Im wilden Westen Nordamerikas 03: Der schwarze Josh -  - E-Book

Im wilden Westen Nordamerikas 03: Der schwarze Josh E-Book

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Beschreibung

Old Shatterhand jagt den Schwarzen Josh, den Anführer der Bushwhacker, der ein gepanzertes Rammschiff der Konföderierten in seine Gewalt gebracht hat.In St. Louis trifft Old Shatterhand auf seinen Blutsbruder Winnetou.Teil 3 der TrilogieDie Schwarzen Teufel von MissouriDie Printausgabe umfasst 164 Buchseiten.

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Im Wilden Westen NordamerikasDER SCHWARZE JOSH

In dieser Reihe bisher erschienen

2201 Aufbruch ins Ungewisse

2202 Auf der Spur

2203 Der schwarze Josh

H. W. Stein (Hrsg.)

Der schwarze Josh

Teil 3 der TrilogieDie Schwarzen Teufel von Missouri

Aufgeschrieben von Thomas Ostwald

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag, www.blitz-verlag.de, in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt bis zu einer Höhe von 23 %.

© 2017 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mark FreierUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenwww.BLITZ-Verlag.deISBN 978-3-95719-433-6

1.

Von unserer Anhöhe aus hatten wir einen weiten Blick über die sich vor uns ausbreitende Prärie. Ein wogendes Gräsermeer bot sich uns, dazu blühten überall die Blumen in herrlichen Gelbtönen und gaben dem ansonsten grünen Meer einen besonders angenehmen Farbton, an dem sich das Auge gar nicht sattsehen konnte.

Störend verlief nur der dunkle Strich der Eisenbahnschienen mitten hindurch, schnurgerade, und verschwand irgendwo hinter dem Horizont. Telegrafenmasten säumten den eisernen Pfad und kündeten von der Zivilisation, die auch hier längst Fuß gefasst hatte.

Neben mir hatten auch die beiden Osagen ihre Pferde eingezügelt, der zivilisierte Pferdehäuptling Tomson, ein ruhiger, bedächtiger Indianer, der trotz seiner europäischen Kleidung und seines harmlosen Aussehens nicht unterschätzt werden durfte. Schon-ka-ki-he-ga war Christ geworden und begleitete den wild aussehenden Krieger Pah-me-o-ne-qua, Roter Donner, auf seinem Rachefeldzug. Im Gegensatz zu seinem Stammesbruder war er traditionell gewandet, trug um die Schultern ein Büffelfell mit der nach außen gedrehten Fleischseite, die sorgfältig gesäubert war und Bemalungen zeigte. Beide waren mit Trade Guns, den glattläufigen Musketen, ausgestattet und verfügten über Messer, Tomahawk und im Falle des Roten Donners zusätzlich über eine Kriegskeule.

Der Anführer der Schwarzen Teufel, einer Bande von Bushwhackern, hatte Donner in seinem Tipi überfallen, den Krieger niedergeschossen und für tot liegen gelassen, dessen Frau entführt und zudem das Heilige Bündel der Osagen mitgenommen. Jetzt folgten wir seiner Spur, die sich unverkennbar deutlich durch das hohe Gras vor uns an den Eisenbahnschienen entlang schlängelte.

Ich war gerade vom Pferd gestiegen und hatte die Hufabdrücke noch einmal untersucht, was mir einen verächtlichen Blick von Roter Donner einbrachte, der nur unwillig auf mich wartete. Für ihn war es klar, dass wir den Schwarzen, den er nur als Weißen Hund, skah shongah in seiner Sprache, bezeichnete, noch immer vor uns hatten. Und ich vermutete, dass er auf dem Pferd auch Klara von Rauten als Geisel mitführte.

Das Treffen der Bande bei Perryville musste verraten worden sein, ging es mir durch den Kopf, ­während wir unsere Pferde auf der Spur vorantrieben. Offenbar gehörte der Spieler, den wir an Bord der ­River Queen kennengelernt hatten und als ­Falschspieler entlarvten, ebenfalls zur Bande der Schwarzen ­Teufel, wie man diese Verbrecher überall aufgrund ihrer Vermummung und der schwarzen Kleidung nannte. ­Rowson, Ferrow oder Hendricks nannte sich der Mann, der dann jedoch, noch bevor er vom Mob gelyncht werden konnte, in angeblicher Notwehr vom Bürgermeisterkandidaten Bill Smith erschossen wurde. In meine Gedanken versunken achtete ich nicht auf den Weg, denn eben lächelte ich noch über den in den Staaten wohl Hunderttausendfach benutzten Namen Bill Smith, als ich plötzlich eine Verbindung zu der Frachtfirma sah, deren Name Klara von Rauten genannt hatte: Smith, Railer & Company, und hatte nicht der Reporter vom Chronicle gemeint, dass einer der Geschäftsführer im Zusammenhang mit den Überfällen ...

Ein Schuss riss mich aus den Gedanken, und verwundert blickte ich umher.

Es war Tomson, der seine Muskete auf einen Geier abgefeuert hatte. Mit vollkommen gleichgültiger Miene lud er sein Gewehr erneut während des Weiterreitens, und ich erkannte, dass der Vogel wohl gerade auf einer Stelle direkt neben den Gleisen gelandet war, die sich als dunkler, lang gestreckter Körper im dichten Gras abzeichnete.

Durch den Schuss waren zahlreiche andere dieser widerlichen Aasvögel aufgeflogen und kreisten jetzt krächzend und schreiend vor Ärger über diese Störung über unseren Köpfen. Neben der Stelle sprang Donner aus dem Sattel und beugte sich dicht über die niedergetretenen Gräser rings um das hier verendete Pferd. Man hatte dem Tier Sattel und Halfter abgenommen, und das brachte mich auf den Gedanken, dass der Schwarze hier einen Zug angehalten haben musste.

„Zwei Reiter. Große Stiefel und kleine Schuhe. Das Pferd brach hier zusammen. Der Mann und die Frau sind in den Zug gestiegen.“

Das waren die kurzen Erklärungen, die meine erste Vermutung bestätigten. Donner stieg wieder auf und warf einen prüfenden Blick in die Ferne. Auf der eingleisigen Strecke war weit und breit kein Rauch zu erkennen, der das Annähern eines weiteren Zuges ankündigte.

Ohne sich weiter um mich zu kümmern, trieb der Osage sein Pferd wieder an. Jetzt konnten wir eine raschere Gangart einschlagen, denn hier gab es keinen Pfad, der sich durch hohes Gras schlängelte. Wir mussten nur dem Schienenstrang folgen, der uns irgendwo in die nächste Ortschaft bringen würde. Ich vermutete, dass diese Bahn direkt nach St. Louis ging.

Nach einer halben Stunde wurde die Gegend leicht wellig, dann stieg das Terrain an, und wir erreichten eine lang gestreckte, aber flache Hochebene. Kurz vor dem Kamm der Erhebung vernahm ich in weiter Ferne ein seltsames Geräusch und wollte eben Roter Donner darauf hinweisen, als ich erkannte, dass er selbst lauschte. Sein Pferd war wie eine Statue erstarrt und bildete mit seinem Reiter eine Einheit. Die beiden boten auf ihre Weise für mich in diesem Moment das Urbild der Bewohner dieser herrlichen Gegend. Der wilde Krieger, bemalt und mit den Insignien seiner Jagd ausgestattet, sog mit allen Sinnen die Stimmen der Wildnis ein, filterte sie und kam zu dem richtigen Schluss.

„Gewehrschüsse. Heftiges Feuern von zwei Parteien. Dort unten wird gekämpft!“, sagte er und deutete auf einen winzigen Punkt in der Ferne, den ich kaum noch erkennen konnte. Aber als wir nun den sanften Hang hinabritten und wieder dem Schienenstrang folgten, sah ich immer deutlicher eine hauchdünne dunkle Fahne, die über einer Stelle mitten in der Prärie zu schweben schien.

Wir machten unsere Gewehre schussfertig und ritten nun in gestrecktem Galopp an den Schienen entlang. Größer und deutlicher wurde der Punkt, die dunkle Fahne entpuppte sich als schmaler Rauch, der aus dem Schornstein der stehenden Lokomotive aufstieg. Auch die Schüsse waren lauter zu hören, aber noch waren wir viel zu weit entfernt, um erkennen zu können, was dort vor uns geschah.

Die jetzt wieder vollkommen ebene Landschaft flog an mir vorüber, als ich mein Pferd antrieb. Noch immer führte ich ja das erbeutete Pferd des toten Banditen John Brown mit, aber das Tier griff ebenso wacker aus wie die anderen. So näherten wir uns dem stehenden Zug, von dem sich eben eine Gruppe Reiter entfernte. Offenbar hatten sie uns nicht wahrgenommen, denn wir befanden uns auf der anderen Seite des Zuges. Langsam waren Einzelheiten auszumachen, und so, wie sich das Bild vor meinen Augen formte, hatte offenbar eine Bande der Bushwhacker den Zug überfallen und ausgeraubt. Was mich jedoch in große Unruhe versetzte, war die jetzt herrschende Stille.

Nach einem solchen Überfall hätte ich doch erwartet, dass noch einige Schüsse den Davonreitenden nachgeschickt wurden oder zumindest lautes Wutgeschrei erfolgte. Stattdessen herrschte eine geradezu gespenstische Stille, als wir uns dem Zug näherten. Selbst die dünne Rauchfahne, die ich noch aus der Entfernung gesehen hatte, war verschwunden. Gelegentlich kam von der Dampfmaschine ein leises Klicken, verursacht durch das sich abkühlende Metall. Das Feuer unter dem Kessel brannte nicht mehr, und das vermutlich schon seit einiger Zeit.

Endlich waren wir am Zug angelangt. Es handelte sich um einen kurzen Zug der Missouri-Pacific-Railroad und war offenbar auf dem Wege nach St. Louis.

Während die beiden Osagen abstiegen und auf die Waggons zugingen, die alle zerschossene Scheiben aufwiesen, galt meine erste Sorge dem Personal auf der Lokomotive. Ich ritt also an den drei Waggons vorbei und bemerkte mit Grauen, dass aus einem der Fenster ein toter Passagier hing. Schlaff wie eine Puppe lag sein Körper über dem Fensterrahmen, beide Armen hingen nach unten, als würde der Tote von dort Hilfe erbitten.

Vor dem roten Caboose lagen aufgerissene Koffer und Taschen herum, deren Inhalt größtenteils im weiten Bogen verstreut war. Man hatte sie offensichtlich in aller Eile nach Wertvollem durchwühlt.

Ein Blick auf den großen Tender der Lokomotive zeigte mir den erschossenen Heizer, ein Stück weiter lag der Lokomotivführer mit einem Loch mitten in der Stirn.

Vermutlich waren diese beiden die ersten Opfer beim Überfall, um auf diese Weise den Zug zum Stehen zu bringen, noch bevor einer der Banditen auf den Zug springen konnte. Ich wendete das Pferd und trabte ein Stück zurück, sprang aus dem Sattel und betrat über den Perron den ersten Wagen, während die Indianer sich im zweiten umsahen. Der dritte war ein knallrot gestrichener Caboose, ein Gepäckwagen mit Dachbremse. Ich öffnete die Tür zum Wagen und prallte zurück. Mir bot sich ein schrecklicher Anblick, und der Geruch, der über allem lag, unterstrich mein Entsetzen noch. Die verschossene Munition, vermutlich überwiegend aus Vorderladerrevolvern, hatte den unangenehmen Schwefelgeruch von verbranntem Schwarzpulver über alles wie einen dichten Mantel ausgebreitet. Aber unverkennbar war dazwischen auch der metallisch-süßliche Geruch von vergossenem Blut. Und das gab es in diesem Wagen reichlich. In den unterschiedlichsten Haltungen lagen oder saßen die Passagiere hier teils noch auf ihren Sitzen, teils direkt am Fenster oder auf dem Boden des Eisenbahnwagens. Einige von ihnen waren offenbar bewaffnet gewesen und hatten den Banditen Widerstand geleistet, was von deren Seite mit aller Brutalität beantwortet wurde.

Die Toten waren zudem alle ausgeplündert, wie die oft mit großer Brutalität aufgerissenen Jackentaschen und die umgestülpten Taschen bewiesen. Auch hier waren überall Gegenstände verstreut.

Als ich durch die Reihen ging, konnte ich den Blick nach wenigen Schritten nur noch nach vorn richten. Die weit aufgerissenen Augen und vor Schreck verzerrten Gesichter der Toten waren unerträglich. Noch schlimmer für mich war aber die Tatsache, dass niemand verschont wurde. Auch mehrere Frauen befanden sich unter den Toten, und schließlich entdeckte ich auch zwei erschossene Kinder, über die sich ihre Mütter noch schützend geworfen hatten.

Was waren das für Bestien, die hier gewütet hatten?

Plötzlich gab es ein Geräusch hinter mir, das mich auf dem Absatz herumfahren ließ. Ich hatte den Henrystutzen noch in der rechten Hand und brachte ihn sofort in den Anschlag, aber dann erkannte ich die Ursache für das Geräusch. Einem der Toten war der Revolver aus der Hand gefallen, als ich an ihm vorübergekommen war. Die Waffe lag jetzt unmittelbar vor meinen Füßen und unwillkürlich bückte ich mich danach und nahm sie auf.

Es handelte sich um einen Colt Paterson, Modell Nr. 5, Holster-Ausführung, im Kaliber .36, also einen ganz frühen Revolver aus der berühmten Produktion. Diese Waffen waren noch fünfschüssig und hatten einen Abzugshahn, der erst ausklappte, wenn man den Hahn spannte. Ich drehte den Revolver so zu mir, dass ich in die Kammern sehen konnte, die alle fünf noch geladen waren. Ein Blick auf den toten Besitzer, einen älteren Herren, und ich bemerkte die ihm offenbar schon vorher aus der Hand geglittene Ladevorrichtung, eine Messingflasche mit fünf Ventilaufsätzen, die das gleichzeitige Befüllen der fünf Kammern mit Pulver ermöglichte.

Einen Moment zögerte ich, aber als ich einen Ruf von draußen hörte, steckte ich mir den Colt in den Hosenbund und die Ladevorrichtung, die noch vollständig gefüllt war und damit einiges an Gewicht aufwies, in die Hosentasche. Dann eilte ich zur nächsten Tür, kletterte über die geöffnete Gittertür der beiden Perrons auf den nächsten Wagen, wo mich Roter Donner erwartete. Mit einer stummen Geste deutete er durch den Eisenbahnwaggon auf den dahinter sichtbaren Gepäckwagen.

„Sprich du mit dem Mann, er weigert sich, die Tür aufzuschließen.“

Es gab also doch noch einen Überlebenden! Rasch ging ich durch die Abteilreihen, in denen sich das Bild noch einmal wiederholte, das ich gerade erst erlebt hatte. Auch hier hingen die toten Menschen auf ihren Sitzen, teilweise hatte ich den Eindruck, dass ihr Blut aus den schweren Verletzungen noch nicht einmal stockte, sondern wie frisch wirkte. Möglicherweise war ja auch noch Leben in dem einen oder anderen Schwerverwundeten, aber niemand bewegte sich oder gab ein Schnaufen von sich. Der Wagen war genauso gespenstisch wie der andere.

Ich stand auf dem Perron vor dem Gepäckwagen und rief hinüber:

„Hallo! Ich habe den Überfall aus der Ferne mitbekommen und bin mit meinen beiden Begleitern, zwei Osage-Indianern, sofort hierher geritten, doch leider kamen wir zu spät. Kommen Sie doch bitte heraus, wir nehmen Sie zur nächsten Station mit, ich habe noch ein lediges Pferd!“

Niemand antwortete mir, aber ich war überzeugt, dass der Osage sich nicht irrte. In dem Wagen befand sich ein Mensch, der sich vermutlich vor Angst eingeschlossen hatte und niemand zu sich lassen wollte.

„Hallo, Mister, hören Sie mich? Sind Sie verletzt? Mein Name ist Karl Winter, ich komme aus Deutschland und suche eine Bushwhacker-Bande, die meine Freundin entführt hat! Wir haben die Spuren verfolgt und sind dadurch auf den Zug aufmerksam geworden. Kommen Sie ruhig heraus, die Gefahr ist vorüber!“

„Und Sie sind wirklich ein Deutscher?“, kam die ängstliche Stimme zurück.

Erstaunlicherweise war es zwar eine in englischer Sprache gestellte Frage, aber doch mit einem starken Akzent, der mich auf den Gedanken brachte, einen Landsmann vor mir zu haben.

„Woher kommen Sie, guter Mann? Ich bin direkt aus Dresden hierher nach New Orleans gereist und will nach St. Louis, wo ich von einem ersten Aufenthalt Leute kenne, die ich wiedersehen will!“

„Aus Dresden? Ist das wirklich wahr?“

Ich konnte ein Poltern hören und nahm an, dass irgendwelche Barrikaden beiseite geräumt wurden. Dann plötzlich gab es ein Kratzen an der Tür, und ganz vorsichtig zog sie jemand nach innen auf.

Ein Mann um die fünfzig Jahre, mit spärlichem Haarwuchs und einem schreckensbleichen Gesicht blickte durch den Spalt zu mir herüber.

„Sie haben aber ein Gewehr in der Hand!“, sagte er nach dieser Musterung ängstlich und wollte die Tür schon wieder schließen, als ich hastig ausrief:

„Das habe ich zur Hand genommen, weil ich nicht wusste, was uns hier erwartete. Kommen Sie, guter Mann, es ist alles vorüber, die Banditen sind auf und davon, und die beiden Indianer und ich sind die einzigen Lebenden außer Ihnen!“

Die Tür wurde erneut aufgezogen, dann huschte ein schmaler Mann heraus und stand nun vor mir. Ich musste meine erste Einschätzung korrigieren, dieser Mann hatte mit Sicherheit deutlich die Sechzig überschritten. Er war klein und dürr und schien noch immer vor Angst zu zittern, als er auf mich zu trat.

„Sie haben ein ehrliches Gesicht, Mister, ich glaube Ihnen. Ich heiße Oskar Nehrlich und stamme aus dem Hannoverschen. Diese Banditen haben ununterbrochen gefeuert, und auch aus der Eisenbahn wurde geschossen. Als der Zug stand, habe ich mich deshalb in dem oberen Teil des Caboose versteckt.“

Der Mann deutete auf das Dach des Gepäckwagens und zeigte ein schüchternes Grinsen, bei dem er in seinem Mund nur noch eine geringe Anzahl von Zähnen zeigte. „Das hat mir das Leben gerettet, denn zwei von den Banditen haben den Wagen durchsucht, die Gepäckstücke hinausgeworfen und draußen geöffnet. Aus meinem Schrank haben sie die verschlossene Geldkassette mitgenommen. Dass ich vor lauter Schreck nicht aus dem engen Dachabteil herunterfiel, verstehe ich noch immer nicht.“

„Befand sich viel Geld in der Kassette?“

„Etwa eintausend Dollar, Mister. Es war für die Big-Double-X-Ranch bestimmt, morgen ist für die Männer auf der Ranch Zahltag.“

„Mitten im Monat? Wir haben doch morgen erst den 10.?“

„Ja, das war immer so, und weil oft Geld in größeren Mengen mit dem Zug transportiert wurde, wollte Mr. Freeman – das ist der Besitzer – jedes Risiko ausschließen und hat mit seinen Männern vereinbart, zur Monatsmitte den Lohn auszuzahlen. Dadurch musste nicht noch ein Wachmann den Zug begleiten, verstehen Sie?“

Oh ja, ich hatte verstanden, wollte mir aber doch noch Gewissheit verschaffen.

„Das war doch aber sicher nicht überall bekannt, denke ich, oder? Wer wusste denn von diesen Lohnzahlungen außer den Leuten auf der Ranch?“

Der kleine, dünne Mann sah mich mit großen Augen an.

„Na, die Transportfirma natürlich, der auch diese Eisenbahn gehört. Der Chef, Mr. Parker, hat sich persönlich um alles gekümmert.“

„Mr. Parker? Das ist doch der Inhaber der Transportfirma Smith, Railer & Company, richtig?“

„Das trifft zu, kennen Sie ihn denn?“

„Nein, nicht, dass ich wüsste. Aber kommen Sie, die Indianer wollen weiterreiten. Trauen Sie sich zu, einen Ritt bis in die nächste Stadt durchzustehen?“

Der Eisenbahner sah sich auf dem Perron verzweifelt um und hob schließlich die Schultern.

„Was für eine Wahl habe ich denn? Ich kann doch nicht hier draußen bei den ganzen Toten bleiben, bis jemand kommt und sich um den Zug kümmert. Ja, ich reite mit! Die nächste Station ist etwa eine Stunde von hier entfernt. Das Nest heißt Rockwood und liegt am Mississippi.“

„Dann sollten wir auch dort den Überfall melden. Leider ist ja der Telegrafendraht zerstört worden, sonst hätten wir versuchen können, mithilfe ihres Morseapparates eine Verbindung aufzubauen. Sie haben doch im Gepäckwagen gewiss ein Morsegerät?“, erkundigte ich mich.

„Oh ja, selbstverständlich, aber die Banditen haben die Leitung als Erstes zerstört. Was ich übrigens noch ganz besonders merkwürdig fand, war die Tatsache, dass wohl der Anführer der Bande, ein großer, kräftiger Kerl mit einem dichten, schwarzen Bart bis auf die Brust herunter, im Zug gewesen sein muss. Er hat wohl den Lokomotivführer und den Heizer erschossen, als er mit seinem Revolver auf den Tender kletterte.“

Ich musterte den Eisenbahner erstaunt.

„Und das konnten Sie erkennen?“

„Ja, das Dachteil meines Caboose hat nur zwei kleine Fenster, eines nach vorn, eines nach hinten heraus. Ich erkannte den Mann in dem Augenblick, als er über den Rand des Tenders stieg und sich mit der einen Hand am Rand festhielt, um nicht vom Kohlenberg herunterzurutschen. Er schoss sofort von da oben auf die beiden Männer, dann kehrte er zu der wartenden Frau zurück.“

Ich zuckte förmlich zusammen bei dieser Äußerung.

„Eine Frau? Was für eine Frau war das?“

„Ich vermute, sie war seine Frau, mit der er den Zug angehalten hatte. Jedenfalls war sie, als der Zug zum Stehen kam, mit dabei und ritt dann auf einem der Pferde mit den Bushwhackern davon.“

Moment mal – was erzählte mir der Mann da? Sollte Klara von Rauten – aber nein, das war ja vollkommen ausgeschlossen. Aber ich wollte doch noch mehr erfahren.

„Diese Frau – wie sah sie aus, konnten Sie Einzelheiten erkennen?“

„Nur wenig, weil ich mich ja vorsehen musste, damit mich niemand an meinem Fenster erblickte. Aber als sie auf dem Pferd saß und mit der Bande davon ritt, wehten lange, schwarze Haare hinter ihr her wie eine Fahne.“

Das gab mir einen Stich durch und durch, aber ich weigerte mich zu glauben, dass Klara von Rauten mit einer Verbrecherbande unterwegs war.