Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Auf einmal ist alles anders: "Krebs" ist eine beängstigende Diagnose. Unendlich vieles sollten, wollen Patient:innen nun wissen, vieles muss entschieden werden, vieles ist zu bewältigen. Die psychoonkologische Unterstützung von Krebspatient:innen dient der Suche nach individuellen Ressourcen, die Halt geben, Orientierung bieten und Hoffnung ermöglichen in Anbetracht großer Verunsicherung und leidvoller Erfahrungen. Die beiden erfahrenen Psychoonkologen Michael Harrer und Hansjörg Ebell loten das therapeutische Potenzial der Kommunikation zwischen Patient:innen und ihren Behandler:innen aus. Für die Autoren haben sich Hypnose und Achtsamkeit für den Umgang mit Ängsten, Schmerzen und vielen weiteren Herausforderungen als sehr hilfreich erwiesen. Eine hypnosystemische Herangehensweise eröffnet hier viele Möglichkeiten. Ein Pyramidenmodell beschreibt fünf Stufen, wie therapeutisch wirksame Kommunikation praktisch umgesetzt werden kann. Die ersten drei Stufen betreffen den kommunikativen Alltag in der Onkologie und beziehen sich darauf, wie Patient:innen angemessen informiert werden und ein individuell passender Behandlungsplan erarbeitet und im weiteren Verlauf gemeinsam gestaltet werden kann. Die vierte und fünfte Stufe beschreiben die Möglichkeiten von Hypnose und Selbsthypnose. Achtsamkeit wird als übergeordnete Basiskompetenz der Behandler:innen beschrieben, die ihnen ermöglicht, sich in einem Zustand wohlwollender Präsenz und Offenheit auf die Erfahrungswelt ihrer Patient:innen einzulassen. Für die Betroffenen sind drei Achtsamkeitsaspekte von besonderer Bedeutung: Fokussierung auf den gegenwärtigen Moment, Akzeptanz und Selbstmitgefühl.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 611
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Michael E. HarrerHansjörg Ebell
Mit Geleitworten von Herbert Kappauf und Norbert Loth
2021
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)
Jakob R. Schneider (München)
Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)
Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)
Dr. Therese Steiner (Embrach)
Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Berlin)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Themenreihe »Hypnose und Hypnotherapie« hrsg. von Bernhard Trenkle Reihengestaltung: Uwe Göbel Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann Umschlagfoto: © Eigens – stock.adobe.com Illustration S. 69: Brigitte Pfurtscheller Redaktion: Markus Pohlmann Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2021
ISBN 978-3-8497-0394-3 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8336-5 (ePUB)
© 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/
Wenn Sie Interesse an unseren monatlichen Nachrichten haben, können Sie dort auch den Newsletter abonnieren.
Carl-Auer Verlag GmbH
Vangerowstraße 14 · 69115 Heidelberg
Tel. +49 6221 6438-0 · Fax +49 6221 6438-22
Geleitwort aus onkologischer Perspektive
Geleitwort aus hypnotherapeutischer Perspektive
1Worum es geht – eine Einführung
2Begleitung ein Stück des Weges: Die Geschichte von Frau S.
3Arzt, Patient und Krankheit – eine Dreiecksbeziehung
3.1Krebs: Fakten, Mythen und Metaphern
3.2Der Patient und sein individuelles Erleben
3.3Die Behandler in der Onkologie und ihre Rollen
4Therapeutisch wirksame Kommunikation
4.1Therapeutisch wirksame Kommunikation ist patientenzentriert
4.2Therapeutisch wirksame Kommunikation ist bedürfnisorientiert
4.3Therapeutisch wirksame Kommunikation ist beziehungsorientiert – Resonanz
4.4Therapeutisch wirksame Kommunikation fördert den Perspektivenwechsel von Vermeidungszielen zu Annäherungszielen
5Begleitung auf der ersten Wegstrecke: Diagnostik, Aufklärung und Therapieplanung
5.1Das Pyramidenmodell therapeutisch wirksamer Kommunikation im Überblick
5.2Individuelle Leidenserfahrungen als Ausgangspunkt und Basis der Kooperation
5.2.1Milton H. Erickson: Ein »verwundeter Heiler«
5.2.2Wege zur Diagnose
5.2.3Sturz aus der normalen Wirklichkeit
5.3Werte- und Bedürfnisperspektive
5.3.1Vier emotionale Grundbedürfnisse: Bindung, Autonomie, Kompetenz und Orientierung
5.3.2Normalisieren
5.3.3Teilemodelle, Ambiguitätstoleranz und weitere Bedürfnisse im Kontext des klinischen Dialogs
5.4Biopsychosoziospirituell orientierte klinische Praxis
5.4.1Erweiterung des biopsychosozialen zum biopsychosoziospirituellen Modell
5.4.2Pendeln zwischen Problemen und Ressourcen
5.4.3Ökologie und Resonanz
5.5Erste Pyramidenstufe – Diagnostik: Abholen, informieren und Halt geben
5.5.1Mit SPIKES, NURSE und WWSZ resonanzbasiert vorgehen
5.5.2Pacing und Leading als Grundlagen resonanzbasierten Vorgehens
5.6Zweite Pyramidenstufe – Perspektivenwechsel: Annäherungsziele statt Vermeidung, die Kraft von Suggestionen nutzen
5.6.1Zuversicht vermitteln – weg von Vermeidungszielen, hin zu Annäherungszielen
5.6.2Die Kraft der Suggestion und ihr Einsatz in der Psychoonkologie
5.6.3Placeboeffekte nutzen, Noceboeffekte minimieren
5.7Dritte Pyramidenstufe – Prinzip Kooperation: Dialog zweier Experten
5.7.1Wege zur Entscheidungsfindung
5.7.2Kooperation zweier Experten mit ihren jeweiligen Perspektiven
5.8Die Perspektive der Behandler
6Hypnose und Achtsamkeit in einer resonanzbasierten Onkologie
6.1Resonanzbasierte Medizin
6.1.1Die Metapher der Resonanz
6.1.2Drei Ebenen der Resonanz
6.2Hypnosystemische Aspekte einer therapeutisch wirksamen Kommunikation
6.2.1Das Menschenbild in der Ericksonschen Hypnotherapie
6.2.2Das Prinzip Kooperation und seine Umsetzung – Utilisation
6.2.3Systemisch-konstruktivistische Weltsicht
6.2.4Die narrative Dimension: Dazu fällt mir eine Geschichte ein
6.2.5Das Prinzip Selbstorganisation
6.2.6Bedingungen für Veränderungen der Selbstorganisation
6.2.7Der gemeinsame Blick auf das System
6.2.8Haltung von Nichtwissen, Offenheit und Vertrauen in Emergenz
6.3Hypnose und Ideomotorik in einer resonanzbasierten Psychoonkologie
6.3.1Überblick: Hypnose in der Psychoonkologie
6.3.2Hypnose als Zugang zu heilungsfördernden Zuständen
6.3.3Der Hypnotiseur, die Technik oder die Beziehung – was wirkt?
6.3.4Formen des Unbewussten
6.3.5Ideomotorik: Begriffsklärung
6.3.6Ideomotorik in der therapeutisch wirksamen Kommunikation
6.3.7Vertrauen in ideodynamische Prozesse fördern
6.4Achtsamkeit in einer resonanzbasierten Psychoonkologie
6.4.1Überblick
6.4.2Die Entstehung von Leiden aus Sicht der buddhistischen Psychologie
6.4.3Kultivieren eines inneren Beobachters
6.4.4Das Prinzip Gleichmut
6.5Hypnose und Achtsamkeit als Tandem
6.5.1Milton H. Erickson und Buddha im fiktiven Dialog
6.5.2Hypnose und Achtsamkeit in der therapeutischen Beziehung
6.5.3Aufmerksamkeitslenkung in Hypnose und Achtsamkeit
6.5.4Teilearbeit mit Hypnose und Achtsamkeit
7Begleitung auf dem langen Weg der Therapien
7.1Individuelle Leidenserfahrungen
7.1.1Disstress, existenzieller Disstress, Demoralisierung und Traumafolgen
7.1.2Veränderung von Selbstbild, Identität und Rollen
7.2Werte- und Bedürfnisperspektive sowie Behandlungsziele
7.3Vierte und fünfte Pyramidenstufe – Hypnose und Selbsthypnose
7.3.1Psychovegetative Umschaltung: Entspannung und Geborgenheit
7.3.2Arbeit mit inneren Bildern
7.3.3Suche nach »Was stattdessen« als Kernelement therapeutisch wirksamer Kommunikation
7.3.4Anleitung zur Selbsthypnose
7.4Begleitung auf dem Weg zu Wohlbefinden und Lebensqualität
7.4.1Unterstützung bei Schmerz
7.4.2Unterstützung bei operativen Maßnahmen
7.4.3Unterstützung während der Strahlentherapie
7.4.4Unterstützung während der Chemotherapie
7.4.5Unterstützung bei Müdigkeit, Schwäche und Erschöpfung
7.4.6Unterstützung bei Schlafproblemen
7.5Unterstützung von Selbstheilungskräften
7.5.1Wie entwickelt sich eine Krebserkrankung?
7.5.2Die Rolle des Immunsystems
7.5.3Spontanremissionen und Spontanheilungen
7.5.4Gefahren eines linear-kausalen, magischen Denkens
8Vom Überleben zum Leben – Heilung und Remission
8.1Individuelle Leidenserfahrungen
8.1.1Pendeln zwischen zwei Welten
8.1.2»Cancer survivors«
8.1.3Damokles-Syndrom, Progredienz- und Rezidivangst
8.1.4Wertewandel
8.2Werte- und Bedürfnisperspektive
8.3Psychotherapeutische »Begleitung ein Stück des Weges«
8.3.1Geschichte und Grundkonzepte der Psychoonkologie
8.3.2Auswirkungen psychosozialer Interventionen auf Lebensqualität und Lebenszeit
8.4Akzeptanz, Mitgefühl und Gleichmut
8.4.1Der zweite Pfeil
8.4.2Wege zu Gleichmut und Akzeptanz
8.4.3Mitgefühl und Selbstmitgefühl
8.4.4Hindernisse auf dem Weg zur Akzeptanz
8.5Innere Vielfalt und neue Identitäten kultivieren
8.5.1Teilemodelle als Landkarten der inneren Vielfalt
8.5.2Teilearbeit in der Psychoonkologie
8.5.3Persönlichkeitsanteile in Interaktion
9Begleitung auf der Wegstrecke im Falle eines Rezidivs und bei Progredienz
9.1Individuelle Leidenserfahrungen und Aufgaben des Patienten
9.1.1Trauer
9.1.2Depressive Zustandsbilder
9.1.3Zwischen Abschied und Engagement für das Leben
9.2Werte- und Bedürfnisperspektive
9.2.1Spirituelle und religiöse Bedürfnisse
9.3Zwischen Hoffen und Bangen
9.3.1Hoffnung
9.3.2Hoffen worauf? – Zwei Formen der Hoffnung
9.3.3Falsche Hoffnungen und die Perspektive der Behandler
9.3.4Posttraumatisches Wachstum
9.4Wohin soll die Reise gehen? Sinn als Orientierungshilfe
9.4.1Sinnorientierte Interventionen
9.4.2Das Buch des Lebens: Ein sinnstiftendes Narrativ entwickeln
9.4.3Dankbarkeit als Ressource
10Der letzte Teil des Weges
10.1Individuelle Leidenserfahrungen
10.2Werte- und Bedürfnisperspektive
10.3Advance Care Planning als Suche nach Wegen für den letzten Lebensabschnitt
10.4Begleitung mit Hypnose und Achtsamkeit in der letzten Lebensphase
10.4.1Hypnose zur Linderung von Symptomen in der Palliativmedizin
10.4.2Existenzielle Fragen, Abschied, Hoffnung und Sinn in hypnotischen Trancen
10.4.3Metaphern und Geschichten zu Tod und Übergang
10.5Die Perspektive der Behandler
11Grenzen
12Ein inneres Team kultivieren
Glossar
Literatur
Über die Autoren
Auch wenn Zusammenhänge zwischen seelischem Erleben und der Entstehung oder dem Verlauf von Krebserkrankungen im Laufe der Medizingeschichte immer wieder beschrieben worden sind, ist die Psychoonkologie als interdisziplinäres wissenschaftliches Fachgebiet kaum 50 Jahre alt. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit im klinischen Bereich weniger auf die Krankheit der Betroffenen, sondern auf ihr Kranksein, und dies mit der Zielsetzung, ein gutes Leben trotz, mit und nach einer Krebserkrankung wahrscheinlicher werden zu lassen. Ein Pionier der modernen Psychoonkologie, der Zürcher Psychiater und Psychoanalytiker Fritz Meerwein, schrieb vor 40 Jahren in seiner Einführung in die Psycho-Onkologie, dem ersten deutschsprachigen Lehrbuch des Fachgebiets (Meerwein 1981, S. 11):
»Psychologisch gesprochen spielt sich das Krebsleiden im sogenannten ›Selbst‹ der Patienten ab. Als Selbst wird die teils bewusste, teils unbewusste innere Vorstellung bezeichnet, die sich der Mensch im Verlauf seines Lebens von sich gebildet hat. Sie enthält den Niederschlag sowohl der guten wie der schlechten Erfahrungen, die seit frühester Kindheit im Umgang mit dem eigenen Körper, der eigenen Person, aber auch den wichtigsten Bezugspersonen des alltäglichen Lebens erworben worden sind. Die Qualität dieser Erfahrungen sowie die Fähigkeit, diese Erfahrungen zu verarbeiten und nutzbringend anzuwenden, bestimmen den Grad der Selbstachtung, über die ein Mensch verfügen kann. Seelisches Wohlbefinden ist ohne Besitz eines gewissen Ausmaßes solcher Selbstachtung nicht möglich.«
Inzwischen gibt es viele Psychoonkologie-Fachbücher, und zu etlichen durfte auch ich beitragen. Wie kaum ein anderes stellt jedoch das vorliegende Buch von Michael Harrer und Hansjörg Ebell, beides Ärzte und Psychotherapeuten, das »Selbst« der Krebsbetroffenen und gleichzeitig selbstreflexiv das der Therapeuten und damit die Patient-Therapeut-Beziehung in den Mittelpunkt – ohne überhaupt diese psychoanalytische Terminologie zu verwenden.
Beim Lesen wird durchgängig klar: Die beiden Autoren schöpfen aus dem reichen Erfahrungsschatz einer jahrzehntelangen patientenorientierten Praxis. Diese dekonstruieren sie mit Fallbeispielen, um modellhaft transparent zu machen, wie sie Patienten konkret helfen und professionell begleiten. Sie befassen sich dabei mit allen Aspekten von Krebserkrankungen: von der Krebsangst, der Diagnose und Aufklärung, behandlungsassoziierten Beschwerden, über Nachsorge und »Survivorship« bis zur psychoonkologischen Begleitung in der Palliativmedizin und Sterbephase.
Ein Buch mit dem Titel Hypnose und Achtsamkeit würden viele Ärzte vielleicht der Ecke im Buchladen zuordnen, in der esoterische Gesundheitsliteratur mit Patientenratgebern schmust. Dieses Buch sollte sich im Regal dagegen neben den klassischen Lehrbüchern der Onkologie, Schmerztherapie, Allgemeinmedizin, Krankenpflege und Psychotherapie platziert finden. Beim Lesen ist es genauso aufschlussreich wie erfrischend, wie die Autoren Hypnose und Hypnotherapie entmystifizieren, aufzeigen, dass es nicht um theatralische Manipulation geht, sondern um Anleitung zur Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit.
Suggestive Kommunikation findet häufig und überall im klinischen Alltag statt. Sei es das Stirnrunzeln des Arztes beim Blick auf ein Röntgenbild bei der Visite mit einem in den Raum gesprochenen »Sieht nicht gut aus!« oder die Autosuggestion einer Patientin: »Mein Immunsystem ist schon immer schwach.« Derartige negative Suggestionen und Autosuggestionen sind die Essenz von Nocebos. Andere Suggestionen und Autosuggestionen können dagegen nicht nur die Wirklichkeit anders erleben lassen, sondern diese auch klinisch relevant positiv verändern – nicht nur bei Ängsten, Schmerzen oder chemotherapieassoziierten Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen.
Eine junge Frau kommt nach einer erfolgreichen Krebsbehandlung zu einer onkologischen Kontrolluntersuchung zu mir: »Ich konnte die ganze letzte Nacht nicht schlafen. Zwischendurch habe ich dann geträumt, dass ich vor dem Krankenhaus stand und würfeln musste, mit einem Riesenwürfel. Ich habe eine Drei gewürfelt. In der Schule früher war ich auch eine ›Dreierschülerin‹.« Im klinischen Alltag werden derartige – häufige – Narrative und innere Bilder meist als Small Talk ignoriert. Das vorliegende Buch sensibilisiert dafür, sie auch in der nicht psychotherapeutischen Begegnung diagnostisch und therapeutisch zu nutzen und durch Aufmerksamkeitslenkung oder Teilearbeit zu verändern.
Selbst ein todkranker Patient ist nie nur krank. Er hat auch gesunde Anteile, und seien es »nur« Erinnerungsbilder. Derartige Ressourcen werden von Ärzten und anderen professionellen Helfern oft gar nicht wahrgenommen. Dabei können sie von ihnen viel lernen und sie therapeutisch nutzen.
Das Buch thematisiert Werte- und Bedürfnisperspektiven im therapeutischen Prozess sowie Elemente der Salutogenese, beispielsweise Sinn als Orientierungshilfe. Diese Elemente überschneiden sich mit dem Konzept von Achtsamkeit im Verständnis von rezeptiver Aufmerksamkeit und nicht wertender Bewusstheit von momentanen Vorgängen und Erfahrungen. Die beiden Autoren beschreiben Hypnose und Achtsamkeit als Tandem. Dabei beziehen sie sich nicht nur auf die therapeutische Anleitung von Patienten zur Achtsamkeit, sondern auch auf die Achtsamkeit der Therapeuten in der hypnosystemischen Therapie.
Das Buch brilliert mit seiner klaren Didaktik, die den komplexen Inhalt sehr gut vermittelt und ein empathisches Interesse an und in der therapeutischen Begegnung weckt. Auch bei den Ausführungen zur Achtsamkeitsphilosophie des Buddhismus vermeidet es jegliches Missionieren, und bei der hilfreichen Übersicht über psychoonkologische Konzepte verzichten die Autoren auf ideologische Wertungen. Sie betrachten Therapie und jede hilfreiche therapeutische Beziehung, ob in der Chirurgie, der Strahlenmedizin, der invasiven Schmerztherapie oder der Allgemeinarztpraxis, als resonante, symmetrische Beziehung, in der Erstarrtes wieder lebendig schwingen und Sinnhaftigkeit schaffen kann.
Ich kann dem Buch nur möglichst breite Resonanz in der Medizin, nicht nur bei psychoonkologischen Experten wünschen. Für Letztere sollte es Basislektüre sein.
Herbert KappaufFacharzt für Innere Medizin, Hämatologie,Onkologie und PalliativmedizinFacharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Michael E. Harrer und Hansjörg Ebell lösen sich in ihrer Darstellung weitgehend von einer Orientierung an Methoden – und seien es Hypnose und Achtsamkeit. Sie legen vielmehr Wert auf die Vermittlung der wesentlichen Elemente hypnotherapeutischer Kommunikation und beschreiben für die psychoonkologische Praxis eine Vielzahl von kreativen, prozessinduzierenden und -steuernden verbalen und nonverbalen Interaktionsformen. Diese Elemente sind lösungs- und heilungsorientiert und in einem hypnosystemischen Gesamtverständnis verortet, das darauf vertraut, dem Patienten innewohnende Ressourcen verwenden zu können. Auch aus Sicht der aktuellen Therapieforschung sind »therapeutisch wirksame Kommunikation« und eine gute, vertrauensvolle therapeutische Beziehung die wesentlichen Wirkfaktoren – und keineswegs irgendwelche »wirkmächtigen Techniken oder Methoden«.
Als erfahrene Hypnotherapeuten lieben beide Autoren die Arbeit mit Metaphern. Ihr Buch beeindruckt durch die gekonnte Umsetzung der Metapher des Teppichwebens. Auch die Fallgeschichten verdeutlichen diese handwerkliche Kunst und lassen sie lebendig werden. Mittels theoretischer und praktischer Querverbindungen und Verknüpfungen verweben die Autoren unterschiedliche Auffassungen von Krankheit und Heilung sowie von therapeutischen Ansätzen zu einem aktuellen, ganzheitlichen und »multimodalen« Behandlungskonzept für die Psychoonkologie. Zentral ist ihr Modell einer Pyramide therapeutisch wirksamer Kommunikation, deren Spitze das oberste Ziel der beiden Autoren bildet: die selbsthypnotischen Fähigkeiten und die Autonomie der Patienten zu fördern.
Die in diesem Buch verwendete Resonanzmetapher lädt zu einem Ausflug in die Welt der Physik und der Musik ein. Das menschliche Bedürfnis nach Wohlbefinden und Harmonie weist eher in Richtung Musik. Teppichweben und Musikhören sprechen wesentliche Sinneskanäle an und haben in mir die Idee induziert, mein Geleitwort ab hier hypnotherapeutisch als Symphonie zu konzipieren und zum Klingen zu bringen.
Der Begriff Symphonie bezeichnet Instrumentalwerke mit einer über die Jahrhunderte wechselnden Form und Besetzung. In diesem Fall wurde eine Symphonie für zwei Soloinstrumente – Hypnose und Achtsamkeit – komponiert. Ihr Hauptthema einer »resonanzbasierten und patientenzentrierten Psychoonkologie« klingt in unterschiedlichsten Variationen und Beispielen an. Auch wenn sich beide Instrumente zu ähneln scheinen, unterscheiden sie sich doch in ihrem Klangcharakter. Der im gekonnten Zusammenspiel entstehende zauberhafte Klang und die universelle Resonanz kann Wunder wirken.
Doch worauf gründet sich die dominierende Rolle dieser beiden herausragenden Soloinstrumente? Milton Erickson und Buddha repräsentieren im vorliegenden Buch die lange Geschichte der beiden Instrumente. Im Orchester zeitgenössischer tiefenpsychologischer, verhaltenstherapeutischer und systemischer Behandlungskonzepte spielen sie als tragendes Grundthema Melodien von den grundlegenden Haltungen zum Leben und Menschsein. Die Symphonie ist einer Patient-Behandler-Beziehung gewidmet, die mittels therapeutisch wirksamer Kommunikation gelingt.
Seit über 40 Jahren fasziniert mich das Phänomen Hypnose und speziell der hypnotisch veränderte Bewusstseinszustand in der psychotherapeutischen Begegnung. Beim Lesen des Buches tauchen in meiner Erinnerung viele in diesen Jahrzehnten mit Hansjörg Ebell gemeinsam erlebte Situationen auf: angeregte Gespräche und kollegiale Diskussionen auf Hypnosetagungen und internationalen Kongressen, in denen wir mit vielen geschätzten Kollegen und Kolleginnen engagiert um das Verständnis von Hypnose und ihrer therapeutischen Anwendung im Bereich von Psychotherapie und Medizin gerungen haben. Das vorliegende Buch ist eine gelungene Integration von Hypnose und Achtsamkeit – sowohl in der Theorie als auch in der Praxis – für den psychoonkologischen Bereich und bietet einen Kanon der wertschätzenden und hilfreichen Kommunikation für Patient und Behandler an.
Im wissenschaftlichen Bereich konnte man sich in den letzten Jahren mehr oder weniger auf die Definition von Elkins et al. (2015) einigen: »Hypnose ist ein veränderter Bewusstseinszustand mit einer fokussierten Aufmerksamkeit, reduziertem peripheren Gewahrsein und erhöhter Fähigkeit, auf Suggestionen zu reagieren.« Gut eingebettet in einen medizinisch-onkologischen Behandlungskontext reicht das differenzierte und gleichzeitig pragmatische Verständnis der Autoren für Hypnose von einem »zeitgenössischen Etikett für ein archaisches Heilungsritual« bis hin zu einem »heilungsfördernden (sozio)psychophysiologischen Zustand«.
Beim Lesen dieses Buches fand ich mich immer wieder in kreativen Trancezuständen wieder, wohl induziert durch die Fülle und Komplexität der hypnotherapeutischen Themen in ihrer Kombination mit psychoonkologischen Inhalten und der Fundierung der Achtsamkeit in der buddhistischen Psychologie. So möchte ich für dessen Lektüre jedem Leser gerne ein Wort von Milton Erickson mitgeben: »Enlightenment is always preceded by confusion« (Der Erleuchtung geht immer Verwirrung voraus).
Norbert LothGründungsmitglied derDeutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie e. V. (DGH)
Ich (Michael E. Harrer, MEH) erinnere mich noch gut an den ersten Patienten, zu dem ich als frischgebackener psychoonkologischer Liaisonpsychiater »notfallmäßig« gerufen wurde. Vor ihm stand ein Tablett voller Infusionsflaschen unterschiedlicher Größe mit roten und klaren Flüssigkeiten, deren Verabreichung er verweigerte. Nachdem ich seine Bedenken verstanden hatte, konnte ich ihn dabei unterstützen, mit seinem Arzt einen neuen, für ihn passenden Behandlungsplan auszuhandeln. Aus einem späteren Gespräch ist mir ein Satz von ihm in Erinnerung geblieben: »Seit ich krank bin, höre ich wieder das Singen der Vögel.«
Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen. Als mich Hansjörg Ebell fragte, ob wir gemeinsam ein Buch schreiben, in dem wir versuchen, unsere Erfahrungen in der Begleitung krebskranker Menschen weiterzugeben, war ich begeistert. Es ist recht umfangreich geworden, da wir uns die Aufgabe gestellt haben, viele Anregungen für die Praxis wie Fäden zu einem Teppich mit wiederkehrenden Mustern zu verweben.
Das Weben eines Teppichs beginnt mit dem Aufspannen der sogenannten Kettfäden. Das sind jene Fäden, die auf einem Webstuhl in Längsrichtung verlaufen und sich durch das gesamte Gewebe ziehen. Als solche sehen wir in unserem Buch vier Themen:
Der erste, in der Mitte ausgespannte Faden strukturiert und gliedert. Er bezieht sich auf die zeitlich-biografische Dimension einer Krebserkrankung und die idealtypischen Phasen ihres Verlaufs. Dieser beginnt bei der Diagnostik, Diagnosemitteilung und Therapieplanung. Es folgt die Zeit der Therapie bis hin zur Heilung und einer notwendigen Neuorientierung als Überlebender oder »Survivor« (Abschn. 8.1.2). Die Krankheit kann aber auch chronisch verlaufen, und Rezidive sind jederzeit möglich. Wenn eine Krebserkrankung zum Tode führt, stellt sich die Aufgabe, Menschen in ihrer letzten Krankheitsphase zu begleiten, die dann auch zur letzten Phase ihres Lebens wird.
Inmitten einer hochgerüsteten Hightechmedizin und angesichts des Dominierens eines störungsspezifischen Denkens und Vorgehens auch in der Psychotherapie wollen wir die einzelnen Patientinnen und Patienten mit ihrem subjektiven Erleben und Leiden, aber auch mit ihren Sehnsüchten und Zielen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. So durchzieht das Buch als zweiter Kettfaden die Beschreibung des subjektiven Leidens der Patientinnen und Patienten auf den unterschiedlichen Wegstrecken und mit den phasenspezifischen Bedürfnissen. Die stetige Erinnerung an die Bedürfnisbrille soll die Aufmerksamkeit der begleitenden Behandler umlenken: weg vom Fokus auf zu behebende Symptome und Störungen, hin zu bedürfnisorientierten Zielen.
Der dritte Faden ist ein Menschenbild, das Menschen als soziale und in Beziehungen eingebettete Wesen versteht. So sehen wir jede professionelle Interaktion als eine Begegnung zweier Menschen in ihren Rollen und mit ihrer persönlichen Geschichte. Die Anerkennung der Tatsache, dass beide daran beteiligt sind, bezeichnen wir als intersubjektive Sicht auf jedes Geschehen. Um den Blick auf die Beteiligung der Behandler, insbesondere der Ärztinnen und Ärzte, zu richten, diesen zu schärfen und zur Reflexion anzuregen, bekommt auch deren Perspektive ausdrücklich Raum.
Der vierte Faden ist jener der Kommunikation, die darüber bestimmt, wie diese Begegnungen verlaufen. Wir beschreiben die wünschenswerte Form des kommunikativen Austauschs mit unseren Patientinnen und Patienten als therapeutisch wirksame Kommunikation. Diese Bezeichnung ergibt sich aus der Annahme, dass sich jeder auch noch so kleine Austausch auf eine wohltuende, stärkende, vielleicht sogar heilsame – eben therapeutische – Weise auswirken kann. Therapeutisch wirksame Kommunikation sollte vier Kriterien erfüllen: Sie ist patientenzentriert und bedürfnisorientiert, sie regt zu einem Perspektivenwechsel an, und sie ist in eine bewusst gestaltete therapeutische Beziehung eingebettet.
Ein Pyramidenmodell beschreibt fünf Stufen der Umsetzung einer solchen therapeutisch wirksamen Kommunikation (Abschn. 5.1, Abb. 2). Die ersten drei Stufen betreffen den kommunikativen Alltag in der Onkologie. Sie beziehen sich darauf, wie Patientinnen und Patienten angemessen zu informieren sind sowie ein für sie passender Behandlungsplan erarbeitet und im weiteren Verlauf mit ihnen gemeinsam gestaltet wird – eine Aufgabe, wie sie sich auch beim eingangs erwähnten Patienten stellte. Die vierte und fünfte Stufe der Pyramide beschreiben die Möglichkeiten von Hypnose und Selbsthypnose im psychoonkologischen Kontext.
Beim Weben eines Teppichs dienen Weberschiffchen dazu, die sogenannten Schussfäden quer zu den Kettfäden einzuweben. In unserem Buch sind es drei methodische Schussfäden, die gemeinsam mit den vier Kettfäden das Gewebe unseres Konzepts bilden: der Perspektivenwechsel, die Hypnose und die Achtsamkeit. Ihre Facetten bilden gemeinsam mit dem in ihnen enthaltenen Beziehungsangebot die Mittel und konkreten Vorgehensweisen, mit denen die Prinzipien einer therapeutisch wirksamen Kommunikation verwirklicht werden.
Mit Perspektivenwechsel meinen wir das durchgehende Prinzip, eine Umorientierung der Aufmerksamkeit der Patienten und Patientinnen anzustreben: vom Kämpfen gegen etwas zum Hinbewegen auf etwas zu, was ihnen im Leben wichtig und wertvoll ist und Sinn gibt – weg von Vermeidungszielen, hin zu Annäherungszielen; weg von der einengenden Fokussierung auf die Krankheit und ihre Symptome, hin zu einem Blick auf die gesunden Anteile und Ressourcen und auf das, was Gesundheit und Resilienz fördert. Ein weiterer Perspektivenwechsel ergibt sich durch das Kultivieren eines wohlwollenden »inneren Beobachters« im Rahmen der Achtsamkeitspraxis.
Bei derHypnose legen wir den Schwerpunkt darauf, zwei natürliche Fähigkeiten zu nutzen. Menschen können sich gleichsam selbst hypnotisieren. Das kann zu einengenden »Problemtrancen« führen, die sie wie das sprichwörtliche Kaninchen beim Anblick einer Schlange erstarren lassen. Auf der anderen Seite kann die Wirksamkeit von Suggestionen und Autosuggestionen dazu beitragen, sich eigenen Zielen anzunähern. Die zweite menschliche Fähigkeit besteht darin, Bewusstseinszustände einzunehmen, in denen sich Möglichkeitsräume erschließen, die im Alltagsbewusstsein nicht zugänglich sind. Alle Kulturen in der Geschichte der Menschheit haben Heilungsrituale entwickelt, um diese Räume zu öffnen. Getragen von einer Sicherheit gebenden und Zuversicht vermittelnden therapeutischen Beziehung wird es möglich, sich wieder dem zuzuwenden, was einem im Leben wichtig ist, guttut und Heilungsprozesse anregt. Bei der Anwendung von Hypnose heben wir insbesondere zwei Aspekte heraus: zum einen ideomotorische Phänomene, die dazu dienen, das Vertrauen in unwillkürliche Prozesse und das eigene Unbewusste zu stärken und zu nutzen; zum anderen die Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen, die Menschen in ihrer inneren Vielfalt und ihren oft widersprüchlichen Bedürfnissen abholt und begleitet. Hypnose wird als intersubjektiver Austausch verstanden, als Resonanzprozess der Wechselwirkung zweier Individuen – insbesondere auch mit ihren unbewussten Anteilen.
Achtsamkeit wird als Basiskompetenz von Therapeutinnen und Therapeuten beschrieben. Sie ermöglicht ihnen, sich ihren Patientinnen und Patienten in einem Zustand zur Verfügung zu stellen, der geprägt ist durch eine verkörperte und wohlwollende Präsenz und die Offenheit, sich in sie einzustimmen, einzufühlen und sich auf ihre Welt einzulassen. Im Kern der Achtsamkeitspraxis steht die Kultivierung eines inneren Beobachters, mit dessen Hilfe der Therapeut auch seine eigene Innenwelt und sein Handeln freundlich beobachtet und auf das Patientenwohl ausrichtet. Drei Facetten der Achtsamkeit sind in der Psychoonkologie für die Betroffenen von besonderer Bedeutung. Zum einen die Fokussierung auf den gegenwärtigen Moment, die in der Bemerkung des anfangs zitierten Patienten deutlich wird. Sie trägt bei aller Unsicherheit über die Zukunft zur Lebensqualität in der Gegenwart bei. Die anderen beiden Facetten, die Raum bekommen, sind Akzeptanz und Selbstmitgefühl.
Das Bild des Teppichwebens könnte fälschlicherweise eine lineare zeitliche Abfolge der einzelnen Fäden und Bausteine suggerieren. Meist sind mehrere, manchmal sogar alle Fäden gleichzeitig wirksam und bedingen einander. Als Metapher für diese Gleichzeitigkeit, Verwobenheit und wechselseitige Bedingtheit bietet sich ein Gleichnis aus der hinduistischen Mythologie an: Indras Netz. Es beschreibt ein unendlich großes Netzwerk von Fäden, das sich über dem Palast der Gottheit Indra auf dem Berg Meru ausspannt. In jedem Knotenpunkt des Netzes findet sich ein Juwel mit unendlich vielen Facetten, in denen sich alle anderen Juwelen widerspiegeln. Eine multiperspektivische Sicht, wie wir sie vermitteln wollen, hat stets mehrere dieser Facetten im Blick und was sich in ihnen spiegelt. Dadurch eröffnet sich die Wahl, welche man aufgreift. Im Sinne der Spiegelung begegnen wir den gleichen Themen stets auf neue Weise, wenn sie sich in unterschiedlichen Juwelen widerspiegeln und sich dabei weitere Bedeutungen enthüllen. Querverweise in diesem Buch sollen darauf aufmerksam machen und dabei helfen, diese Verbindungen zu knüpfen und ihnen nachzugehen.
Es bleibt Ihnen als Leserin oder Leser überlassen, wo und wie Sie in das Buch einsteigen. Wir vertrauen darauf, dass es Ihnen gelingt, die Fäden und Juwelen des Netzes immer umfassender zu einem für Sie persönlich sinnvollen Ganzen zu integrieren und mit Ihren eigenen Erfahrungen zu verknüpfen.
Dieser Teppich passt auf den Boden eines Therapieraums, in dem Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten Menschen mit einer onkologischen Erkrankung begleiten. Er vermittelt Einblicke in die Psychoonkologie und deren Konzepte, aber auch in die Themen und Bedürfnisse der Betroffenen im Verlauf der Erkrankung, und er soll inspirieren. Unser Teppich soll einen guten Boden für alle Berufsgruppen bilden, die in der psychosozialen Onkologie tätig sind, sei es in der klinischenPsychologie, der Sozialarbeit, der Seelsorge, der Beratung oder in anderen Bereichen. Um Personen aus allen Herkunftsberufen den Zugang zu unseren Konzepten zu erleichtern, werden viele der Fachbegriffe in einem Glossar erklärt.
Wir wünschen uns sehr, dass sich Ärztinnen und Ärzte aus der Onkologie von unserem Beitrag angesprochen fühlen. Ihnen obliegt es ja, ihre Patientinnen und Patienten angemessen zu informieren, einen Behandlungsplan zu erstellen, die medizinischen Therapien durchzuführen und immer wieder an die individuellen Gegebenheiten anzupassen. Patienten sind auf eine gelingende Kommunikation mit ihren Behandlern angewiesen, die wiederum die Grundlage jeder psychoonkologischen Begleitung bildet.
Wir sprechen auch Hausärzte an, die krebskranke Menschen oft über viele Jahre begleiten; ebenso Pflegepersonen, die in ihrem unmittelbaren und kontinuierlichen Kontakt mit Patienten im stationären Bereich oder in der ambulanten Krankenversorgung an einer therapeutisch wirksamen Kommunikation interessiert sind. Vieles von dem, was wir vermitteln wollen, gilt nicht nur in der Onkologie, sondern auch bei anderen chronischen Krankheiten. Letztendlich sollen unsere Anregungen den kranken Menschen zugutekommen, und vielleicht finden auch diese in unserem Buch etwas Hilfreiches, und sei es, dass sie durch die Lektüre genauer herausfinden und klarer formulieren können, was sie sich von ihren professionellen Begleitern wünschen.
Unabhängig von ihrem beruflichen Hintergrund will das Buch all jene Personen erreichen, die sich sowohl konzeptuell als auch im konkreten Vorgehen einen Überblick über eine patientenzentrierte Onkologie verschaffen wollen. Es richtet sich an alle, die sich dafür interessieren, welche Möglichkeiten Hypnose und Achtsamkeit für die professionelle Zusammenarbeit mit lebensbedrohlich und chronisch kranken Menschen allgemein bieten.
Wir hoffen, Sie für die Komplexität begeistern zu können, die unserer multiperspektivischen und vernetzten Sichtweise innewohnt. Wer einfache, störungsspezifische Rezepte erwartet, wird enttäuscht werden. Wer sich von der Vielfalt der in diesem Buch anklingenden Sichtweisen und Möglichkeiten inspirieren lässt, kann im Vertrauen auf eigene kluge bewusste und unbewusste innere Anteile neugierig sein, was vom Angebotenen Resonanz auslöst und Ihnen in der Begegnung mit Ihren Patientinnen und Patienten im passenden Augenblick wieder einfällt.
Und damit sind wir bei der letzten Metapher, die unser Buch durchzieht und unser Denken prägt. Sie stammt aus dem Bereich der Musik: Resonanz. Resonanz bedeutet ein Schwingen auf derselben Wellenlänge, das Verbindung schafft. Resonanzerfahrungen in menschlichen Beziehungen und mit der Natur können verwandeln und Verstummtes wieder zum Klingen bringen. Sie sind heilsam und können beglücken – wie das Singen der Vögel. Für einen Patienten auf mitfühlende Weise präsent zu sein, sich auf ihn einzustimmen und mit ihm in Resonanz zu gehen, ist die Basis jeder Therapie und für sich allein schon heilsam. Menschen einzuladen, mit sich selbst in Resonanz zu sein, mit dem, was sie im Kern ausmacht und sie lebendig werden lässt, ist der Weg, den wir vorschlagen.
In diesem Sinne wünschen wir uns, dass unser Buch zu vielen gelingenden Resonanzerfahrungen beitragen kann.
Salzburg und München im Frühling 2021Michael E. Harrer und Hansjörg Ebell
Anmerkung: Uns ist wichtig, zumindest in der Einführung ausdrücklich Leserinnen und Leser anzusprechen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Ärztinnen und Ärzte, Frauen und Männer aus allen Berufsgruppen, aber auch Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten. Wenn wir in der Folge das generische Maskulinum verwenden, dann tun wir das auf Wunsch des Verlags im Sinne einer leichteren Lesbarkeit.
Als Ärzte sprechen wir in diesem Buch von Patienten (und nicht von Klienten), auch um das mit der Krankheit verbundene Leiden zu würdigen (lat. patiens, dt. »erduldend, leidend«). Wenn wir handelnde und behandelnde Personen als Behandler bezeichnen, meinen wir Vertreter und Vertreterinnen aller in einer zeitgemäßen interdisziplinären onkologischen Versorgung beteiligten Berufsgruppen, deren Aufgaben und Themen sich überschneiden.
Frau S. wird unmittelbar nach der Geburt ihres ersten, gesunden Kindes mitgeteilt, dass sowohl die chirurgische Entfernung eines Eierstocks als auch eine anschließende Chemotherapie notwendig seien. Die letzten drei Monate ihrer Schwangerschaft muss die 35-jährige Patientin wegen vorzeitiger Wehen in der Universitätsklinik stationär behandelt werden. Sie muss strikte Bettruhe einhalten, weil die wehenhemmenden Medikamente die Leber so schwer belasten, dass sie abgesetzt werden müssen. Eine Zyste im linken Eierstock wird immer wieder mittels Ultraschall untersucht. Die häufigen Kontrollen, die von Frau S. als ausweichend erlebten Erklärungen und der besorgte Gesichtsausdruck des untersuchenden Arztes steigern ihre Ängste, es könnte sich um eine bösartige Gewebeveränderung handeln. In der bei der Entbindung mittels Kaiserschnitt entnommenen Gewebeprobe werden dann tatsächlich Krebszellen gefunden. Aus dem Verdacht wird Gewissheit. In einer Folgeoperation wird der betroffene Eierstock entfernt. Bei diesem Eingriff entleert sich Zysteninhalt in den Bauchraum. Darum wird eine anschließende Chemotherapie aus medizinischer Sicht für unbedingt erforderlich gehalten. Der erste Therapiezyklus erfolgt unmittelbar nach der zweiten Operation und löst bei Frau S. extreme Übelkeit mit Erbrechen aus.
Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus ist Frau S. so erschöpft, dass es für sie unvorstellbar ist, den vorgesehenen zweiten und dritten Zyklus der Chemotherapie als ambulante Nachbehandlung zu überstehen. Ihre Befürchtungen werden dadurch genährt, dass sie im Aufklärungsgespräch daraufhingewiesen wurde, dass die Nebenwirkungen von Chemotherapien in der Regel mit jedem Zyklus stärker würden. Der psychoonkologische Konsiliardienst der Klinik empfiehlt ihr in dieser Situation dringend, psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Bei unserem ersten Gespräch in meiner Praxis (Hansjörg Ebell, HE) bekommen die Tragik und Dramatik ihrer Erfahrungen viel Raum: Anstatt nach der Geburt ihr Baby stillen und umsorgen zu können, findet der von der Patientin als »Horrortrip« erlebte stationäre Krankenhausaufenthalt nicht nur kein Ende, sondern setzt sich fort und steigert sich noch weiter. Insbesondere die Aussage des behandelnden Arztes, der ihr die Notwendigkeit einer Chemotherapie eindringlich klar machen wollte, hat Frau S. sehr verängstigt, aber auch wütend gemacht. Bei ihr ist sinngemäß angekommen, sie müsse zustimmen, denn sie wolle ja nicht, dass ihr Kind in vier Jahren nur noch ein Foto von ihr als Erinnerung hat.
Unabhängig davon, wie der genaue Wortlaut gewesen ist oder ob sie den Arzt »nur« falsch verstanden hat, überprüfen wir diese und ähnliche Aussagen in späteren Therapiesitzungen gründlich darauf, welche positiven und/oder negativen Botschaften darin enthalten sind. Nachdem Frau S. Ruhe und Stabilität wiedergewonnen hat, können viele negative Suggestionen bearbeitet und wie alte Munition entschärft werden. Aus hypnotherapeutischer Sicht ist entscheidend, wie die als starke Suggestionen zu betrachtenden Sätze bei der Patientin angekommen sind, und nicht, was genau gesagt wurde.
Frau S. fühlt sich in ihrer Überforderung und Verzweiflung verstanden und angenommen. Allein das führt zu einer spürbaren Beruhigung. Von der Notwendigkeit der vorgeschlagenen Chemotherapie ist sie überzeugt. So konzentrieren wir uns auf eine gemeinsame Suche danach, was ihr helfen könnte, die im zweiten Zyklus verabreichten Medikamente besser zu vertragen und zuversichtlicher in die Zukunft zu schauen trotz ihrer Erschöpfung und der schlimmen Erfahrungen im ersten Therapiezyklus. Frau S. setzt nun ihre Hoffnung darauf, dass die Infusionen auch die letzte Krebszelle, die bei der Gewebeentnahme »entkommen« sein könnte, erreichen und vernichten – auch wenn es dafür keine Garantie gibt.
Nichts ist ihr wichtiger, als möglichst bald in der Lage zu sein, sich um ihr Kind zu kümmern, das bisher vom Ehemann und ihren Eltern zu Hause liebevoll versorgt wird. Als Gegengewicht zu den in den letzten Monaten vorherrschenden Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit macht sie in Hypnose und Selbsthypnose wohltuende und stärkende Erfahrungen.
Erste Hypnose: Nach wenigen Suggestionen, es sich auf ihrem gepolsterten Stuhl mit einer hohen Lehne möglichst bequem zu machen, sich zurückzulehnen und ihr Körpergewicht als angenehme Schwere zu genießen, lehnt Frau S. ihren Kopf zurück – und ihre Augen schließen sich.
»Einerseits wissen Sie, dass Sie hier und heute [Datum] in meiner Praxis sitzen, angenehm schwer auf diesem bequemen Stuhl, andererseits können Sie den Wunsch verspüren, dass Sie viel lieber ganz woanders wären, wo es Ihnen richtig gut geht, wo auch immer das sein mag – an einem Ort oder besser in einem intensiven Erleben oder einer Erfahrung, die Ihnen helfen kann. Eine Erfahrung, die Ihnen erlaubt, all das, was wir vorher auf der bewussten Ebene an Schwierigem und Herausforderndem ausführlich besprochen haben, für eine Weile weit hinter sich zu lassen, um endlich zur Ruhe zu kommen und Kraft zu schöpfen – insbesondere im Hinblick auf die demnächst anstehende zweite Chemotherapie.«
Ihr Gesicht wirkt entspannt. Frau S. atmet ruhig und regelmäßig.
»Wenn Sie nun immer tiefer eintauchen in ein Gefühl des Wohlbefindens und der Sicherheit nach diesen anstrengenden und herausfordernden Wochen, ja Monaten, können Sie jetzt – gespeist aus Ihren guten Erinnerungen – mit allen Sinnesqualitäten, mit dem, was Sie jetzt spüren, sehen und hören, vielleicht sogar riechen und schmecken, erleben, dass es Ihnen richtig gut geht. Je tiefer Sie eintauchen können in dieses intensive und gute Erleben, umso leichter könnte sich eine der beiden Hände anfühlen, während die andere sich immer schwerer, angenehm schwer, anfühlen wird.«
Beide Hände sind auf den Oberschenkeln bequem abgelegt. Die rechte Hand bewegt sich nun ein wenig, rutscht ein paar Millimeter zurück, am ehesten infolge der muskulären Entspannung in den Oberarmen und Schultern.
»Vielleicht kann die rechte Hand sich sogar so leicht anfühlen, dass sie zu schweben beginnt – ganz von allein, ohne Ihr aktives Zutun – als Zeichen dafür, dass Sie immer tiefer eintauchen in Ihr erholsames, gutes Erleben. Ein Erleben, das Ihnen erlaubt, nicht nur jetzt und hier und heute zur Ruhe zu kommen, sondern Ihnen auch gute Dienste erweisen kann, wenn Sie demnächst Ihre nächste Infusion bekommen und dann auf einer bequemen Liege liegen werden und sich ganz auf das konzentrieren können, was Ihnen guttut.«
Die Hand hebt sich ganz allmählich und ruckartig, wie durch ein Zahnrad angetrieben, einige Zentimeter nach oben und schwebt nun über dem Stoff der Hose.
»Solange Ihre rechte Hand mir zeigt, dass Sie innerlich gut unterwegs sind, werde ich nur noch wenige Vorschläge machen. Genießen Sie es.«
Um der Patientin zu signalisieren, dass ich weiter für sie und mit ihr da bin und um sie meiner Präsenz zu versichern, kommentiere ich etwa zehn Minuten lang nur ab und zu etwas, etwa einen tiefen Atemzug, mit »sehr gut« und verbinde das Geschehen mit Vertiefungssuggestionen. Aufgrund der anhaltenden Handlevitation – die Hand hebt sich allmählich immer weiter –, gehe ich davon aus, dass sie in einer optimalen Szenerie gelandet ist, auch wenn ich nicht weiß, in welcher.
Als ihre Hand beginnt, allmählich wieder zahnradartig abzusinken, fordere ich Frau S. auf, sich genügend Zeit zu nehmen für die Rückkehr ihrer Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt. Ich schlage vor, von dieser aktuellen, intensiven und guten Erfahrung all das zu erinnern, was wert ist, erinnert zu werden. Zugleich könne sie all das erst mal einem inneren »Archiv des Vergessens« überlassen, was dort besser aufgehoben ist, um sich ganz auf die Herausforderungen der kommenden Chemotherapie konzentrieren zu können. Nach einer kurzen angesagten Pause leite ich in normaler Stimmlage die Reorientierung ein:
»Und nun zählen Sie bitte selbst innerlich rückwärts von zehn bis null, ohne die Zahlen auszusprechen. Über neun, acht, sieben und so weiter … bis Sie … bei den mittleren Zahlen angekommen … bemerken, wie Sie sitzen … dass z. B. der Kopf ein wenig zur Seite geneigt ist und Sie ihn leicht bewegen können, um wieder ganz aufrecht zu sitzen … und spätestens bei den kleinen Zahlen atmen Sie mal tief durch … genau so … um sich dann zu recken und zu strecken wie nach einem erholsamen Schlaf … um bei eins die Augen zu öffnen und bei null wieder ganz da zu sein.«
Nachdem Frau S. ihre Augen geöffnet hat und mich anblickt, begrüße ich sie mit einem freundlichen Lächeln. Dann besprechen wir ausführlich ihre Erfahrungen in der Hypnose. Es habe sich angefühlt wie eine aktuelle, sehr lebendige Hier-und-Jetzt-Erfahrung. Sie berichtet, sie habe intensiv die Anstrengung und die Kraft erlebt, die sie von früheren sportlichen Aktivitäten, vom Laufen und vom Schwimmen, kenne. Anschließend habe sie sich – total erschöpft – ausgeruht.
Nach all dem, was die Patientin durchmachen musste, wobei sie ihre Kräfte verausgabt hatte, kann sie ihre nachvollziehbare, bis dahin als negativ empfundene Erschöpfung auf eine ganz selbstverständliche und natürliche Weise umdeuten, als positiv erlebten Ausgangspunkt, als Beginn von Erholung und Wiederauftanken. Dieses Erleben wird zu einem Wendepunkt und leitet einen Perspektivenwechsel ein: weg von der Vermeidung der unerträglichen Nebenwirkungen der Chemotherapie, hin zu ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich stattdessen auf eine positive Imagination zu konzentrieren.
Ausgehend von dieser Hypnoseerfahrung entwickelt Frau S. ihr maßgeschneidertes, persönliches Selbsthypnoseritual: Während der Chemotherapie-Infusionen konzentriert sie sich auf die Vorstellung und das damit verbundene Erleben, dass sie »mit aller Kraft flussaufwärts schwimmt«. Ihr Einfall, diese Vorstellung zu nutzen, ist insofern genial, als »die starke Strömung, die körperabwärts vom Scheitel bis zu den Zehen deutlich zu spüren ist, das gleichzeitige Aufsteigen von Übelkeit oder gar Erbrechen unmöglich macht«. In ihrer Vorstellung sinkt sie am Ende dieser Anstrengung, »endlich am Ufer, an einem warmen Sandstrand angekommen, vor Erschöpfung in einen tiefen und erholsamen Schlaf«.
Zusätzlich unterstützend wirkt sich vermutlich aus, dass die Chemotherapie ambulant in der Praxis eines niedergelassenen Onkologen verabreicht wird. Das erspart ihr den erneuten Kontakt mit der Klinik, mit der die monatelangen Ängste, der Schrecken der Diagnose und die operativen Maßnahmen assoziiert sind.
Frau S. verträgt mithilfe dieser und ähnlicher Imaginationen den zweiten Zyklus der Chemotherapie wesentlich besser als den ersten. Dass sie den dritten Zyklus noch viel besser verträgt als den zweiten, erlebt sie als persönlichen Erfolg. Sie verbucht ihn als besonders groß, da sie die gleiche Medikation gegen die Übelkeit erhalten hat und ihre Erfahrungen der im Rahmen der Aufklärung gehörten Information widersprechen, die Nebenwirkungen würden mit jedem Zyklus zunehmen. Aus hypnotherapeutischer Sicht gelten derartige Informationen als potenzielle Negativsuggestionen (Nocebo, Abschn. 5.6.3).
Frau S. erringt diesen persönlichen Sieg mithilfe einer Bewältigungsstrategie, die auf ihren ureigenen Fähigkeiten beruht. Zugang zu diesen Fähigkeiten findet sie mit professioneller psychoonkologischer Unterstützung und angeleitet in Hypnose. Deren Umsetzung und Anwendung erfolgt dann autonom mittels Selbsthypnose.
Zum weiteren Verlauf: Auf die psychoonkologische Krisenintervention zu Beginn und auf die dargestellte Unterstützung bei der Bewältigung der Herausforderungen der Chemotherapie mit Hypnose und Selbsthypnose folgt noch eine weitere Phase der Begleitung. Im Zeitraum von etwa einem Jahr bearbeitet Frau S. in einer psychotherapeutischen Zusammenarbeit im eigentlichen Sinne verschiedene Therapieziele und Themen.
Diese Schilderung des hypnotherapeutischen Vorgehens am Beispiel von Frau S. erfolgt aus der Perspektive des mitbehandelnden ärztlichen Psychotherapeuten (HE), der sie psychoonkologisch »ein Stück ihres Weges« begleitet. Im Zentrum dieser Begleitung stand die von beiden anerkannte Notwendigkeit der medizinisch indizierten Krebstherapie.
Im persönlichen intersubjektiven Austausch zweier Menschen in den Rollen von Arzt und Patientin blieb es während der Behandlung über weite Strecken hin offen, wie »die Geschichte« langfristig ausgehen wird – insbesondere in der dramatischen Krisensituation, dem Anlass zur ersten Begegnung. Erst im Rückblick konnten bestimmte Entwicklungen erkannt, benannt und gemeinsam reflektiert werden.
Die über viele Jahre gesammelten Erfahrungswerte sowie eine prinzipielle Zuversicht des Therapeuten (HE) im Hinblick auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Menschen in extremen Belastungssituationen waren für beide Seiten hilfreich, auch wenn sie ein gutes Ergebnis keineswegs garantieren. Für Frau S. war die Weichenstellung wichtig, dass im Behandlungssystem einer Universitätsklinik endlich – nach Monaten – psychoonkologische Kompetenz hinzugeholt wurde. Vermutlich hätte Frau S. die ambulante Chemotherapie auch ohne psychotherapeutische Unterstützung »irgendwie« überstanden. Es bestand allerdings das Risiko einer schlechteren Prognose für den Fall, dass sie die Therapie nach dem ersten oder zweiten Zyklus wegen der – trotz entsprechender Medikation – unerträglichen Nebenwirkungen abgebrochen hätte.
Die Beziehung des Psychoonkologen zum überweisenden verantwortlichen Onkologen war kollegial und anerkennend, insbesondere nachdem sich die Verträglichkeit der Chemotherapie auf beeindruckende Weise verbesserte. Die in diesem Fall gelungene und höchst wünschenswerte wechselseitige – die Patientin einschließende – positive Verstärkung und Unterstützung ist allerdings eher nicht die Regel.
Jahre später besuchte Frau S. mich zu einem Nachgespräch, um das ich sie gebeten hatte. Dabei hob sie drei Punkte hervor, die für Sie damals besonders hilfreich waren: die erstaunliche Intensität der positiven Erfahrungen in Hypnose und Selbsthypnose, die Unterstützung beim Verstehen und Einschätzen der Bedeutung von Befunden und Aussagen der Ärzte und die Klärung wichtiger Themen und Konflikte bei ihrer Rückkehr in eine »neue Normalität«.
Die Geschichte der Begleitung von Frau S. verdeutlicht einige für uns wesentliche Punkte:
•Sie zeigt, dass eine psychoonkologische Begleitung die Durchführung von medizinischen Maßnahmen unterstützen oder gar erst ermöglichen kann. Sie gibt auch Einblicke, welche Rolle dabei ein hypnotherapeutisches Vorgehen in unterschiedlichen Settings spielen kann: im Rahmen einer Krisenintervention, in der Begleitung bei der Bewältigung der Krankheit und der Therapie, aber auch in einem psychotherapeutischen Setting im eigentlichen Sinne. Dabei ist vorauszusetzen, dass das Therapiekonzept dem aktuellen Stand des onkologischen Wissens entspricht, dass es erforderlich und sinnvoll ist und dass der Patient dem Vorgehen zustimmen kann.
•Zum anderen veranschaulicht das Beispiel, wie mit einem hypnotherapeutischen Vorgehen ein den Patienten zunächst nicht bewusstes individuelles Potenzial erschlossen und therapeutisch wirksam wird. Indem die Betroffenen mit ihrem höchst subjektiven Erleben, ihren ureigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Ressourcen mit einbezogen werden, wird jedes Behandlungskonzept wesentlich ergänzt und bereichert. Es öffnen sich Möglichkeitsräume, die dazu beitragen, aus einem objektiv angemessenen auch ein subjektiv zufriedenstellendes Gesamttherapiekonzept zu machen.
•Persönliche Hindernisse und Schwierigkeiten von Betroffenen zu bekämpfen führt oft in Sackgassen bis hin zum Abbruch der Therapie. Werden diese Hürden stattdessen als Herausforderungen angenommen und ernst genommen, lassen sich in der Regel gemeinsam Möglichkeiten finden und individuelle Lösungswege entwickeln. Ein derartiges Vorgehen führt immer weiter, als wenn die Bedürfnisse der Betroffenen übergangen, ihnen etwas aufgezwungen wird oder ihre Erfahrungen nicht angemessen berücksichtigt werden. In der Onkologie werden wir immer wieder an Grenzen stoßen: an die individuellen Grenzen der Patienten, die Grenzen der Behandler, die Grenzen der Medizin und an jene existenziellen Grenzen, die das Leben setzt. Es lohnt sich immer, gemeinsam zu erkunden, wo genau diese verlaufen.
Der Titel des Klassikers von Michael Balint (1957/2019), Der Arzt, sein Patient und die Krankheit, beschreibt die in der Krankenbehandlung entstehende Dreiecksbeziehung. In der Onkologie wird die Behandlung heutzutage allerdings nicht mehr von einem einzelnen Arzt geleistet, sondern von einem multiprofessionellen Team von Behandlern, das sich im Idealfall gut vernetzt. Jeder Patient ist einzigartig und nur vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte und seiner aktuellen soziokulturellen Einbettung zu verstehen. Meist hat auch er ein »Team« von Angehörigen, Bekannten, Selbsthilfegruppen, komplementären Mitbehandlern etc. um sich.
Unter Krebs wird eine Vielfalt höchst unterschiedlicher onkologischer Erkrankungen verstanden. So ist auch jeder Krebs auf seine Weise einzigartig – in seinen genetischen Charakteristika und Biomarkern, in seiner Lokalisation, seiner Wachstumsgeschwindigkeit und Ausbreitung sowie in seinem Ansprechen auf die zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten.
Wenn Menschen an Krebs erkranken, sind sie kein unbeschriebenes Blatt. Sie verfügen über ein mehr oder weniger bewusstes, oft schwer in Worte fassbaresVorwissen über die Erkrankung, das sich aus unterschiedlichsten Quellen speist. Meist mischen sich Fakten mit Mythen und Metaphorischem, mit individuellen Erfahrungen und Erzählungen aus der Familie und dem Freundeskreis sowie mit Informationen aus digitalen Medien. Die so entstandenen Annahmen prägen die ersten Bedeutungsgebungen und Erwartungen, die Patienten mit ihrer Krebsdiagnose verknüpfen.
Krebs ist sehr häufig. In Deutschland erkranken jährlich etwa 500.000 Personen neu an Krebs, bei über 230.000 Menschen war die Erkrankung im Jahr 2018 die Todesursache. Da mit zunehmender Lebenserwartung Krebserkrankungen immer häufiger werden und Krebs dank verbesserter und neuer Therapieoptionen immer mehr zu einer chronischen Erkrankung wird, ist mit einer Zunahme von Krebserkrankungen zu rechnen – trotz aller Bemühungen um Prävention und Früherkennung.
Im Gegensatz zu gesunden Zellen vermehren Krebszellen sich ungezügelt. Unter Laborbedingungen können sie nach der Entnahme den an Krebs Erkrankten um Jahrzehnte überleben. Diese unkontrollierte Vitalität kann das Leben bedrohen (Mukherjee 2012). Krebszellen können umgebendes gesundes Gewebe infiltrieren und zerstören, Organgrenzen durchbrechen und Metastasen bilden.
Trotz aller Möglichkeiten der modernen Medizin zur wirksamen Behandlung kann jede Krebsdiagnose als existenzielle Bedrohung erlebt werden – unabhängig von der medizinischen Prognose, der Malignität der Krebszellen und der Dynamik ihrer Ausbreitung im Organismus. Wenn sich die unvermeidliche Tatsache unserer Sterblichkeit nicht mehr beiseiteschieben lässt, sind wir mit der Endlichkeit der menschlichen Existenz konfrontiert. Es sind die eigenen Zellen, die durch unkontrolliertes Wachstum und ungebremste Verbreitung »bösartig« werden und letztlich das Leben kosten können. Oft ruhen Krebszellen über Jahre oder Jahrzehnte und bleiben im Verborgenen, bis sie sich in körperlichen Symptomen äußern. Oder – was oft noch mehr verunsichert – sie werden durch Zufall oder bei einer Vorsorgeuntersuchung entdeckt. Die mit Krebs verknüpften Vorstellungen sind oft geprägt von Assoziationen hilflosen Ausgeliefertseins, von Schmerzen und Leiden durch die Erkrankung selbst oder durch belastende Therapien.
Der Wunsch, das Unberechenbare und »Böse«, das im eigenen Körper wächst, zu kontrollieren, nährt die Suche nach dessen Ursachen. Die Neigung oder Prädisposition, an Krebs zu erkranken, kann in den Genen vererbt werden, oder ein bestimmter Lebensstil kann die Krebsentstehung begünstigen. Nicht selten fühlen sich Menschen durch eine Krebserkrankung für ein Risikoverhalten und ihre ungesunde Lebensführung bestraft. Schuld- und Schamgefühle werden oft auch von ärztlicher Seite geschürt, sei es durch den Hinweis auf Risikoverhalten wie übermäßige UV-Licht-Exposition bei Hautkrebs, Rauchen bei Lungenkrebs, Alkoholabusus, ungesunde Ernährung und Übergewicht, Bewegungsmangel oder wechselnde Sexualpartner, versäumte Früherkennung oder durch zu späte Inanspruchnahme diagnostischer Maßnahmen.
Bei Krebserkrankungen leben Teile des Organismus auf Kosten des Ganzen und können dessen Untergang herbeiführen. Dieses Charakteristikum führt in nichtmedizinischen Kontexten zur metaphorischen Verwendung des Begriffs »Krebsgeschwür« als Inbegriff des Schädlichen und Bösartigen.
So trägt vieles dazu bei, dass es keineswegs selten noch als Tabu erlebt wird, über Krebs zu sprechen. Das erschwert die Kommunikation zwischen den Erkrankten und ihrem Umfeld, aber auch mit den Behandlern. Auf der anderen Seite scheint sich oft alles nur noch um die Erkrankung und die mit ihr verbundenen Bedrohungen und Folgen zu drehen. Nach dem ersten Schock wird für den Kampf gegen den Krebs mobilisiert.
Der Kampf und Krieg gegen den Krebs ist wohl die wirkmächtigste Metapher im Bereich der Medizin. Indem Richard Nixon 1971 den »Krieg gegen den Krebs« (»war on cancer«) ausrief, erklärte der damalige US-Präsident der Krankheit gewissermaßen den Krieg. Fünfzig Jahre später weiß man sehr viel mehr über die Komplexität seiner Entstehung, sodass die Illusion eines endgültigen Sieges der Medizin über den Krebs unsinnig erscheint. Dem einzelnen Patienten kann der Mythos des Kampfes allerdings ein Gefühl von Würde, von Selbstachtung, Stärke und Kontrolle verleihen. Den Kampf aufzunehmen und aktiv zu gestalten befreit aus der Opferrolle. Auch wenn der Betroffene den Kampf verliert, kann er sich als tapferer und mutiger Kämpfer fühlen, der nie aufgegeben hat. Auf der anderen Seite kann der Kämpfermythos auch dazu führen, dass eine Verschlechterung der Krankheit auf mangelnden Kampfgeist zurückgeführt und somit als eigenes Versagen erlebt wird. Unhinterfragt kann sich der Mythos auch dahingehend auswirken, dass sich Patienten innerlich oder von außen gedrängt fühlen, aussichtslose und zugleich Leid bringende Kämpfe zu führen. Und selbst wenn die Krankheit überwunden wird, bleibt der Tod letztlich unvermeidlich. Kriegsmetaphern rufen Bilder des Kampfes zwischen dem Guten und dem Bösen hervor, zwischen Mächten des Lichtes und der Finsternis, zwischen Leben und Tod. Sie produzieren Sieger und Verlierer, maximal herrscht für eine gewisse Zeit Waffenstillstand.
Vorstellungen von Kampf und Krieg führen nicht selten zur symmetrischen Eskalation: Je größer die dem Feind zugeschriebene Bedrohung wird, desto gewaltvoller und radikaler werden die Waffen. So besteht die Gefahr, im Kampf gegen die Krankheit den Patienten als ganze Person zu vergessen. Körperteile werden in Operationen geopfert, Chemotherapien und energiereiche Strahlen werden in maximal tolerierbarer Dosis verabreicht, wobei oft erhebliche Schädigungen gesunder Zellen in Kauf genommen werden müssen. Viele Therapien sind invasiv und nebenwirkungsreich und beeinträchtigen die Lebensqualität. Manche – wie beispielsweise Knochenmarktransplantationen bei Leukämien – beinhalten sogar das Risiko, an den Folgen der Therapie zu sterben, das Auftreten weiterer Krebserkrankungen zu fördern und die Lebenserwartung insgesamt zu verkürzen. Obwohl der Preis hoch ist, wird er angesichts eines möglichen Gewinns bezahlt. Ob sich die Opfer lohnen, stellt sich im Einzelfall erst im Nachhinein heraus. Jeder Betroffene kann diese Frage nur für sich selbst beantworten.
Neben Kampf und Krieg finden sich rund um Krebs auch noch andere Metaphern. Die Metapher der Reise betont den prozesshaften zeitlichen und oft chronischen Verlauf einer Krebserkrankung. Der Mythos erinnert an die Heldenreisen der Antike, die Suche nach dem heiligen Gral oder an Entwicklungsgeschichten von Helden auf der Suche nach Weisheit. Auch krebskranke Menschen können sich als Helden erleben, die sich im gefährlichen Land von Krankheit und Tod oder in unbekannten Innenwelten wiederfinden und eines Tages gereift heimkehren. Manche Patienten vergleichen die Erfahrung des Überlebens der Erkrankung und der Therapie mit einer Neu- oder Wiedergeburt, der die Chance eines Neubeginns innewohnt.
Mythen und Metaphern wirken integrierend und sinnstiftend, indem sie helfen, Unbekanntes durch Analogien mit Bekanntem zu verstehen und Erfahrungen in ein größeres Ganzes einzuordnen. Sie sind Quellen von Symbolen, Bildern und Geschichten. Hypnotherapeutisch und systemisch (»hypnosystemisch«) geprägte Begleiter achten auf die Bilder und Metaphern des Patienten und auf deren Auswirkungen, also darauf, ob sie ihn befähigen und stärken oder einschränken und schwächen. Sie schlagen dem Patienten auch neue Bilder und Metaphern vor und geben Impulse, die zur positiven und heilungsfördernden Gestaltung seiner individuellen Wirklichkeit beitragen und inneren Frieden und Wohlbefinden möglich machen. In der Achtsamkeitspraxis übt man, immer wieder innezuhalten, um die Auswirkungen der inneren Bilder zu erkennen und im Beobachtermodus beispielsweise zu bemerken, wenn sich eine übermäßige Identifikation mit dem »Kämpfer« auf unheilsame Weise auswirkt.
Wenn heutzutage in der Onkologie von einer personalisierten Krebstherapie gesprochen wird, dann sind damit in der Regel Vorgehensweisen gemeint, bei denen die Tumorzellen eines Patienten molekularbiologisch untersucht werden. Dabei wird nach bestimmten Biomarkern gefahndet, um die Krebszellen an den veränderten Stellen zielgerichtet anzugreifen (»targeted therapy«).
Wenn wir in der Psychoonkologie und einer biopsychosoziospirituellen Praxis von einer individualisierten und maßgeschneiderten Therapie sprechen, so ist damit etwas weit Umfassenderes gemeint. Bei der Begleitung von Patienten mit Krebserkrankungen wird nicht nur der Tumor, sondern der ganze Organismus und die ganze Person mit ihren Bedürfnissen und Werten und in ihrer soziokulturellen Einbettung wahrgenommen und berücksichtigt. Die Geschichte der Krankheit und die Erfahrungen des Krankseins werden als Teil der Geschichte eines erkrankten Menschen verstanden. Die Bedeutung, die er seiner Erkrankung gibt, wird auf dem Hintergrund seiner aktuellen Lebensphase und Situation gesehen. Sie ist auch von jenen Geschichten geprägt, die in seiner Familie über Krebs erzählt werden und wurden, wie Verwandte oder Bekannte mit ihrer Krankheit umgegangen sind, wie sie mit ihr gelebt haben oder gestorben sind.
Eine auf den ersten Blick paradox erscheinende Frage ist bei chronischen Erkrankungen von großer Bedeutung: Wie viel Krankheit verträgt Gesundsein (Ebell 2017a)? Wie kann es also gelingen, dass sich Menschen trotz einer Krebserkrankung – selbst wenn sie fortschreitet – als erstaunlich gesund erleben? Auch diese Frage ist nur höchst individuell zu beantworten. Die Vorstellung eines Gesundheits-Krankheits-Kontinuums bietet eine konzeptuelle Basis für ein »Sowohl-als-auch«. So zeigt die Perspektive der Salutogenese, der Erforschung der Frage, wie Gesundheit entsteht, Wege auf, neben aller Krankheit auch Gesundheit und Gesundsein zu fördern (Abschn. 4.4). Das Ausmaß an Krankheit, das sich mit dem Gesundsein eines Menschen verträgt, ist erstaunlich groß, wenn er über Eigenschaften verfügt, die man als Resilienz zusammenfassen kann (S. 49 f.), und es trotz der Krankheit möglich ist, Gesundheitsziele zu verfolgen.
Das subjektive Erleben und das mit der Erkrankung verbundene Leiden des Patienten werden maßgeblich von der aktuellenKrankheitsphase geprägt. Zunächst stehen meist Diagnostik und Therapie mit der Hoffnung auf Heilung im Vordergrund. Es kann auch ein Rezidiv diagnostiziert worden sein oder sich die Aufgabe stellen, sich mit dem bevorstehenden Sterben auseinanderzusetzen.
Therapeutisch wirksame Kommunikation trachtet danach, all dies zu berücksichtigen. Sie betont neben einer arzt- und krankheitszentrierten Sicht die Bedeutung der individuellen Wirklichkeit des Patienten und seines subjektiven Erlebens und Leidens und orientiert sich primär an seinen Bedürfnissen. Sie versteht Kommunikation als eingebettet in eine therapeutische Beziehung und deren gesundheitsfördernde Auswirkungen. Therapeutisch wirksame Kommunikation fördert einen mehrfachen Perspektivenwechsel:
•vom Kampf gegen die Krankheit hin zu dem, was stattdessen wünschenswert ist
•von dem, was nicht (mehr) möglich ist, hin zu dem, was möglich ist
•von der Einengung der Aufmerksamkeit auf die Symptome der Krankheit hin zur Förderung gesunder Anteile
•von der Fokussierung auf Probleme hin zum Suchen, Finden und Fördern von Ressourcen.
Die therapeutisch wirksame Kommunikation bildet den Kern unseres Vorgehens (Abschn. 4).
Krebs als körperliche Erkrankung erfordert eine angemessene medizinische Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst. In der aktuellen Medizin ergeben sich diese Regeln aus der Praxis einer sogenannten evidenzbasierten Medizin (EbM). Wir beziehen uns dabei auf eine Definition, die unter EbM die Integration dreier Elemente versteht – der Expertise des Arztes, der Evidenz aus der Forschung und der Individualität des einzelnen Patienten (Sackett et al. 1996, S. 71; Übers. d. Verf.):
»Die Praxis der evidenzbasierten Medizin bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der besten verfügbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung. Mit individueller klinischer Expertise meinen wir das Können und die Urteilskraft, die Ärzte durch ihre Erfahrung und klinische Praxis erwerben. Ein Zuwachs an Expertise spiegelt sich auf vielerlei Weise wider […] und in einem umsichtigen und mitfühlenden Erkennen und Berücksichtigen der Problematik des individuellen Patienten, seiner Rechte und Präferenzen bei der klinischen Entscheidungsfindung für seine Behandlung.«
Krebserkrankungen und ihre Therapien stellen Belastungen dar, die nicht selten die unmittelbar Betroffenen und die mitbetroffenen Angehörigen an ihre Grenzen bringen. Auch dafür gilt es im Rahmen der onkologischen Behandlung Unterstützung anzubieten.
Die alltägliche Kommunikation mit den Patienten stellt eine große Herausforderung für alle Beteiligten dar: Dazu gehören die Gestaltung auch kurzer Patientenkontakte, die Art und Weise der Vermittlung bzw. des Austauschs von Information oder die Entscheidungsfindung bei der Erstellung eines Gesamtbehandlungsplans und dessen prozessorientierte Modifikation. Diese Herausforderungen werden im Klinikalltag keineswegs immer optimal bewältigt. Dabei entsteht viel unnötiges Leiden, oft aus Zeitmangel. Aber auch viele zeitsparende Möglichkeiten therapeutisch wirksamer Kommunikation verstreichen ungenutzt.
Allein schon die Kommunikation der beteiligten Behandler untereinander ist eine anspruchsvolle Herausforderung. Ist höchste medizinische Qualität gefragt, können nur mehr sogenannte Tumorboards die Zusammenschau der Befunde und das Abwägen der zunehmend komplexer werdenden Therapieoptionen wie Operationen, Chemotherapie und anderer Formen medikamentöser Therapie sowie Strahlentherapien und deren Timing leisten. Das sind regelmäßige Fallbesprechungen von Teams aus Vertretern diverser medizinischer Spezialfächer. Der Therapievorschlag wird im Idealfall aufgrund der aktuellen Studienlage evidenzbasiert auf die Krankheit hin optimiert. Wer in einer Zusammenschau aller relevanten Fakten mit dem Patienten spricht, ihn bei seinen Entscheidungsprozessen berät und unterstützt, das Vorgehen mit ihm abstimmt und danach auch über den weiteren Verlauf den Überblick behält, ist dann oft nicht mehr so klar und eindeutig festgelegt.
Die moderne Onkologie handelt arbeitsteilig und multiprofessionell. Am erfolgreichsten ist die Behandlung, wenn es gelingt, die Vielfalt des Wissens der beteiligten Berufsgruppen und Personen und deren Austausch als Bereicherung zu erfahren. Vom Spezialisten bis zum Hausarzt, vom Strahlentherapeuten bis zum Psychiater, von Pflegepersonen, Sozialarbeitern, Seelsorgern bis hin zum Psychoonkologen. Es bedarf gelingender Kommunikation, die Beiträge aller zu integrieren und gemeinsam mit dem Patienten einen Gesamtbehandlungsplan zu dessen Wohl auszuhandeln.
Die Sehnsucht vieler Patienten nach einem »Halbgott in Weiß«, der alles kann und weiß, ist gerade in Zeiten der Not gut nachvollziehbar. Im Idealfall laufen alle Fäden bei einer möglichst kontinuierlich und verlässlich zur Verfügung stehenden Person zusammen. Im optimalen Fall wäre das ein Onkologe mit medizinischer, psychosozialer und kommunikativer Kompetenz. Das Beiziehen von Spezialisten aus den sogenannten Psychofächern, sei es ein Psychoonkologe oder Psychiater, wird von Patienten oft als zusätzliche Stigmatisierung und auf der Beziehungsebene als Abweisung erlebt. Manchmal berät der Hausarzt den Patienten; an einigen Tumorzentren gibt es Case-Manager. Nach positiven Erfahrungen schreibt der Patient auch nicht selten dem Psychoonkologen die Rolle zu, ihm bei Entscheidungen beizustehen und ihn zu beraten.
Bei jeglicher Behandlung ist die Bildung einer therapeutischen Allianz Voraussetzung für deren Erfolg. Dazu bedarf es dreier Säulen: einer Vertrauensbeziehung, einer Übereinkunft über die Ziele und einer Einigung über die Mittel der Behandlung (Bordin 1979). Auf die Einbettung der Behandlung und Kommunikation in Beziehungskontexte werden wir im Rahmen unseres Konzepts in den Abschnitten 4.3 und 6.5.2 ausführlich eingehen. Für die unterschiedlichen Ziele in der Onkologie und die zu deren Erreichung eingesetzten Mittel gibt es eine Vielzahl von Spezialisten. Die Delegation der Aufgaben an verschiedene Personen und Berufsgruppen führt dazu, dass Patienten die Behandlung oft als fragmentiert erleben, weil häufig einer nicht vom anderen weiß, Informationen fehlen und sich deren Zielsetzungen nicht selten widersprechen oder gar nicht explizit zum Thema gemacht werden. Das Aushandeln einer Übereinkunft über die im Gesamtbehandlungsplan einzusetzenden Mittel ist jener Bestandteil einer therapeutischen Allianz, der in der Onkologie wohl am häufigsten zu kurz kommt.
Von den Behandlern wird viel erhofft und erwartet. Die Vielfalt der Bedürfnisse von Patienten kann nur aus einer entsprechenden Vielzahl von Rollen heraus erfüllt werden. Die Annahme, es könne eine Person geben, die all diese aus Patientensicht wünschenswerten Rollen erfüllt, erscheint unrealistisch.
Da ist die Rolle des medizinischen Spezialisten, der die Diagnostik beherrscht und über Therapieoptionen Bescheid weiß und diesbezüglich berät oder auf Wunsch des Patienten sogar entscheidet. Diese Rolle sollte sich mit der eines Kommunikationsspezialisten verbinden, der die Informationen individuell angepasst verständlich und in »verdaulichen« Portionen vermittelt. Er sollte dialogfähig sein, sich empathisch in den Patienten einfühlen können und ihn aus dieser Einfühlung heraus individualisiert beraten können. Er sollte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, Hoffnung und Zuversicht vermitteln und zugleich realistisch sein. Es sollte immer jemanden geben, der Lösungen für die ständig auftauchenden Probleme kennt oder der zumindest weiß, wer Ideen dazu haben könnte. Jemand sollte bei der Krankheitsbewältigung unterstützen und dem Patienten Erfahrungen von Selbstwirksamkeit ermöglichen, indem er ihn auch darin berät, wie dieser selbst zu seinem Wohlergehen beitragen kann. Wenn alles Mögliche getan, alles Lösbare gelöst und alles, was gesagt werden muss, gesagt ist, bedarf es einer professionellen, mitmenschlichen Präsenz (S. 171 ff.).
Diese vielen Rollen überfordern einen einzelnen Arzt. Zudem entsprechen sie kaum den Rollenbildern, die sich aus dem Selbstbild vieler Ärzte ergeben. Dieses ist in der Onkologie von den oben beschriebenen Mythen geprägt, vom Arzt als Kämpfer gegen den Krebs oder gar den Tod. Für manche Ärzte fühlt es sich an, als hätten sie selbst den Kampf verloren, wenn ihr Patient stirbt. In der klassischen Kampfmetapher gibt es nur zwei mögliche Ausgänge: Man wird zum Sieger oder Verlierer. In der modernen Krebsmedizin ist jedoch bei vielen Patienten, um in der Kriegsmetapher zu bleiben, ein länger dauernder Waffenstillstand ein angemessenes Ziel. Je ohnmächtiger sich Menschen fühlen, umso überlebensnotwendiger ist ein Erleben von Kontrolle. So wird in der Medizin viel getan, um Kontrollillusionen zu schaffen oder aufrechtzuerhalten. Dazu dienen auch Vorstellungen, Krebserkrankungen oder deren Therapie mit einfachen linear-kausalen Modellen erklären und beherrschen zu können.
Michael Balint (2019) benannte es schon vor über fünfzig Jahren als »apostolische Funktion des Arztes«, wenn dieser glaubt, er besäße die Offenbarung darüber, was das Richtige für den Patienten sei, und es sei seine heilige Pflicht, die Unwissenden und Ungläubigen unter den Patienten zu diesem, seinem Glauben zu bekehren. Es besteht die Gefahr, dass unter dem Mantel einer evidenzbasierten Medizin, die sich ausschließlich auf die Ergebnisse kontrollierter Studien bezieht, diese apostolische Funktion im Selbstverständnis von Ärzten wieder bestärkt wird. Balint hat seine Warnung bezüglich der apostolischen Funktion des Arztes noch durch das Bild der »Droge Arzt« bzw. des »Arztes als Arznei« ergänzt. Seine Ehefrau – die Psychoanalytikerin Enid Balint (1969) – hat den Begriff der patientenzentrierten Medizin geprägt und sich um deren Integration in ein ansonsten krankheitszentriertes Vorgehen bemüht.
Psychoonkologen stellt sich die Frage, wie sie den Patienten dabei unterstützen können, Menschen zu finden, die die für ihn notwendigen Rollen ausfüllen, und welche der geforderten Rollen sie selbst einnehmen können. Das hängt selbstverständlich auch vom Quellenberuf der psychoonkologisch Tätigen ab. Eine Rolle, die sich für uns Autoren bewährt hat, ist die eines Reisebegleiters (Ebell 2008b).