Immobilienrecht der Türkei - Dr. Christian Rumpf - E-Book

Immobilienrecht der Türkei E-Book

Dr. Christian Rumpf

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Beschreibung

Dieses Buch ist aus der praktischen Arbeit des Autors als Rechtsanwalt entstanden. Es gibt Antworten auf die meisten relevanten Fragen, vom Baurecht über das Grundstücksrecht und die Immobilie im Erbrecht bis hin zum Zeiteigentum. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Immobilienerwerb durch Ausländer, der einigen wichtigen Beschränkungen unterliegt. Es zeigt aber auch einige Besonderheiten, die auch türkischen Staatsangehörigen selbst den Erwerb unmöglich machen. Der besondere Nutzen des Buches besteht darin, dass sich der Erwerber türkischer Immobilien auf die für den türkischen Markt typischen Gefahren vorbereiten kann. Das Buch ist nicht nur für den Erwerber eines Ferienhauses oder Altersdomizils, sondern auch für Projektierer, Entwickler und Investoren interessant, die den Einstieg in die türkische Immobilienwirtschaft suchen.

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ImmobIlIenrechtder Türkei

Ein Überblick für die Praxis

von

Dr. Christian Rumpf

Rechtsanwalt in StuttgartHonorarprofessor an der Universität Bamberg

Impressum

3. Auflage

© Christian Rumpf 2017

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Rumpf Rechtsanwälte

Lenzhalde 68 – D-70192 Stuttgart

Tel. +49 711 997 977 0 – Fax +49 711 997 977 20

E-Mail: [email protected]

Zum Autor:

Dr. Christian Rumpf ist seit 1989 als Rechtsanwalt zugelassen, zunächst in Heidelberg, später in Mannheim und seit 1996 in Stuttgart. 2008 gründete er Rumpf Rechtsanwälte in Stuttgart. Im Jahre 2004 erhielt er den Titel eines Honorarprofessors an der Universität Bamberg. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zum türkischen und internationalen Recht publiziert. Für deutsche Gerichte und internationale Schiedsgerichte, Behörden und Organisationen ist er als Gutachter tätig. Er saß mehrere Male internationalen Schiedsgerichten vor oder war als Beisitzer oder Prozessvertreter an Schiedsverfahren beteiligt. Er spricht neben seiner Muttersprache Deutsch auch fließend Türkisch und Englisch sowie Französisch.

Inhalt

Vorwort

Politik und Wirtschaft

Das politische System

Geschichte

Verfassung

Zentralismus und Ideologie

Grundrechte

Gesetzgebung

Exekutive

Selbstverwaltung

Politische Parteien

Justiz

Wirtschaftssystem

Recht und Justiz

Überblick über das türkische Recht

Allgemein

Typen von Rechtsvorschriften

Nochmals: Verfassung

Zivilrecht

Strafrecht

Verwaltungsrecht

Gerichtsbarkeit

Verfassungsgericht

Ordentliche Gerichtsbarkeit

Europäisches Recht und internationale Abkommen

Europäisches Recht

Multilaterale Abkommen

Bilaterale Abkommen

Das Notariat

Überblick und Rechtsgrundlagen

Aufgabe und Funktion des Notars

Beurkundungsverfahren

Beglaubigungsverfahren

Immobilienvollmacht

Anerkennung ausländischer Notarurkunden

Apostille

Übersetzungen

Vorrang zwingenden türkischen Rechts

Haftung des Notars

Notargebühren

Bedeutung notarieller Urkunden

Grundstückskaufvertrag

Überblick

Vorvertrag

Internationales Privatrecht

Form

Inhalt

Wirkung

Abwicklung der Kaufpreiszahlung und Sicherungsmechanismen

Höhe des Kaufpreises

Treuhand

Beischreibung des Vorvertrages

Doppelverkauf

Konkurs des Verkäufers

Vollstreckung aus der öffentlichen Urkunde

Kauf von Stockwerkseigentum

Verbraucherschutz

Vertragliche Vorkaufsrechte

Gesetzliche Vorkaufsrechte

Besondere Vertragstypen

Bau gegen Stockwerk

Prospektkauf

Vertragskosten

Immobiliensachenrecht

Rechtsquellen

Eigentum

Alleineigentum

Gemeinschaftseigentum

Stockwerkseigentum

Time sharing und Zeiteigentum

Baurecht (Erbbaurecht)

Dienstbarkeiten und Nutzungsrechte an Grundstücken

Grunddienstbarkeiten

Persönliche Dienstbarkeiten

Nießbrauch

Wohnrecht

Immobilienleasing

Time Sharing

Grundpfandrechte

Hypothek

Sicherungshypothek

Ausländische Währung

Mortgage

Verwertung und Beendigung des Grundpfandrechts

Reallasten

Erwerbs- und Veräußerungsbeschränkungen

Beschränkungen beim Erwerb von Grundstücken durch Ausländer

Erwerb durch ausländische Privatpersonen

Erwerb durch eine ausländische Gesellschaft

Erwerb durch eine türkische Gesellschaft mit ausländischem Kapital

Allgemein gültige Beschränkungen

Beschränkungen beim Erwerb land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke

Enteignung

Rechtsgrundlagen

Verfassung

Enteignungsgesetz

Siedlungsgesetz

Bewertung

Verfahren und Rechtsschutz

Das ordentliche Enteignungsverfahren

Das Eil-Enteignungsverfahren

Liegenschafts- und Grundstücksregister

Kataster

Grundbuch

Zuständigkeit und Organisation

Aufbau und Inhalt der Eintragungen

Registereinsicht

Wirkungen der Eintragungen

Kosten

Andere Register und Verzeichnisse

Miet- und Pachtverträge

Immobilienfinanzierung

Darlehen

Darlehenssicherung

Investmentfonds und Investmentgesellschaften

Investmentgesellschaft

Investmentfonds

Makler

Bauen

Einführung

Rechtsgrundlagen

Bauvertrag

Gewährleistung

Bauhandwerkerhypothek

Verjährung

Immobilien und Steuern

Abgaben beim Grunderwerb

Grunderwerbsteuer

Umsatzsteuer

Sonstige Steuern und Abgaben

Laufende Steuern

Besteuerung in der Türkei

Besteuerung in Deutschland

Steuern beim Verkauf

Besteuerung in der Türkei

Besteuerung in Deutschland

Immobilien im Erbfall

Einführung

Staatsverträge

Internationales Privatrecht

Allgemein

Anknüpfungen

Erbfolge

Allgemein

Gesetzliche Erbfolge

Testament

Erbvertrag

Vermächtnis

Stiftung

Vor- und Nacherbschaft

Nachweis der Erbfolge

Erbengemeinschaft

Allgemein

Auseinandersetzung

Veräußerung eines Erbanteils

Testamentsvollstreckung

Pflichtteilsrecht

Ausländererbrecht

Nachlassverfahren und Nachlassabwicklung

Ausschlagung der Erbschaft

Steuern im Erbfall

Erbschaft- und Schenkungsteuer

Sonstige Steuern im Erbfall

Schluss: Der Ferienhauskäufer in der Falle

Kein außergewöhnlicher Fall

Auf Fehlersuche

Die Ansprüche der Ferienhauskäufer

Quellen

Literatur

Internet

Allgemein

Ministerien und Behörden

Diplomatische und konsularische Vertretungen

Vorwort

In der täglichen Praxis des Verfassers und seiner Kolleginnen und Kollegen im Netzwerk der Kanzlei Rumpf Rechtsanwälte hat sich in den vergangenen Jahren eine außerordentliche Diversifizierung der Beratungskonstellationen ergeben. Dazu gehört auch zunehmend das Immobilienrecht in zahlreichen Facetten. Erstmals im Jahre 1991 wurde der Autor mit dem privaten türkischen Immobilienrecht kombiniert mit Fragen des öffentlichen Planungsrechts, den Beschränkungen aus Gründen der militärischen Sicherheit und schließlich auch des privaten Baurechts infolge mangelhafter Bauweise konfrontiert. Zwischenzeitlich hat sich vieles geändert, sowohl im Hinblick auf die Entwicklung des Immobilienmarktes, in dem die touristischen Gebiete zwar immer noch größte Bedeutung haben, aber im Hinblick auf das gesamtwirtschaftliche Gewicht von den gewerblichen Immobilien in den größeren Städten (Büroflächen, Einkaufszentren, Industriebau) eingeholt worden sind.

Auch in Bezug auf die Baunormen und die Bauqualität hat die Türkei nicht nur aufgeholt, sondern präsentiert sich inzwischen mit Flughafenbauten und infrastrukturellen Großprojekten nicht nur im eigenen Land, sondern auch in zahlreichen anderen Ländern der Welt, insbesondere in Russland, Zentralasien und im arabischen Raum.

Dieses Buch basiert auf einem Beitrag des Autors im Handbuch Immobilienrecht in Europa, das im Dezember 2014 in zweiter Auflage von Thomas Wachter und Susanne Frank herausgegeben worden und beim C.F. Müller Verlag (ISBN 978-3-8114-4016-6, www.cfmueller.de) erschienen ist. Dieses Buch wurde jedoch stärker auf den juristischen Laien zugeschnitten, ohne auf die Befriedigung des Informationsbedürfnisses von Anwälten und Unternehmensjuristen zu verzichten. Wer Zitate konkreter Gesetzesparagraphen und detailliertere Literaturhinweise sucht, sei auf das Handbuch verwiesen.

Stuttgart, im Mai 2017

Christian Rumpf

Einführung

In den letzten Jahren hat sich der türkische Immobilienmarkt extrem stark entwickelt – so stark, dass hin und wieder auch von einer „Blase“ gesprochen wird. Anders aber als etwa in den USA hat die Entwicklung nichts mit einer verfehlten Binnenpolitik zu tun, in welcher Verbraucher unreflektiert animiert werden, sich unter Überschätzung ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten Grundeigentum zu verschaffen mit der Folge, dass Bankenkredite nicht mehr in tatsächlichen Immobilienwerten reflektiert werden. Richtig ist nur, dass auch die türkische Politik – etwa durch das so genannte „Mortgage-Gesetz“ aus dem Jahre 2007 – den Verbraucher an den Markt heranführt. Der Unterschied besteht darin, dass wir in der Türkei noch ein spürbares Bevölkerungswachstum zu verzeichnen haben und die jahrzehntelang oder gar jahrhundertelang nicht genutzten Potenziale erst jetzt zur Geltung kommen. Das Wirtschaftswachstum beruht auf einem eminenten Nachholbedarf auf Konsumentenseite wie auch auf einem rapide wachsenden Angebot exportfähiger Güter. Angekurbelt wird das Wachstum auch durch einen immensen Nachholbedarf an Infrastrukturmaßnahmen. Zwar stellt gegenwärtig nach wie vor das Außenhandelsdefizit eine gewisse Gefahr dar. Auch haben politische Ereignisse und die weltwirtschaftliche Lage zwischendurch auch zu einer Verlangsamung oder einem kurzfristigen negativen Wachstum geführt. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass die sowohl auf Wachstum als auch auf Stabilität bedachte türkische Wirtschaftspolitik im Vergleich zu früheren Zeiten deutlich erfolgreicher geworden ist.

Von dieser Situation profitiert auch der Immobilienmarkt. Sicherlich ist festzustellen, dass das Wachstum der Metropole Istanbul Ausmaße annimmt, die geradezu beängstigend sind. Vereinzelt ist auch erkennbar, dass die Raumangebote am Immobilienmarkt schneller wachsen als die Nachfrage. In einigen touristischen Zentren, wie etwa Antalya, ist das Risiko erheblich gestiegen, neue Zentren im Inneren Anatoliens und am Schwarzen Meer warten aber auf werthaltige Investitionen. Immer mehr „anatolische Tiger“ wachsen heran – Provinzstädte, die ihrerseits zu interessanten Metropolen werden, wie etwa Bursa, Kayseri, Konya, Gaziantep, Adana und Mersin ...

Probleme hat die Türkei allerdings offenbar noch damit, ein ausgewogenes Planungsrecht zu schaffen. Die noch nicht allzu alte kluge Entscheidung, das Planungswesen zu dezentralisieren, indem den Städten mehr Kompetenzen eingeräumt werden, wird schrittweise wieder zurückgenommen. Es gibt noch immer öffentlich-rechtliche Erwerbsgrenzen – abgesehen von den üblichen Beschränkungen im Bauwesen aufgrund von Naturschutz, Denkmalschutz etc. –, die dringend fallen müssen, weil sie unnötige Unsicherheit verursachen, wie etwa die privateigentumsfeindliche Forstpolitik.

Betrachtet man aber das Immobilienrecht im engeren Sinne, dann haben wir ein überschaubares System, das sich nach wie vor an das Schweizer Modell anlehnt. Im Bereich der Immobiliarsicherheiten gibt es Verbesserungsbedarf, auch wenn etwa die Hypothek immer mehr als probates Mittel der Kreditsicherung auch durch Banken, selbst durch ausländische Banken, anerkannt wird.

Politik und Wirtschaft

Das politische System

Geschichte

Bereits im 19. Jahrhundert hatte die Türkei begonnen, sich mit ihren wirtschaftlichen, politischen und sozialen Strukturen nach Westen hin zu orientieren. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte die Türkei den auch in Europa neuen Tendenzen der Demokratisierung und Entmachtung der Fürstenhäuser und entschied sich – ähnlich wie Frankreich – für das Modell einer streng säkularen Republik.

Seit dieser Zeit blieb die Türkei immer nach Westen hin ausgerichtet, wobei mit dem Aufstieg der Vereinigten Staaten zur Weltmacht insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Amerikaner Einfluss auf die türkische Politik gewannen. Die Türkei ist ein Gründungsmitglied der Vereinten Nationen, ein Mitglied der NATO, des Europarates, der OECD und assoziiertes Mitglied der Westeuropäischen Union. In Konzepten zur Verteidigung des europäischen Kontinents spielt die Türkei eine zentrale Rolle – auch wenn inzwischen im Hinblick auf die Verlässlichkeit der Türkei in der NATO Fragezeichen angebracht werden müssen.

Verfassung

Die derzeitige Verfassung1 ist im Jahre 1982 nach einem Militärputsch erlassen worden. Sie hat sich zwar im Großen und Ganzen als Verfassung eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates bewährt. Mit dem umstrittenen Referendum v. 16.4.2017 ist jedoch dem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gelungen, einen Regimewechsel herbeizuführen, in dem demokratische Grundwerte in der Vorstellungswelt dieses Mannes ihren goldenen Käfig finden.2 Kurzum, das demokratische Grundgefüge ist vollständig auf das neue Machtzentrum im Präsidentenpalast zugeschnitten worden.

Zentralismus und Ideologie

Die Türkei hat ein zentralistisch organisiertes parlamentarisches Regierungssystem. Die Prinzipien des demokratischen, säkularen und sozialen Rechtsstaats gehören zu den unveränderlichen Grundlagen. Hinzu kommen die Grundsätze der kemalistischen Staatsideologie, die bis heute vor allem über den Laizismus und den Nationalismus Staat und Gesellschaft ihr Gepräge gibt. Atatürk ist nach wie vor allenthalben präsent – Ausdruck einer historischen Sonderleistung des ehemaligen osmanischen Generals, der innerhalb von knapp zehn Jahren die vollständige Umformung eines maroden feudalen Staates in eine moderne Republik erreicht hat.

Nationalismus und Zentralismus gehören eng zusammen. Schon im 19. Jahrhundert waren nationalistische Tendenzen, die sich überall in Europa breit gemacht und zu einer neuen Definition des Staates geführt hatten, auch in das Osmanische Reich gelangt. Für die einen war der Nationalismus die ideologische Grundlage für ein neues Bewusstsein als ethnische Minderheit in Opposition zum Zentralstaat, für die anderen war der Nationalismus die ideologische Grundlage und Rechtfertigung für eine Stärkung der Zentralregierung. Im Osmanischen Reich musste dazu der „Osmane“ geschaffen werden, an dessen Stelle dann – sinnvoller Weise – der Türke trat, der in der republikanischen Verfassung schlicht über die Staatsangehörigkeit definiert wurde. Dass dies politisch ein schwieriges Unterfangen war, da dadurch vor allem die stärkeren ethnischen oder religiösen Minderheiten nicht einfach wegdefiniert werden konnten, ist inzwischen verstanden worden und schlägt sich in einer wichtigen Neuorientierung der Minderheitenpolitik nieder.

Am problematischsten ist das Konzept des Laizismus. Prinzipiell hat die türkische Verfassung hier ein klares Vorbild im französischen System, das seit der Französischen Revolution eine strenge Trennung von Kirche und Staat kennt und bis heute problemlos durchzuhalten scheint. Der Unterschied besteht aber darin, dass auch vor der französischen Revolution bereits der Absolutismus die Verweltlichung von Staat und Recht nachhaltig umgesetzt hatte, während Atatürk in einem Bruchteil des gleichen Zeitraums die Religion aus der Gesetzgebung und der Justiz verdrängen musste. Unterschwellig wirkten die religiösen Orden bis heute weiter, unter Özal, später der Regierung Erbakan/Çiller und nun auch für die ganze Welt sichtbar unter der Regierung bzw. Präsident Erdoğannehmen sie Einfluss auf ein neues Verständnis von Religionsfreiheit, wobei allerdings selbst diese Strömungen unter den Druck der politischen „Visionen“ des Präsidenten geraten sind. Mit dem so genannten Putsch v. 15.7.2016 wurde das ganze Ausmaß der Infiltration des Systems durch die Gülen-Bewegung deutlich, die der Partei des Präsidenten, der er neuerdings wieder vorsitzen darf, ursprünglich überhaupt mit in den Sattel geholfen hatte und die jetzt als angebliche Terrororganisation auf das schärfste verfolgt wird.

Grundrechte

Die türkische Verfassung verfügt über ein modernes Grundrechtesystem. Die Todesstrafe ist abgeschafft. In der heutigen Grundrechtsdogmatik des Verfassungsgerichts spürt man deutsche Einflüsse, obwohl im Übrigen das öffentliche Recht seine Wurzeln in der französischen Tradition hat. Einzelne Probleme bei der praktischen Umsetzung grundrechtlicher Garantien waren unter den ersten beiden Amtszeiten des Ministerpräsidenten Erdoğan in den Hintergrund getreten, um heute unter seinen autokratischen Machtbestrebungen um so mehr wieder hervorzubrechen.

Der Eigentumsschutz entspricht internationalen Standards – zumindest in der Theorie. Es gibt ein funktionstüchtiges Enteignungsgesetz. Trotzdem gibt es für das Immobilienrecht relevante Defizite, auf die noch zurückzukommen sein wird.

Gesetzgebung

Die Gesetzgebung liegt in den Händen der GNVT (Große Nationalversammlung der Türkei, türk.: TBMM – Türkiye Büyük Millet Meclisi)3. Die 550 Abgeordneten (ab 2019 sollen es 600 Abgeordnete sein) werden in freien, gleichen, allgemeinen und geheimen Wahlen alle vier Jahre (ab 2019 alle fünf Jahre) gewählt. Das Parlament erfüllt seine zentrale Aufgabe, die Gesetzgebung, mit zwei Mitteln: durch direkt wirksame formelle Gesetze (kanun, yasa) und durch Ermächtigungsgesetze, die den Rahmen für Rechtsverordnungen mit Gesetzeskraft (kanun hükmünde kararname) stecken, die vom Ministerrat erlassen werden dürfen. Diese Variante entfällt, nachdem mit der „Reform“ der Ministerrat abgeschafft wird und der Präsident mit Präsidialverordnungen wird regieren dürfen. Das Parlament verfügt über die Budgethoheit, ratifiziert die völkerrechtlichen Verträge und hat ein Amnestierecht. Es verrichtet die Tagesarbeit in Ausschüssen. Einzelheiten seiner Arbeitsweise sind zum Teil in der Verfassung, zum Teil in seiner Geschäftsordnung geregelt.

Parteipolitik wird über die Fraktionen in das Parlament hineingetragen. Die Fraktionen der beiden größten Parteien im Parlament sind neben dem Präsidenten der Republik befugt, im Wege des abstrakten Normenkontrollverfahrens die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen durch das Verfassungsgericht überprüfen zu lassen.

Exekutive

Der Präsident der Republik (Cumhurbaşkanı) ist das „Staatsoberhaupt“ und wird durch das Volk auf fünf Jahre gewählt, er kann einmal wiedergewählt werden. Er hatte bis zur „Reform“ nur begrenzte, wenn auch im Vergleich zum deutschen Bundespräsidenten stärkere Befugnisse, die es ihm ermöglichen, politisches Gewicht zu entfalten (Ernennungsrechte, Vetorecht gegen Gesetze, Klagebefugnis beim Verfassungsgericht, Mitwirkung bei bestimmten Regierungsakten). Er ernannte auch die Regierung, die vom Parlament zu bestätigen war. Nach der „Reform“ mit Wirkung ab November 2019 übernimmt er auch die Funktionen des Ministerrates, die Minister werden auf den Status von Beratern und Ressortleitern reduziert, der Posten des Ministerpräsidenten entfällt.

Der Präsident kann zwar keine gesetzesgleichen Rechtsakte setzen, kann aber infolge der Möglichkeit, als Mitglied und ggf. Vorsitzender seiner Partei Einfluss auf die Parlamentstätigkeit ausüben. Sein Veto ist durch das Parlament geringfügig schwieriger zu überwinden.

Eine politische Sonderrolle spielt der Nationale Sicherheitsrat (Milli Güvenlik Kurulu). Er hat keine Entscheidungsbefugnisse, jedoch mit seinen Empfehlungen und Funktionen in verschiedenen anderen Organen einigen Einfluss auf die Regierungspolitik. Der Nationale Sicherheitsrat verliert mit der Reform den Kommandeur der Gendarmerie als Mitglied, die stellvertretenden Präsidenten der Republik, deren Zahl durch den Präsidenten festgelegt wird, kommen hinzu, so dass das Militär nur noch mit einer relativ kleinen Minderheit vertreten ist. Mit dem Kommandeur der Gendarmerie entfällt zudem Fachkompetenz.

An der Spitze der Zentralverwaltung in Ankara stehen die Organe der Exekutive. Die Organisation der allgemeinen Verwaltung mit der Regierung und den Ministerien an der Spitze setzt sich bis auf die untersten Verwaltungsebenen fort. Die besondere Bedeutung dieser Organe liegt darin, dass sie über den Ministerrat durch die Einbringung von Gesetzentwürfen und den Erlass von Rechtsverordnungen auch am Gesetzgebungsprozess beteiligt sind. Der Verwaltungsunterbau der Ministerien besteht aus Generaldirektionen (genel müdürlük) und Direktionen in den Provinzen und Bezirken. Dies gilt auch für die Grundbuch- und Katasterverwaltung.

Selbstverwaltung

Anders als in Deutschland spielt die Selbstverwaltung auf unteren Verwaltungsebenen im Bewusstsein der türkischen Politik und Gesellschaft keine Rolle. Trotzdem enthält die Verfassung wichtige Ansätze hierfür. Die Umsetzung in der Praxis leidet daran, dass die Politik Selbstverwaltung gerne auch als ersten Schritt zum Separatismus sieht, die Selbstverwaltung also nicht mit Autonomie verknüpft sehen will. Statt also Selbstverwaltungselemente in ihrer Funktion von Freiheit mit der Chance auf größere wirtschaftliche Dynamik zu begreifen, werden sie allenfalls als Entlastung für die Zentralverwaltung gesehen, die sofort zurückzunehmen ist, wenn regierungspolitische Opportunität dies verlangt. Das führt im Ergebnis zu Unsicherheiten, wenn es um die Verlässlichkeit regionaler Entscheidungen geht.

Beschränkte Selbstverwaltungsbefugnisse gibt es auf den Ebenen der Provinz durch die Provinzversammlung (il meclisi) und der Gemeinden, die von Bürgermeistern (belediye başkanı) und Stadträten (belediye meclisi) ausgeübt werden. Eine Besonderheit stellen die so genannten Großstadtverwaltungen (büyük şehir belediyesi) dar, die im Vergleich zu den sonstigen Stadtverwaltungen umfangreichere Planungsbefugnisse haben.

Neben der Verwaltungsstruktur der zentralen Staatsbürokratie regelt die Verfassung auch den Status bestimmter Körperschaften des öffentlichen Rechts, die über eine gewisse Autonomie verfügen. Hierzu zählen neben den Universitäten vor allem die staatliche Radio- und Fernsehanstalt, aber auch der Börsenrat und die Bankenaufsicht. Ferner haben die verschiedenen Regulierungsbehörden in den Bereichen Energie und Telekommunikation eine gewisse Autonomie. Dagegen sind z.B. die Generaldirektion für das Straßenwesen (Karayolları Genel Müdürlüğü)4 oder die Generaldirektion für das Grundbuch- und Katasterwesen (Tapu ve Kadastro Genel Müdürlüğü)5 Bestandteil der Zentralverwaltung; sie dürfen zwar allgemeinverbindliche Verordnungen, Erlasse und Allgemeinverfügungen herausgeben, sind dabei aber streng an die Vorgaben der zuständigen Ministerien gebunden. Gleiches gilt für die Eisenbahnverwaltung (T.C. Demir Yolları)6.

Politische Parteien

Die türkischen politischen Parteien beteiligen sich an der Bildung öffentlicher Meinung. Verfassung und Parteiengesetz binden die Parteien nach wie vor recht eng an die durch die kemalistischen Prinzipien geprägte Ideologie der Verfassung. Innerparteilich von Gesetzes wegen gefordert ist das Demokratieprinzip auch für die innere Funktionsweise der Parteien, doch setzen sich immer wieder Führerpersönlichkeiten durch, denen es gelingt, sich direkten persönlichen Einfluss auf die parteiinternen Entscheidungsprozesse bis hin zur Benennung der Kandidaten für lokale oder nationale Wahlen zu sichern. Führungskämpfe innerhalb einer Partei führen am Ende regelmäßig zur Gründung neuer Parteien, zum Ausscheiden der „Verlierer“ oder zum Parteiwechsel. Die Parteienlandschaft zeichnet sich durch große Vielfalt, aber auch Zersplitterung aus. Zur Zeit sind die islamfreundliche AKP als Regierungspartei, die nationalistische MHP und die traditionsreiche sozialdemokratische CHP als Oppositionsparteien die größten Parteien. Weitere Parteien, die zum Teil bis zum Machtantritt der AKP die Geschicke der Republik bestimmten – wie etwa DYP und DP (früher auch ANAP) – spielen heute kaum eine Rolle im tagespolitischen Geschäft. Lediglich die prokurdische HDP, häufig in Verdacht als legaler Flügel der PKK, spielt wegen ihrer Stärke im Osten der Türkei eine relativ wichtige politische Rolle und hat sich auch in Ankara als Kraft etabliert, die in der Lage ist, die 10%-Hürde bei den Nationalwahlen zu meistern. Der AKP-geführten Regierung ist es allerdings gelungen, für die Entfernung einiger HDP-Abgeordneter aus dem Parlament zu sorgen und die Partei erheblich zu schwächen.

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