Ich werde keine Hure! - Jürgen Müller - E-Book

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Jürgen Müller

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Beschreibung

Mit elf Jahren hat Cora ihre erste Regelblutung. Ihre Mutter will sie sofort von der Schule nehmen und zur Prostituierten ausbilden.

Cora hat andere Pläne für ihr Leben und wagt die Flucht.

 

Die Handlung ist frei erdacht. Ähnlichkeiten mit lebenden Menschen wären rein zufällig.

 

Das Coverbild malte Nicole Fabert.

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Jürgen Müller

Ich werde keine Hure!

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Zum Buch

Mit elf Jahren hat Cora ihre erste Regelblutung. Ihre Mutter will sie von der Schule nehmen und zur Prostituierten ausbilden.

Cora hat andere Pläne für ihr Leben und wagt die Flucht.

 

Die Handlung ist frei erdacht. Ähnlichkeiten mit lebenden Menschen wären rein zufällig.

 

Das Coverbild malte Nicole Fabert.

1. Das Nuttenbalg

Cora schmeckte Tränen und Blut. Straßendreck knirschte ihr zwischen den Zähnen. Wenigstens die waren heil geblieben. Schmährufe und hämisches Gelächter verklangen in der Ferne.

Cora rappelte sich auf. Spuckefladen bedeckten Hose und T-Shirt. Angewidert wischte sie sie weg. Alles tat ihr weh: die Nieren, der Hinterkopf, die Nase. Wie sie den Weg nach Hause schaffen sollte, wusste sie nicht.

Jeder Schritt schmerzte. Cora brauchte länger als sonst. Als sie daheim ankam, schlug es 18 Uhr. Ihre Mutter saß vor dem Wandspiegel und schminkte sich Glut, Hingabe und Lust auf Wangen und Mund. Sie duftete stark nach Parfüm – entgegen ihrem Familiennamen war Helene Heilig alles andere als fromm. Cora glaubte längst nicht mehr, ihrer Mutter täte etwas weh, schallten wieder einmal gekünstelte spitze Schreie und ebenso falsches Stöhnen durchs nächtliche Haus. Draußen hingegen war nichts zu hören. Ihr Heim besaß die dicksten Mauern der Hafenstadt, automatisch schließende und den Schall schluckende Fenster und Türen. Sonst würden sich, vor allem wenn Mutter zu Orgien lud, die Anwohner beschweren.

Nur kurz schaute Helene Heilig vom Spiegel weg.

Gleich wird sie toben, weil ich ihr Verbot übertreten und den Wandertag mitgemacht habe. Ein paar Schläge, eine Woche Hausarrest, Fernsehverbot, Leitungswasser und trocken Brot, wie schon so oft ...

„Du, Mutti, ich ...“

Endlich registrierte Helene Heilig das blutverkrustete Gesicht der Tochter.

„Wie siehst du wieder aus? Glaubst du, ich schicke dich zur Ganztagsschule, damit du herumläufst wie ein Lump?“

Sie hat es vergessen!Sie weiß nicht, dass heute Wandertag war und ich mitwollte. Sie glaubt, ich war ich der Schule. Ich bin ihr so wichtig wie ein geleertes Flakon.

„Priska und Charlene haben mich gestoßen, geschlagen und Nuttenbalg genannt“, sagte sie stockend, da die Mutter auf eine Antwort wartete, „und alle haben nur zugesehen, gejohlt und sie noch angefeuert. Niemand hat mir geholfen. Keiner. Nicht mal die Erwachsenen.“

„Dann schlag endlich zurück! Wie lange willst du dir noch alles gefallen lassen? Seit der Einschulung geht das so. Kaum ein Tag, an dem du nicht mit blauen Flecken und voller Schrammen heimkommst. Eines Tages lässt du dich noch totschlagen und hebst nicht einmal schützend die Hände vors Gesicht dabei; ich sehe es schon kommen! Wehr dich, und du wirst merken, sie lassen dich bald zufrieden, bekommen Respekt vor dir, scheuen vor weiteren Übergriffen zurück. Menschen stammen von den Affen ab, von Raubtieren. Wer auf dem Boden liegt, ist Beute. Wenn du dir alles gefallen lässt, brauchst du dich nicht zu wundern, dass jeder auf dir herumtrampelt. Und jetzt geh und wasch dich. Aber pass auf, dass kein Blut auf den teuren Teppich tropft. – Apropos Blut. Bevor ich heute Morgen zu Bett ging, fand ich ein zusammengeknülltes, ehemals weißes Nachthemd im Waschautomat. Nach Nasenbluten sah es nicht aus. Über Nacht zur Frau geworden, ja?“

Coras Gesicht wurde noch röter, als es schon war; auf dem ihrer Mutter breitete sich tiefe Befriedigung aus.

„Also doch! Wie habe ich auf diesen Tag gewartet! Damit das klar ist: Heute warst du das letzte Mal in der Schule. Ab morgen lerne ich dich an. Ich habe diese haarigen Ungeheuer satt. Es wird Zeit, dass du mich ablöst.“

Jetzt schon? Sie hatte geglaubt, erst mit 18, wenn sie volljährig war, nicht mehr auf ihre Mutter hören musste und wegziehen und ein eigenes Leben führen konnte, eins ohne Freier ... und ohne sich für ihr Tun schämen zu müssen. Nach Australien hatte sie auswandern wollen, auf eine Farm zusammen mit ihrem Liebsten, einem treuen Burschen, den sie bis dahin gewiss kennenlernte, er als Viehzüchter, sie als Landschafts- und Portraitmalerin.

Der Schock ließ sie aufschreien.

„Mutti, ich bin elf!“

„Und wenn du neun wärst! Ab morgen machst du die Beine breit, und keine Widerrede! Drei Monate werden wir gemeinsam praktizieren, dann ziehe ich mich aus dem Geschäft zurück.“

„Ich werde keine Hure“, rief Cora. „Eher laufe ich weg! Ich glaub das nicht! Was bist du nur für eine Mutter ...“

„Eine mit Geschäftssinn.“ Helene Heilig lächelte kalt. „Hör zu“, sagte sie eindringlich. „Die meisten Freudenmädchen verwenden viel Zeit darauf, schlank und attraktiv zu bleiben. Sie verlängern und färben ihr grau und stumpf werdendes Haar und hungern sich die Pfunde ab, damit sie noch mit 40 schlank und jugendlich wirken. Sie pilgern reihenweise zu Schönheitschirurgen und -farmen. Sie lassen sich Fett absaugen aus Bauch und Oberschenkeln und die Lippen aufspritzen.

Du bist von Natur aus knabenhaft schlank und schön, eine Kindfrau, wie sie im Buche steht. Auf dich fahren die geilen alten Böcke ab. Jetzt! Nicht erst in sechseinhalb Jahren. Diese Zeit gilt es auszunutzen, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Besser wir kriegen es als ihre schwachköpfigen Erben – gesetzt den Fall, die tauben Säcke haben je welche gezeugt.

Und was dein Alter betrifft ... Mein Gott: Weltweit gibt es Kinderverlobungen und Kinderehen, vor Tausenden Jahren im alten Griechenland und jetzt im Islam – was ist schon dabei? Die Natur hat sich gewiss etwas dabei gedacht, dass sie dir so früh schon Titten gab und Haare auf der Pflaume. Also stell dich nicht so an und nutze es aus! Was man besitzt, muss man gebrauchen. Wozu sonst wäre es da?!

Nun guck nicht so verstört! Es ist keine Gefahr dabei. Ich schicke dich nicht auf den Babystrich, nachts im Finstern und auf dich allein gestellt. Du wirst keine Straßendirne, keine ‚Bordsteinschwalbe‘. Niemand zerrt dich je ins Auto, fährt dich hinaus auf ein einsames Waldstück und erschlägt dich, solltest du schreien, mit einem Felsblock. Du arbeitest wohlbehütet im Haus und hast allen Schutz der Welt und jeden Komfort, den du dir nur wünschen kannst.“

„Ich werde keine Hure“, sagte Cora noch einmal, kaum hörbar jetzt, aber genauso entschlossen wie eben. „Ich will Malerin werden, und nichts sonst.“

„Malerin?“ Helene Heilig lachte abfällig auf. „Malen willst du? Und ich dachte, dieses Gekleckse oben in deinem Zimmer sei nur so zum Zeitvertreib.“ Das aufgesetzte Lächeln in ihrem Gesicht verschwand. Helene Heilig wirkte plötzlich aus wie ein Trainer, der seinen groggy Schützling zurück in den Boxring treibt. „Vergiss es! Jetzt liegt Wichtigeres an – der Ernst des Lebens. Vielleicht später mal, wenn du im Ruhestand bist. Vorerst schwingst du andere Pinsel!“

„Pinsel?“

„Morgen weißt du, was ich meine. Komm mit!“

Als sei sie eine willenlose Stoffpuppe, wurde Cora in einen Nebenraum gezogen, der einem Schloss zu aller Ehre gereicht hätte. Alle Möbel der Heiligs waren mindestens zweihundert Jahre alt, kostbar und verschnörkelt. Im Gegensatz dazu waren Unterhaltungselektronik und Haushaltstechnik der neueste Schrei: Helene Heiligs Lieblingsbeschäftigung bestand im Durchblättern von Versandhauskatalogen aus aller Welt und im Ausfüllen von Bestellscheinen. Sie wünschte sich stets das allerneueste Modell oder das ausgefallenste – und konnte es sich leisten.

Cora profitierte davon. In ihrem Zimmer landeten all die beizeiten ausgedienten, fast neuwertigen und funktionsfähigen Geräte wie Plasma-Fernseher, Design-Stereoanlage, Profi-Plattenspieler, Hochleistungs-Computer, DVD-Rekorder, 3-D-Kino, CD-Player, Kamera-Handy und PlayStation, um die sie viele ihrer Klassenkameraden beneideten. Ein weiterer Punkt, warum sie so verhasst war.

Cora würde viel lieber eine Mutter besitzen, die sie liebte und etwas mit ihr unternahm. Und Freunde.

Und einen Vater.

„Siehst du das?“ Helene Heilig deutete in der Reihe der großformatigen Familienportraits auf das Ölgemälde ganz links. „Wer ist das?“

Cora blickte an der ältlichen Frau mit dem brustfreien Kleid vorbei. „Uroma“, sagte sie widerwillig.

„Und was war sie?“

„Erst Straßendirne und dann Mätresse eines alten Fürsten oder so.“

„Oder so!“, äffte Helene Heilig wütend nach. „Hast du denn kein bisschen Respekt vor der Gründerin unserer Familientradition?“ Mit leuchtenden Augen schaute sie auf das Bild. „Meine Großmutter! Was für ein Aufstieg! Wer kann ihr ebenbürtig sein? – Und das?“

„Oma. Puffmutter von sieben ,Häusern‘.“

„Und was verdanken wir beiden?“

„Unsern Reichtum und unsere Unabhängigkeit“, antwortete Cora gelangweilt, als hätte sie diesen Spruch schon unzählige Male gesagt.

Was auch stimmte. Es verging keine Woche, in der die Mutter sie nicht hierher führte wie zu einem Gottesdienst. Dennoch würde sie weder auf Uroma noch auf Oma jemals stolz sein, geschweige denn sie anbeten. Einen Bezug hatte sie ohnehin nicht zu beiden: Die eine war lange vor ihrer Geburt gestorben, die andere lebte in einer Luxusvilla auf den Bahamas und rief nur alle paar Monate einmal an, ließ sich aber nie sehen.

Und auf ihre Mutter stolz sein würde sie schon gar nicht! Cora wusste genau, was jetzt kam.

„Und das?“ Helene Heilig deutete auf das letzte Bildnis, das eine verführerische junge Frau in engem kurzem rosa Stretch-Kleid zeigte.

„Das bist du, im Höhepunkt deiner Karriere, damals als an mich noch nicht zu denken war. Du, meine Mutter und Edelprostituierte, bei der alle vermögenden Männer der Stadt ein- und ausgingen.“

„Des weiten Umlandes“, korrigierte Helene Heilig. „Ich war bekannt bis in die Hauptstadt, das lass dir gesagt sein! Und kaum hier angekommen, ging es flott weiter. Ha! Schon während der Überfahrt mit der Fähre war ich aktiv. Achtzehn Freier zu je einer halben Stunde in nicht mal zwei Tagen, Passagiere wie Besatzungsmitglieder. Sogar ein Offizier war dabei. Mann, war ich wund!

Über zwölf Jahre ist das her, und noch immer denk ich an den Kahn zurück. Nereide, so hieß das gute Stück. Ein hochseetauglicher Katamaran, fünf Decks, 120 Meter lang, glaub ich, mit Schwimmbädern, Bars und Restaurants und allem Pipapo. Ich nahm schon damals nur das Beste.

Im Gegensatz zu meinen Kunden, wie sich herausstellte. Einer dieser achtzehn Heinis hatte doch einen Ausschussgummi dabei, Billigware. Seitdem sorge ausnahmslos ich für den nötigen Schutz. Noch mal reißt bei mir kein Kondom! Ich bin zwar sofort ins Klo zum Pinkeln und habe mir äußerlich die Scheide gewaschen, wie in den Ratgebern steht, was man in solchen Fällen zu tun hat, aber es war bereits zu spät. So also kamst du zustande – ein ,Betriebsunfall‘, andererseits aber künftiger Profit; und deshalb ließ ich dich drin.

Geschlagene zwölf Jahre ist das jetzt her, und ich bin noch immer am Ball! Ist wirklich höchste Zeit, dass ich aussteige.

Ich sage dir klar und deutlich: Du, mein Fräulein, wirst ebenso aktiv wie ich, ob es dir passt oder nicht! Was du zu wissen hast, bringe ich dir bei. Dieser ,Unterricht‘ reicht dann für dein ganzes Leben.

Ph, Schule! Was soll das? Auf die Schulpflicht pfeif ich. Sollen sie nur kommen, diese Scheiß-Behörden mit all ihrem Wisch. In keiner sitzen nicht ein oder zwei Kerle, die ich nur zu gut kenne und die mich kennen. Kuschen müssen die, haben doch allesamt Dreck am Stecken. Keinen Ton sagen werden die! Sonst sage nämlich ich was – und zwar ihren Weibern oder Chefs. Oder einer Zeitung.