"Ich dichtete und lief in der Revolution herum" - Petra Wucher - E-Book

"Ich dichtete und lief in der Revolution herum" E-Book

Petra Wucher

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Beschreibung

17 Jahre ist Oskar Maria Graf, als er es in der elterlichen Bäckerei in Berg nicht mehr aushält und sich nach München aufmacht. Der jugendliche Ausreißer muss sich als Gelegenheitsarbeiter, als Liftboy und als Hilfsarbeiter in der Tivolimühle, sein Brot verdienen. Die Revolution 1919 erlebt Graf voller Hoffnung, Zweifel und innerer Zerrissenheit. Er beteiligt sich an Demonstrationen und wird Zensor während der Räterepublik, gleichzeitig feiert er wilde Feste mit seinen Bohemien-Freunden und macht als Schieber schnelles Geld. Erst in den 1920er-Jahren gelingt ihm der schriftstellerische Durchbruch. Von nun an erobert sich Graf seinen Platz im Literaturbetrieb der Stadt - bis 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernehmen und ihn aus dem Land vertreiben.

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Allitera Verlag

Münchner STATTreisen • Band 5

Bisher erschienen:

Susanna Lajtos

In luxuriösen Betten

Münchner Nobelherbergen und ihre Geschichte

(Band 1)

Christian Ertl

Macht’s den Krach leiser!

Popkultur in München von 1945 bis heute

(Band 2)

Kristin Holighaus & Barbara Reis

»Das verfluchte Nest!«

König Ludwig II. und München

(Band 3)

Angelika Dreyer & Carmen Finkenzeller

Auf geht’s, auf d’Wiesn!

Ein Spaziergang über das Oktoberfest

(Band 4)

Ernst Wagner, Stefan Jakob Wimmer & Leyla Sedghi

Isar-Arabesken

Spuren des Orients in München

(Band 6)

Petra Wucher

»Ich dichtete und lief

in der Revolution herum«

Oskar Maria Grafs Münchner Jahre 1911 bis 1933

Allitera Verlag

Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

Juli 2012

Allitera Verlag

Ein Verlag der Buch&media GmbH, München

© 2012 Buch&media GmbH, München

Redaktion: Dietlind Pedarnig, München

Layout: Kay Fretwurst, Freienbrink

Umschlaggestaltung: Dietlind Pedarnig & Alexander Strathern, München Gestaltung Stadtpläne: Victoria Keller, München Oskar-Maria-Graf-Icon: Friedrich Wall, Freienbrink

Druck und Bindung: Edica S.L.

Printed in Europe · ISBN 978-3-86906-104-7

INHALT

STANDPUNKT 1 · STARNBERGER FLÜGELBAHNHOF

Oskar reißt aus

STANDPUNKT 2 · ZWEIGSTRASSE 10

Der Dichter und das liebe Geld

STANDPUNKT 3 · ADOLF-KOLPING-STRASSE 1

Schuften und schreiben

STANDPUNKT 4 · STACHUS

Patrioten und Pazifisten

STANDPUNKT 5 · SCHRAUDOLPHSTRASSE 36

Eheprobleme und erste Erfolge

STANDPUNKT 6 · SCHNORRSTRASSE 3

Der Dichter läuft in der Revolution herum

STANDPUNKT 7 · SCHELLINGSTRASSE 62

Graf und die Nationalsozialisten

STANDPUNKT 8 · BARER STRASSE 37

Ruhm und Geld

STANDPUNKT 9 · TÜRKENSTRASSE 57

Schwarzmarkt und Schreibmaschine

STANDPUNKT 10 · GESCHWISTER-SCHOLL-PLATZ 1

Exil ohne Rückkehr

Anhang

Zeittafel

Chronologie der Graf-Erstausgaben

Graf-Bibliografie

Graf-Filmografie

Sekundärliteratur

Bildlegende

Bildnachweis

Dank

Standpunkt 1 · Starnberger Flügelbahnhof

Oskar reißt aus

Mit 300 Mark und einem Koffer kommt der 17-jährige Oskar Graf im September 1911 mit dem Zug aus Starnberg am Münchner Hauptbahnhof an. Der jugendliche Ausreißer hat sein Ziel, die Stadt München mit ihren damals über 600 000 Einwohnern, erreicht. Hier will er ein neues Leben beginnen und sein Glück als Dichter machen. Oskar hat sein Heimatdorf Berg am Starnberger See verlassen, um den Schlägen und dem strengen Regiment seines ältesten Bruders Max zu entkommen.

Kindheit in Berg

Am 22. Juli 1894 wird Oskar Maria Graf in Berg am Starnberger See geboren. Damals hieß er noch ganz schlicht Oskar Graf. Das »Maria« fügt er seinem Namen erst 1917 hinzu. Seine Eltern Theresia Graf, geborene Heimrath, und Max Graf betreiben in Berg in der heutigen Grafstraße 9 eine Bäckerei und einen Kolonialwarenladen, in dem die Dorfbewohner alles für den täglichen Bedarf kaufen können. Zu Lebzeiten von Ludwig II. beliefert Grafs Vater die königliche Entourage auf Schloss Berg mit frischen Semmeln.

Gedenktafel am Geburtshaus in Berg.

Max und Theresia Graf haben insgesamt elf Kinder, von denen drei früh sterben. Von den überlebenden acht Geschwistern ist Oskar der zweitjüngste. Nach ihm wird 1896 noch Anna Maria, genannt Nanndl, geboren. Die beiden Nesthäkchen verbindet eine innige Beziehung. In »Der Quasterl« gibt Graf ein eindrückliches Bild von seinen Geschwistern, das in seinen anderen Werken oftmals sehr subjektiv ausfällt.

Das Geburtshaus von Oskar Maria Graf in Berg, 2011.

Familie Graf vor ihrem Laden in Berg. Hinten, von links: (vermutl.) Eugen, Therese, Vater Max, Magd Steffi, Max, Lorenz, Magd, Maurus, Mutter Theresia. Davor von links nach rechts: Hausangestellte, Oskar, Anna, Emma.

… und außerdem

Die überlebenden Graf-Geschwister von Oskar waren:

Max (1882–1915)

übernimmt nach dem Tod des Vaters 1906 die Bäckerei. Als Max heiratet, werden ihm das Haus und die Bäckerei der Eltern überschrieben. Er fällt 1915 im Ersten Weltkrieg.

Therese (1884–1969)

lernt Damenhutmacherin, lebt zeitweise in München und später zusammen mit Bruder Maurus und der Mutter in Berg.

Eugen (1885–1965)

ist der einzige der Graf-Söhne, der nicht Bäcker, sondern Buchhalter lernt. Er wandert 1905 in die USA aus.

Emma (1889–1917)

ist laut Grafs Beschreibungen sehr schön und einfühlsam. Sie stirbt 1917 im Alter von nur 28 Jahren.

Maurus (1890–1971)

wird auch Bäcker und führt seinen kleinen Bruder Oskar in die Welt der Bücher ein. Ende der 1920er-Jahre eröffnet Maurus in Berg, in der heutigen Grafstraße 18, das Café Maurus, das bis in die 1960er-Jahre hinein Treffpunkt von Kunst- und Literaturliebhabern ist.

Lorenz (1891–1977)

ist laut Graf der wildeste seiner Brüder. Er hinterlässt seine »Tags« auf Wänden, inszeniert Indianerspiele und Rachezüge. Lorenz emigriert 1906, wie ein Jahr zuvor sein Bruder Eugen, in die USA.

Anna Maria (1896–1976)

ist das jüngste der Graf-Kinder und hat eine enge Beziehung zu Oskar. Nanndl, wie sie von allen genannt wird, lernt in München Friseurin. Sie wandert 1922 in die USA aus.

Oskars frühe Kindheit ist anfangs recht glücklich und unbeschwert. Als Sprösslinge des aus einer ursprünglich ortsfremden Familie abstammenden Bäckers und der Kramerin, die einer alteingesessenen Bauernfamilie angehört, haben die Graf’schen Geschwister eine besondere Stellung im Dorf und wachsen unter der Obhut eines toleranten Vaters und einer liebevollen Mutter auf. Die kleine Graf-Bande liebt Indianerspiele, geht auch mal auf Rachefeldzüge und treibt so manchen Unsinn.

Doch die unbeschwerte Kindheit nimmt ein abruptes Ende: Am 28. April 1906 stirbt der Vater, und dem ältesten Bruder Max wird die Vormundschaft über die jüngeren Geschwister übertragen. Gleichzeitig übernimmt er die elterliche Bäckerei. Max herrscht mit strengem Regiment über seine jüngeren Geschwister, und bei den geringsten Verfehlungen setzt es Prügel. Verständnis für den damals erst elfjährigen Oskar bringt Max nicht auf. Die Mutter leidet sehr unter dem Unfrieden im Haus, kann sich aber gegen den ältesten Sohn nicht zur Wehr setzen. Als der Vater stirbt, geht Oskar noch in die Volksschule in Aufkirchen. Nach dem Unterricht muss er seinem Bruder Max in der Bäckerei und auch der Mutter im Haus helfen. Besonders viel Arbeit gibt es im Sommer, denn schon damals verbringen viele Touristen und Sommerfrischler die warme Jahreszeit am Starnberger See – und die wollen schließlich jeden Tag mit frischen Backwaren versorgt sein.

Der belesene Bäckerlehrling

Nach dem Abschluss der Volksschule muss Oskar 1907 bei Max in die Lehre gehen, der ihn – wie manch einer der Bäckergesellen – regelmäßig verprügelt. Aber auch die Arbeitszeiten sind für einen Zwölfjährigen unzumutbar und unmenschlich. Im Sommer wird ab 21 Uhr, im Winter ab 23 Uhr die ganze Nacht hindurch gebacken. Am frühen Morgen müssen das Brot und die Semmeln zu den Kunden ausgefahren werden. Auch nachmittags sind oft noch etliche Verrichtungen zu erledigen.

Eingang der ehemaligen Volksschule in Aufkirchen (2011). Heute sind hier die Gemeindebücherei und ein Schulmuseum untergebracht.

Kirche Mariä Himmelfahrt in Aufkirchen

Kaum vorstellbar, dass der Bub noch Zeit zum Lesen findet. Der vier Jahre ältere Bruder Maurus versorgt Oskar mit der ersten Lektüre und weckt in ihm die Begeisterung für das Lesen. In jungen Jahren schon schwärmen Oskar und seine kleine Schwester Nanndl für die deutschen Klassikern, die russischen Autoren des 19. Jahrhunderts sowie die modernen Literaten. Oskar bestellt zudem über den Schuster im Dorf Heftchen aus der Reclam-Universalbibliothek, die er in einem Geheimfach in seinem Schrank versteckt. Dabei ist ihm bewusst, dass es fürchterlichen Krach geben wird, sollte sein Bruder Max die bescheidene Bibliothek entdecken.

Nach und nach reift in Oskar die Erkenntnis, dass er den beklemmenden Lebensumständen und den Schlägen von Max nur entkommen kann, indem er von zu Hause weggeht. Daher bereitet er vorsorglich seine Flucht vor. Er versteckt einen Koffer auf dem Heuboden, füllt ihn mit Kleidung und nützlichen Dingen aus dem Laden der Mutter. Zudem spioniert er aus, wo die Mutter das Sparbuch versteckt, das sie für ihn angelegt hat.

Flucht nach München

Es kommt wie erwartet: Eines Tages werden Oskar und der Schuster vom Briefträger verraten, Max findet das Geheimfach im Schrank mit den Reclam-Heften und verprügelt seinen kleinen Bruder fürchterlich.

Der 17-Jährige Oskar im Jahr seiner Flucht, 1911, porträtiert mit den Insignien des Bildungsbürgertums: Anzug, Uhrkette und – einem Buch. Ein halbes Jahr danach sieht man einen ganz anderen, ziemlich abgekämpften Oskar … (siehe Abbildung auf S. 22)

Der Dampfersteg in Starnberg, um 1900.

Daraufhin steht Oskars Entschluss fest – er geht. Als Max das Haus später verlässt, holt Oskar seinen Koffer vom Heuboden, das Sparbuch aus dem Zimmer der Mutter und marschiert nach Aufkirchen. Dort hebt er bei der Sparkasse die insgesamt 300 Mark von dem Sparbuch ab und fährt mit dem Dampfschiff nach Starnberg, wo er in den Zug nach München steigt.

Weit geht die Reise nicht – die Zugfahrt von Starnberg nach München dauert auch damals nur knapp 50 Minuten. Dennoch führt sie den 17-jährigen Oskar in eine für ihn gänzlich neue Welt. Für die heutige Starnberger Jugend ist ein Besuch in München nichts Außergewöhnliches. Graf war bis dahin jedoch erst dreimal in der Stadt, und dann immer nur für wenige Stunden.

München ist im Jahr 1911 eine beständig wachsende Metropole mit über 600 000 Einwohnern. Bei Grafs Ankunft befördern die Trambahnen 115 Millionen Fahrgäste, der Tierpark Hellabrunn und das später legendäre Stadion an der Grünwalder Straße werden eröffnet, das Deutsche Museum feiert Richtfest und Prinzregent Luitpold seinen 90. Geburtstag. 1911 gibt es in München 65 Buchhandlungen und 119 Verlage, Erich Mühsam gibt erstmals seine Zeitschrift »Kain« heraus, von Ludwig Thoma erscheint »Der Münchner im Himmel«, Lena Christ beginnt mit der Niederschrift ihres autobiografischen Romans »Erinnerungen einer Überflüssigen«, und Thomas Mann, Frank Wedekind und der Stadtbibliothekar Ludwig Held gründen den »Schutzverband deutscher Schriftsteller«.

In »Wir sind Gefangene« (S. 47)* beschreibt Graf seine erste Begegnung in der Großstadt – mit einem Gepäckträger am Münchner Hauptbahnhof: »Am Bahnhof stieg ich aus, ging an einen Mann heran, der eine rote Mütze aufhatte und fragte, wo man sein Gepäck transportieren lassen könnte.

›Ich kann es Ihnen schon machen‹, sagte der und musterte meine Last. Ich sagte, in die Zeitung blickend: ›Führen Sie mich Augustenstraße neunundfünfzig-zwei.‹ [Die Anzeige entdeckt Graf beim Studium der Mietanzeigen während der Zugfahrt.]

›Haben Sie das Zimmer schon gemietet?‹, fragte mich der Mann. ›Nein, das nicht, aber da steht es ja‹, sagte ich unsicher und sah den Mann an, der jetzt meinen Koffer nahm: ›Sehen Sie, das Zimmer kann man jederzeit haben …‹

Der Mann lächelte. Offenbar merkte er, dass ich vom Lande kam. Das entwaffnete mich vollständig. Ganz hilflos sagte ich: ›Ja, aber was soll ich denn jetzt tun?‹

Der Mann fasste mich gutmütig am Arm, nahm meinen Koffer und sagte gemütlich: ›Kommen Sie …, sehen Sie, da stellen Sie jetzt den Koffer auf der Gepäckaufbewahrung ein, dann gehen Sie in die Stadt und schauen die Häuser an. Wo eine Tafel hängt: Zimmer zu vermieten, da gehen Sie hinein und fragen dort, ob Sie mieten können …‹«

Etwas beklommen macht Oskar sich auf den Weg. »Es war mir furchtbar unheimlich zumute. Zum ersten Male in meinem Leben empfand ich so etwas wie Obdachlosigkeit. Eine peinigende Unruhe trieb mich eiligen Schrittes durch die Straßen und Gassen. Mit wahrer Gier suchte ich nach einer Vermietungstafel«, schreibt er über seine ersten Stunden in München (»Wir sind Gefangene«, S. 48). Im Bahnhofsviertel mit seinen damals wie heute zahlreichen Hotels, von der billigen Absteige bis zur Nobelherberge, macht Graf sich auf die Suche nach einer Unterkunft und wird in der Zweigstraße, einer Seitenstraße der Bayerstraße, schließlich fündig.

Die Schalterhalle im Münchner Hauptbahnhof im Jahr 1914.

Münchner »Centralbahnhof« um 1899.

Der Platz vor dem Bahnhof um die Jahrhundertwende – damals wie heute ein Verkehrsknotenpunkt.

Mit den rote Kappen tragenden Gepäckträgern am Hauptbahnhof hat Oskar Maria Graf stets gute Erfahrungen gemacht. Hier die Abbildung eines Münchner Dienstmanns auf einer Wandmalerei im Hofbräuhaus am Platzl.

… und außerdem

Ein Gepäckträger vom Hauptbahnhof ist Grafs erster Kontakt, als er 1911 in München ankommt. Neun Jahre später macht Graf erneut gute Erfahrungen mit einen Gepäckträger: Er heißt Lorenz Ehrhart und war einer der Direktoren des Genossenschaftstheaters Neue Bühne, an dem Graf von Sommer 1920 bis 1921 als Dramaturg tätig ist. Die Neue Bühne führt ihre Produktionen im Tanzsaal eines Wirtshauses an der SENEFELDERSTRASSE 11 ½ auf (heute steht an der Stelle ein Neubau mit der Hausnummer 12). Lesen Sie mehr dazu beim 8. Standpunkt in der Barer Straße 37.

Fußtnote

* Die Angaben der Seitenzahlen bei den Zitaten beziehen sich bei Oskar Maria Grafs »Wir sind Gefangene« auf die Taschenbuchausgabe des List Verlags aus dem Jahr 2011 und bei »Gelächter von außen. Aus meinem Leben« auf die Ausgabe des Allitera Verlags aus dem Jahr 2010.

Standpunkt 2 · Zweigstraße 10, ehemaliges Hotel Kronprinz

Der Dichter und das liebe Geld

Zu seinem Domizil erwählt Graf das Hotel Kronprinz, das noch bis 1997 in der Zweigstraße betrieben wurde. Nach einer Sanierung sind hier heute Kanzleien, Büros und eine Kochschule untergebracht. Das Gebäude vermittelt noch einen Eindruck davon, wie der Hotelgast Graf es damals wohl gesehen hat. Der Eingangsbereich mit den Stuckwänden und -decken ist unverändert und lässt erkennen, dass Graf sich nicht mit der erstbesten Unterkunft zufrieden gegeben hat.

30 Mark im Monat kostet das Zimmer. Graf mietet sich kurzerhand für drei Monate ein und bezahlt die Miete von insgesamt 90 Mark im Voraus. Auf den Wink des Hotelangestellten in Sachen Trinkgeld, übergibt Graf ihm sogleich pauschal 30 Mark für alle Angestellten und die Zeit seines Aufenthalts. Die so fürstlich Beschenkten hätten sich von dem Trinkgeld damals 100 Maß Bier, 30 Zentner Kartoffeln oder 20 Pfund Butter kaufen können. In diesem Punkt gibt sich der junge Oskar Graf also äußerst großzügig. Bereits dem Gepäckträger vom Hauptbahnhof hat er fünf Mark gegeben, der Page, der seinen Koffer vom Bahnhof ins Hotel bringt, bekommt ebenfalls fünf Mark. Und im Nu waren von seinem Startkapital nur noch 170 Mark übrig.

Reklamemarke Hotel Kronprinz, 1912.

Nachdem sich Graf in seinem Zimmer häuslich eingerichtet hat, geht er am nächsten Morgen in die Stadt, kauft Bücher und lässt sich Visitenkarten drucken: »Kaum war ich richtig warm in der Stadt, ließ ich mir Visitenkarten drucken mit der Aufschrift ›Oskar Graf, Schriftsteller, München‹. Das war mir so viel wie ein Ausweis und ein Schritt in ein neues Leben. Ich war, was ich sein wollte. Hier stand es schwarz auf weiß in unverwischbaren, ewig gleichen Buchstaben.« (»Wir sind Gefangene«, S. 52) Bereits in Berg hatte Graf beschlossen, Dichter zu werden, und nirgends lässt sich dieser Plan besser verwirklichen als in der Kunststadt München, in der es Verlage gibt und man Kontakte zur Künstlerszene und zu Schriftstellerkollegen knüpfen kann. Es ist daher kein Zufall, sondern eine ganz bewusst getroffene Entscheidung, dass Grafs Wahl auf München fällt, als er von seinem Zuhause in Berg wegläuft.

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