Im wilden Westen Nordamerikas 11: Jenseits der Grenze -  - E-Book

Im wilden Westen Nordamerikas 11: Jenseits der Grenze E-Book

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Beschreibung

Nach dem Sezessionskrieg wittern viele Geschäftsleute ihre Chance auf schnelles Geld. Eisenbahnen werden in rasendem Tempo gebaut, der rote Mann muss immer weiter zurückweichen. Auch der reiche Südstaatenpflanzer Leopold Lasalle zieht für sich die Fäden. Old Shatterhand bekommt es mit Kriminellen zu tun, die verseuchte Mäuse züchten.Die Printausgabe umfasst 192 Buchseiten.

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Seitenzahl: 188

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Im Wilden Westen NordamerikasJENSEITS DER GRENZE

In dieser Reihe bisher erschienen

2201 Aufbruch ins Ungewisse

2202 Auf der Spur

2203 Der schwarze Josh

2204 In den Fängen des Ku-Klux-Klan

2205 Heiße Fracht für Juarez

2206 Maximilians Gold

2207 Der Schwur der Blutsbrüder

2208 Zwischen Apachen und Comanchen

2209 Der Geist von Rio Pecos

2210 Fragwürdige Gentlemen

2211 Jenseits der Grenze

2212 Kein Glück in Arizona

H. W. Stein (Hrsg.)

Jenseits der Grenze

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2019 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannAutor: Hymer GeorgyÜberarbeitung: Thomas OstwaldTitelbild: Ralph KretschmannLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-442-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1.

Sam Hawkens, Peter, Paul, Matty und ich holten alles aus den Vierbeinern heraus, um noch vor Einbruch der Nacht so viel Boden wie möglich gut zu machen. Sams gute alte Mary, das Maultier, hatte Mühe, mitzuhalten, und der Abstand zwischen ihm und uns hatte sich in den letzten zwanzig Minuten etwas vergrößert.

Das Hufgetrappel unserer Reittiere donnerte weithin hörbar über die leicht hügelige Landschaft des Green Valley. Seit einigen Stunden schon jagten wir den skrupellosen Dieben hinterher, die dem Naturwissenschaftler Daniel T. Whittingham in Tucson nicht nur brisante Forschungsunterlagen gestohlen hatten, sondern auch todbringende Mäuse. Zu welchem Zweck, wussten wir nicht, aber es reichte allein die Tatsache aus, uns die rasche Verfolgung aufnehmen zu lassen.

Die Sonne brannte vom Himmel herab. Die ­größten Kakteen der Art Carnegiea gigantea wuchsen hier bis zu zwanzig Meter hoch. Obwohl sie längst nicht mehr in der Blüte standen, gaben sie dennoch ein höchst beeindruckendes Bild ab. Von Weitem erinnerten sie entfernt an ein Heer von Hünen mit erhobenen Händen, das sich dem Feinde ergab.

Wir näherten uns der verrufenen kleinen Grenzsiedlung Nogales, die ihren spanischen Namen den hier überall anzutreffenden Walnussbäumen verdankte. Die Bewohner schreckten auf, als wir ungestüm wie eine Horde wilder Cowboys hereinbrachen, um vor dem größten Saloon haltzumachen. Während wir absaßen, holte uns auch Sam wieder ein. Mary stand der Schaum vor dem Maul, aber sie hatte sich wacker geschlagen. Jedoch regte sich der Verdacht, dass sie einen weiteren Ritt dieser Art nicht mehr verkraften konnte.

Wie ich schon früher bemerkte, war es immer noch der Saloon einer Stadt, in dem man auf Auskünfte hoffen konnte. Dieser hier entsprach allerdings kaum dem üblichen Bild, dem man in den endlosen Weiten und aufstrebenden Städten des amerikanischen Westens begegnete, sondern besaß das Aussehen einer mexikanischen cantina. Er wurde auch als solche bezeichnet.

Während Sam, Peter und Paul sich um die Tiere kümmerten, betraten Matty und ich das herunter­gekommene Gasthaus. Es war Wochenende und trotz der frühen Nachmittagsstunde das Etablissement daher bereits gut besucht. Die Sonne stand uns im Rücken, und der hinter mir her schreitende Matty warf einen gewaltigen breiten Schatten, der meinen überlagerte, als wir durch die auch hier vorhandenen brusthohen Schwingtüren schritten. Sie ersetzten während des Geschäftsbetriebes auf amerikanische Weise den normalen Zugang einer festen Tür, die ihrerseits sperrangelweit offen stand.

Bei unserem Hereinkommen sahen nur vereinzelt die männlichen Gäste auf den Barhockern sowie an den wackeligen Tischen kurz hoch, um sich dann wieder den gegenwärtigen Aktivitäten des Rauchens, Trinkens oder Kartenspielens hinzugeben. Wir steuerten zielstrebig auf den lang gezogenen Tresen zu. Der dahinter befindliche Mensch, von der Statur her durchaus mit Matty zu vergleichen, aber wesentlich unfreundlicher und mit einem braunen, vernarbten Gesicht, brachte uns ein Knurren entgegen, das wohl eine Mischung aus Guten Tag und Ihr wünscht? darstellen sollte.

„Buen día – Eine Auskunft, bitte“, erwiderte ich höflich, während Matty mir den Rücken deckte. Die cantina wurde hauptsächlich von Mexikanern und Halbmexikanern besucht, die aus der Zeit vor dem Gadsden-Purchase1 auf dieser Seite der jetzigen Grenze übrig geblieben waren. Nur wenige Weiße waren zu entdecken. Alle trugen einfache, aber robuste Kleidung, viele von ihnen Hosen aus festem Segeltuch. Bei dem einen oder anderen kreuzten Hosenträger oder breite lederne Patronengurte die schmuddeligen, löchrigen Hemden. Nicht wenige hatten ihre Kopfbedeckungen aufbehalten. Alles in allem mochten es an die fünfzehn bis zwanzig zwielichtige Männer sein, die hier herumsaßen. Hier war der Westen in der Tat noch wild und ursprünglich, wie man ihn aus den Gazetten in der Heimat kannte – ganz im Gegensatz zu den Gefilden im Osten und Nordosten des Landes, wo längst der Fortschritt mit Recht und Gesetz eingekehrt waren. Der Wirt sah uns misstrauisch an; zuerst mich, den er für den schwächlicheren hielt, dann den breitschultrigen und korpulent daherkommenden Matty.

„Eine Auskunft? Ihr habt ja noch nicht mal einen Drink bestellt!“, kam es nun etwas deutlicher zwischen den schlechten, gelblichen Zähnen des Schankwirts hervor. Dabei wischte er vor uns mit einem schmutzigen Lappen über die Theke. Der Wirt war wie seine meisten Gäste eindeutig mexikanischer Abstammung, wenn man dies auch nur aus den Gesichtszügen und nicht aus seiner Kleidung schließen konnte. Sein amerikanisches Englisch besaß einen Einschlag, den er nur durch einen längeren Aufenthalt in den Staaten erworben haben konnte, oder vom stetigen Umgang mit Gringos.

„Na schön. Zwei Whisky – und eine Auskunft, por favor!“, bat ich erneut, und ließ dabei einen Vierteldollar auf den Tisch fallen. Es klimperte selbst vor der übrigen Geräuschkulisse hörbar, als dieser sich kurz im Kreise drehte. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie es der Wirt schaffte, ihn einzustreichen. Prompt standen aber auch drei Gläser dort, die er nun aus einer Flasche mit bernsteinfarbener Flüssigkeit befüllte. Dabei sah er mich abschätzend an.

„Ihr seid nicht von hier, eh?“, gab er mürrisch von sich.

„Richtig. Aber zugegeben, wir sind etwas in Eile. Also?“, drängte ich.

„Lasst mich raten. Ihr sucht zwei Männer mit einem Karren voller Ratten oder Mäuse, die vor knapp drei Tagen hier durchgekommen sind“, erwiderte er grinsend. Ich nickte, weniger erstaunt über sein Wissen, sondern schon eher darüber, dass die Flüchtigen ihre Fracht derart offen gezeigt hatten.

„Das ist richtig.“.

„Ihr seid nicht die Ersten, die sich nach denen erkundigen, und in den letzten Tagen sind hier keine anderen Gringos durchgekommen“, antwortete er und rang sich dabei ein Lächeln ab.

„Wer hat sich denn noch nach denen erkundigt?“, fragte ich weiter, obwohl ich es mir fast denken konnte.

„So ein merkwürdiger Kerl aus dem Osten.“ Die weitere Beschreibung des redseligen Barmannes betreffs jener Person entsprach verblüffend derjenigen von Willard Duncan Blackstone.

„Aus dem Osten war der also, mit dem du gesprochen hast. Aber wieso merkwürdig?“, fragte ich trotzdem noch einmal und zog etwas die Augenbrauen hoch.

„Ja. Merkwürdig eben. Wenn der Kerl aus ­Boston kam, wie er behauptete, dann bin ich Benito ­Juarez!“, gab er an.

Ich lächelte freundlich und nickte. Dass Blackstone nicht aus Boston kam, war mir bereits früher klar geworden. „Und die beiden mit dem Karren? Sind die noch hier? Hier in Nogales?“, fragte ich hoffnungsvoll weiter.

Der Wirt schüttelte energisch den Kopf, um anschließend ein paar Gäste, die wiederholt lautstark cerveza, also Bier, orderten, mit einem gelassenen, aber alles übertönenden „sí equivale – kommt ja gleich!“ zu vertrösten. Sogleich wandte er sich wieder mir zu. „Nein“, bekräftigte er seine vorherige Geste. „Die haben in der Stadt nur eine Nacht verbracht. Ich habe oben ein paar Zimmer, wisst Ihr, aber sie zogen es vor, bei ihrem Wagen zu bleiben, und haben sich wohl mit dem caballerizo del rey2 geeinigt.“

„Woher weißt du dann, dass sie fort sind?“, hakte ich nach und dachte mir meinen Teil zu seiner vorherigen Antwort. Klar, dass sie die brisante Fracht nicht allein lassen wollten. Was er sagte, konnte also stimmen. Er sprach bereits weiter.

„Ich bin den Kerlen zufällig am nächsten Tag noch mal begegnet, in der tienda de comestibles3. Da haben sie sich Vorräte für die Weiterreise beschafft. Kann mich dran erinnern, da ihr Einkauf sich etwas merkwürdig gestaltete.“

„Was haben die Kerle denn so Merkwürdiges erworben?“

„Granos – Getreidekörner.“

„Getreidekörner?“

„Ja. Und das, obwohl sie mit Sicherheit keine granjeros4 waren. Die granjeros hier aus der Gegend kenne ich alle.“

Ich dachte mir meinen Teil. Auch die Mäuse, die sie mit sich führten, benötigten schließlich Nahrung, sofern man nicht beabsichtigte, sie in die Freiheit zu entlassen. „Haben die beiden etwas von sich gegeben, wo sie von hier aus hin wollten?“

„Rüber nach Heroica Caborca, haben sie behauptet. Das ist eine Kleinstadt weiter westlich, Gringo, etwa auf Dreiviertelweg von hier aus zum ­Bermejo5.“

Ich wusste ungefähr Bescheid. Es waren dorthin etwas über hundert Meilen, wenn man auf der direkten Straße blieb, und mit dem Karren voller Mäuse blieb alles andere ausgeschlossen. „Aber?“, erkundigte ich mich, weil etwas deutlich in seiner Antwort mitschwang.

„Ich glaube nicht, dass die Kerle mir die Wahrheit gesagt haben. So, wie sie sich dabei angesehen haben und dann der eine von ihnen antwortete, war es eine Lüge. Vielleicht, weil sie ahnten, dass man hinter ihnen her war.“

„Sie sind aber auf jeden Fall weiter nach Süden?“, hakte ich nach, während der Wirt das Bier für seine ungeduldigen Stammgäste zapfte.

„Zumindest sind sie in südlicher Richtung aus Nogales raus, also über die Grenze nach Mexiko.“

„Und dieser Mann aus dem Osten? Hast du dem das alles auch gesagt?“ Wir wussten ja inzwischen, seit unserem Stopp in Albuquerque, dass sich Belford mit dem Halbblut aus irgendeinem Grunde von Blackstone getrennt hatten und der nun die beiden verfolgte.

„Dass sie Caborca als Ziel angegeben haben? Ja. Warum sollte ich nicht?“ Er zuckte die Schultern und stellte die vier Bierkrüge auf ein Tablett, das von einer dunkelhaarigen Schönheit mitgenommen wurde.

„Hat er es geglaubt?“, fragte ich den Wirt, ohne ihm zu antworten.

„Weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Er hat schließlich nichts für die Auskunft bezahlt.“ Er grinste breit. Dann deutete er auf die Gläser vor uns. „Ihr trinkt ja gar nicht!“, stellte er gespielt enttäuscht fest und zog eine beinahe herausforderndes Gesicht. „Auf ­Juarez!“, ergänzte er und hob sein Glas.

Matty bekam es gerade noch mit, drehte sich halb um und nahm in beinahe heroischer Manier sein Glas. Auch ich wollte es anstandshalber nicht verweigern. Während sowohl der Wirt als auch mein Begleiter das Gesöff in einem Zug durch die Kehle rinnen ließen und dann die Gläser hörbar auf dem Tresen absetzten, nippte ich erst einmal vorsichtig daran und nahm dann erst einen Schluck. Es handelte sich wahrlich um üblen Fusel.

„Nichts gewohnt, Gringo?“, fragte der Wirt und lachte kurz, aber laut auf.

Ich gab nur ein Geräusch von mir, das alles Mögliche bedeuten konnte, aber so viel wie ein zaghaftes „Kann schon sein“ ausdrücken sollte. Jedenfalls brannte dieses Zeug hier noch mehr als jene unbekannte Marke von Eddie Little Rock in Parsons.

Dann verabschiedeten wir uns höflich und traten unbehelligt hinaus. Von Sam, Peter und Paul war nichts zu sehen, aber ich dachte mir, dass sie sich wohl die Straße hinunter zum Mietstall begeben haben mochten. Matty und ich gingen jedenfalls dorthin, und ich fand meine Vermutung bestätigt.

„Und jetzt?“, fragte Sam aufgeregt, der sich besonders liebevoll um seine Mary gekümmert hatte. „Die, hinter denen wir her sind, haben sich schon längst wieder auf den Weg gemacht.“

„Woher wisst Ihr das?“, fragte ich.

„Der Stallmeister hat es uns verraten, hihihihi. Manchmal ist der gute alte Sam doch nicht ganz so blöd, wie er aussieht, wenn ich mich nicht irre.“

„Die Burschen sind weg!“, bestätigte ich. „Der Schankwirt meinte, sie hätten behauptet, nach Caborca zu wollen, hielt es aber für eine Lüge. Und es ist noch jemand hinter den beiden her: Blackstone!“, setzte ich die drei ins Bild.

„Das heißt, sie haben immer noch fast zwei Tage Vorsprung, wenn ich mich nicht irre!“, stellte Sam fest. Ich nickte.

„Die Tiere hatten ihre Pause“, sagte ich. „Wenn wir heute noch weiterreiten, schaffen wir es noch vor Einbruch der Dunkelheit bis nach Santa Ana. Auch, wenn wir es etwas langsamer angehen lassen. Damit sollten wir einen weiteren halben Tag gutmachen können. Mit dem Wagen kommen Belford und das Halbblut nicht so schnell voran, und wer weiß, wo sie noch hinwollen. Sie werden irgendwann rasten müssen. Das ist unser Vorteil.“

Sam Hawkens allerdings schüttelte den Kopf und meinte: „Tut mir leid, mein Freund. Meine Mary macht das nicht mehr mit. Wenn sie heute auch nur einen einzigen schnellen Schritt tun muss, reite ich sie zuschanden. Das kann ich dem alten Mädel nicht antun!“

„Das verstehe ich, Sam. Aber wir müssen weiter! Ihr werdet leider hierbleiben müssen.“

„Kommt gar nicht infrage! Ich besorge mir ein Pferd, hihihihi. Ich kann doch mein Greenhorn nicht einfach ins Verderben reiten lassen“, protestierte er. „Ich habe genug bei Lasalle verdient, dass ich mir ein Pferd leisten kann, wenn ich mich nicht irre, und ordentliches Zaumzeug dazu!“ Das duldete keinen Widerspruch.

„Wenn das so ist“, sagte ich lächelnd. Mir war allemal wohler, wenn ich auf der weiteren Jagd von einem ausgefuchsten Kerl wie ihm begleitet wurde.

Er verschwand, um mit dem Stallmeister das Weitere abzumachen und Mary in gute Hände zu geben, bis er irgendwann zurückkehrte. Der Mann nahm das Geld dankend entgegen und verkaufte meinem Freund anschließend auch noch ein Pferd. Der Grauschimmel war nicht unbedingt das schönste oder schnellste seiner Art auf Gottes Erdboden, würde aber seinen Zweck erfüllen. Sam Hawkens konnte uns also weiter begleiten.

*

Vierzig Meilen mochten wir in leichtem Galopp auf der Route hinter uns gebracht haben. Der Weg führte stetig in die Berge, die das äußerste nordwestliche Ende der Sierra Madre Occidental markieren. Die Sonne senkte sich allmählich zum Abend hin, wenngleich an ihren Untergang noch lange nicht gedacht werden konnte.

Vor uns öffnete sich das hügelige Land auf einer Höhe von über achthundert Metern und gab den Blick frei auf eine kleine, von einem einfachen Kirchenbau dominierte Jesuitensiedlung, die Ímuris genannt wurde. In der Sprache der Pima-Indianer bedeutete der Begriff wahlweise so viel wie ­Plateau zwischen den Flüssen oder auch Hügel geformt wie Feuerstein. Genauso musste man sich auch die ganze Landschaft ringsum vorstellen, die hier von drei Flüssen durchzogen wurde, die später den Rio Magdalena bildeten.

Bei unserem Eintreffen schien das ganze Anwesen verlassen, zumindest zeigte sich zunächst niemand. Wir verlangsamten deutlich unser Tempo und hielten die Gewehre bereit. Alles hier ringsum lud förmlich zu einem Hinterhalt ein. Beim Näherkommen glaubte ich, hinter einem der von innen verhangenen Fenster ein neugieriges Augenpaar zu entdecken, das aber sofort verschwand, als ich meine Aufmerksamkeit dorthin richtete. Nur der dichte Vorhang bewegte sich noch kurz. Ein kleiner, weißer, verwahrloster Hund kreuzte in hohem Tempo ein Stück weit voraus die Straße, stoppte kurz, schnüffelte an irgendetwas herum und verschwand trippelnd zwischen den wenigen Gebäuden, ohne unsere Ankunft zu würdigen. Ich gebot meinen Freunden, anzuhalten, als wir vielleicht noch dreißig Meter von dem ersten Haus entfernt waren.

„Was gibt’s, Old Shatterhand?“, fragte Sam, der zu meiner Position aufgeschlossen hatte.

„Ich weiß nicht genau. Es ist nur so ein Gefühl!“, erwiderte ich. Dabei strengte ich meine Augen an, konnte aber nichts Verdächtiges ausmachen. Deshalb gab ich meinem Pferd das Signal, langsam weiterzugehen. Die Freunde folgten mir. Der Eindruck, beobachtet zu werden, war beinahe greifbar, doch nichts regte sich. Auch der Hund blieb verschwunden. Stille. Absolute Stille. Genau das beunruhigte mich. Zu dieser Stunde hätten zumindest noch ein paar Menschen auf der Straße sein müssen, die von der Feldarbeit zurückkehrten. Aber nichts. Es war still. Zu still!

Wir bewegten uns nun zwei und zwei neben- und hintereinander her, nach beiden Seiten mit den Gewehren sichernd. Sam als fünfter bildete die Nachhut. Unser früheres Erleben in einer Vielzahl von Abenteuern bewahrte uns davor, unvorsichtig zu sein. Und doch brach das Unheil dann so plötzlich über uns herein, dass wir überrascht wurden.

Zwei Schüsse krachten, und ich sah erschrocken Peter neben mir vom Pferd stürzen. Pauls Vierbeiner wurde auch getroffen, und der Mann flog zur Seite aus dem Sattel, als es sich erst aufbäumte und dann zur Seite hin überschlug. Ich feuerte mehrmals zurück in die Richtung, aus der die Schüsse gefallen waren. Hinter einem Mauervorsprung im ersten Stock an einem der näheren Gebäude war eine Gestalt zum Vorschein gekommen, die nun nicht mehr rechtzeitig in ihre Deckung zurückgelangte. Eine meiner Kugeln traf und der Mann schrie auf, bevor er herabfiel und in der Gasse zum Nachbarbau aufschlug. Eine weitere Kugel von anderswo her jaulte dicht an meinem Kopf vorbei. Oben im Kirchturm war hinter der Öffnung zur Glocke hin noch ein zweiter Schütze erschienen. Sicher gab es noch mehr.

„In Deckung!“, rief ich meinen Freunden zu, und alle reagierten beinah instinktiv, ausgenommen Paul, der halb unter seinem Pferd lag und sich gerade zu befreien versuchte. Ich eilte zu ihm hin. Eine weitere Kugel traf das Tier, nahe der Stelle, an der ich nun kniete und Paul herauszerrte. Der Vierbeiner zuckte noch einmal und verendete.

Peter war getroffen, aber nicht so ernstlich, dass er nicht eilig zu der nächstliegenden Hausecke humpeln konnte, bevor man erneut auf ihn schoss. Gestein splitterte von der hellen Fassade ab. Er ­verzog das Gesicht und wollte zurückfeuern, fand aber kein Ziel. Weitere Angreifer mussten sich in oder bei einem Gebäude befinden, das von unserer gegenwärtigen Position aus nicht unmittelbar einsehbar war. Zudem schoss nun wieder jemand vom Turm aus.

„Ist es schlimm?“, fragte ich Peter, gleich nachdem ich mit Paul ebenfalls die schützende Deckung erreicht hatte.

„Nur ein Kratzer. Tut weh, ist aber nicht tief. Einen Zentimeter weiter rechts, und es hätte wohl meinen Oberschenkel zerfetzt“, kommentierte er missmutig, aber doch irgendwie beruhigend.

„Einen habe ich erwischt. Aber es müssen mindestens noch drei weitere da sein, so wie sie uns ins Kreuzfeuer genommen haben“, meinte ich dann.

„Das heißt aber auch, sie haben hier auf uns gewartet, wenn ich mich nicht irre. Wie kann das sein?“, fragte Sam.

„Ich schätze mal, unser Schankwirt in Nogales hat nicht mit offenen Karten gespielt“, antwortete ich ihm.

„Ihr meint, er hat uns bewusst hier in die Falle laufen lassen?“ Hawkens wirkte erstaunt.

„Der Gedanke drängt sich auf“, schlussfolgerte ich.

„Aber warum?“, wollte er wissen. „Ich meine, Belford und das Halbblut werden doch kaum gemeinsame Sache mit ihm machen.“

„Keine Ahnung, was die beiden ihm erzählt, bezahlt oder versprochen haben“, gab ich zu. „Auf jeden Fall hat es ausgereicht, hier eine schöne Falle für uns aufzubauen.“

„Und was machen wir jetzt?“, erkundigte sich Sam.

„Na, wir schnappen uns die übrigen Burschen und sehen, dass wir etwas aus ihnen herausbekommen.“

„Wenn sie es sich gefallen lassen“, spottete mein Freund.

„Werde sie nicht um Erlaubnis bitten!“, versicherte ich.

„Aber wie wollt Ihr es anstellen?“, wandte er trotzdem ein.

Wie zum Beweis für unsere schlechte Lage peitschten erneut mehrere Schüsse, unter denen allerdings nur die Fassade des Hauses litt.

„Wir machen jetzt Folgendes ...“, begann ich und erläuterte den anderen kurz meinen Plan. In den nächsten zwei Minuten feuerten Sam, Matty und Paul aus allen Rohren. Peters Gewehr war beim toten Pferd geblieben, daher hielt er sich zurück. Sein Revolver trug nicht so weit. Ein paar Kugeln meiner Freunde trafen auch die Kirchenglocke im Turm, die dadurch anschlug. Sie verfehlten aber den dortigen Schützen. Ich hingegen lief eilig in entgegengesetzter Richtung und suchte mir einen Weg durch eine enge Gasse zwischen zwei Gebäude­teilen. Über einen Vorbau gelangte ich behände auf das vorspringende Dach der ersten Etage eines der beiden zweistöckigen Häuser. Vorsichtig näherte ich mich dessen südöstlicher Ecke und blickte in die Richtung, die meine Freunde unter Beschuss genommen hatten. Deren Gewehre verstummten jetzt, weil sie nachladen mussten, und die Angreifer nutzen diesen Moment. Sie verließen nämlich nun ­unvorsichtigerweise ihre Deckung, um näher heranzukommen. Das war die Gelegenheit. Ich hob den Henry-Stutzen, drückte einmal ab, schwang den Lauf herum, schoss nochmals, und die beiden brachen in die Knie, retteten sich aber trotzdem zur gegenüberliegenden Häuserseite. Ich tat einen Schritt vorwärts, um noch einen Mann ins Visier zu nehmen, als mich etwas von der Seite ansprang. Erst im letzten Augenblick bemerkte ich einen Mexikaner mit Dreitagesbart, der mit einer Machete auf mich losging. Gerade noch rechtzeitig gelang es mir, das Gewehr mit dem Kolben so herumzureißen, dass die Klinge abprallte. Dann war er durch die Wucht seines eigenen Hiebes so nah heran, dass ich ihm in einer Eigendrehung einen Hieb mit dem Kolben in den Magen versetzen konnte. Er taumelte rückwärts und fiel über seine Beine. Die Machete entglitt seinen Händen und fiel scheppernd auf das Dachmauerwerk.

Ein anderer musste das wohl mitbekommen haben, denn er feuerte zu mir herauf. Die Kugel ging allerdings aufgrund meiner hastigen halben Drehung fehl und ließ stattdessen ein Fensterglas im ersten Stock zerspringen. Bevor er ein weiteres Mal schießen konnte, ereilte ihn sein Schicksal in Form einer Kugel, deren Knall mein Gehör aus Sams Liddy stammend identifizierte. Dafür war oben im Kirchturm jetzt wieder einer der Männer erschienen. Ich hob den Stutzen, zielte kurz und feuerte. Der Mann schrie auf. Er konnte noch einen unkontrollierten Schuss abgeben, fiel dann aber rückwärts gegen die Kirchenglocke, die nun ein kurzes Geläut von sich gab. Danach erblickte ich ihn nicht mehr.

Der Mann mit der Machete war bereits wieder auf die Beine gekommen, nun aber ohne seine Waffe. Da er noch zwei Pistolen im Gürtel trug, beschloss ich, kein Risiko einzugehen. Mein Fausthieb landete nicht wie sonst üblich an seiner Schläfe, sondern mitten im Gesicht. Bevor er zu einer seiner Handfeuerwaffen greifen konnte, schlug er einen halben Purzelbaum rückwärts, gebremst durch die Wand des etwas zurückliegenden oberen Stockwerks. Dort blieb er liegen.

Es schien kein weiterer Gegner vorhanden zu sein. Unten auf der Straße kroch einer der ins Bein getroffenen Männer davon, um wieder sichere Deckung zu erreichen, aber nun sprangen Matty und Paul hervor und unterbanden diese Absicht. Der zweite lag nur wimmernd herum und tat nichts. Vielleicht lag es ja daran, dass nun auch Sam zum Vorschein kam und den Lauf seiner betagten Flinte auf ihn richtete. Peter folgte humpelnd, einen Revolver in der Hand.

Ich warf mir den von mir niedergeschlagenen Gegner über die Schultern und suchte nach einem Weg vom Dach hinab. In dem Moment öffnete sich oben eine Tür, die in einer Nische ins Hausinnere führte. Ein zittriges Männlein von vielleicht sechzig Lebensjahren in abgewetzter Kleidung kam vorsichtig heraus. Er hatte die Hände erhoben und sagte wiederholt etwas auf mexikanisch zu mir, das ich erst beim zweiten Male verstand, so leise, wie er es von sich gab.

„No dispares, no dispares, señor – Nicht schießen, Señor!“

„No se preocupe, usted no necesita tener miedo! – Keine Sorge, Ihr braucht keine Angst zu haben!“, bemühte ich mich um klare Worte.