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Leonard Eden

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Beschreibung

Hunger: Jack Snyder mag den ehemaligen schwarzen Sklaven nicht, den er in der Einsamkeit Nordkanadas gefunden hat. Der stumme Mann ist verletzt und ein Klotz am Bein. Snyder steckt voller Wut auf die Welt und voller Vorurteile gegenüber dem Fremden. Und doch ist da sein Gewissen, das ihm keine Ruhe lässt. - - - Der Schatten von Billy Bowle oder Die Sedona-Blockhaus-Papiere: Arti Granicz ist auf der Flucht vor Billy, schließlich hat Arti dem Iren dessen Gold gestohlen. Doch wo Arti sich auch immer versteckt, Billy Bowle spürt ihn auf. So zwingt ihn seine Flucht zu einem unsteten Leben. Ist es am Ende eine Flucht vor sich selbst?

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Leonard Eden

Hunger

Aus der Reihe: 'Nordlandgold'Band 3 Weitere Titel der Reihe:IcebeardDas Gold des MexikanersWolfsweihnachtDie Fee von NomeDer Mann vom KlondikeLichter des Nordens

Inhaltsverzeichnis

Hunger

Der Schatten von Billy Bowle

Impressum

Hunger

They came from the hopless and sad … Hamlin Garland, Die Goldsucher

Die Kugel hatte ein Loch von der Dicke eines Daumens in das Schneehuhn gerissen. Einer der Flügel zuckte noch eine Weile, obwohl der Todeskampf schon längst vorüber war. Der Stein, von dem das Tier eben abheben wollte, war voller Federn und Blut. Er war ein guter Schütze, vor allem, wenn er mit seiner alten Winchester auf die Jagd ging. Ein guter Schütze zu sein, darauf kam es in diesen Tagen besonders an, schließlich hatte er nur noch zwei Patronen. Das war nicht viel, aber fernab jeder Zivilisation waren zwei Patronen mehr wert als zwei Pfund Gold.

Sein eigentliches Problem jedoch war, dass er diesen Schwarzen am Hals hatte. Samuel. Das konnte sein Todesurteil sein. Er würde zusammen mit diesem Kerl verrecken, hier am Arsch der Welt, und das hatte er sich selbst zuzuschreiben. Weshalb hatte er das Bein des Schwarzen mit seinem Stock geschient, nachdem dieser mit genau diesem Stock seinen Namen in den kargen Boden geritzt hatte? Weshalb hatte Jack ihm von seinem spärlichen Proviant zu essen gegeben? Weshalb war er gestern überhaupt stehen geblieben, als er den Kerl zwischen den grauen Steinen am Flussufer liegen sah? Da kannte er noch nicht einmal seinen Namen.

Darüber dachte Jack Snyder nach, während er zusah, wie das Wasser in dem verbeulten Blechtopf zu kochen begann. Mehrere dünne Federn des Schneehuhns, die sich von der Haut gelöst hatten, begannen sich auf der siedenden Wasseroberfläche zu drehen. Samuel hatte das Tier nicht ordentlich gerupft, doch das war Jack gleichgültig. Er war froh, dass der Schwarze sich ohne zu zögern an die Arbeit gemacht hatte. Die Schwarzen eigneten sich eben zu Sklaven. Ein Weißer gab in der Regel keinen guten Sklaven ab. Das lag in der Natur. Zumindest bewies die Tatsache, dass der Kerl sofort damit begonnen hatte das Tier für den Kochtopf zuzubereiten, dass er eines verstanden hatte: Ein Weißer stand immer oben, und ein Nigger ganz unten.

Doch Hunger hatten sie beide. Bei solchen menschlichen Bedürfnissen gab es keine Unterschiede. Das hatte die Natur ebenfalls so eingerichtet. Der Hunger saß in Jacks Magengegend wie ein wild gewordenes Raubtier und Samuel ging es genauso. Trotzdem waren sie sich wortlos darin einig gewesen, das Schneehuhn ordentlich zuzubereiten und nicht roh und gierig zu verschlingen, wie es die Indianer taten. Jetzt lag das in zwei Hälften zerlegte Tier, zusammen mit den Innereien, in dem Wasser, das Samuel aus dem Mackenzie River geholt hatte, und das sich bereits mit dem Fett des Tieres einzutrüben begann.

Jack legte getrocknetes Moos nach, kurz darauf hüllte schmutziger Rauch den alten Blechtopf ein und trieb mit dem sanften Wind über ihn hinweg. Das Schneehuhn war nicht viel größer als eine Taube. Zu wenig für zwei Männer, die seit Tagen kaum noch etwas zu sich genommen hatten und denen der Hungertod genauso auf den Fersen war wie der nahende Winter.

Jack hob den Kopf. Die Sonne stand müde über dem Horizont. Er hasste den Polarkreis für diese Dämmerung, die die Welt für immer in ihrem Zwielicht gefangen zu halten schien. Das Totenreich, das stellte er sich so vor, aber nicht einen Platz auf Gottes schöner Erde, da, wo die Lebenden waren. Die Kälte machte ihm nichts aus, der Frost nicht und der Regen auch nicht. Nur dieses Licht, das unentschieden zwischen Tag und Nacht hing. Es verursachte einen fast körperlichen Widerwillen in ihm.

Die beiden Teile des Schneehuhns begannen sich im Topf zu drehen. Die Innereien, die zwischen den Fleischstücken kaum zu sehen waren, würden als Erstes gar sein. Er fragte sich, ob er sie nicht einfach herausfischen und aufessen sollte. Was konnte Samuel schon dagegen tun? Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Oder hatte der Schwarze ein Messer unter seiner schäbigen, gefütterten Jacke versteckt? Vielleicht auch an seinem Oberschenkel befestigt unter der Hose.

Jack spähte zu dem Kerl hinüber. Er saß etwa zwanzig Fuß entfernt auf einem Stein. Das notdürftig geschiente Bein hatte er unbeholfen von sich gestreckt. Nein, Samuel war nicht gefährlich. Er konnte zwei oder drei Messer haben. Jack hatte schließlich das Gewehr, auch wenn nur noch zwei Patronen in der Kammer waren. Und er hatte sein Fahrtenmesser am Gurt. Körperlich war er dem Kerl ohnehin überlegen. Er konnte, wenn er wollte, das ganze Schneehuhn verdrücken und Samuel musste ihm dabei zusehen.

Was um alles in der Welt hatte ihn nur geritten, als er sich um diesen Bastard gekümmert hatte? Er hätte ihn einfach seinem Schicksal überlassen können. Doch Jack hatte aus unerfindlichen Gründen anders entschieden. 'So soll mich der Tod ihm vereinen' konnte man dazu sagen, entsprechend eines Großmutter-Antonia-Verses, der in ihm saß wie ein eingewachsener Granatsplitter.

'So-soll-mich-der-Tod-ihm-vereinen'

Der Satz war in seinem Gehirn zu einem einzigen Begriff zusammengewachsen, so oft hatte er ihn sich schon in Erinnerung gerufen. Er musste ihn auseinanderziehen und zerteilen, um wieder annähernd herauszubekommen, was eigentlich damit gemeint war.

'So soll mich der Tod ihm vereinen'

Samuel hob den Kopf und sah lächelnd zu ihm herüber. Jack blickte zur Seite. Er war kein Niggerfreund. Er wollte das Lächeln des Schwarzen nicht erwidern. Samuel konnte das ruhig wissen. Jack Snyder war kein Niggerfreund.

Die karge, öde Landschaft, die sie umgab, reichte bis an den Horizont und darüber hinaus. Wo immer er hinsah, die gleiche Ödnis. Niedrige Hügel, Moos, Steine. Grau mit etwas Grün. Dazwischen Flecken von hellgelbem Tautropfengras. Nicht weit von ihnen entfernt schob sich das Wasser des Mackenzie Rivers träge durch diese karge Welt. Auch das Wasser des Flusses war grau, dunkel wie flüssiges Blei.

Am Anfang hatte Jack sich gewundert, dass der Kerl nicht sprach, bis er bemerkte, dass Samuel die Zunge fehlte. Jack hatte noch nie einen Menschen ohne Zunge gesehen und spürte sofort ein unangenehmes Gefühl im Mund. Samuel hatte schwer geatmet und gestöhnt, vor Schmerzen, als Jack ihm das Bein geschient hatte, mit einem Stock, den er immer bei sich trug, eingewickelt in seine Decke. Manch einer hatte Jack schon ausgelacht dafür, doch er hat immer gewusst, dass er den Stock, der etwa eine Armlänge maß, einmal gebrauchen würde. Sein Vater hatte dieselbe Angewohnheit gehabt. Auch er hatte immer einen Stock bei sich. Feuer entfachen, eine Markierung setzen – oder einfach nur einen ungezogenen Jungen verprügeln. Sein Vater hatte immer Ideen, wozu man einen Stock benutzen konnte. Manchmal hatte er ihn auch nur benutzt, weil er ihn hatte. Nur deshalb.

Sein Vater hatte immer gesagt, dass man diese Nigger nicht aus Afrika hätte holen sollen. Dieser Menschenschlag gehört nicht hierher, da war sich Jacks Vater absolut sicher gewesen. Jetzt diente Jacks Stock einem Schwarzen als Beinschiene. Sein Vater wäre enttäuscht gewesen, wenn er das noch erlebt hätte. Ganz sicher. Und Jack spürte dieselbe Enttäuschung über sich in seiner Brust. Anderseits gab ihm Samuel das Gefühl nicht alleine zu sein. Da war jemand, der sein Schicksal teilte. Gab das nicht ein bisschen Zuversicht? Kraft? Eine Kraft, die man durch Nahrung nicht zu sich nehmen konnte?

Jack wollte sich dieses Gefühl lange nicht eingestehen, aber das Gefühl war da, so wie sein Hunger da war oder seine Furcht, wenn er seinen Blick über die endlose Leere des Landes gleiten ließ. Jack spuckte aus. Solche Gedanken trieben sich nur in seinem Kopf herum, weil er müde war und hungrig und weil das ewige Dämmerlicht ihn trübselig machte. Die Sonne wirkte mutlos, weil sie nie weit über den Horizont stieg und diese Mutlosigkeit setzte sich auch in Jack fest.

Er schielte wieder hinüber zu Samuel, der seine geschundenen Hände betrachtete. Der Kerl hatte einen grauen, struppigen Vollbart und ein faltiges Gesicht und Narben hatte er an den Beinen und an den Oberarmen. Ein ehemaliger Sklave, soviel war sicher, ganz klar. Einer, der in seiner Jugend die Peitsche zu spüren bekommen hat. Doch was wusste er schon von Samuel? Nichts. Ein Mann ohne Zunge konnte eben nichts erzählen. Der konnte nur stumm in die Ferne blicken. Aber das war vielleicht auch gut so.

Der zarte Geruch von gekochtem Fleisch stieg in Jacks Nase. Es war nur eine dünne Spur, vermischt mit dem feuchten Dampf des Wassers. Die kleinen Federn an der Wasseroberfläche drehten sich nun immer schneller und auch das Schneehuhn begann bereits in dem siedenden Wasser zu zittern. Jack lief der Speichel im Mund zusammen, fast hätte er mit bloßen Händen in den Topf gegriffen, um die Innereien herauszufischen und sich die köstlichen Stücke in den Mund zu stopfen. Warum nicht?

Jack wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Sein eigener Bart stand ebenfalls in alle Richtungen ab, wenn er auch noch tiefschwarz war, so schwarz wie seine zu langen Haare. Er musste ziemlich verkommen aussehen, genauso wie der Schwarze. Außerdem hatte sich die Stelle, an der er sich vor drei Wochen einen Zahn hatte ziehen lassen, entzündet und der ganze linke Unterkiefer tat ihm weh. Es kam immer ziemlich dicke in seinem Leben, wenn mal was schief ging. Ziemlich dicke. Deshalb war er auch nicht besonders geeignet dafür anderen aus der Patsche zu helfen. Wenn er so etwas tat, dann war es meistens ein Fehler.

Samuel hatte am Ufer des Mackenzie Rivers gelegen, als Jack ihn entdeckte. Er hatte geschluchzt, als würde er heulen. Kein Wunder. In seinem Zustand hatte der Kerl nicht die geringste Chance zu überleben. Da hätte schon ein Erzengel entlangkommen müssen oder Gott selbst hätte am Ufer entlangspazieren müssen, um ihn aufzusammeln. Mit dem verletzten Bein, ohne eine Waffe, ohne Nahrung, wäre der Kerl absolut sicher verloren gewesen. Daran gab es überhaupt keinen Zweifel. Wie zum Teufel der Schwarze auch immer in diese gottverlassene Gegend gelangt war. Es wäre seine letzte Station auf Erden gewesen. Doch dann war nicht Gott, sondern er, Jack Snyder, am Ufer des Mackenzie Rivers entlanggekommen. Das musste gerade ihm passieren, ausgerechnet ihm.

Jack hatte eigentlich vorgehabt, den Schwarzen seinem Schicksal zu überlassen. Doch das Elend hatte ihn irgendwie angerührt, auch wenn sein Vater immer der Meinung gewesen war, dass man sein Mitleid unterdrücken muss, wenn es um einen Nigger ging. Das wäre, so Jacks Vater, absolut überlebensnotwendig für die Weißen.

Samuels Hose war am linken Bein hochgekrempelt gewesen und Jack hatte das eingetrocknete Blut gesehen, als er an der erbarmungswürdigen Gestalt vorbeiging. Der Kerl hatte leise geschluchzt, die Arme eng um seinen Körper geschlungen. Und verdammt, er war nach wenigen Schritten stehen geblieben. Im selben Moment hatte er gespürt, wie sein Vater dort oben im Himmel die Augen verdrehte, so, wie er es immer tat, wenn sein Sohn etwas Dummes gesagt oder getan hatte.

Jack war die paar Schritte zurückgegangen ohne eine bestimmte Absicht. Mit Sicherheit hatte er nicht die Absicht gehabt, den Kerl mit dem verwundeten Fuß mitzuschleppen. Samuel hatte ihn angesehen, ziemlich erstaunt, dann hatte Jack ihm seine Hand entgegengestreckt, so als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass er ihm helfen würde. Dabei war es alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Es war eine Dummheit gewesen, sich in seiner Situation ein solches körperliches Wrack aufzuladen.

Reverend Merrypole. Der hätte das alles ganz anders gesehen – was man einem Mann Gottes natürlich nicht ankreiden konnte.

'Erhebe dich nicht über andere Menschen!'

Solche Mahnungen waren typisch gewesen für Merrypole. Und einer dieser Sätze musste es wohl gewesen sein, der in Jacks Unterbewusstsein angerührt wurde, als Samuel ihn ansah, mit seiner von tiefen Furchen gezeichneten Stirn und den eingefallenen Augenhöhlen. Die Narben in seinem Gesicht und die dunklen Augenringe, das alles schien in dem trüben Licht dieses trostlosen Breitengrades wie unter einem Brennglas vergrößert zu sein.

Reverend Merrypole war ein kleiner beleibter Mann mit kurzen Armen und Beinen. Er saß häufig in der Küche von Jacks Großmutter Antonia, einer alten, mürrischen Frau, die sich um Jack kümmerte, wenn sein Vater mal wieder fort war. Der Reverend liebte Antonias Pfannkuchen, die mit Äpfeln und Rosinen gebacken wurden und er liebte den selbstgebrannten Schnaps von Jacks Vater. Deshalb war er oft in dem alten Backsteinhaus der Snyders.

Jack hatte sich bei dem Reverend einmal mit deftigen Worten über einen schwarzen Jungen beschwert, der sich allerhand Frechheiten herausnahm, und plötzlich hatten die wulstigen, vom Pfannkuchenfett glänzenden Lippen des Reverends diesen Satz von sich gegeben. Dabei klang seine Stimme wütend, so als würde er damit ein weiteres Gebot in Gottes Gesetzestafel brennen.

'Erhebe dich nicht über andere Menschen, Jack. Sind wir nicht alle Geschöpfe Gottes?'

Jack war der Schreck in die Glieder gefahren. Er hatte damals Angst bekommen, sich nicht nur den Zorn von Reverend Merrypole, sondern auch gleich den Zorn Gottes einzuhandeln. Eingeleuchtet hatte ihm das Ganze nicht. Sein Vater sprach doch genauso über die Schwarzen, wie er über den Jungen gesprochen hatte. Diese Nigger taugten eben nichts und das war eine alte Weisheit. Jacks Welt hatte in diesem Moment einen kräftigen Sprung bekommen, während der Reverend sich nach der Verkündigung seines elften Gebots die Finger ableckte und zufrieden grunzte.

---ENDE DER LESEPROBE---