Icebeard - Leonard Eden - E-Book

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Leonard Eden

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Beschreibung

John Tucker und Alfred Dropper sind äußerst erfolgreich mit ihrer Mine am Yukon, doch in den dunklen Wintermonaten sind sie zum Nichtstun verdammt. Angestauter Ärger und Wut brechen sich Bahn. Vor allem Tucker hält seinen Mitbewohner für unerträglich, unterstellt ihm sogar Mordabsichten. Als ein alter, verwundeter Wolf auftaucht sieht der missmutige Tucker in dem Tier eine verwandte Seele ...

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Leonard Eden

Icebeard

Aus der Reihe: 'Nordlandgold'Band 1 Weitere Titel der Reihe:Das Gold des MexikanersHungerWolfsweihnachtDie Fee von NomeDer Mann vom KlondikeLichter des Nordens

Inhaltsverzeichnis

Icebeard

Impressum

Icebeard

They will curse the impassible Sky - Hamlin Garland, Die Goldsucher

Der Wolf war nicht weit entfernt. Tucker schätzte, dass es sich höchstens um fünfzig bis hundert Schritt handeln konnte. Es war ein klägliches, einsames Heulen. Dieser Wolf rührte etwas an in Tucker, etwas, das seinen Hass ins Leere laufen ließ. Doch der Hass kam zurück. Mit ganzer Wucht. Tucker meinte, daran ersticken zu müssen.

John Tucker hatte verfilztes Haar und einen ebenso verfilzten grauen Bart. Seine Ohren zeigten Spuren von Erfrierungen. Eines seiner Augen war unter einer Augenklappe verborgen. Tucker hatte das Auge bei einer Schlägerei verloren. Im Last-Chance-Saloon in Sacramento. Ein sturzbetrunkener Erntearbeiter war damals mit einem zerbrochenen Bierglas auf ihn losgegangen. John Tucker hatte keine Gelegenheit gehabt, den Kerl auf die Bretter zu schicken. Diesen Umstand bedauerte er bis heute. Doch die Wut auf den Kerl war nichts im Vergleich zu der Wut, die John Tucker erfasste, wenn er seinen Mitbewohner Alfred Dropper sah. Oder auch nur an ihn dachte.

Dropper lag auf seinem mit Fichtenzweigen ausgestopften Jutesack und schlief. Dabei schnarchte er. Seine Füße stanken erbärmlich. Die ganze Hütte stank nach Droppers Schweißfüßen. Der Geruch hatte sich sogar in das Holz der Hütte gefressen. Davon ließ Tucker sich nicht abbringen. Hinzu kam das ewige Schnarchen. Das droppersche Schnarchen. Es war schlimmer als jedes andere Schnarchen, das Tucker kannte. Es war wie Dropper selbst. Aufdringlich. Boshaft. Hinterhältig. Zunächst erzeugte Dropper ein rasselndes Geräusch, wie eine Klapperschlange, dann brach dieses Rasseln ab und es herrschte eine eigenartige Stille. Eine Stille, die eine Frechheit war, gemessen an dem, was schließlich unvermeidbar folgen würde. Das droppersche Grunzen. Ein Grunzen, das jedes Wildschwein mühelos in die Flucht geschlagen hätte. Diese Geräuschfolge wiederholte Dropper auf dieselbe oder ähnliche Weise über Stunden hinweg. Jedes Mal wenn er schlief - und Tuckers Mitbewohner schlief viel in diesen dunklen Monaten der Tatenlosigkeit. Das aufdringliche Schnarchen wäre alleine schon ein Grund gewesen, Dropper umzubringen. Dabei gehörte es noch zu den harmlosesten Angewohnheiten von Alfred Dropper. Vor allem war es Droppers Falschheit, die Tucker zum ersten Mal in seinem Leben an Mord denken ließ. Die falsche Unterwürfigkeit dieses Mannes. Seine falsche Freundlichkeit. Das falsche Grinsen. Tucker spürte Droppers Hinterlist sogar in seinen Eingeweiden.

Zu dritt waren sie im letzten Jahr über den Chilkoot-Pass gekommen: John Tucker, Alfred Dropper und Randy Cross. Sie gehörten 1897 zur ersten großen Welle von Glücksrittern, die dem Lockruf des Goldes gefolgt war. Die Überquerung des Passes war eine Schinderei gewesen, die sich keiner von ihnen so anstrengend vorgestellt hatte. Pro Person musste eine Tonne Ausrüstungsgegenstände und Lebensmittel über den Pass geschafft werden. Das war Vorschrift. Allerdings hatten sie den berüchtigten Chilkoot im Sommer überquert, wodurch ihnen einiges an Strapazen erspart geblieben war. Die drei hatten sich in San Francisco kennengelernt, wo Goldsucher zurzeit angeschwemmt wurden wie Treibgut am Strand. Natürlich war es Droppers Idee gewesen, sich zusammenzuschließen. Eine Dumpfbacke wie Dropper hätte es alleine nie bis in den Norden Kanadas geschafft, auch wenn dieser lange Kerl mehr Kraft hatte als man ihm ansah. Es war der Grips, der dem schlaksigen Dropper fehlte. Ganz einfach der Grips. Deswegen hatte er sich nach zwei Männern umgesehen, die er zum Narren halten konnte. Die er ausnutzen konnte. Das war Dropper. So war er eben.

Das bartlose schmale Gesicht Droppers, das etwas von dem Gesicht eines Clowns hatte, war jetzt, im Schlaf, eingefallen, als hätte er sich endlich aus dieser Welt verabschiedet. Die Lippen zitterten. Das Schnarchen würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Mit Randy hatte sich Tucker gut verstanden. Randy Cross war ein gerader, zupackender Kerl gewesen, Spross einer achtköpfigen Farmersfamilie aus Texas. Ein Angeber, das konnte man nicht bestreiten, aber damit war Tucker besser zurechtgekommen als mit der falschen Bescheidenheit Droppers.

Im Kanonenofen krachte ein Stück Holz. Die Hütte wurde von zwei Öllampen erhellt, die einen beißenden Geruch verbreiteten. Die beiden Lampen konnten nicht besonders viel Licht aufbieten, aber es war ausreichend um zu kochen und zu essen. Auch für die üblichen Arbeiten reichte es aus. Die meiste Zeit hatten sie ohnehin nichts zu tun, und dafür benötigte man bekanntlich nicht viel Licht.

Sie hatten Gold gefunden, kurz nach ihrer Ankunft. Nicht im Bonanza Creek, wie die Carmacks, sondern im Yukon. Dropper war es gewesen, der es als Erster in der Auswaschpfanne hatte. Damals hielt John Tucker Dropper noch für einen anständigen Kerl. Weshalb auch immer. Sie verstanden sich. Und Dropper hatte auch keinen Hehl daraus gemacht, dass er ihn, John Tucker mochte, was nicht oft vor kam, dass Menschen ihn mochten. Wie die Kinder hatten sie sich gefreut, als die Goldkörner in ihren Handflächen lagen. Dropper hatte einen Tanz aufgeführt, als hätte ihn der Wahnsinn gepackt. Kurz danach war Randy krank geworden. Ganz plötzlich. Er bekam Fieber und Durchfall. Dann ging es zu Ende. Hier in dieser Hütte, unweit des Yukon Rivers hatte er die Augen für immer geschlossen. Dropper und er hatten Randy mit dem Kanu nach Forty Mile gebracht. Dort hatten sie ihn begraben. Das war kurz vor dem Winter gewesen, ehe der Fluss zufror. Randys Anteil am Claim fiel zu gleichen Teilen auf seine beiden Teilhaber. So hatten sie es abgemacht. Jeder hatte ein solches Testament bei einem Notar in Dawson hinterlegt. Das war genau der Punkt: Hatte Dropper Randy vergiftet? Alfred Dropper war ein verschlagenes Stück Scheiße. Das hatte Tucker viel zu spät bemerkt. Erst in den dunklen Tagen war ihm diese Einsicht gedämmert. Seit er dem Kerl alleine ausgeliefert war. Dropper redete nicht viel. Von Anfang an hatte er nie viel von sich erzählt. Er hatte ein Bild von seiner Mutter und von seiner mehr als zehn Jahre jüngeren Schwester bei sich. Das war alles. Auch über die beiden hatte er kaum gesprochen. So als gäbe es nichts zu sagen über diese beiden Menschen. Als würden die Bilder für sich sprechen.

'Sie bedeuten mir alles', hatte Dropper einmal gesagt und das war wohl der ehrlichste Satz gewesen, den er jemals von sich gegeben hatte. Zumindest, soweit Tucker das beurteilen konnte. Alfred Droppers Mutter hatte eng zusammenstehende Augen und seine Schwester konnte trotz ihrer jungen Jahre eine Stirnfalte aufweisen, die aussah, als hätte sie jemand mit einer Axt eingraviert. Eine Familie von Giftmischern. Das sah man auf den ersten Blick. Man brauchte dazu nur ein wenig Menschenkenntnis.

John Tucker fand, dass er die zurückliegenden Monate zu leichtsinnig gewesen war. Er würde von nun an keinen Bissen mehr essen, den Alfred Dropper im Halbdunkel der kleinen Hütte zubereitet hatte. Der Mief dieses Mannes, sein rücksichtsloses Schnarchen und die Tatsache, dass er vermutlich Randy vergiftet hatte, ließ die Wut in John Tucker überkochen. Regelmäßig überkam ihn das Verlangen, dem verlogenen Clownsgesicht ein Holzscheit überzubraten. Diese Wut entlud sich nun, für Tucker selbst völlig unerwartet, in einem Tritt, der Droppers linken Oberschenkel traf. Das Wildschweingrunzen, zu dem Dropper eben angehoben hatte, verstummte. Dropper sah ihn mit schmalen Augen an.

Hatte der Dreckskerl überhaupt geschlafen?

Tucker brauchte nichts zu sagen. Dropper wusste Bescheid. Er setzte sich auf und lehnte sich an die Wand, in deren Ritzen dünne Streifen Eis zu sehen waren. Der menschliche Atem, die Dämpfe, die beim Kochen entstanden, das alles legte sich als Eisschicht an den weniger erwärmten Stellen der Hütte ab und musste von Zeit zu Zeit entfernt werden.

„Entschuldige“, sagte Dropper und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. „Entschuldige“, wiederholte er.

„Hör auf dich zu entschuldigen“, fuhr ihn Tucker an. „Deine Füße stinken wie die Pest. Ich hacke sie dir ab. Davon kannst du ausgehen. Wenn du wieder einschläfst hacke ich dir deine verdammten Füße mit dem Beil ab und werfe sie nach draußen.“

Schweißfüße waren keine neue Erfahrung für John Tucker. Die Bergarbeiter, Cowboys und Erntearbeiter, mit denen er Zeit seines Lebens auf engstem Raum zusammengelebt hatte, waren ebenfalls mit Schweißfüßen gestraft gewesen. Doch keiner von ihnen stank wie Alfred Dropper. Hinzu kam, dass es draußen fünfzig Grad unter Null hatte und dass man nicht so einfach aus der Hütte abhauen konnte, um ein paar Stunden an der frischen Luft zu verbringen, wie das in Kalifornien oder Colorado möglich war.

Dropper erhob sich umständlich. Tucker biss ein Stück Kautabak ab, während er die merkwürdige Gestalt beobachtete, mit der er sich vor fast zwei Jahren für dieses Abenteuer zusammengetan hatte. Tucker grinste hinter seinem verfilzten Bart.

„Wo willst du hin?“

„Ich mach uns was zu futtern“, antwortete Dropper

Die Mahlzeiten waren die Höhepunkte in diesem einsamen Dezemberleben, wenn die Dunkelheit das Land im Griff hatte und die Sonne nicht mehr war als der Widerschein einer hellen Erinnerung. Dropper setzte Bohnen auf und schnitt Speck, dabei zog er manchmal den Rotz hoch. Seit Wochen musste Tucker nun schon die Nähe dieses Kerls ertragen, ohne die Möglichkeit sich mit einem vernünftigen Menschen wie Randy zu unterhalten. Es gab kein Entkommen, und Dropper wusste das. Tucker glaubte zu spüren, wie sehr Dropper es genoss, einen Gefangenen zu haben. Er schnarchte, zog sein Rotz hoch und stank zufrieden vor sich hin. Und dann entschuldigte er sich auch noch regelmäßig für seine Unverschämtheiten. Für das alles würde er ihn eines Tages abstechen.

Tucker starrte auf das Eis in einer der Ecken. Eine tiefe Lethargie hatte in letzter Zeit Besitz von ihm ergriffen. Karten hatten sie schon seit vielen Tagen nicht mehr gespielt und über die Träume, die sie sich erfüllen wollten, wenn sie zurück waren in der Zivilisation, redeten sie schon lange nicht mehr.

All die Geschichten fielen Tucker ein, von denen man ihnen erzählt hatte. Geschichten von Männern, die sich gegenseitig an die Gurgel gingen, weil sie es nicht mehr miteinander aushielten. In der Enge. In der Dunkelheit. In der schlechten Luft. Doch das hier war anders. Das hier war die größte Gemeinheit, die je ein Mensch einem anderen Menschen angetan hatte. Dropper ging es dabei gut. Es ging ihm hervorragend. Dieser schlaksige Kerl grinste unbekümmert sein dämliches Grinsen.

---ENDE DER LESEPROBE---