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Wohin führt mein Weg? Was ist meine Lebensaufgabe? Wer bin ich wirklich? Der bekannte Gesichtlesemeister Eric Standop weiß, dass die Antworten auf diese Fragen in unserem Gesicht zu finden sind. Er hilft uns, sie unter anderem anhand der Archetypen des Siang Mien, der chinesischen Gesichtlesekunst, zu entschlüsseln. Sind wir Sternensucher oder Brückenbauer, Schutzengel oder Magier der Nacht? Jeder von uns ist mit einer Berufung sowie einzigartigen Talenten auf die Welt gekommen. Wie wir sie erkennen und gewinnend leben können, das zeigen - zahlreiche Illustrationen, - klare, wegweisende Typologien, - und faszinierende Fallgeschichten. Damit auch wir unser Potenzial erkennen und zu einem erfüllten Leben finden.
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Seitenzahl: 286
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© eBook: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
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Projektleitung: Anja Schmidt
Lektorat: Anne Nordmann
Bildredaktion: Simone Hoffmann
Covergestaltung: ki36 Editorial Design, München, Daniela Hofner
e-Book-Herstellung: Viktoriia Kaznovetska
ISBN 978-3-8338-8637-9
1. Auflage 2022
Bildnachweis
Coverabbildung: Michael Pasternack
Illustrationen: Claudia Klein
Syndication: www.seasons.agency
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»Wie ist es bei dir: Was glaubst du, ist deine Lebensaufgabe? Wozu bist du berufen? In welchen Momenten hast du das Gefühl,authentisch zu sein und Dinge zu tun, die zu deiner Persönlichkeit passen?
Klarheit über all diese Fragen zu bekommen, ist nicht leicht. Vielleicht hast du das selbst schon festgestellt. Aber ich möchte dir Mut machen. Die Antworten sind da und du kannst sie finden. Ich möchte dich motivieren und begeistern. Der Weg hin zu deiner Lebensaufgabe ist ein Weg, den es sich zu gehen lohnt. Und es ist ein Weg, auf dem ich einige Antworten für dich habe.
Mein Name ist Eric Standop und ich lese Gesichter. Genau genommen lese ich aus Gesichtern vor wie aus einem Buch. Ich lese, was darin ganz offensichtlich geschrieben steht und ich lese Stellen, die manchmal nicht so leicht zu entschlüsseln sind. Vieles ist ›zwischen den Zeilen‹ verborgen …«
Wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im Stillen besitzen.
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
Wie kann ich meine Karriere voranbringen und noch erfolgreicher werden? Wenn ich ehrlich bin: Das war lange Jahre die zentrale Frage in meinem Leben. Ich strebte nach Führungspositionen, Einfluss und Geld. Bis ich all das hatte und dann doch nicht wusste, was ich damit anfangen sollte. Ein Gefühl von tiefer innerer Freude und Erfüllung blieben mir trotz meines großen äußeren Erfolgs verwehrt.
Stattdessen meldete sich meine Gesundheit zu Wort. Die war mir bei all dem Streben nach Status und Ruhm nämlich ganz nebenbei abhandengekommen. Der rastlose Einsatz, das pausenlose Engagement und der nie endende Wettbewerb mit mir selbst und anderen – das war anstrengend und kräftezehrend gewesen. Körperlich und psychisch. Trotzdem hatte ich mir nie eine richtige Pause zur Erholung gegönnt. Wenn mein Körper nach einer kurzen Auszeit wieder einigermaßen »funktionierte«, ging ich zurück in mein altbekanntes System. Es als Komfortzone zu bezeichnen, wäre unpassend, denn dort war kein Komfort, es war ein Hamsterrad, eine selbst auferlegte Folter. Für meinen Erfolg, so glaubte ich, musste ich eben Opfer bringen. Das akzeptierte ich. Es gehörte für mich einfach dazu.
Dass ich in diesem Leben eine ganz individuelle Aufgabe haben könnte, eine die Gesundheit, Erfolg und persönliches Glück miteinander verbindet, das wäre mir lange Zeit nicht in den Sinn gekommen. So dauerte es eine ganze Weile, bis diese Erkenntnis zu mir durchdrang. Es war im dritten von sechs Lehrjahren bei meinem chinesischen Meister, als ich eine Gesichtlesung verfolgte, die er mit einem Geschäftsmann aus Manila hatte.
»Du lebst wie ein Warlord, wie ein Kriegsfürst!«, sagte mein Lehrmeister zu dem Mann. »Du willst erobern. Damit bist du sehr erfolgreich. Zwar hinterlässt du auch verbrannte Erde, aber dein Tun gibt dir trotzdem ein gutes Gefühl, weil du so viel Materielles auf deine Seite reißt.«
Der Geschäftsmann nickte zustimmend und auch mir selbst kam diese Einstellung bekannt vor.
»Aber höre mir zu«, sprach der Meister weiter, »dies ist nicht deine wahre Berufung. Deshalb fühlst du dich krank und bist nicht glücklich mit dem, was du tust. Deine Lebensaufgabe ist die eines People’s King, eines ›Königs des Volkes‹. Du bist ein Mensch, der gerne Macht hat, anführt und für andere entscheidet, der sich aber nur dann wohlfühlt, wenn er wirklich für andere da sein kann. Ein König, der den Menschen seines Reichs helfen und sie unterstützen möchte, der geht nicht auf Raubzüge. Er ist nahbar. Er führt und leitet. Und: Er hat ein großes Herz! Diesen König spürst du zwar schon in dir, aber auf Beutezug zu gehen, war deinem Ego bisher wichtiger, als für Schwächere zu sorgen. Doch wenn du Ruhe in dir selbst finden, wenn du glücklich sein willst, dann wende dich nun deiner Lebensaufgabe zu und denk daran, dass du ein König des Volkes bist!«
Ich war von dem, was mein Meister inhaltlich sagte, ebenso fasziniert wie von den Begrifflichkeiten, die er verwendete. Er beschrieb fast märchenhaft und gleichzeitig treffend die Situation dieses erfolgreichen und doch orientierungslosen Geschäftsmannes. Ich konnte beobachten, wie diesem beim Zuhören Tränen in die Augen schossen. Unter anderen Umständen wäre ihm das wohl peinlich gewesen, doch tief ergriffen von den Worten dieses weisen Mannes ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Es handelte sich offenbar um eine Aufgabe, die er schon immer in sich getragen, bisher aber ignoriert oder gar nicht erkannt hatte.
In den Tagen nach dem Treffen war ich aufgewühlt. Was mich während des Face Reading – so werden Lesungen genannt, bei denen anhand des Gesichts eines Menschen Aussagen über seine Persönlichkeit, seine Begabungen, seine Gesundheit und einiges mehr getroffen werden – begeistert und fasziniert hatte, machte mich nun unruhig. Wenn dieser Mann eine bestimmte Lebensaufgabe hatte, die ihm Ruhe und Glück bringen würde, dann … Ich traute mich kaum, diesen Gedanken weiterzudenken. Die Möglichkeit, dass auch ich so eine individuelle Lebensaufgabe besaß, ohne etwas davon zu ahnen, geschweige denn, ohne sie bis jetzt zu leben, war angsteinflößend. Ich fühlte mich ein wenig hilflos, offenbar fehlten mir grundlegendes Wissen und Orientierung auf diesem Gebiet. Vor allem anderen aber machte mich diese Vorstellung neugierig.
Tage später auf einer Parkbank im Hongkonger Stadtteil Kowloon sitzend – ich war seinerzeit Anfang 40 – fasste ich einen Entschluss: Ich wollte meinen Meister nach meiner Lebensaufgabe fragen. Ich hatte genug von einer Karriere, die mir trotz großer Anstrengung nicht dieses Gefühl von Erfüllung und Zufriedenheit brachte, nach dem ich mich so sehnte.
Das Streben nach Materiellem gibt dem Leben keinen Sinn. Das war mir mittlerweile klar. Die eigene Lebensaufgabe zu kennen und zu leben – das konnte den Weg zum Glück bedeuten, da war ich mir sicher. Zumindest sah ich die strahlenden Augen des Geschäftsmanns aus Manila noch deutlich vor mir; ich konnte spüren, was das Erkennen seiner ureigenen Berufung mit einem Menschen macht.
In den nächsten Tagen war ich ungewöhnlich nervös, bis an einem Sonntag (ich durfte nur sonntags Fragen stellen) endlich der große Moment kam.
»Meister, was ist eigentlich meine Lebensaufgabe?« Es kostete mich Überwindung, meinem Shifu, so wird ein chinesischer Lehrmeister genannt, diese Frage zu stellen. Seit drei Jahren war ich inzwischen bei ihm in der Ausbildung und hatte viel von seiner Weisheit und seiner unermesslichen Lebenserfahrung lernen dürfen. Entsprechend groß waren daher meine Erwartungen an seine Antwort. In meiner Vorstellung würde sie erkenntnisreich, ja wegweisend für mich sein. Sie würde mir meinen Lebensweg aufzeigen und alle Fragen, die ich in dieser Hinsicht noch in mir trug, beantworten. Ich saß dem Meister gegenüber und blickte nervös und gespannt in seine alten, aber wachen Augen.
»Das willst du wirklich wissen?«, fragte er gespielt verwundert, ganz so, als ob ich sie doch längst kennen müsste. »Deine Lebensaufgabe lautet: Lerne, den Mund zu halten!«
»Den Mund halten? Bitte? Das ist doch keine Lebensaufgabe und kann doch nicht alles sein?«, hörte ich mich enttäuscht antworten. Womöglich lag hier ein Missverständnis vor. Er verwechselte mich oder war wütend. Vielleicht machte er sich sogar lustig über mich.
»Stimmt, Eric«, fuhr er fort, so als könne er nicht nur mein Gesicht, sondern auch meine Gedanken lesen. »Das war noch nicht alles. Du solltest wissen, dass es ein Leben lang dauern wird, ehe du diese Fähigkeit erlernst.«
Ich spürte, wie sich Enttäuschung in mir breitmachte. Eine Lebensaufgabe stellte ich mir positiv, bestärkend und vor allem richtungsweisend vor. So wie ich es in dem Gespräch mit dem philippinischen Geschäftsmann erlebt hatte. Erst Wochen später ging mir auf, was mein Meister mir mit seiner Antwort hatte geben wollen: Er hatte mir nicht meine Lebensaufgabe selbst offenbart, sondern den Weg dorthin.
Um zu verstehen, wie Gesichtleser die Lebensaufgabe eines Menschen erkennen und zuordnen können, ist es wichtig, sich mit ihrer Vorgehensweise vertraut zu machen. Zunächst lesen sie – dies gelingt ausschließlich erfahrenen Shifus – mithilfe der Gesichtsmerkmale und teilweise der Mimik den Kern eines Menschen, sein Wesen. Für Gesichtleser ist dies die »Persönlichkeit«. Aus der Persönlichkeit leiten sie dann die individuellen Talente einer Person ab. Das sind Fähigkeiten, die diese schon von Geburt an in sich trägt. Die Kombination aus Persönlichkeit und Talenten ergibt einen sogenannten »Archetyp«, also einen Begriff, der die Lebensaufgabe metaphorisch abbildet. Jeder Archetyp hat wiederum bestimmt Lernsätze, die ihm zugeordnet werden. Mit der Kenntnis unseres Archetyps und den zugehörigen Lernsätzen sind wir in der Lage, unserer Lebensaufgabe auf die Spur zu kommen. »Lerne, den Mund zu halten« war einer meiner persönlichen Lernsätze. Wenn ich ihn und viele weitere, die mir mein Meister im Laufe der Zeit ebenfalls mitteilte, beherzigte, würde ich eines schönen Tages, so lehrte mich mein Meister, meine Lebensaufgabe finden und leben können.
Und tatsächlich: Es hat funktioniert. Ich lernte zuzuhören, statt immer nur selbst zu reden. Das war ein weiter Weg. Mein Meister verbrachte viele, viele Stunden damit, schweigend neben mir zu sitzen. Durch diese gefühlt endlosen Momente der Stille und nicht enden wollende Langeweile, die ich währenddessen empfand, lernte ich, mich selbst zurückzunehmen und zu beobachten. Ich übte, meinen Lernsatz zimmer wieder zu beherzigen und umzusetzen. Dadurch lernte ich, die Welt um mich herum und meine Mitmenschen wirklich zu sehen und kennenzulernen. Und nach und nach begegnete ich auf diesem Weg schließlich auch meiner Lebensaufgabe.
Wie ist es bei dir: »Was glaubst du, ist deine Lebensaufgabe?« Wozu bist du berufen? In welchen Momenten hast du das Gefühl, authentisch zu sein und Dinge zu tun, die zu deiner Persönlichkeit passen?
Klarheit über all diese Fragen zu bekommen, ist nicht leicht. Vielleicht hast du das selbst schon festgestellt. Aber ich möchte dir Mut machen. Die Antworten sind da und du kannst sie finden. Ich möchte dich motivieren und begeistern. Der Weg hin zu deiner Lebensaufgabe ist ein Weg, den es sich zu gehen lohnt. Und es ist ein Weg, auf dem ich einige Antworten für dich habe.
Mein Name ist Eric Standop und ich lese Gesichter. Genau genommen lese ich aus Gesichtern vor wie aus einem Buch. Ich lese, was darin ganz offensichtlich geschrieben steht und ich lese Stellen, die manchmal nicht so leicht zu entschlüsseln sind. Vieles ist »zwischen den Zeilen« verborgen. Ein Gesicht ist eine unendliche Informationsquelle.
Wenn Menschen mich für ein Face Reading buchen, bringen sie meist eine Frage mit. Sie suchen beispielsweise Ratschläge für ihr Studium oder ihre Karriere, wünschen sich Informationen über ihre Gesundheit, wollen ihre Ernährung optimieren, brauchen Unterstützung in der Liebe, ihrer Beziehung oder möchten etwas über ihre Lebensaufgabe wissen. Seit nunmehr 17 Jahren lebe ich meine Berufung, indem ich ihnen helfe, diese Fragen zu beantworten. Lernen durfte ich dies von verschiedenen Lehrern. Erst war ich Schüler eines deutschen Lehrers, dann eines kolumbianischen und schließlich habe ich sechs Jahre an der Seite eines chinesischen Großmeisters verbringen dürfen. Danach war ich dann so weit, meine eigene Akademie gründen zu können.
Die Themen meiner Readings hielten sich über Jahre stets die Waage, bis sich vor etwa drei Jahren eine erstaunliche Entwicklung in Gang setzte. Immer mehr Menschen erkundigen sich nun nach ihrem Daseinszweck, nach dem Sinn ihres Lebens.
»Ich möchte wissen, wofür ich hier bin, was meine Berufung ist« ist ein Satz, den ich mittlerweile sehr häufig höre. Natürlich gab es diese Suche nach einem Sinn schon immer, doch heute, wir schreiben das Jahr 2022, ist fast jedes zweite meiner Readings eines über die Lebensaufgabe.
Menschen machen sich verstärkt auf die Suche nach ihren Stärken und Potenzialen, nach dem, was sie zum großen Ganzen beitragen können. Sie wünschen sich einem Kompass, der sie von innen heraus ausrichtet.
Was sich hinter der Suche nach der eigenen Lebensaufgabe verbirgt ist das Streben nach einem glücklichen, erfüllten Leben, nach Selbstverwirklichung und nach Authentizität. Wir verstehen immer mehr, dass Erfüllung dann entsteht, wenn unsere Lebensweise zu unserer Persönlichkeit und zu unseren Talenten und Stärken passt. Ein Leben mit uns selbst und mit der Welt im Einklang, ein Lebensstil, bei dem wir unsere Berufung leben.
Es sind Menschen in den unterschiedlichsten Lebensphasen, die auf der Suche nach ihrer Lebensaufgabe zu mir kommen. Manche befinden sich in einer persönlichen Krise oder erleben gerade einschneidende Veränderungen. Andere spüren eher unterschwellig, dass der Weg, den sie eingeschlagen haben, nicht glücklich macht. Es gibt aber auch Menschen, die sich schon lange mit ihrer Berufung befassen und sich an einer Weggabelung an mich wenden.
Die Co-Autorin dieses Buches, Hannah Panidis, ist so jemand. Sie hatte sich bereits allein auf den Weg begeben, ihre Berufung zu erkunden und bat mich an einer Weggabelung um Rat. Über sie und viele weitere Menschen, die ihre Lebensaufgabe gefunden haben und leben, werden wir in diesem Buch sprechen. Ich werde dir nicht nur ihre Geschichten erzählen, sondern auch ihre Gesichter beschreiben, damit du immer mehr ein Gespür dafür bekommst, wie und wo sich die Lebensaufgabe eines Menschen in seinem Gesicht finden lässt. Das wird dich hoffentlich inspirieren, dir Mut machen und dir die zahlreichen Möglichkeiten aufzeigen, wie du auf deinem individuellen Weg weiterkommen kannst.
Wenn du nun weiterliest, wird sich Seite für Seite ein Bild deiner Berufung formen. Du wirst lernen, wie du deine Persönlichkeit im Gesicht ablesen und ihr konkrete Talente, die Werkzeuge auf deinem Lebensweg, zuordnen kannst. Du wirst Einflüsse, Hindernisse und wiederkehrende Muster kennenlernen, die vielleicht auch dich auf deinem bisherigen Weg begleitet haben. Du wirst, so meine Hoffnung, dich in einige der Menschen hineinversetzen können, von denen du hier liest. In ihren Geschichten geht es um Irrtümer, persönliche Schicksale und Erkenntnisse, die lehrreich für uns sein können. Alle Informationen sind kleine Puzzleteile, die dich zu deiner Lebensaufgabe, zu deiner persönlichen Berufung führen. Viel Freude bei dieser besonderen Unternehmung: deinem ganz persönlichen Weg der Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung.
Durch meine Reisen auf allen fünf Kontinenten habe ich viele Kulturen kennengelernt. Sie alle geben – je nach ihren kulturellen und philosophischen Konzepten – andere Antworten auf die Frage nach unserem Daseinszweck. Doch gemein scheinen sie alle zu haben, dass es dabei um Selbsterkenntnis geht. Im Gesichtlesen ist der Schlüssel zur Selbsterkenntnis die Authentizität.
Höhepunkt des Glückes ist es, wenn der Mensch bereit ist,das zu sein, was er ist.
ERASMUS VON ROTTERDAM
Wohl nicht nur für Gesichtleser ist es eines der größten und lohnendsten Ideale überhaupt: Das Streben nach einem authentischen Leben. Durch Zehntausende Readings verstehe ich inzwischen noch besser, warum das so ist. Bei meinen Begegnungen strahlten immer die Menschen Glück und Erfüllung aus, die authentisch lebten. Damit wir uns nicht missverstehen: Auch diese Menschen waren nicht ständig zufrieden oder lebten in dauerhafter Glückseligkeit. Das kann es in meinen Augen gar nicht geben. Jeder Mensch hat Sorgen und Herausforderungen zu bewältigen. Doch sie alle hatten ein besonderes Strahlen in den Augen, das sich bei den weniger authentisch Lebenden nicht fand.
Aber was heißt das eigentlich »authentisch leben«? Unter Psychologen und Philosophen gibt es keinen Konsens darüber. Ist es authentisch, wenn unsere Taten unseren Worten folgen und wir dadurch sozusagen »kongruent« sind? Ist es authentisch, wenn wir uns frei davon machen, gesellschaftliche Normen erfüllen zu wollen oder zu sollen? Oder bedeutet Authentizität, dass wir entsprechend unserer Werte und Überzeugungen handeln? Benötigen wir überhaupt Werte, um authentisch zu leben oder sind sie nicht vielleicht eher hinderlich?
Da die Interpretation dieses Begriffes viel Spielraum bietet, erlaube ich mir, eine dem Gesichtlesen und der Philosophie meines Shifu entsprechende Definition zu wagen. An dieser wollen wir uns im Rahmen dieses Buches orientieren.
WER LEBT AUTHENTISCH?
Wem es gelingt, seine eigene, ihm von Geburt an innewohnende Persönlichkeit zu fördern und ohne große Einschränkungen auszuleben, wer den Großteil seiner Talente nutzt – sei es beruflich oder im Privatleben –, wer sich nicht über eine Gruppenzugehörigkeit definiert, sondern über seine ureigene Individualität und diese gewinnbringend für sich und andere einsetzt – der lebt authentisch.
Authentisch zu leben setzt demnach voraus, dass ich ein Bewusstsein für mich selbst habe, dass ich weiß, wo meine Stärken liegen und was mich als Mensch ausmacht. Dieses »Selbst-Bewusstsein« wird allerdings oft missverstanden. Gemeint ist nämlich nicht, dass wir unser Ego aufblähen und unsere Ellenbogen einsetzen, um das zu bekommen, was wir wollen, sondern dass wir verstehen, wie und warum wir auf eine bestimmte Art denken und handeln. Oder auf das Gesichtlesen übertragen: dass wir unsere Persönlichkeit kennen und fördern.
Nun neigen viele von uns zur Ungeduld, ich selbst nehme mich da nicht aus. Wir wollen am liebsten sofort verstehen, wer wir sind und was wir konkret tun oder ändern können, um möglichst schnell unsere Berufung zu finden und dann erfüllt durchs Leben zu gehen. In China habe ich gelernt, dass es keinen Sinn hat, derart linear zu denken. Mein Meister erinnerte mich immer wieder daran, dass alles mit allem verbunden ist und dass wir ein kleines Puzzleteil von etwas Größerem sind.
Nietzsche sagte einmal: »Werde, der du bist.« Selbstfindung ist ein Entwicklungsprozess und geschieht nicht von heute auf morgen. Die Betonung in Nietzsches Satz liegt auf dem Werden, nicht auf dem Sein. Selbstfindung ist ein Weg, eine Reise. Dabei hat das Leben kein festgeschriebenes Drehbuch, das wir einfach, so gut es geht, befolgen müssen, um Erfüllung zu finden. Auch wenn wir uns das manchmal wünschen.
Das Leben ist ein Abenteuer, das immer wieder die Richtung ändern kann. In dem wir selbst die Richtung ändern können. So lohnenswert und bereichernd es sein mag, die eigene Lebensaufgabe zu kennen und ihr zu folgen, besteht der Zauber des Lebens doch auch darin, immer wieder neue Antworten auf die Fragen »Wer bin ich?« und »Warum bin ich hier?« zu finden.
Dies bringt mich zu einer begrifflichen Differenzierung. Die Liste der Begriffe, mit denen wir im weitesten Sinne ein authentisches Leben beschreiben, ist lang. In der deutschen Sprache sind es vor allem die Berufung, die Bestimmung und die Lebensaufgabe. Wenn wir das Englische hinzunehmen, wird der Fundus an Begriffen noch größer. Hier sprechen wir von Life Purpose und vom Calling. Bei den Japanern bezeichnet Ikigai einen übergeordneten Lebenssinn. Das Wort setzt sich zusammen aus Iki Gai = Wert. Es beschreibt damit etwas, das dem Leben Wert verleiht beziehungweise etwas, das das Leben für einen Menschen lebenswert macht.
Aber zurück zum Deutschen. Schauen wir uns ein paar dieser Begriffe im Folgenden einmal näher an.
Im Gesichtlesen, und das ist ja unser Fokus im Rahmen dieses Buches, sprechen wir von der Lebensaufgabe. Gesichtleser definieren diese Aufgabe als eine Art Frage, die uns das Leben stellt und die wir mit unserem Leben beantworten können. Die Antwort ist hochindividuell und richtet sich nach unserer Persönlichkeit und unseren damit verbundenen Talenten. Der berühmte Wiener Neurologe und Psychiater Viktor Frankl weist in seinen Werken immer wieder auf seine Beobachtung hin, dass Menschen viel zu viele Fragen an das Leben richten. Sie wollen wissen, wofür sie da sind, wie sie ein bestimmtes Ereignis interpretieren sollen oder eben, was ihre (Lebens-)Aufgabe ist. Dabei ist es genau andersrum. Du und ich, jeder von uns ist nicht die Frage, sondern die Antwort. Die Lebensaufgabe ist unsere ganz individuelle Antwort auf die vom Leben gestellten Fragen. Für Gesichtleser unterschiedlicher Kulturen ist sie damit nicht eine Belastung oder Mühsal, sondern eine Entlastung und Erleichterung. Sie zu leben, macht das Leben leichter. Denn: Wer im Einklang mit den Fähigkeiten agiert, die ihm das Leben mitgegeben hat, wer sie nutzt und so bestmöglich authentisch lebt, der erfüllt bereits seine Lebensaufgabe.
Der Begriff Berufung hat einen prominenten Platz in unserer Gegenwartssprache. Viele Menschen verbinden ihn wegen der Nähe zum Beruf mit Arbeit, sie meinen also, mit Berufung sei ein bestimmter Job gemeint, den wir finden und ausüben müssen, um glücklich zu sein. Diese Vorstellung hat jedoch einen Haken. Wir separieren damit unseren Beruf von unserem restlichen Leben. Aus diesem Verständnis entstehen dann weitere irreführende Begriffe wie »Work-Life-Balance«, also die anzustrebende Balance zwischen der Arbeit und dem Leben.
Dieser vermeintliche Gegensatz spiegelt in gewisser Weise unser Denken wider: Auf der einen Seite steht der Beruf und auf der anderen Seite das Leben, das Schöne, die Freizeit. Ich weiß nicht, wie das bei dir ist, aber meine Arbeit war und ist Teil meines Lebens. Sie ist nicht losgelöst von meinem Leben und kann deshalb auch nicht mit ihm in Balance stehen.
Wenn wir einen Beruf ausüben, der uns erfüllt, brauchen wir zum Ausgleich und zur Balance keine freie Zeit. Denn das Ausüben unseres Berufes ist Teil des Schönen und des Selbstgestalteten. Nach meiner Erfahrung hat nur, wer einen Beruf ausübt, der nicht zu ihm passt, das Bedürfnis nach Ausgleich, nach freier Zeit, die er nach eigenen Vorstellungen gestalten kann.
Den Begriff Berufung möchte ich aus zweierlei Gründen dennoch in diesem Buch verwenden. Erstens ist er im Sprachgebrauch der Menschen fest verankert und eröffnet über seine Vertrautheit einen Zugang zu unserem Thema. Zweitens, und das erscheint mir noch wichtiger, hat das Wort auch noch eine andere etymologische Komponente: In ihm steckt nämlich der Ruf. Also ein Auftrag, der nach mir ruft und darauf wartet, angenommen zu werden. Wir kennen den Satz: »Jemand fühlt sich dazu berufen, etwas zu tun.« Genau dieses Gefühl des Berufenseins ist in unserem Kontext passend und ausdrucksstark.
Der Begriff Bestimmung ist in seinem ureigenen Sinn nicht mit der Lehre des Gesichtlesens vereinbar. Gesichtleser gehen nämlich davon aus, dass wir alle »Meister unseres Schicksals« sind, also nicht fremdbestimmt von einer höheren Macht. Wenn wir lebensverändernde Entscheidungen treffen, gilt das ebenso, wie wenn wir uns einer Entscheidung verweigern oder sie delegieren.
Für Gesichtleser ist der Mensch bei seiner Geburt zwar mit einem Bauplan oder einem Grundriss versehen, doch wie wir diesen ausgestalten, wie das Haus unseres Lebens dann schließlich aussieht, das ist von niemandem vorgegeben, das entscheiden wir selbst. Mein deutscher Lehrmeister hatte ein anderes Bild dafür. Er sprach vom Drehbuch unseres Lebens, das wir jederzeit ändern oder umgestalten können.
Wie ist es bei dir? Spielst du die Hauptrolle in deinem Film des Lebens? Hat dein Film ein Happy End? Nichts davon ist vorbestimmt. Denn du führst die Regie. Es liegt in deinen Händen und ist die Folge deiner Entscheidungen.
Bestimmung geht davon aus, dass es eine fixe, endgültige Antwort auf die Frage gibt, wer wir sind und warum wir hier sind. Meiner Erfahrung als Gesichtleser nach kann es die eine Antwort darauf nicht geben, deshalb nutze ich das Wort kaum und auch bei meinen Kunden ist es sehr selten in Gebrauch.
Trotz der Unterschiede in den Begrifflichkeiten wird klar, dass alle Ansätze, sich dem Sinn des Lebens zu nähern, etwas gemeinsam haben: Sie gehen davon aus, dass wir nicht zufällig auf dieser Welt sind. Es gibt einen Grund für unser individuelles Dasein. Unsere Existenz hat einen einzigartigen, nicht austauschbaren Sinn, den es sich lohnt herauszufinden und zu leben.
Während wir aufschieben, hastet das Leben vorbei.
SENECA
Häufig werde ich gefragt, ob viele Kunden zu mir kommen, die gerade ihre Midlife-Crisis erleben. Die Annahme, die hinter dieser Frage steht, lautet, dass gerade die Menschen zwischen 35 und 50 Jahren oft verunsichert, unzufrieden, oder ganz aus der Bahn geworfen sind und ihnen der Rat eines Gesichtlesers guttun könnte.
Auch wenn sich hier in den letzten Jahren einiges geändert hat – mittlerweile kommen immer häufiger auch junge Menschen in ein Reading –, macht diese Altersgruppe tatsächlich einen Großteil meiner Klienten aus.
So fragte ich auch einmal meinen chinesischen Lehrmeister, was er denn von der Midlife-Crisis halte, ob diese für ihn existiere oder ob sie nur eine neuartige Mode sei.
»Nein, diese Phase gab es schon immer«, lautete die Antwort meines Meisters. »Im menschlichen Leben ist es ein Zeitabschnitt, der sich mit der Sinnsuche beschäftigt. Aber dafür braucht es freie Zeit und materielle Sicherheit. Ein Luxus also. Auch das war schon immer so.«
Die Midlife-Crisis also nur ein Problem von Privilegierten? Ein Phänomen, das nur auftaucht, wenn die materiellen Bedürfnisse befriedigt sind? So hatte ich es bisher nicht gesehen. Doch noch bevor ich mich tiefer mit seiner Aussage beschäftigen konnte, wies mich mein Meister auf ein anderes, seiner Ansicht nach wichtigeres Lebensalter hin:
»Krisen kommen und gehen, aber ein Resümee deines Lebens, das ziehst du mit 60 Jahren!«
»Na, da ist das Leben aber doch hoffentlich noch nicht zu Ende«, entgegnete ich damals.
»Nein, zu Ende ist es nicht«, erklärte er. »Aber vieles von dem, was man sich jenseits der 60 vornimmt, können wir nicht mehr umsetzen, weil wir in unserem Leben davor nicht darauf eingezahlt haben.«
Wieder so eine leicht philosophische Aussage, dachte ich. In vielen Situationen mit meinem Lehrmeister hätte ich mir gewünscht, auf eine einfache Frage eine klare Antwort zu erhalten. »Warum gerade das 60. Lebensjahr?« hätte ich in diesem Zusammenhang dann gefragt. Doch nicht nur, dass mein Meister mir oft solche interpretationsbedürftigen Antworten gab, das Fragenstellen überhaupt war mir nur in Ausnahmefällen erlaubt. Daher habe ich es bis heute nicht von ihm erfahren. Stattdessen habe ich selbst nach Antworten gesucht und meine eigene gefunden. Sie orientiert sich am traditionellen chinesischen System zur Messung der Jahre.
Kombiniert man die fünf chinesischen Elemente (Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser) mit den zwölf Tierkreiszeichen der Chinesen, lässt sich errechnen, dass die Grundenergie, die man in seinem Geburtsjahr hatte und das Tierkreiszeichen, das sich alle zwölf Jahre wiederholt, im 60. Lebensjahr zurückkehrt. Denn fünf mal zwölf ist sechzig. Mit 60 Jahren also, im sogenannten Jahr des Resümees, lebt man in der gleichen Energie wie im Geburtsjahr.
Nehmen wir an, jemand ist im Jahr 1974 geboren. Das entspricht dem Element Holz und dem Tierkreiszeichen Tiger. Es dauert fünfmal zwölf Jahre, also 60 Jahre, bis das Element Holz und das Tierkreiszeichen Tiger wieder in gleicher Konstellation zusammenkommen. Das wäre im Jahre 2034 der Fall.
Vielleicht findet sich aber auch ein Zusammenhang mit dem Ganzhi, dem 60-Jahre-Zyklus der Chinesen und anderer ostasiatischer Völker. Der Zyklus beschreibt 60 Begriffe, die in ihrer Aussagekraft und Energie kennzeichnend für ein Jahr stehen und sich danach wiederholen.
Unabhängig von den Elementen und dem von mir vermuteten Zusammenhang mit den Tierkreiszeichen blicken Gesichtleser im Jahr des Resümees auf ihr eigenes beziehungsweise das Leben ihres Kunden zurück. Der Blick wird dabei auf ein paar zentrale Fragen gerichtet:
◇ Wie viele meiner Talente habe ich genutzt, trainiert und ausgebaut?◇ Wie viel von dem, was mich erfreut, habe ich in mein Leben gelassen?◇ Wie oft bin ich aus meiner Routine ausgestiegen und habe neue Erfahrungen gesammelt?◇ Wie viele Entscheidungen, die mein Leben betreffen, habe ich selbst getroffen?◇ In welchem Ausmaß habe ich meine Lebensaufgabe gelebt?Die Idee dahinter ist, dass wir in den 60 Jahren bis zum Jahr des Resümees unsere Talente gut »trainieren« sollen, damit wir mit 60 Jahren »bereit« sind fürs Alter. Dann erfahren wir, wie es mein Meister nannte, »die Weisheit und das Glück des Alters«. Wir sind dann getragen von Erfüllung und Zufriedenheit und spüren, dass unser Leben einen Sinn hat(te).
Wenn wir dagegen »untrainiert« sind, unsere Talente vernachlässigt haben, wenn wir die verschiedenen Aspekte unserer Persönlichkeit nicht gefördert und auch sonst ungesund gelebt haben, werden uns der Herbst und der Winter unseres Lebens schwerfallen. Das Leben wird sich dann farblos, trist und kühl anfühlen. »Die große Mühsal ist die Folge«, sagt mein Shifu dazu. Dann gibt es im Alter wenig Hoffnung, die eigene Lebensaufgabe noch zu finden und zu erfüllen. Oder anders ausgedrückt: Wer bis zum 60. Lebensjahr seine Talente noch nicht gelebt hat, der kann nur ein mangelhaftes Resümee ziehen. Alle Versuche, den Sinn des eigenen Lebens zu finden, auf die Zeit nach dem beruflichen Wirken aufzuschieben, kann ein folgenschwerer Fehler sein. Wer weiß denn, wie viel Zeit ihm bleibt?
SCHLUSSSTRICH BEIM RENTENEINTRITT
Vor einigen Jahren war ein Bankangestellter aus Hessen bei mir im Reading. Er hat mich an die Bedeutung des Jahres des Resümees erinnert, das in Europa zeitlich fast mit dem Eintritt ins Rentenalter zusammenfällt.
Der Mann machte einen gewitzten, neugierigen Eindruck. Er hatte kleine, funkelnde Augen, die fast jugendlich wirkten – etwas, das ich bei jemandem, der gerade 60 wurde, nicht häufig sah. Seine Verspieltheit war ihm anzumerken und er schien sie auch zu leben. Sein Hobby, die Fotografie, forderte ihn immer wieder kreativ heraus. Beruflich hatte er einen solideren Weg gewählt und sein gesamtes Berufsleben in einer Bank verbracht, wo er vom Lehrling bis zum Filialleiter aufgestiegen war.
Das Reading, so sein Wunsch, sollte sich ganz um seine Gesundheit drehen. Er war interessiert an der Verbesserung seiner Fitness und an einer Justierung seiner Ernährung. Ein klassisches Thema, bei dem das Gesicht viele wertvolle Hinweise liefern kann. Seine Fragen und Anliegen zur Gesundheit waren schnell besprochen und so plauderten wir noch ein wenig über seine Pläne für die Zeit nach seinem Berufsleben.
»Wann ist es denn so weit?«, wollte ich wissen.
»Genau in fünf Jahren gehe ich in Rente«, sagte er »und ich habe mir einiges vorgenommen.«
»Was haben Sie denn vor?«, fragte ich neugierig.
Völlig nüchtern, als kommentiere er gerade das Wetter, meinte er: »Als Allererstes werde ich mich von meiner Frau trennen.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Sie wollen sich trennen? Wieso das denn?«
»Um ehrlich zu sein, ist das schon seit vielen Jahren mein Plan. Der Renteneintritt ist meine persönliche Unabhängigkeitserklärung von meinem Beruf, den ich nie so richtig gemocht habe. Leider ist das auch bei meiner Frau der Fall. Nach zwei, drei verliebten Jahren haben wir uns miteinander nur noch gelangweilt und uns angegiftet. Ich kann es nicht erwarten, diesen Schlussstrich zu ziehen.«
Natürlich konnte ich nachvollziehen, dass er sich aus einer Beziehung lösen wollte, die ihn nicht erfüllte, aber sein Timing verstand ich beim besten Willen nicht.
»Warum aber warten Sie dann so lange mit der Trennung? Ist das fair Ihrer Frau gegenüber?«
»Ich möchte gerade meinen Alltag und die Gewohnheiten, die damit einhergehen, nicht auf den Kopf stellen. Im Moment habe ich noch viele Verpflichtungen und Aufgaben, die ich gut zu Ende bringen möchte. Wenn es dann so weit ist, bin ich vorbereitet und kann einen klaren Schnitt machen.«
Für mich kam diese Aussage überraschend, denn die neugierig funkelnden Augen des Mannes passten nicht zu seinen Plänen. Erst als ich mir sein Gesicht näher anschaute, konnte ich mir einen Reim darauf machen. Er hatte einen kleinen Mund. Auch wenn er mir gegenüber gesprächig war, so war er das anderen gegenüber vermutlich weniger. Er beobachtete lieber. Deshalb faszinierte ihn auch die Fotografie. Er konnte offenbar nicht gut über seine Gefühle sprechen – zu sehen an der extrem schmalen Oberlippe und der deutlich größeren Unterlippe. Noch dazu waren seine Lippen verkürzt. Man sagt: Ein solcher Mensch trägt Geheimnisse in sich und macht viel mit sich allein aus.
Der Mann hatte sein Leben und seine Ehe offensichtlich aus der Beobachterperspektive gelebt. Diese Beobachtergabe hat ihn zwar zu zahlreichen Erkenntnissen geführt, genutzt hat er sie aber (noch) nicht, um lebensverändernde Entscheidungen zu treffen.
»Mir ist bewusst, dass manch einer meinen Plan nicht wird nachvollziehen können«, fuhr er fort, »aber ich habe ihn eben so gefasst. Wenn ich in Rente bin, dann wird alles anders. Dann beginnt mein Leben neu.« Noch während er sprach, stand er auf und reichte mir freundlich die Hand. Er signalisierte, dass er für diesen Plan keinen Rat benötigte und verabschiedete sich.
Der Mann befand sich zum Zeitpunkt unseres Readings in jenem Jahr des Resümees. Seine Gesichtsform spricht dafür, dass sein Plan funktionieren könnte. Er hatte ein Berggesicht das auf seine Fähigkeit hinweist, einen langen Weg gehen zu können. Und sie besagt, dass er das Potenzial hat, alt zu werden. Menschen mit einem Berggesicht tendieren allerdings auch dazu, zu vereinsamen und zu rasten; Dinge beiseitezulegen, sie zu ignorieren und zu hoffen, dass sie sich von selbst erledigen. Genau das hatte er getan. Er hatte in seiner Ehe ebenso wie in seinem Beruf gerastet. Und auch sonst hatte er in den Jahren bis zu seinem 60. Lebensjahr nur wenig Dinge getan, die seiner Persönlichkeit entsprachen. Zwar hat er sich auf einen langen Weg begeben, aber ein Lernsatz für Berggesichter besagt, dass sie sich für diese lange Reise Weggefährten suchen sollen. Einen, besser mehrere Menschen, die sie an ihrer Seite wissen und, dies ein weiterer Lernsatz, mit denen sie über Gefühle, nicht nur Gedanken, sprechen können. Ich bezweifelte, dass er dazu bereit war.