In die Dunkelheit - Evan Currie - E-Book

In die Dunkelheit E-Book

Evan Currie

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Beschreibung

Jenseits der Sterne ist ... Dunkelheit

Als das Raumschiff Odyssey aufbricht, um die Grenzen des bekannten Universums zu erforschen, ahnt noch keiner an Bord, was ihn dort erwarten wird. Immer weiter rückt unser Sonnensystem in die Ferne, und auf ihrem Weg in die finsteren Weiten zwischen den Sternen begegnen der Odyssey Gefahren, Wunder, Entdeckungen und fremde Wesen, die fantastischer sind als alles, was sich die Menschen der Erde je hätten ausmalen können. Doch das wahre Herz der Finsternis, die größte Gefahr von allen, wartet noch auf sie …

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Seitenzahl: 786

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Das Buch

Als Commander Eric Weston, ehemaliger Oberbefehlshaber der Elite-­Flugstaffel Archangels, zum Kapitän des Forschungsraumschiffes ­Odyssey befördert wird, ahnt er noch nicht, dass sich sein Leben für immer verändern wird. Die Besatzung der Odyssey hat den Auftrag die Grenzen des bekannten Universums zu erkunden und die Erde in möglichen intergalaktischen Bündnissen zu repräsentieren. Doch je weiter sich die Odyssee vom irdischen Sonnensystem entfernt, desto eigenartigere Dinge erleben Weston und seine Crew: Sie begegnen einzigartigen Wundern, abenteuerlichen Gefahren und Wesen, die fantastischer sind, als alles, was sich die Menschen der Erde je hätten ausmalen können. Die größte Herausforderung aber steht Weston und der Crew der ­Odyssey erst noch bevor, denn in den dunklen Tiefen des Universums ­lauert eine tödliche Gefahr …

Der Autor

Evan Currie hat sich bereits in zahlreichen Jobs versucht, unter anderem als Hummerfischer und in der IT-Branche, doch das Schreiben war schon immer seine größte Leidenschaft. Sein Science-Fiction-Epos In die Dunkelheit wurde in den USA als Neuent­deckung des Jahres gefeiert.

 

@HeyneFantasySF

twitter.com/HeyneFantasySF

www.heyne-fantastisch.de

 

EVAN CURRIE

IN DIE DUNKELHEIT

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

INTO THE BLACK – ODYSSEY ONE

Aus dem Amerikanischen von Usch Kiausch

Deutsche Erstausgabe 10/2013

Redaktion: Kristof Kurz

Copyright © 2012 by Evan Currie

Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von Shutterstock/solarseven

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN: 978-3-641-10154-1

 

1

Während sein Kampfjäger die Atmosphäre hinter sich ließ, griff Eric Weston nach vorn und bediente eine Reihe von Schaltern, um den Überschall-Verbrennungs-Staustrahl zu deaktivieren und den Sauerstoffdruck in den Zwei­strahler zu leiten. Nun war der Luftstrom, der durch den Flugzeugrumpf gefegt war, längst abgeebbt und nicht mehr spürbar, als er den Bug des Flugzeugs nach unten lenkte und auf die geosychrone Umlaufbahn zuhielt. Vor der Scheibe des Cockpits war jetzt deutlich die Rundung der Erde zu erkennen. Lässig ließ er den Kampfjäger eine halbe Drehung vollführen, sodass er einen Moment lang den Anblick des weit unter ihm liegenden Planeten ge­nießen konnte.

Von hier oben sieht alles so viel freundlicher aus. So heiter im Vergleich zu dem, was ich dort unten gesehen habe. ­Japan, Kalifornien, Hongkong: Nichts erinnert von hier aus an die Schlachtfelder, über denen ich gekämpft habe. Nüchtern dachte Eric Weston an seine ersten Einsätze während des Dritten Weltkriegs zurück. Als der Krieg ausbrach, hatte seine Kompanie zu den ersten Angriffszielen der Block-Streitkräfte gehört. In den wenigen Minuten Vorwarnung, die ihnen die Küstenabwehr verschafft hatte, war es Weston gelungen, die anderen Testpiloten so zu organisieren, sodass die Prototypen der Kampfflugzeuge rechtzeitig vor dem Bombenangriff vom Boden abgehoben hatten.

Da sie wehrlos waren, hatten sie jedoch nur zusehen können, wie die Vernichtungswaffen ihre Anlage zerstört und nahezu jeden von Westons Freunden und Kameraden getötet hatten. Danach war es für ihn nicht mehr in Frage gekommen, sich aus den Kampfhandlungen herauszuhalten.

Er ließ das Flugzeug erneut drehen, denn jetzt wollte er sich seinen Bestimmungsort gründlich ansehen, anstatt sich weiter in Erinnerungen zu verlieren.

Am Lagrange-Punkt 4 schwebte sein neuer Einsatzort friedlich dahin: das Raumschiff Odyssey der Nordamerikanischen Konföderation, das ihn bereits erwartete. Während er auf schnellem Anflugkurs darauf zuhielt, wartete das Schiff geduldig darauf, seinen künftigen Captain zu empfangen.

Ha, das Ding ähnelt ja tatsächlich einem alten Segelschiff. Allerdings musste Weston sich gleich darauf eingestehen, dass die Ähnlichkeit ihm wohl kaum aufgefallen wäre, hätten die Schiffskonstrukteure nicht ständig darauf hingewiesen. Man musste schon sehr viel Vorstellungskraft bemühen, um die zylinderförmig angelegten Habitate der Odyssey mit dem Schiffskörper einer Segelfregatte in Verbindung zu bringen. Der Rest war leichter zuzuordnen. Ein langer Kiel – er schien den »Boden« des Raumschiffs zu markieren – war in Wirklichkeit ein in die Odyssey ­ein­gebettetes Flugzeugträgerdeck, das Raumfähren und Kampfflugzeuge aufnehmen konnte. Und die Sensorentürme ganz oben konnte man auch als die »Masten« des Schiffes deuten. Der hintere Maschinenraum sah wie das Achterschiff einer alten Fregatte aus, und aus dem Bug ragten Antennen, die Dutzende von Metern über das Schiff hinausreichten.

»Odyssey an Archangel Null Eins: Bitte ändern Sie den Anflugvektor auf Null-Zwei-Vier-Strich-Drei. Hiermit erteilen wir die Genehmigung für den Standardanflug zu Deck zwei.« Die Stimme, die über den Empfänger des Headsets zu ihm drang, klang deutlicher, als wenn die betreffende Person unmittelbar neben ihm im Cockpit gesessen hätte.

Weston bestätigte den Empfang des Funkspruchs und lenkte den Kampfjäger auf den neuen Anflugkurs. Gleich darauf löste der einweisende Offizier auf dem Flugzeugträgerdeck die Brückenkontrolle ab. »Archangel Null Eins: Ich hab Sie auf dem Schirm«, meldete sich dessen Stimme über den knisternden Funk. Die Störgeräusche wurden durch die wechselseitigen Interferenzen der Counter-Mass-Felder rings um das Kampfflugzeug und die Odyssey ausgelöst. »Können Sie das Leitsystem zur Landung auf Deck zwei auf Ihrem Schirm erkennen? ­Bitte bestätigen.« »Roger.«

»Bestätigt. Die Landebahn ist frei, alles im grünen Bereich. Kommen Sie, die Luft ist rein.«

Weston lenkte die schnittige Archangel Null Eins auf den Bug der Odyssey zu und richtete sie auf das in den massiven Schiffskiel eingebettete Flugzeugträgerdeck aus. Der vordere Teil des Decks lag zum Weltraum hin offen und bot auf diese Weise Kampfjägern und Shuttles schnellen Zugang, während die schweren Seitenschleusen für das kontrollierte Andocken sorgten. Als sich das höh­lenartige Innere des Trägerdecks vor die sternhellen Tiefen des Raums schob, stellten sich Weston die Arm- und Nackenhärchen auf. Diese Reaktion war ihm vertraut: Das Bodenpersonal des Trägerdecks hatte ihn mit der »Falle« erwischt, einem starken Antigravitationsfeld, das den Kampfjäger drastisch abbremste, ohne dass Weston den Nebenwirkungen der Entschleunigung ausgesetzt wurde.

Einige Minuten später stoppte der Kampfjäger, und Weston hatte ihn wieder unter eigener Kontrolle. Vorsichtig lenkte er ihn zu einem der Aufzüge an Deck. Als er einen der acht in den Kiel der Odyssey eingebauten Hangars erreicht hatte, schaltete er die Maschine aus und prüfte als Erstes instinktiv die äußere Atmosphäre. Sorgfältig glich er den Druck im Kampfjäger dem im Hangar an, öffnete die Überdachung und wartete darauf, dass sie vollständig zurückglitt. Danach löste er sich aus dem Sitz, stieß sich leicht ab und schwebte aus dem Cockpit. Während er auf die Decke des Hangars zutrieb, hörte er das widerhallende Klacken von Magnetstiefeln und blickte auf – oder, genauer gesagt, hinunter auf den Boden.

»Hallo da oben, Commander … Entschuldigung, ­Captain«, hallte eine fröhliche Stimme laut durch den Hangar. Zugleich sprang der Mann, dem diese Stimme gehörte, nach oben, legte einen sauberen kleinen Salto hin und schwebte zu der Stelle hinüber, wo Weston ge­rade die eigenen Magnetstiefel auf den Metallüberzug des Decks pflanzte.

Stephen »Stephanos« Michaels hatte als Westons Wingman seiner alten Fliegerstaffel, den Archangels, gedient, bis Weston offiziell das Kommando über die ­Odyssey übernommen hatte. Während des Krieges hatten Weston, Stephanos und einige Handverlesene zu den wenigen Leuten gehört, die berechtigt gewesen waren, diese speziellen Jäger zu fliegen. Die Archangels waren die einzigen Kampfflugzeuge gewesen, die es mit den neuen Angriffstypen der Luftwaffe des Blocks hatten aufnehmen können. Nachdem Weston drei Jahre lang die Staffel der Archangelsbefehligt hatte und der Krieg zu Ende war, hatte er die Beförderung zum Captain der Odyssey akzeptiert – in der Hoffnung auf einen Neuanfang an einem Ort, der nicht mit so vielen Erinnerungen belastet war. Weston hatte Stephanos zu seinem Nachfolger als Flugführer der Archangelsbestimmt.

Stephanos hatte sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Er war etwas über ein Meter achtzig groß, hatte einen eindeutig regelwidrigen Haarschnitt und eine umgängliche, lässige Art. Dieser Wesenszug kam ihm besonders in den Clubs zugute, in denen er nach Dienstschluss gern verkehrte, wie allgemein bekannt war. Weston wusste, dass Stephanos schon Jahre darauf gewartet hatte, das Kommando über die Archangels zu übernehmen. Die neue Aufgabe schien ihm sehr zu gefallen.

»He, Steph.« Zur Begrüßung des Freundes tippte sich Weston an den Helm. »Wie habt ihr – du und die anderen – euch inzwischen mit dem Team hier arrangiert?«

Stephanos zuckte lediglich mit den Achseln, was bei jedem anderen albern gewirkt hätte. Doch bei ihm sah das eher so aus, als wäre ein naiver Landjunge unversehens auf einem Raumschiff gelandet. »Wir können nicht meckern.«

Weston lachte. »Aha. Das soll wohl heißen, dass sich keiner für eure Beschwerden interessiert, oder wie?«

Stephanos kicherte. Während die beiden alten Freunde nebeneinander zum anderen Ende des Hangars gingen, unterhielten sie sich über das Schiff und den neuen Auftrag. Schließlich gelangten sie zu einer kleinen Tür, die zum inneren Aufzug führte. Das kapselartige Gebilde diente ausschließlich dazu, die Besatzung der Odyssey zu den zahlreichen Schiffsebenen zu befördern. Weston drückte den Knopf für die Kommandozentrale im vor­deren Habitatzylinder.

Als Weston seinen jungen Freund während der Fahrt musterte, fiel ihm auf, wie nervös Steph herumzappelte. Er hatte Verständnis dafür: Seit dem ersten Einsatz der Archangels vor acht Jahren war Steph als Wingman stets Seite an Seite mit ihm geflogen; miteinander hatten sie einige der schlimmsten Luftschlachten in der Geschichte der Menschheit durchgestanden.

Außerdem war er selbst ähnlich nervös, wenn vielleicht auch aus anderem Grund: Als erstes Raumschiff überhaupt war die Odyssey mit dem neuen Transitionsantrieb ausgestattet, der das Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit ermöglichte. Nur wegen seiner ungemein populären Position als Flugkommandant der Archangels war Weston in die engste Auswahl für den Kapitänsposten des neuartigen Schiffs gekommen.

Als der Aufzug im Zentrum des vorderen Habitatzylinders hielt, spürte Weston, wie die Schwerkraft zurückkehrte. Nach und nach passte sich die Beförderungskapsel der Rotation des Zylinders an, dann öffnete sich ihre Luke mit einem Surren.

»O je …« Beim Aussteigen schwankte Weston kurz, und ihm war übel, da sich sein Körper erst an die Rotation gewöhnen musste.

»Das geht vorbei. Anfangs braucht das Innenohr ein Weilchen bis es sich auf die Drehung eingestellt hat.« Stephanos stützte Weston kurz mit seinem Arm.

»Weiß ich doch.« Während Weston gegen eine weitere Welle der Übelkeit ankämpfte, richtete er sich auf und betrat den Gang. »Ist ja nicht mein erster Besuch auf diesem Schiff, Steph. Ich war vor der Inbetriebnahme etwa ein Dutzend Mal hier oben – aber diese verdammte Übelkeit hat mich jedes Mal erwischt.«

Gemeinsam gingen sie auf die Kommandozentrale zu, einen großen Raum mit geschwungenen Fußböden und Decken, in dem rege Betriebsamkeit herrschte: Zwei Wartungseinheiten, die viel Platz einnahmen, überprüften vor der Jungfernreise des Schiffs zum wiederholten Male dessen Schaltkreise und jedes einzelne System.

Bei ihrer Ankunft auf der Brücke empfing sie ein großer Schwarzer in der Uniform des Ersten Offiziers. Er hatte auffällig breite Schultern, war mindestens zehn Zentimeter größer als Weston und ließ die Metallplatten unter seinen Schritten erbeben. Weston kam es so vor, als stampfte ein Riese auf ihn zu, sodass er sich kurz fragte, ob er nicht besser eine Schleuder hätte mitbringen sollen.

»Commander Michaels.« Höflich neigte der Riese den Kopf Stephanos zu, ehe er sich Weston zuwandte. »Willkommen an Bord der Odyssey, Captain. Ich bin Commander Jason Roberts, Ihr Erster Offizier.«

Weston erwiderte die Begrüßung und sah sich kurz im Raum um.

»Entschuldigung, Captain, ich will Sie wirklich nicht drängen, aber möchten Sie sich jetzt vielleicht umziehen?«

Weston schreckte aus seiner Inspektion auf, blickte auf seinen leicht verschmuddelten Reiseaufzug und den Helm, den er unter dem Arm trug, und musste grinsen. »Ich sehe wohl nicht gerade wie der Captain eines Schiffs aus, auf das die ganze Flotte stolz ist, wie? Also gut, am Besten tauschen wir wohl als Erstes die Befehlscodes aus, danach ziehe ich mich um und kehre in einer Stunde in weißer Galauniform für die Kameraaufnahmen zurück.«

»Ja, Sir.«

Roberts ging zum Kommandosessel des Captains hinüber, drückte den Daumen auf einen Scanner und bedeutete Weston, es ihm nachzutun. Nachdem auch dessen Daumenabdruck eingescannt war, leuchteten zwei Lämpchen auf. Zugleich meldete sich die Stimme des Com­puters.

»Übertragung des Oberbefehls initiiert. Bitte bestätigen Sie Ihre Identitäten und die Absicht, die Übertragung des Oberbefehls zu vollenden.«

»Jason Roberts, Commander der NACSOdyssey. Hiermit übertrage ich alle Zugangsrechte des Obersten Befehlshabers auf Captain Eric Weston.«

»Identifikation erfolgt und Bestätigung angenommen. Captain Weston, bitte um Ihre Identifikation und Bestä­tigung.«

»Eric Weston, Captain der NACSOdyssey. Bestätige die Übertragung aller Zugangsrechte des Obersten Befehlshabers auf meine Person.«

»Identifikation erfolgt. Alle Zugangsrechte wurden soeben auf Captain Weston übertragen. Willkommen an Bord, Captain.«

Weston löste den Daumen vom Scanner und blickte zu Stephanos hinüber, der inzwischen so aussah, als würde er jeden Augenblick trotz der durch Rotation erzeugten Schwerkraft vom Boden abheben.

»Also gut, Commander Stephanos, ab sofort bist du für die Archangels verantwortlich.« Weston legte eine Pause ein, damit sich Steph kurz in der Beförderung sonnen konnte, dann setzte er nach: »Bis morgen erwarte ich von dir einen vollständigen Bericht über das Geschwader – Waffensysteme, Flugstatus, Dienstpläne und so weiter.«

Stephs Lächeln gefror – vermutlich beim Gedanken an den ganzen Papierkram, den er soeben von Weston geerbt hatte. Weston grinste leicht hämisch, bis ihm einfiel, dass auch auf ihn jede Menge lästiger Schreibarbeiten wartete.

Steph hatte sich gleich wieder im Griff, salutierte lächelnd, drehte sich auf den Fersen um und machte sich auf den Weg zu seinem neuen Aufgabenbereich.

»Ich beziehe jetzt mein Quartier und bereite mich auf die Zeremonie vor, Commander Roberts«, erklärte Weston und brach gleichfalls auf. Die Offiziersunterkünfte lagen zwei Decks unterhalb der Brücke. Nachdem er seine Kabine endlich gefunden hatte – mehrmals war er auf den langen Gängen falsch abgebogen –, schälte er sich aus seinem Fliegeranzug, und der Innenisolierung und warf beides in einen in die Wand eingelassenen Korb. Bald dar­auf stellte er sich unter die Dusche und spülte die letzten Reste der Innenisolierung und den Schweiß des anstrengenden Flugs vom Körper und aus dem Haar.

Nach der – leider allzu kurzen – Dusche trocknete er sich ab und inspizierte seinen Schrank, in dem, wunderbar geordnet, all die Dinge lagen, die schon vor seiner Ankunft zum Schiff befördert worden waren. Anscheinend hat dieser Kapitänsposten auch seine Vorteile …

Er holte seine weiße Galauniform heraus und breitete sie auf dem Bett aus. Wie ein völlig neuer Mensch betrat er eine Dreiviertelstunde später die Kommandozentrale.

Als die riesigen Magnetmasten des Hangars das dreieckige Shuttle in der Schwerelosigkeit stabilisierten, hielt es mit kurzem Nachbeben an. Es dauerte einige Minuten, bis das Fahrzeug gesichert war. Danach schwebten seine Passagiere zum Lift hinüber, stellten sich auf die Stahlplatte, aktivierten ihre Magnetstiefel und warteten auf die Beförderung zu den unteren Ebenen. Schließlich setzte sich die Maschinerie summend in Gang, und die Kabine sank bis zum Flugzeugträgerdeck des großen Mutterschiffs hinunter, wo sie zur Verblüffung der Fahrgäste zwei bewaffnete Wachposten erwarteten. Lieutenant Sean Bermont, ehemaliger Angehöriger der Canadian Joint Task Force 2, trat als Erster vor und reichte dem Marine seinen Dienstausweis.

»Lieutenant Bermont. Ich soll mich der Kompanie dieses Schiffes anschließen«, erklärte er und zeigte dem Posten das Blatt mit dem Dienstbefehl.

Nach kurzem Blick auf Dienstbefehl und Ausweis musterte der Posten die Dienstabzeichen des Lieutenants. Gleich darauf bestätigte der Schiffscomputer die Sicherheitsfreigabe und der Marine hakte den Namen Bermont ab. »Alles in Ordnung, Sir. Der Aufzug zu den Decks mit den Habitaten befindet sich zwanzig Meter hinter ihnen. Am besten setzen Sie sich dort unverzüglich mit dem diensthabenden Bordoffizier in Verbindung.«

Bermont nickte, machte, so gut er es in der Schwere­losigkeit vermochte, auf dem Absatz kehrt und ging zum Aufzug. Er hörte noch, wie in seinem Rücken der nächste Neuankömmling Ausweis und Dienstbefehl vorwies.

Weston brach derweil zu der Pressekonferenz auf, vor der ihm geradezu graute. Nachdem Commander Roberts ihn am Eingang zur Kommandozentrale empfangen und Weston als neuer Captain alle auf der Brücke Anwesenden begrüßt hatte, wandte er sich Roberts vertraulich zu. »Ich finde, wir sollten die öffentliche Zeremonie möglichst kurz halten. Wir müssen umgehend an die Arbeit gehen«, erklärte er, denn er wollte seine neuen Anweisungen so schnell es ging in die Tat umsetzen. Wegen der Presse musste er bei der Zeremonie zwar mitspielen, fühlte sich jedoch nicht verpflichtet, auch noch Gefallen daran zu heucheln.

»Ja, Sir. Ich setze mich gleich mit Admiralin Gracen in Verbindung, dann können wir schon mal die öffentliche Übertragung vorbereiten.«

Weston umrundete den Kommandosessel und ließ sich bedächtig darauf nieder. Ha, wenigstens ist der bequemer als der Sitz in meinem Kampfjäger. Trotzdem … Irgendwie fühlt sich das seltsam an. Er rutschte ein wenig auf dem geräumigen Sessel hin und her, machte sich mit den Displays in Reichweite seiner Fingerspitzen vertraut und überprüfte mehrmals die Sicherheitsvorrichtungen. Schließlich gab er den Versuch auf, sich hier heimisch zu fühlen – so weit war er noch nicht –, und beschäftigte sich mit der vor ihm liegenden Arbeit.

Während er die Berichte der einzelnen Schiffsabteilungen kurz überflog, fiel ihm auf, dass sich bemerkenswert wenige Dokumente der taktischen Abteilungen mit den Verteidigungssystemen des Schiffs befassten. Er stieß zwar auf interne Zustandsdiagnosen der Waffensysteme, aber es waren nur theoretische Abhandlungen, die sich nicht auf den praktischen Einsatz bezogen. Als Roberts zurückkehrte, ging Weston immer noch die Abwehrsysteme durch.

»Captain, Admiralin Gracen erwartet Sie zur Verleihung des Kapitänstitels im Konferenzraum.«

»Na gut, bringen wir’s hinter uns.«

Kurz darauf nahmen Roberts und Weston den Aufzug zu einem der unteren Außendecks und machten sich auf den Weg zum Konferenzraum, wo Admiralin Gracen sie inmitten von Beratern und zahlreichen Vertretern der nationalen und internationalen Medien erwartete. Mehrere Kameras richteten sich auf Weston, als er den Raum betrat.

Admiralin Gracen war eine stolze Frau von eindrucksvoller Größe, die mit ihrer aristokratischen Haltung ganze Menschengruppen mühelos manipulieren konnte, wie sie einmal mehr bewies, als sie die Medienvertreter unauffällig in Westons Richtung dirigierte.

»Ah, Captain Weston. Treten Sie näher. Sicher brennen Sie darauf, Ihr neues Aufgabengebiet zu übernehmen.«

»Ja, Ma’am.« Weston bemühte sich um professionelles Auftreten und lächelte pflichtschuldigst, als er sich stocksteif vor die Kameras stellte. »Ich brenne tatsächlich darauf, die neuen technischen Systeme zu testen.«

»Wunderbar. Also, fangen wir an. Sind alle so weit?«

Nach allgemeiner Zustimmung wurden die Lampen gedimmt, und Gracen drückte auf verschiedene Tasten. Weston war klar, dass die Admiralin soeben die Aufzeichnungsgeräte des Schiffs aktiviert hatte, damit sie den Kommandowechsel auf der Odyssey für die militärischen Archive festhielten.

Gleich darauf beugte Gracen sich nach unten und holte aus einer Schachtel neben ihrem Sessel ein kleines gol­denes Rangabzeichen aus selbsthaftendem Stoff heraus. »Eric Weston, bisheriger Kommandant der Fliegerstaffel Archangels, hiermit ernenne und befördere ich Sie zum Captain der NACSOdyssey und übertrage Ihnen alle Pflichten und Rechte dieses Amtes.«

Die Kameras fokussierten die Hand der Admiralin, die das Rangabzeichen des Captains an Westons linker Schulter befestigte. Danach trat Gracen einen Schritt zurück und schüttelte Weston die Hand. »Meinen Glückwunsch, Captain.«

»Ich danke Ihnen, Admiralin. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muss …«

»So einfach kommen Sie uns nicht davon, Captain! Schließlich sind Sie hier der Ehrengast, und wir müssen uns ans Protokoll halten.«

Als Weston klar wurde, dass ihm keine Fluchtmöglichkeit blieb, seufzte er innerlich. Allerdings wurden ihm anschließend so viele Würdenträger und Medienvertreter vorgestellt, dass der Rest des Abends wie im Fluge verging. Auch die Pressekonferenz stand er irgendwie durch, konnte sich später jedoch kaum an deren Ablauf erinnern. Rund die Hälfte der ihm gestellten Fragen beantwortete er mit der Floskel »Kein Kommentar«, wenn auch in etwas gewählterer Formulierung. Bei der anschließenden Party war ihm so mulmig im Magen, als hätte er drei Kampfeinsätze in Folge hinter sich. Trotzdem tat er sein Bestes, die Fluchtgedanken zu kaschieren, bediente sich anstandshalber hin und wieder am Büffet und sagte im Vorübergehen all die Dinge, die man von ihm erwartete. Zumindest entschädigte das üppige Essen die Anwesenden für Westons mangelnde Gesprächsbereitschaft.

Doch trotz aller Versuche gelang es Weston nicht, eine bestimmte Reporterin abzuschütteln.

»Captain Weston! Entschuldigung, darf ich Sie kurz stören?«

Als er sich umdrehte, wusste er bereits, wem die Stimme gehörte, fuhr aber trotzdem zusammen, als die Frau nur Zentimeter von ihm entfernt auftauchte.

»Miss Lynn, wie schön, Sie wiederzusehen.«

Sie grinste kurz. »Ganz meinerseits, Captain. Ich würde Ihnen gern noch ein paar Fragen stellen.«

»Ich bitte Sie, Miss Lynn. Ich habe Ihre Fragen doch schon beantwortet, so gut ich konnte. Viele Dinge, die die Mission der Odyssey und deren Besatzung betreffen, unterliegen der Geheimhaltung, wie Sie sicher verstehen werden.«

Die Frau bedachte Weston mit einem wissenden Blick. Ihre skeptische Miene verriet deutlich, was sie von Westons Antworten hielt. Die junge Reporterin war eine Medienvertreterin des Ostblocks, zu dem China, Teile der ehemaligen Sowjetunion, Korea, Indien und viele weitere Staaten gehörten. Dieser Block war so mächtig und so gut gerüstet, dass die Vereinigten Staaten gezwungen gewesen waren, einen neuen Verteidigungspakt mit Kanada und Mexiko abzuschließen. Zwar hatten beide Seiten vom Einsatz atomarer Waffen abgesehen, aber durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen war die Infrastruktur aller beteiligten Staaten massiv geschädigt worden. Das war ein Hauptgrund für die Gründung der Nordamerikanischen Föderation gewesen.

Weston war dieser Reporterin schon früher begegnet, in Beijing. Seinerzeit war sein Kampfjäger abgeschossen worden, und er hatte sich quer durch gegnerisches Terrain auf die Suche nach Ersatzteilen für die Reparaturen begeben müssen. Die Einmischung dieser Frau hätte ihn fast das Leben gekostet, und er wurde das Gefühl nicht los, dass sie nur hier war, um ihn endgültig zur Strecke zu bringen.

»Captain, was meinen Sie dazu, dass das Erste, was die Menschheit zu den Sternen entsendet, ein Militärraumschiff ist?«, fragte sie provokant. »Müssen wir wirklich alle unsere Probleme mitschleppen, wenn wir unser Sonnensystem zum ersten Mal verlassen?«

Weston seufzte. »Hier ist nicht der Ort und nicht die Zeit, um philosophische Fragen zu erörtern, Miss Lynn, tut mir leid.« Auch wenn es nicht auf den ersten Blick sichtbar war, wusste er, dass sie alles mit Mikro und Kamera aufzeichnete. Also musste er jedes Wort sorgfältig abwägen.

»Aber Captain, wie steht es mit …«

Commander Roberts stellte sich zwischen Lynn und Weston. »Die Admiralin braucht Sie, Captain.«

Dankbar für die Unterbrechung zog sich Weston mit einer Verbeugung zurück. »Bitte entschuldigen Sie mich, Miss Lynn.« Während sie sich von der Reporterin entfernten, flüsterte er Roberts zu: »Vielen Dank dafür, dass Sie mich losgeeist haben.«

»Danken Sie nicht mir, Sir. Die Admiralin hat bemerkt, wie Miss Lynn um sie herumstrich, und meinte, Sie könnten vielleicht Unterstützung gebrauchen.«

Offenbar hatte Admiralin Gracen ein Näschen für heikle Situationen.

»Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen bedanken.« Weston stellte sich neben die streng wirkende Admiralin, während sie einen Schluck Sekt trank.

Gracen musterte ihn einen Augenblick mit ernster Miene und durchdringendem Blick, ehe sie sich dazu herabließ, die Lippen zu einer Erwiderung zu verziehen. »Unsinn, Captain, ich erfülle nur meine Pflicht. Das Letzte, was die Nordamerikanische Föderation jetzt brauchen kann, wäre die Peinlichkeit, dass unser prominentester Captain in einem Exklusiv-Interview des Ostblocks in der Luft zerrissen wird.«

»Die werden in letzter Zeit immer besser darin, die ­öffentliche Meinung zu manipulieren, stimmt’s?« Weston verzog das Gesicht.

»Na ja … Zuerst haben sie’s mit Waffengewalt versucht und hätten fast Erfolg damit gehabt. Da lag es wohl auf der Hand, dass sie jetzt auf andere Weise probieren, Druck zu machen.«

»Tja, und Lynn ist leider viel zu gut in ihrem Job.«

»Das wundert mich nicht.« Gracen erlaubte sich ein leichtes Lächeln, das ihr strenges Gesicht merklich verschönte. »Schließlich haben wir sie ja ausgebildet.«

»Wie kommt’s, dass die fähigsten Terroristen, unsere schlimmsten Gegner und die gefährlichsten Menschen der Welt ihr Handwerk anscheinend alle bei der Nordamerikanischen Konföderation erlernt haben?«, fragte Weston. »Kann nicht wenigstens einer mal seinen Abschluss an irgendeiner obskuren Hochschule in Afrika oder sonst wo gemacht haben?«

Gracen zuckte die Achseln. »Die handeln offenbar nach dem Motto Kenne deinen Feind. Wo könnten die besser lernen, uns in die Mangel zu nehmen?«

»Aber müssen wir denn wirklich die Leute auch noch ausbilden, die uns dann in den Rücken fallen?«

»Nun ja, andernfalls hätten wir ja nicht derart detail­lierte Personalakten über sie.«

Weston kicherte und gab ihr innerlich recht. »Gut gekontert, Admiralin. Trotzdem ziehe ich mich jetzt lieber aus dem Rampenlicht zurück und ruhe mich für den Rest des Abends aus. Morgen ist ein großer Tag für mich.«

Nachdem sich Weston von der Party verabschiedet hatte, machte er sich auf den langen Rückweg zu seinem Quartier. Zwar hatte er am kommenden Tag nur einen Testflug vor sich, aber er war froh, sich den Fragen und Problemen der Nachkriegspolitik nicht stellen zu müssen. Obwohl es in der Raumfahrt nach wie vor eine Art Wettlauf gab, war der Ostblock noch weit davon entfernt, die neue Technologie des Transitionsantriebs einsetzen zu können. Die Odyssey war vor allem als Prüfstand für zahlreiche technische Innovationen konstruiert worden, außerdem sollte sie die Einrichtungen des äußeren Systems vor potenziellen Angriffen des Ostblocks schützen. Doch in Anbetracht dessen, dass der Transitionsantrieb jetzt zum ersten Mal praktisch erprobt wurde, hatte Westons Einsatz zusätzliche Bedeutung bekommen. Er ging zwar nicht davon aus, dass er irgendetwas Ungewöhn­liches entdecken würde, aber die geplanten Experimente würden sich mit allem Denkbaren befassen – von den langfristigen physischen Effekten der Raumreisen bis zur Suche nach Lebensformen in verschiedenen Sternen­systemen.

In seinem Quartier ließ er sich sofort aufs Bett fallen. Die Diplomatie. Bis jetzt hatte sie in seiner beruflichen Laufbahn keine wesentliche Rolle gespielt. Beim Kommando über die Archangels hatte er sich vor allem mit Fliegen und Kämpfen beschäftigt, und genauso war es auch in seiner Zeit als Marineflieger im Dienst der Ver­einigten Staaten gewesen. Zum Glück würde er sich nicht mehr mit diplomatischen Fragen befassen müssen, sobald er sich außerhalb des Kommunikationsbereichs der Erde bewegte, und dieser Fall würde schon bald eintreten.

Bald darauf verlangten die Ereignisse des Tages ihren Tribut und Weston schlief schnell ein.

 

2

»Commander Roberts, haben wir die Freigabe zum Start?«, fragte Captain Weston.

»Ja, Sir. Die kam vor einigen Minuten von der Raum­station Liberty«, erwiderte der Achtung gebietende Commander mit weit tragender Stimme. »Die endgültige ­Genehmigung vom Tower kam während der Nacht. Commander Harris wünscht Ihnen viel Glück.«

Das genügte Weston. Die Genehmigung vom Tower war die endgültige Bestätigung von offizieller Stelle, das sie zum Aufbruch brauchten. »Bitte übermitteln Sie ihm meinen Dank, Commander. Setzen wir Steuerraketen ein?«

Roberts rief eine Anweisung auf seinem PDA auf. »Aye aye, Sir.«

»Also gut, Steuermann, leiten Sie das Manöver ein, lösen Sie die Verankerungen und bringen Sie uns hier raus. Langsame Fahrt voraus.«

»Langsame Fahrt voraus, aye aye, Sir.«

Die Odyssey teilte sich den Weltraum mit vielen anderen staatlichen Konstruktionsprojekten der Nordamerikanischen Konföderation. Das schloss auch die Raumstation ein, die irgendwann gebaut worden war, um die ISS zu ersetzen, nachdem man die veraltete internationale Raumstation irgendwann stillgelegt und in der Atmosphäre hatte verbrennen lassen, nachdem sie aus ihrer Umlaufbahn geraten war. Die neue Raumstation Liberty war so kon­zipiert, dass sie voraussichtlich sehr viel länger durchhalten würde als ihre Vorgängerin. Als sich die Odyssey aus dem Schatten der großen Station löste, bewunderte Weston deren Silhouette, die sich deutlich vom Blau und Weiß der Erde abhob.

Die Steuerraketen, die das riesige Raumschiff aus dem Orbit beförderten, ließen das Schiffsdeck erbeben. Unverzüglich konzentrierte sich Weston wieder auf die vor ihm liegenden Aufgaben. Lieutenant Daniels bediente fortwährend den Touchscreen vor sich und nahm mittels Computerinterface die nötigen Kurskorrekturen vor.

Als Weston Daniels bei dessen Arbeit beobachtete, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Er hatte nicht viel Vertrauen zu einem von Rechnertastaturen gesteuerten Flug. Stets hatte er sich lieber auf Steuerknüppel und Beschleunigungshebel verlassen, aber die Schiffskonstrukteure der Odyssey hatten deren Einsatz nur als letzte Möglichkeit vorgesehen.

Mittlerweile ließ Daniels die Hände über die Komponenten des Multifunktionsschirms vor sich gleiten. Die Sen­soren innerhalb des versiegelten Interface erspürten die Positionen seiner Finger, und das dazugehörige Display leuchtete wie eine Weihnachtslichterkette auf, als er die Systeme nacheinander aufrief und die Verankerungskabel der Odyssey löste.

Mit Hilfe der Steuerraketen trieb das Schiff sanft dahin, bis Daniels den schiffseigenen Reaktor aktivierte, was vor­übergehend ein leises Rumpeln auslöste.

Mit beschleunigtem Tempo entfernte sich das Schiff von der Raumstation und der Erdumlaufbahn und ließ dabei jene geschäftige Raumregion zurück, in der man es konstruiert und zusammengebaut hatte.

»Steuermann, sobald wir weit genug von der Erde entfernt sind, die Navigationsstrahler aktivieren und auf ein Drittel Lichtgeschwindigkeit beschleunigen«, befahl Weston.

»Wird gemacht, Sir.«

Kurz darauf wurden die vorderen Feldgeneratoren in Gang gesetzt, um den Pfad vor dem Schiff von Welt­raum­schrott zu säubern. Danach schaltete sich die gewaltige Schiffsmaschinerie ein und die Odyssey begann ihre schnelle Fahrt durch die von der Sonne erzeugte Gra­vitationssenke.

»Wir nähern uns einem Zwangzigstel der Lichtgeschwindigkeit, Captain«, meldete sich Daniels. »Bitte um Genehmigung zur CM-Aktivierung.«

»Erteilt.«

Das Counter-Mass-System des Schiffs war das Herzstück aller Antriebssysteme unterhalb der Lichtgeschwindigkeit; es bestand aus mehreren am Kiel angebrachten Generatoren, die rund um das Schiff ein Energiefeld erzeugten. Die damit verbundene Mathematik bereitete Weston ziemliches Kopfweh, allerdings verstand er zumindest so viel davon, dass er begriff, was passierte, als die Felder sich aufluden.

Rings um die Odyssey bildete sich eine Blase, als sich ein Generator nach dem anderen einschaltete. Auf diese Weise entstand eine ovale Tasche, die das Schiff und dessen Besatzung vom »realen« Universum abtrennte. Innerhalb dieser Tasche verminderte sich die effektive Masse des Schiffs – zumindest verlor es im Vergleich zum übrigen Universum auf einzigartige Weise an Gewicht. Was zwar nicht unbedingt bedeutete, Einsteins Theorien ein Schnippchen zu schlagen, wie Weston bewusst war, aber es stellte eine Möglichkeit dar, sich die Regeln ein bisschen zurechtzubiegen.

Die großen Antriebsreaktoren, die die Odyssey mit Energie versorgten, ragten genau bis zum Rande des Energiefeldes empor, und wenn das System mit voller Kraft arbeitete, warfen sie fast mit Lichtgeschwindigkeit Plasma aus – Plasma, das eine genau berechnete Masse besaß, wenn es den Rand des Feldes durchbrach. Diese Plasmamasse schob sich dann gegen die Gesamtmasse des Schiffs, das die Gesetze der Physik damit überlistete, indem es vortäuschte, nur zehn Prozent seiner tatsäch­lichen Masse zu besitzen.

Ohne dieses Energiefeld war die Odyssey so langsam, dass eine Schildkröte im Vergleich mit ihr wie ein Formel-1-Rennwagen gewirkt hätte und brachte es gerade mal zu einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit oder 0,1 c. Wenn das Feld allerdings aktiviert war, konnte kein von Menschen gebautes Objekt mit diesem Raumschiff mithalten.

»Navigation.« Weston zögerte und ermahnte sich selbst: Rede die Männer bei ihrem Namen an, Eric.

»Lieutenant Daniels, schlagen Sie einen Kurs ein, der uns an der Raumstation Demos und den Plattformen zur Erforschung des Jupiter vorbei führt. Ich möchte einem alten Freund guten Tag sagen.«

Weston hörte, wie der junge Navigator den Befehl bestätigte. Kurz darauf erbebte das Raumschiff kurz, als es den neuen Kurs einschlug. Die Odyssey machte jetzt ein Viertel Lichtgeschwindigkeit und beschleunigte immer noch. Sie hielt auf die Raumstation in der Umlaufbahn zu, die für Schiffsreparaturen zuständig war.

Als sie sich dem Roten Planeten näherten, rief ein Offizier hinter Weston: »Ein Funkspruch für Sie, Sir. Major Wolfe von der Station Demos möchte Sie sprechen.«

»Wie nah sind wir?«

»Etwa zwei Lichtminuten Abstand, Sir.«

»Bestätigen Sie den Funkspruch nur mündlich. Teilen Sie den Leuten dort unsere voraussichtliche Ankunftszeit mit, und sagen Sie dem Major, dass wir in sieben Minuten Sichtkontakt herstellen können.«

»Ja, Sir.«

»Entschuldigung, Chief …«, sagte Lieutenant Bermont, während er nahe an eine stämmige Frau herantrat, die die Uniform eines Unteroffiziers trug. Sie blickte von der Stelle auf, an der sie eine Kabelabdeckplatte zur Inspektion der Leitungen entfernt hatte, und musterte die Streifen an Bermonts Uniform.

»Corrin, Sir«, erklärte sie salutierend.

Bermont erwiderte den Gruß.

»Ich suche das Gemeinschaftsdeck, Chief Corrin. Ich fürchte, ich hab mich verlaufen.«

Bermont hatte sich im Feld stets eher zu Hause gefühlt als in einer derart künstlichen Umgebung. Nachdem er aus der Stadt fortgezogen war, hatte er sich nie dorthin zurückgesehnt, denn er hatte festgestellt, dass er die raue Natur mehr liebte als alles andere. Als er zum ersten Mal Dschungel und Sümpfe für sich entdeckte, ließ er Pflastersteine und Beton auch innerlich hinter sich. Also heuerte er als Kundschafter und Scharfschütze bei der Canadian Joint Task Force 2, kurz JTF 2, an und verbrachte so viel Zeit wie möglich fern von den Städten.

Corrin bedachte ihn mit einem mürrischen Blick und deutete mit dem Kopf über die Schulter. »Weiter hinten im Gang stoßen Sie auf eine Röhre, die zum Habitat 2 auf den unteren Decks führt.«

»Vielen Dank.« Bermont nickte ihr zu und machte sich auf den Weg. Doch er bekam noch mit, wie sie »Landratte« vor sich hin murmelte.

Die sieben Minuten gingen wie im Fluge vorbei. In der Zwischenzeit beobachtete Weston die ihm unterstellten Offiziere bei ihrer Arbeit und verfolgte genau, wie sie auf die vielen kleinen Krisen reagierten, die zu einem solchen Testflug einfach dazugehörten.

»Captain, Major Wolfe für Sie, mit Bildübertragung.«

Weston blickte von dem Terminal auf, an dem er gerade arbeitete, und schaute auf das bärbeißige Gesicht, das ihm vom Schirm aus entgegenstarrte. »Hallo, Jeff, schön dich wiederzusehen.«

»Das sagt der Richtige! Das hier ist der letzte Ort, an dem ich dich erwartet hätte. Aber eigentlich hätte ich ja wissen müssen, dass so etwas wie dieser Koloss nötig ist, um dich von den Angels loszueisen.« Sein Grinsen strafte die barschen Worte Lügen.

»Wer sagt denn, dass ich mich von den Angels getrennt habe? Hab sie sicher und ordentlich auf unserem Flugzeugträgerdeck untergebracht.«

Der Major lachte. »Wie um alles in der Welt hast du das denn geschafft?«

»War gar nicht schwer. War ein gefundenes Fressen für unsere PR-Abteilung, und für die jüngeren Staffelmitglieder ist es ein gutes Training. Außerdem haben die Angels der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit seit Kriegsende zunehmend zu schaffen gemacht. Die sind ja nicht gerade Friedensapostel, wie du weißt.«

»Tja, das kann man wohl wirklich nicht behaupten. Aber so ist nun mal der Lauf der Welt, Eric. In Friedenszeiten weiß man Krieger einfach nicht zu schätzen – eine Ausnahme sind da nur die Menschen, die von ihnen während des Krieges beschützt wurden. Seit Japan ist viel Zeit vergangen, alter Freund.«

Das Lächeln des Majors schwand vorübergehend, als er an die alten Zeiten dachte.

»Stimmt, Jeff. Und ich kann nicht behaupten, dass mir das leid tun würde.« Westons Blick verdüsterte sich, als er sich an die Luftschlacht um Japan erinnerte, bei der er Wolfe zum ersten Mal begegnet war. Major Wolfe, damals noch Captain im nordamerikanischen Marinekorps, hatte in der Schlacht eine Fliegerstaffel angeführt. Die supermodernen »Gottesanbeterinnen«, chinesische Kampf­jäger, waren wie ein Heuschreckenschwarm über die belagerte Insel hergefallen. Sie waren viel schneller und tödlicher als die altmodischen, vom amerikanischen Marinekorps gestellten Maschinen der Nordamerikanischen Konföderation gewesen und hatten die Verteidigungsstreitkräfte regelrecht überrumpelt. Auch Wolfe hatte einen solchen alten amerikanischen Senkrechtstarter ge­flogen.

Die ersten Schüsse des Dritten Weltkriegs waren nicht einmal fünf Kilometer von dem Ort entfernt gefallen, an dem der Zweite Weltkrieg im pazifischen Raum sein Ende gefunden hatte.

Einen Moment lang verzog der Major das Gesicht. »Ich hatte nie Gelegenheit, mich bei dir zu bedanken, Eric. Wenn du und die Archangels nicht plötzlich aufgetaucht wären …«

Weston winkte ab. »Schnee von gestern, Jeff. Das war eine völlig andere Zeit und Japan eine ganz andere Welt als heute. Nicht nötig, mir zu danken.«

Gleich darauf durchbrach der Major die düstere Stimmung mit einer flapsige Bemerkung: »Na ja, jedenfalls erwarte ich von dir ein Dankeschön, wenn du mir dein wunderbares neues Spielzeug zur Reparatur gebracht hast.«

Weston lachte laut und beeilte sich, das Gespräch zu beenden, denn gleich würde die Odyssey einen Bogen schlagen, der sie von der Umlaufbahn des Mars weg­führte. »Offenbar verlassen wir euch gleich, Jeff. Wartet da drüben das Tankschiff auf uns?«

»Ja, bedient euch. Es hat in den letzten Stunden mit Hochgeschwindigkeit den Saturn umkreist. Vermutlich wird die Besatzung langsam ungeduldig.«

»Ich werde sie nicht mehr allzu lange warten lassen, Jeff. Ende.«

Der Major legte zum Abschied zwei Finger gegen die Schläfe, dann flackerte der Bildschirm kurz auf und zeigte danach wieder die Raumregion vor der Odyssey.

Weston widmete sich erneut seinen Displays und sah zu, wie nacheinander Zahlen aufblinkten, während sich das Schiff in weitem Bogen vom Mars-Orbit entfernte. Die Offiziere beobachteten, wie der Rote Planet rapide in der Leere des Raums verschwand. Mittlerweile hatte die Odyssey ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit erreicht, etwa die Hälfte ihrer Höchstgeschwindigkeit, und die großen Reaktoren waren verstummt.

Nach einem Blick auf den Schirm wandte sich Weston wieder dem eigenen Terminal zu. »Steuer, wie steht’s mit unserem Treibstoff?«, fragte er nach einer Weile.

»Reicht bis zum Auftanken mehr als aus, Sir«, erwi­derte Daniels.

»Danach habe ich nicht gefragt«, gab Weston mit scharfer Stimme zurück und bohrte den Blick in den Hinterkopf des jungen Mannes.

»Entschuldigung, Sir.« Daniels brauchte ein paar Sekunden für die korrekte Meldung. »Wir liegen bei circa zehn Prozent, Sir. Haben den größten Teil des Treibstoffs bei der ersten Zündung der Steuerraketen verbraucht.«

»Danke, Daniels. Leiten Sie jetzt die Zündung der Steuerraketen in Gegenrichtung ein, und bringen Sie uns in den Trojaner-Gürtel um den Jupiter.«

Auf der Brücke breitete sich Stille aus. Weston war klar, dass viele Augen auf ihn gerichtet waren. Schließlich kam Commander Roberts zu ihm hinüber. »Äh, Sir, wir müssen eine Verabredung einhalten, Sie haben den Major ja gehört.«

»Ja, hab ich, aber das muss noch warten.« Weston erwiderte gelassen den fragenden Blick seines Untergebenen.

»Ja, Sir.« Roberts zog sich zurück.

Bald darauf spürte Weston, wie die Deckplatten leicht zitterten. Durch das Zünden von Steuerraketen in Gegenrichtung änderte die Odyssey ihren Kurs. Vor ihnen ragte der gewaltige Jupiter auf – seit ewigen Zeiten gezeichnet von dem heftigen Sturm in seiner südlichen Hemisphäre. Das Schiff schlug jetzt einen seitlichen Kurs ein und hielt auf einen der Asteroidengürtel zu, die Unheil verkündend beide Seiten des großen Planeten flankierten.

Bermont seufzte, während er sich auf der relativ bequemen Couch zurücklehnte, die eine ganze Wand des von der Besatzung genutzten Aufenthaltsraums einnahm. In die gegenüberliegende Wand war oben ein Bildschirm eingebettet, der – gespeist von den Daten der Außen­kameras – recht eindrucksvolle Bilder des Jupiter zeigte. Sehr schön, aber eindeutig nicht sein Ding.

Als er sich in der weiträumigen Lounge umsah, fiel ihm auf, dass sich inzwischen einige Gruppen von gerade dienstfreien Besatzungsmitgliedern gebildet hatten. Zwei Tische waren offenbar den berühmten Jungs der Arch­angels vorbehalten. Er zuckte die Achseln und ließ sich auf einen unbesetzten Stuhl an einem Tisch sinken, an dem Männer in ähnlichen Uniformen wie der seinigen saßen. In seinem Rücken hörte er die Flieger über irgendetwas lachen, das er nicht mitbekommen hatte.

»Der Hauptunterschied zwischen einem Kampfjäger­piloten und Gott besteht darin, dass Gott sich nicht für einen Kampfjägerpiloten hält«, sagte ein Mann, der sich in Bermonts Richtung gebeugt hatte, und grinste.

Ehe Bermont irgendetwas erwidern konnte, mischte sich ein anderer ein. »Ja, aber die Archangelssind nicht ganz so eingebildet wie die meisten anderen Kampfjägerpiloten.«

Anscheinend fanden die meisten Männer am Tisch das irgendwie witzig.

»Die Archangelsbegnügen sich damit, Gottes rechte Hand zu sein, anstatt sich für den großen Boss persönlich zu halten.«

Bermont kicherte, genau wie alle anderen, und stellte sich dem Witzbold vor.

»Savoy«, gab der zurück und schüttelte ihm die Hand. »Techno-Freak.«

Bermont fielen Savoys Schulterstreifen auf, die ihn als Ranger auswiesen, außerdem die geschwungenen Streifen eines Unteroffiziers und ein Abzeichen an seiner Brust, deshalb kam es ihm gar nicht in den Sinn, einen der unvermeidlichen Technik-Freak-Witze zu machen. Vielleicht später, wenn er den Mann besser kannte. Jedenfalls wollte er nicht unbedingt jemanden verärgern, der sowohl das Überlebenstraining der United States Navy SEALs überlebt hatte als auch einen Videorekorder programmieren konnte. Solche Leute waren in der Regel nämlich sehr einfallsreich, wenn sie es einem heimzahlen wollten.

Er merkte, wie Savoy kurz seine Uniform musterte, und musste lächeln: Savoys verwirrte Miene verriet, dass er sich über das Fehlen jeglicher Rangabzeichen wunderte. Die Canadian Joint Task Force 2 gab im Unterschied zu den amerikanischen Eliteeinheiten nicht viel auf Kennzeichen, durch die man ihre Mitglieder identifizieren konnte. Bis die kanadischen Streitkräfte von den North American Confederation Armed Forces, kurz NACAF, geschluckt worden waren, hatte Bermonts normale Uniform aus einem schwarzen Pullover der Luftwaffe, Hosen mit Tarnmuster und Stiefeln bestanden. Niemand hatte damals Rangabzeichen oder Orden getragen.

»Ich bin Kanadier«, erklärte er.

Savoy machte große Augen, als ihm klar wurde, was das bedeutete. »Aha. Schön, Sie an Bord zu haben.«

»Schön, hier an Bord zu sein.«

Die Piloten hinter ihnen wurden wieder lauter und unterbrachen mit ihrem Lachen Bermonts Gespräch mit Savoy. Bermont taxierte sie: Die Archangels waren berühmt-berüchtigt – möglicherweise die bekanntesten Gesichter in der Konföderation. Die Regierung hatte diese Gesichter auf den Werbeplakaten für die Armee ein­gesetzt. Nicht nur, um Nachschub zu rekrutieren, sondern auch, um die Moral während des Krieges mittels solcher Heldentypen hochzuhalten. Viele Soldaten, die Bermont kannte, mochten die Archangels nicht besonders und hielten sie für reine Angeber. Allerdings strafte die lange Liste ihrer Kriegsauszeichnungen diesen Eindruck Lügen.

Bermont hatte nicht die Klasse, um sich mit ihnen zu messen, wie ihm klar war. Allerdings konnte er auch gut und gern darauf verzichten, dass die Reporter ihm ihre Kameras in den Hintern schoben, wenn er auf dem Klo saß. Er hatte bei der Canadian Joint Task Force 2 gedient, als mit der Kriegsverordnung die Konföderation zwischen den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko in Kraft getreten war. Danach hatte die JTF 2 trotzdem noch ein paar Jahre existiert – jedenfalls formell, da die Streitkräfte so in Kampfhandlungen verstrickt waren, dass sie sich kaum den Kopf darüber zerbrachen, wer gerade wo und mit welchem Kampfverband eingesetzt wurde.

Später, nach dem Krieg, als den alten Spezialeinheiten wieder eine Sonderstellung eingeräumt wurde, hatte man Bermont den Einsatz auf der Odyssey angeboten. Er war erst skeptisch gewesen, bis man ihn darüber informiert hatte, welche Art von Soldaten zur Ergänzung der Sicherheitsmannschaft des Sternenschiffs vorgesehen war.

Die eigentliche Sicherheitsabteilung an Bord lag selbstverständlich in der Verantwortung der Marines – etwas anderes hatte Bermont auch gar nicht erwartet –, aber die Mehrheit der Infanteristen des Schiffs stammte aus den alten »Schlangenfresser«-Truppen, genau wie er. Er hatte viele Namen auf der Liste wiedererkannt und den Vertrag ohne groß zu zögern unterschrieben.

Sein Vorgesetzter, Colonel Jackson Neill, hatte ihm die Gründe für diese Personalentscheidungen verraten: Irgendjemand hatte es für eine wunderbare Idee gehalten, Soldaten für die Odyssey zu engagieren, die bereits gründlicher als sonst irgendjemand auf das Überleben in einer menschenfeindlichen Umwelt ausgebildet waren.

Persönlich hielt Bermont das für Quatsch. Selbst wenn sie in einer fremdartigen Welt landen sollten, auf der sie atmen konnten, wie groß war dort die Wahrscheinlichkeit, auf essbare Schlangen zu stoßen? Doch wo konnte ein Angehöriger einer militärischen Spezialeinheit in einer befriedeten Nachkriegswelt sonst einen Job finden? Anscheinend gingen die da oben davon aus, dass ein paar dieser Soldaten durchaus nützlich sein könnten, sollte es irgendwo ein paar Alien-Schlangen zu fressen geben.

Bermont zuckte die Achseln, lehnte sich zurück und lächelte in sich hinein.

Mit Hilfe der Bildschirme beobachtete Weston konzen­triert, wie die Besatzung die Odyssey zum Lagrange-Punkt 4 im Asteroidengürtel lenkte. Als die leistungsstarken Navigationsstrahlen die größeren Brocken aus Nickel und Eisen aus dem Weg drängten, erbebte das Schiff und verlor an Fahrt. Weston hakte einen Punkt in seinem Log­buch ab und notierte die Leistungskraft der Strahlen bei voller Belastung. »Also gut, Waters …«

»Sir?« Waters wandte sich dem Captain zu.

»Aktivieren Sie die wichtigsten Waffensysteme.«

»Sir?«

»Sie haben mich gehört.«

»Aye, aye, Sir.«

Weston war klar, warum der Mann zögerte. Schließlich gab es wasserdichte internationale Verträge, die den Einsatz von Waffen nicht nur auf der Erde, sondern auch im erdnahen Raum regelten. Allerdings galten diese Verträge nur bis zur Umlaufbahn des Mars. Deshalb hatte Weston keine Skrupel zu testen, wie gut die Waffensysteme in die Infrastruktur der Odyssey integriert waren.

»Suchen Sie sich irgendeinen Asteroiden aus, Ensign«, sagte er. »Und dann löschen Sie ihn aus.«

»Wird gemacht, Captain«, erwiderte Waters diensteifrig und beugte sich vor.

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis der Lärm der Bordgeschütze verstummte. Überall auf dem Schiff warteten diejenigen, die keinen direkten Zugang zu den telemetrischen Schaubildern hatten, mit angehaltenem Atem auf die Ergebnisse der spontan durchgeführten Tests.

»Captain an die gesamte Besatzung.« Westons Stimme drang nicht nur durch die Lautsprecher in der Komman­dozentrale der Schadenskontrolle, sondern in alle Räume des Schiffs. »Wir dürfen uns zu einem erfolgreichen Waffentest gratulieren, einem Test ganz nach Lehrbuch. Aus­gezeichnet.«

»Wenn ihr Schlappschwänze nicht sofort eure Hintern hoch kriegt, schlag ich euch die Köpfe ein!«, knurrte Chief Rachel Corrin, während sie durch die Kommandozentrale der Schadenskontrolle stapfte.

Die Besatzungsmitglieder rappelten sich daraufhin hoch und nahmen Haltung an, während Corrin den geschwungenen Raum der Länge nach durchschritt und sie wütend anstarrte.

»Schadenskontrollübung, und zwar das volle Programm«, zischte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Unverzüglich setzten sich ihre Untergebenen in Bewegung, schnappten sich ihre Ausrüstungen und eilten hinaus.

Corrin seufzte, während sie den Männern hinterher sah, und ließ, endlich allein, kurz die Maske sinken. Kopfschüttelnd folgte sie ihren Leuten langsam. Diese Besatzung wird mehr als nur eine Übung brauchen.

Wer immer diese Schiffsbesatzung auch ausgewählt haben mochte, war entweder ein absoluter Vollidiot oder ein Genie. Corrin war sich da zwar nicht völlig sicher, hätte aber auf Ersteres getippt.

Die einzelnen Besatzungsmitglieder gehörten zu den Besten des verfügbaren militärischen Personals. Und das hieß in der Nachkriegsökonomie der ­Nordamerikanischen Föderation, der Corrin diente, dass sie einige verdammt gute Leute an Bord haben mussten. Das Problem bestand darin, dass nur sehr wenige dieser Soldaten zuvor auf einem Schiff zusammengearbeitet hatten.

Und damit war nach Ansicht von Chief Corrin die Katastrophe vorprogrammiert.

Die Odyssey – mittlerweile wieder auf dem Rückweg zum Saturn, um aufzutanken – beschleunigte wieder auf das frühere Fahrttempo von circa einem Drittel Lichtgeschwindigkeit. Vor dem Riesenschiff fegten die Naviga­tions­strahlen alle Raumtrümmer aus dem Weg, die das Pech hatten, auf der Route zu liegen. Hin und wieder löste das ein leichtes Beben auf den Decks aus.

Bald darauf raste die Odyssey auf die Umlaufbahn des sechsten Planeten zu, und die Saturnringe gerieten ins Blickfeld. Aus den Ringen löste sich eine dunkle Silhou­ette, die kurz nach ihrem Auftauchen die Flugbahn änderte. Durch die Zündung von Steuerraketen entfernte sie sich von der Gravitationssenke des Planeten und glitt auf Paral­lelkurs mit dem großen Raumschiff.

»Kommandozentrale der Odyssey, hier spricht die Indigo. Willkommen in der Saturn-Region.«

»Indigo, hier spricht die Odyssey. Vielen Dank für die Begrüßung, aber leider wird uns wohl kaum Zeit für eine Besichtigungstour bleiben.«

»Wie schade. Wir durften den Anblick des Saturn gestern den ganzen Tag lang genießen, während wir auf euch gewartet haben. Also könntet ihr jetzt doch wenigstens ein Weilchen bei uns herumhängen und uns Gesellschaft leisten.«

»Ich fürchte, das wird nicht klappen, Indigo. Wir müssen mit unserem Einsatz beginnen. Soweit ich weiß, habt ihr etwas, das uns dabei unterstützen kann?«

»Roger, Odyssey. Wir schicken’s gleich rüber.«

Aus der Indigo schlängelten sich fünf dicke Schläuche und glitten durch den Raum, bis der Abstand zwischen beiden Schiffen nur noch wenige hundert Meter betrug. Danach nahm der Tanker einen Kurswechsel vor und legte sich neben die Odyssey. Am Ende der Schläuche waren kleine Kapseln angebracht, deren jeweils zweiköpfige Besatzung die Schläuche zum Auftanken zu den Anschlüssen am Heck der Odyssey lenkte. Das Auftanken während des Fluges ersparte es dem riesigen Raumschiff, einen Großteil seines Treibstoffs schon während der ersten Schubphase seines Einsatzes zu verbrauchen.

Die Anziehungskraft der Sonne war hier nicht besonders stark, und es war bereits einige Schwungkraft aufgebaut worden, solange das Schiff aufgrund der weitgehend leeren Tanks noch merklich leichter gewesen war.

Allerdings würde das Auftanken aufgrund genau dieser leeren Tanks fast die ganze restliche Nacht dauern. Kurz nach Beginn der Prozedur zog sich Weston zurück und überließ es der dritten Wache, sich bis zum Abschluss des Tankvorgangs um das Schiff zu kümmern. Als er aufwachte, bestätigte ihm das leise Summen, das er durch das Deck hörte, dass die Odyssey wieder volle Fahrt machte und sich auf den Rand des Sonnensystems zubewegte.

Auf der Brücke lief alles glatt. Soeben hatten sie die Umlaufbahn des Pluto durchquert – ein ermunternder Meilenstein auf ihrem Flug – auch wenn der Planet nicht zu sehen war –, denn sie waren die ersten Menschen, die so weit hinausgelangt waren.

Roberts hatte die Nachtschicht vor zwei Stunden aus dem Dienst entlassen und ging gerade die Anweisungen für die Besatzung durch, als der Captain auf die Brücke trat.

»Captain anwesend«, meldete er sofort.

»Status«, befahl Weston, während er zum Kommandosessel hinüberging.

»Vor dreißig Minuten haben wir die Umlaufbahn des Pluto durchquert, Sir. Theoretisch können wir den Antrieb unverzüglich aktivieren«, erwiderte Roberts knapp. »Aller­dings ist die offiziell ausgewiesene Heliopause noch ein paar Lichtminuten entfernt.«

»Gut. Steuermann, berechnen Sie die Flugbahn – und bitte äußerst präzise.«

Lieutenant Daniels beugte sich über die Konsole und begann mit den Berechnungen. »Ja, Sir.«

»Mr. Roberts, nehmen Sie Verbindung mit dem für den Transitionsantrieb zuständigen Team auf. Sagen Sie den Leuten, dass sie das System hochfahren sollen.«

Roberts wandte sich einer Konsole zu seiner Linken zu und gab mehrere Befehle ein. »Transitionsteam meldet Bereitschaft, Sir. Wir können den Antrieb jetzt jederzeit aktivieren.«

»Gut.«

Weston schaltete die Sprechanlage ein. »Achtung, hier spricht Captain Weston. Wir bereiten jetzt die Aktivierung des Transitionsantriebs vor. Wir sind alle darüber unterrichtet worden, was damit auf uns zukommt, auch über die psychischen Auswirkungen. Bitte bereiten Sie sich entsprechend vor und melden Sie jedes Problem den medizinischen Labors. Ende.«

»Steuermann, haben Sie die Flugbahn berechnet?«, fragte er anschließend.

»Ja, Sir. Hab sie gerade ins System eingegeben. Wir wären bereit.«

»In Ordnung. Ich möchte, dass alle Abteilungen ihre Bereitschaft überprüfen und bestätigen.«

»Steuerung … Startklar!«

»Antriebskontrolle … Startklar!«

Die Sprecher zeigten keinerlei Unsicherheit. Weston wünschte, er könnte ihre Zuversicht teilen.

»Reaktorkontrolle … Startklar!«

Eine Schiffsabteilung nach der anderen bestätigte, dass sie auf die Auswirkungen des Sprungs vorbereitet war. Schließlich meldete Roberts als Letzter: »Kommandozentrale der Odyssey … Startklar!«

»Alle Systeme vorbereitet auf den Sprung in T minus …«, Weston blickte auf den Schirm und gab mehrere Befehle ein, »zwei Minuten.«

 

3

Als der Countdown bis auf die letzten zehn Sekunden heruntergezählt hatte, stieg die Spannung auf der Brücke.

Weston rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her, nachdem die Zahl zehn aufgerufen worden war. Die Auswirkungen des Sprungs waren aus gutem Grund streng geheim gehalten worden. Er wusste jedoch, was zu erwarten war, wie auch die übrige Schiffsbesatzung. Doch in diesem Fall war das schlimmer als Ahnungslosigkeit.

Er merkte, wie Commander Roberts neben ihm sich zwang, die Hände zu lockern. Die verkrampften Finger hatten kleine blutrote Abdrücke auf seinen Handflächen hinterlassen. Überall auf dem Schiff klammerten sich Menschen so fest an irgendwelche Gegenstände, als ­bereiteten sie sich auf eine massive Beschleunigung vor. Dabei hatte man sie doch darüber instruiert, was zu erwarten war. In einem Raum hatte sich ein nervöses Mannschaftsmitglied im Versuch, sich an einem Stuhl festzubinden, eigenhändig bewusstlos geschlagen. Im Nachhinein war man der Meinung, er habe noch Glück gehabt.

Schließlich heulte eine schrille Sirene auf, die auf dem ganzen Schiff widerhallte, ein hoher Ton, den man spürte, bevor man ihn hörte, und der immer schriller wurde.

Fünf Sekunden vor dem Sprung sah Captain Weston auf der Brücke zu, wie das rote Lämpchen aufleuchtete, und empfand dabei sogar Erleichterung. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Odyssey und ihre Besatzung waren drauf und dran, Geschichte zu machen.

In manchen Schiffsbereichen hatte die Sirene mittlerweile eine ohrenbetäubende, schmerzliche Lautstärke erreicht, sodass sich viele Menschen die Ohren zuhielten und auch die Augen schlossen, was jedoch kaum nützte.

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