If We Ever Meet Again - Ana Huang - E-Book

If We Ever Meet Again E-Book

Ana Huang

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Beschreibung

Sie möchte sich das erste Mal verlieben. Er will von der Liebe nichts wissen

Als die 19-jährige Farrah Lin ihr Auslandssemester in Shanghai beginnt, weiß sie genau, dass sie sich dort zum ersten Mal verlieben will - aber ganz bestimmt nicht in Blake Ryan. Denn der ehemalige College-Football-Star mit seinem viel zu großen Ego und den unwiderstehlichen Grübchen verkörpert die Art Mann, von der die introvertierte Farrah sich eingeschüchtert fühlt. Doch als sie ihn eines Nachts in der Bibliothek trifft und ihm beim Lernen hilft, erhascht sie einen Blick auf einen anderen Blake als den immer gut gelaunten Athleten. Eine zarte Freundschaft entsteht, und schon bald können sie sich gegen die wachsende Anziehung zwischen ihnen nicht länger wehren. Doch ihnen bleibt nur ein gemeinsames Jahr ...

Auftakt der großen Liebesgeschichte von Farrah und Blake

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Seitenzahl: 394

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Playlist

Anmerkung der Autorin

Prolog

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Frühlingssemester

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Anmerkungen der Autorin

Danksagung

Die Autorin

Die Bücher von Ana Huang bei LYX

Impressum

ANA HUANG

If We Ever Meet Again

Roman

Ins Deutsche übertragen von Katia Liebig

Zu diesem Buch

Ein Jahr Shanghai – auf dieses Abenteuer lässt sich die 19-jährige Farrah Lin ein, um ein Auslandssemester zu absolvieren. Sie will sich endlich das erste Mal so richtig verlieben – aber ganz sicher nicht in Blake Ryan! Denn der ehemalige College-Football-Star mit seinem viel zu großen Ego und den unwiderstehlichen Grübchen verkörpert genau die Art Mann, von der sich die introvertierte Farrah eingeschüchtert fühlt. Farrah und Blake sind wie Feuer und Wasser, und doch ist da etwas. Denn als Farrah den ehemaligen Quarterback besser kennenlernt, merkt sie, dass hinter der Fassade des Sunnyboys so viel mehr steckt. Blake hat – trotz Chance auf die NFL und gegen den Willen seines Vaters – den Spitzensport hinter sich gelassen und versucht jetzt, einen neuen Weg einzuschlagen. Was er mit seinem Wirtschaftsstudium anfangen soll, weiß er noch nicht. Doch als er Farrah trifft, ist er gleich von ihr fasziniert, nicht nur von ihrem Aussehen, sondern vor allem von ihrer Leidenschaft für ihr Innendesign-Studium. Und während der Nachhilfestunden in der Bibliothek, einer Exkursion zur Chinesischen Mauer und romantischen Abendessen kommen die beiden sich immer näher. Für Farrah ist es die große Liebe, und auch Blake scheint das erste Mal etwas Echtes für eine Frau zu empfinden. Doch als sie nach den Weihnachtsferien in der Heimat wieder in Shanghai sind, ist plötzlich alles anders …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Playlist

The Hardest Thing – 98 Degrees

Chances – Backstreet Boys

Free – Broods

Skyfall – Adele

Crush – 3G’s

Ocean Eyes – Billie Eilish

Like You’ll Never See Me Again – Alicia Keys

Impossible – Shontelle

Moral of the Story – Ashe

I Never Told You – Colbie Caillat

Here’s to the Night – Eve 6

Glad You Came – The Wanted

The Time (Dirty Bit) – Black Eyed Peas

See You Again – Charlie Puth & Wiz Khalifa

Don’t Forget About Us – Mariah Carey

If We Ever Meet Again – Katy Perry & Timbaland

Anmerkung der Autorin:

Dieses Buch ist der erste von zwei Teilen. Es handelt sich um einen vollständigen Roman ohne Cliffhanger, aber die Geschichte von Blake und Farrah geht im zweiten Buch, If The Sun Never Sets, weiter – Happy End garantiert.

Prolog

Es würde ihn umbringen.

Ganz egal, wie gut er sich darauf vorbereitet hatte, die nächsten dreißig Minuten würden ihm das Herz aus der Brust reißen und in der Luft zerfetzen.

Es war unausweichlich.

»Lange nicht gesehen.« Sie klang unsicher und anklagend zugleich.

Er konnte es ihr nicht verübeln. An ihrer Stelle hätte er sich schon lange abgeschrieben. Doch das hatte sie nicht getan – weshalb er sie nur umso mehr liebte. Doch gerade ihre Loyalität machte dieses Gespräch noch schwieriger.

Er stützte die Unterarme auf die Knie, verschränkte die Finger ineinander und starrte auf die Holzmaserung des Fußbodens, bis sie vor seinen Augen verschwamm.

»Ich hatte ziemlich viel um die Ohren.«

»Ach ja?«

»Ja. Die Uni. Die Bar. Solche Dinge.«

»Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen.«

Ihr scharfer Ton ließ seinen Kopf nach oben schnellen. Doch sie anzusehen, war eindeutig ein Fehler.

Beim Anblick ihres Gesichts und des Schmerzes, der in diesen wunderschönen braunen Augen lag, zog sich seine Brust qualvoll zusammen. Es war zwei Wochen her, dass sie sich zum letzten Mal allein gesehen hatten, doch es hätten ebenso gut zwei Ewigkeiten sein können.

In sein Grauen mischte sich ein seltsames Gefühl der Freude darüber, mit ihr allein zu sein, und er musste all seine Willenskraft zusammennehmen, um sie nicht in die Arme zu ziehen und nie wieder loszulassen.

»Sag mir die Wahrheit.« Ihre Stimme klang jetzt weicher. »Du kannst mir vertrauen.«

Es wäre so leicht, so zu tun, als wäre alles gut, ihr die Worte zu sagen, die sie hören wollte, und einfach so weiterzumachen wie zuvor.

Ja, er vertraute ihr. Doch die Wahrheit würde sie zerstören.

Und so tat er das Einzige, das ihm blieb: Er log.

»Es tut mir leid.« Er nahm jegliche Emotion aus seiner Stimme und verbannte sie in die finsteren Abgründe seiner Verzweiflung, die sich in seinem Innern auftaten. Ob sie es hörte? Das panische Bumm-Bumm-Bumm seines Herzens, das gegen seine Rippen donnerte und ihn anschrie, nicht weiterzusprechen? »Ich wollte es dir nicht auf diese Weise sagen, aber ich denke, wir sollten uns nicht mehr sehen.«

Farrah wurde blass. Sein Herz schlug noch heftiger.

»Was?«

Er schluckte hart. »Es war echt nett mit dir, aber das Jahr ist fast vorbei, und ich … Ich bin nicht länger interessiert. Tut mir leid.«

Lügner.

»Du lügst.«

Er zuckte zusammen. Sie kannte ihn gut. Zu gut.

»Tu ich nicht«, erwiderte er und bemühte sich, gelassen zu klingen, obwohl er einfach nur auf die Knie sinken und sie anflehen wollte, bei ihm zu bleiben.

»Doch, tust du. Du hast gesagt, du liebst mich.«

»Das war gelogen.«

Er konnte ihr nicht in die Augen sehen.

Bei dem leisen Geräusch, als sie scharf die Luft einsog, zog sich sein Herz zu einem harten Knoten zusammen.

»Du lügst.« Ihre Stimme zitterte. »Sieh dich doch an: Du zitterst.«

Er ballte die Hände zu Fäusten und zwang seinen Körper zu äußerlicher Ruhe.

»Farrah.« Das war’s. Sein Atem ging kurz und flach. »Ich bin in den Ferien wieder mit meiner Ex-Freundin zusammengekommen und wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Ich liebe sie. Das mit uns war ein Fehler, und jetzt muss ich versuchen, das wieder geradezubiegen.«

Ihr Schluchzen zerriss die Stille. Tränen brannten in seinen Augen, doch er blinzelte sie fort.

»Es tut mir leid.« Was für eine dämliche, leere Phrase. Keine Ahnung, warum er das überhaupt gesagt hatte.

»Hör auf, das zu sagen!«

Die Schärfe in ihrer Stimme ließ ihn zusammenzucken. Sie legte die Hand an den Anhänger ihrer Kette, und er sah den Schmerz über seinen Verrat in ihren Augen.

»Dann war das ganze letzte Jahr also eine Lüge?«

Wieder senkte er den Blick.

»Wieso? Wieso hast du so getan, als würde ich dir etwas bedeuten? War das irgendein kranker Scherz, oder was? Wolltest du sehen, ob ich blöd genug bin, mich in dich zu verlieben? Nun, herzlichen verfickten Glückwunsch, du hast gewonnen. Blake Ryan, der Champion. Dein Vater hatte recht. Du hättest nicht aufhören sollen. Niemand spielt das Spiel besser als du.«

So also fühlte es sich an zu sterben. Dieser Schmerz tief in seinem Innern, wie ein scharfkantiger, schwarzer Klumpen Eis. Das Bedauern über die Worte, die er nicht sagen, die Versprechen, die er nicht halten konnte. Dieses Gefühl der Einsamkeit, während er in die finstere, sternenlose Vergessenheit hineinglitt, aus der niemand ihn mehr retten konnte.

»Es t…«

»Wenn du noch ein einziges Mal sagst, dass es dir leidtut, schneide ich dir mit einem rostigen Küchenmesser die Eier ab. Vielleicht tu ich es sowieso. Du bist ein verdammtes Arschloch. Mir tut es leid, dass ich so viel Zeit auf dich verschwendet habe, und deine Freundin tut mir noch mehr leid. Sie hat was Besseres verdient.«

Gott, er wollte nicht, dass sie ihn so hasste. Er wollte ihr sagen, dass das alles nur ein Scherz gewesen sei. Er wollte sie in die Arme ziehen und diesen Duft nach Vanille und Orangenblüten einatmen, den er so liebte, ihr gestehen, wie verliebt er in sie war, und sie küssen, bis sie beide keine Luft mehr bekamen.

Aber das ging nicht. Der erste Teil wäre eine Lüge, und der zweite … Nun, das würde er nie wieder tun können.

Farrah ging zur Tür. Im Türrahmen blieb sie noch einmal stehen und sah ihn an. Er rechnete schon damit, dass sie ihm noch mehr Gift entgegenschleudern würde – er hatte es verdient. Doch das tat sie nicht. Stattdessen wandte sie sich ab und schloss die Tür hinter sich mit einem sanften Klick, das in der Stille widerhallte wie ein Gewehrschuss.

Seine Schultern sackten herab. Alle Energie verließ ihn.

Es war vorbei. Und es gab kein Zurück.

Es war richtig gewesen, das zu tun. Und dennoch …

Er kniff die Augen zusammen und versuchte den Schmerz zu verdrängen. Doch er bekam ihren Gesichtsausdruck einfach nicht aus dem Kopf, der ihm sagte, dass er es nicht wert war, ihre Zeit zu verschwenden und ihn noch weiter anzuschreien.

Ihretwegen glaubte er an die Liebe, an diese umwerfende, einzigartige Liebe, die er immer für eine Hollywooderfindung gehalten hatte. Aber diese Liebe war keine Erfindung. Sie war real. Er spürte sie tief in seiner Seele.

Wenn sie sich doch nur früher begegnet wären oder unter anderen Umständen …

Er war immer ein praktisch veranlagter Mensch gewesen, und es brachte nichts, über Dinge nachzugrübeln, die hätten sein können. Seine Pflicht band ihn an eine andere Frau, und Farrah würde früher oder später jemanden finden, der ihr all das geben konnte, was sie verdiente. Jemanden, den sie lieben und heiraten und mit dem sie Kinder bekommen würde und …

Bei diesem Gedanken zerbrach auch noch der letzte winzige Teil seines Herzens. Die Scherben schnitten in seine Selbstbeherrschung, bis er die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Zum ersten Mal seit er mit sieben von einem Baum gefallen war und sich das Bein gebrochen hatte, schüttelten schwere, stumme Schluchzer seinen Körper. Doch diesmal war der Schmerz noch eine Million Mal schlimmer.

Er dachte an all ihre gemeinsamen Momente, und der Junge, der geschworen hatte, niemals wegen eines Mädchens zu weinen … weinte.

Er weinte, weil er ihr wehgetan hatte.

Er weinte, weil es ihn von der entsetzlichen Einsamkeit ablenkte, die er empfand, seit sie gegangen war.

Vor allem aber weinte er um alles, was sie gehabt und verloren hatten, und um das, was sie niemals würden sein können.

1

Acht Monate zuvor

»Einen Classic Milk Tea und einen Honey Oolong Milk Tea mit Tapioka, bitte. Mit Zucker und Eis.«

Farrah Lin schob der Kassiererin einen Zwanzig-Yuan-Schein über den Tresen, und die lächelte ihr grüßend zu. Nach nur vier Tagen in Shanghai war Farrah bereits zur Stammkundin im Bubble-Tea-Shop neben dem Campus geworden. Sie beschloss, lieber nicht darüber nachzudenken, was das für ihr Portemonnaie und ihre Hüften bedeutete.

Während sie auf ihre Bestellung wartete, betrachtete Farrah die Angebotskarte. Sie kannte die Worte nai cha (Milchtee) und xi gua (Wassermelone) und ein paar weitere chinesische Schriftzeichen, aber es reichte noch nicht aus, um einen zusammenhängenden Satz zu sprechen.

»Bitte sehr.« Die Kassiererin reichte Farrah ihre Bestellung. »Bis morgen.«

Farrah errötete. »Danke.«

Vielleicht sollte ich Olivia bitten, morgen den Tee zu besorgen.

Farrah verließ den winzigen Laden und lief zurück zum Campus. Die untergehende Sonne tauchte die Stadt in ein warmes goldenes Licht. Fahrräder und Mopeds surrten an ihr vorbei und kämpften mit den Autos um den knappen Raum auf der schmalen Seitenstraße. Der köstliche Duft aus den Restaurants, an denen Farrah vorbeikam, mischte sich mit dem weniger angenehmen Geruch nach Müll und Baustellenstaub. Straßenverkäufer priesen ihre Waren an – so ziemlich alles von Hüten und Schals bis zu Büchern und CDs.

Farrah beging den Fehler, eine der Verkäuferinnen anzusehen.

»Meinu!«SchönesMädchen. Farrah wäre geschmeichelt gewesen, wenn sie nicht gewusst hätte, wie hart erkauft dieses Kompliment sein konnte. »Komm, komm.« Die ältere Frau winkte sie zu sich. »Woher kommst du?«, fragte sie auf Mandarin.

Farrah zögerte, bevor sie antwortete: »Amerika.« Mei guo. Dabei zog sie die letzte Silbe in die Länge, nicht ganz sicher, ob ihr dieses Geständnis helfen oder schaden würde.

»Ah, Amerika. ABC«, sagte die Verkäuferin wissend. ABC – American-born Chinese. Das hatte Farrah in letzter Zeit ziemlich oft gehört. »Ich habe ein paar sehr gute englische Bücher.« Die Verkäuferin präsentierte eine Ausgabe von Eat, Pray, Love. »Nur zwanzig kuai!«

»Danke, aber ich bin nicht interessiert.«

»Wie wäre es mit diesem hier?« Die Frau griff nach einem Thriller von Dan Brown. »Ich mache dir einen guten Preis. Drei Bücher für fünfzig kuai.«

Farrah brauchte keine neuen Bücher, und fünfzig kuai, etwa sieben Dollar, schienen ihr für diese billigen Nachdrucke alter Geschichten auch ein wenig überteuert. Doch die alte Frau war nett, und Farrah fehlte die Energie, mit ihr zu handeln.

Sie ließ ihren Blick über die englischen Titel gleiten und entschied sich für die Liebe: Jane Austen, Nicholas Sparks, Jojo Moyes.

In Anbetracht der Dürre, die aktuell in Farrahs Liebesleben herrschte, konnte sie jede Art von romantischer Beziehungsgeschichte brauchen, selbst wenn sie tragisch endete. Nun, vielleicht nicht unbedingt mit dem Tod, aber mit einer Trennung oder so. Hauptsache die Geschichte bewies, dass es dieses verrückte Gefühl, sich Hals über Kopf in einen anderen Menschen zu verlieben, nicht nur in Büchern und Filmen gab, sondern auch im wahren Leben.

Nach einem enttäuschenden ersten Jahr an der Uni mit mittelmäßigen Dates, die spätestens mit ein bisschen Fummeln ihr Ende gefunden hatten, hatte Farrah beschlossen, der Realität abzuschwören und von nun an ganz im Land der Fantasie zu leben.

»Ich nehme die hier.« Sie stellte ihre Teebecher auf den Boden und griff nach Stolz und Vorurteil (ihr persönlicher Favorit), Wie ein einziger Tag und Ein ganzes halbes Jahr. Zwar hatte sie alle drei bereits gelesen, aber es hatte schließlich noch niemandem geschadet, ein Buch noch einmal zu lesen.

Farrah gab der Verkäuferin das Geld, und die bedankte sich überschwänglich, bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf die nächste Passantin richtete.

»Mei nu!« Sie winkte einer jungen Frau in einem kobaltblauen Kleid. »Komm, komm.«

Farrah schlang sich ihre Tüte ums Handgelenk und griff wieder nach den Bechern, während die junge Frau die aufdringlichen Verkaufsversuche der alten Frau abwehrte. Mit eiligen Schritten lief sie zurück zum Campus, wobei sie darauf achtete, jeden weiteren Blickkontakt mit den Straßenverkäufern zu vermeiden, um nicht erneut dazu gedrängt zu werden, etwas zu kaufen, das sie gar nicht brauchte.

Am Fußgängerüberweg blieb sie stehen. Statt die Straße zu überqueren, wenn die Ampel grün zeigte, wartete sie lieber, bis eine Gruppe Teenager losmarschierte, und folgte ihnen dann in den Dschungel des Shanghaier Straßenverkehrs.

Überlebensregel Nummer 1 in China: Gehe dann über die Straße, wenn auch die Einheimischen gehen. In der Masse ist es sicherer.

Als Farrah auf dem Campus der Shanghai Foreign Studies University ankam, wo sie ihr Auslandsjahr absolvierte, hatte sie ihren Tee ausgetrunken. Sie warf den leeren Becher in den Müll und schob sich durch die Tür ins Foyer des FEA-Gebäudes.

FEA, die Foreign Education Academy, befand sich in einem der ältesten Häuser der SFSU. In dem vierstöckigen Gebäude gab es keinen Aufzug, und auch die gesamte Inneneinrichtung ließ zu wünschen übrig. Die Lobby hatte Potenzial – Marmorboden und jede Menge Tageslicht, das durch die großen Fenster vom Hof hereinfiel –, doch die Möbel stammten noch aus den Achtzigern, aber nicht auf die coole Retro-Style-Art.

An der Wand unter den Fenstern stand eine rissige braune Ledercouch neben einer wilden Mischung aus Tischen und Stühlen. Ein klappriger Zeitungsständer ächzte unter dem Gewicht Dutzender alter Ausgaben der Time Out Shanghai, und die verblichenen chinesischen Landschaftszeichnungen an den Wänden unterstrichen die muffige Atmosphäre noch zusätzlich.

Wie immer begann Farrah den Raum fast schon reflexartig in Gedanken umzudekorieren. Während sie die Treppe in den zweiten Stock hinaufstieg, tauschte sie in Gedanken die aktuellen Sessel und Stühle gegen gepolsterte Korbmöbel und Tischchen mit Glasplatten aus, die die Lobby sofort optisch größer wirken lassen würden. Auch die alten Aquarelle flogen raus und wurden durch asiatisch inspirierte Kunst ersetzt – vielleicht ein paar Großaufnahmen einer Lotusblume oder Pflaumenblüten mit moderner chinesischer Kalligrafie. Man könnte auch ein Bücherregal …

»Au!« Farrah war so in ihre Tagträumerei vertieft gewesen, dass sie gegen eine Wand gelaufen war. Sie griff sich an die schmerzende Stirn, konnte zum Glück aber keine Beule erfühlen.

Und Olivias Bubble Tea war auch heil geblieben, Gott sei Dank. Ihre Freundin konnte ziemlich furchteinflößend sein, wenn sie ihren Zuckerkick nicht bekam.

Die Wand bewegte sich. »Alles okay?«

Jetzt sprach die Wand auch noch. Ihr Kopf war wohl stärker in Mitleidenschaft gezogen worden, als sie gedacht hatte.

Farrah schaute zwischen ihren Fingern hindurch und starrte in ein Paar kristallblaue Augen. Sie kannte diese Augen. Sie hatten ihr gemeinsam mit den dazugehörigen hohen Wangenknochen und einem frechen Grinsen letztes Jahr vom Titel der Sports Illustrated entgegengeblickt.

Jetzt musterten sie sie mit einer Mischung aus Belustigung und Besorgnis.

»Du bist keine Wand«, platzte es aus ihr heraus.

»Nein, bin ich nicht.« Die Nicht-Wand zog eine Augenbraue hoch. Ein Hauch von einem Lächeln war zu sehen. »Man hat mich ja schon vieles in meinem Leben genannt, aber das ist neu.«

Farrah kämpfte gegen die verlegene Röte an, die sich auf ihrem Gesicht ausbreitete. Von allen Menschen, gegen die sie hätte laufen können, hatte sie sich ausgerechnet Blake Ryan ausgesucht.

Auch wenn sie sich nicht sonderlich für Sport interessierte, wusste sie, wer er war. Alle wussten es. Er war ein heiß gehandelter Footballspieler aus Texas, der das ganze Land in Aufruhr versetzt hatte, als er Anfang des Jahres aus seiner Mannschaft ausgestiegen war. Abgesehen vom Cover der Sports Illustrated kannte Farrah Blake auch aus einer ESPN-Doku über die talentiertesten College-Athleten des Landes. Farrahs Mitbewohnerin hatte sie letztes Jahr dazu gezwungen, sich die Doku anzusehen, weil sie total auf den Point Guard der CCU gestanden hatte und vor jemandem über ihn schwärmen wollte.

Es waren die langweiligsten fünfundsiebzig Minuten in Farrahs Leben gewesen, aber wenigstens hatte es ein paar scharfe Athleten zu sehen gegeben, wobei der schärfste gerade vor ihr stand.

Knapp ein Meter neunzig groß, sonnengebräunte Haut und perfekt definierte Muskeln, goldene Haare, gletscherblaue Augen und Wangenknochen, mit denen man Eis hätte schneiden können. Er war nicht wirklich Farrahs Typ, doch sie musste zugeben, dass er echt attraktiv war. Blake sah genau so aus, wie sie sich Apollo vorgestellt hatte, als sie in der siebten Klasse über die griechischen Götter gesprochen hatten.

»Nun, du bist ziemlich hart.« Die Worte waren raus, bevor Farrah sie zurückhalten konnte.

Das hab ich jetzt nicht wirklich gerade laut gesagt.

Die Röte erfasste nun ihren gesamten Körper, und egal wie sehr sie auch darum betete, der Boden tat sich leider nicht unter ihr auf, um sie zu verschlingen. Verdammt.

Blakes zweite Augenbraue schoss ebenfalls nach oben.

»Ich meine, deine Brust ist wirklich hart. Sonst nichts. Auch wenn ich mir sicher bin, dass er hart sein könnte, wenn er wollte.«

Töte mich.

Der Hauch von Belustigung wuchs zu einem ausgewachsenen Grinsen und entblößte dabei zwei Grübchen, die als tödliche Waffen klassifiziert werden sollten.

»Das kann er«, bestätigte Blake. »Vor allem in Gegenwart einer solchen Schönheit wie dir.«

Farrahs Verlegenheit kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. »Oh, bitte. Funktionieren die wirklich?«

»Wie bitte?«

»Deine schleimigen Anmachsprüche. Funktionieren die etwa wirklich?«

»Bisher hat sich noch niemand beschwert. Und außerdem … Ich mein: Sieh mich an.« Blake zeigte auf sich selbst. »Ich brauche keine Anmachsprüche.«

»Wow.« Farrah schüttelte den Kopf. Was für ein aufgeblasener Schwachkopf. »Muss ziemlich anstrengend sein, mit so einem großen Ego rumzulaufen.«

»Babe, das ist nicht das Einzige an mir, das groß ist.«

Farrah konnte nicht anders; ihr Blick sprang nach unten, und vor ihrem inneren Auge flackerte ein Bild von dem auf, was sich in seiner Jeans befand. Ihr Mund wurde trocken.

»Ich meinte natürlich meine Brustmuskeln.« Blake schüttelte sich vor Lachen.

Farrahs Blick schoss wieder hoch zu seinem Gesicht. »War mir schon klar.« Die Verlegenheit kroch erneut an ihrem Hals empor.

»Aber sicher doch. Und nun, da du mich ja schon mit deinen Blicken ausgezogen hast, sollten wir uns …«

»Ich habe dich nicht ausgezogen …«

»Einander vorstellen.« Er streckte die Hand aus. »Ich bin Blake.«

Sie wusste, wer er war, und sie beide wussten, dass sie das wusste. Trotzdem spielte Farrah sein Spielchen mit, denn a) hatte ihre Mutter sie zu einem höflichen Menschen erzogen und b) kannte sie zwar seinen Namen, er jedoch vermutlich nicht ihren. Sie hatten sich beim Orientation Dinner am ersten Abend schon einmal kurz gesehen, doch in der FEA gab es insgesamt siebzig Studierende. Farrah selbst konnte sich nicht mal mehr an die Hälfte der Namen all der Leute erinnern, mit denen sie gesprochen hatte. »Ich bin Farrah.«

Sie schob den Griff ihrer Plastiktüte auf den anderen Arm und nahm seine Hand, die sich warm und rau anfühlte. Als ihre Hände sich berührten, zuckte zu ihrer Überraschung ein winziger elektrischer Schock durch ihre Adern.

»Farrah aus Kalifornien.«

Es hätte sie kaum mehr gewundert, wenn er angefangen hätte, die Ilias auf Griechisch zu rezitieren. »Du erinnerst dich.«

»Wie könnte ich das vergessen?« Blakes Blick glitt über ihr Gesicht und blieb an ihren Lippen hängen.

Farrahs Puls legte einen Zahn zu. Blake war das genaue Gegenteil eines romantischen Helden – groß, dunkel und gut aussehend, dabei belesen und mit einer sensiblen, kultivierten Art –, doch sein Sexappeal war nicht zu leugnen. Er troff förmlich aus ihm heraus wie Honig aus einer Wabe.

»Also hätten wir uns einander gar nicht vorzustellen brauchen.«

»Nein.« Er trat einen Schritt näher, ohne ihre Hand loszulassen. »Aber ich brauchte eine Ausrede, um dich zu berühren.«

Nein, Blake war nicht ihr Typ, doch unter seinem Blick wäre jedes Mädchen dahingeschmolzen. Und egal wie ungern Farrah es auch zugeben wollte: Sie bildete da keine Ausnahme.

Aber sie würde einen Teufel tun, es sich anmerken zu lassen.

Während sie noch krampfhaft nach einer schlagfertigen Erwiderung suchte, senkte Blake den Kopf und flüsterte ihr ins Ohr: »Findest du meine Anmachsprüche immer noch schleimig?«

Farrah riss ihre Hand aus seiner und ignorierte sein Lachen, dessen tiefer, samtiger Klang das leere Treppenhaus erfüllte.

»Tatsächlich tue ich das«, antwortete sie so würdevoll, wie es ihr möglich war. »Du bist nicht so heiß, wie du vielleicht denkst.« Lügnerin. »Es gibt jede Menge Typen, die genauso gut aussehen wie du.«

»Aha! Du findest also, dass ich gut aussehe.«

Verdammt. »Nur nach physischen Gesichtspunkten.«

»Ähm, genau das bedeutet ›gut aussehen‹.«

»Ich habe Wichtigeres zu tun, als hier rumzustehen und mit dir zu diskutieren. Wenn du mich also …«

»Was denn? Deprimierende Bücher zu lesen?« Blake wies mit dem Kinn auf die Tüte in ihrer Hand. Der Einband von WieeineinzigerTag leuchtete durch das dünne rote Plastik hindurch.

»Ich erwarte nicht, dass du das verstehst, aber das ist eine großartige Liebesgeschichte«, schnaubte Farrah.

»Hey, wenn’s dir gefällt. Ich hab nichts gegen Liebesgeschichten. Und falls du was anderes tun willst, als mit mir zu diskutieren – ich hätte da ein paar Ideen.« In seiner Stimme lag mehr als nur eine leise Andeutung. »Du, ich, mein Zimmer – eine großartige Liebesgeschichte.«

Farrah schnaubte. »Träum weiter. Du bist nicht mein Typ.«

»Ich bin jederfraus Typ.«

Farrah machte sich gar nicht erst die Mühe, seine Arroganz mit einer Antwort zu belohnen. Sie schob sich an ihm vorbei und marschierte weiter die Treppe hinauf. »Ich wünsche dir und deinem Ego noch einen schönen Abend«, warf sie ihm über die Schulter hinweg zu.

»Mein Ego und ich haben immer einen schönen Abend. Ach, übrigens!«, rief Blake ihr nach. »Ich hasse es, dich gehen zu sehen, aber ich liebe es, dir hinterherzuschauen.«

Farrah presste die Lippen aufeinander, um nicht über seinen so bewusst gewählten klischeehaften Spruch zu lächeln.

Blake Ryan mochte einen feinsinnigeren Humor haben, als sie ihm zugetraut hatte, aber er hatte nicht das Potenzial für eine männliche Hauptrolle.

Nicht für sie jedenfalls.

Nicht mal annähernd.

2

Blake grinste noch immer, als er in sein Zimmer trat und das Licht anschaltete. Der Ausdruck auf Farrahs Gesicht, als er sie gefragt hatte, ob seine Anmachsprüche schleimig seien.

Unbezahlbar.

Sie war in der FEA und somit tabu. Was jedoch nicht bedeutete, dass er nicht mit ihr flirten konnte.

Er brauchte ein wenig Spaß im Leben.

Blake warf seinen Schlüsselbund auf den Schreibtisch und ließ den Blick durch sein kleines Reich wandern. Genau genommen war es sein und Lukes kleines Reich, jedenfalls während der Orientierungswoche, bevor Luke zu seiner Gastfamilie zog.

Doch sein Mitbewohner war gerade nicht da, und Blake hatte die ganzen vierzehn Quadratmeter für sich.

Verglichen mit seiner Wohnung in der Nähe seiner Uni in Texas war dieses Zimmer hier ein Loch. Die dunklen Holzdielen knarrten, die kahlen Betonwände hatten eher was von einer Gefängniszelle, und die beiden schmalen Betten waren gut und gerne zehn Jahre alt. Doch das FEA-Wohnheim besaß etwas, das seine Bude an der TSU nicht bot: Freiheit.

Und für diesen Luxus würde Blake jeden Flachbildfernseher und jedes noch so große Bett der Welt hergeben.

Er ließ sich auf seine Matratze fallen, schloss die Augen und genoss die Stille. Kein Anstarren. Kein Flüstern. Nichts als die friedliche Stille in einem winzigen Zimmer in einer riesigen Stadt am anderen Ende der Welt. Zum ersten Mal seit vergangenem Februar hatte er das Gefühl, wieder atmen zu können.

Die melodischen Klänge von Blakes Handyalarm unterbrachen sein Glück. Cleo hatte ihm den Ton runtergeladen, als sie im Sommer zusammengekommen waren. Blake war jeden Morgen noch vor der Dämmerung aufgestanden, um zum Football-Training zu gehen, und sie hatte die Weckrufe von seinem Handy morgens um halb fünf absolut gehasst.

Er sollte den Alarmton ändern.

Blake öffnete ein Auge. Es war halb acht abends und somit halb sieben am Morgen in Austin. Zeit, mal zu Hause anzurufen.

Er rollte sich auf den Bauch und klappte seinen Laptop auf. Während er auf das Skype-Icon starrte, suchte er nach einer Entschuldigung, um das Gespräch möglichst kurz zu halten, bevor er schließlich auf den Anruf-Button klickte.

Zu seiner Erleichterung erschien Joy auf dem Bildschirm.

»Wurde auch Zeit, du Loser.« Joy schob sich einen Kartoffelchip in den Mund. »Du bist spät dran.«

»Hilf mir kurz auf die Sprünge: Warst du es, die Wie man Freunde findet und Menschen beeinflusst geschrieben hat?« Blake tippte sich mit dem Finger gegen das Kinn. »Oh, warte. Dafür müsstest du, na ja, lesen und schreiben können. Mein Fehler.«

»Ha. Deinen schlechten Humor hat Shanghai offenbar nicht verbessert.« Joy neigte den Kopf zur Seite. »Du siehst furchtbar aus. Ist das ein Pickel da auf deinem Kinn?«

Unmöglich. Er bekam keine Pickel.

Trotzdem rieb Blake mit der Hand über sein Kinn, um nach unerwünschten Eindringlingen zu suchen. Aber er spürte nur das Kratzen seines abendlichen Bartschattens. »Da ist nichts.«

»Nein, aber ich hab dir Angst gemacht.« Joy lachte. »Du bist so eitel.«

»Ich leg jetzt wieder auf.«

»Mach doch.«

»Werd ich auch.«

»Okay.«

»Okay.«

Sie starrten einander an.

Joy gab als Erste nach. »Du fehlst mir, großer Bruder.«

»Du fehlst mir auch.« Blakes Schwester war eine ausgewachsene Nervensäge, aber auch eine seiner besten Freundinnen, und er liebte sie. Meistens jedenfalls.

Manchmal.

»Wie ist Shanghai?«

»Super. Ein bisschen laut und schmutzig, aber …« Blake zuckte mit den Schultern. »Man kann nicht alles haben.«

Er war froh, in Shanghai – auf jeden Fall nicht in Texas – zu sein, doch wenn er ehrlich war, fand er China extrem fremd und überwältigend. Das Essen war seltsam, die Leute starrten ihn ständig an, egal wohin er ging, und überall und immer gab es von allem irgendwie unglaublich viel.

Lärm. Lichter. Autos. Blake, der in einem ruhigen Vorort in Texas aufgewachsen war, fühlte sich manchmal, als hätte man ihn aus einem Goldfischglas herausgeholt und mitten in der Rushhour auf einen Highway fallen lassen.

Natürlich würde er das seiner Familie gegenüber niemals erwähnen. Sie machten ihm auch so schon genug Vorwürfe wegen der Entscheidungen, die er getroffen hatte.

Außerdem war er noch nicht mal eine Woche hier. Er hatte also noch mehr als genug Zeit, sich an Asien zu gewöhnen.

»Bist du bereit für die TSU?«, fragte er.

»Sicher. Ich hab mich den ganzen Sommer lang vorbereitet. Und außerdem hab ich dich oft genug auf dem Campus besucht, um zu wissen, wie es ist.« Nach ihrem ersten Jahr an einem Community College in der Nähe ihres Wohnorts würde Joy nun auf die TSU wechseln. »Cleo ist einfach super. Sie hat mir alles erklärt, was ich wissen muss. Welche Kurse ich wählen soll, welche Bars ich besuchen muss, welche Jungs ich kennenlernen soll.«

Blake wurde ein wenig flau im Magen. »Ich wusste gar nicht, dass ihr beide so viel Zeit miteinander verbringt.«

»Ähm, sie ist mehr oder weniger meine Schwester.« Joy sah ihn bedeutungsvoll an. »Und sie wäre tatsächlich meine Schwägerin geworden, wenn du es nicht vermasselt hättest.«

Das schon wieder. »Fang nicht damit an.«

»Ich fange überhaupt nichts an.«

»Gut.«

»Alles, was ich damit sagen will, ist, dass Cleo die beste Freundin war, die du dir wünschen konntest …«

Blake stöhnte. »Bitte, das hatten wir doch alles schon.«

»… und du hast mit ihr Schluss gemacht.« Joy schüttelte den Kopf. »Was hast du dir nur dabei gedacht?«

»Ich dachte, dass mein Liebesleben dich einen feuchten Dreck angeht.« Das hier war einer der Momente, in denen Blake seine Schwester nicht mochte. Den ganzen Sommer lang hatte sie ihn wegen Cleo genervt. Und er hatte doch tatsächlich geglaubt, sie hätte es endlich überwunden.

Offenbar nicht.

»Mom und Dad sind stinksauer.«

»Erzähl mir was, das ich noch nicht weiß.« Mit seiner Entscheidung, mit dem Football aufzuhören, und seiner Trennung von Cleo hatte er sich bei seinen Eltern in den vergangenen Monaten nicht gerade beliebt gemacht.

»Joy? Ist das dein Bruder, mit dem du da redest?«

Joy grinste. »Wenn man vom Teufel spricht.«

»Wen nennst du hier Teufel?«, schalt Blakes Mutter sie scherzhaft und schob ihr Gesicht ins Bild. »Hi, Schatz.«

»Hi, Mom.«

»Isst du auch genug? Du siehst dünn aus.«

Joy kicherte. »Das ist mein Stichwort. Ich gebe dich an Mom weiter.« Sie stand auf. »Don’t be a stranger, danger.«

»Das ergibt keinen Sinn.«

»Egal. Ciaooooo!«

Blakes Mutter kam sofort zum Thema. »Wie ist das Essen in China? Ist das der Grund, warum du nichts isst? Oh Blake, du hättest nach Europa gehen sollen.«

»Ich esse, und das Essen ist vollkommen in Ordnung.« Man musste sich bloß dran gewöhnen, das war alles. General Tso’s Hühnchen gab es hier jedenfalls nicht, wie Blake am Vorabend feststellen musste, als er versucht hatte, es zu bestellen. »Mach dir keine Sorgen.«

Helen Ryan starrte ihren Sohn an. »Ich bin deine Mutter. Es ist meine Aufgabe, mir Sorgen um dich zu machen, erst recht, wenn du ein ganzes Jahr in einem fremden Land am anderen Ende der Welt verbringst.«

»Genau betrachtet, ist jedes Land außerhalb der USA ›fremd‹«, erklärte Blake. Er war der Erste in seiner Familie, der sich je außerhalb der USA und Westeuropa aufgehalten hatte, verstand also ihre Besorgnis, doch seine Eltern taten so, als würde er in einem Kriegsgebiet studieren und nicht in einer internationalen Großstadt.

»Du weißt, was ich meine.« Helen drehte ihren Armreifen. »Die Leute dort sind sicher sehr nett, aber hättest du nicht irgendwohin gehen können, wo es … ähnlicher ist? London zum Beispiel. Dort sprechen sie Englisch. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, um zum Frühjahr noch einmal zu wechseln.«

»Es ist ja gerade der Sinn der Sache, irgendwohin zu gehen, wo es anders ist.« Mal ganz davon abgesehen, dass Shanghai sehr viel weiter von zu Hause entfernt war als London. »Und außerdem kann es von Vorteil sein, Chinesisch zu lernen.«

»Wahrscheinlich hast du recht.« Helen seufzte. »Ich mache mir einfach Sorgen um dich, Blake. Du verhältst dich schon das ganze Jahr über so seltsam.«

»Ich muss mir einfach über ein paar Dinge klar werden.« Zum Beispiel, was zum Teufel er mit seinem Leben anfangen wollte, nun, da eine Footballkarriere nicht mehr infrage kam. »Es geht mir gut. Versprochen.«

»Okay.« Seine Mutter wirkte nicht überzeugt, aber sie ließ es dabei bewenden. »Möchtest du mit deinem Vater sprechen? Er ist hier irgendwo.« Sie drehte sich Richtung Wohnzimmer. »Joe!«

»Nein!« Blake räusperte sich. »Ich meine … ein andermal. Ich muss gleich zu einer Orientierungsveranstaltung.«

»So spät noch?«

»Ähm, ja. Wir gehen … auf einen Nachtmarkt«, log Blake.

»Oh, okay.« Helen wirkte enttäuscht. »Na dann, viel Spaß. Wir hören uns bald wieder. Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch, Mom.«

Blake legte auf. Das war knapp gewesen. Er hatte keinerlei Bedürfnis, mit seinem Vater zu sprechen, solange Joe Ryans Stimme noch wie ein schlechter Traum in seinem Kopf widerhallte.

Bist du völlig BESCHEUERT? Haben sie dir beim Spiel zu hart gegen den Schädel gehauen? Du kannst nicht mit dem Football aufhören! Das ist das Einzige, was du gut kannst … Wer aussteigt, ist ein Versager …

Ein dumpfer Schmerz pochte an Blakes Schläfen. Allein der Gedanke an seinen Vater machte ihn schon verrückt.

Ein lauter Knall ließ ihn zusammenzucken. Zuerst dachte Blake, der Knall wäre eine alarmierende Steigerung seines Kopfschmerzes, doch dann sah er seinen Mitbewohner im Türrahmen stehen.

»Sorry.« Luke Peterson grinste. Mit seinen knapp ein Meter neunzig und über hundertzehn Kilo sah man ihm den Rugbyspieler sofort an. »Hab zu viel getrunken.«

»Alles gut.« Blake betrachtete Lukes rotes Gesicht und die kurzen braunen Haare, die ihm in alle Richtungen abstanden. »Wo warst du? In einem Windkanal?«

»Ha, ha.« Luke fuhr sich verlegen mit der Hand durch die Haare. »Ich hab bei Courtney fürs Vorglühen vorgeglüht. Die anderen sind jetzt rüber ins Gino’s, aber ich hab mein Portemonnaie vergessen.«

Das Gino’s, eine schmierige Bar in der Nähe des Campus’, entwickelte sich gerade zu einem beliebten FEA-Treffpunkt, um in den Abend zu starten, bevor man weiterzog. Das Essen war widerlich, aber die Drinks waren billig, und mehr brauchte ein Collegestudent schließlich nicht.

Blake interessierte sich weder besonders für das Essen noch für die Drinks. Ihm ging es in einer Bar mehr um die Atmosphäre und die Leute. Selbst Fremde fanden dort über die seltsamsten Dinge zusammen, egal, ob es ein Song war, den man mochte, oder ein Tor seines Teams, dessen Spiel man im Fernsehen verfolgte. Alle waren willkommen, egal ob sie einfach nur abhängen, jemanden abschleppen oder ihre Sorgen in Alkohol ertränken wollten.

»Perfektes Timing.« Blake stand auf und zog sein Sweatshirt aus. Bei Gino’s war es immer furchtbar heiß. »Ich wollte mich auch gerade auf den Weg machen.«

Scheiß auf seinen Vater. Blake würde nicht zulassen, dass der ihm seine Zeit in Shanghai vermieste.

Das Gute daran, etwa elftausend Kilometer von zu Hause entfernt zu sein? Man konnte tun und lassen, was man wollte.

3

»Wir müssen uns entscheiden.« Olivia Tang zog einen Stift aus ihrer Handtasche und kritzelte etwas auf eine Cocktailserviette. »Ich mache eine Pro-und-Kontra-Liste. Der Feiertag ist schon bald, und wenn wir nicht rasch buchen, wird alles voll sein.«

»Der Feiertag ist erst in über einem Monat«, betonte Sammy Yu. »Wir haben noch jede Menge Zeit.«

»Wir sind hier in China. Hast du eine Ahnung, wie viele Menschen unterwegs sein werden? Sehr viele«, erwiderte Olivia, bevor die anderen etwas sagen konnten. »Ich ziehe es vor, rechtzeitig zu planen, bevor wir am Ende irgendwo im Busch campen müssen, statt am Strand in der Sonne zu liegen.«

»Campen klingt doch gut«, sagte Sammy. Olivia runzelte die Stirn. »Oder Strand. Strand ist auch super.«

Farrah, Courtney Taylor und Kris Carrera sahen sich amüsiert an. Egal wie sehr Olivia es auch abstritt, Sammy stand auf sie. Farrah verstand nicht, warum ihre Freundin sich überhaupt die Mühe machte, es zu leugnen. Sammy sah gut aus, war süß, witzig und studierte Mathematik am Harvey Mudd, einem der besten privaten Colleges des Landes. Er war der Traum aller Frauen (und aller asiatischen Mütter).

»Wir brauchen keine Liste, wir stimmen einfach ab.« Courtney legte eine Hand auf Olivias Cocktailserviette, sodass die nicht weiterschreiben konnte.

»Ich schreibe aber gerne Listen.«

»Ich weiß, Süße, aber wir sind hier in einer Bar.« Courtney wies mit einer ausladenden Handbewegung um sich herum. »Lass uns also zum Ende kommen, damit wir es genießen können. Wer für Thailand ist, hebt die Hand.«

Farrah, Sammy und Leo Agnelli hoben ihre Hände. Und nach einem sehnsüchtigen Blick auf ihre Liste tat Olivia es ihnen gleich.

»Japan?«

Kris.

»Die Philippinen?«

Courtney und Nardo Crescas.

Nardo sah Kris an. »Du willst nicht auf die Philippinen? Deine Familie kommt doch von dort.«

»Genau deswegen. Ich fliege jedes Jahr hin.« Kris gähnte. »Nein, danke.«

»Luke meinte eben, er wolle auch auf die Philippinen, also wären wir zu dritt. Aber Thailand gewinnt trotzdem. Morgen buchen wir die Flüge.« Courtney klatschte in die Hände. »Jay! Und jetzt lasst uns irgendwas Cooles machen, um das zu feiern.«

»Warte. Wir haben noch gar nicht entschieden, wo genau wir in Thailand hinwollen«, protestierte Olivia.

»Liv.« Farrah legte ihrer Freundin einen Arm um die Schulter. »Darum kümmern wir uns morgen.«

Olivia seufzte. »Meinetwegen. Aber wenn wir in irgendeinem siffigen Motel landen, weil alles andere schon voll ist, sag nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.«

»Versprochen.« Farrah hätte es nicht mal gestört, wenn sie am Ende im Auto an der Straße schlafen mussten. Hauptsache, sie kam nach Thailand.

Ihr Auslandsjahr war genau vier Tage alt und jetzt schon viel interessanter als ihr gesamtes erstes Jahr an der California Coast University.

Ihr Magen kribbelte vor Aufregung. Mit den Reisen, den Leuten und all der Inspiration, die sie für den diesjährigen nationalen studentischen Innendesignwettbewerb bekommen würde, schien sich Shanghai als die beste Entscheidung ihres Lebens zu entpuppen.

Und eine Clique großartiger Freunde half dabei sehr. Farrah hatte Olivia am Flughafen kennengelernt, als sie beide auf das FEA-Shuttle zum Campus gewartet hatten, und Olivia hatte sich schon bald mit Kris und Courtney angefreundet, die sie wiederum mit den Jungs bekannt gemacht hatten (Courtney sammelte Freundschaften wie die Frauen beim Mardi Gras Perlen) – der Rest war Geschichte.

»Wo wir gerade von Luke sprechen – wo ist er überhaupt?« Leo sah sich suchend um. »Er ist schon vor einer Ewigkeit losgegangen, um sein Geld zu holen.«

Farrah versuchte das andere, deutlich besorgniserregendere Kribbeln in ihrem Bauch zu ignorieren, das sie jedes Mal verspürte, wenn Leo etwas sagte. Oder wenn sie ihn ansah. Oder an ihn dachte.

Im Gegensatz zu Blake war Leo absolut ihr Typ. Endlich ein Junge, der ihr Herz auf Touren brachte, wenn er den Raum betrat! Er hatte dunkle Haare und ein wissendes Lächeln, beherrschte fünf Sprachen und war in der Lage, jederzeit diverse klassische Autoren zu zitieren.

Zu schade, dass er schon vergeben war.

»Ich bin mir sicher, er wird gleich hier sein.« Courtney schmiegte sich an Leo.

Man konnte so einiges über Courtney sagen, aber ganz sicher nicht, dass sie etwas anbrennen ließ. Farrah hatte am ersten Abend nicht mal Gelegenheit gehabt, sich vorzustellen, da hatten Leo und Courtney schon in einer Ecke des 808 rumgemacht.

Die beiden waren nicht wirklich zusammen, aber sie gingen exklusiv miteinander ins Bett, was auf dem College mehr oder weniger aufs Gleiche rauskam.

Farrah nippte an ihrem Drink und blickte sich im Gino’s um, damit sie nicht ständig Leo und Courtney ansehen musste. Der Laden wirkte ein wenig wie eine amerikanische Collegebar auf Steroiden. Massen von einheimischen und internationalen Studierenden drängten sich um die Tische, auf denen Berge von Burgern, Fritten und Alkohol standen. Aus den Lautsprechern unter der Decke dröhnten die neuesten Top-40-Hits und übertönten den Jubel von den beiden Beer-Pong-Tischen im hinteren Teil der Bar. Zahllose Graffiti ehemaliger Gäste bedeckten die Wände und Teile der Decke.

Farrah betrachtete die Graffiti an der nächstgelegenen Wand. Sei nett zu deinem Taxifahrer, riet jemand mit schwarzem Edding, oder er lässt dich irgendwo im Nirgendwo stehen. Darüber stand irgendeine Telefonnummer und darüber wiederum das simple Hashtag #ballsballsballs.

Man musste Bargraffiti einfach lieben.

Olivia lehnte sich zu Farrah herüber. »Alles okay?«, flüsterte sie. Sie war die Einzige, die von Farrahs Interesse an Leo wusste.

»Ja«, log diese. Courtney war ihre Freundin, und Leo gehörte Courtney (mehr oder weniger). Punkt. Und außerdem war es für Farrah nicht das erste Mal, dass ihre Liebe nicht erwidert wurde. Sie neigte dazu, sich in Männer zu verlieben, die sie nicht haben konnte, selbst wenn sie gar nicht wusste, dass sie schon vergeben waren. »Ich bin drüber weg.«

Olivia wirkte nicht überzeugt.

»Worüber sprecht ihr?« Sammy schob den Kopf über Olivias Schulter. »Raus mit der Sprache.«

»Das Geht-dich-nichts-an-Gen.« Olivia lächelte trotz ihrer Worte. Es war schwer, in Sammys Gegenwart nicht zu lächeln.

»Ach, kommt schon, ich sag’s auch nicht weiter. Euer Geheimnis ist bei mir sicher.« Sammy wackelte mit den Augenbrauen. »Ist es was Versautes?«

»Das hättest du wohl gern.« Farrah warf mit einer Pommes nach ihm. »Ist Sex wirklich das Einzige, woran ihr Männer denken könnt?«

»Nein. Manchmal denken wir auch an Essen.« Sammy fing die Pommes auf und steckte sie sich in den Mund.

Olivia stieß ihm den Ellbogen in die Seite, woraufhin er sie kitzelte und sie aufquietschte und vor Lachen fast von der Bank fiel.

Farrah verbarg ihr Grinsen hinter ihrem Glas.

»Oh, seht mal. Da kommt der Bauer und bringt Geschenke.« Kris hob die Augenbrauen. »Unter anderem Blake Ryan. Wie aufmerksam von ihm.«

Farrahs Kopf wirbelte herum.

Luke steuerte mit einem Fishbowl-Cocktail in jeder Hand auf sie zu, gefolgt von Blake.

»Erzählst du wieder irgendeinen Mist, Kris?« Luke stellte die beiden Drinks auf den Tisch.

»Du konntest mich unmöglich hören bei diesem Lärm.«

»Das brauchte ich auch nicht. Du redest immer Mist.«

Courtney lachte. »Da hat er nicht unrecht.«

»Auf welcher Seite stehst du eigentlich?«, knurrte Kris.

»Auf deiner natürlich.« Courtney tätschelte Kris’ Hand. »Wir sind schließlich Verbindungsschwestern.«

Neben Sammy und Nardo, die eng befreundet waren und gemeinsam am Harvey Mudd studierten, kannten sich nur noch Kris und Courtney bereits von zu Hause.

»Zweimal an einem Abend.« Blake zwinkerte Farrah zu. »Langsam bekomme ich den Eindruck, du stalkst mich.«

»Ich war zuerst hier.«

»Das sagen sie alle.« Blake reichte Farrah eine Flasche. »Bier?«

»Ich mag kein Bier.«

»Ach, komm schon, leb ein wenig. Verlass deine Komfortzone.«

»Bier zu trinken hat wohl kaum was damit zu tun.« Trotzdem nahm Farrah ihm das Tsingtao ab. Seine Hand berührte ihre, und wieder durchfuhr sie ein elektrischer Schock.

Sie öffnete den Deckel, trank einen Schluck und verzog das Gesicht.

Blake lachte. »Du magst wirklich kein Bier.«

»Es schmeckt wie Urin.«

»Woher weißt du, wie Urin schmeckt?«

Farrah trank noch einen Schluck. »Ich kann einfach nicht mit dir reden. Du bist mir zu anstrengend.«

»Das ist schon in Ordnung. Es gibt noch jede Menge andere Dinge, die wir tun können. Ich kann dir allerdings nicht versprechen, dass sie weniger anstrengend sind.«

Blake setzte sich ihr gegenüber. Selbst im einfachen schwarzen T-Shirt mit V-Ausschnitt und Jeans sah er aus, als wäre er gerade der Titelseite der GQ entstiegen. Das Shirt betonte seine breiten Schultern und muskulösen Arme, und seine Haut leuchtete golden im gedämpften Licht der Bar.

Blake bemerkte ihren Blick und grinste. »Gefällt dir, was du siehst?«, fragte er, indem er tonlos die Lippen bewegte.

»Hab schon Besseres gesehen«, gab sie auf die gleiche Weise zurück. Hatte sie auch. In den Skulpturensammlungen italienischer Kunstmuseen.

Blake grinste mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der genau wusste, dass er der heißeste Hengst im Stall war.

Luke sagte etwas zu ihm. Sobald Blake den Kopf drehte, um ihm zu antworten, griff Olivia nach Farrahs Arm. »Was war das denn?«

»Was war was?«

»Das.« Sie zeigte auf Blake. »Ich wäre fast geschmolzen von der ganzen sexuellen Spannung in der Luft.«

»Quatsch. Du hast zu viel getrunken.« So was Absurdes hatte Farrah noch nie gehört. »Da war keine sexuelle Spannung.«

»Oh doch, Süße, auf jeden Fall! Warum leugnest du es? Blake ist echt heiß.« Olivia senkte die Stimme. »Er wird dir helfen, Du-weißt-schon-wen zu vergessen. Wie sagt man so schön: Die beste Art, über einen Mann hinwegzukommen, ist, unter einem anderen zu kommen.«

Zum ersten Mal in ihrem Leben war Farrah dankbar, dass ihre Haut sich stets leicht rötete, wenn sie Alkohol trank, denn nun verbarg sie die heiße Verlegenheit, die ihre Wangen glühen ließ.

»Er ist nicht mein Typ.«

»Sei nicht albern. Er ist jederfraus Typ.«

Farrah seufzte. Sie war es leid, das zu hören.

»Leute, seht mal, was Luke mitgebracht hat.« Courtney wedelte mit einem Kartenspiel. »Was meint ihr? Lust auf eine Runde Kings?«

»Ja, verdammt! Ich bin der absolute King of Kings!« Luke schlug sich gegen die Brust. »Immer her damit.«

»Deine Ähnlichkeit mit einem Gorilla ist wirklich bemerkenswert«, sagte Kris.

»Dann komm und beiß mich.«

»Das hättest du wohl gern.«

»Kinder, benehmt euch.« Courtney mischte die Karten und verteilte sie verdeckt um die Flasche baijiu herum, die sie in die Bar geschmuggelt hatten und die seit einer Stunde ungeöffnet auf dem Tisch stand. Die Mitarbeiter schienen kein Problem damit zu haben, doch bisher hatte noch keiner in der Gruppe den Mumm gehabt, die Flasche zu öffnen. Baijiu war meist schwarzgebrannter chinesischer Schnaps und war extrem hochprozentig. Mit dem Zeug war nicht zu spaßen.

»Die üblichen Regeln, okay? Ass ist Wasserfall, zwei Du, drei Ich, vier Boden …« Courtney ratterte die Regeln mit einem einzigen Atemzug herunter.

»Einverstanden – bis auf eine Sache«, sagte Blake. »Ass ist der Heiße Stuhl. Wer ein Ass zieht, muss von jedem Spieler eine Frage beantworten. Und zwar ehrlich.«

»Ooooh.« Ein Grinsen breitete sich auf Courtneys Gesicht aus. »Das gefällt mir. Das gefällt mir sogar sehr.«

Farrah verengte die Augen zu zwei schmalen Schlitzen. Natürlich. Blake war genau der Typ, der sich in alles einmischte und die Regeln änderte.

Es ging los. Jeder am Tisch zog nacheinander eine Karte, die jeweils eine bestimmte Aktion erforderte. In den ersten Runden zog Farrah nur unverfängliche Karten wie eine Zehn (Kategorie) und eine Fünf (alle Jungs müssen einen Schluck trinken).

Doch in der fünften Runde verließ sie ihr Glück.

Nachdem Olivia eine Drei gezogen hatte (»Ich«, was bedeutete, sie musste trinken), war Farrah an der Reihe. Sie musterte die verbliebenen Karten auf dem Tisch. Ihre Hand schwebte über der, die ihr am nächsten lag, bevor sie sich umentschied und eine von der anderen Seite des Tisches aufnahm. Sie drehte sie um.

Ass. Das erste an diesem Abend.

Der gesamte Tisch jubelte.

Farrah stöhnte. »Ich hasse euch.«

»Niemand hat dich gezwungen, diese Karte zu nehmen. Es war Schicksal«, stichelte Sammy.

»Ja, ja.« Farrah fand sich mit ihrem angeblichen Schicksal ab und breitete die Arme aus. »Also los. Immer her damit.«

Das ließen die anderen sich nicht zweimal sagen. Ihre Freunde bombardierten sie mit Fragen, die wie erwartet meist sexueller, aber harmloser Natur waren.

Schon mal einen Dreier gehabt? Nein.

Der abgefahrenste Ort, an dem du rumgemacht hast? Rettungsschwimmerstand am Strand (je nachdem, was du unter »rummachen« verstehst).

Mit welchem Promi würdest du ins Bett gehen? Ian Somerhalder oder Henry Cavill. Oder beide. Farrahs letzte Bemerkung sollte ein Scherz sein, brachte ihr aber vor allem ein paar spekulative Blicke vonseiten der Jungs ein.

Männer. So vorhersehbar.

Die nächste Frage kam von Blake. »Wenn du mit einem der Austauschstudenten hier ins Bett gehen könntest, wer wäre das?«

Farrah erstarrte. Alle sahen sie erwartungsvoll an, während sie sich bemühte, ihr Gesicht ausdruckslos zu lassen und nicht zu Leo hinüberzusehen. Sie war davon überzeugt, dass jede winzige Bewegung ihrerseits sie verraten würde. Sie spielte mit dem Gedanken, einfach irgendeinen Namen zu sagen, aber sie wollte nicht, dass derjenige dann glaubte, sie würde auf ihn stehen, obwohl das gar nicht stimmte.

Lügen oder trinken? Einerseits wurde ihr allein bei dem Geruch des baijiu schon übel. Andererseits …

Scheiß drauf.

Sie griff nach der Flasche, füllte ein leeres Schnapsglas und kippte den baijiu in einem Schluck runter, wobei sie die Luft anhielt, um den ekligen benzinartigen Geruch nicht einzuatmen.