In den Tiefen des Raums - Jürgen Müller - E-Book

In den Tiefen des Raums E-Book

Jürgen Müller

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Beschreibung

Argo Knab, weltbester Testpilot für Raumfahrzeuge aller Art, soll nur mit dem Äonenkreuzer RASANZ ein vermehrungsfreudiges Paar Neandertaler aus der Altsteinzeit entführen, doch dann kommt alles anders ...

Coverbild: Tithi Luadthong/Shutterstock.com

"In den Tiefen des Raums ist der Vorgängerroman des hier schon rezensierten Der Fluch des Gnomen, und schlägt in die gleiche humoristische Kerbe. Jedoch beweist Jürgen Müller, dass er nicht nur fest im Sattel der Fantasy sitzt, sondern beweist auch im Genre der Science Fiction handwerkliches Geschick, eine Fähigkeit, die nicht allen Autoren gegeben ist. … Jürgens Gedankengängen kann man hier und da nur durch mehrmaliges Lesen folgen, gar scheint es, als ob der Autor hier teilweise unter LSD-Einfluss stand – auf alle Fälle ist es ein Heidenspaß, den verschachtelten, abrupten Wendungen zu folgen und sich einfach im Strom des Romans treiben zu lassen. Viele haben versucht, den Stil Douglas Adams’ zu erreichen, Jürgen Müller ist es meiner Meinung nach am besten gelungen, teilweise übertrifft er ihn gar im geordneten Chaos der Handlungen – und dabei gelingt ihm das Kunststück, dass der Leser weder verwirrt wird, noch sich nicht mehr zurechtfindet.“

(aus einer Rezension von Jürgen Eglseer)

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Jürgen Müller

In den Tiefen des Raums

SF-Roman

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Zum Buch + Prolog

Zum Buch:

Jürgen Müller

In den Tiefen des Raums

Science-Fiction-Roman

 

Inhalt: Argo Knab, weltbester Testpilot für Raumfahrzeuge aller Art, soll nur mit dem Äonenkreuzer RASANZ ein vermehrungsfreudiges Paar Neandertaler aus der Altsteinzeit entführen, doch dann kommt alles anders ...

 

Coverbild: Tithi Luadthong/Shutterstock.com

 

 

PROLOG

Was sollte er unternehmen, wenn auch dieses Unternehmen nichts brachte, wenn er das berüchtigte baufällige Haus umsonst betrat, keine Antwort auf seine Fragen erhielt, keinen Rat, keine Zuversicht auf Besserung? Weiterleben wie bisher? War das überhaupt ein Leben ...?

Argo betrat das Wartezimmer und glaubte sich in eine rauchgeschwängerte, mit Nippes und ausgestopften Tieren überladene Bodenkammer versetzt. Die Inhaberin musste den Fundus eines Schnulzentheaters erworben haben ... samt Motten und muffiger Luft. Akleybecher, Engel aus Gips, verschnörkelte Leuchter, Augenschalen – ein wahlloses Durcheinander aus Kunstgegenständen und dem Kitsch vergangener Jahrhunderte füllte die Regale, Vitrinen und Borde. Wandteppiche, Dämonenmasken und Muschelornamente verstopften die raren Zwischenräume. Lediglich Pop-Art, Gartenzwerge und Hirschtrophäen fehlten. Zu neu oder zu banal? Wie auch immer: Argo fühlte sich von all dem Krimskrams erdrückt, spielte mit dem Gedanken an Rückzug – und blieb. Wer, wenn nicht die stadtbekannte Wahrsagerin Clochilde, vermochte ihm zu helfen ...?

Ein großflächiges rechteckiges Mosaik aus Tausenden bunten, leider staubüberzogenen Glasplättchen knarrte ... und entpuppte sich als Tür. Die Dame des Hauses erschien, dem Erscheinungsbild nach eine sesshafte Zigeunerin.

»Kommen Sie herein, Herr Knab!«

Über Argos im Allgemeinen verdrossen wirkende Gesichtszüge huschte ein verächtliches Lächeln. Nur weil sie ihn kannte, fiel er nicht vor Ehrfurcht auf die Knie. Als weltbester Testpilot für Raumflugkörper aller Art stand sein Name schließlich in allen Journalen. Es tat ihm jetzt schon Leid, hierher gekommen zu sein.

Falls es überhaupt möglich war, so wirkte das Empfangszimmer noch überladener als der Warteraum. Kaum dass zwischen dem Sammelsurium Platz für den Besucherstuhl blieb.

»An welche Form hatten Sie gedacht?«

Sein Gesichtsausdruck musste konsterniert wirken. »Des Wahrsagens«, setzte sie hinzu. »Ich bin firm in vielerlei Methoden: Losorakel; Sterndeuterei; aus dem Kaffeesatz lesen; Hellsehen; Kartenlegen mit Joker-Kartensätzen, Patience-Karten, I Ging-Karten, Runenkarten; Pendeln; Spiritistisches Wahrsagen; Bibelstechen ...«

Verwirrt hob er die rechte Hand, um sich hinterm Ohr zu kratzen.

»Sagen Sie doch gleich, dass ich Ihnen aus der Hand lesen soll!« Sie griff nach seinen Fingern.

»Sie ... waren ein hyperaktives Kind, ein bei den Mitschülern beliebter Klassenkasper, auch wenn Sie zumeist die Schule schwänzten, um draußen zu toben.«

Was wollte er hier? Auch das stand in allen Journalen.

»Was haben wir denn hier? Die Wollust einer Sexsüchtigen wird Ihren Leib verzehren ... aber Sie werden überleben. Nach dem vierteljährigen Klinikaufenthalt, bei dem Sie, ein Adrenalin-Abhängiger ohne ein Gramm Sitzfleisch, Qualen erleiden wie ein Eisbär in der Wüste, werden Sie – was steht da? – die Welt verlassen. Mein Gott!«

»Auf Wiedersehen! Für solcherart Plattheiten ...«

»Bleiben Sie! Sie ... möchten wissen, ob Sie jemals sesshaft werden, Ihr Leben ohne wagemutige Eskapaden genießen, ohne den gewohnten Nervenkitzel leben können. Sie sehnen sich danach, einmal ohne Schuldgefühle ... das heißt, überhaupt einmal einen Urlaub an einem Traumstrand der drei Millionen und vierzehn Seen genießen zu können und nicht Krater und Schluchten des Mars ersteigen zu müssen, um Ihrer Abenteuerlust zu frönen. Sehen Sie andere Leute entspannt im Liegestuhl, können Sie nur verächtlich lächeln, vergehen in Wahrheit aber vor Neid.«

Davon stand in keinem Journal ein Wort! Niemand wusste, wie sehr er seinen jüngeren Bruder um seine Gelassenheit beneidete, nicht einmal Balko selbst. Balko hatte nie die Schule geschwänzt, nie den Unterricht gestört. Statt Fußball zu bolzen, hatte er auf akribischste Weise Puzzles (mindestens tausend Teile und ja kein leichtes Motiv) zusammengefügt oder mit unübertroffener Langmut kleine Nachbarskinder behütet. Balko war noch nie in Urlaub gefahren, geschweige denn zu einem Abenteuerurlaub. Manchmal bezweifelte Argo, dass sie ähnliche Gene besaßen. Müssten sie sich für eine sportliche Tätigkeit entscheiden: Argo würde Kickboxen, Balko jedoch Yoga wählen – gezwungenermaßen, da Meditation nicht unter »Leibesübungen« fiel. Argo bemühte sich stets um eine apathische Miene, um seine Unzufriedenheit und die innere Unrast zu verbergen, wirkte dadurch aber eher verdrossen. Während Balko allzeit versonnen und stillvergnügt war, brach sich Argos Jubel in Augenblicken überstandener Gefahr oder bevorstehender Mutproben nur kurz und heftig seine Bahn. Die Sehnsucht nach weiteren euphorischen Gefühlsausbrüchen war es, die ihn zu immer waghalsigeren Unternehmungen trieb.

Bestürzt musterte Argo die Weissagerin. Er fühlte sich durchschaut wie eine gläserlose Modebrille. Woher, zum Teufel, weiß sie ...?

Von meinem Vater, der dein Schulpsychiater war. »Ihrer Mimik entnehme ich, ich bin mein Geld wert?«

»Das sind Sie!« Voller Ehrfurcht zückte er die Brieftasche. »Könnten Sie vielleicht ...?«

»Selbstverständlich kann ich auch diese Frage beantworten.« Sie beugte sich noch tiefer, studierte seine feinen Handlinien. »Herr Knab, nach vielerlei Abenteuern in unserer Zeit, in der Urzeit und in Zwischen- und Nebenzeiten – was auch immer dies bedeuten mag – werden Sie Ihren Seelenfrieden in den Armen einer bodenständigen jungen Frau finden.«

»Ich wagte kaum, es zu hoffen. Vielleicht habe ich den motorisierten Komfortsessel doch nicht umsonst bestellt ...«

»Sie können ihn genießen ... in allen Lagen und selbstverständlich zu zweit. Wobei ich bei Ihnen eine ausgeprägte Vorliebe für flauschige Teppiche und Wasserbetten konstatiere. Diese Frau wird Sie ... wird Sie ...« Mit offenem Mund schaute sie auf.

»Was wird sie mich? Was?«

Sie schob ihn vehement zur Tür. »Lassen Sie mich allein!«

»Aber ...«

»Tut mir Leid.« Sie warf ihn hinaus.

»Das ist das Irrste, was ich je erfuhr«, japste sie nach dem Lachkrampf. »Der wird sich noch wundern! Und wie ich ihm das gönne! ›Auf Wiedersehen! Für solcherart Plattheiten ...‹ Wäre es nicht geschäftsschädigend – mit Freuden würde ich ihn zurückrufen und ihm kostenlos einige Dinge über sich erzählen, die er noch nicht weiß oder mit Vorbedacht vergessen hat!«

Ihr schrilles Gelächter durchdrang die Türfüllung, als bestünde sie aus Löschpapier. Da half auch die Mosaik-Schicht nichts. Auf der anderen Seite schoss Argo das Blut ins Gesicht. Sie lachte ihn aus, ihn, den weltbesten Testpilot für Raumflugkörper aller Art, der Tag für Tag in allen Journalen stand. Er verspürte das Verlangen, ihre Ramschsammlung in so viele Teile zu zerschlagen, dass nicht einmal Balko sie wieder zusammensetzen könnte; mit Vasen und Cherubim-Figuren um sich zu werfen, als wäre er eine Tontaubenwurfanlage; das staubbedeckte Mosaik zu bespucken; durch die Tür zu stürmen und die Wahrsagerin mit einem schweren scharfkantigen Leuchter ...

Er riss die Tür auf, stürmte auf sie zu und rief: »Da Sie mir die Auskunft verweigern, fordere ich mein Geld zurück!«

Noch immer glucksend, sagte sie: »Das ist Ihr gutes Recht. Sagen wir die Hälfte – einiges habe ich Ihnen immerhin verraten ... und den Rest werden Sie früh genug erfahren!«

Sie prustete erneut los und warf sich auf ein Bärenfell.

Argo starrte auf die sich Windende und wünschte sehnlichst im Besitz eines strapazierfähigen Teppichklopfers zu sein. Er schluckte, griff nach dem Geld und stelzte gravitätisch hinaus.

Die Wollust einer Sexsüchtigen würde seinen Leib verzehren – einfach lachhaft!

1. KAPITEL

Der kobaltblaue stählerne Wächterkoloss der Marke BEISEITESCHREITER verharrte auf der Stelle. Vieles hatte er auf dieser Welt namens Ärde erlebt. Noch mehr hatte er gehört in den Jahren, seit er pflichtvergessen die Lücke im unüberwindbaren haushohen Elektrozaun rund um das vier Quadratkilometer große Werksgelände der Firma ÜBERFLUG bewachte. Aber solch eine Gestalt, wie sie eben aus dem alles verschlingenden Anthrazit einer nur mürrisch weichenden Nacht trat, war ihm noch nicht untergekommen. Da schleppte doch ein eiserner Wille zweihundertsechs mit Haut überzogene Knochen zur Arbeit.

»Lass mich rein«, sagte Argo.

»Seltsam«, entfuhr es dem BEISEITESCHREITER. »Die Fingerabdrücke stimmen mit dem Vergleichshologramm überein. Haarfarbe und -struktur und selbst die Haarquerschnittsuntersuchung – alles in Ordnung. Unverwechselbar die Iris; habe selten etwas so grandios Buntschillerndes gesehen. Die Größe: Einsdreiundneunzig – auf den Zentimeter genau wie es im Ausweis steht. Der Geruch? Pfui Teufel! Stimmt auch – scheußlich wie immer.«

»Danke. Schönen Dank auch! Bin dir sehr verbunden.«

»Die Sprache? Eindeutig zur Person ›Herr Testpilot Argo Knab‹ gehörend, wie alles andere auch. Und dennoch ...!«

»Und dennoch ... was?«

»Gewicht: Einhundertsechs Kilogramm laut Ausweis, ja? Ha! Geh weg, Fremder, oder ich schieße!« Laser schoben sich aus dem Wächterkoloss.

»Warte.« Argo zückte die Entlassungspapiere der Klinik.

»Einlieferungsgewicht: 57 Kilogramm? Entlassungsgewicht: 65 Kilogramm? Gut, überredet: Eindeutige Identifizierung als ›Herr Testpilot Knab‹. Ich bitte um Entschuldigung. Sie dürfen passieren.«

Die Laser zogen sich ins Wächterkoloss-Innere zurück. Der BEISEITESCHREITER trat einen Schritt beiseite und gab die Lücke der unüberwindlichen Elektrozäune rund um das vier Quadratkilometer große Werksgelände der Firma ÜBERFLUG frei.

Rechts neben dem Bürokratenpalast, etwa vierzig Meter vom Wächterkoloss entfernt, aber in Nähe des riesigen Hangars, befand sich der mit saftig grünem Gras bewachsene Randstreifen des werkseigenen Start- und Landeplatzes. Quirlige Helikopter mit herabhängenden Rotoren, Flugzeuge mit Stummelflügeln, Flugzeuge mit Riesenschwingen, kirchturmhohe Ballons und sogar Raumschiffe, pyramiden-, zigarren-, kugel-, un- und sonstwieförmig, die nicht in den überfüllten Hangar gepasst hatten, drängten sich hier dicht an dicht, aber auch UFO-ähnliche Neuentwicklungen, die Argo so sehr liebte. Eine davon, den silberfarbenen Versuchsraumgleiter AURICA, sollte er am ersten Arbeitstag nach langer Abwesenheit erproben.

Die Sichtprüfung fiel günstig aus. Solide gebaut das Himmelsgefährt, dachte Argo anerkennend und schritt, den Ausweis gezückt, zur rostbraunen Einstiegsluke.

Eigentlich hätte Argo noch drei Wochen im Bett liegen und sich aufpäppeln lassen müssen. Einer Ohnmacht nahe, zog er sich den Einstieg hoch.

Sein an Bord der AURICA schwebender Kopilot registrierte erschüttert, wie Argo durch die Einstiegsluke kroch.

Inmitten etlicher der zweihundertsechs mit Haut überzogenen Knochen pumpte ein doppelter Hohlmuskel verbissen wohl einhundertachtzig Mal pro Minute an momentanem Sauerstoffmangel leidendes Blut in einen Kreislauf, der das ständige Rundherum anscheinend satt hatte – derzeit hätte Argo kein Testpilot für Raumflugkörper aller Art sein müssen, sondern ebenso gut ein beliebiger Freizeitsportler sein können, der soeben halbtot ins Zielband eines Triathlon-Wettbewerbes wankt.

Gemächlich kletterte die Sonne über dem Horizont empor und vertrieb den Dämmerschein aus dem Werksgelände. Der betonierte Start- und Landeplatz schimmerte in blassem Gris.

»Gut, Kumpel ...« Argos Lunge schnappte gierig nach dem planeteneigenen Gasgemisch. »Gründliche Untersuchung!«

»Ojemine!« Das kirschgroße Pseudoinsekt, von allen kurz »Pseu« genannt, schwirrte mitleidsvoll vor seiner Nase herum. »Drohender Kreislaufkollaps. Drei Wochen Bettruhe. Aber sofort!«

»Ach was! Dass ich nach einem dreimonatigen Klinikaufenthalt nicht fit bin, dürfte klar sein. Die Bordsysteme solltest du überprüfen, nicht mich!«

»Ist längst passiert, Chef! Sogar zweimal.«

Jeder Kontrolleur, selbst unangemeldet und mit Sehfehler, hätte das Kunstgeschöpf letzte Nacht dabei ertappt, wie es unter Zuhilfenahme seiner Tentakel, Beine und Kauwerkzeuge (es bezog seine Energie aus der Pseudo-Verdauung von Abfall und Dreck) den Großteil der Bordelektronik genüsslich in sämtliche Einzelteile zerlegte, wieder zusammenfügte, die Gründliche Untersuchung dreiundsiebzig Mal durchführte und anschließend fünf Stunden und siebzehn Minuten lang mit seinem persönlichen Psychiater telefonierte. Schuld daran war ein Bewusstseins-Chip, der allen mechanotronischen Hilfskräften installiert wurde ... mit der Nebenwirkung, dass sie bei Untätigkeit allesamt unter unerträglicher Langeweile litten.

»Herunterzählen zum Start, Chef?«

»Jau!«

»Wau! Zehn ... Neun ... Acht ... Sieben ... Sechs ...«, protzte Pseu mit dem körpereigenen Zeitmesser, der eine jede Sekunde in Millionen gleich lange Stückchen zerhackte.

»Fünf ... Vier ... Drei ... Zwei ... Eins ... Null!«, stimmte Argo mit schwacher Stimme, aber begeistert ein. Sein Verstand hingegen fiel keine Zehntelsekunde später, als die robusten Triebwerke der AURICA im Verein losfauchten, genau in die Mitte zwischen einem flachen Koma und einer tiefen Ohnmacht.

Dröhnend schraubte der Versuchsraumgleiter sich per Spiralsteigflug ins himmlische Blau empor, stürzte im gewollten Trudelfall bis dicht über das khakifarbene Gelände einer erst kürzlich versiegelten ausgedehnten Mülldeponie und vollführte etwas später über dem Gebiet der drei Millionen und vierzehn Seen der Ärde weitere vorprogrammierte Flugmanöver, neckische Kapriolen sowie die Folgen einiger von einem Zufallsgenerator initiierten künstlichen Defekte im Gleiter, von denen jeder einzelne mit einer Katastrophe geendet hätte, hätte der Autopilot nur einmal eine Tausendstelsekunde zu spät reagiert.

Überglücklich, etwas zu tun zu haben, absolvierte Pseu das Programm, dokumentierte in seinem Speicher sämtliche Daten, kopierte sie, bestätigte die punktgenaue Landung auf der Stelle, von der aus sie gestartet waren, und schaltete mürrisch die Aggregate der AURICA ab.

Feierabend. Merde!

Ein versehentlich ebenfalls installierter, aber für mechanotronische Hilfskräfte keineswegs obligatorischer Unterbewusstseins-Chip überflutete das Denken und Fühlen Pseus mit den Schrecknissen der kommenden tristen Nacht, obwohl kaum Mittag eines hellen freundlichen Tages war.

»Feierabend, Chef! Der Kasten ist in Ordnung, nicht?«

Stille.          

»Cheeff!«

Stillste Stille.

Wau!

Überglücklich trat der Kopilot in Aktion, erspähte einen Ärdbatzen, der aus dem Profil eines Schuhs des Testpiloten gebröckelt sein mochte, zerhieb ihn mittels rücksichtsloser Anwendung eines scharfkantigen Manipulator-Arms, verschlang und pseudoverdaute die Krümel und sprühte wenig später vor Energie.

Der Kopilot schwirrte freudig auf Argos sich kaum noch hebende und senkende, manchmal auch konvulsivisch zuckende Brust. Dort fuhr er teleskopartig die Tentakel aus und bohrte deren spitze Enden an bestimmten Stellen des schmächtigen Oberkörpers durch Overall und Oberhaut. Glücklich auflachend, betätigte er sich nun als Mini-Defibrillator, aber mit Maxi-Saft.

Argo zuckte hoch, als hätte er mit einem Zitteraal gebadet, und ächzte: »Guten Morgen, Blechkamerad!«

»Wollte, er wäre schon da«, seufzte Pseu, »der morgige Morgen. Feierabend, Chef. Der Kasten ist in Ordnung, nicht?«

»Welcher Kasten? Ah, dieser Kasten. Ist er das? Gut.«

Argo nahm das Kristall mit der Kopie der Aufzeichnungen an sich, ließ den metallic-smaragdfarbenen Kopiloten samt herumspukenden Unterbewusstseins-Chip allein und wankte in den Bürokratenpalast, wo nur die behäbigsten Ärdenmenschen eine Anstellung finden (Der Spruch »Gut Ding will Weile haben« ist auch auf der Ärde in, aber nicht in Zitatenlexika, sondern als Paragraph 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Erschöpft taumelte er zu einer mächtigen schallgepolsterten Tür, auf der ein Schild mit der Gravur

 

Herr Fridolin Frodilon

Abteilungsleiter Ressort Entwicklung

 

stand, klingelte und wurde »bereits« nach fünfzig Minuten eingelassen.

Der dickleibige Abteilungsleiter wuchtete sich aus einem Monstrum von Sessel, mit Armlehnen, breiter als Argos Oberschenkel.

»Ist das ein Stresstag!«, grummelte er. »Legen Sie das Kristall auf den Schreibtisch. Aber in Reichweite! Ich sehe ihn mir gelegentlich an. Niemandem ist geholfen, wenn ich mich überarbeite. – Ist noch was, Knab?«

Fridolin Frodilon als häufig benutzte und stets präzise ins Schwarze getroffene Zielscheibe eines gut besuchten Schießstandes auf dem Jahrmarkt sehend, verließ Argo mit aufgesetzter freundlicher Maske das Büro samt Bürokratenpalast.

Feierabend, jubelte es keine fünfzehn Meter vom Wächterkoloss in ihm.

»Herr Testpilot Knab, bitte unverzüglich im Chef-Salon zu einer außerplanmäßigen Sitzung einfinden!«

Mit einem Ruck wandte Argo sich um und betrachtete ungehalten einen unschuldig wirkenden Außenlautsprecher des Werkfunks, dessen Bespannung aber verdächtig nachbebte.

Weitere frodilonische Zielscheiben fanden im Schießstand des Jahrmarkts ein jähes Ende.

Akribisch registrierten Argos Augen sämtliche Lebenszeichen in der näheren Umgebung, dann die der entlegensten Winkel. Niemand zu sehen, der ihm die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Einige Glückliche im Schießstand kamen mit dem Leben davon.

Argo huschte zum kobaltblauen Wächterkoloss. »Hör mal: Falls dich jemand fragt – als die Durchsage kam, war ich bereits außerhalb des Werksgeländes, außer Hörweite! Ich spiele auch wieder eine halbe Nacht lang mit dir Karten, wenn es dir wieder einmal allzu langweilig wird. Versprochen. Ist doch ein Angebot, nicht wahr?«

»Keine Bestechungsversuche – oder ich muss es dem Werkschutz melden!«

»Eine ganze Nacht ...«

»Zwei!«

»Erpresser! Dann schon lieber die Sitzung.«

Argo schätzte die Entfernung zum Bürokratenpalast ab, dachte an die Treppen. Im imaginären Schießstand begann ein Massensterben. Argo schleppte sich zurück.

Eben schwanden die schwarzen Schatten, sah er, oben angekommen, wieder klar, vermochte er aufrecht zu stehen, bekam er wieder Luft, da tänzelte ihm hüftschwingend und busenwogend seine Ex-Geliebte Dina Äsch, die von der Wahrsagerin angekündigte Sexsüchtige, entgegen. Nur die Einlieferung in die Klinik hatte ihn gerettet. Keine Woche länger mit ihr, und die Würmerpopulation des Nordfriedhofs hätte es gefreut.

Dennoch hüpften seine Augen ihr förmlich entgegen, strichen begehrlich ein Paar rote Lackstiefel hoch, wanderten über die endlos langen, gebräunten Schenkel, hinauf zu einem Minirock, den jede andere als Gürtel trüge, noch weiter hinauf, empor zu einer weißen, dünnen, im Gegenlicht durchscheinenden Bluse mit nichts drunter – sein Blick schaltete auf sechzigfache Vergrößerung –, strichen durch offenes, bis zum knackigen Hintern fallendes Goldhaar ... auf einem leider strohdummen Kopf.

Selbst Affen können ein bisschen Mathe. Egal, in welchem Universum, egal, auf welcher Welt. Rhesusaffen zum Beispiel besitzen den Verstand eines zweijährigen Kindes und können erwiesenermaßen bis neun zählen, und zwar ohne den Gebrauch von Sprache, ohne überhaupt »Eins, Zwei, Drei ...« denken zu können.

Nun, Dina schaffte es immerhin bis zur Neunzehn (in Sternstunden sogar fehlerlos!) und in Kenntnis der Ziffern Eins, Zwei, Drei und konnte auch sonst gut daherplappern.

Sie war zwar nicht allzu debil, doch immerhin ganz schön infantil, und so hatte Mütterchen Natur sich wohl einst gedacht, für das bisschen Verstand reiche eine halb so dicke Schädeldecke wie üblich allemal.

Bis zu Dinas Geschlechtsreife hatte das zugetroffen. Seit diesem Zeitpunkt aber war alles zu spät. Denn sie, die bisher so gut wie nie dachte (geschweige denn nachdachte), dachte jetzt fast nur noch, und zwar zumeist an hemmungslosen Sex. (Plappern konnte sie nämlich stundenlang, ohne zu denken.) Die einzigen Zeitpunkte, an denen Dina nicht an hemmungslosen Sex dachte, waren a) die, in denen sie ihn praktizierte (und das war ziemlich oft), und b) die, in denen sie wieder einmal an absolut gar nichts dachte (und das war noch viel öfter).

Dennoch war sie weder Hure noch Flittchen. Huren nahmen Geld dafür, und damit konnte sie eh nicht umgehen, und Flittchen trieben es zur gleichen Zeit mit verschiedenen Männern. Sie trieb es immer nur mit einem Mann, der aber infolge körperlicher Erschöpfung bald dem nächsten weichen musste. Argo zum Beispiel wog wieder über hundertzwanzig Pfund und hasste Intensivstationen, einige andere hingegen waren zu Letzterem nicht mehr in der Lage.

An sich war Dina völlig harmlos. Gefährlich wurde es nur, wenn sie wegen eines Trauerfalls kurzzeitig solo war. Keineswegs gefährlich für alle. Nur für Männer. Und zwar für Männer, die ihr näher als einen halben Meter kamen.

Ihr Denken an hemmungslosen Sex fand nämlich in Bildern statt. In Bildern, für deren auf Film gebannten Besitz so mancher Porno-Regisseur ein Vermögen ausgegeben hätte. Diese Gedankenbilder waren so heftig, so überaus stark, dass sie ihre nur halb so dicke Schädeldecke durchdrangen und auf dem Wege über die weicheren, aus einer dünnen Bindegewebsschicht bestehenden Knochennähte zwischen den einzelnen Knochenplatten eines jeden Schädels in die Köpfe anderer Menschen dringen konnten, sofern diese nicht mindestens einen halben Meter entfernt waren. Dort verdrängten sie alle vorhandenen Gedanken, Wünsche und Vorlieben – sogar sämtliche Vorurteile! Im Hirn des Sexpartners existierten nur noch die Bilder vom hemmungslosen Sex mit ihr, die natürlich baldigst und immer und immer wieder in pralles Leben umgesetzt wurden, sofern der Bedauernswerte nicht mittels einer glücklichen Fügung aus dem Wirkungsbereich gelangte. Ansonsten drohte ihm bald ein mehr oder weniger sanftes Entschlafen.

Auch in den Hirnen der ärdischen Vertreter des Homo sapiens sapiens existiert ein Selbstschutz, der alles für das jeweilige Individuum Unangenehme zu vergessen sucht, ins Vergessen stößt. Eine Gute-Laune- wenn nicht gar lebensrettende Vorrichtung – die auch bei Argo gründlich funktionierte, als er so unerwartet Dina wiedersah.

Kein Gedanke daran, dass sie ihn in seinem derzeitigen desolaten körperlichen Zustand noch diese Woche ins Grab bringen würde, nicht der leiseste Ansatz zu einer Fluchtreaktion ... Alles, was jetzt auf ihn einstürmte, war die Erinnerung an Dutzende und Aberdutzende Schäferstündchen mit ihr.

Wie gebannt starrte Argo auf die Näherkommende, wartete auf die Sex-Bilder, die bald seinen Verstand überschwemmen und Wirklichkeit werden würden, ja – er schritt ihr sogar entgegen ...

Noch fünf Meter, drei Meter, ein Meter!

Jetzt! Bilder stürmten sein Hirn ... ein Bild: das Abbild von ihm, so wie sie ihn jetzt wahrnahm, als ein Skelett, dem irgendwie der Ausbruch aus der Geisterbahn geglückt sein mochte.

»Äh, Dina. Hallo, ich bins«, stammelte er.

»Du bist das, Argo? Iiih, siehst du Scheiße aus!«, sagte sie und tänzelte vorüber, hüftschwingend und busenwogend.

Sein Verstand fragte sich noch, falsch gehört zu haben, da brach sein Selbstschutz bereits zusammen wie jemand mit verkümmerten Bauchmuskeln nach einem Schlag auf den Solarplexus. Hatte er tatsächlich angenommen, er, der Einsdreiundneunzighüne, wäre mit fünfundsechzig Kilo noch immer so athletisch gebaut wie mit einhundertsechs?

Sein Ego begann zu bröckeln. Dieses eine Bild, ein Zerrbild seiner selbst (in Wahrheit war es ziemlich realitätsnah) besetzte sein Hirn, ließ nichts anderes neben sich bestehen ...

Er wusste nicht, wie lange er an der Wand vor dem Chef-Salon lehnte. Äußerlich glich er einem Toten, innerlich war er tot. Kein Gedanke flitzte durch sein Hirn, nicht einmal der leiseste Gedanke an einen Gedanken. Alles schwarz, alles leer, alles stumm – eben tot.

Weitere Zeit verstrich, und noch immer stand er so da, regungslos, mit versteinertem Gesicht, die absolut tödliche Leere in ihm.

Plötzlich drang eine tiefe, träge Stimme über seine Gehörgänge ein und brachte wieder Gedanken in sein Hirn, wenn auch fremde.

»Sie sind schon hier, Herr Testpilot Knab? Ich ließ Sie doch eben erst rufen!« Ulf Berseke, Chef der Firma ÜBERFLUG, staunte. »Dickes Lob, mein Bester. Stets einsatzbereit, stets zur Stelle, aber leider etwas zu früh. Ich muss mich erst auf die Sitzung vorbereiten, wie Sie sicherlich verstehen werden. Wenn Sie bitte noch einige Sekunden vor dem Einlass warten würden. Ich rufe Sie gleich herein.«

Es vergingen auch höchstens eintausendfünfhundert dieser kurzen, kaum erwähnenswerten Sekunden, bis ... sich eine Nebentür öffnete.

»Herr Knab?«

Argo erstarrte. Die Frauenstimme war tief, rau, das heißt rauchig, und erotisierend. Eine Stimme, die jedes Schimpfwort in eine Liebkosung verwandelte.

Argo wandte sich um. Das »Ja, bitte?« blieb ihm im Halse stecken.

Liefen ihm bereits von der Stimme Schauer über den Rücken, so warf ihn der Anblick der Frau um.

Sie konnte achtunddreißig sein und ebenso gut achtundzwanzig oder ... achtundvierzig. Ach was! Und wenn sie hundertacht gewesen wäre – es hätte ihn nicht interessiert.

Die Frau seines Lebens! Er wusste, er hatte die ganze Zeit nur auf sie gewartet. Das war die von der Wahrsagerin angekündigte bodenständige junge Frau, in deren Armen er seinen Seelenfrieden finden, seine Unrast verlieren würde. Und er wusste, dass sie es wusste. Dass sie bereit war, dass sie ihn wollte, nur ihn, und keinen anderen Mann auch nur anschauen würde.

Ihre Tür war geöffnet für ihn, dahinter warteten: gemeinsame Urlaube an einem Traumstrand der drei Millionen und vierzehn Seen, abgewetzte Komfort-Sessel, wogende Wasserbetten und abgenutzte flauschige Teppiche. Er brauchte nur eintreten ... und irgendwann Dina dankend um den Hals zu fallen, dass sie ihn freigegeben hatte. Nicht auszudenken, was er für die paar Minuten in ihren Armen verpasst hätte ...

Argo holte tief Luft für den entscheidenden Schritt.

»Roberta!«

Sie fuhren herum zu Ulf Berseke. »Ja, Paps?«

»Belästige meinen besten Mann nicht! Mach lieber deine Hausaufgaben.«

Hausaufgaben? Sie war noch Schülerin? Elfte, zwölfte Klasse, ja? Achtzehn, vielleicht auch nur siebzehn Jahre alt, äußerlich reif, innerlich eine verspielte Göre ...

Argo wandte sich ab.

Sie hängte sich an ihn wie ein Tender an die Lok.

»Nun reicht es aber, Mädchen.« Berseke drängte sie zurück. »Ich besorge dir ein Autogramm von ihm. – Kommen Sie!«

Wie eine Planierraupe schob er Argo durch die falsche Tür.

Robertas Blick brannte auf Argos Rücken, nachdem die Tür zu einem –zu seinem – glücklichen Leben voller Vertrauen, Streicheleinheiten, innigen Kuschelns und gegenseitigen völligen Verstehens längst zugeschlagen war. Sobald er wieder zu denken vermochte, würde er wissen, dass er etwas entsetzlich Falsches getan hatte, als er sich nicht an Berseke vorbei in ihr Zimmer drängte. Sie hätte alles für ihn aufgegeben: Schule, Familie, Ausbildung, das Erben der Firma ÜBERFLUG ... Und er? Selbst wenn er hundertacht Jahre alt würde, dieser Fehltritt war nicht mehr zu überbieten ...

Ich gehe jetzt zu Roberta und entschuldige mich bei ihr, dachte ein Teil von Argo (der vernünftigste Teil ... oder der vernunftloseste?), vielleicht verzeiht sie mir.

Aber wenn nicht, mahnte ein anderer Teil von ihm, dann stehst du ohne alles da, ohne Mädchen und ohne Auftrag. Nie verzeiht sie mir!

Oh, doch. Sie verzeiht mir.

Verzeiht mir nicht ...

Verzeiht mir doch ...

»Hören Sie mir zu, Testpilot Knab? Verstehen Sie, was ich sage?«

»Ja doch, sicher höre ich Ihnen zu. – Was sagten Sie?«

»Ich sagte: Treten Sie bitte näher, Herr Testpilot Knab. Schon zweimal. Sind Sie jetzt bei der Sache?«

Ulf Berseke, in einem Chefsessel thronend, gegen den selbst Herrn Abteilungsleiter Frodilons Monstrum wie ein Kinderstubenmodell gewirkt hätte, schüttelte den Kopf über das Verhalten seines besten Mannes. Für Leute, die nicht wussten, dass Berseke Sport trieb (Berseke hatte mal gehört, dass Manager viel zu ungesund, viel zu gestresst leben, somit nie die maximale Lebenserwartung erreichten und deshalb viel Sport treiben sollten, was er seitdem auch gewissenhaft tat – als schwerster Sumo-Ringer der Ärde), war es schlichtweg unbegreiflich, dass dieses Kopfschütteln seinen kolossalen Leib nicht in den Boden bohrte, und noch unbegreiflicher, dass seine Halsmuskeln das ebenso mächtige Haupt zu bewegen vermochten.

Trotz seiner Titanengestalt wirkte er fitter als Fridolin Frodilon, in dessen Chefsessel er vielleicht einen Schenkel quetschen könnte.

Neben ihm stand (wie zur besseren Veranschaulichung bestellt) ein dünnes Männchen, von dessen Sorte bequem fünf nebeneinander im Chefsessel Platz gefunden hätten, das aber dennoch im Gegensatz zu Argo etwas Fleisch auf den Rippen hatte.

»Nun, mein Bester, sind Sie mit der Arbeit hier zufrieden?«, fragte Berseke jovial.

Im Bewusstsein, alles verloren zu haben, was es nur zu verlieren gab, antwortete Argo voller Sarkasmus und ohne seine Worte abzuwägen: »Zufrieden? Ich? Ich bin zu zufrieden! Kaum mal eine Panne. Die Testmodelle funktionieren fast auf Anhieb. Müsste ich nicht ständig auf den Kopilot Acht geben, wäre ich längst vor Langeweile gestorben. Wenn das so weitergeht, suche ich mir bald etwas Aufregenderes.«

Selbst diesen Ton nahm ihm Berseke nicht übel: Argo Knab war der Einzige in seiner Firma, der auch Aufträge übernahm, die der weltbeste Stuntman abgelehnt hätte.

»Soso, Sie suchen etwas Außergewöhnliches ...? Gratulation – Sie haben es gefunden! Darf ich vorstellen: Max Liebetanz, genialster Erfinder des Jahrhunderts sowie Konstrukteur des weltersten Zeitenmobiles, derzeit bei Baron Vesperzeit angestellt.«

Vesperzeit? Baron Vesperzeit?, fragte sich Argo erstaunt, womit endlich auch innerlich Leben in ihn kam (zum Chef gehen und rumnörgeln kann ja jeder Zombie).

Hieß so nicht dieser spleenige Multimilliardär, dessen neustes Projekt dem Hörensagen nach ein Reservat für seltene Tierarten sein soll, irgendwo in den kaum besiedelten Weiten Australiens? Sollte er etwa Drachen, Einhörner, Dinos, Mammute oder Ähnliches in die Gegenwart holen, damit der Baron die Eintrittsgelder Tausender Schaulustiger kassieren konnte? Und wenn ja, warum nicht?

Er hatte sich noch nicht gefangen (sobald er an Roberta dachte, könnte er sich sofort aus dem nächsten Fenster stürzen), doch immerhin kamen dem sich wieder aufrappelnden Selbstschutz nun Argos Abenteuerlust zu Hilfe, so dass die immer wiederkehrenden Gedanken an Gift, hohe Türme, Brücken und bequeme Eisenbahnschienen allmählich verblassten: Argo wollte lieber leben und etwas erleben.

»Auf in die Urzeit!«, rief er fast so forsch wie gewohnt. »Angefangen vom ersten Einzeller bis hin zum x‑beliebigen Lindwurm hole ich alles Gewünschte herzu. Bei entsprechender Bezahlung sogar den Urknall.« Sein hageres, eingefallenes Gesicht strahlte keineswegs vor Tatendrang, aber immerhin erkannte man den ersten Abglanz von Leben.

»Einzeller ...? Lindwurm ...? Urknall ...?«, rief Liebetanz. »Urknall? Einen Knall haben Sie! Sie sind verrückter als Baron Vesperzeit in eigner Person. Selbst der begnügt sich mit einem vermehrungsfreudigen Paar Neandertaler fürs Gehege, um mit ihnen zu protzen und kräftig abzukassieren.«

»Nur ein paar Neandertaler soll ich holen? Gut, überredet, immerhin besser als diese faden Testflüge ...« – oder Roberta noch einmal gegenübertreten zu müssen –, »obwohl – besonders aufregend ist das nicht! – Wann gehts los?«

»Bald«, tröstete Liebetanz. »Sobald Sie mein Prachtstück von einem Zeitenschiff halbwegs beherrschen.«

Berseke händigte Argo einen vorgefertigten Ergänzungsvertrag als Zeitenpilot aus (auch im besten Bürokratenpalast läuft mal was schief, sprich: entschieden zu schnell), und Liebetanz führte ihn in die ebenfalls schon existierende Zeitflugwerft.

Mit Stolz wies das dünne Männchen auf etwas Chromblitzendes. »Wie gefällt Ihnen mein Vorzeigeschiffchen?«

Zweifelnd betrachtete Argo die drei Meter lange Zeitflugspindel. »Hinein passe ich allemal. Doch wohin beim Rückflug mit den Neandertalern? Oben drauf setzen? Oder wie haben Sie sich das gedacht?«

»Drauf setzen? Was denn? Wen denn? Und warum denn?« Die Frage endlich begreifend, lachte Liebetanz laut auf. »Aber nein, in die Zeitenschiffe, die ich baue, passt getrost ein ganzer Stamm!«

»Echt? Kann man das Schiffchen denn aufblasen?«

Liebetanz wand sich mit Lachkrämpfen am Boden, dabei mit den Beinen strampelnd wie ein Säugling, der was gegen neue, frische Windeln hat. »Aber nein, mein Freund«, jappte er, »die Zeitenschiffe – Äonenkreuzer vom Feinsten werden es, kann ich ihnen sagen! – existieren vorerst lediglich als CAD-Modell. Entschuldigen Sie bitte meine Unkorrektheit. Als ich eben von einem Vorzeigeschiffchen sprach, meinte ich keinen Prototyp, sondern das Rettungsschiffchen DINGHI, das wir hier vor uns sehen. Gewiss, es ist winzig, wird den Piloten bei Gefahr aber immerhin während einer Bordwoche bis zu siebzigtausend Jahre in die Vergangenheit oder Zukunft befördern können. Trotz seiner Winzigkeit ist es mit vielerlei Raffinessen ausgestattet.