Im Kielwasser Nelsons: Ein Thomas-Kydd-Roman - Band 6 - Julian Stockwin - E-Book
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Im Kielwasser Nelsons: Ein Thomas-Kydd-Roman - Band 6 E-Book

Julian Stockwin

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Beschreibung

Der Preis der Ehre … Der abenteuerliche Seefahrerroman »Im Kielwasser Nelsons« von Julian Stockwin jetzt als eBook bei dotbooks. Halifax, 1798. Leutnant Thomas Kydd hat das Unmögliche geschafft: Endlich hat er die Anerkennung der adeligen Offiziere gewonnen. Als die französische Flotte Napoleons einen Angriff vorzubereiten scheint, schließt die »Tenacious« sich dem Sondergeschwader unter dem Kommando von Admiral Nelson an, um einen Gegenangriff zu starten und die Herrschaft im Mittelmeer zu erlangen. Ob bei Seegefechten oder der Eroberung von Menorca: Kydd beweist sein herausragendes Können als Seemann! Nichts scheint seinem Traum von Ruhm und einem eigenen Schiff mehr im Weg zu stehen – bis es vor Akka zur fatalen Schlacht mit den französischen Truppen kommt. Hat die Royal Navy den berüchtigten Feldherren unterschätzt? Ein Highlight der nautischen Romane: »Stockwins Romane werden von seinen eigenen Erfahrungen in der Royal Navy bereichert – Kampfszenen und Stürme erlangen eine Authentizität, die jeden begeistern, der seine Leidenschaft für die See teilt.« Daily Telegraph Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der marinehistorische Roman »Im Kielwasser Nelsons« von Julian Stockwin – Band 6 der Erfolgsreihe um Thomas Kydd und seinen Aufstieg vom einfachen Matrosen zum Helden der See. Ein Lesevergnügen für alle Fans von Patrick O’Brian und C. S. Forester. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 513

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Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Lesetipps

Über dieses Buch:

Halifax, 1798. Leutnant Thomas Kydd hat das Unmögliche geschafft: Endlich hat er die Anerkennung der adeligen Offiziere gewonnen. Als die französische Flotte Napoleons einen Angriff vorzubereiten scheint, schließt die »Tenacious« sich dem Sondergeschwader unter dem Kommando von Admiral Nelson an, um einen Gegenangriff zu starten und die Herrschaft im Mittelmeer zu erlangen. Ob bei Seegefechten oder der Eroberung von Menorca: Kydd beweist sein herausragendes Können als Seemann! Nichts scheint seinem Traum von Ruhm und einem eigenen Schiff mehr im Weg zu stehen – bis es vor Akka zur fatalen Schlacht mit den französischen Truppen kommt. Hat die Royal Navy den berüchtigten Feldherren unterschätzt?

Ein Highlight der nautischen Romane: »Stockwins Romane werden von seinen eigenen Erfahrungen in der Royal Navy bereichert – Kampfszenen und Stürme erlangen eine Authentizität, die jeden begeistern, der seine Leidenschaft für die See teilt.« Daily Telegraph

Über den Autor:

Julian Stockwin wurde 1944 in England geboren und trat bereits mit 15 Jahren der Royal Navy bei. Nach achtjähriger Dienstzeit verließ er die Marine und machte einen Abschluss in Psychologie und Fernöstliche Studien. Anschließend lebte er in Hong Kong, wo er als Offizier in die Reserve der Royal Navy eintrat. Für seine Verdienste wurde ihm der Orden des MBE (Member of the Order of the British Empire) verliehen, bevor er im Rang eines Kapitänleutnants aus dem Dienst ausschied. Heute lebt er als Autor in Devon und arbeitet an den Fortsetzungen der erfolgreichen Thomas-Kydd-Reihe.

Julian Stockwin im Internet: https://julianstockwin.com/

Bei dotbooks erscheint in der Thomas-Kydd-Reihe von Julian Stockwin außerdem:

»Zur Flotte gepresst«

»Bewährungsprobe auf der Artemis«

»Verfolgung auf See«

»Auf Erfolgskurs«

»Offizier des Königs«

»Stürmisches Gefecht«

»Im Pulverdampf«

***

eBook-Neuausgabe August 2019

Dieses Buch erschien bereits 2006 unter dem Titel »Kydd – im Kielwasser Lord Nelsons« bei Ullstein Taschenbuch

Copyright © der englischen Originalausgabe 2005 Julian Stockwin

Die englische Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Tenacious« bei Hodder and Stoughton, London.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2006 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Copyright © der eBook-Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Gemäldes von Nicholas Pocock und shutterstock/Danny Smythe

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-890-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

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***

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Julian Stockwin

Im Kielwasser Nelsons

Ein Thomas-Kydd-Roman

Aus dem Englischen von Jutta Wannenmacher

dotbooks.

Man lernt die Erde niemals richtig zu schätzen,solange nicht Seewasser durch unsere Adern strömt,die Bahnen des Himmels uns kleiden,die Sterne uns krönen und uns deucht,die ganze Welt sei unser Erbteil.

Traherne

Prolog

Das Rattern der Kutschenräder hallte laut durch die Dunkelheit von Downing Street. Mit klirrendem Zaumzeug und schnaubenden Pferden hielt die Kutsche vor Nr. 10. Ungeachtet des Regens beeilten sich die Lakaien, den Fußtritt aufzuklappen und den Insassen heraus zu helfen.

Premierminister William Pitt dachte nicht daran, auf den Sprecher des Unterhauses zu warten, doch Henry Addington kannte seinen alten Freund seit langem und lächelte nur über dessen nervöse Vitalität.

»Hast sie ja tüchtig fertiggemacht in der Debatte, William«. schnaufte er, als er ihn eingeholt hatte und sie gemeinsam die Stufen zum oberen Treppenabsatz erklommen.

»Das wird sie einstweilen ruhigstellen«, antwortete Pitt kurzangebunden.

Der Klang ihrer Stimmen scheuchte die Hausangestellten auf. Ein Butler trat aus dem Zwielicht, ein Dienstmädchen dicht auf den Fersen.

»Hier rein«, warf Pitt über die Schulter und betrat einen kleinen Salon.

Mit einem Wachsstock in der Hand eilte das Mädchen an ihnen vorbei und zündete die Kerzen an. Ihr goldener Schein fiel auf die Chaiselongue, wo sich Pitt der Länge nach ausstreckte, während Addington sich in einem nahen Ohrensessel niederließ.

»Oh, ein paar Scheiben kalter Zunge und Schinken reichen mir«, beantwortete Pitt müde die Frage des Butlers und schloß die Augen, bis der Mann mit Brandy und einer frisch geöffneten Flasche Portwein zurückkehrte. Er schenkte ein und zog sich diskret zurück, wobei er lautlos die Tür hinter sich schloß.

»Schwere Zeiten«, begann Addington verständnisvoll.

»Glaubst du das wirklich, Henry? Seit sich dieser unerträgliche Laffe Fox aufs Land zurückgezogen hat, hab' ich nur mehr die Franzosen am Hals.« Er nahm einen langen Zug Portwein.

Addington musterte die tiefen Falten in Pitts Gesicht. »Etwa den General Bonaparte und seine Invasionsvorbereitungen?« fragte er leise.

In den letzten zwei Monaten hatte sich die Presse mit fast nichts anderem beschäftigt. Paris hatte ein Meisterstück abgeliefert, indem es den brillanten Sieger von Italien zum Oberbefehlshaber der sogenannten Armee für England ernannte, mit der er mittlerweile so gut wie jedes Land in Europa unterworfen oder eingeschüchtert hatte. Nun betrachtete er es als seine Aufgabe, das letzte Hindernis auf seinem Weg zur Weltherrschaft zu beseitigen. Spione berichteten, daß in jedem nordfranzösischen Hafen hastig flache Landungsboote für die Truppen gebaut wurden, die bereits zur Küste in Bewegung gesetzt waren. Eindeutig stand eine Invasion des Landes bevor, das den am Strand versammelten Bataillonen so deutlich vor Augen lag.

»Was denn sonst?« Pitt starrte in den Schatten. »Falls er die zwanzig Meilen Ärmelkanal überqueren kann, dann ... dann ist es vorbei mit uns.«

»Wir haben immer noch die Navy«, wandte Addington ein. »Äh, sicher, die Navy wurde vor weniger als einem Jahr durch eine blutige Meuterei erschüttert und ist jetzt über die ganze Welt verstreut. Notwendigerweise, natürlich.« Grübelnd starrte er in sein Glas. »Grenville hat gehört, daß die Franzosen gegen Hanover vorgehen wollen und daß Seine Majestät uns den Gefallen tun, die Heimat seiner Ahnen verteidigen und uns auch noch in einen Landkrieg verwickeln will.«

»Lächerlich.«

»Natürlich.« Addington wärmte seinen Brandy und wartete. Pitt seufzte. »Am schlimmsten ist, daß wir keine verläßlichen Geheiminformationen besitzen. Seine Entscheidungen im Nebel der Halbwahrheiten und Vermutungen treffen zu müssen, ist der sicherste Weg, sich in Fehler zu verstricken, die später von der Geschichte gnadenlos verurteilt werden. Hör dir das an, Henry: Spencer hat bestätigt, daß General Bonaparte die Inspektion seiner für die Invasion bereitstehenden Soldaten abgebrochen hat und in Toulon gesehen wurde. Was ist so wichtig im Mittelmeer, daß er dafür seinen Posten verlassen hat?

Das weiß niemand, aber wir haben genug Anzeichen dafür, daß sich eine Streitmacht dort versammelt. Nicht bloß eine simple Flotte, verstehst du, sondern Truppentransporter, Versorger und eine ganze Schlachtflotte. Müssen wir deshalb davon ausgehen, daß der Moment, den wir am meisten gefürchtet haben – in dem die Französische Revolution sich über die ganze Welt ausbreitet –, jetzt gekommen ist? Und falls ja, warum von Toulon aus?« Er machte eine Pause, in der seine Hand mit dem Glas fast unmerklich zitterte. »Falls es also zu einer Aggression kommt, dann wo? Dundas spricht von Konstantinopel, von der Hohen Pforte. Andere sehen einen Blitzangriff auf Kairo voraus, durch den die Mameluken besiegt werden und ein Zugriff aufs Rote Meer und auf unsere lebenswichtigen Verbindungswege nach Indien ermöglicht wird. Sobald er einen Brückenkopf in der Levante hat, kann er quer über Arabien und Persien bis zu den Toren Indiens vorstoßen.«

»Und wir?«

Nach längerem Schweigen sagte Pitt leise: »Es ist natürlich alles Quatsch, romantischer Quatsch, dieses Geschwätz über ein Abenteuer im Lande Sindbads. Dort ist alles Wüste und unbezwingbar für eine moderne Armee. Es handelt sich nur um eine List, um unsere Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Objekt abzulenken.«

»Und das wäre?«

»Nach dem Verlassen Toulons segelt Bonaparte nicht nach Osten, sondern nach Westen. Er pausiert vor Cartagena, um spanische Kriegsschiffe einzusammeln, dann passiert er Gibraltar und wendet sich nach Norden. Im Vorbeikommen nimmt er die Flotte von Cadiz auf, drückt uns beiseite und erreicht den Ärmelkanal. Dort vereinigt er sich mit der Flotte aus Brest, und das sind dreißig Schiffe! Umgeben von einer vereinigten Flotte mit über fünfzig Linienschiffen, erzwingt er sich seine paar Stunden für die Kanalüberquerung, und dann ist alles vorbei für uns, fürchte ich.«

Addington wählte seine Worte vorsichtig. »Aber wäre es nicht klug, Schiffe ins Mittelmeer abzustellen, um ihn gleich zu Beginn aufzuhalten?«

»Und Englands Verteidigung zu schwächen?« Pitt überlegte eine Weile und fuhr dann in seltsamem Ton fort: »Aber wie dem auch sei, die Entscheidung ist mir aus den Händen genommen. Was ich denke, ist ohne Bedeutung. Die Österreicher bestehen darauf, daß wir als Vorbedingung für eine Allianz Neapel von See her schützen – du erinnerst dich: Die Königin von Neapel ist eine gebürtige Österreicherin. Da die Österreicher unsere einzigen Freunde sind – ohne den Portugiesen nahetreten zu wollen –, müssen wir ihnen entgegenkommen. Und dann ist da natürlich noch diese heutige Depesche aus Genua ...«

»Genua?«

»Ja. Sie ändert alles.«

»Wie das?«

»Unser Agent in Genua ist zuverlässig. Er berichtet, daß die Franzosen neuerdings eifrig Fässer kaufen – viertausend von den größten, mit zehn eisernen Reifen und ohne Spundlöcher.«

Addington war perplex.

Zum erstenmal lächelte Pitt. »Henry, alter Knabe, niemand könnte dich je für ein Mitglied der seefahrenden Rasse halten. Solche Fässer werden seitlich an die Bordwände der Schiffe gebunden, um sie in flachem Wasser schwimmfähig zu halten. Und dies ist der schlagende Beweis dafür, daß Dundas recht hat. Die französische Streitmacht soll durch die Dardanellen brechen und Konstantinopel erobern. Doch Sultan Selim III. ist uns freundlich gesinnt, und wir können das nicht zulassen. Deshalb werde ich verfügen, daß St.Vincent von Cadiz aus ein energisches Aufklärungsunternehmen startet. Wir kehren also ins Mittelmeer zurück!«

Kapitel 1

Leutnant Thomas Kydd wandte sich im Sitzen zu seinem Diener Tysoe um. »Ich hätte gern noch etwas Suppe, bitte.« Dabei lächelte er seinem Freund Renzi zu und lockerte in der Hitze der überfüllten Offiziersmesse von HMS Tenacious sein Halstuch. »Verdammt gutes Gebräu, Nicholas, meinst du nicht auch?«

»Aus gedämpftem Karibu«, übertönte Pringle, Hauptmann der Seesoldaten, das Stimmengewirr, und musterte das Stück Fleisch, das er aufgespießt hatte. »Im Juni, wenn das Tier mehr Fett angesetzt hat, schmeckt Karibu besser, werden Sie feststellen.

Als Reaktion auf einen Scherz, den Kapitän Houghton am Kopf der Tafel gemacht hatte, hallte die Messe wider von Gelächter. Seine Offiziere hatten ihn zum Abendessen eingeladen. Die älteren Matrosen, die am Tisch aufwarteten, tauschten vielsagende Blicke. Die Stimmung an Bord ließ nichts zu wünschen übrig. Bei soviel Harmonie unter den Offizieren war es unwahrscheinlich, daß sie die Kreise der Mannschaft störten.

»Ah, und jetzt der gebackene Hering«, sagte Kydd während sein Suppenteller abgetragen wurde, und fügte, an den Schiffsarzt Pybus gewandt, hinzu: »Damit will ich nicht sagen, daß ich den Kabeljau schon satt habe, wissen Sie.«

»Das wäre in Neuschottland auch ein Verbrechen, Mr. Kydd«, sagte Pybus trocken und griff nach dem Hühnchen. Wie gewöhnlich trug er eine alte grüne Weste.

Kydd nickte dem Diener zu, und prompt wurde sein Glas nachgefüllt. Er ließ den Blick über die farbenprächtige, angeregt schwatzende Gesellschaft zum eleganten Bogen der Heckfenster schweifen, hinaus auf den Hafen von Halifax, wo die Dunkelheit vereinzelt durch die goldenen Lichtpunkte anderer Ankerlieger aufgelockert wurde. Noch vor einem Jahr war er ins Mannschaftslogis vor dem Mast strafversetzt worden, beschuldigt des Verrats nach der Nore-Meuterei. Er hatte sich damals guten Glaubens der Erhebung angeschlossen und war vom Lauf der überwältigenden Ereignisse mitgerissen worden. Hätte er nicht auf höchster Ebene geheimnisvolle Fürsprecher gefunden, hätte er das Schicksal seiner Kameraden geteilt und wäre wie sie gehängt worden. Von einem Aufstieg ins geheiligte Achterdeck hätte er nie zu träumen gewagt.

Und nun hatte er einen weiteren großen Triumph errungen: die Akzeptanz der anderen Offiziere, die ihn von gleich zu gleich behandelten. Wo würde das alles noch hinführen?

»Bitte hilf mir mit dem Rheingauer, Tom«, sagte Renzi und griff nach dem Weißwein.

Auch er wirkte zufrieden, stellte Kydd fest. Sein Freund, der mit ihm aus dem unteren Deck aufgestiegen war, hatte sich jetzt mit diesem wesentlich angenehmeren Status eingerichtet, der ja auch seiner adeligen Herkunft entsprach.

»Mr. Kydd – auf Ihr Wohl, Sir!« erklang die Stimme des Kommandanten.

Mit einer höflichen Kopfneigung hob Kydd sein Glas. »Votter santay«, antwortete er gravitätisch.

Houghton hatte seine Vorbehalte wegen der niedrigen Herkunft seines Fünften Leutnants überwunden, nachdem ein gesellschaftlicher Coup dessen Verbindungen zur Hautevolée des Landes etabliert hatte. In Unkenntnis ihrer Identität hatte Kydd Prinz Edwards Mätresse einmal zu einem offiziellen Bankett eingeladen – sehr zur Freude des Prinzen.

»Das gefüllte Schneehuhn kann ich nur empfehlen, Sir.«

Ein Diener nahm die Schüssel und trug sie zu Kapitän Houghton, der sich leutselig bedankte.

Vor jedem Offizier erschienen hohe Gläser mit einer appetitlichen bernsteingelben Flüssigkeit. Der Kommandant versuchte sie als erster.

»Mein Gott, das ist ja Kalbshaxengelee!« rief er aus. »Mit Zitrone. Wem verdanken wir diese Köstlichkeit?« fragte er seinen Diener.

»Lady Wentworth, Sir. Ein privates Rezept. Damit wollte sie Seiner Majestät Schiff Tenacious andeuten, wie sehr sie die Ehre zu schätzen weiß, die Leutnant Kydd ihr erwies, indem er ihre Einladung zur Levee akzeptierte.«

»Verstehe«, antwortete der Kommandant mit einem schnellen Blick zu Kydd.

Der Dritte Leutnant Gervase Adams rutschte auf seinem Stuhl herum. »Nichts für ungut, Sir, aber es stört mich, daß wir hier fett und faul schlemmen, während sich unser Land in so großer Gefahr befindet.«

Houghton runzelte die Stirn. »Jeder ehrenhafte Offizier würde ebenso empfinden, Mr. Adams, aber der Schutz des Handels und die Sicherung der Versorgungswege sind für unser Land genauso wichtig wie ein Sieg in der Schlacht. Bitte ertragen Sie Ihr Los mit Geduld. Harte Prüfungen mögen noch vor uns liegen.«

Houghton gab seinem Diener ein Zeichen, das letzte Geschirr wurde abgetragen und das Tischtuch entfernt. An Kopf und Fuß der Tafel wurden Karaffen mit Marsala und Port plaziert und weitergereicht, immer links herum, wie es Brauch war. Sowie alle Gläser gefüllt waren, nickte Houghton seinem Ersten Offizier Bryant, dem Messeältesten, fast unmerklich zu.

Der wandte sich an Kydd, den jüngsten der anwesenden Offiziere, und sagte: »Mr. Vize – auf den König.«

Kydd hob sein Glas und wartete, bis Ruhe eintrat. »Meine Herren, auf den König!« sagte er dann. Seine Worte hallten nachdrücklich durch die Messe. Für Kydd schien die simple Zeremonie des Ergebenheitstoastes seine ganze Loyalität für König und Vaterland auszudrücken. Mit den anderen stimmte er voll Überzeugung in den Wunsch ein: »Gott segne ihn.«

Als der feierlichen Form Genüge getan war, wurden andere Trinksprüche ausgebracht: »Auf die Fuchsjagd und alten Port« – »Auf unsere Kameraden zur See« – und aus vollem Herzen: »Auf einen gutwilligen Feind und reichlich Seeraum!«

Rote Köpfe zeugten von der Qualität des Weins und der Wärme im Raum, und als der Brandy herumgereicht war, rief Houghton: »Hauptmann Pringle, dürfen wir Sie um ein Stück auf der Flöte bitten?«

»Gerne, Sir, falls sich unser verehrter Doktor mir anschließt.«

Der Seesoldat war ein Könner auf dem Instrument, und die lebhafte Violinbegleitung durch den normalerweise barschen Pybus lockerte endgültig die Stimmung. Adams wurde dazu überredet, in seinem gefälligen Tenor ein recht gelungenes »Süße Kleine von Richmond Hill« vorzutragen, und Renzi gab ein Gedicht aus seiner neuesten Ausgabe der Lyrischen Balladen zum besten:

»Am ersten milden Tag im Märzist jede Minute voll Wonne.Der Buchfink schmettert himmelwärts,sein Baum glänzt in der Sonne.

Es hängt ein Wohlklang in der Luft,der wärmt die kahlen Äste,hüllt unsre nackten Berge ein,und leuchtet im Grün der Felder.«

Houghton kam auf die Füße, erhob sein Glas und sagte mit weicher Stimme: »Auf die Tenacious.«

Ihm antwortete mehr als einer der Herren mit einem gemurmelten: »Gott segne sie!«

Sie ließ sich nicht leicht in Worte fassen, diese Zuneigung, die sich das alte 64-Kanonen-Linienschiff im Herzen seiner Offiziere erworben hatte. Kydd fühlte einen Kloß in der Kehle und sah, daß auch seine Kameraden ergriffen waren.

In der Stille klang das Klopfen an der Messetür sehr laut. Mit einem pitschnassen Umhang, von dem noch das Regenwasser strömte, überreichte der Mastersgehilfe der Wache einen Umschlag in Ölpapier.

»Käpt'n, Sir – Eildepesche vom Flaggschiff.«

Es war ungewöhnlich und fast schon beunruhigend, daß der Admiral nicht die gewohnte morgendliche Zustellung abgewartet, sondern sofort gehandelt hatte. Alle reckten die Hälse zum Kopf der Tafel.

Houghton überflog den Begleitbrief und sah mit ernstem Blick auf. »Meine Herren, Sie sollen wissen, daß sich die Lage in Europa verschärft hat. Deshalb werden wir von dieser Station hier abberufen, um zum Admiral vor Cadiz zu stoßen, dem Earl von St.Vincent. Wir segeln unter größtem Zeitdruck.«

Für seine erste Seewache seit Halifax betrat Kydd das Deck, schlenderte zum Schanzkleid und blickte mit Genugtuung ins lebhafte Kielwasser hinunter, das sich gehorsam zischend bildete, mit seinem Gegenüber verschmolz und in einer trägen Spur weit achteraus erstreckte. Dann kehrte er zum Kompaßhaus zurück. Ihr Kurs war fast genau Ost zu Süd. Als er den Blick vom Kompaß hob, sah er noch den Vorwurf in des Rudergängers Augen und lächelte insgeheim. Er hatte kein Recht, die Verantwortung des Quartermasters für den Kurs in Frage zu stellen, und wußte nur zu genau, daß die Einmischung eines wichtigtuerischen Wachoffiziers immer als sehr ärgerlich empfunden wurde.

Aber dies war eine Ausnahmesituation. Seit Houghton seinen Marschbefehl vom Admiral erhalten hatte, war er erbarmungslos gewesen in seiner Hast, die Tenacious auf See zu bringen. Was er an vertraulicher Zusatzinformation erhalten hatte, grub sich in Form von Falten in sein Gesicht ein; er hatte die Wachoffiziere strengstens angewiesen, jeden Fetzen Tuch zu setzen, und gnade ihnen Gott, wenn dabei auch nur eine einzige Spiere zu Bruch ging.

Beim Abschreiten des Achterdecks wandten sich Kydds Gedanken kurz einem anderen Thema zu: Gibraltar lag weniger als einen Segeltag von Cadiz entfernt. Es wäre ihm gut zupaß gekommen, wenn sie diesen Festungshafen angelaufen hätten, denn er hatte dort etwas ganz Besonderes vor. Den Entschluß dazu hatte er nach dem Abschied von seinem Onkel in einer abgelegenen Siedlung der kanadischen Seeprovinzen gefaßt.

Kydd blieb stehen, um die Schiffsbewegungen zu studieren. Die Tenacious lief unter Vollzeug in einem frischen, raumen Südwest, hob und senkte sich mit unwiderstehlichem Rhythmus in den langen Atlantikrollern, bestechend in ihrer Regelmäßigkeit. Er fühlte die Seen gegen ihr Vorschiff prallen und unter dem Kiel nach achtern durchlaufen, was das Schiff gemächlich stampfen ließ. Etwas störte ihn bei diesen langsamen Bewegungen – es war vielleicht nur eine Kleinigkeit, aber irgend aber etwas war nicht im Einklang mit dem Gesamtrhythmus.

Er überblickte das Deck. Kapitän Houghton schnappte bei einem Spaziergang mit dem Ersten Offizier auf der Luvseite frische Luft. Die Wache war vollzählig an Deck, und andere waren bei der Arbeit auf ihrer Station. Kydd bedeutete dem Quartermaster, daß er nach vorne gehen wollte, blieb prüfend auf dem Vordeck stehen und fühlte sich ein.

Unter ihm klatschte und zischte die Bugwelle, über ihm sangen die brettharten Vorsegel. Doch da war wirklich etwas nicht in Ordnung. Er wandte den Blick nach oben, über die mächtige Breitfock hinaus, hoch bis zum Bramsegel und dem Flieger. Irgend etwas bremste, verursachte eine kurze Verzögerung in der Vorwärtsbewegung des Schiffs. Er machte einige seitliche Schritte, bis er die Nock des Bugspriets sehen konnte, die sich, dem Schiff voraustanzend, in den Himmel bohrte.

Wippend ragte der Bugspriet hoch in die Luft, doch dann merkte Kydd, was ihn störte. Es war kein stetes Auf und Nieder. Vielmehr beschrieb die Nock am Himmel einen Kreis, ein sicheres Zeichen dafür, daß der Rudergänger jedesmal am Rad nachgeben mußte, wenn der Bug gegen eine anstürmende See traf. Das war's: ein Kneifen, verursacht durch die Tendenz des Schiffes, höher an den Wind zu gehen, wenn sich der Vorfuß tief in eine Welle grub.

Kydd ärgerte sich, daß der Quartermaster das nicht bemerkt hatte. Er wußte, dadurch verlor die Tenacious mit jedem Stampfen ein wenig an Fahrt, eine Winzigkeit nur, doch der Weg über den Atlantik führte durch unzählige Tausende von Wellen.

Auf dem Absatz kehrt machend, ging er wieder nach achtern und überlegte dabei, wie das Problem zu lösen war. Die übliche Methode wäre es gewesen, Vorräte oder Kanonen weiter nach achtern zu stauen, doch das Schiff war voll ausgerüstet, und diese Lösung wäre zu mühsam und gefährlich gewesen. Da sie außerdem nur von einer einzigen, fast außer Sicht weit voraus segelnden Fregatte begleitet wurden, war es ratsam, die Kanonen an ihrem Platz zu lassen.

Auf dem Achterdeck warf ihm Houghton einen neugierigen Blick zu.

Doch Kydd fing ihn nicht auf, sondern befahl dem Mastersgehilfen der Wache: »Alle Mann zum Segelsetzen!«

Früher am Tag waren die Leesegel gestrichen worden, deshalb musterten ihn die Männer überrascht. Nach kurzem Zögern rief er den Bootsmann herbei.

»Mr. Pearce«, wies Kydd ihn an, »weil wir bei diesem prächtigen Backstagswind Fahrt verschenken, möchte ich die Vorstengestagsegel wegnehmen und dafür die große Fock setzen.«

Der Bootsmann hob die Brauen, zog jedoch nach einem kurzen Blick zum Kommandanten sein silbernes Pfeifchen heraus und trillerte die Signale.

Kydd wußte, daß er sich mit diesem Befehl nicht gerade beliebt machte. Die große Fock war eine lange schwere Tuchwurst und mußte von mindestens dreißig Mann mühsam aus der Segellast an Deck geschafft werden. Und das Streichen des obersten Stagsegels war eine harte, nasse und gefährliche Angelegenheit, gefolgt von der schwierigen Aufgabe, die große Fock anzuschäkeln.

Houghton hatte seine Wanderung unterbrochen und beobachtete Kydd aufmerksam. Der Master erschien aus der Kajüte und trat zu ihm und dem Ersten Offizier, doch Kydd hielt den Blick nach vorn gerichtet, wo der Bootsmann seine Leute in ihre Aufgaben einwies.

Die Vordecksgasten fierten das Vorstengestagsegel, und sowie es am Stag herabsank, brauchten die Leute auf dem Bugspriet beide Fäuste, um seine geblähte Leinwand zu zähmen. Es war ein Job für die erfahrensten Matrosen an Bord. Auf einem dünnen Fußpferd balancierend, lagen sie bäuchlings über der dicken Spiere und stopften den Tuchballen zusammen, bevor sie die Zeisinge darum schlangen, um ihn zu sichern. Und die ganze Zeit tanzte der Bugspriet wie wild im rauhen Seegang.

Kydd blieb auf dem Achterdeck, blickte nur gespannt nach vorn und sah dort die Gischt gelegentlich emporschießen und die Männer durchnässen. Er fühlte mit ihnen. Dann endlich war die Fock angeschlagen und begann ruckweise, schlagend und knatternd, nach oben zu steigen. Die Männer kletterten zurück an Bord, Leinen wurden aufgeschossen, und die Aktion war beendet.

»Mr. Kydd, was haben Sie damit bezweckt, die große Fock zu setzen?« rief der Kommandant.

Salutierend schritt Kydd auf ihn zu. »Das Schiff war luvgierig, Sir. Ich ...«

»Da würde man zur Abhilfe doch gewiß den Trimm verbessern?«

»Sir, wir sind schwer beladen, und die Arbeit unter Deck wäre schwierig«, antwortete er in Erinnerung an seine Erfahrungen als Mastersgehilfe und an die in der dunklen Last lauernden Gefahren, wenn das Schiff im Seegang zur Kehr ging. »Auf diese Weise konnten wir die Luvgierigkeit beseitigen und noch etwas Fahrt gewinnen.«

Houghton runzelte die Stirn und blickte zum Segelmeister.

Der nickte. »Ah, ich glaube, Mr. Kydd wollte den Bug leicht anheben. Auf diesem Kurs gelingt das mit der großen Fock etwas besser als mit unseren Stagsegeln.«

»Und die Fahrt?« wollte Houghton wissen.

Aber die Korrektur wirkte sich bereits aus. Das kurze Zögern hatte aufgehört, das Schiff schien wie mit längeren Schritten voranzukommen.

Kydd wandte sich an den Mastersgehilfen der Wache. »Werfen Sie das Log, seien Sie so gut.«

Sie hatten nur einen halben Knoten mehr gewonnen, aber das kam gut hundert Meilen pro Woche gleich, die sie von ihrer Fahrtdauer nun abziehen konnten.

Kydd unterdrückte ein Grinsen. »Und falls wir Sturm kriegen, lernen wir das Fliegen, Sir.«

Houghton grunzte kurz und zustimmend.

»Sie scheint wirklich ein seetüchtiges Schiff zu sein, wenn ich das sagen darf, Sir«, wagte sich Kydd vor.

Die Offiziersmesse bot einen völlig anderen Anblick als vor zwei Tagen. Die Offiziere aßen wie üblich am Tisch zu Abend, trugen jetzt aber ihre bequemen, abgenutzten Dienstuniformen. Außerdem war immer einer abwesend: der Wachgänger. Und statt der Ruhe im Hafen herrschten das Brausen und die ständige Bewegung der Fahrt auf hoher See vor, die jedem der Anwesenden seine Seebeine verpaßte. Sorgleinen waren rund um den Tisch aufgeriggt worden – straff gespannte Leinen an den Kanten, damit die Teller nicht den Speisenden in den Schoß fielen. Die Gläser wurden nie mehr als halb voll geschenkt, und nasse Tücher hinderten die Flaschen am Verrutschen – alles vertraute Begleiterscheinungen des Dienstes auf See.

Der Kaplan erschien zum Essen und wurde von Hand zu Hand weitergereicht, damit er nicht das Gleichgewicht verlor.

»Bedienen Sie sich mit der Weinsuppe«, schlug Kydd leutselig vor.

»Später vielleicht, vielen Dank«, murmelte Peake zerstreut und griff nach dem Brotkorb, der immer noch einen zerteilten Laib enthielt – bald würde er durch Zwieback ersetzt werden müssen.

»Ich muß gestehen, daß das Wogen des Ozeans für mich schon immer ein Martyrium war«, sagte er schwach.

Kydd erinnerte sich an die Zeit, als ihm Renzis Gesellschaft gefehlt und er mit Peake munter über Logik disputiert hatte. Er konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: »Dann ist Ihnen die Philosophie also nicht Trost genug? Nicholas, laß dir ein paar Sätze einfallen, die unserer Lage gerecht werden.«

Renzi zwinkerte ihm zu. »War es nicht der verehrte Traherne persönlich, der uns versicherte ... Moment, wie sagte er noch ... Man lernt die Erde niemals richtig zu schätzen, solange nicht Seewasser durch unsere Adern strömt, die Bahnen des Himmels uns kleiden, die Sterne uns krönen und uns deucht, die ganze Welt sei unser Erbteil.«

Peake hob den trüben Blick und erwiderte lahm: »Ich glaube, in dieser Sache ist dem Buch der Bücher eher zu vertrauen, wo im dreißigsten Absatz der Sprichwörter zu lesen steht: ›Drei Dinge nehmen mich wunder: der Flug des Adlers, die Schlange auf dem Fels und ein Schiff auf hoher See.‹«

Bamptons Stimme übertönte das amüsierte Gemurmel: »Letzteres können Sie ruhig uns überlassen, doch Ihre Dienste werden wir bald brauchen, schätze ich.«

Adams warf dem Zweiten einen forschenden Blick zu. »Sie glauben doch nicht, daß wir derart Dampf machen würden, falls nicht irgendeine Entscheidungsschlacht mit den Franzosen bevorstünde? Das sagt uns allein schon die Vernunft«, schloß Bampton.

Über den Tisch senkte sich Schweigen. Bei der Hektik, mit der das Schiff seeklar gemacht, Kugeln und Schießpulver gestaut und letzte Reparaturen ausgeführt worden waren, war ihnen wenig Zeit zu strategischen Überlegungen geblieben.

Renzis Finger formten ein Dach. »Nicht unbedingt. Uns erreichten nur Gerüchte und Hörensagen. Wir haben uns mit guten Gründen aus dem Mittelmeer zurückgezogen, wo wir nicht länger eine Flotte unterhalten können und jedes unserer Schiffe dem Feind deshalb hilflos ausgeliefert ist. Seither besitzen wir keinen Überblick über das Geschehen dort und sind auf wilde Spekulationen angewiesen.

Immerhin wissen wir von General Bonapartes Ränken gegen England – die Landungsboote in jedem nordfranzösischen Hafen, die täglichen Inspektionen seiner ›englischen Armee‹. Dünkt es Sie nicht wahrscheinlicher, daß er in Toulon und Cartagena Kampfschiffe zusammenkratzen will, um die Brest-Flotte so weit zu verstärken, daß sie zu einem unbezwinglichen Machtfaktor wird, der uns überwältigt? Jedenfalls eher, als sie in einem Binnenmeer für eine weit entfernte Eskapade zu stationieren.«

»Wie ich schon sagte«, schnaubte Bampton.

»Nichts als Spekulationen, während Mr. Bonaparte sprungbereit am Kanal steht, möchte ich wetten ...«

»Nur daß wir südwärts nach Cadiz beordert werden.«

»Renzi, altes Haus, Sie sprechen in Rätseln«, rügte Adams.

»Tatsächlich? Dann liegt es wohl daran, daß ich genau wie Sie im Dunkeln tappe. Sollen wir Teil einer großen Flotte werden, die abermals ins Mittelmeer vorstößt? Oder ist es so, daß wir als kleiner 64er – obwohl zünftig genug, muß ich sagen – lediglich dazu bestimmt sind, die kampfstärkeren 74er zu entlasten?«

Am Kopf der Tafel brütete Bryant vor sich hin. Als Erstem Offizier war ihm auf der ruhigen nordamerikanischen Station deutlich anzumerken gewesen, daß er nur zu versessen war auf künftige blutige Schlachten und die damit einhergehenden Beförderungschancen zum kommandierenden Offizier. Die Aussicht darauf, diese Chancen weit weg vom Zentrum des Geschehens zu vertrödeln, war für ihn hart zu ertragen gewesen.

»Dafür gibt es gute Gründe, nur keine Sorge«, sagte er jetzt laut. »Jervis ist nicht der Mann, der ohne festen Plan Verstärkung verlangt. Ich setze darauf, daß er sich Bonaparte vornimmt, wenn der mit dem Toulon-Geschwader nach Norden hält und bevor er sich mit den mongsiers vor Brest vereinigen kann.«

Es war eine Freude, so über Backbordbug bei raumem Wind dahinzusegeln, Meile für Tiefseemeile und immer auf demselben Kurs. Während sie nach Süden vorstießen, besserte sich das Wetter, und das strahlende Weiß der Wolkentürme, die eiligen weißen Schaumkronen der Seen kontrastierten malerisch mit dem Ultramarinblau des Wassers.

Die stimulierende Frische der Seeluft lockte alle an Deck, und als Kydd die Wache an Renzi übergab, fühlte er sich zu aufgekratzt, um sich in seine Kammer zurückzuziehen und an seiner Vorratsliste zu arbeiten. Er wartete ab, bis Renzi sich über den Stand der Dinge orientiert hatte. Dann promenierten sie im Gleichschritt auf dem Achterdeck.

Der als Melder abgestellte Fähnrich kehrte neben das Ruder zurück, ebenso der Mastersgehilfe der Wache, und überließ die beiden Offiziere sich selbst.

Schweigend schlenderten sie dahin, bis Renzi fragte: »Lieber Freund, sehe ich dich zufrieden mit deinem Los? Ist dies das Gesicht eines Mannes im Einklang mit seiner Welt? Seit der Erhebung in den Kreis der Auserwählten – befriedigt dich deine Station?«

Kydd verhielt den Schritt. »Nicholas, ich habe nachgedacht. Darüber wer ich bin, was ich vom Leben erwarte, solcherlei Zeug.« Er warf seinem Freund einen schnellen Seitenblick zu. »Vor kurzem saß ich noch im Kerker und wartete auf den Strick. Und jetzt bin ich ein Offizier des Königs. Was sagt dir das?«

»Na ja, zwischendurch gab es auch mal eine gewaltige Schlacht und einige Mutbeweise, wie ich mich erinnere.«

Kydd machte eine ungeduldige Bewegung. »Nicholas, ich muß dir ehrlich sagen, vor dem Mast war ich zufriedener. Ich gebe zu, damals träumte ich nur davon, Segelmeister zu werden; das war alles, was ich vom Leben erwartete. Und dann, im Handumdrehen, wendet sich mein Geschick, und da stehe ich nun. Das bringt mich auf den Gedanken, daß alles passieren kann, wirklich alles.« Er fuhr herum und wandte sich Renzi voll zu. »Nicholas, mein Leben wird erst dann erfüllt sein, wenn ich mein eigenes Schiff habe. Wenn ich mein eigenes Deck abschreite und kein Mann an Bord ist, der nicht den Hut vor mir zieht. Und wenn ich selbst mein Glück machen kann, weil ich die Entscheidungen treffe. Ob richtig oder falsch, es sind meine, und ich ernte den Ruhm dafür – oder die Schande. Na, wie hört sich das an, Nicholas – Käpt'n Thomas Kydd von der Royal Navy?«

Renzi hob eine Augenbraue. »Ein Juniorleutnant mit solch brennendem Ehrgeiz? Wo ist mein alter Tom Kydd geblieben?« Lächelnd fügte er hinzu: »Ich bewundere dich für soviel Inbrunst und respektiere deinen Appetit auf Lorbeeren. Doch du wirst natürlich inzwischen bemerkt haben, daß Fortuna ihre Gunst nach Lust und Laune verteilt. Du hast genauso viele Chancen, eins vor den Latz zu kriegen wie berühmt zu werden.«

Keine drei Wochen später ließen sie den fernen Gipfel des Morro Alto an Steuerbord, der die am westlichen Rand der Azoren gelegene Insel Flores beherrschte. In den stetigen Westwinden hatten sie eine schnelle Überfahrt und wetteiferten täglich um die Ehre, auch den letzten Bruchteil eines Knotens herauszuschinden. Die HMS Tenacious tat ihnen den Gefallen.

Mittag. Die geheiligte Stunde der Grogausgabe für alle. Am Hauptniedergang erklangen die willkommenen Kadenzen von »Nancy Dawson«, und Kydd wartete darauf, daß das Deck wieder frei wurde. Denn dies war auch der Zeitpunkt der mittäglichen Standortbestimmung. Die Offiziere zückten ihre Instrumente. Bei Ortsmittag, während die Mannschaft unter Deck war, ermittelten sie den Längengrad und damit die Entfernung bis zu ihrem Rendezvous vor Cadiz.

Der Horizont war klar, und das Schiff arbeitete regelmäßig. Es wurde eine gute Sonnenbeobachtung. Die meisten Offiziere zogen sich in ihre Kammern zurück, um in Ruhe die nötigen Korrekturen anzubringen und durch Berechnung von Länge und Breite den mittäglichen Schiffsort zu bestimmen.

Aus einer Kammer nach der anderen erklangen Rufe des Erstaunens. »Mann, ich will verdammt sein – fünf Längengrade von Mittag zu Mittag!«

»250 Meilen abgespult, in 24 Stunden!«

»Sie ist ein Rennpferd!«

An diesem Abend wurden die Gläser in der Messe auf die Tenacious erhoben, doch während sich das Schiff der anderen Seite des Atlantiks näherte, wurde die Stimmung immer ernster. Zu jeder Stunde hallte das vielsagende Gepolter schwerer Lafetten durch den Rumpf, und das Geschützexerzieren gewann einen neuen, bedrohlichen Sinn. Wer wollte schon wissen, welche Feuerproben vor ihnen lagen?

Ihr Landfall auf dem europäischen Kontinent wurde das dräuend aufragende portugiesische Kap St.Vincent, das von der Dämmerung bald wieder verschluckt wurde, während sie die ganze Nacht Kurs hielten. Beim Frühstück blieben die Offiziere wortkarg, und obwohl niemand damit rechnete, die Flotte vor dem Nachmittag in Sicht zu bekommen, verschwand jedermann sogleich nach der Mahlzeit an Deck.

»Eine Nachricht! Um Gottes willen, laßt uns endlich eine Nachricht zukommen!« stöhnte Adams und raufte sich das blonde Haar. Auf dem Atlantik waren sie seit Wochen vom Rest der Welt abgeschnitten gewesen, und in dieser Zeit konnte alles Mögliche passiert sein.

»Nach allem, was wir wissen«, unkte Bampton, »könnten wir auch einen leeren Ankerplatz vorfinden, die Spanier über alle Berge, um sich mit den Franzosen zu vereinigen und unsere großartige Schlacht 500 Meilen weit weg zu schlagen.«

Bryant funkelte ihn an.

»Oder Frieden geschlossen«, sagte Renzi.

Beim Gedanken an diese Möglichkeit erstarb jede Konversation, und alle Offiziere wandten sich ihm zu. Er fuhr fort: »Pitt ist in arger Bedrängnis, die Koalition zerrüttet und die Bedrohung unserer Küsten könnte nicht schlimmer sein. Falls er jetzt mit den Franzosen verhandelt, ihnen Kolonien im Austausch für den Frieden anbietet, kann er vielleicht eine Vereinbarung treffen, die einem lange andauernden Abnutzungskrieg vorzuziehen wäre.« Er zögerte. »Immerhin ist Frankreichs Bevölkerung dreimal so zahlreich wie unsere, die Armee fünfmal so groß und ...«

»Was bezwecken Sie mit diesem Gerede, Sir?« knurrte Bryant.

»Einfach nur folgendes: Falls uns ein französisches oder spanisches Schiff vor die Nase kommt, begrüßen wir es dann mit einer Breitseite? Haben wir Krieg oder Frieden? Es würde sich für jeden bitter rächen, der schwer erkämpfte Friedensbedingungen verletzt ...«

Kurz nach zwei begann sich die niedrige, nondeskripte Küste Spaniens voraus im gleißenden Dunst abzuzeichnen.

Der Ausguckposten im Großmast brüllte herab: »An Deck! Linienschiffe voraus, ein Dutzend oder mehr – alle vor Anker!«

Das lange Warten war vorüber.

»An die Kanonen!« kam der Befehl.

Wenn sie zur Flotte des Admirals der blauen Flagge stießen, dem Earl St.Vincent, dann waren Salut und Zeremonien fällig. Deshalb wühlte Kydd als Signaloffizier schon im Spind mit den Signalflaggen und holte ihre größte blaue Fahne heraus. Er grinste schief in Gedanken an die viele Arbeit, die ihn – das wußte er – später erwartete. Die Praxis des Signalisierens würde auf dieser Seite des Atlantiks anderen Regeln folgen, und er mußte sein persönliches Signalbuch entsprechend korrigieren.

Voraus öffnete sich die dunkle Masse der Flotte vor dem Hintergrund des Feindeslandes langsam zu einem weit auseinandergezogenen Halbkreis. Bei der Annäherung identifizierte Kydd in der Mitte das Flaggschiff, die mächtige, mit 110 Kanonen bestückte Ville de Paris, mit dem Admiralswimpel im Großtopp.

Seewärts vom Halbkreis fand ein ständiges Kommen und Gehen eines Gewusels kleinerer Schiffe statt: Versorger und Transporter, Kuriere und Leichter. Das plötzliche Krachen des Saluts ließ ihn am Teleskop zusammenzucken. Zur Antwort erklang der Donner vom Flaggschiff.

Sowie sie der Ville de Paris gegenüberlag, stellte die Tenacious ihr Großbramsegel back, doch schon schäumte ein offizieller Kutter mit Halbdeck heran und drehte achteraus in den Wind.

Ein Offizier rief durch sein Sprachrohr: »Der Admiral wünscht, daß Sie am südlichen Ende der Linie ankern.« Gehorsam fiel die Tenacious ab und strebte ihrem zugewiesenen Liegeplatz zu. Bewundernd musterte Kydd den außergewöhnlichen Anblick. Der größte Hafen Spaniens blockiert und gesichert durch eine Flotte, deren Schiffe so nahe vor der Stadt lagen, daß ihre Befestigungsanlagen in voller Sicht waren, während die weißen Gebäude in der Sonne leuchteten: Wohnhäuser, Türme, Kuppeln und Kirchen und ein seltsamer Turm, der mitten aus der See ragte.

Am Ende der Reihe drehten sie auf und ließen den Anker fallen: Das jüngste Mitglied der Flotte törnte ein. Kapitän Houghtons Barkasse klatschte schon ins Wasser, als das Kabel noch belegt wurde. Prächtig anzusehen in seiner Paradeuniform mit allen Orden und seinem besten Säbel, wurde er im Bootsmannstuhl von der Großrah hinabgelassen, um beim Oberkommandierenden Bericht zu erstatten. Als er nicht gleich zurückkehrte, machten Gerüchte die Runde.

»Es war alles nur Bluff«, lästerte Bryant. »Wie stets bei den Franzmännern. Sie machten sich ans Auslaufen, und als sie uns zum Losschlagen bereit versammelt sahen, machten sie kehrt und hinkten zurück. Sieht Old Jarvie gar nicht ähnlich, sich so ins Bockshorn jagen zu lassen.«

Adams sah untröstlich drein: Die Aussicht auf nervtötenden Blockadedienst drückte nach dem aufregenden Rennen über den Atlantik allen aufs Gemüt.

»Trotzdem wird's euch nicht an Unterhaltung fehlen«, stichelte Bryant. »Der alte Knabe ist ein rechter Giftzwerg. Besteht auf Ehrenbezeugungen auch bei Sturm, will die Kommandanten nachts an Deck wissen, wenn Segel eingeholt werden, und falls einer von Meuterei auch nur träumt, dann heißt's Kriegsgericht am Samstag und Hinrichtung am Sonntag ...«

In der Dämmerung kehrte der Kommandant zurück und verschwand in seiner Kajüte. Binnen einer Stunde kam die Meldung, daß alle Offiziere sogleich in der Achterkajüte erscheinen sollten.

»Ich werde mich kurz fassen«, schnauzte Houghton. »Wir haben eine unklare Lage, was die gegenwärtige Bedrohung Englands betrifft. Frankreichs ›englische Armee‹ wird immer noch für die Invasion der Insel zusammengezogen, und außerdem fürchtet man um Irland. Nun haben wir gehört, daß ihr Oberkommandierender – ebendieser General Bonaparte – sie inzwischen verlassen und sich nach Toulon begeben hat, weiß der Himmel, warum. Und damit wissen Sie soviel wie ich – und der Admiral.

Jetzt aber zu Wichtigerem. Wer von Ihnen schon unter Sir John Jervis gedient hat – der jetzige Earl St.Vincent – weiß genau, was ihn in bezug auf Ordnung und Disziplin erwartet. Wir gehören nun zu seiner Flotte, und er hat robuste, eindeutige Auffassungen über die Pflichten eines Offiziers. Jeder von Ihnen wird sich das Fleet Order Book vornehmen, bis er seinen Inhalt auswendig kennt. Jeder Offizier, der durch Unkenntnis seiner Pflichten Schande über mein Schiff bringt, riskiert meine äußerste Mißbilligung.«

»Sir, dürfen wir unsere Aufgabe erfahren? Sollen wir hier bleiben, während die 74er ...«

»Unsere Aufgabe ist klar, Mr. Adams. Falls es Ihnen entgangen sein sollte, mache ich Sie darauf aufmerksam, daß in diesem Hafen 26 Linienschiffe unter Almirante Mazzeredo liegen. Sollten wir versagen und diese Armada auf See durchbrechen lassen ...« Sein Gesicht wurde noch härter. »Wir liegen zur Blockade vor Cadiz und bleiben da liegen, bis die Spanier einen Aufbruch für richtig halten. Haben Sie mich verstanden?«

Kapitel 2

Der Lärm von Geschützfeuer ließ die ganze Messe beim Frühstück zusammenzucken. Nach drei Tagen Blockadedienst war jede Abwechslung willkommen, deshalb stürzten alle den Niedergang hinauf, als die Salutschüsse die Annäherung eines smarten 74ers aus Norden verkündeten. Auch Houghton erschien an Deck, sich den Mund mit einer Serviette wischend.

»Sir«, rief Bampton, der die Wache hatte, »sie führt die Wimpel von HMS Vanguard, ein 74er unter der Flagge von Konteradmiral Nelson.«

»Aha! Nun wird's hier gleich lebhaft zugehen«, knurrte Bryant, schnappte sich das Teleskop von Bampton und stellte es auf Vanguards Achterdeck ein. »Jaaaah, das muß er sein. Ganz der alte Papagei.« Er gab das Glas zurück. »Hätte nicht gedacht, ihn so bald wieder auf See zu sehen – verlor erst letztes Jahr vor Teneriffa einen Arm durch eine Musketenkugel. Mußte abgenommen werden. Ausgerechnet der rechte.«

Nach einem kurzen Blick hindurch ließ Bampton das Teleskop sinken. »Aber ein eitler Mann, sehr eitel«, murmelte er.

Nelsons Schiff passierte sie dichtbei. Goldlitzen glitzerten auf seinem Achterdeck, wie erstarrt standen die Matrosen auf ihren Stationen. Auf der Tenacious zwitscherten die Bootsmannspfeifen zur Begrüßung des neuen Konteradmirals, während alle Mann den Hals reckten, um einen Blick auf den berühmten Sieger der großen Schlacht bei Kap St.Vincent zu erhaschen, den Erfinder der »Patentbrücke zum Entern von Dreideckern«. Als erstes hatte er dabei nämlich ein Feindschiff erobert und es dann als Trittbrett benutzt, um einen Angriff auf sein nächstes Opfer zu führen.

Die Vanguard umrundete die Linie und stieß bis zu dem halben Dutzend Fahrzeugen vor, die dem Land näher lagen. Die Offiziere der Tenacious kehrten an den Frühstückstisch zurück.

»Sir, die Vanguard signalisiert«, meldete Rawson an Kydd.

»Ja, und?« knurrte Kydd mit geheuchelter Verärgerung seinen Signalfähnrich an.

»Äh, die Nationale im Besantopp, Sir, dazu Unterscheidungsflaggen – das heißt ›Kommandanten melden sich auf dem Flaggschiff‹. Und zwar die Kommandanten von – Moment – Orion, Alexander, Emerald und anderen ... Und wir auch!«

»Also?«

»Äh, jawohl, Sir – bestätigen.«

»Eine Empfehlung an den Kommandanten und informieren Sie ihn über das Signal, seien Sie so gut.«

Houghton verlor keine Zeit. Seine Barkasse verschwand schnell inmitten eines Gewirrs kleiner Fahrzeuge, doch ebenso schnell kehrte er zurück und ließ alle Offiziere in seine Kajüte rufen. Er bat sie, am großen Tisch Platz zu nehmen, blieb selbst aber stehen und beugte sich aufgekratzt vor. »Meine Herren, ich habe Ihnen mitzuteilen, daß uns Informationen von höchster Tragweite über Land erreicht haben, die Absichten der Franzosen betreffend.« Aller Augen hingen an ihm. »Anscheinend konzentrieren sie sich augenblicklich in Toulon und planen einen Ausfall.« Er breitete eine kleinmaßstäbliche Karte des Mittelmeers vor ihnen aus. »Dies ist weitaus ernster zu nehmen als ein simples Abenteuer. Ihr ranghöchster General, Napoleon Bonaparte, beehrt das Unternehmen mit seiner Aufmerksamkeit und Gegenwart. Dies könnte bedeuten: einen Massenausbruch aus dem Mittelmeer, um sich mit den Kräften in Brest zu vereinigen, oder einen Vorstoß nach Osten in Richtung des ottomanischen Reiches oder Indiens. Zu lange schon haben sie das Mittelmeer als ihren Privatbesitz betrachtet. Das hat ihren Ehrgeiz geweckt, der eine besondere Gefahr für unser Land darstellt. Deshalb kann ich Ihnen mitteilen, daß Sir John beschlossen hat, endlich wieder ins Mittelmeer zurückzukehren. Als erstes unternehmen wir zur Aufklärung sofort einen energischen Vorstoß auf Toulon, um die französischen Absichten zu erkunden. Er wird von Konteradmiral Nelson geführt, und wir sind ein Teil seines Geschwaders.«

Eine so gewaltige Flotte wie die vor Cadiz hatte als Oberkommandierenden einen vollgültigen Admiral, einen Vizeadmiral als Chef der Vorhut aus Linienschiffen und einen Konteradmiral für die Nachhut. Ausnahmsweise gab es noch ein gesondertes Geschwader, dessen Aufgabe es war, sich als Unruhestifter dicht unter Land zu halten und den Feind bei jeder Gelegenheit zu stören. Dieses Geschwader stand unter Befehl von Konteradmiral Nelson.

Nach verblüfftem Schweigen brach auf der Tenacious eine erregte Diskussion aus.

Grinsend richtete Houghton sich auf. »Ich bitte Sie, meine Herren! Sir Horatio duldet keine Verzögerung und hat vor, in zwei Tagen nach Gibraltar auszulaufen. Ich werde nicht zulassen, daß die Tenacious ihn enttäuscht, also unternehmen Sie jede Anstrengung, um sofortige Seeklarheit herzustellen. Weitermachen!«

Mit dem Umriß eines geduckten Löwen schälte sich der Felsen von Gibraltar aus dem Dunst und dominierte die Schiffe, die sich an seine Flanken drängten, um sich dem bereits dort liegenden Linienschiff und den Fregatten anzuschließen. Als die Anker in die metallblaue See klatschten, würdigte der Donner der Salutschüsse die zu Besuch gekommene Princess Royal als Flaggschiff eines ranghohen Admirals.

Die Schiffe kamen zur Ruhe, umfächelt von einem Duft, der sich aus dem Geruch nach sonnverbranntem Gestein, Ziegenkot und maurischem Essen zusammensetzte, was Kydd unwiderstehlich in seine Dienstzeit auf der Achilles zurückversetzte, verbunden mit der Erinnerung an die Abenteuer, die danach folgten ...

»Ich glaube fast, bald wird uns der Anblick des großen Tiers höchstselbst zuteil.« Renzi blickte zur Vanguard hinüber, die wenige hundert Meter entfernt ankerte.

Kydd verkniff sich eine Rüge. Sein Freund hatte an der großen Schlacht von St.Vincent teilgenommen und Nelsons Husarenstückchen mit eigenen Augen gesehen.

»Oh?« fragte Bampton. »Ist er so aufgeblasen, daß er vor uns paradieren muß?«

Bei Bamptons Ton stieg Kydd das Blut zu Kopf.

»Würde ich nicht unbedingt sagen«, erwiderte Renzi. »Vielmehr habe ich gehört, daß er einen spendablen Tisch unterhält und ein großartiger Gastgeber ist.«

»Hättet ihr ihn vor einem Jahr mit seiner Fregatte Minerve erlebt, würde das eure Schandmäuler stopfen«, mahnte Kydd in Erinnerung an Nelsons gewagtes Entkommen vor zwei spanischen Linienschiffen.

Vom Gipfel des Felsens hatte Kydd den ganzen Vorfall beobachtet: Nelson hatte den Feind getäuscht, indem er beidrehte; die Spanier hatten geargwöhnt, daß er sie in eine Falle locken wollte, und abgedreht. Doch der wahre Grund für sein Manöver war gewesen, daß er ein Boot aussetzen wollte, um einen über Bord Gefallenen zu retten.

Das Gespräch versiegte, während das Boot der Vanguard ausgeschwungen wurde und einige Gestalten hineinkletterten. Es pullte zügig zum Land und wurde am Ragged Staff von einem Spalier Seesoldaten, einer Militärkapelle und einem Empfangskomitee erwartet.

»Macht seinen Kratzfuß beim Gouverneur«, mutmaßte Adams.

»Bei O'Hara«, steuerte Kydd grinsend bei. »Sie nennen ihn ›Cock of the Rock‹, weil er solch ein Schürzenjäger ist.«

Nach kurzer Pause erklang das Zwitschern von Bootsmannspfeifen, und der Kommandant der Tenacious brach ebenfalls auf.

»Unser Nel ist weiß Gott nicht der Mann, der seine Zeit im Hafen vertrödelt«, sagte der Erste Offizier und wandte sich an den Bootsmann. »Kein Landurlaub, alle Mann zum Vorräte verstauen. Danach geht der eine Teil der Mannschaft zur Koje.«

Der Bootsmann rief seine Gehilfen und stolzierte nach vorn, wo man bald die schrillen Signale ihrer Pfeifen aus den Niedergängen dringen hörte.

»Soviel Wasser und Proviant an Bord, wie wir verkraften können«, knurrte Bryant. »Nach dem Auslaufen sind unsere Schiffe auf sich allein gestellt.«

Aber dies war Arbeit für die Unteroffiziere und die Mannschaft.

Kydd nutzte die Gelegenheit und sagte: »Nicholas, wenn du mit mir an Land kommst, könntest du mir einen Dienst erweisen, mein Freund ...«

Renzi hob eine Augenbraue. »Äh, solltest du nicht an Bürgermeister Mulvany und seine Frau denken? Hältst du es nicht für ein wenig zu keß, dich in Gibraltar an Land zu wagen? Du könntest ihnen über den Weg laufen, meinst du nicht?«

Kydds Affäre mit Emily Mulvany war schon seit einem Jahr vorbei, doch Renzis Stichelei ließ ihn immer noch erröten.

»Ich habe gehört, daß jetzt ein neuer Mann auf seinem Posten sitzt«, wiegelte er ab.

Bryant sah keinen Grund, ihnen ein paar Stunden an Land zu verweigern, und binnen kurzem sprachen sie mit dem Chefvaluator von Moses Levy, dem größten Juwelier in Gibraltar.

»Ihr Schätzpreis hierzu, bitte«, sagte Kydd und reichte ihm seinen wohlbehüteten Schatz.

Der Mann nahm den Gegenstand, kratzte mit einem Haken daran herum und beäugte eingehend das Resultat. Dann nahm er eine staubige Phiole und ließ daraus einige Tropfen auf die winzigen abgeschabten Splitter fallen.

»Ein beachtliches Stück«, grantelte er und wog den Brocken reinen Goldes in der Hand. »Darf ich erfahren, wo es gefunden wurde?« fragte er und legte es auf die eine Schale seiner Waage.

»Nein, Sir, das dürfen Sie nicht.« Prospektoren hätten die Bonanza von Kydds Onkel sofort zerstört, falls er sein Schweigen gebrochen hätte. Es war ein Geschenk seines Onkels an das letzte Familienmitglied gewesen, das er wahrscheinlich jemals sehen würde, und Kydd gedachte, es gut zu nutzen.

Der Valuator setzte sorgsam Gewichte in die andere Waagschale.

Kydd warf Renzi einen Blick zu, den das Ganze offenbar kalt ließ.

Der Mann addierte die Gewichte und sagte: »Ich kann Ihnen folgendes anbieten: 400 Silberpesos als sofortige Vorauszahlung und den Rest später, nach der Analyse.«

»Das scheint mir akzeptabel«, meinte Renzi und fügte draußen hinzu: »Bei sechs Pesos für die Guinee ein exzellentes Geschäft ... mehr als genug für ...«

Sie wußten beide, wohin sie wollten. Zwanzig Minuten Fußweg durch die Menschenmassen der vertrauten Hauptstraße, und sie waren in Town Range, dem Wohnviertel der Heeresoffiziere; in einer Seitenstraße fanden sie den Waffenhändler der Garnison.

Kydd wandte sich an Renzi. »Nun also, Nicholas, laß mich dich daran erinnern, daß ich einen Säbel zum Kämpfen will, keinen von deinen dünnen Makkaroni-Spießen.«

»Wie du schon sagtest, mein Bester.«

Im stahlglitzernden Inneren des Ladens hingen alle denkbaren Handwaffen, dazu zeremonielle Rüstungen, Halsbergen und Regimentswappen. Kydd schritt die Reihe der Hieb- und Stichwaffen ab. Dies war kein Bootsmannsvorrat mit dicken Klingen aus grauem Stahl und hölzernen Handgriffen, nein, hier atmete alles Damaszener-Eleganz in Blau, Gold und Elfenbein.

»Sieh dir den an«, sagte Kydd und wählte einen Säbel aus.

Er probierte ihn – sein militärischer Stil wirkte schwerfälliger, die leicht gekrümmte Klinge legte eher einen zerfetzenden Hieb nahe als einen direkten Stich. Allerdings bot er einen blendenden Anblick mit seiner auf ganzer Länge gebläuten Klinge, mit Silberintarsien unterhalb des Griffs und mit dem Handschutz in halber Korbform, auf dem feuervergoldete Verzierungen prangten.

»Ein Säbel für den Kampf?« zweifelte Renzi.

»Aye, na ja, jedenfalls ein schönes Stück.« Kydd hängte ihn zurück, als er jemanden aus dem Hinterzimmer treten sah.

»Meine Herren, es ist mir eine Ehre.« Der Mann sprach leise, doch seine Blicke schätzten dabei Kydds kräftigen Körperbau und seine aufrechte Haltung ab. »Mein Name ist Balthasar Owen. Es geschieht nicht oft, daß die Royal Navy uns besucht. Sie suchen keine kleine Waffe, schätze ich mal«, fügte er lächelnd hinzu und verwarf damit das diskrete, leichte Degengehenk, das die Herren normalerweise auf der Straße trugen.

»Nein, eine Gefechtswaffe für einen Marineoffizier, wenn's recht ist«, erwiderte Kydd.

Owen zögerte.

»Der Preis spielt keine Rolle. Die Klinge sollte die beste sein, die Sie haben.«

»Falls Sie die feinen aus Toledostahl haben, kämen die in Frage«, fügte Renzi hinzu.

»Eine Toledoklinge! Das wird nicht einfach. Seit Beginn des letzten Krieges, Sie verstehen ...«

»Der beste Stahl der Welt, da geben wir Ihnen recht«, drängte Renzi. »Und was Ihren Preis betrifft ...«

Owen schloß die Ladentür. »Toledostahl ist der härteste, weil er aus einem Eisenkern geschmiedet und die Schichten mehr als dreihundertmal aufeinandergefaltet werden. Daher die Flexibilität, aber auch die Härte. Die Schneide bleibt jahrhundertelang rasiermesserscharf. Sie müssen wissen, der Schmied verarbeitet diesen Stahl nur bei Nacht. Und zwar so sorgfältig, daß der Farbton exakt bestimmt wird, wenn die glühende Klinge ins Ölbad taucht. Das Ergebnis ist eine fehlerlose Temperierung.« Er machte eine Pause und musterte seine beiden Kunden aufmerksam. »Es gibt immer wieder Betrugsversuche. Können Sie die einzigartige Härtung einer Toledoklinge erkennen? Nein? Dann sollten Sie allein meinem Urteil vertrauen – denn falls ich Ihnen ein minderwertiges Stück verkaufe, ist mein Ruf beim Militär ruiniert. Also, wenn ich wirklich so ein Meisterstück auftreiben könnte, würde es ein Vermögen kosten, möglicherweise mehr als 300 Silberpesos – das wären in englischem Geld etwa 50 Pfund.«

»Einverstanden«, antwortete Kydd schnell.

»Damit meine ich: kein Papiergeld und Zahlung gleich bei Lieferung.«

»Aye.«

»Und die Arbeitszeit in der Werkstatt extra berechnet.«

Kydd begann, die spanischen Münzen auf den Tisch zu zählen. »Sollten Sie eine Anzahlung brauchen, die Ihnen bei der Suche hilft ...«

Owens Miene entspannte sich. »Zufällig weiß ich von zwei in Frage kommenden Klingen – und sie sind natürlich genau das, nur Klingen. Ich hole sie gleich. Sie werden hier in meiner Werkstatt nach Ihren Wünschen komplettiert, äh ...«

»Leutnant Kydd von der Royal Navy, Sir.«

Verbeugungen begleiteten die Vorstellung, und Owen zog sich zurück.

Kydd wandte sich lächelnd an Renzi. »Toledostahl ist natürlich weltberühmt, aber ich hätte nie gedacht, daß ich ...«

»Ich gratuliere dir zu deiner Erwerbung.«

Renzi, der von Jugend an in der Kunst des Fechtens unterwiesen worden war, suchte einen Degen mit gerader Klinge aus und ließ ihn glitzernd ums Handgelenk wirbeln. Schließlich kam seine nadelscharfe Spitze einen Zoll vor Kydds Nase zum Stehen. »Handlich und leicht zu führen, aber im ernsthaften Kampf nicht von Gewicht«, sagte er und hängte ihn wieder in sein Gestell.

Owen kehrte mit einem länglichen Paket zurück, dessen Verpackung er auf dem Ladentisch vorsichtig öffnete. Kydd verschlug es den Atem. Trotz des häßlichen, nackten oberen Endes schimmerte die unglaublich feine Klinge mit einem tödlichen Glanz.

»Nehmen Sie sie in die Hand«, drängte Owen. »Wenn Sie sie nahe genug betrachten, erkennen Sie vielleicht die Damaszierung.«

Kydd hob die Klinge vor die Augen, inspizierte sie genau und bewunderte, ihr Gewicht mit Genugtuung in der Hand fühlend, die fast unmerklichen Unterschiede in der Metallfärbung.

»Die zweite Toledo, die ich habe, ist eine 32 Zoll«, sagte Owen. »Die hier hat nur 28.«

»Nein, danke, Sir. An Bord legen wir keinen Wert auf besondere Länge«, sagte Kydd, die Klinge bewundernd streichelnd.

»Plötzlich und unerwartet heißt die Devise, und je kürzer, desto schneller der Hieb.«

»Entspricht die Kehlung Ihren Erwartungen, Sir?«

Kydd ließ den Daumen an der einfachen, breiten Rille entlanggleiten und fühlte die sinnliche Kurve, mit der sie sich zur Spitze hin verjüngte. »Aye, sie wird's tun.«

»Dann sollten wir vielleicht die weitere Ausstattung besprechen.« Kydd runzelte fragend die Stirn.

»Aber gewiß. Die Klinge wird zwar in Toledo geschmiedet, das Heft jedoch montieren wir hier.« Renzis Blick ausweichend, hörte Kydd höflich zu.

»Die Herren von der Royal Navy bevorzugen neuerdings einen steigbügelförmigen Schutzbogen«, sagte Owen, hob die Klinge mit geübtem Griff und hielt sie senkrecht vor Kydd hin.

Statt einen runden Halbkreis zu bilden, beschrieb der Handschutz eine schwungvolle Sinuskurve und endete in einem flachen Riegel.

»Sie werden die kurze Quillion bei diesem Stück bemerken.« Er berührte das Querstück am Griff des Degens. »Ich glaube, das entspricht eher dem Geschmack der Seeleute. Und die Griffschalen – für eine Gefechtswaffe haben wir Elfenbein in Filigranarbeit ...«

»Haifischleder«, sagte Kydd energisch und sah Renzi nicken. »Aye, es muß dunkles Haifischleder sein. Und nun zum Knauf.«

»Ah, richtig. Ihre Marinekameraden verlangen in der Regel einen Löwenkopf. Wir müssen lediglich festlegen, wie tief die Mähne hinten am Griff reichen soll. Manche Herren ...«

»Bis zur Hälfte wäre mir recht.«

»Ziseliert?«

»In Silber oder Gold?«

»Ah, richtig. Wie würde Goldziselierung aussehen, was denkst du, Nicholas?«

»Mein Guter, es soll eine Gebrauchswaffe werden.«

»Dann eben keins von beiden.«

Owen legte den Säbel an seinen Platz zurück. »Und nun die Details.« Mit geschürzten Lippen trat er zu einem anderen Gestell. »Dreieckige Clips?« fragte er und zeigte ihnen die exakte kleine Klammer, die den Säbel sicher in seiner Schneide halten sollte.

»Nicht ganz so einfach, denke ich – haben Sie vielleicht einen Anker?«

»Gewiß. Denken Sie an eine Damaszierung in Blau und Gold? An eine Gravierung der Schneide – vielleicht eine Meerjungfrau oder ein Seepferdchen? Und die Scheide? Natürlich schwarzes geöltes Leder mit Halteringen und einem Bajonettverschluß für die Befestigung am Gürtel oder Schulterriemen. Soll die Kokarde mit Goldfransen oder in blauer Litze gearbeitet werden?«

Es wurde später Nachmittag, bis alle Einzelheiten geklärt waren. Der Waffenschmied rätselte über Kydds beharrliche Forderung, daß die Gravur komische Raben darstellen sollte, versprach aber, eine Skizze der Vögel zu besorgen. Was den Rest betraf, so kostete es ein hübsches Sümmchen, durch die Mitarbeit der gesamten Werkstatt eine rechtzeitige Fertigstellung zu gewährleisten. Danach allerdings würde er den schönsten Säbel sein eigen nennen, den man sich vorstellen konnte – und es bestand guter Grund zu der Annahme, daß die neue Errungenschaft bald im Ernst gezückt werden sollte.

Zurück an Bord, verbrachten sie den Rest des Tages mit hektischer Arbeit. Die Männer gerieten in der Hitze heftig ins Schwitzen, als sie die Vorräte im Laderaum verstauten. Einige hoben die Kanonenkugeln aus ihren Gestellen und klopften den Rost ab, wieder andere überprüften jeden Zoll des Riggs.

Von ihrem neuen Admiral waren bisher keine Signalanweisungen gekommen, deshalb konzentrierte sich Kydd auf die vorhandenen.

Ein für den Sondereinsatz abgestelltes Geschwader war keine Flotte, auch wenn es von einem Admiral kommandiert wurde, deshalb rechnete man mit Komplikationen. Wahrscheinlich würde erst am Tag ihres Auslaufens ein dickes, fettes Signalbuch mit schwierigen Details eintreffen, dachte Kydd, auf das schlimmste gefaßt.

Am nächsten Tag war die Hektik abgeklungen. Die Werft in Gibraltar war keine wichtige Flottenbasis und hielt keine unbeschränkten Reserven bereit. Die Gedanken der Männer begannen sich dem Land zuzuwenden und der Gelegenheit, zum letztenmal für weiß Gott wie lange Zeit ordentlich auf die Pauke zu hauen. Den zuverlässigsten Leuten der Backbordwache wurde bis zum abendlichen Kanonenschuß Landurlaub gewährt, und Kydd wußte genau, wohin sie sich wenden würden: In Irish Town gab es genug Lokale für eine gesamte Flotte.

Er und Renzi nahmen sich die Zeit für eine genüßliche Mahlzeit im Old Porter House auf dem Scud Hill und versenkten ein Bier auf der Terrasse. Vor ihnen lag unter der Abendsonne der ganze, weit geschwungene Bogen der Bucht von Gibraltar. Vom feindlichen Spanien trennten sie nur knapp fünf Meilen. Entspannt unterhielten sich die beiden Freunde über ferne Gegenden, die sie besucht hatten, ließen jedoch den bevorstehenden Weltenbrand unerwähnt, der bald nach ihnen greifen und sie beide verschlingen würde.

Nicht lange nach dem Frühstück erschien ein Fähnrich auf der Szene. »Mr. Kydd, Sir, der Kommandant wünscht Sie zu sehen, wenn's genehm ist.«

Diese Formulierung bedeutete, daß er nicht trödeln durfte. Sein Puls beschleunigte sich, als ihm einfiel, daß Houghton tags zuvor den ganzen Nachmittag und Abend bei Admiral Nelson verbracht hatte. Schnell erklomm er den Niedergang und klopfte an die Tür.

»Sir?«

Bei Houghton saß ein zweiter Kapitän, und neben ihnen stand steif ein schlaksiger Kadett.

Houghton erhob sich. »Danke für Ihr schnelles Erscheinen, Mr. Kydd. Ich glaube, Sie kennen Kapitän Essington?«

Aus Kydds Erstaunen wurde freudige Überraschung, als er dem Kommandanten der Triumph die Hand schüttelte. Er hatte unter ihm in der blutigen Schlacht von Kampenduijn gekämpft, nach der Essington ihn als Leutnant auf die Tenacious empfohlen hatte. Ohne sein Eingreifen bei der Offiziersprüfung wäre Kydd mit Sicherheit wieder im Mannschaftslogis vor dem Mast gelandet.

»Er ist jetzt Flaggkapitän der Princess Royal«, fügte Houghton hinzu.

Essingtons Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Leutnant, falls Sie Zeit haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir eine kleine Weile auf dem Achterdeck Luft schnappen würden.«

»Sir.«

Kydd fiel neben dem höheren Offizier in Schritt.

»Ihr Kommandant hat eine hohe Meinung von Ihnen«, begann dieser schließlich. »Es ist mir eine Genugtuung, daß die Royal Navy zu einem gewissen Grad von meinen Maßnahmen nach Kampenduijn profitiert hat.«

»Sie können sich darauf verlassen, daß ich Sie nicht enttäuschen werde«, versicherte Kydd steif.

»Dessen bin ich sicher. Aber heute habe ich ein ganz anderes Anliegen«, er schwieg, bis sie am Quartermaster vorbei waren, »das mir etwas heikel vorkommt, offen gesagt.«

Kydd verkrampfte sich. Es hatte ihn schon verblüfft, daß Houghton sich so zurückhielt und einen ranghohen Flaggkapitän direkt mit ihm sprechen ließ. Und jetzt der Gebrauch des Wörtchens »heikel« ...

Essington verhielt den Schritt und wandte sich Kydd zu. »Die Essenz des Ganzen ist ...«

»Sir?«

»Mein Neffe Bowden wurde mir als Fähnrich gesandt und anvertraut, um neben mir auf dem Achterdeck der Princess Royal zu stehen. Kurz gesagt, scheint es mir jedoch nicht in seinem Interesse zu sein, im selben Schiff wie sein Onkel zu dienen. Auch halte ich ein Flaggschiff von der Cadiz-Blockade nicht für den richtigen Ort, die Grundlagen unseres Berufs zu erlernen. Kapitän Houghton war so freundlich, ihn auf die Tenacious zu übernehmen, wo er dem Batteriedeck zugeteilt wird und mit seiner Ausbildung beginnen wird.«

»Äh – jawohl, Sir.« Kydd konnte sich noch immer nicht erklären, warum er von dieser Übereinkunft informiert wurde.

»Ich sage Ihnen dies, damit nicht der Eindruck entsteht, daß dem jungen Mann irgendwelche Privilegien zuteil werden sollen, die über seinen Stand als Offiziersanwärter hinausgehen. Trotz seiner hohen Geburt – er ist das Kind meiner Schwester – wünsche ich, daß er behandelt wird wie alle anderen.«

»Sir, bei allem Respekt, ich begreife nicht, was mich das angeht.«

Essington lächelte. »Das ist ja das Heikle daran. Es ist mein Wunsch, daß der junge Bowden seine Nautik gründlich erlernt und nichts ausläßt, damit er eine gute Grundlage für seine Zukunft erhält. Ich bitte Sie nicht, sein Lehrer zu sein, aber Sie würden mir einen großen Gefallen erweisen, würden Sie ein Auge auf seine Fortschritte halten. Damit wären seine Maßstäbe in Seemannschaft von Beginn an erstklassig, weil sie von einem Könner seines Fachs gelegt würden.«

»Sir, Sie schmeicheln mir«, sagte Kydd vorsichtig. Aber Kindermädchen für einen Kadetten zu werden? Jedenfalls würde er als Offizier nicht direkt mit ihm zu tun bekommen. Das war Aufgabe der Mastersgehilfen und der Unteroffiziere.

Essington runzelte die Stirn. »Ich bitte Sie nicht, sich einzumischen, sondern nur darum, seine Kenntnisse bei passender Gelegenheit zu überprüfen, ohne Rücksicht auf seine Gefühle oder die Ihnen notwendig erscheinende Zeit.«