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In der Therapie von psychischen Störungen ergänzen sich Hypnose und Achtsamkeit in optimaler Weise. Das Wissen um die Grundlagen der Achtsamkeit und ihre Wurzeln in der buddhistischen Psychologie bereichert das therapeutische Vorgehen um Modelle zur Linderung von Leiden und das damit verbundene Erfahrungswissen. Für Therapeuten wie Klienten eröffnet das neue Wege der Stressbewältigung und Prophylaxe von Burnout, bei Depressionen, bei der Emotionsregulation, bei Traumafolgen und Angst, bei Schmerz, Sucht und Schlafstörungen, aber auch bei onkologischen Erkrankungen. Michael Harrer führt die Anwendung von Hypnose und Achtsamkeit in der Psychotherapie umfassend und fundiert zusammen. Das Buch diskutiert Wirkfaktoren, Möglichkeiten und Grenzen der kombinierten Nutzung und vermittelt gut nachvollziehbar deren praktische Umsetzung. Sie wird erleichtert durch Anleitungen zu Trancen und Achtsamkeitsübungen sowie durch Vorschläge zur wörtlichen Formulierung von Trancen bzw. von Trancebausteinen. Hinweise zur störungsspezifischen Kombination von Hypnose und Achtsamkeit helfen bei der gezielten Auswahl der beschriebenen Techniken.
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Seitenzahl: 368
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Carl-Auer
Michael E. Harrer
Zwei Schwesternauf dem Tandem
2018
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)
Jakob R. Schneider (München)
Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)
Dr. Therese Steiner (Embrach)
Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Berlin)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Themenreihe »Hypnose und Hypnotherapie«
hrsg. von Bernhard Trenkle
Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlagmotiv: © Christian Heidorn, www.christianheidorn.com
Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2018
ISBN 978-3-8497-0240-3 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8143-9 (ePUB)
ISBN 978-3-8497-8144-6 (PDF)
© 2018 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
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Tel. +49 6221 6438-0 • Fax + 49 6221 6438-22
Vorwort
Einführung
1Arbeitsdefinitionen
1.1Hypnose und Trance
1.2Achtsamkeit
1.3Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Synergien im Überblick
2Hypnose und Achtsamkeit in der psychotherapeutischen Praxis
2.1Anwendungskontexte und Praxis der Hypnose
2.2Anwendungskontexte und Praxis der Achtsamkeit
2.3Kombinierte Anwendung von Hypnose und Achtsamkeit
3Hypnose und Achtsamkeit – multiperspektivisch betrachtet
3.1Die psychische Dimension
3.2Die körperliche Dimension
3.3Die interpersonale und kollektive Dimension
3.4Die spirituell-religiöse Dimension
4Waking-up – Trance und Achtsamkeit als heilsame Bewusstseinszustände
5Growing-up – Entwicklungsförderung durch Hypnose und Achtsamkeit
6Wirkprinzipien von Hypnose und Achtsamkeit
6.1Differenzierung und Integration als übergeordnete Prinzipien von Entwicklung
6.2Wirkprinzip Aufmerksamkeitssteuerung
6.3Wirkprinzipien Regression, Progression und Fokussierung auf die Gegenwart
6.4Wirkprinzip Perspektivenwechsel: Assoziation, Dissoziation und Disidentifikation
6.5Wirkprinzipien Akzeptanz, Gleichmut und Selbstmitgefühl
6.6Wirkprinzipien Problemaktualisierung und korrigierende Erfahrungen
6.7Wirkprinzip Ressourcenorientierung
6.8Die therapeutische Beziehung als Wirkfaktor
7Voraussetzungen, Grenzen und Gefahren
8Störungsspezifischer Einsatz von Hypnose und Achtsamkeit
8.1Stressbewältigung und Prophylaxe von Burn-out: De-Hypnose, neue Muster bahnen und innehalten
8.2Depression: Wahrnehmen und Sein statt Gedankenwandern
8.3Emotionsregulation
8.4Traumafolgen: Aufwachen im Hier und Jetzt
8.5Angst: Sicher im inneren Hafen des Gewahrseins
8.6Schmerz: Den Schmerz und die Beziehung zum Schmerz verändern
8.7Sucht: Auf den Wellen des Verlangens surfen
8.8Schlafstörungen: Aufwachen, beobachten, sein lassen und akzeptieren
8.9Onkologische Erkrankungen: Kontrolle übernehmen und in der Gegenwart leben
Nachwort und Dank
Literatur
Über den Autor
Es ist seltsam, dass zwei uralte mentale Praktiken sich heute im Zeitalter der künstlichen Intelligenz in der Psychotherapie begegnen. Hypnose, ein Ritual, das sich schon frühzeitig bei fast allen Naturvölkern und später in vielen Hochkulturen findet – von Südamerika über Afrika und Europa bis in die Tundra –, und Achtsamkeit, die sich aus den buddhistischen Meditationstraditionen Asiens herleitet und mehrere tausend Jahre alt ist. Ich selbst bin durch die nun schon jahrelang währende Zusammenarbeit mit Halko Weiss in einem Paartherapie-Ausbildungsprogramm intensiv mit Achtsamkeit in Berührung gekommen, und Michael Harrer, den ich als Hypnotherapeuten schätze, stellt das Bindeglied zwischen uns und beiden Methoden dar.
Beide Vorgehensweisen streben veränderte Bewusstseinszustände an, die allgegenwärtige Beschwernisse des Lebens leichter ertragen lassen. Doch scheinen sie diametral entgegengesetzte Wege zu gehen. Achtsamkeit strebt Bewusstwerdung, Hypnose unwillkürliche Verarbeitung an, die ohne bewusste Einflussnahme stattfindet. Achtsamkeit lenkt den Blick auf das gegenwärtige Erleben, Hypnose hat Vergangenheit und Zukunft mit im Blick. Hypnose hat offensichtlich Veränderung zum Ziel; Achtsamkeit dagegen nimmt die Dinge so, wie sie sind. Hypnose nutzt oft die Regression in eine kindliche Lernhaltung; Achtsamkeit spricht den erwachsenen, selbstverantwortlichen Menschen an. Achtsamkeit hält dazu an, in einer beobachtenden Haltung zu bleiben, wogegen Hypnose die Menschen bestimmte Erfahrungen emotional absorbiert vorwegnehmen oder nacherleben lässt.
Michael Harrer beschreibt, wie diese komplementären Behandlungsmethoden sich nicht etwa gegenseitig ausschließen, sondern sich als Tandem in der Psychotherapie wirkungsvoll befördern. So möchte man mit Achtsamkeit jemanden aus einer Problemtrance dehypnotisieren und maladaptive Reaktionen deautomatisieren. Ergänzend kann man mithilfe von Hypnose den Patienten in eine Lösungstrance versetzen und adaptive Verhaltensmuster automatisieren. Man kann sogar posthypnotische Achtsamkeit in der Trance suggerieren. Mit Achtsamkeit lassen sich Fehlwahrnehmungen entdecken, die man mit Hypnose suggestiv korrigieren kann. Während die Disidentifikation von einer schmerzhaften Erfahrung u. U. eine große Herausforderung sein kann, lädt die hypnotische Trance dazu ein, durch Dissoziation dem Leiden seine affektive Macht zu nehmen.
Michael E. Harrer, der als Experte in beiden Feldern über lange Erfahrung verfügt, nimmt in diesem Buch eine differenzierte und tiefgründige Analyse der ungleichen mentalen Methoden vor. Hypnose und Achtsamkeit werden dem Leser in anschaulichen Beispielen und einer Vielzahl von praktischen Übungen nahegebracht, sodass er mühelos ihre Unterschiede und Überschneidungen einschätzen kann. Auch die neurobiologische Basis dazu wird in leicht verständlicher Form erläutert. Am Ende versteht der Leser, warum man gut daran tut, Hypnose und Achtsamkeit gleichermaßen als heilsame Bewusstseinszustände zu nutzen, was in der Anwendung in unterschiedlichen Gebieten wie Angst, Stress, Traumafolgestörungen oder Schmerz demonstriert wird. Übungen und Anleitungen helfen bei der konkreten Umsetzung in die Praxis.
Die Unterstützung von Veränderung einerseits und Gleichmut gegenüber den belastenden Momenten im Erleben andererseits können sich so wirkungsvoll ergänzen.
Dirk Revenstorf
Im Jahre 1888 wurde der 16-jährige Georges Gurdjieff Zeuge eines seltsamen Vorfalls: Er bemerkte einen kleinen Jungen, der weinte und sich auf eigenartige Weise bewegte. Er war in einem Kreis gefangen, den andere Jugendliche um ihn herum im Sand gezogen hatten. Als Gurdjieff einen Teil dieses »magischen« Kreises auslöschte, entstand eine Öffnung, die der Junge augenblicklich nutzte, um seinen Peinigern zu entkommen (Gurdjieff 2013). Gurdjieff war so beeindruckt, dass er später sein Leben der Frage widmete, in welchen Kreisen wir Menschen oft gefangen sind und wie wir uns aus ihnen befreien können. So wurde er zu einem Wegbereiter in einem Feld, um das sich dieses Buch dreht: dem Spannungsfeld zwischen heilsamen und unheilsamen Trancen und der Achtsamkeit, die uns aus diesen Trancen erwachen lässt.
Am Beginn meiner Tätigkeit weckten die von Milton Erickson inspirierten Therapieformen meine Begeisterung. Sie wurde später ergänzt durch die Leidenschaft für die Achtsamkeit, wie sie in der Hakomi-Methode vermittelt wird. So habe ich mich auf den Weg gemacht, beide in meiner psychotherapeutischen Praxis zu verbinden. Das Verständnis, das ich auf diesem Weg bisher erlangte, möchte ich mit Psychotherapeuten1 aller Schulen teilen. Ich möchte alle jene ansprechen, die mehr über Hypnosepsychotherapie und Achtsamkeit erfahren wollen, um sie für sich selbst und ihre Klienten zu nutzen.
Der erste Schritt der Integration von Achtsamkeit in die Psychotherapie besteht darin, sie für sich selbst zu entdecken und zu üben und den Klienten in der Therapie als achtsamer Therapeut in Zuständen von Achtsamkeit zu begegnen. Mit diesen Zuständen kann man auf unterschiedlichsten Wegen vertraut werden, sodass es auch Therapeuten gibt, die man als achtsam beschreiben könnte, obwohl sie noch nie etwas von Achtsamkeit gehört haben.
Viele Psychotherapeuten reklamieren für sich, die Achtsamkeit ohnehin schon in ihre Arbeit zu integrieren. Und sie haben recht, zumindest teilweise. Einzelne Elemente der Achtsamkeit finden sich in den unterschiedlichsten Psychotherapieverfahren, wie etwa die Akzeptanz, eine allparteiliche Beobachterhaltung, die Betonung des Hier und Jetzt, die »gleichschwebende Aufmerksamkeit« oder neue Wege des Umgangs mit Gedanken und Gefühlen, wie sie in der sog. dritten Welle der Verhaltenstherapie vermittelt werden. Man kann das Konzept der Achtsamkeit mit einem Haus vergleichen, dessen Zimmer großteils schon bekannt sind und doch in dieser Kombination zu einem neuen Haus werden. Wenn man sie als Teile dieser Ganzheit betrachtet, erscheinen die einzelnen Zimmer in einem neuen Licht.
Die Kenntnis der Konzepte rund um die Achtsamkeit und deren Nutzung in der Therapie wird als achtsamkeitsinformierte Therapie bezeichnet. Dabei muss die Achtsamkeit nicht explizit benannt werden. Das ist die zweite Form der Integration. Hierzu finden sich in diesem Buch Sichtweisen aus dem jahrtausendealten Erfahrungswissen der buddhistischen Psychologie. Sie beschäftigen sich mit der Entstehung und der Befreiung von Leiden und sind oft in Geschichten und Metaphern verpackt.
Die dritte Form der Integration ist die achtsamkeitsbasierte Therapie. Dabei wird die Achtsamkeit als Konzept und in Übungen vermittelt. Oft wird auch eine Achtsamkeitspraxis außerhalb der Therapiestunden empfohlen. Auch dazu sind eine Vielzahl von Übungsvorschlägen enthalten.
In einer achtsamkeitszentrierten Therapie, als vierte Form, wird die Achtsamkeit über längere Strecken durchgehend zur Selbsterforschung genutzt. Dabei sind sowohl der Therapeut als auch der Klient in einem Zustand der Achtsamkeit und wenden sich »online« der gegenwärtigen Erfahrung des Klienten zu. Auch zur Frage, wie und wozu man in der Therapie Zustände der Achtsamkeit einladen kann, gibt es viele Anregungen.
Hypnose und Achtsamkeit sind so verwandt und doch so verschieden, dass sie sich gut kombinieren lassen. Wie zwei Flüsse schlängeln sich beide nebeneinander durch die Landschaft, entfernen sich voneinander, nähern sich einander wieder an und manchmal fließen sie sogar ein Stück gemeinsam. Auch die Darstellungen in diesem Buch mäandern immer wieder zwischen beiden hin und her oder weisen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin. Nach Hinweisen auf die Kontexte, aus denen beide stammen, wird ihr Einsatz in der psychotherapeutischen Praxis erläutert. Bereits existierende Modelle der Integration von Hypnose und Achtsamkeit werden vorgestellt.
Zwei rote Fäden, die Trance und Achtsamkeit verbinden, durchziehen das Buch. Der erste bezieht sich darauf, dass beide als spezielle Zustände des Bewusstseins verstanden werden, die in der Psychotherapie zu Heilungsprozessen beitragen können. Dabei erweist sich aber nicht nur der Bewusstseinszustand der Klienten, sondern auch jener der Therapeuten als bedeutsam. Trancen führen aus alten Kreisen in neue Welten, sie ermöglichen gesundheitsfördernde und korrigierende Erfahrungen. Die Freiheit, sich auf neuen Wegen ganz selbstverständlich zu bewegen, kann man in Trance genießen und einüben. Achtsamkeit kann im Sinne einer De-Hypnose befreien, indem sie uns aus Alltags- und Problemtrancen erweckt (Waking-up).
Der zweite rote Faden betrifft die integrierende Wirkung von Hypnose und Achtsamkeit. Die Kreise, die wir mit ihrer Hilfe ziehen, werden weiter. Wir kommen mit immer größeren Bereichen unserer Innenwelt, mit unserem Körper, mit unserem erzählten Leben, mit anderen Menschen oder mit dem großen Ganzen in Kontakt und Resonanz. Hypnose und Achtsamkeit sind Wege, uns zu entwickeln und zu wachsen (Growing-up).
Das Kernstück des Buches bilden die folgenden sieben Wirkprinzipien von Hypnose und Achtsamkeit. Die Darstellung auf dieser Ebene soll der Vergleichbarkeit dienen, aber auch der Anschlussfähigkeit an das Vorgehen in anderen Schulen: (1.) Beide nutzen auf unterschiedliche Weise die Lenkung der Aufmerksamkeit. Dabei spielt bei der Achtsamkeit der Körper eine wichtige Rolle. (2.) In Trancen begibt man sich auf Reisen in die Vergangenheit und Zukunft. In der Achtsamkeit wendet man sich der Gegenwart zu. (3.) In der Trance lassen sich die erwünschten Erfahrungen assoziiert erleben und Unerwünschtes aus einer dissoziierten Wahrnehmungsposition betrachten. Das teilhabende Beobachten der Achtsamkeit ermöglicht eine Disidentifikation: Man kann Gedanken, Gefühle und Persönlichkeitsanteile zum Gegenstand der Beobachtung machen, sie auf neue Weise sehen und nutzen und ihnen ihre unheilsame Macht entziehen. (4.) Wenn es gilt, gewisse Erfahrungen so zu akzeptieren, wie sie sind, wirkt das Kultivieren von Gleichmut, Mitgefühl und Selbstmitgefühl. (5.) Hypnose und Achtsamkeit ergänzen einander in der Vermittlung von korrigierenden Erfahrungen und der dazu notwendigen vorangehenden Problemaktualisierung. (6.) Beide bereichern ein ressourcenorientiertes Vorgehen. (7.) Als Zustände der Therapeuten unterstützen beide die Gestaltung von heilsamen therapeutischen Beziehungen.
Weder die Hypnose noch die Achtsamkeit sind Allheilmittel, auch wenn wir uns das manchmal wünschen. Beide stoßen an ihre Grenzen, denn ihr Einsatz sollte nicht nur zum Therapeuten, sondern auch zum Klienten und zu dessen Problemen und Zielen passen. So gibt das letzte Kapitel Einblicke in die störungsbezogene Anwendung von Hypnose und Achtsamkeit im Tandem. Dabei werden die basalen Wirkprinzipien konkretisiert, wie sie in unterschiedlicher Ausprägung zum Einsatz kommen und das Vorgehen plausibel machen.
Das Buch richtet sich an Therapeuten, aber ebenso an Personen, die Achtsamkeit lehren. Diese Personengruppe soll es für jene suggestiven Elemente sensibilisieren, die in vielen Anleitungen rund um die Achtsamkeit enthalten sind. Einblicke in die Hypnotherapie sollen die feinen Unterschiede deutlich machen, wie man eher Trancen induzieren und wie man eher Erwachen und Achtsamkeit einladen kann. Das Buch will das Erfahrungswissen der Hypnotherapie für die Vermittlung von Achtsamkeit nutzbar machen.
Möge die Lektüre und das Experimentieren mit den Übungen Ihrem eigenen Wohl und jenem Ihrer Klienten dienen und zu mehr Lebensqualität, Gesundheit und Freude an der Arbeit beitragen.
Michael E. HarrerSalzburg, im März 2018
1In der Folge wird aus Gründen der Lesbarkeit nur die männliche Form genannt.
Definitionen von Hypnose werden der in ihr verborgenen Vielfalt nie gerecht, denn immer werden bestimmte Charakteristika hervorgehoben und andere müssen vernachlässigt werden. Milton Erickson soll auf die Frage nach einer Definition von Hypnose geantwortet haben:
»Was immer ich sage, dass es sei …, lenkt mich davon ab, die vielen Möglichkeiten zu erkennen und nutzbar zu machen, die da sind« (Gilligan 1991, S. 60).
Trotzdem wird immer wieder um Definitionen gerungen.
Definition von Hypnose der American Psychological Association (APA)
Die folgende Definition der APA entstammt einem Konsens eines Expertenkomitees aus dem Jahre 2014 (zitiert in Elkins et al. 2015):
Hypnose ist ein Bewusstseinszustand (state of consciousness), der eine fokussierte Aufsmerksamkeit und ein reduziertes peripheres Gewahrsein umfasst und der durch eine erhöhte Fähigkeit charakterisiert ist, auf Suggestionen zu reagieren (Elkins et al. 2015, Übers.: M. E. H.).
Hypnotische Trance
Hypnotische Trance ist ein Zustand, in dem man von bestimmten Wahrnehmungen oder Gedanken absorbiert ist, während andere Wahrnehmungen unter Umständen dissoziiert sind. Es ist ein Zustand innerer Offenheit, der Suchprozesse und kreative Lösungen ebenso erleichtert, wie sich auf bestimmte Vorstellungen einzulassen und andere loszulassen. Die dabei ablaufenden mentalen Prozesse sind unwillkürlich. Das Alltagsbewusstsein, das dazu tendiert, Wahrnehmen und Denken in bestimmte, gut gebahnte Richtungen zu drängen und andere Denk- und Wahrnehmungsmöglichkeiten auszuschließen, ist deaktiviert (nach Revenstorf 2017, S. 93–94).
Verwendung einiger Begriffe in diesem Buch
Hypnose: Ein meist ritualisiertes Vorgehen, bei dem eine Person eine andere dazu einlädt, in Trance zu gehen. Je nach Kontext unterscheidet man psychotherapeutische Hypnose, medizinische Hypnose, Bühnenhypnose etc. In der Selbsthypnose ist man gleichzeitig Anleiter und Angeleiteter.
Trancen: Bewusstseinszustände, über deren Charakteristika unterschiedliche Auffassungen bestehen. Je nach Kontext unterscheidet man hypnotische Trancen, Konversationstrancen, Alltagstrancen, schamanische Trancen etc., je nach Inhalten Problem-, Symptom-, Lösungs- und Ressourcentrancen. Sie können auf natürliche Weise spontan auftreten oder ausdrücklich eingeladen und induziert werden.
Hypnotherapie: Kommunikationsformen und Interventionen, die auf das Wirken von Milton H. Erickson aufbauen und im Wesentlichen von Mitgliedern der Milton H. Erickson Gesellschaften weiterentwickelt und vermittelt werden. Sie wird in andere Psychotherapieverfahren integriert, am häufigsten in die Verhaltenstherapie.
Hypnosepsychotherapie: Ein im österreichischen Psychotherapiegesetz anerkanntes eigenständiges Psychotherapieverfahren, bei dem Hypnotherapie in ein umfassenderes psychodynamisches Verständnis eingebettet ist (siehe Abschnitt 2.1.2, S. 29 f.). Die Unterscheidung zur Hypnotherapie ist in jenen Bereichen sinnvoll, in denen der spezifische Umgang mit der therapeutischen Beziehung von Bedeutung ist.
Wenn man Trancen als spezielle Bewusstseinszustände versteht, dann sind damit aus ericksonianischer Sicht Zustände gemeint, die auch ganz natürlich und spontan im Alltag auftreten. Sie sind dadurch charakterisiert, dass bestimmte Wahrnehmungen und Funktionen dem Bewusstsein nicht zugänglich sind, sie sind dissoziiert, d. h. unverbunden und somit nicht integriert. Die Einengung der Aufmerksamkeit führt dazu, dass man von einem bestimmten Bewusstseinsinhalt absorbiert ist. So ist man beispielsweise von einem spannenden Buch gefesselt oder hört nur die Worte des Hypnotiseurs, alles andere wird ausgeblendet. Zugleich erlebt man die eigene Innenwelt besonders intensiv und lebendig, denn worauf sich die Aufmerksamkeit richtet wird verstärkt und vertieft. Man kann Wünschenswertes und Zukünftiges imaginieren und Vergangenes erinnern und damit reaktivieren. Das kritische Denken tritt dabei in den Hintergrund, sodass im Möglichkeitsraum der Trance zuvor Unbekanntes und Unvorstellbares zu einer neuen inneren Realität wird. Anschließend wird das in der Hypnose Erlebte oft nicht mehr bewusst erinnert.
Wenn Suggestibilität als Merkmal hypnotischer Trancen genannt wird, so ist damit die Fähigkeit eines Individuums gemeint, die suggerierten Veränderungen in seiner Physiologie, in seinen Empfindungen, Gefühlen, Gedanken oder in seinem Verhalten umzusetzen (Elkins et al. 2015). Ein bedeutsamer Zweig der akademischen Hypnoseforschung beschäftigt sich mit der Erfassung der Suggestibilität von Versuchspersonen unter standardisierten Bedingungen. Die Suggestibilität wurde lange Zeit als ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal angesehen, bis nachgewiesen werden konnte, dass man sie trainieren kann. Schon Erickson hat oft viele Stunden dafür aufgewendet, um seine Klienten mit dem Erleben von Trancephänomenen vertraut zu machen, erst danach begann er mit der »eigentlichen« Trancearbeit. Es gibt aber auch Kritik an der These, die erhöhte Suggestibilität sei ein geeignetes Merkmal, Trancezustände zu definieren. Denn viele Menschen sind schon im Alltagsbewusstsein und unabhängig von speziellen Trancezuständen höchst suggestibel, sodass sich diese Fähigkeit dann in Trance nicht wesentlich verstärkt.
Sozialpsychologische Theorien gehen davon aus, dass der Hypnotisierte das ausführt, von dem er meint, dass es von ihm erwartet wird. In diesen Konzepten wäre Suggestibilität die Fähigkeit, expliziten und impliziten Instruktionen zur Rollenübernahme zu folgen.
Eine intersubjektive Sicht versteht das Gelingen therapeutischer Begegnungen als Resonanzphänomen. Sie berücksichtigt nicht nur den Kontext und die Einzigartigkeit des Klienten, sondern auch den Bewusstseinszustand des Therapeuten und seine Aufmerksamkeitssteuerung. Das Beziehungsangebot des Therapeuten bildet den Kontext, in dem der Klient im Zusammensein mit einem bedeutsamen Menschen neue Erfahrungen machen kann. Der Therapeut trägt dazu bei, die in seinen Klienten vorhandenen Ressourcen zu aktivieren, und schafft eine Atmosphäre, in der sie ihre Potenziale entfalten, sich entwickeln und aufblühen können.
Ebenso wie bei der Hypnose stoßen auch die Versuche, Achtsamkeit zu definieren und ihr Wesen in Worte zu fassen, bald an ihre Grenzen. So gibt es bis heute keine einheitliche und allgemein verbindliche Definition. Jon Kabat-Zinn (2011b), der wesentlich zur Verbreitung der Achtsamkeit in Medizin und Psychotherapie beigetragen hat, führte den Begriff der Achtsamkeit als »Schirmbegriff« (umbrella term) ein. Unter dem Dach der Achtsamkeit sollte in seinen Kursen vieles Platz haben, was ihm wichtig und wertvoll war.
Definitionen von Achtsamkeit
Die bekannteste Arbeitsdefinition von Achtsamkeit lautet: Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: absichtsvoll, gegenwärtig und nicht bewertend (Kabat-Zinn 2011b).
Andere Definitionen von Achtsamkeit – so wie die in diesem Buch vertretene – rücken den »inneren Beobachter« ins Zentrum. Für sie bedeutet Achtsamkeit das Erwachen eines inneren Beobachters bzw. den Wechsel der Perspektive in eine Beobachterposition und das Einnehmen eines Bewusstseinszustandes des rezeptiven Wahrnehmens und Beobachtens (siehe Abschnitt 6.4.5, S. 129 f.).
Shauna Shapiro und ihre Arbeitsgruppe (2006) definieren die Achtsamkeit über die drei Komponenten Aufmerksamkeit (Attention), Absicht (Intention) und Haltung (Attitude). Harrer und Weiss (2016) beschreiben vier Komponenten: (1.) Den »inneren Beobachter«, (2.) Aufmerksamkeitssteuerung und Bewusstheit über den jeweiligen Fokus der Aufmerksamkeit, (3.) Gegenwärtigkeit und (4.) Akzeptanz. Eine Haltung der Achtsamkeit entwickelt sich durch das regelmäßige Aufsuchen von Zuständen der Achtsamkeit im Rahmen einer kontinuierlichen Achtsamkeitspraxis.
Ulrike Anderssen-Reuster (2007) schreibt im Kontext von Psychotherapie und Psychosomatik: »Achtsamkeit ist ein Prozess, bei dem die Aufmerksamkeit nicht wertend auf den gegenwärtigen Augenblick gerichtet ist. Sie nimmt wahr, was ist, und nicht, was sein soll. Das heißt: Sie ist einerseits nüchtern, real, desillusionierend, andererseits annehmend, integrierend und vielleicht sogar auf mütterliche Weise liebevoll. Achtsamkeit ist aber noch mehr: Sie ist ein Instrument, um unsere affektiven, geistigen oder körperlichen Regungen in statu nascendi zu beobachten, und sie vermittelt den Kontakt mit der Gegenwart, die, wenn sie nicht explizit in den Blick genommen wird, häufig nicht wirklich erlebt wird« (S. 1).
In der folgenden Anleitung sind die wesentlichen Bausteine der Achtsamkeit eingebaut und in kursiver Schrift hervorgehoben. Das Verständnis der Achtsamkeit als überdauernde Haltung wird als »posthypnotische Suggestion« angefügt.
Anleitung zur Achtsamkeit mit psychoedukativen Elementen
Wenn Sie den Zustand der Achtsamkeit erforschen wollen, lade ich Sie ein, einfach bewusst wahrzunehmen, was im Augenblick da ist. Sie können sich der Außenwelt zuwenden und für ein paar Augenblicke ganz bewusst schauen, … für ein paar Momente ganz bewusst hören … und sich dann ganz bewusst dem Spüren zuwenden, etwa dem Kontakt mit dem Sessel, auf dem Sie sitzen … Es kommt aber noch etwas Entscheidendes dazu: die Bewusstheit darüber, dass Sie schauen, wenn Sie schauen, … die Bewusstheit darüber, dass Sie hören, während Sie hören, … die Bewusstheit darüber, dass Sie die Unterlage spüren, wenn Sie die Unterlage spüren. Wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit der jeweils gegenwärtigen Erfahrung zu, wie sie sich von Augenblick zu Augenblick entfaltet. Jetzt … und jetzt … und jetzt.
Sie haben die Wahl: Sie können sich mit Ihren fünf Sinnen der Außenwelt zuwenden. Sehen, hören, tasten, riechen, schmecken … Sie können sich aber auch Ihrer Innenwelt zuwenden und sie mittels »innerer Achtsamkeit« erforschen.
So können Sie sich Ihrem Körper zuwenden, etwa dem Atem. Vielleicht mögen Sie sich für ein paar Atemzüge bewusst machen, dass Sie atmen und woran Sie im Moment bemerken, dass Sie atmen, und aus einer neugierigen Haltung heraus erforschen: Was ist das genau – Atmen? … Buddha beschrieb es in einer Lehrrede zur Achtsamkeit so: »Der Mönch lang einatmend weiß, dass er lang einatmet. Der Mönch kurz einatmend weiß, dass er kurz einatmet. Der Mönch lang ausatmend weiß, dass er lang ausatmet. Der Mönch kurz ausatmend weiß, dass er kurz ausatmet.«
Das bewusste Wahrnehmen des Atmens und des Körpers führt immer wieder in die Gegenwart, ins Hier und Jetzt. Den Körper zu spüren ist eine gute Möglichkeit, sich im Hier und Jetzt zu verankern.
Sie können sich auch noch ein paar Atemzüge lang Ihrer Stimmung und Ihren Gefühlen zuwenden. Wie sind Sie da? Jetzt, … was meldet sich an Gefühlen? … Wie ist Ihre Grundstimmung heute? …
Vielleicht tauchen auch Gedanken oder innere Bilder auf. Auch diese können Sie beobachten, wie sie kommen und gehen …
Vielleicht ist es Ihnen möglich, der Erfahrung, wie sie sich von Moment zu Moment entfaltet, in einer Haltung der Offenheit zu begegnen, sich neugierig interessiert dem zuzuwenden, was im Feld der Aufmerksamkeit, in Ihrem Gewahrsein auftaucht. »Ah ja«, könnten Sie zu sich sagen, »da meldet sich ein Gedanke, … ich spüre den Boden unter den Füßen, … den Atem, … ein Gefühl von Dankbarkeit, einfach da sein zu können … Da taucht eine Traurigkeit auf, über die Vergänglichkeit des Lebens« – oder was auch immer. Vielleicht ist es Ihnen möglich, der Erfahrung zu begegnen, ohne sie zu bewerten, sie so zu nehmen, wie sie ist, ohne sie verändern zu wollen. Wenn nicht, können Sie die Ablehnung beobachten. »Ah ja, da ist wieder ein Teil in mir, der das gar nicht haben will.« Auch das können Sie freundlich betrachten.
Sie können diese Zustände der Achtsamkeit häufiger einnehmen und konkret üben, Ihre Aufmerksamkeit bewusst zu lenken und bei bestimmten Objekten zu verweilen. Wenn Sie diese Zustände des wohlwollend akzeptierenden Beobachtens, ohne zu reagieren, regelmäßig praktizieren, wird die Übung mit der Zeit immer müheloser und selbstverständlicher. Diese Zustände können Sie dann immer länger und auch in immer anspruchsvolleren Situationen einnehmen und halten. Wenn Sie regelmäßig Achtsamkeit praktizieren, wird sie zu einer inneren Haltung. Diese Haltung kann Ihre Lebensqualität erhöhen, Leiden verringern und inneren Frieden bringen.
Auch für die Achtsamkeit gilt, dass jede Definition bestimmte Aspekte hervorhebt und andere vernachlässigt. Ebenso wie der Trance wohnt der Achtsamkeit ein unerschöpfliches Potenzial inne, das sich in einem lebenslangen Übungsweg immer mehr erschließt. Man entwickelt Zustände und Fähigkeiten, die für Anfänger gar nicht vorstellbar sind.
Analog zur Trance kann man Achtsamkeit als einen speziellen Bewusstseinszustand verstehen. Er führt allerdings nicht zu einer Einengung der Aufmerksamkeit, sondern im Gegenteil zu einer Öffnung und größeren Weite, womit sie integrierend wirkt.
So wie die Trance ist die Achtsamkeit ein natürlicher Zustand, der vielen Menschen – zumindest ein Stück weit – auch ohne spezielles Training zugänglich ist. Entscheidend ist aber, dass Achtsamkeit in ihrem buddhistischen Ursprung als Übungsweg zur Befreiung vom Leiden konzipiert und vermittelt wurde. Im Folgenden wird die Auffassung vertreten, dass sich die Achtsamkeit aus verschiedenen Bausteinen zusammensetzt, die in höherem oder in geringerem Ausmaß vorhanden, mehr oder weniger stabil und mehr oder weniger verlässlich und flexibel abrufbar sein können.
Komponenten der Achtsamkeit
Das Konstrukt der »Achtsamkeit« hat mehrere Dimensionen und Komponenten. Diese werden in den verschiedenen Definitionen unterschiedlich betont und gewichtet. Man kann sich ein Achtsamkeits-Kontinuum vorstellen, auf dem die einzelnen Komponenten zu einem bestimmten Zeitpunkt in unterschiedlichem Ausmaß mehr oder weniger vorhanden sind.
Folgende Facetten und Dimensionen werden genannt:
1.Achtsamkeit ist mit einem bestimmten Modus des Seins verbunden:
·Man ist in einem Modus des rezeptiven Beobachtens und Gewahrseins. Innere und äußere Reize werden bemerkt und wahrgenommen.
·Die Aufmerksamkeit widmet sich dem gegenwärtigen Moment.
·Automatische Reaktionen auf innere oder äußere Erfahrungen werden unterlassen (Nichtreaktivität). Im Gegensatz dazu steht der sog. Autopilotenmodus, in dem man automatisch funktioniert und reagiert.
·Es besteht Bewusstheit über den Prozess der Aufmerksamkeitslenkung selbst, d. h. darüber, worauf sich die Aufmerksamkeit in jedem Moment richtet.
·Man beobachtet teilhabend – nichts ist abgespalten oder dissoziiert.
·Handeln erfolgt bewusst – während man etwas tut, weiß man, dass man es tut.
2.Achtsamkeit bedeutet eine bestimmte Haltung der Erfahrung gegenüber:
·Akzeptanz: Erfahrungen werden so akzeptiert, wie sie sind.
·Nichtbewerten: Erfahrungen werden nicht als gut oder schlecht bewertet. Wenn Bewertungen auftauchen, kann man sie als solche erkennen und zum Gegenstand der Beobachtung machen.
·Es besteht kein Veränderungswunsch. Wenn Veränderungswünsche auftauchen, kann man auch diese erkennen und zum Gegenstand der Beobachtung machen.
·Kein konzeptuelles Denken: Die aktuelle Erfahrung wird nicht in bereits bestehende Konzepte eingeordnet. Erfahrungen werden nicht mit vergangenen Erfahrungen verknüpft. Wenn Konzepte auftauchen, werden sie als solche erkannt. Auch sie können zum Gegenstand der Beobachtung gemacht werden.
·Anfängergeist: Die Dinge werden mit Interesse und Neugier auf eine Weise betrachtet, als ob man sie zum ersten Mal sehen würde.
·Zuwendung zur Erfahrung und Zulassen, im Gegensatz zu Vermeidung und Unterdrückung von bestimmten Erfahrungen.
·Intentionalität: Es besteht die Absicht, achtsam zu sein.
3.Achtsamkeitspraxis führt zu bestimmten intendierten Wirkungen:
·Entwicklung von Konzentrationsfähigkeit, verstanden als das Vermögen, sich dem zuwenden zu können und mit der Aufmerksamkeit dabei verweilen zu können, was einem wichtig ist
·Entwicklung von Einsicht und Klarblick: sich selbst und die Welt immer genauer so wahrzunehmen, wie sie ist
·Verfeinerte Selbstwahrnehmung
·Gleichmut, Ruhe und innerer Frieden
·Erhöhte Toleranz gegenüber aversivem Erleben
·Entwicklung der Freiheit zu wählen: zu handeln oder Handlungen zu unterlassen
·Befreiung von Leid in umfassendem Sinne oder von einzelnen Symptomen im Sinne einer Heilung
·Entwicklung von Selbstmitgefühl
·Entwicklung von liebender Güte, Mitgefühl und Mitfreude
·Intensivierung von Wahrnehmung und Erleben
·Erhöhte Lebensfreude und Lebensqualität
·Verbesserte zwischenmenschliche Beziehungen
·Verbesserte Selbstregulation
·Erhöhte Effektivität des Handelns
·Zunehmende Präsenz
·Öffnung für neue Erfahrungen
Häufig werden Auswirkungen und Folgen einer Achtsamkeitspraxis mit der Achtsamkeit selbst gleichgesetzt, denn oft ist das Ziel zugleich auch der Weg.
Als einer der Väter der modernen Bewusstseinsforschung stellte sich Charles Tart (2016) schon in den 1960er-Jahren die Frage nach den Unterschieden zwischen östlicher Meditation und Hypnose. Dabei stieß er auf die wichtige Unterscheidung zwischen konzentrativen Formen der Meditation und der Einsichtsmeditation. In den Anfängen der Meditationsforschung beschäftigte man sich hauptsächlich mit Zuständen konzentrierter, meditativer Versenkung und glaubte, sie damit fassen zu können, wenn man sie als Zustände tiefer Selbsthypnose erklärte. Tart deutet das als Versuch der westlichen Wissenschaft, das wenige, das man damals über Meditation wusste, zu objektivieren und einzuordnen und damit alles Unbegreifliche »wegzuerklären«. Für ihn leben wir in unserem Alltag in einer »Konsensus-Trance«, in der wir von Automatismen gesteuert sind, die sich durch ständige Wiederholungen eingeschliffen haben. In der Hypnose wird diese »Konsensus-Realitäts-Orientierung« vorübergehend ausgeblendet, sodass wir uns für Neues öffnen. Inspiriert vom »vierten Weg« (Ouspensky 2013) des spirituellen Lehrers Georges I. Gurdjieff sieht er die Achtsamkeit als Vehikel, um aus diesem automatischen Leben ohne Bewusstheit zu einer bewussten Existenz »aufzuwachen«. Tart hat im Labor von Ernest Hilgard gearbeitet, vertritt aber keinen therapeutischen Zugang. Er ist trotzdem der Auffassung, es sei sinnvoll, sowohl Hypnose als auch die Einsichtsmeditation für sich zu nutzen. Mit Hypnose oder Selbsthypnose können wir unsere Gedanken und Gefühle besser organisieren. Mithilfe der Einsichtsmeditation begeben wir uns auf Ebenen jenseits der Gedanken und Gefühle und berühren etwas Tieferes in uns, womit wir uns der Realisierung unseres ganzen Potenzials nähern.
Hypnose und ein achtsamkeitsbasiertes Vorgehen haben viel gemeinsam. Sie sind so verwandt und zugleich doch so unterschiedlich, dass sie einander gut ergänzen. Das ist die Grundthese, die dieses Buch wie ein roter Faden durchzieht. Spontane Zustände von Trance und Achtsamkeit kommen auf natürliche Weise in mehr oder weniger ausgeprägter Form bei allen Menschen vor. Sowohl Zustände von Trance als auch von Achtsamkeit können zu Zwecken der Heilung bewusst hervorgerufen werden. Insofern blicken beide auf eine jahrtausendealte Tradition zurück und haben zugleich ihren Platz in der modernen Psychotherapie.
Trance und Achtsamkeit sind höchst komplexe Phänomene, denen man am ehesten durch eine multiperspektivische Betrachtungsweise gerecht wird. Einheitliche und übereinstimmende Definitionen sind bei beiden nicht zu finden. Eine Schnittmenge ergibt sich, wenn man beide als Bewusstseinszustände versteht, die sich vom Alltagsbewusstsein unterscheiden und die man im Rahmen von Psychotherapien nutzen kann.
Die Prinzipien, die bei der Anwendung von Trance und Achtsamkeit wirksam werden, überschneiden sich. Da ist zunächst die Aufmerksamkeitslenkung, die bei der Induktion beider Zustände eine Rolle spielt. Bei der Hypnose engt sich das Feld der Aufmerksamkeit ein und intensiviert das Erleben dessen, worauf sich die Aufmerksamkeit richtet. Die in Trance befindliche Person ist in der Regel ganz von ihrem inneren Erleben absorbiert, das sich manchmal intensiver, lebendiger und realer anfühlt als das Leben im Alltagsbewusstsein. Dies führt dazu, dass in der Regel kein Bewusstsein darüber besteht, dass man in Trance ist.
Auch im Rahmen der Achtsamkeitspraxis kann sich das Feld der Aufmerksamkeit bei bestimmten Übungen auf ein Objekt konzentrieren und damit einengen. In ihrem Kern führt Achtsamkeit aber zu einer Erweiterung des Aufmerksamkeitsfeldes. Das schließt wesentlich mit ein, dass man sich nicht nur des Objekts der Beobachtung bewusst ist, sondern sich zugleich aus einer Metaposition auch dessen bewusst ist, dass man beobachtet.
In der Hypnose werden zwei Wahrnehmungsperspektiven unterschieden: Unsere übliche Perspektive ist eine egozentrische. Wir erleben etwas assoziiert, wenn wir als wahrnehmendes Zentrum der Welt unseren Körper innerhalb der Grenzen unserer Haut spüren, aus unseren Augen in die Welt hinausschauen und mit unseren Ohren hören, was rund um uns herum hörbar ist. Im Gegensatz dazu versteht man unter dissoziiertem Wahrnehmen, wenn man sich wie von außen sieht und sich selbst zuschaut, wenn man darüber nachdenkt, wie es einem wohl geht, oder wenn man von sich in der dritten Person spricht.
In der Achtsamkeit werden beide Positionen verbunden, indem man teilhabend beobachtet. Man nimmt wahr und spürt wie im assoziierten Erleben, schaut sich aber zugleich dabei zu. Der Wirkmechanismus, der das ermöglicht, heißt Disidentifikation. Die Vorstellung eines inneren Beobachters hilft dabei, dieses gleichzeitige Erleben zu vermitteln und anzuregen.
Der nächste allgemeine Wirkfaktor der Psychotherapie, der sowohl in der Hypnose als auch beim achtsamkeitsbasierten Vorgehen eine Rolle spielt, ist die sog. Problemaktualisierung. Der Zugang zum Erleben erfolgt jedoch in den beiden Methoden auf unterschiedliche Weise: bei der Hypnose zumeist top down, bei der Achtsamkeit primär bottom up.
Eine Anleitung in der Hypnose könnte lauten: »Versetzen Sie sich einmal in die Situation, in der sich das gezeigt hat, was Sie bearbeiten wollen. Welche Bilder tauchen auf, was sehen Sie, was hören Sie, wie ist die Szene?« Der primäre Zugang zur Erfahrung erfolgt meist über szenische Imaginationen »top down«. D. h., bei der Vorstellung wird in der Gehirnrinde ein bestimmtes Erregungsmuster aktiviert, das sich auch körperlich, etwa auf muskulärer Ebene, auswirkt. Auch wenn manchmal mit den körperlichen Komponenten des Zustandes weitergearbeitet wird, erfolgen in der Hypnose die Neukonstruktionen von Erinnerungen oder eine Progression in die Lösung meist dissoziiert auf der imaginativen Ebene. Die Anregung eines assoziierten Erlebens des Lösungszustandes erfolgt oft erst als Abschluss am Ende der Trance.
In der Achtsamkeit wird dem Körper eine besondere Bedeutung zugemessen. Zumeist dient er als primärer Ausgangspunkt. »Spüren Sie nach, wie sich Ihr Körper in dieser Situation angefühlt hat. Wo ist dieses Gefühl im Körper am ehesten lokalisiert? Wo ist er angespannt, welche Bewegungsimpulse melden sich?« Wenn man dann danach fragt, welche Bilder zu diesem körperlichen Aktivierungsmuster auftauchen und welche Erinnerungen, dann läuft die Erregung vom Körper ausgehend »bottom up« zur Hirnrinde. In der Hypnose findet sich ein analoges Vorgehen in der sog. »Affektbrücke«.
Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass es sinnvoll ist, beide Zugangswege zu nutzen und zwischen ihnen hin- und herzupendeln. Was bewirken die inneren Bilder, Gedanken und Erinnerungen im Körper? Welche inneren Bilder, Gedanken und Erinnerungen werden durch bestimmte Körperhaltungen, bestimmte muskuläre Erregungsmuster, bestimmte vegetative Erregungszustände oder die Fokussierung auf bestimmte Körperteile, Körperempfindungen oder Körperfunktionen ausgelöst? Wie wirken sich diese inneren Bilder und Gedanken dann wiederum auf den Körper aus? Die Arbeit an diesen Wechselwirkungen zwischen »Körper und Geist« (body and mind) zeichnet ein achtsamkeitszentriertes Vorgehen aus.
Aber nicht nur Probleme können aktualisiert werden. Sowohl Hypnose als auch Achtsamkeit eröffnen Zugänge zu Ressourcen und realisieren damit den Wirkfaktor der Ressourcenaktivierung. Die Übung zur Selbsthypnose und die Achtsamkeitspraxis können dazu verhelfen, bestimmte adaptive und heilsame Zustände flexibel aufzusuchen. Beide leisten bei der Emotions- und Selbstwertregulation wertvolle Dienste. Die Fähigkeit, in Trance zu gehen und dabei die Welt und sich selbst auf eine gewünschte Weise verändert zu erleben, ist eine wertvolle Ressource. Auch die Achtsamkeit wird zur Ressource, wenn man sie als Fähigkeit betrachtet, auch in schwierigen Situationen im neugierigen, wohlwollenden, akzeptierenden und zugleich teilhabenden Beobachten verweilen zu können – ohne primär etwas verändern zu müssen.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Hypnose und Achtsamkeit liegt im Umgang mit unwillkürlichen und automatischen Vorgängen. In der Hypnose liegt der Fokus auf unwillkürlichen Prozessen mit der Absicht, diese im Sinne der Heilung zu nutzen. Durch ein zieldienliches Reframing können Symptome und andere spontan auftretende, unwillkürliche Prozesse, aber auch bewusst evozierte Trancephänomene utilisiert werden. In der Therapiestunde zielt die Achtsamkeitspraxis zunächst darauf ab, unwillkürliche und automatische Prozesse zu bemerken und zu erforschen. Man erlangt Einsichten in die Entstehung von Leiden, wodurch sich neue Möglichkeiten eröffnen.
Wenn Zustände von Achtsamkeit dann auch im Alltag selbstverständlicher werden, kann man immer früher bemerken, wenn sich dysfunktionale Automatismen im Verhalten durchzusetzen drohen. Eine Achtsamkeitspraxis erhöht die Fähigkeit, innezuhalten und zu erkennen, welches »Programm« gerade läuft. Diese Erkenntnis eröffnet die Möglichkeit, gleichsam die »Reset-Taste« zu drücken. Im Zustand der Achtsamkeit lässt sich aus einer umfassenderen Wahrnehmung der Situation leichter erkennen, welches Programm angemessen wäre. Eine »Selbsthypnose« kann dieses Programm dann aktivieren.
Wenn solche Programme, d. h. für bestimmte Situationen angemessene Verhaltensbereitschaften, bei einem Klienten noch nicht vorhanden sind, ist es notwendig, neue Verhaltensweisen zu bahnen und zu automatisieren. Die Hypnose stellt dazu ein reiches Repertoire zur Verfügung. In der Computerwelt spricht man von Bugs und Patches. Als Bugs (Fehler, Käfer) werden Fehler in Programmen bezeichnet, als Patches (Flicken, Pflaster) kleine Subprogramme, die man herunterladen kann, um Fehler zu beheben, aber auch, um ein Programm mit neuen Möglichkeiten auszustatten. So gesehen würde Achtsamkeit dazu beitragen, die Bugs zu erkennen. Mittels Hypnose werden dann die passenden Patches entwickelt, in die alten Programme integriert und wiederum automatisiert (Metten 2012).
Im folgenden Kapitel werden die Kontexte der Anwendung von Hypnose und Achtsamkeit, die mit ihnen verknüpften Bilder und Erwartungen und die Ziele ihrer Anwendung diskutiert. Die Abschnitte zur Praxis geben erste Einblicke in das konkrete Vorgehen. Den Abschluss des Kapitels bildet ein Überblick über bisher publizierte Möglichkeiten ihres Einsatzes im Tandem.
In der Hypnose wissen wir um die Bedeutung von Erwartungen und inneren Bildern. So lade ich Sie ein, sich etwas Zeit zu geben, Bilder auftauchen zu lassen, die Sie mit der Hypnose verknüpfen … Vielleicht sind es die Spiralen in den Augen der Schlange Ka im Dschungelbuch oder Bilder von Hypnoseshows im Fernsehen. Vielleicht tauchen auf einer inneren Reise durch die Geschichte der Hypnose Schamanen oder Medizinmänner auf, die sich selbst in Trance versetzen, oder weiß gewandete Priesterärzte und Kranke im Tempelschlaf …, vielleicht Franz Anton Messmer, wie er mit den Händen über seine Patientinnen streicht, oder das berühmte Bild von Charcot, wie er an der Salpêtrière in Paris seine Lieblingspatientin Blanche Wittmann hypnotisiert …, oder Milton Erickson. Manche hören vielleicht sogar seine Stimme, die uns überallhin begleitet. Manche werden Stephen Gilligan oder Gunther Schmidt mit seiner humorvollen Art vor sich sehen. Ein kleiner Leserkreis erlebte vielleicht Dirk Revenstorf und Halko Weiss auf Mallorca, wie ein Meister der Hypnose mit einem Meister der Hakomi-Therapie zusammenarbeitet …
Diese verinnerlichten Bilder prägen aber nicht nur die Erwartungen unserer Klienten, sondern auch unsere eigenen mehr oder weniger bewussten Vorstellungen darüber, wie Therapeuten zu sein und was sie zu tun haben. Die Bilder repräsentieren auch unterschiedliche Generationen der Hypnose: In der ersten Generation wurden wie bei Messmer und Charcot dem Hypnotiseur besondere Fähigkeiten zugeschrieben. In der zweiten Generation, vertreten durch Milton Erickson, ist das Unbewusste des Klienten die Quelle von Wissen um die Möglichkeiten zur Veränderung. In der dritten Generation der Hypnose weist die »generative Trance« (Gilligan 2014) durchaus Ähnlichkeiten mit der Achtsamkeit auf.
Im medizinischen Kontext wird die Hypnose auf vielfältige Weise angewendet, z. B. beim Zahnarzt, bei Schmerzen, in der Psychosomatik, in der Geburtsvorbereitung, in der Rehabilitation, bei ärztlichen Untersuchungen oder operativen Eingriffen. Das vorliegende Buch beschränkt sich auf die Anwendung der Hypnose und die Nutzung von Trancezuständen im Rahmen von Psychotherapien. Ziel dieser Anwendung ist es, Symptome zu verringern oder die Einstellung ihnen gegenüber zu verändern bzw. Entwicklung zu fördern und abgespaltene Anteile zu integrieren.
Trance kann in der Psychotherapie als Hypnose explizit eingesetzt werden. Dabei werden Trancen durch formale Tranceinduktionen hervorgerufen, die als solche definiert und vielfach ritualisiert sind. Trancen treten aber auch ohne formale Tranceinduktionen auf, etwa durch die Fokussierung auf belastende Inhalte oder Erinnerungen. Bei der Konversationstrance richtet sich der Fokus der Aufmerksamkeit des Klienten spontan oder gelenkt nach innen, was oft Trancezustände auslöst, die dann vertieft und genutzt werden.
Als natürliche Zustände treten Trancen auch außerhalb der Psychotherapiestunde im Alltag der Klienten auf. Diese können dort mehr oder weniger unbemerkt bleiben oder als Problem-Trancen Leiden verursachen und die Klienten in Therapien bringen. So lassen sich bestimmte Symptome als Trancephänomene beschreiben – wie eine verzerrte Wahrnehmung, das Ausblenden von Anteilen der Erfahrung oder unwillkürliche Vorgänge, die das Verhalten und Denken der Klienten beherrschen.
Psychotherapie bedeutet in diesem Modell, Möglichkeiten zu erlernen, aus diesen Problem-Trancen auszusteigen, und stattdessen Ressourcen zu aktivieren und einen flexiblen Zugang zu Lösungs-Trancen zu gewinnen. Ein Modell, das genau mit diesem Wechsel von Problem-Trancen und Lösungs-Trancen arbeitet und speziell auch deren körperliche Aspekte nutzt, ist die Problem-Lösungs-Gymnastik (Schmidt 2010; siehe Abschnitt 6.4.2, S. 127).
Ein weiterer bedeutsamer Anwendungskontext von Trance ist der gezielte Einsatz heilsamer Formen der Selbsthypnose außerhalb der Therapiestunde. In diese Richtung gehen bestimmte Formen von Entspannungstrainings, etwa die Autosuggestionen im Rahmen von autogenem Training, Imaginationen zum Einschlafen oder der selbstständige Einsatz der Problem-Lösungs-Gymnastik.
Ziele der Anwendung von Trance in der Psychotherapie
Die Ziele, mit denen Trance in der Psychotherapie eingesetzt wird, sind vielfältig:
·Auf der körperlichen Ebene bewirken Trancen meist eine muskuläre Entspannung und eine psychovegetative Umschaltung. Das Immunsystem wird aktiviert, Stressreaktionen werden vermindert und Regeneration wird angeregt.
·Die Suggestibilität lässt sich zur Verringerung von Symptomen nutzen, wie auch für Verhaltens- und Einstellungsänderungen und zur Anregung von Heilungsprozessen.
·Dissoziiertes Erleben schafft Abstand. Wenn das Ziel darin besteht, besser in Kontakt mit einer Erfahrung zu kommen, lädt man assoziiertes Erleben ein.
·Im Sinne des Probehandelns in Trance können bestimmte Verhaltensweisen, Denkweisen oder neue Formen der Selbstregulation angeregt, ausprobiert und in ihrer Wirkung erfahren werden.
·Die Aktivierung und Intensivierung des Vorstellungsvermögens in Trance ermöglicht die Imagination von Heilungsvorgängen und die Symbolisierung auch ängstigender Inhalte und Vorgänge.
·Trance ermöglicht die Mobilisierung von Ressourcen und Zugänge zu implizitem Wissen. Sie aktiviert Erinnerungen an vergessene Erfahrungen und archetypische Bilder. All das kann zu einer verbesserten Problemlösung und Lebensbewältigung, aber auch zu einer höheren Lebensqualität beitragen.
·Die in Trance spontan auftretende oder induzierte Regression ermöglicht das Aufsuchen prägender biografischer Szenen und von traumatischen Erfahrungen. Diese Problemaktualisierung ist die Basis für die Verknüpfung des damaligen Erlebens mit neuen, korrigierenden Erfahrungen auch im Sinne einer »Nachbeelterung«.
·In Trance ist es leichter, neue Perspektiven einzuführen, Symptome und Belastendes in einem neuen Licht zu sehen bzw. auf stärkende Weise umzudeuten (vgl. Revenstorf 2015).
In der Hypnosepsychotherapie spielt das sog. Unbewusste eine große Rolle. Wenn vom Unbewussten die Rede ist, können das dynamische Unbewusste als Ort alles Verdrängten, das implizite Wissen oder das kreative Unbewusste gemeint sein. Metaphorische Beschreibungen des Unbewussten reichen von einer Schlangengrube über eine Schatzkiste bis hin zu einem Reservoir, das die Weisheit der gesamten Menschheit enthält. Wenn Milton Erickson vom Unbewussten sprach, meinte er damit den höchst individuellen Speicher an allem, was ein Mensch im Laufe seines Lebens erlebt, gelernt und an Fähigkeiten und Wissen erworben hat. Aus diesen Konzepten des Unbewussten ergeben sich unterschiedliche Ziele in der Therapie, zu deren Erreichung die Hypnose eingesetzt wird.
Neben der Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Prozessen spielt in der Hypnose auch die Differenzierung zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Vorgängen eine große Rolle. So werden Leidenszustände und Symptome als unwillkürlich auftretend erlebt: »Es schmerzt«, bei der Sucht geht »Es« mit mir durch oder »die Depression« ist über mich gekommen. Versuche der willkürlichen Kontrolle bleiben erfolglos. In der Hypnose wird geübt, unwillkürliche Vorgänge zu bemerken, zuzulassen, um sie schlussendlich zieldienlich zu nutzen. Jenen treibenden Kräften, die zum unwillkürlichen Verhalten führen, wird eine positive Absicht unterstellt. Diese Absicht gilt es zu ergründen, zu würdigen und auf eine heilsamere Weise zu verfolgen.
Im Rahmen von Psychotherapie wird die Hypnose in der Regel mit anderen psychotherapeutischen Ansätzen kombiniert, etwa mit der kognitiven Verhaltenstherapie. Aufgrund des österreichischen Psychotherapiegesetzes versteht die »Österreichische Schule der Hypnose« die Hypnosepsychotherapie als ein eigenständiges, integratives, psychodynamisch orientiertes Psychotherapieverfahren (Kanitschar 2009). Auf dieses Gesamtkonzept bezieht sich der umfassende Begriff der »Hypnosepsychotherapie«. Dieser wird in Abgrenzung zum enger gefassten Terminus »Hypnotherapie« verwendet, mit dem ericksonianische Konzepte und deren Weiterentwicklung gemeint sind, wie sie in den Milton H. Erickson Gesellschaften vermittelt werden. Diese sind im Wesentlichen in der Hypnosepsychotherapie inkludiert. Die Unterscheidung zwischen Hypnotherapie und Hypnosepsychotherapie ist insofern von Bedeutung, als in der Hypnosepsychotherapie als psychodynamisch orientiertem Verfahren der therapeutischen Beziehung eine besondere Bedeutung zugemessen wird.
Die Darstellung der Praxis der Hypnose gliedert sich in drei Abschnitte: die Beschreibung (1.) der drei Modi des hypnosepsychotherapeutischen Vorgehens, (2.) von Prinzipien einer Tranceinduktion und (3.) der Selbsthypnose.
Abhängig vom Strukturniveau, der Symptomatik und den Anliegen der Klienten lassen sich drei idealtypische Modi des hypnosepsychotherapeutischen Vorgehens unterscheiden, die im Therapieverlauf ineinander übergehen können (vgl. Kanitschar 2009): (1.) Modus der Ich-Stärkung: Strukturbildung, Ressourcenaufbau und Übung. (2.) Hypnoanalytischer Modus: Einsicht, Konfliktbearbeitung, Problemaktualisierung und Vermittlung korrigierender emotionaler Erfahrungen. (3.) Modus der Zukunfts- und Lösungsorientierung.
1)Im Modus der Ich-Stärkung suchen Klienten in der Trance konfliktfreie innere Räume auf, um narzisstisch aufzutanken. Sie aktivieren und entwickeln Ressourcen, sie differenzieren und integrieren Ego-States, werden zur Selbstfürsorge angeregt und üben die Selbstbeelterung von kindlichen Anteilen. In verhaltensorientierten Trancen können sie Möglichkeiten ausprobieren, etwa im Umgang mit Aggressionen und zur Abgrenzung. Die in diesem Modus im Vordergrund stehenden Wirkprinzipien sind Strukturbildung, Ressourcenaufbau und Einübung neuer Fertigkeiten auf der Basis einer therapeutischen Beziehung, in der neue und korrigierende Beziehungserfahrungen möglich werden.
2)Der hypnoanalytische Modus beschreibt eine psychodynamische Handhabung der Hypnose etwa im Sinne einer psychodynamisch orientierten Analyse der therapeutischen Beziehung und von hypnotischen Zuständen. Im Vorgehen, wie es von Fromm und Brown (1986) beschrieben wurde, finden sich aufdeckende Techniken wie die Hypnoprojektion, bei der Objekte der Außenwelt als Projektionsschirm für innere Vorgänge dienen. Altersregression wird beispielsweise über die Affektbrücke angeregt, Nachtträume werden in der Hypnose weitergeträumt. Auch die Selbsthypnose wird eingesetzt, um »Material« zu gewinnen.
3)Im Modus der Zukunfts- und Lösungsorientierung gibt es unterschiedliche Formen der Progression: Zukunftsprogression, Lösungsprogression und strukturelle Progression (siehe Abschnitt 6.3