Darf ich Ihnen, hochverehrter Herr Hesse zum bevorstehenden Fest und für das beginnende neue Jahr von Herzen alles Gute wünschen. Mehr denn je sind unsere Blicke und Gedanken auf Sie gerichtet. Mehr denn je verpflichten uns auch Ihre Werke, treu dem wahren Leben zu dienen.

Mit verehrungsvollen Grüssen

Ihr ergebener Siegfried Unseld

Brief, Handschrift, zwei Seiten, DLA/A: Hesse, Hermann

1 Mit diesem Brief nimmt Siegfried Unseld zum ersten Mal direkten Kontakt zu Hermann Hesse (1877-1962) auf. Im August 1951 kommt es in Bremgarten bei Bern zu einer ersten persönlichen Begegnung. Im gemeinsamen Fotoalbum von Hilde und Siegfried Unseld ist diese Reise als »Pilgerfahrt zu H. ‌H.« dokumentiert (DLA/SUA).

2 Siegfried Unseld, »Hermann Hesse, ›Das Glasperlenspiel‹. Eine Besprechung«, in: Studentische Blätter, Tübingen, Dezember 1948, nachgedruckt in: Materialien zu Hermann Hesse »Das Glasperlenspiel«, Zweiter Band, hg. von Volker Michels, Frankfurt a. ‌M. 1974, S. 112-121.

3 Der Philologe und Mörike-Sammler Eugen Zeller (1871-1953) ist ein Freund Hesses und 1946 Unselds Deutschlehrer am Ulmer Gymnasium, als dieser, obwohl er bereits im Juli 1942 das Notabitur abgelegt hat, sein reguläres Abitur nachholt.

4 Neben Veranstaltungen in der Germanistik, der Philosophie und der Bibliothekswissenschaft nimmt Unseld auch an einigen Veranstaltungen zur chinesischen Philosophie und chinesischen Sprache teil. In der Rückschau kommentiert er dies: »[…] günstigerweise lag dieses Fach zeitlich so, daß ich es besuchen konnte, am späten Abend oder am Samstag nachmittags« (Peter Roos, Genius loci. Gespräche über Literatur und Tübingen, Tübingen 1986, S. 60).

[4] Aus Ulm an Friedrich Beißner in Tübingen

Siegfried Unseld an Hermann Hesse, 22. Dezember 1948

Ulm, am 5. Juni 1951

Hochgeehrter Herr Professor!

Ich erlaube mir, mich mit diesem Schreiben wieder in Erinnerung zu bringen.1 Als ich Mitte April nach Tübingen kam, war ich sehr enttäuscht, als ich vernehmen mußte, daß das Referat über meine Arbeit immer noch nicht fertiggestellt war, wie Sie dies mir Ende Februar versprochen hatten. Ich hoffe sehr, hochgeehrter Herr Professor, daß es Ihnen in der Zwischenzeit möglich war, meine Arbeit durchzusehen. Wie sehr ich auch fürchte, daß meine Arbeit Sie nicht vollkommen befriedigen wird, ist sie doch unter großem Zeitdruck entstanden, so vertraue ich doch darauf, daß Sie zwischen den Zeilen den Dank und die Verehrung erkennen konnten, die ich Ihnen dafür schulde, daß Sie mir die Kenntnis dessen lehrten, was eine Dichtung zur Dichtung macht.

Ich wäre Ihnen, hochgeehrter Herr Professor sehr dankbar, wenn Sie alles versuchen würden, was den Gang der Promotion beschleunigen könnte. Je intensiver ich meine Kräfte für meinen Beruf verwenden und auf das gründliche Kennenlernen der modernen Literatur richten muß, umso geringer wird der Raum, den das wissenschaftliche Weiterarbeiten einnehmen darf, und umso dringender und notwendiger wird mein Wunsch, meine Prüfung endlich hinter mich zu bringen.

Ich bitte Sie höflichst um die Freundlichkeit, mir mitteilen zu wollen, wie weit Referat und Ko-Referat für meine Arbeit gediehen sind, und mit welchem Termin für die mündliche Prüfung ich rechnen kann.2

Mit ergebenen Grüßen

Ihr Siegfried Unseld

Brief, Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen und Signatur, eine Seite, DLA/A: Beißner, Friedrich

1 Der Germanist Friedrich Beißner (1905-1977) ist seinerzeit schon überregional als Hölderlin-Herausgeber bekannt und betreut Unselds Promotion.

2 Die Prüfung findet am 24. Juli 1951 statt.

[5] Aus Ulm an Wilhelm Weischedel in Tübingen

Ulm, am 17. Juni 1951

Verehrter und sehr lieber Herr Professor!

Ich kann Ihnen kaum erklären, wie sehr mich Ihre so herzlichen Worte gefreut haben.1 Es ist ja nicht so, daß ich Sie und Ihre liebe Frau Gemahlin vergessen hätte, obschon ich lange nichts von mir hören ließ. Ich habe dafür umsomehr als ein stiller Gläubiger Ihrer gedacht und Ihnen im stillen dafür gedankt, daß ich durch Sie weite Räume des Geistes durchschreiten und solch schöne Stunden mit Ihnen erleben durfte. In meinem Erinnerungsbild an Tübingen ist manches schon verblaßt; einige wenige Stellen aber strahlen in ungebrochener Leuchtkraft, von beseligender Erinnerung verklärt. Dies sind Ihre Vorlesungs- und Seminarstunden, vor allem das Seminar über Platon und die Vorlesung über »Tod und Unsterblichkeit« (mit einem Schüler Heideggers, einem Dr. Theodoresku,2 einem Ungarn, sprach ich neulich von Ihrer Vorlesung. Er wünschte Einblick in meine Kollegnachschrift, aber ich entwand mich der Bitte, wußte ich doch nicht, ob Ihnen solches angenehm sei); diese Stellen sind die Erinnerungen an die erfüllten Abende des Kreises, die Stunden in Ihrer Familie, wobei mir die herzliche Fürsorge Ihrer Frau Gemahlin unvergeßlich sein wird, und vor allem auch die paar Spaziergänge, die ich mit Ihnen unternehmen durfte. Unverblaßt leuchtet auch noch die Gestalt Walter F. Ottos, so wie ich sie bei jener Geburtstagsfeier bei Ihnen sah, und von den Mitstudenten sind mir Boeddhinghaus und die beiden Bohnckes lebendig (und natürlich der kleine Krampen, von dem je und je ein Gruß aus Italien kam).3

Doch davon soll jetzt nicht die Rede sein. Ich möchte Ihnen vielmehr die Fragen beantworten, in denen Sie sich so freundlich nach »uns« erkundigten.

Da wäre, als erstes natürlich, zu sagen, daß durch die Ehe mein Dasein schöner, weil erfüllter geworden ist.4 Es hat noch mehr seinen Sinn in sich; dies bestätigt meine Anschauung, daß wir Menschen zwar nicht für die Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit des menschlichen Seins verantwortlich sind, wohl aber jeder für sein eigenes, einmaliges Leben. Beide suchen wir, so gut es geht, die Form einer Gemeinschaft zu finden, die jedem eine gewisse Selbständigkeit wahrt und doch auch eine gemeinsame »Welt« entstehen läßt. Wir wissen das wesentliche Merkmal alles Irdischen, das Vergängliche; vielleicht wirkt sich hieraus das Dauernde. – Kurzum, meine Frau und ich, wir beide fühlen uns sehr wohl. Gemeinsam fahren wir morgens zur Arbeitsstätte, gemeinsam kehren wir abends zurück; am Abend spielt sie dann Klavier, und ich lese, lese und lese, bin ich doch seit kurzem bei der Schwäbischen Donauzeitung als Kritikus tätig. Diese Arbeit, die ich sehr ernst nehme, macht mir viel Freude; ich verlerne durch sie nicht das intensive geistige Arbeiten und gewinne dabei eine breite Basis in der Kenntnis der modernen Literatur. Eine nicht unbedeutende Entdeckung glaube ich mit einem Prosabuch eines englischen Lyrikers gemacht zu haben (George Barker, Der Dorn im Fleisch),5 während mir gerade in diesen Tagen Sartres »Pfahl im Fleisch«6 sehr zu schaffen macht; ich glaube, die Weise, die Sartre in diesem »Roman« einschlägt ist weder genuin dichterisch noch philosophisch; dieser Haltung möchte ich auch den Charakter eines Übergangs absprechen.

Die Frage nach der Familie ist die Frage nach der Befindlichkeit von Vater. Nach einer erstaunlich lange[n] Periode eines, nach außen hin wenigstens so erscheinenden, Stillstandes der Krankheit, verschlechterte sich das Befinden des Patienten in den letzten Tagen nicht unbedeutend. Noch sind die Schmerzen nicht allzu groß, aber unerbittlicher denn je »geht« mein Vater auf seinen Tod »vor«; wann er eintreten wird, dies kann niemand sagen, ob es noch Wochen oder Monate währt. Wir aber müssen's ertragen.7

Von meiner Heidenheimer Tätigkeit ließe sich viel sagen.8 Ich bin, zum größten Teil, zufrieden, zum anderen festigt sich in mir der Glaube, daß ich nicht allzulange dort sein werde. Enttäuscht hat mich vor allem der gute Herr Meuer selbst, dem eine »Werk«-Auffassung abgeht, so sehr er auch Goethes Worte vom Erwerben des Ererbten zitiert.9 Großzügigkeit und Fingerspitzengefühl gehen ihm ab. Doch überwiegen natürlich seine persönlichen Vorteile. Im Grunde ist er ein lieber und guter Mensch. Der Geschäftsgang selbst ist regelmäßig mäßig.

Solches, das Gute und weniger Gute gleicherweise umgreifend, ist von Herrn Beißner leider nicht zu sagen; er hat nunmehr auch die letzten Sympathiegefühle, die ich für ihn hegte, in mir zerschlagen. Es ist einfach unglaublich: Er hat meine Arbeit immer noch nicht angesehen. Auf mein Schreib[en] reagiert er überhaupt nicht. Ich werde ihn in den nächsten Tagen einmal telephonisch anrufen müssen, um ihm eine Pistole auf die Brust zu setzen. Ich werde dann erneut einen Termin zu erzwingen suchen, bis wann er das Referat fertig haben wird. Vor Semesterende aber, wenn überhaupt, wird das mündliche Examen kaum steigen.

Zum Schlusse noch ein wohl gemeinter Vorschlag: Hätten Sie nicht Lust uns mit Ihrer Frau im August (zweite Hälfte) für ein paar Tage zu besuchen? Vielleicht ließe sich eine Fahrt im Auto10 von oder nach Tübingen einrichten. Wir würden uns riesig freuen. Vielleicht erwägen Sie die Sache einmal. Nehmen Sie nun für heute die herzlichsten Grüße an Sie, Ihre Frau Gemahlin und an die Töchter des Hauses von

Ihrem getreuen

Brief, Typoskript-Durchschlag mit handschriftlichen Einfügungen und Korrekturen, unsigniert, zwei Seiten, DLA/SUA

1 Den in Tübingen lehrenden Philosophen Wilhelm Weischedel (1905-1975) lernte Unseld über die Arbeit für die Zeitschrift PANDORA kennen. Er war es, der ihn dazu anregte, ein Studium aufzunehmen, und ihn dabei unterstützte, an der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen zu werden. Am 10. Juni 1951 erkundigt sich Weischedel mit einer Urlaubspostkarte aus Wildbad im Schwarzwald nach Unselds Befinden und dem Abschluss seines Studiums.

2 Ştefan Teodorescu (1906-?), Schüler Heideggers, später Lektor für rumänische Sprache und Literatur am Romanischen Seminar der Universität Heidelberg.

3 Walter F. Otto (1874-1958), Altphilologe; Walter Boeddinghaus (1927-1975) und Martin Krampen (1928-2015) waren Kommilitonen Unselds; dieser erinnert sich außerdem an den Pianisten Robert-Alexander Bohnke (1927-2004) und dessen Bruder Walther (1920-2000).

4 Am 14. April 1951 haben Hildegard Schmid und Siegfried Unseld geheiratet.

5 George Barker, Der Dorn im Fleisch. Aufzeichnungen des G. ‌B. erschien 1951 in der Übersetzung von Suhrkamp-Lektor Friedrich Podszus und P. ‌G. von Beckerath im Suhrkamp Verlag.

6 Der dritte Band von Sartres unvollendetem Romanzyklus »Wege der Freiheit« erschien 1951 im Rowohlt Verlag in der Übersetzung von Hans Georg Brenner unter dem Titel Der Pfahl im Fleische erstmals auf Deutsch.

7 Siegfried Unselds Vater Ludwig (*1896) war an Magenkrebs erkrankt. Er starb am 26. Juli 1951, zwei Tage nach Siegfried Unselds mündlicher Prüfung.

8 Übergangsweise arbeitet Unseld in der Buchhandlung Meuer in Heidenheim an der Brenz. Eigentümer ist der 1925 geborene Peter Meuer.

9 Vgl. Goethe, Faust. Eine Tragödie: »Was du ererbt von deinen Vätern hast / erwirb es, um es zu besitzen!« (Goethe, Werke in sechs Bänden, Bd. 3, Frankfurt a. ‌M. 1993, S. 25).

10 Hier konnte ein handschriftlich eingefügtes Wort nicht entziffert werden.

[6] Aus Ulm an Peter Suhrkamp in Frankfurt am Main

am 3. Oktober 1951

Sehr geehrter Herr Dr. Suhrkamp!

Ich hatte beabsichtigt, Sie während der Frankfurter Messe zu besuchen.1 Leider konnte ich mein Vorhaben nicht ausführen. Nun möchte ich Ihnen in gedrängter Form schriftlich das unterbreiten, was ich sehr gerne mündlich mit Ihnen besprochen hätte, und die Entscheidung sei Ihnen überlassen, ob Sie meinen Besuch noch wünschen.

Das erste meiner Anliegen dreht sich um meine eigene Person. Ich bin mit Leib und Seele Verlagsbuchhändler, habe aber gegenwärtig nicht den Wirkungskreis, der mich auf die Dauer voll auszufüllen vermöchte. Ich erlaube mir deshalb, Sie, verehrter Herr Dr. Suhrkamp, zu fragen, ob es nicht möglich wäre, in irgend einer Form in Ihrem Verlag mitzuarbeiten. Warum ich mich gerade an Sie wende, rührt nicht nur daher, daß mir Herr Siebeck vom J. ‌C. ‌B. Mohr Verlag Tübingen diesen Weg empfahl, sondern es geschieht vor allem deshalb, weil die besondere Weise meiner Berufsentwicklung gewissermaßen aus sich heraus nach Ihrem Verlag zielt. Ich bin 1924 geboren, trat nach Abitur und Wehrmacht 1946 in den neugegründeten Aegis-Verlag Ulm als Volontär ein und legte im Herbst 1947 die Verlagsgehilfenprüfung »mit Auszeichnung« ab. Danach war ich selbst verantwortlicher Vertriebsleiter und Hersteller bei J. ‌C. ‌B. Mohr. Neben meiner Tätigkeit bei Mohr studierte ich an der Universität Tübingen moderne Literatur und Editionstechnik. Am 24. Juli 1951 promovierte ich mit der Arbeit »Hermann Hesses Anschauung vom Beruf des Dichters«. Um meine Promotion durchführen zu können[,] schied ich auf eigenen Wunsch bei Mohr aus. Ich hatte die Aussicht, an verantwortlicher Stelle den Verlag Langen-Müller wieder aufzubauen; aus den bekannten Gründen war dies nicht möglich.2 Ein Studienfreund, Herr Dr. Meuer aus Heidenheim, dessen Vater unerwartet gestorben war, bat mich, ihm bei der Übernahme der Buchhandlung behilflich zu sein, und so arbeite ich nun vorübergehend in diesem Sortiment. Ich darf über mich selbst noch ausführen, daß ich als Rezensent an der hiesigen »Schwäbischen Donauzeitung« mitarbeite (Von Ihren Verlagswerken habe ich Hesses »Briefe«, Barkers »Dorn im Fleisch« und Penzoldts »Süße Bitternis« unter dem Sigle su besprochen). Hesse kennt mich persönlich: im Briefband ist auf Seite 311 ein Brief an mich abgedruckt.3

Innerhalb der Verlagsarbeit, die ich in allen Sparten beherrsche, würde mich besonders das Lektorat, mehr aber noch der Vertrieb selbst interessieren; ich darf zudem annehmen, daß ich wohl geeignet wäre, Hesses Werke in einem würdigen Sinn fortzubewahren. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie eine Möglichkeit sehen würden, wie ich in Ihrem Verlage mitarbeiten könnte.

Die anderen Anliegen sind rascher angeführt. Hesse feiert im nächsten Jahr seinen 75. Geburtstag. Ich weiß nun allerdings nicht, ob Sie bereits eine Festschrift ähnliche Publikation beabsichtigt oder vielleicht schon vorbereitet haben. Sollten Sie an einer solchen Veröffentlichung interessiert sein, so würde es mich freuen, Ihnen in Ihrem Auftrag einen solchen Band zusammenzustellen, dessen illustere Mitarbeiter allein schon für sich sprechen würden. Wenn Ihnen der Gegenstand zusagt, würde ich Ihnen sofort einen Plan einreichen. Ich habe bei meinem Besuch bei Hesse im Sommer dieses Jahres durchaus den Eindruck gewonnen, daß man auch in Montagnola eine solche Veröffentlichung begrüßen würde.

Zum Schluß noch ein Drittes: Von dem Tübinger Professor für Philosophie Dr. Wilhelm Weischedel liegt mir ein Essay »Vom Wesen der Kunst« vor, der sich meines Erachtens ausgezeichnet für die »Bibliothek Suhrkamp« eignen würde.4 Es handelt sich nicht nur um eine neue Deutung der Kunst von philosophischer Sicht, in der die Tiefe des Kunstwerkes als metaphysische Wirklichkeit begriffen wird; in dieser kleinen Abhandlung vollzieht sich ein Wandel in der Fragestellung des gegenwärtigen Philosophierens, das bei dem Heideggerschüler Weischedel nun nicht mehr von der menschlich-endlichen Beschränktheit ausgeht, sondern das die Welt und den Menschen von der metaphysischen Erfahrung her begreift. – Das Manuskript steht Ihnen gerne zur Einsichtnahme zur Verfügung.

Nun mußte ich doch ausführlicher werden, als ich es vorhatte. Ich würde mich freuen, wenn Sie selbst nach dem Dargelegten ein Zusammentreffen begrüßen würden (Als Referenzen darf ich übrigens angeben Herrn Hans Georg Siebeck, Tübingen, Herrn Max5 Niemeyer, Max Niemeyer-Verlag Tübingen, Herrn Walter Kohrs, Leiter des Verlags Kröner Stuttgart und Herrn Bundestagsvizepräsidenten Prof. Dr. Carlo Schmid).6

Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören.

Mit ergebenen Grüßen

Ihr Siegfried Unseld

Brief, Typoskript mit einer handschriftlichen Korrektur und Signatur, zwei Seiten, DLA/SUA

Siegfried Unseld an Peter Suhrkamp, 3. Oktober 1951

1 1951 fand die Buchmesse vom 13. bis 18. September statt; erstmals wurde sie auf dem Frankfurter Messegelände abgehalten. Ebenfalls zum ersten Mal wurde am Messesonntag der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen; er ging an Albert Schweitzer (1875-1965).

2 Die amerikanischen Militärbehörden hatten den Langen Müller Verlag als Parteieigentum beschlagnahmt und ein Großteil der Verlagsrechte an andere Verlage vergeben. Eine komplette Auflösung der Firma wurde 1950 durch das bayerische Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung verhindert. 1952 ging der Verlag in die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (den Rechtsnachfolger der »Deutschen Arbeitsfront«, jener NSDAP-Organisation, der der Verlag angehörte) über und wurde von Joachim Schondorff und Günther Hauffe wieder aufgebaut.

3 Brief an Siegfried Unseld, Tübingen, Anfang Februar 1950, in: Hermann Hesse, Briefe. Berlin und Frankfurt a. ‌M. 1951, S. 311-315. In diesem Brief antwortet Hesse auf eine Frage zur Perspektive im Roman Das Glasperlenspiel, die Unseld ihm in einem Brief vom 2. Februar 1950 gestellt hat.

4 Peter Suhrkamp folgt diesem Vorschlag nicht. Von Wilhelm Weischedel erscheint erst 1976 der Band Skeptische Ethik im Suhrkamp Verlag.

5 Gemeint ist Hermann Niemeyer (1883-1964), der 1950 in Tübingen den 1870 in Halle gegründeten Max Niemeyer Verlag neu gründete.

6 Die Bewerbung hat Erfolg: Vom 7. Januar 1952 an ist Unseld Mitarbeiter des Suhrkamp Verlags.

2

»Also keine Beunruhigung«

1952-1958

Siegfried Unseld beginnt am 7. Januar 1952 seine Arbeit im Suhrkamp Verlag am Schaumainkai 53 in Frankfurt am Main. Die Großstadt, die enge Verbindung mit Peter Suhrkamp und die Vielfalt des Verlagsprogramms eröffnen ihm Perspektiven, von denen er zuvor wenig ahnte: Dem nach Argentinien ausgewanderten ehemaligen Aegis-Kollegen Waldemar Kabus berichtet er am 10. November 1952, Hermann Hesse, »damals Stern unter den von mir Erwählten«, sei für ihn allmählich verblasst. Stattdessen beschäftigt er sich mit »Hofmannsthal, Kafka, Bert Brecht« – »Neuland, das ich für mich […] erschloß«. Bald kommen immer mehr Gegenwartsautoren hinzu, nicht nur ältere wie Rudolf Alexander Schröder, Hans Erich Nossack oder Max Frisch, sondern auch einige, die jünger sind als er selbst. Neben dem Lyriker und Literaturwissenschaftler Walter Höllerer, der im Suhrkamp Verlag mitarbeitet, werden für Unseld Martin Walser und Hans Magnus Enzensberger besonders wichtig.

In der Eschersheimer Landstraße 94 findet sich eine Wohnung für die Unselds – »nicht unhübsch und für Frankfurter Verhältnisse luxuriös« (an Kabus). Nach der Frühgeburt und dem Tod von Zwillingen im Februar 1952 bringt Hilde Unseld am 20. September 1953 ihren Sohn Joachim zur Welt.

Neben der Familiengründung und dem Einstieg ins professionelle literarische Leben wird für Unseld seine erste Reise in die USA zur prägenden Erfahrung: Im Sommer 1955 ist er für fast zwei Monate Stipendiat am Harvard International Seminar, das Henry Kissinger leitet. Ziel dieses Eliteprogramms ist es, den Teilnehmern Gelegenheit zu geben, »sich mit den verschiedenen Aspekten des amerikanischen Lebens vertraut zu machen durch ein Programm von ausgezeichneten Gastrednern aus dem Berufsleben, aus den Gewerkschaften, aus Industrie, Regierung und aus anderen Gebieten« (Beilage zur Korrespondenz von Unseld und Kissinger). Unseld profitiert durch den Harvard-Aufenthalt nicht nur in politischer Hinsicht: Für die Verlagsarbeit ist die Verbesserung seiner Englischkenntnisse ein enormer Gewinn, und dem späteren Außenminister Kissinger bleibt er jahrzehntelang verbunden. Noch wichtiger wird für ihn die Freundschaft mit der erfolgreichen österreichischen Lyrikerin Ingeborg Bachmann, die ebenfalls zum Kreis der Fellows gehört.

Nach seiner Rückkehr nach Frankfurt sieht sich Unseld mit dem sich weiter verschlechternden Gesundheitszustand Peter Suhrkamps konfrontiert. Hinzu kommt der Tod Brechts am 14. August 1956, des wohl einflussreichsten Suhrkamp-Autors. Anfang 1958 wird Unseld persönlich haftender Gesellschafter des Verlags. Damit hat ihn der todkranke Suhrkamp zu seinem Nachfolger bestimmt.

[7] Aus Ulm an Peter Suhrkamp in Frankfurt am Main

Ulm, am 9. Februar 1952

Sehr geehrter Herr Dr. Suhrkamp!

Es bekümmert mich selbst am allermeisten, daß ich wieder Ihre Güte in Anspruch nehmen und Sie bitten muß, mir einen Tag verlängertes Wochenende zu gewähren. Als ich nämlich am Freitag abend nach Ulm kam, hatte ich eine nicht wenig überraschende Situation zu überstehen. Meine Frau war am Nachmittag niedergekommen mit einer 4½ monatigen Frühgeburt von zwei Mädchen. Beide lebten wenige Minuten, wurden notgetauft und müssen nun, irgendwelchen behördlichen Verordnungen entsprechend, beerdigt werden. Da meine Frau, so gut sie alles überstanden hat, in der Klinik bleiben muß, meine Mutter aber durch die voraufgegangenen Tage und Nächte sehr angegriffen ist, so ist außer mir niemand da, der den ganzen Behördenkram erledigen und die beiden armen Erdenwürmer zu Grabe geleiten kann. Es wird ein merkwürdiger Grabgang sein, dem ich mich aber, so wenig gern ich ihn tue, wohl nicht entziehen darf. Ich bitte Sie deshalb um die Einwilligung in mein verspätetes Kommen am Dienstag früh; den verlorenen Tag will ich gerne irgendwie ausgleichen.

Wie sehr ich mich doch schon dem Verlag verbunden fühle, beweist mir das Faktum, daß ich bei aller persönlichen Bedrückung oft an den Karlsruher-Termin denken mußte.1 Hoffentlich verlief dort alles nach Ihren Wünschen.

Mit herzlichen Grüßen bin ich

Ihr sehr ergebener

Brief, Typoskript-Durchschlag mit einer handschriftlichen Korrektur, unsigniert, eine Seite, DLA/SUA

1 Nach der Trennung Peter Suhrkamps vom S. Fischer Verlag und der Neugründung des Suhrkamp Verlags 1950 führen neu aufgekommene finanzielle Forderungen des S. Fischer Verlags Anfang 1952 zu einem Schiedsverfahren, das am 8. Februar 1952 in Karlsruhe stattfindet. Es endet in einem Vergleich. An Ernst Penzoldt schreibt Suhrkamp am 19. Februar 1952: »Der Vergleich wurde dadurch erleichtert, daß die Schiedsrichter in der Hauptposition sich einstimmig meiner Auffassung anschlossen. […] Das Gesamtergebnis war dann derart, daß mein Anwalt mich drängte, den Vergleich unbedingt anzunehmen. Ich tat es mit Widerstreben.« (zit. n. Friedrich Voit, Der Verleger Peter Suhrkamp und seine Autoren, Kronberg/Ts. 1975, S. 64)

[8] Aus Frankfurt am Main an Rolf Becker in Essen

am 29. Oktober 1953

Lieber Herr Becker –

Herzlichen Dank für Ihren Brief vom 27. ‌10. Ich habe mich sehr gefreut, von Ihnen zu hören.

Sie brauchen keine Sorge um Ihr Buch zu haben. Es wird kommen. Es wird als erstes Frühjahrsbuch 1954 hergestellt werden. Ihr Brief, in dem Sie Ihren neuen Titelvorschlag erwähnten, liegt seit vier Wochen in unserer Besprechungsmappe. Und nie kommen wir so tief. Das Abtragen des aktuellen Berges frißt uns ganz auf. Aber sehr bald wird ja das Frühjahrsprogramm aktuell werden.

Ihren Titel »Es ist etwas geschehen« finde ich gar nicht schlecht. Vielleicht etwas ungewöhnlich und mit modischem Akzent, aber das schadet nichts. Ihren neuen Vorschlag, [»]Die Leute über uns[«], werde ich ebenfalls in die Debatte werfen. Auch er hat viel für sich, indem er die Hausatmosphäre angeht. Ich habe mich einige Zeit in den Titel »Licht im Fenster« verbohrt. Auf der Messe entdeckte ich dann, daß der Rainer Wunderlich Verlag bereits einen solchen Titel im Herbstprogramm hat; damit entfällt er für uns.

Sie dürfen sich verlassen, Sie hören bald von uns.1

Nun aber zu Ihrer journalistischen Frage. In der Tat kann allein nur Hesse vom Ertrag seiner Bücher leben. Er publiziert sonst kaum. Er wohnt in der Schweiz in einem Haus, das ihm von einem Mäzen auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt ist. Er hat es soweit ganz gut, hat einen eigenen Wagen, unternimmt im Jahr zwei Erholungsreisen, im Frühjahr ins Engadin, im Herbst zur Kur nach Baden. Er nimmt selbstverständlich keinerlei Auftragsarbeiten an.

R. ‌A. Schröder erhält einen Ehrensold des Verlages, der allerdings kaum von Bücherhonoraren gedeckt ist. Dazu bezieht er von seiner Vaterstadt Bremen, deren Ehrenbürger er ist, ein kleines Ruhegehalt.2 Seine Nebeneinnahmen: Vorträge, Reden. Hat kein Auto. Reist viel, da er viel eingeladen ist. Wohnt in einem kleinen Häuschen in Oberbayern. Ist mit eigenen Arbeiten beschäftigt, meist Übersetzungen. Nimmt ab und zu Einladungen zu Vorträgen an, bei besonderen Anlässen.

Hermann Kasack. Mitlektor des Verlages.3 Lebt vorwiegend wohl von Rundfunkhonoraren. Ein Buch bringt ihm im Jahr des Erscheinens monatlich etwa DM 3-500 ein. Hat kein Auto. Lebt in einer Mietwohnung in Stuttgart. Er wirtschaftet sich eigentlich gerade so durch.

Ernst Penzoldt,4 der liebenswerteste aller Schreibenden, kann auch kaum allein vom Ertrag seiner Bücher leben. Er ist kultureller Berater am Bayr. Staatstheater. Seine größten Nebeneinnahmen sind seine kleinen Feuilletons, die bei der Presse sehr beliebt sind. Hat kein Auto. Er schreibt, malt und liest sich ebenfalls gerade so durch.

Günter Eich.5 Seine Bücherhonorare sind völlig unbedeutend. Dafür aber sind seine Rundfunkbezüge entscheidend. Seine Hörspiele finanzieren sein dichterisches Schaffen. Soweit ich weiß, ist er der beweglichste unserer Autoren. Mit eigenem Wagen ausgerüstet reist er in allen Teilen Europas. Jetzt mit Ilse Aichinger verheiratet.6

K. ‌A. Horst.7 Hier kann ich Ihnen die am wenigsten genauen Angaben machen. Er kann ebenfalls unmöglich von seinen Buch-Honoraren leben. Beim »Merkur« wird er, wie viel er dort auch arbeitet, kaum viel verdienen. So gibt er Unterricht in einer Mädchenklasse.

Niebelschütz.8 Im Vertrauen gesagt, ihm gehts zur Zeit am schlechtesten. Seine Bucheinkünfte sind sehr gering. Im letzten Jahr hatte er einen Mäzen. Diese Quelle scheint aber jetzt versiegt. Wir unterstützen ihn, so gut wir können.

Es gibt aber noch andere Fälle. Der Verlag bezahlt einem jungen Autor Vorschuß auf ein noch zu schreibendes Buch. Der Vorschuß reicht nicht. Schließlich ist der Betrag von DM 6000.– erreicht, und der Roman immer noch nicht zu Ende geschrieben. Er wird wohl nie fertig werden. Dies geschah bei uns.

Bei einem anderen, sehr namhaften Autor geschah noch Schlimmeres. Auch hier Vorschuß von DM 5000.– Als dann das Buch geschrieben war, konnte der Verlag es nicht annehmen.

Im Großen und Ganzen sieht es bei uns also so aus, daß die Autoren bestehen können. Durch jede Publikation in unserem Verlag verstärkt sich ihr Rang, und in diesem Verhältnis erhalten sie besseren Zugang zur Milchkuh Rundfunk etc. Dem eigenen Schaffen verschrieben, nehmen sie kaum Aufträge an, die von ihrer Arbeit zu weit entfernt liegen.

Natürlich ist dies nur eine Seite, die Seite dessen, der in unserer anspruchslosen Zeit anspruchsvolles schaffen will. Der Mittelmäßige kann sehr viel verdienen.

Ich habe Ihnen diese Angaben, was Namen und konkrete Zahlen angeht, aber vertraulich gemacht. Bitte erwähnen Sie solches nicht.9

Ich hoffe, Ihnen einigermaßen erschöpfend geantwortet zu haben. Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Im Verlag arbeiten wir auf Hochtouren, der Weihnachtsbetrieb läuft an. Ich werde Ihnen einige unserer neuen Bücher zuschicken.

»Privat« darf ich als mein Gesammeltes Werk Band I die Geburt eines Sohnes Joachim verzeichnen.10 Der Sprößling gedeiht ganz gut. Auch meine Frau hat sich wieder erholt. Sie läßt Sie vielmals grüßen.

Ihnen für Ihre Arbeit alles Gute. Herzliche Grüße

Ihres

Brief, Typoskript-Durchschlag mit handschriftlichen Korrekturen, unsigniert, zwei Seiten, DLA/SUA

1 Rolf Beckers Romandebüt erscheint im Frühjahr 1954 unter dem Titel Nokturno 1951. Becker (1928-2022), der ein journalistisches Volontariat bei der Neuen Ruhr Zeitung absolvierte, arbeitet später als Redakteur beim Kölner Stadt-Anzeiger und beim Spiegel.

2 Rudolf Alexander Schröder (1878-1962) wechselte erst 1938 vom Insel Verlag zu S. Fischer. Da er in keinerlei Beziehung zu Samuel Fischer oder Gottfried Bermann Fischer stand, entschied er sich nach dem Bruch zwischen Bermann Fischer und Peter Suhrkamp für Suhrkamp. Von der Stadt Bremen erhielt er jährlich einen Ehrensold von 6000 DM.

3 Der Schriftsteller Hermann Kasack (1896-1966) arbeitet sporadisch für den Suhrkamp Verlag.

4 Der Maler, Bildhauer und Schriftsteller Ernst Penzoldt (1892-1955) publizierte seine Bücher seit den 1930er Jahren im S. Fischer Verlag. Als Suhrkamp, mit dem er befreundet war, 1950 seinen eigenen Verlag gründete, blieb Penzoldt mit seinem Werk bei ihm.

5 Günter Eich (1907-1972), im Suhrkamp Verlag erscheint von ihm 1953 als erstes Buch der Hörspielzyklus Träume (Ursendung: 16. April 1951).

6 Ilse Aichinger (1921-2016), österr. Schriftstellerin. Eich und Aichinger lernten sich 1951 auf der Tagung der Gruppe 47 in Bad Dürkheim kennen und heirateten zwei Jahre später. Zu Ilse Aichinger siehe auch Brief 33, S. 140ff.

7 Karl August Horst (1913-1973), Schriftsteller, Übersetzer und Literaturkritiker. 1951 erscheint im Suhrkamp Verlag sein literarisches Debüt Zero.

8 Wolf von Niebelschütz (1913-1960) stieß 1939 mit dem Gedichtband Preis der Gnaden zum damals von Suhrkamp geleiteten S. Fischer Verlag und votierte bei der Trennung der Verleger für Suhrkamp.

9 In seinem Artikel »Dichter und Geld – ›1500 DM monatlich?‹« schreibt Rolf Becker am 5. Dezember 1953 in der Neuen Ruhr Zeitung: »›Autoren und Autos‹ überschrieb kürzlich eine Zeitung eine Glosse, in der behauptet wurde, zu der jüngsten Tagung der ›Gruppe 47‹ sei die Mehrzahl der Schriftsteller im eigenen Wagen gekommen; das Schreiben ernähre also heute wieder seinen Mann. […] Bei dem Besuch einer Gruppe deutscher Schriftsteller in Paris vor einiger Zeit erklärte ein bekannter junger Lyriker (!) und Essayist, der deutsche Autor, der heute nicht mindestens 1500 DM monatlich verdiene, sei ein Rindvieh. Was soll man von all dem halten?« Für seinen Artikel nutzt Becker viele der von Unseld gegebenen Informationen. Dabei nennt Becker seine Quelle nicht mit Namen, sondern spricht von einem »Lektor eines führenden, sehr angesehenen deutschen Verlages«.

10 Joachim Unseld wird am 20. September 1953 in Frankfurt a. ‌M. geboren.

[9] Aus Frankfurt am Main an Wilhelm Lehmann in Klein-Wittensee

am 4. September 1954

Hochverehrter Herr Wilhelm Lehmann1 –

es ist wirklich nicht zu entschuldigen, daß ich Ihnen auf Ihren ausführlichen Brief vom 24. März, mit dem Sie meinen Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung2 auszeichneten, noch nicht geantwortet habe.3 Peinlich geradezu ist mir, daß Sie den Eindruck gewinnen mußten, ich hätte Ihren Ausführungen nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die Ihrer Autorität, Ihrer Freundschaft zu Loerke und die vor allem Ihrer großen Kenntnis des Loerkeschen Werkes zukommen. Dem ist aber nicht so. Ich habe Ihren Brief Herrn Suhrkamp gezeigt, in dessen Verlag ich arbeite, und auch Herrn Podszus,4 der Ihnen verbunden ist. Mit Hermann Kasack5 habe ich ausführlich und eingehend Ihren Einwand erörtert. Auch Hermann Hesse, der mir spontan zu dem Aufsatz geschrieben hatte, berichtete ich von Ihrem Brief, als ich ihn wenige Tage nach dem Eintreffen Ihres Briefes besuchte (Ihr Brief erreichte mich eben in dem Augenblick, als ich in einen längeren Urlaub abreiste. Die persönliche wie berufliche Überforderung nach diesem Urlaub war der Grund meines Nichtschreibens, ein Grund freilich, dessen Unzulänglichkeit mich beschämt. Bitte entschuldigen Sie dies doch.). Und auch dies möchte ich Ihnen schreiben, daß ich Ihren Aufsatz »Kranz auf Loerkes Grab«, den Sie mir dankenswerterweise als Beispiel Ihrer Auslegung sandten, an einen über Loerke promovierenden Doktoranden schickte, der mich auf meinen Aufsatz in der FAZ hin, um Rat in gewissen ästhetischen Problemen in Loerkes Werk fragte. – Ich schreibe Ihnen dies, damit Sie sehen, daß ich mir über das Gewicht und die Bedeutung Ihrer Ausführungen durchaus im Klaren war.

Doch nun zum Konkreten.

Ich übergehe Ihre Zustimmung zu dem Aufsatz als Ganzem. In der Tat ist dieser Aufsatz ja nicht für die engere Loerke-Gemeinde geschrieben worden, für die er – vielleicht außer grundsätzlichen, theoretischen Aspekten – nichts Neues bringen konnte, sondern für den doch großen Leserkreis der FAZ. Besonders aber für junge Menschen. Für eine Generation, der ich angehöre, die nicht nur im Durchschnitt von Loerke kaum mehr als den Namen weiß. Sie an das Werk heranzuführen, es für sie aufzuschließen, indem man ihr biographische und ästhetische Brücken baut, das nahm ich mir als Ziel vor.

Ihr Einwand konzentriert sich – glücklicherweise – nur auf einen kleinen Teil des von mir inklinierten Ganzen[,] auf die Deutung des Gedichts u. an die Grundinhalte. Sie schreiben, meine These, daß die Flöte des Sängers bei privatem Leid schweige, sei falsch. Die Flöte ließe sich auch von einem Kind spielen. Sie stellten dem Ihre Deutung des Gedichts gegenüber: »Hier verschränken sich Partikuläres und Gesamtheit und erzeugen zusammen die Idee als sichtbar«.

Ich verstand die aus der Weide geschnittene Flöte als symbolon des dichterischen Instruments. Ich räume Ihnen aber durchaus ein, daß der unmittelbare Anschluß in meinem Aufsatz nicht exakt durchdacht war, wenn ich das Schweigen der Weide als Schweigen der aus der Weide geschnittenen Flöte interpretierte. Hier irrte ich und hier liegt ein Fehler vor, für dessen Aufweis ich Ihnen dankbar bin. Ich möchte aber doch entschieden meine Folgerung verteidigen, die ich aus dem Gedicht als Ganzem zog. Selbstverständlich soll sich die Flöte auch vor einem Kind spielen lassen, selbstverständlich soll persönliches Leid aus dem Gedicht nicht eliminiert sein. Aber es ging mir darum, zu zeigen, daß es bei Loerke nicht beim Privaten bleibt, ganz und gar nicht. Und dies läßt sich aus vielen anderen Stellen, die ich in meinem Aufsatz nicht anführen konnte, belegen. »Du suchst mein Leid, da mich das Urleid ruft«, heißt es in einem Gedicht. Den unter geschwätzigen Winden ruhenden Dichter weckt der Glaube: »Du sollst nicht schluchzen, der Gott wird nicht arm«. In den »Hausfreunden« ist vom »unprivat Eigentlichen« die Rede. Und in den Notizen aus dem Jahre 1910 spricht Loerke davon, daß nur der »geringe« Dichter vom rein Privaten spreche: »Der geringe Dichter sagt nicht vom Menschen, nur von sich etwas aus. Er bleibt im Privaten stecken«.

Sie werden mir konzedieren, daß diese Folgerung, die ich aus meiner Deutung ziehe, für Loerkes Lyrik richtig ist. In Loerkes entdeckerischem Wort spricht sich eben nicht sein privates Leben sondern die Welt aus, oder besser, sein dichterisches Wort verwandelt sein persönliches Erlebnis, seine persönliche Erfahrung im magisch-schöpferischen Prozeß zur überpersönlichen Figur. Eben darum ging es mir. Es zählt nicht, heißt es in unserem Gedicht »An die Grundmächte«, »daß ich Schmerzen leide«, aber es zählt, »was ich mir draus läutere«.

Sie reklamieren den letzten Satz. Ich muß Ihnen mitteilen, daß er im Manuskript anders lautete (die Redaktion hatte ihn der vielen ung-Substantive wegen geändert, aber diese Änderung in den folgenden Satzgliedern nicht konsequent durchgeführt):

»Der Lyriker Loerke leistet ganz Konkretes. Er leistet die Hindurchführung eines Grundgedankens durch seine lyrische Gesamtarbeit, seines Einblicks nämlich in den unaufhörlichen Kreislauf der Natur …«

Daß ich am Schluß die »gedankliche Leistung« Loerkes betonte, geschah zur Entkräftung der These Emil Staigers.6 Diese schroff-systematische Typologie anzugreifen, die nach meinem Dafürhalten allenfalls auf die Lyrik des 19. Jahrhunderts anwendbar ist, schien mir wichtig. Für mich selbst, der ich aus der Staiger-Beißner-Schule stamme, bedeutete dies ein Bekenntnis und ein Gewinn zugleich, den mir Loerkes Lyrik zusätzlich brachte.

Bitte, hochverehrter Herr Lehmann, verübeln Sie mir mein Schweigen nicht länger und nehmen Sie es doch bitte nicht als Symptom. Ich habe mir jetzt auch Ihren Aufsatz über die »notwendige Besonderheit des Gedichts« erworben und erhoffe von ihm einige Aufhellung des Phänomens.

Nochmals herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich bleibe Ihnen in dankbarer Verehrung verbunden.

Ihr ergebener

Siegfried Unseld

Brief, Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen und Signatur, zwei Seiten, DLA/A: Lehmann, Wilhelm

1 Wilhelm Lehmann (1882-1968) gehört zu dieser Zeit zu den renommiertesten Lyrikern seiner Generation. Oskar Loerke (1884-1941) fühlte er sich freundschaftlich verbunden.

2 Im Typoskript: Frankfurter Allgemeinen Aufsatz

3 Unselds Essay zum 70. Geburtstag des Dichters und legendären S. Fischer-Lektors Oskar Loerke erschien am 11. März 1954 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

4 Friedrich Posdzus (1899-1971) ist 1950-1956 Lektor im Suhrkamp Verlag.

5 Hermann Kasack hatte 1944 nach Peter Suhrkamps Verhaftung die kommissarische Leitung des Suhrkamp Verlags übernommen und gehörte zum engsten Freundeskreis Oskar Loerkes.

6 Der in Zürich lehrende Emil Staiger (1908-1987) gehört, insbesondere durch sein Werk Grundbegriffe der Poetik (1946), in diesen Jahren zu den einflussreichsten deutschsprachigen Literaturwissenschaftlern.

[10] Aus Frankfurt am Main an Hermann Hesse in Montagnola

am 7. Februar 1956

Lieber Herr Hesse –

ich versprach Ihnen von Zeit zu Zeit einen Bericht, wobei ich mich kurz fassen möchte, um Ihre Augen nicht allzu sehr zu strapazieren.

Aber Sie werden sicherlich auf eine Nachricht über Herrn Suhrkamps Befinden warten.1 Die Frage, ob Operation oder nicht, hat sich nun endgültig gestern entschieden. Nach einer Bronchoskopie (durch die Luftröhre wurde ein Spiegel eingeführt) glaubten auch die Berliner Ärzte, eine Operation doch nicht vornehmen zu sollen. Es stellte sich heraus, daß drei Lungenlappen befallen waren. Da operativ nur zwei Lappen zu entfernen gewesen wären, die Lunge aber dann nur in völlig kontaktem Zustand funktionsfähig gewesen wäre, schied die Operation aus.

Herr Suhrkamp hat gestern das Sanatorium verlassen und befindet sich wieder in seiner Berliner Wohnung. Nach dem langen, unentschiedenen Hin und Her und nach dieser Entscheidung, die für ihn natürlich depressiv sein mußte, wird sein Zustand sicherlich nicht gut sein. Er selbst hat sich nicht darüber ausgesprochen, was er unternehmen möchte. Irgend etwas muß natürlich geschehen; die Berliner Ärzte rieten zu einem Aufenthalt in Afrika, der trockenen Hitze wegen, aber das hat er wohl abgelehnt. Mich ergreift jetzt seine Situation besonders. Auf der einen Seite schien mir eine Operation doch zu riskant, auf der anderen Seite war dies seine Hoffnung, doch noch gründlich zu gesunden. Wenn man nur helfen könnte!

Im Verlag geht alles seinen guten Gang. Das Frühjahrsprogramm läuft, von Suhrkamp in der Planung noch wohl arrangiert (Ihre »Roßhalde« ist im Satz).2 Überhaupt hat Suhrkamp vor seinem Weggang nach Berlin noch viel Persönliches und Geschäftliches geordnet; er übertrug mir und Herrn Jost, dem Nachfolger von Herrn Wolff die Prokura für den Verlag.3 Im Lektorat wirkt noch Herr Podszus, freilich in etwas loserem Verhältnis, und als neue Kraft Herr Schwab-Felisch aus Berlin;4 seine Arbeit läßt sich sehr gut an. Auf meinen Vorschlag und Wunsch hin wurde Herr Dr. Höllerer, der Herausgeber der »Akzente« als freier Lektor zugezogen, so daß wir nun zu Viert die Lektoratsarbeit bewältigen.

Kommerziell gesehen hält die Aufwärtsentwicklung des Verlages ungemindert an. Das Jahr 1955 war äußerst erfolgreich. Nicht nur daß der reine Buchumsatz um 24 ‌% stieg, auch durch ausgewogenere Kalkulationen wird sich das Bilanzbild entschieden günstiger stellen. Nicht zuletzt verdanken wir dieses Ergebnis der kontinuierlichen Nachfrage nach Ihren Büchern. Die Verleihung des Friedenspreises hat daran sicherlich Anteil.5 Immer wieder aber ist aufregend, wie sehr jede neue nachwachsende Generation der Jungen nach Ihren Büchern verlangt. Es ist auch merkwürdig genug: ich kenne Ihre Bücher doch nun wirklich, aber als ich neulich »Roßhalde« wieder las, das mir in meiner Erinnerung abgeblaßt war, da traf mich doch die Kühnheit, in der Sie Ihr Problem anschnitten und darstellten.

Doch ich möchte Sie weiter nicht belasten. Hoffentlich erfreuen Sie sich eines erträglichen Zustandes. Wir, meine Frau und ich, denken oft zu Ihnen hinüber.

Ich grüße Sie und Ihre Gattin herzlich und bin mit guten Wünschen.

Ihr ergebener

Siegfried Unseld

Brief, Typoskript mit Signatur, zwei Seiten, DLA/A: Hesse, Hermann

1 Am 7. Februar 1956 schreibt Suhrkamp selbst an Hesse: »Nur kurz die Nachricht, daß ich gestern aus dem Westsanatorium in meine Zehlendorfer Wohnung zurückgekehrt bin, nachdem am Sonnabend, durch kombinierte Bronchoskopie und Bronchographie, festgestellt worden war, daß es für eine Operation zu spät ist, weil inzwischen nur noch zwei Lungenlappen (rechts und links oben) von Bronchiekstasen frei sind. […] Heute scheint es, als hätte ich einen Fehler begangen, indem ich gestern, aus Entsetzen übereilt, das Sanatorium verließ. Jedenfalls habe ich starke Schmerzen und muß mich gleich wieder hinlegen. Aber ich dachte mir, Ihr wartet gewiß angespannt und müßt ehestens Nachricht bekommen.« (zit. n. S. Unseld, Peter Suhrkamp. Eine Biographie, Frankfurt a. ‌M. 2004, S. 191)

2 Hermann Hesse, Roßhalde erscheint 1956 im Rahmen der »blauen« Reihe, der »Gesammelten Werke in Einzelausgaben«.

3 Konrad Jost tritt die Nachfolge des Geschäftsführers Andreas Wolff (1902-1972) an, nachdem dieser den Verlag Ende Oktober 1955 verlassen hat, um sich wieder ganz seiner Berliner Buchhandlung zu widmen. Am 23. Januar 1956 erteilt Suhrkamp Unseld Prokura.

4 Hans Schwab-Felisch (1918-1989), Publizist und Lektor, im Suhrkamp Verlag von Mai 1955 bis Juli 1956.

5 Hesse wurde 1955 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Richard Benz, der bei der Verleihung in der Frankfurter Paulskirche am 9. Oktober 1955 die Laudatio hielt, ehrte Hesse als »Wahrer des Friedens« und betonte: »[…] für den Frieden wirken heißt nicht nur für ihn kämpfen, wie es Hermann Hesse mit dem Einsatz seiner Person getan hat. Es heißt: ihm Sinn geben; wie nur der Dichter es vermag.«

[11] Aus Frankfurt am Main an Martin Walser in Friedrichshafen

am 29. [August 1957]

Mein lieber Walser –

[ich muß mich immer hüten, Martin zu sagen. Wenn ich nicht wüsste, daß Autoren eine besonders scheue und eigene Gattung Mensch sind, die specie Walser insbesondere, und wenn ich selbst nicht so einen blöden Vornamen hätte (Komplex!) hätte ich Ihnen längst das Du angeboten. Aber so wage ich es nicht.]1

Also Ihr Brief.2 P.[eter] S.[uhrkamp] war in Verlegenheit, als er mit Ihnen sprach, ich hatte ihm am Morgen gesagt, daß das Nichtdrucken des Romans mein Ausscheiden bedeuten würde. So konnte er wohl nicht auf dieser Alternative bestehen.

Bleibt der Verlagsruin! Dem, Lieber, ist nicht so. Selbst im Falle einer bloßen Infragestellung schien mir auch diese Stelle juristisch und moralisch haltbar und zu verteidigen. Da besteht also keine Gefahr.

Du weißt Sie wissen, ich war von Anfang an gegen diese Stelle, doch nur, weil ich glaubte, sie könne das Buch in lächerlicherweise zitierbar machen. – Jetzt aber, nachdem wir 300 Leseexemplare verschickt haben, sich jener Buchhändler über exakt jene Stelle beschwert hat, jetzt, nachdem ich Ihr Argument der »Beweise« kenne, bin ich entschieden für Beibehaltung.3

Im Grunde ist dies auch die Meinung von P.[eter] S[uhrkamp]. Er wird Ihnen morgen schreiben.4

Also nur keine Beunruhigung. Das Ganze ist ja ein wenig dramatisch im Hin und Her[.]

Freuen wir uns, es gibt so wenig Dramatisches und so wenig worüber sich aufhalten lohnt.

Herzlich und mit guten Grüßen an Ihre Frau

Ihr U.

Hoffentlich ist diese Höllerer-Klaue5 lesbar!

Brief, Handschrift, zwei Seiten, DLA/A:Walser, Martin

1 Eckige Klammern von Unseld. Aus Friedrich Beißners Tübinger Seminaren kennen sich Martin Walser (1927-2023) und Unseld wohl nur vom Sehen. Über der Arbeit an Walsers Debüt Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten, das 1955 bei Suhrkamp erscheint, werden sie Freunde, die im Anschluss an den vorliegenden Brief vom förmlichen Sie zum Du wechseln. 1957 legt Walser seinen ersten Roman Ehen in Philippsburg vor.