Jenseits der Erde - Evan Currie - E-Book

Jenseits der Erde E-Book

Evan Currie

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Beschreibung

Die letzte Schlacht beginnt

Die feindlichen Drasin haben die Erde angegriffen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Die Odyssey, einst der ganze Stolz der Raumflotte der Erde, liegt in Trümmern. Obwohl ihr Captain Eric Weston einen Großteil seiner Crew verloren hat, ist er entschlossen, die Drasin zurückzuschlagen, bevor diese die Erde endgültig zerstören. Zum Glück haben die Menschen mittlerweile Verbündete im All: Die Priminae schicken all ihre verfügbaren Truppen zur Erde, um den Menschen zu helfen, und es beginnt die alles entscheidende Schlacht um das Schicksal des Blauen Planeten ...

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EVAN CURRIE

JENSEITS DER ERDE

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

Das Buch

Einst war die Odyssey der ganze Stolz der terranischen Raumflotte, und ihr Kapitän Eric Weston setzte alles daran, die feindliche Alien-Spezies der Drasin in Schach zu halten. Doch nun scheint alles verloren: Die Odyssey liegt in Trümmern, Weston hat den Großteil seiner Crew verloren und die Drasin sind auf der Erde gelandet, wo sie eine Spur der Verwüstung hinterlassen. New York, Los Angeles, Peking – das sind nur drei der zahlreichen Metropolen weltweit, die von den Drasin besetzt wurden. Trotz seiner Verluste ist Eric Weston entschlossen, die Erde mit allen Mitteln gegen die feindlichen Aliens zu verteidigen. So aussichtslos die Lage der Menschen zunächst auch scheint, inzwischen haben sie Verbündete im All: Die hochentwickelten Priminae, denen die Menschen einst gegen die Drasin zur Seite standen, revanchieren sich nun und schicken all ihre verfügbaren Truppen zur Erde, um zu helfen. Die alles entscheidende Schlacht um den Blauen Planeten beginnt …

Erster Roman: In die Dunkelheit

Zweiter Roman: Aus der Tiefe

Dritter Roman: Unter der Sonne

Vierter Roman: Jenseits der Erde

Der Autor

Evan Currie hat sich bereits in zahlreichen Jobs versucht, unter anderem als Hummerfischer und in der IT-Branche, doch das Schreiben war schon immer seine größte Leidenschaft. Sein mehrbändiges Science-Fiction-Epos um das Raumschiff Odyssey One wurde in den USA als Neuentdeckung des Jahres gefeiert.

Mehr über Evan Currie und seine Romane erfahren Sie unter:  

 

@HeyneFantasySF

twitter.com/HeyneFantasySF

www.diezukunft.de

 

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Out of the Black: Odyssey One

Deutsche Übersetzung von Martin Gilbert

Deutsche Erstausgabe 05/2015

Redaktion: Kristof Kurz

Copyright © 2014 by Evan Currie

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von Shutterstock

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN: 978-3-641-15278-9

www.diezukunft.de

 

Dieses Buch – das vierte der Odyssey-Reihe – ist den Lesern gewidmet, die die Fortsetzung dieser Geschichte überhaupt erst ermöglicht haben.

Ohne euren Enthusiasmus und eure Unterstützung hätte diese Reihe nie die Höhen erreicht, zu denen sie sich aufgeschwungen hat.

Ich danke euch, dass ihr mich auf dieser Reise begleitet. Und ich würde mich freuen, wenn wir die Odyssee in die Schwärze des Alls gemeinsam fortsetzen …

 

PROLOG

Bezirk Manhattan,

New York – fünf Minuten

nach Invasionsbeginn

Es ist Zeit.

Die Stimme war wie ein vom Wind herangetragenes Wispern, und dann verlor sie sich wieder im Lärm der zerfallenden Gebäude, im Staub und Schmutz und in den Schreien der Menschen und dem Heulen der Sirenen. Die Stadt war wie ein lebendiges Wesen, das schwer verwundet war und nun seinen Schmerz und Zorn hinausschrie. Da musste ein Flüstern zwangsläufig ungehört verhallen.

Der Tag hatte eigentlich ganz normal begonnen, trotz der Ankündigung, dass das Militär weltweit in Alarmbereitschaft versetzt worden war. Mit dieser Normalität war es vorbei, als dünne Feuerschweife am Himmel erschienen und ihn in gespenstischem Schweigen durchkreuzten, sodass sie der Aufmerksamkeit von Millionen Menschen entgingen – bis es schließlich zu spät war. Viele von denen, die sie sahen, erstarrten förmlich zur Salzsäule und blickten wie hypnotisiert auf die feurigen Bahnen. Andere brachen in Hysterie aus.

Eines dieser Himmelsphänomene schlug am Stadtrand ein, und ein Gebäude zerfiel in Schutt und Staub. Ein weiteres traf den größten Wolkenkratzer der Skyline. Alle hörten, wie sich die Trümmer über die Straßen verteilten. Bei dem Geschrei, das daraufhin einsetzte, bewahrten trotzdem manche die Ruhe, beobachteten den Himmel und sahen, wie immer mehr Feuerstrahlen das Firmament durchzuckten, durch die Wolken stießen und auf ihre Stadt zuschossen.

Dann sahen sie, dass noch etwas anderes explosionsartig aus den Wolken hervorbrach; und das war der Moment, in dem sich die Welt für viele Menschen schlagartig veränderte.

Es war eine Silhouette, die auf der ganzen Welt wohlbekannt war. Feuer loderte aus klaffenden Löchern in der stahlblauen Hülle, als die NACSOdyssey über der Ostküste in den Horizontalflug überging und auf fünfzehntausend Fuß das Feuer eröffnete.

Jeder Schuss war wie ein Hammerschlag der Götter im Himmel – in Dutzenden von Wolkenkratzern und kleineren Gebäuden zersplitterten die Fensterscheiben, als das große Schiff träge über die Stadt hinwegflog. Auf jeden Donnerhall gab es eine Explosion am Himmel, als einer der tödlichen Feuerschweife explodierte.

Die Odyssey war jedoch nicht für Atmosphärenflüge konstruiert, und der Feind griff zudem aus überhöhter Position an. Feurige Bahnen der Zerstörung rasten auf das weltbekannte Flaggschiff der Konföderation zu, das bei jedem Treffer seiner Hülle erschüttert wurde. Die Odyssey kippte leicht nach Backbord ab, ging in den Sturzflug und stürzte schließlich, einen Feuerschweif hinter sich her ziehend, in den Long Island Sound.

Das war erst der Anfang.

Kurz darauf wimmelte es am Himmel von Kampfflugzeugen, die dem Feuer von oben alles entgegensetzten, was sie aufzubieten vermochten. Weil sie jedoch in Unterzahl waren, war es unvermeidlich, dass einige der herabstürzenden Objekte auf der Erde aufschlugen und Tod und Zerstörung brachten.

Das war dann auch der Zeitpunkt, an dem dieser schockierende Albtraum für viele Menschen surreale Züge annahm: Aus den Kratern stieg der schiere Horror empor, und New York verwandelte sich in ein Schlachtfeld, wie die Welt es noch nie gesehen hatte.

In den Wirren des Gefechts – und während die Nationalgarde in die Stadt einrückte, um die örtliche Polizei zu unterstützen – bemerkten nur wenige, dass die Odyssey beim Aufprall aufs Wasser auseinandergebrochen war und sich ihre Trümmer weiträumig über das Areal verteilt hatten. Einige Stücke waren übers Wasser gehüpft und in die Häuserreihen am Ufer eingeschlagen, wo sie schwere Verwüstungen verursachten. Andere Bruchstücke wurden vom Wasser abgebremst und versanken im Sund.

Die beiden großen zylindrischen Habitatsektionen der Odyssey waren abgerissen und hüpften nun rotierend über die Wasseroberfläche. Eine traf in Eastchester Bay auf Land und schlug eine Schneise der Verwüstung durch Queens. Die andere bewegte sich auf einer spiralförmigen Bahn gen Westen. Sie kam mit einer spektakulären Wasserfontäne unmittelbar nördlich von Roosevelt Island auf, bevor sie durch einen Straßenzug mit Bürogebäuden walzte und schließlich im Central Park zum Stehen kam.

Aufwachen.

Auch dieses Flüstern ging inmitten des Chaos, des Staubs und des Schutts unter, die wie ein schwerer Sandsturm über die Stadt hinwegrollten. Diese Walze planierte alles, was sich ihr in den Weg stellte. Die Stadt taumelte von einem Schock in den nächsten. Aber es war eine Stadt, die Erfahrung mit Katastrophen hatte, und langsam, aber zielstrebig wurden Gegenmaßnahmen getroffen.

Das Bug- und das Kommandohabitat der Odyssey kamen an der Westseite des Central Park zum Stillstand und verharrten auf einer wackeligen Unterlage aus umgestürzten Bäumen und platt gewalzten Autos. Das Heulen von Sirenen und der Nachhall der Einschläge durchdrangen die Stille, die sich über das Areal legte. Die überlebenden Augenzeugen des Absturzes starrten schockiert auf den durchlöcherten, verschrammten und verbeulten Zylinder, der einmal zum größten jemals von Menschenhand erbauten Raumschiff gehört hatte.

Im Innern des Moduls regte sich nichts.

Aufwachen! Los, aufwachen!

Eric Stanton Weston erwachte keuchend und nach Luft schnappend aus einem Albtraum, in dem er nach einem explosionsartigen Druckverlust in seinem Schiff eingesperrt gewesen war. Er schlug im ersten Moment unkoordiniert mit Armen und Beinen um sich, vermochte sich aber keinen Zoll zu bewegen. Und dann begriff er auch, woran das lag.

Er war noch immer an der Kommandantenkonsole angeschnallt, die nun anscheinend an der Decke hing. Dort baumelte er für eine Weile, kopfüber und verwirrt, und versuchte zu erfassen, was geschehen war und was im Moment geschah.

Wo bin ich? Eric vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen. Er fühlte sich, als ob er von einem überschweren Dampfhammer in den Boden gerammt worden wäre, oder als ob er seinen Jäger in den Acker eines armen Bauern gebohrt hätte.

Er blinzelte und ließ den Blick schweifen, während er die Erinnerung allmählich zurückerlangte. Und dann wurde er sich bewusst, wie richtig er mit dieser letzten Vermutung doch gelegen hatte.

»Mein Gott, ich bin verletzt«, nuschelte er, leckte sich die Lippen und spie ein Stück Helmvisier aus. Bruchsicher – dass ich nicht lache.

Langsam streckte er die Arme aus und klaubte die Splitter des gläsernen Visiers aus seinem Gesicht. Dann nahm er den Helm ab und ließ ihn auf die Decke unter sich fallen.

Langsam kehrte er in die Realität zurück, und bruchstückhafte Erinnerungen an die Ereignisse, die ihn in seine momentane missliche Lage gebracht hatten, drangen mit quälender Deutlichkeit zu ihm durch. Seine Kopfschmerzen fühlten sich an, als ob jemand seinen Schädel von innen mit einer Spitzhacke bearbeitete, und es gelang ihm auch nicht, die verschwommene Sicht mit einem Blinzeln zu klären.

Eric war zwar kein Arzt, aber er kannte dennoch die Symptome einer Gehirnerschütterung. Im schlimmsten Fall würde er medizinische Hilfe benötigen; wenn er aber berücksichtigte, dass er eigentlich gar nicht damit gerechnet hatte, überhaupt wieder aufzuwachen, musste er gestehen, dass es ihm doch nicht so schlecht ging.

Verdammte Scheiße. Kann man wirklich nicht anders sagen.

Hier konnte er jedenfalls nicht bleiben – das stand schon mal fest. Und er hatte auch keine Ahnung, wo er überhaupt gelandet … abgestürzt war. Er durfte also nicht mit Hilfe rechnen.

Zumal die Welt jetzt wahrscheinlich genug mit sich selbst beschäftigt sein dürfte. Ich werde mir selbst helfen müssen.

Eric blickte nach oben – oder wohl eher nach unten – und vermochte kaum die Decke der Brücke zu erkennen, die sich etwa einen Meter unterhalb seines Kopfs befand. Ja, das ist wirklich eine verdammte Scheiße.

Er holte Luft, schloss die Augen und schlug dann auf den Schnellverschluss der Sicherheitsgurte.

Eric stürzte drei Meter in die Tiefe, wobei er sich wie eine Katze krümmte, und prallte dann in einer unbeholfenen Rolle gegen die Decke, wobei ihm ein stechender Schmerz durch den ganzen Körper und den Kopf fuhr. Er kam vor dem länglichen Gehäuse einer erloschenen Lampe zum Liegen und wartete, bis der Schmerz wieder etwas nachließ.

Als man mich damals angeschossen hat, hab ich mich besser gefühlt, sagte er sich grimmig. Dann schluchzte er leise und betete, dass die Kopfschmerzen endlich aufhörten.

Eric wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, doch nach einer Weile ließ der Schmerz so weit nach, dass er zumindest erträglich wurde. Er kniete sich hin und zog sich zur Tür hinüber: Sie war natürlich verriegelt, und ohne Elektrizität würde sie auch nicht so leicht zu öffnen sein.

Was gibt’s sonst noch Neues?

Unter Schmerzen stand Eric auf. Er musste den Arm ausstrecken, um die Bedientafel zu erreichen, die sich normalerweise nur etwas mehr als einen Meter über dem Boden befand. Schließlich gelang es ihm, den Entriegelungshebel zu fassen zu bekommen. Er zog fest daran und öffnete die Tür einen Spaltbreit – weit genug, um die Hände in die Lücke zu stecken und die Tür weiter zu öffnen, bis er hindurchpasste. Eric verließ die Brücke und betrat den dahinterliegenden Gang, wo er sich erst einmal orientieren musste.

Moment … geht es jetzt nach links oder rechts zur nächsten Waffenkammer?

Er blinzelte und versuchte, sich zu konzentrieren. Normalerweise war das kein Problem: Durch die Tür, der Krümmung des Habitats folgen, und er würde einen Sicherheitsraum erreichen.

Im Moment stand Eric jedoch auf der Decke des Korridors, sah alles doppelt und hatte obendrein hämmernde Kopfschmerzen. Deshalb konnte er sich nicht erinnern, welche die richtige Richtung war. Er musste die rechte Hand zu Hilfe nehmen, um sich zu vergewissern.

Schließlich gelangte er zu der Erkenntnis, dass er nach links gehen musste, und in diesem Moment wurde ihm auch bewusst, dass er ein noch größeres Problem hatte.

Ach du Scheiße. Der Zylinder rotiert nicht mehr. Ich bin wieder der Erdenschwere ausgesetzt, und das bedeutet, dass dieses ganze verdammte Ding eher einem Klettergarten als einer Habitatsektion gleicht.

Er seufzte, überblickte die Situation und schüttelte langsam den Kopf. Verfluchte Scheiße.

Er ließ sich auf Hände und Knie herab und drehte sich um. Dann bewegte er sich langsam den gekrümmten Korridor entlang, bis er plötzlich ins Rutschen geriet. Eric griff schnell nach einem Türrahmen, um sich abzufangen und ruderte mit den Beinen, um zusätzlichen Halt zu finden. Dann bewegte er sich weiter.

Er hatte etwa ein Viertel der Strecke bewältigt, als er dann doch den Halt verlor, von der Kante abrutschte, auf der er balancierte, und in der Schwärze des unbeleuchteten Korridors verschwand. Und die ganze Zeit fluchte und schrie er aus voller Kehle.

Lyssa Myriano erlebte gerade die Mutter aller schlechten Tage.

Angefangen hatte er mit einem Streit, bei dem sie schließlich mit ihrem Freund Schluss gemacht hatte, und nun schien auch noch das ganze verdammte Sonnensystem beschlossen zu haben, sich im Big Apple ein Stelldichein zu geben.

Supertoll.

»Runter!«, knurrte die NYPD-Streifenpolizistin, als ein Dutzend Leute schreiend in ihre Richtung liefen.

Sie liefen auseinander, als sie die alte Remington-Schrotflinte durchlud, die sie aus dem Kofferraum ihres Streifenwagens geholt hatte. Die Schrotflintenmunition vom Kaliber 12 war zwar nicht das Neueste vom Neuen, aber sie riss verdammt noch mal trotzdem alles von den Beinen, was nicht gerade eine militärische Panzerweste trug. Deshalb hatte sie auch nie den Wunsch verspürt, auf »größere Kaliber« aufzurüsten.

Nun bereute sie diese Entscheidung jedoch.

Die Schrotflinte brüllte sechsmal auf, während sie so schnell lud und feuerte, wie sie nur konnte. Sie leerte die Waffe in das sich entfaltende Horrorszenario, vor dem die Menschenmenge floh. Die Kreaturen schienen einem Horrorfilm entsprungen zu sein, nur dass sie vielleicht noch etwas unwirklicher waren: Sie staksten auf insektenartigen Körpern einher, die das Gewicht eines großen Lkw zu haben schienen.

Oder das eines kleinen Panzers.

Lyssa stieß noch ein paar Flüche aus, während sie die Schrotflinte wegwarf und ihre Pistole zog, die schon eher als Hightech-Waffe gelten konnte: Ihre panzerbrechende Zehn-Millimeter-Munition war in der Lage, einen ungeschützten Körper regelrecht in Schweizer Käse zu verwandeln. Sie ließ sich zurückfallen, während sie schoss, und hoffte so, wenigstens einen der Invasoren aufzuhalten, damit die Leute die Gefahrenzone verlassen konnten.

Auf jeden Fall zog sie damit die Aufmerksamkeit der Angreifer auf sich.

Super. Genau das hat mir als Krönung für einen beschissenen Tag noch gefehlt.

Sie ließ den Blick schweifen und rannte dann in einer anderen Richtung los, um das Ding von den Menschenmengen weg in den Park zu locken. Sie lud die Zehn-Millimeter-Automatik reflexhaft nach, während sie um ihr Leben rannte. Der Park war so groß, dass die Dinger, die ihr auf den Fersen waren, genügend Bewegungsfreiheit hatten, ohne Gebäude – oder Menschen – umrennen zu müssen, aber das bedeutete auch, dass sie selbst wie auf dem Präsentierteller stand.

In diesem Moment hörte sie ein Zischen, und sie warf sich nach links. Ein Energiestrahl verbrannte das Gras vor ihr. Lyssa schlug eine Rolle, kam wieder auf die Füße und starrte für einen Sekundenbruchteil fassungslos auf die Einschussstelle. Dann rannte sie wieder los.

Toll! Auch noch Strahlenwaffen!

Sie tippte auf ihr Earset. »Zentrale, hier spricht Kilo Eins Neun. Ich habe einen … Zentrale, wie zum Teufel lautet der Code für eine Alien-Invasion?«

Befehlsstand der Nationalgarde,

Marine-, Luft- und Raumfahrt-

Museum Intrepid

»Sir! Bei uns gehen Meldungen aus der ganzen Stadt ein. Diese Dinger sind überall!«

»Erzählen Sie mir lieber etwas, das ich noch nicht weiß«, sagte Brigadier Potts grimmig.

Der beflissene Lieutenant wandte bei diesem Ausbruch betreten den Blick ab, wodurch sich Potts’ Stimmung aber auch nicht besserte. Außerirdische Invasoren überrannten die Stadt, und dass er eine Vorwarnzeit von vierundzwanzig Stunden gehabt hatte, ärgerte ihn umso mehr.

Sie hatten es immerhin geschafft, auf dem alten Flugzeugträger Intrepid, der seit über einem Jahrhundert vor Manhattan lag, einen Katastrophenbefehlsstand einzurichten. Dieser Ort schien auch ganz gut geeignet: zentral gelegen und zudem gut zu verteidigen. Es war ein fast zwei Jahrhunderte alter Pott, aber er war gut in Schuss und bot zudem viel Platz.

Was die Bewaffnung betraf, war die Intrepid eine Antiquität – aber was für eine.

»Sir!«

»Was ist denn, Sergeant?« Potts richtete den Blick auf seinen Command Master Sergeant, der soeben erschienen war.

»Die Berichte der Späher, Sir.«

»Und?«

»Hundertdreiundachtzig Ziele in der Stadt.«

Der General verzog das Gesicht und nickte. »Danke, Sergeant.«

»Ja, Sir. Sir?«

»Was gibt’s denn noch?«

»Wir haben Frontberichte von den Absturzstellen der Odyssey«, meldete Command Master Sergeant Rigand. »Sieht so aus, als ob sie uns noch mindestens hundert dieser Dinger vom Hals geschafft hat, bevor sie runterging.«

»Und dabei die verdammte Stadt wahrscheinlich noch stärker beschädigt hat als die verdammten Aliens«, sagte Potts knurrend und zwang sich dann, sich zu beruhigen. »Irgendwelche Anzeichen von Überlebenden, Sergeant?«

»Nein, Sir, aber ich habe eine Anfrage an das Oberkommando gerichtet und eine Antwort von CONCOM erhalten. Es heißt, die Besatzung hätte das Schiff verlassen, bevor die Odyssey in die Atmosphäre eintrat, Sir.«

»Das Schiff verlassen? Irgendjemand muss doch die Geschütze bedient haben.«

»Ja, Sir. Captain Weston ist an Bord geblieben.«

Potts schüttelte seufzend den Kopf. »Das ist eine verdammte Schande. Er war ein guter Mann. Ich habe unter mehr als einem Himmel gekämpft, den er befriedet hat.«

»Ja, Sir.«

»In Ordnung – wir haben keine Zeit, um Verluste zu betrauern. Nach dem, was die Aufklärung über diese Dinger meldet, werden wir alles verlieren, wenn wir uns nicht zur Wehr setzen. Und falls wir die Stadt nicht säubern können, bin ich autorisiert, den Beschuss mit taktischen Atomwaffen anzufordern. Wir sollten aber zusehen, dass es nicht so weit kommt. Oder, Sergeant?«

Der Command Master Sergeant wurde etwas blass, nickte aber eifrig. Er hatte während der Dienstzeit schon jede Menge erlebt – aber noch nie, dass ein amerikanischer Offizier … oder ein Offizier der Konföderation … einen Nuklearangriff auf eine Stadt befohlen hätte, von einer Stadt auf dem Heimatkontinent ganz zu schweigen. Und er hatte auch nicht die geringste Lust, das jetzt zu erleben.

»Wir werden diese verdammten Biester ausradieren, Sir. Garantiert.«

»Dann tun Sie das, Sergeant. Bis zum Letzten«, sagte Potts nur. »Bis zum Allerletzten.«

NACS Odyssey,

Kommandohabitat

Eric öffnete in der Dunkelheit die Augen und leckte sich die Lippen. Er lag noch immer auf dem Boden im inneren Abschnitt des Habitats.

Wenigstens muss ich jetzt nicht mehr auf der Decke herumspazieren.

Er hatte nicht die geringste Lust, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Doch wenn es im Moment auch noch so angenehm schien, hier im Dunkeln zu liegen, raffte Eric sich auf die Knie. Das Aufstehen fiel ihm diesmal leichter, war aber immer noch eine ziemliche Qual. Er hielt inne und lehnte sich an die Wand. Das Habitat rotierte vor seinen Augen, und er versuchte, die schiere Ironie dieses Gedankens zu ignorieren.

Irgendwo in der Nähe muss eine Sicherheitsstation sein …

Er tastete sich an der Wand voran und ging an der Krümmung des Habitats entlang wieder nach oben. Die Waffenkammer war nicht schwer zu finden: Es war die doppelt verstärkte Tür. Ohne Strom konnte der Entriegelungsmechanismus nicht funktionieren. Eric drückte auf die Zugangsplatte der Tür und vergewisserte sich schnell, dass es hoffnungslos war.

Er koppelte die Stromversorgung seines Anzugs mit der Tür, bis der Schlosscomputer wieder hochfuhr und er den Code eingeben konnte. Eric brauchte nur drei Versuche, um die richtigen Zahlen einzugeben. Was seiner Ansicht nach nicht schlecht war, wenn man bedachte, dass er im Moment alles dreifach sah.

Ich muss einfach die Taste in der Mitte drücken.

Die Tür öffnete sich zischend, und er schlüpfte hindurch. Er versuchte seitlich zu gehen, ohne dabei wie ein Betrunkener zu schwanken.

Und dann hatte die ganze Mühe sich doch gelohnt, als seine Hände schließlich etwas Vertrautes berührten.

Hallo, meine Schöne.

Central Park

Ich hätte doch auf der Straße bleiben sollen! Wenigstens hätte ich dort einigermaßen Deckung gehabt.

Die Pistole war längst leer geschossen, und Lyssa hatte nicht einen Feind erledigt. Aber sie war sich verdammt sicher, dass sie sie ziemlich verärgert hatte. Das verbuchte sie auf der Habenseite: Wenn sie sie verfolgten, verfolgten sie niemand sonst. Trotzdem war das eher ein Pyrrhussieg.

Sie war erschöpft, müde, und allmählich verließen sie auch die Kräfte, doch sie rannte noch immer stetig in Richtung Central Park West. Der verdammt große Zylinder, der da vom Himmel gefallen war, hatte ein paar Morgen Baumbestand vernichtet und ihr somit einen Pfad gebahnt, Bewegungsfreiheit und zugleich auch Deckungsmöglichkeiten verschafft. Zu ihrer eigenen Verwunderung verließ sie jedoch besagte Deckung und lief auf die Straße. Das Areal war mit Schutt und zerstörten Autos übersät und fast unpassierbar. Aber es gab auch etwas sehr Erfreuliches zu sehen. Lyssa legte einen letzten Sprint hin und versteckte sich hinter dem NYPD SWAT-Einsatzfahrzeug. Dann ging sie in die Knie und in Deckung, während eine vertraute Gestalt grinsend auf sie herabsah.

»Du bist spät dran, Myriano.«

»Ach, halt doch einfach das Maul. Lass du dich mal von diesen Bastarden durch den ganzen verdammten Park hetzen!«

Lyssa brachte die Atmung wieder unter Kontrolle, nahm ein Sturmgewehr entgegen und kontrollierte das Magazin.

»So schnell sind sie nun auch wieder nicht«, sagte John, der noch immer vor ihr stand.

»Mit einer solchen Feuerkraft können sie sich aber auch Zeit lassen«, sagte sie verdrießlich. »Sie hätten mich im Park fast dreimal erwischt, und dabei bin ich mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt auf mich gezielt haben. Wo zum Teufel steckt eigentlich die Nationalgarde?«

»Die ganze Stadt ist unpassierbar«, sagte John mit einem Achselzucken. »Sie müssen erst mal jedes Auto überprüfen, bevor sie mit ihren Panzern drüberrollen.«

»Sie rollen mit den Panzern … willst du mich verscheißern?«, fragte Lyssa mit großen Augen.

»Es würde viel länger dauern, alle Fahrzeuge zu versetzen, glaub mir.«

Lyssa blickte grimmig, konnte ihm aber nicht widersprechen. So verstopft wie die Straßen offensichtlich waren, hatten die großen insektenartigen Dinger auf jeden Fall einen deutlichen Mobilitätsvorteil und waren wohl auch in der Lage, über die Autos hinwegzuschreiten oder sie in den Boden zu stampfen. Die Nationalgarde würde mit den Panzern langsamer vorankommen, zumal sie wusste, dass sie noch immer antiquiertes Gerät in ihrem Arsenal hatte.

Und ich stehe hier mit einer lausigen M-4C in der Hand. Ich bin gerade die Richtige, um anderen den Einsatz veralteter Ausrüstung vorzuwerfen.

Nur eine Handvoll NYPD-Beamter, allesamt SWAT-Angehörige, hatten Militärwaffen erhalten. Moderne Gefechtsausrüstung hatte eine viel zu hohe Zerstörungskraft, um sie unter normalen Umständen in einer Stadt einzusetzen. Zudem hatte sich die Militärtechnik für urbane Kriegsführung in über hundert Jahren im Wesentlichen nicht geändert. Sie war zwar fortschrittlicher in Bezug auf Optik, Kommunikation und Rechenkapazität, doch eine Kugel blieb eine Kugel – und die meisten Polizeikräfte benutzten noch immer Waffen mit demselben Kaliber, das auch die vorherigen Generationen schon benutzt hatten.

Es war einfach kostengünstiger.

»Da kommen sie! Erst feuern, wenn sie in Reichweite sind!«, rief John und stützte sein Gewehr auf der Panzerung des SWAT-Einsatzfahrzeugs ab.

Lyssa rappelte sich auf, bezog neben ihm Position und blickte ebenfalls durch das Reflexvisier ihres M-4C-Gewehrs. Der Feind machte sich nicht die Mühe, sich anzuschleichen – auf ihrem Vormarsch rissen die Insekten sogar Bäume aus, sodass eine präzise Zielerfassung ein Kinderspiel war. Sie hoffte nur, dass sie auch genug Feuerkraft hatten, um ihnen ordentlich einzuheizen.

»Bereit machen!«, rief John, als die erste der fremdartigen Bestien in Central Park West auftauchte. »FEUER!«

Die Luft wurde vom Stakkato der Salven aus automatischen Waffen zerrissen, als fünfzehn Polizisten aus allen Rohren das Feuer eröffneten.

Befehlsstand der Nationalgarde,

Marine-, Luft- und Raumfahrt-

Museum Intrepid

»Wir erhalten Meldungen von Kämpfen in der ganzen Stadt, Sir. Im Moment sind hauptsächlich Zivilisten und Polizisten darin verwickelt.«

»Warum sind meine Einheiten noch nicht in Position, Lieutenant?«, fragte Potts grimmig.

»Es gibt kein Durchkommen mehr in der Stadt, Sir. Und es dauert eben, sich einen Weg durch dieses Chaos zu bahnen.«

Der General knurrte, doch war das hauptsächlich ein Ausdruck der Frustration. Er wusste, wie schwierig es war, selbst unter den günstigsten Umständen Militärfahrzeuge durch eine Stadt zu manövrieren; und was er nun in New York vorfand, waren alles andere als günstige Umstände. Die Aliens waren schon beim ersten Angriff tief in die Stadt vorgestoßen, hatten einige Gebäude eingerissen und eine nicht enden wollende Panik verursacht. Und nun hatte er Millionen verlassener – oder hoffentlich verlassener – Autos, die jede Straße und Gasse in der ganzen verdammten Stadt blockierten.

Seine Männer bahnten sich einen Weg durch dieses Chaos. Sie hatten den Befehl, ohne Rücksicht auf Privateigentum vorzugehen. Selbst wenn man Räumschilde an den Panzerwannen anbrachte, war es einfach nicht möglich, eine Straße unter einem bestimmten Zeitlimit zu räumen.

»Es kommt noch dicker, Sir«, teilte Lieutenant Sky ihm mit. »Wir registrieren beunruhigende Signale in unseren seismischen Systemen.«

»Sie kennen die Befehle. Schicken Sie einen Großverband ins U-Bahn-Netz und scheuchen Sie sie wieder an die Oberfläche«, befahl Potts. »Gehen Sie so feinfühlig vor wie möglich, aber tun Sie es.«

»Ja, Sir. Die Leute kommen in den Tunnels sowieso schneller voran als oberirdisch. Alles, was dort unten ist, hat höchste Priorität.«

Potts grunzte. Wenigstens war das mal eine positive Nachricht. Er wünschte sich, noch mehr Einheiten in die Tunnels schicken zu können. Doch ganz davon abgesehen, dass sie noch immer Zivilisten durch die Tunnels evakuierten, war es völlig ausgeschlossen, seine gepanzerten Einheiten auf diesem Weg in die Stadt zu bringen.

Außerdem ging aus den nachrichtendienstlichen Erkenntnissen der Odyssey hervor, dass der Feind dazu neigte, sich einzugraben, und diesen Umstand wollte Potts sich taktisch zunutze machen. Diesbezüglich war die Erde vom Glück begünstigt, denn es gab keinen Quadratzoll auf dem ganzen Planeten, der nicht von seismischen Scannern abgedeckt worden wäre. Potts wusste auch, dass das Verteidigungsministerium Zugang zu jedem einzelnen dieser Geräte hatte.

Zum Teufel, sogar China speiste seine seismischen Daten ins weltweite Netzwerk ein. Die Vorhersage von Erdbeben, die eine Stadt bis in die Grundfesten erschüttern konnten, war wohl etwas wichtiger als kleinliche politische Überlegungen. Zwar erschwerte die gemeinsame Datennutzung mit dem Gegner die Geheimhaltung, doch der Feind, den er nun auf dem Radar hatte, war definitiv von einem anderen Kaliber als der Block und seine Verbündeten.

Potts hörte, dass wieder eine Luftabwehrstellung Sperrfeuer schoss, und blickte reflexartig auf. Die Boden-Luft-Raketen waren dafür konzipiert, chinesische Interkontinentalraketen abzufangen, und wurden von einem U-Boot der Leviathan-Klasse abgefeuert, das irgendwo vor der Küste auf der Lauer lag. Er verfolgte die Raketen mit den Augen, und dann entdeckte er auch ihre Ziele am Himmel.

Acht Bahnen, soweit er es sehen konnte, die auf die Stadt Kurs nahmen. Entweder New York oder Jersey, dachte er.

Die Abwehrraketen trafen auf ihre Ziele, und Lichtblitze loderten am Himmel auf. Als es vorbei war, setzten nur noch drei Feinde ihren Anflug fort.

Sie wollen definitiv nach New York.

»Sagen Sie der Flugabwehr, dass ich allen einen Drink spendiere, wenn sie diese drei Arschlöcher vom Himmel holen, bevor sie landen können.«

»Ja, Sir!«

Die ganze Sache gefällt mir immer weniger. Falls diese Bastarde es auf einen Kampf abgesehen haben, wünschte ich mir, sie hätten sich ein anderes Schlachtfeld ausgesucht.

Central Park West

»Die laufen einfach weiter, als wären wir gar nicht da!«

Lyssa verzog das Gesicht, da konnte sie ihrem Vorgesetzten nicht widersprechen. Ihre Waffen versetzten den feindlichen Monstern – oder was auch immer sie waren – bestenfalls Nadelstiche, und das war noch eine optimistische Sichtweise.

»Haben wir denn nichts Schwereres?«, wollte sie wissen.

»Ich glaube, wir haben noch eine Kaliber .50 im Wagen.«

Lyssa schnaubte und warf ihr M-4C weg. »Warum zum Teufel haben Sie das nicht gleich gesagt?«

»Weil das ein verdammtes Scharfschützengewehr ist und uns diese Dinger bald erreicht haben!«

Sie riss die Hecktür des SWAT-Fahrzeugs auf, kletterte hinein und sah sich um. Wie viele ihrer Kollegen war auch Lyssa Myriano eine Veteranin des Blockkriegs. Sie hatte einen Großteil ihres Lebens bei den Marines verbracht, und der Umgang mit großkalibrigen Waffen war ihr quasi zur zweiten Natur geworden.

Die besagte Kaliber .50 war ein älteres FN-Modell Hecate IV, eine halb automatische panzerbrechende Waffe. Bis jetzt hatte das NYPD noch keine Verwendung dafür gehabt, und sie hatte das verdammte Ding auch noch nie im Einsatz gesehen. Es verschoss Projektile, die ganze Gebäude durchschlagen konnten, um Gottes willen – doch im Moment war Lyssa froh, dass sie die Kanone hatten.

»Bring mir eine Munitionskiste, John«, sagte sie knurrend und schleppte die schwere Waffe nach draußen. »Und ich brauche einen Späher!«

»Einen was?«, fragte John, während er das passende Kaliber heraussuchte.

»Ich mach das.«

Sie drehten sich beide überrascht um. Ein SWAT-Beamter schnappte sich ein Fernrohr aus dem Fahrzeug und folgte ihnen. Lyssa nickte ihm zu, während sie das Stativ ausklappte und das Gewehr auf der Motorhaube des Fahrzeugs platzierte. Sie ignorierte dabei das unheimliche Zischen der feindlichen Waffen, die die Stadt unter Beschuss nahmen.

»Können Sie überhaupt damit umgehen?«, fragte der SWAT-Mann und betrachtete das schwere Gewehr.

»Im Schlaf. Können Sie denn damit umgehen?«, entgegnete sie und warf mit einem verschmitzten Lächeln einen Blick auf das Fernrohr des Spähers.

»Na, dann passen Sie mal auf«, erwiderte er trocken, steckte das Fernrohr aufs Stativ und platzierte es auf dem Dach des Fahrzeugs. Dann setzte er das Auge ans Okular. »Ziel bei zwölf Uhr. Entfernung einhundertfünfzig Meter.«

»Verstanden. Können Sie irgendwelche lebenswichtigen Organe erkennen?«

»An diesem Ding? Da bin ich überfragt.«

Lyssa seufzte. »Na gut. Ich werde auf die rote knotenförmige Verdickung schießen, das Gelenk des Vorderbeins an der … Schulter oder was das auch immer sein mag.«

»Verstanden.«

Sie atmete aus und nahm eins der krummen Beine ins Visier. Dann betätigte sie den Abzug und versuchte, in Erwartung des Rückstoßes nicht zusammenzuzucken. Das Gewehr brüllte auf, schlug ihr heftig gegen die Schulter und stieß sie etwa fünfzehn Zentimeter weit zurück. Dadurch verursachte sie eine tiefe Schramme im schwarzen Lack des Einsatzfahrzeuges.

»Treffer«, rief der SWAT-Mann. »Aber noch zu hoch und zu weit rechts. Justieren Sie die Seitenverstellschraube und drehen Sie den Höhenrichttrieb um zwei Raststufen nach unten.«

»Irgendeine Reaktion?«, fragte Lyssa, während sie einen Knopf am Zielfernrohr drehte und den Blick auf eine entfernte Markierung richtete.

»Es scheint stinksauer zu sein.«

Sie sah noch einmal durchs Zielfernrohr und stellte fest, dass die Kreatur tatsächlich stinksauer war. Das Alien vollführte einen regelrechten Veitstanz und riss dabei wie ein Berserker den Boden auf. Schließlich grinste sie. »Das Ding ist nicht sauer, Soldat. Es hat Schmerzen.«

»Verstanden. Wollen Sie noch mal schießen?«

»Aber sicher.« Sie sah wieder durchs Zielfernrohr. »Feuer.«

»Verstanden.«

Das Gewehr brüllte erneut auf und versetzte ihr einen heftigen Schlag gegen die Schulter.

»Treffer.«

Sie nahm das Ziel erneut ins Visier. »Feuer.«

»Verstanden.«

Das Gewehr brüllte ein drittes Mal auf, und diesmal zuckte sie vor Schmerz zusammen. Dieses Gewehr zu bändigen fiel schon einem starken Mann schwer, und sie mit ihren fünfundsechzig Kilo spürte jedes Pfund des Rückstoßes der Waffe.

»Treffer! Vernichtet!«

Sie sah durchs Zielfernrohr und stellte fest, dass er recht hatte. Das Alien war nach dem dritten Schuss zu Boden gegangen. »Ist es tot?«

»Ich glaube schon«, bestätigte der SWAT-Beamte. »Es bewegt sich nicht mehr. Ich glaube, Sie haben es erledigt.«

»Gut. Dann der Nächste«, sagte sie knurrend und positionierte die Waffe neu. »Dort.«

»Bestätigt«, sagte er und sah durchs Fernrohr. »Entfernung … hundert Meter.«

»Verstanden.« Sie machte sich nicht einmal die Mühe, die Einstellungen ihres Zielfernrohrs zu ändern.

Auf eine Entfernung von hundert Metern konnte man ein Ziel von dieser Größe mit der Hecate praktisch nicht verfehlen. Sie beobachtete das Alien durch das Visier, als sie plötzlich ein Hitzeflimmern an seinen Mandibeln bemerkte.

»In Deckung!«, rief sie, ließ sich hinter das Einsatzfahrzeug fallen, und dann erfüllte auch schon das vertraute Knistern eines Energiestrahls die Luft.

Männer und Frauen ließen sich auf ihr Kommando auf den Erdboden fallen und suchten Deckung, doch nicht alle reagierten schnell genug. Ein Strahl wanderte über die Straße, verbrannte zwei Polizisten zu Asche und erreichte das SWAT-Fahrzeug, das ein paar Meter von ihr entfernt stand. Die Panzerung des Einsatzfahrzeuges hielt dem Strahl ganze drei Sekunden lang stand, bevor es von einer Explosion erschüttert wurde und auf die Seite kippte.

Lyssa verzog das Gesicht und wandte sich ab.

Alle, die hinter dem Fahrzeug Deckung gesucht hatten, waren nun von ihm zerquetscht worden.

»Heilige Scheiße«, flüsterte John.

»Wir brauchen schwerere Waffen«, sagte Lyssa und schluckte. »Verständigen Sie die Nationalgarde. Sagen Sie ihnen, dass wir diese Stellung nicht halten können.«

John starrte sie schockiert und verständnislos an, aber der SWAT-Mann nickte und tippte auf sein Earset.

Lyssa riskierte einen Blick über die Motorhaube des Fahrzeugs. Die Dinger kamen aus dem Park auf die Straße. Sie bückte sich und baute die Hecate wieder auf. »John … vielleicht sollten Sie abhauen.«

»Was?«

»John«, sagte sie zu ihrem Vorgesetzten und leckte sich über die Lippen, »wenn ich jetzt das Feuer auf diesen Bastard eröffne, werden die anderen eine Dreieckspeilung vornehmen und sich mit vereinten Kräften auf diese Stellung stürzen. Dann dürfte es hier ausgesprochen unangenehm werden.«

»Und was ist mit Ihnen?«, fragte er.

»Jemand muss die Stellung halten, bis die Nationalgarde hier eintrifft«, sagte sie knapp. »Und nun verschwinden Sie verdammt noch mal von hier und helfen Sie bei der Evakuierung!«

Sie schob ihn weg, wandte sich wieder dem Gewehr zu und zog das halb leere Magazin heraus. Dann rammte sie energisch ein volles Magazin in die Waffe und lud eine Patrone in den Lauf. Sie würde jeden einzelnen Schuss für die Bekämpfung der Ziele brauchen, falls ihre Vermutung zutraf. Der SWAT-Mann trat neben sie, doch sie schüttelte nur den Kopf. »Ich glaube, ich brauche keinen Späher mehr, Kumpel. Sie können sich genauso gut vom Acker machen.«

Er sah sie an. »Wollen Sie das ganz alleine durchziehen?«

Sie erwiderte seinen Blick nicht, sondern spähte unverwandt durch das Zielfernrohr. Statt einer Antwort summte sie »I love Rock ’n’ Roll«.

»Wird Zeit für Sie zu verschwinden, Kumpel«, sagte sie. Ihre Nerven drohten allmählich zu versagen.

»Alex.«

»Wie meinen?«

»Mein Name ist Alex«, sagte er und hob seine Ausrüstung auf. »Ich würde Ihnen das Gewehr ja gerne abnehmen und selbst die Stellung halten, aber ich glaube, dass ich heute noch genug Gelegenheit dazu bekomme.«

»Ich bin Lyssa, Alex. Semper fi«, sagte sie nur. »Sie haben ungefähr zwanzig Sekunden. Los jetzt.«

»Eine Marine. Hätte ich mir denken können«, sagte Alex mit einem glucksenden Lachen und holte einen Rucksack aus dem Einsatzfahrzeug. »In Ordnung, ich bin weg. Sie schießen das Magazin leer und laufen dann zu den Gebäuden da drüben. Ich werde Ihnen Deckung geben.«

»Verstanden«, sagte sie. »Hauen Sie jetzt ab.«

Und er haute ab.

Sie gab ihm die vollen zwanzig Sekunden, obwohl sie schon ein paar mit Reden vergeudet hatten, und dann nahm sie das nächste der Alien-Monster ins Visier und zwinkerte ihm durchs Zielfernrohr zu.

»Meine Güte, was bist du doch für ein Wonneproppen«, flüsterte sie und krümmte den Finger um den Abzug. »Viele Grüße von Hecate, der Göttin der Wegkreuzungen.«

Das große Gewehr brüllte auf, und diesmal ertrug sie den Rückstoß, ohne den Blick vom Visier zu nehmen. Sie feuerte sofort wieder, nachdem sie das Ziel grob erfasst hatte. Die Hecate IV verfügte zwar über die modernste Technik für die Rückstoßdämpfung, aber das Gewehr schlug dennoch aus wie ein wild gewordenes Maultier. Lyssa ignorierte es trotzdem und verpasste ihrem Ziel weniger als zwei Sekunden nach dem ersten Schuss schon den dritten. Dann nahm sie den nächsten Eindringling aufs Korn. Sie würde wohl von Glück reden können, wenn sie am nächsten Morgen nur ein paar Blutergüsse hatte.

Sie verpasste dem nächsten Ziel noch drei Schüsse und suchte sich dann das nächste, ohne sich zu vergewissern, ob sie die ersten beiden überhaupt erledigt hatte. Sie hatte keine Zeit, die Abschüsse zu bestätigen, und nach ein paar Sekunden wurde Nummer drei die gebührende Aufmerksamkeit zuteil.

Wenigstens sind sie so verdammt groß. Da erübrigt sich das Zielen beinahe.

Was, wie sie nun erkannte, auch daran lag, dass sie viel näher waren, als sie zunächst angenommen hatte. Nachdem sie die eine Patrone im Lauf und neun aus dem Magazin verschossen hatte, blieben ihr noch zwei Schuss. Während sie sich noch fragte, wen sie sich jetzt vorknöpfen sollte, sträubten sich ihr die Nackenhaare, als plötzlich wieder dieses vertraute laute Zischen eines Energiestrahls ertönte. Lyssa hechtete zur Seite und ließ die Hecate stehen. Dann traf ein Strahl das SWAT-Fahrzeug und tranchierte das Wrack wie einen Truthahn. Sie rollte sich auf dem Erdboden ab und kam wieder auf die Füße, während Teile des schwarzen Fahrzeugs um sie herum herabregneten.

Lauf, Mädchen, lauf!

Sie wusste nicht, ob sie sie nun doch entdeckt hatten, oder ob sie über Bewegungssensoren verfügten – auf jeden Fall wurde die Luft wieder von diesem hässlichen Zischen erfüllt, als sie losrannte. Lyssa drehte sich nicht danach um. Unter ständigem Beschuss flitzte sie in die nächste Seitenstraße, wo sie Mündungsfeuer aus vielen Rohren aufblitzen sah.

Auf Gewehrfeuer zuzulaufen fiel selbst einer Polizistin und ehemaligen Marineangehörigen schwer. Aber sie duckte sich nur möglichst tief und rannte weiter. Ein von der Seite kommender Strahl fräste vor ihr eine Furche in den Asphalt, und sie musste darüber hinweghechten. Lyssa landete hart, aber wenigstens lebendig auf dem Boden und rollte sich hinter einen Zementquader, der entweder durch den Beschuss der feindlichen Waffen oder durch den Absturz des großen Raumschiffs abgebrochen worden war, das nur ein paar Dutzend Meter entfernt lag. Darüber zu spekulieren war müßig; sie ging dahinter in Deckung und betete, als sie wieder dieses Zischen hörte.

Der Zement knackte unter der Hitzeeinwirkung des Strahls und zeigte auch schon erste Risse. Seltsamerweise fragte sie sich, ob diese Strahlen vielleicht radioaktiv waren. Sie hatte gerade beschlossen, einen Ausbruch zu wagen, auch wenn das wohl ein hoffnungsloses Unterfangen war, als plötzlich eine Explosion die Luft zerriss und sie ebenso schockiert wie ehrfürchtig nach oben blickte.

Und da war sie nicht die Einzige. Sie hörte, dass die Strahlenwaffe verstummte. Das unheimliche Trampeln der schweren Füße der Alien-Monster verstummte, als sie ebenfalls zum Himmel aufblickten.

Etwa auf halber Höhe der Krümmung des Habitatzylinders der Odyssey, ungefähr dreißig Meter von der Straße entfernt, war ein sauberes Loch in die Hülle gestanzt worden. Und als der Rauch sich verzog, erkannte Lyssa eine Gestalt, die ins Freie hinaustrat. Die Gestalt hielt inne – sie schien auf sie herabzusehen, dann wanderte ihr Blick über den Park hinter dem Schiff, und schließlich verschwand sie wieder.

Lyssa wusste nicht, was sie davon halten sollte, doch bevor sie sich deshalb noch den Kopf zerbrechen konnte, erschien die Gestalt wieder. Diesmal hatte sie einen großen Gegenstand geschultert.

»Ach du Scheiße«, murmelte sie, kurz bevor die Gestalt den Abzug des MLARS – eines Mehrfachraketenwerfers der neuesten Generation – betätigte und zwanzig Hochrasanz-Raketen im Park verteilte.

Eric ließ den MLARS nach dem Feuern nach vorn wegkippen, ohne sich zu vergewissern, ob er getroffen hatte. Mehr konnte er in diesem Fall nicht tun. Er warf den Einweg-Raketenwerfer weg; die Waffe fiel aus der provisorischen Tür, die er mit einer panzerbrechenden Ladung in die Schiffshülle gesprengt hatte. Dann ging er auf die örtlichen Militärsprechfunk-Kanäle und hob die GWIZ der Priminae auf.

»Strykers, Strykers, ich fordere Feuerunterstützung an. Central Park West. Ich lokalisiere die Ziele«, rief er. »Ich wiederhole, Feuerunterstützung. Central Park West. Lokalisiere Ziele.«

»Wer spricht dort? Wir haben keine Einheiten in Central Park West. Identifizieren Sie sich.«

»Captain Eric Stanton Weston, Kommandant des Sternenschiffs Odyssey der Nordamerikanischen Konföderation«, sagte er und atmete dann tief durch. »Ich korrigiere mich, der ehemalige Kommandant.«

Es trat eine längere Pause im Netzwerk ein, bevor die Stimme sich wieder meldete.

»Identität bestätigen.«

Eric beantwortete die Sicherheitsabfrage mit dem entsprechenden Gegenzeichen, während er seine Ausrüstung fertig machte. Er wusste, dass es jetzt nur noch ein paar Sekunden dauern würde.

»Identität bestätigt … Captain Weston, Sie bekommen Feuerunterstützung.«

»Verstanden. Ich bitte um Luftunterstützung für meine Position. Ich markiere die Ziele.«

»In Ordnung. Luftunterstützung ist unterwegs.«

»Hurra«, sagte er, aktivierte ein paar Taschen-Drohnen und warf sie aus dem Schiff. Die winzigen Fluggeräte verschwanden summend im Luftraum über Central Park West, wobei sie die Ziele erfassten, die er ihnen zugewiesen hatte. »Ziele markiert. Macht sie platt«

»Gehen Sie in Deckung, Captain. Gleich ist bei Ihnen der Teufel los.«

»Nein, mein Sohn«, sagte Eric so laut, dass seine Stimme aus den Lautsprechern des Anzugs und aus dem Funkgerät dröhnte. »Der Teufel ist bereits los.«

 

 

1

Zweihundert Meter unter 1600

Pennsylvania Avenue,

Washington, D.C.

»Wir haben bestätigte Landungen in Großstädten auf dem ganzen Planeten, Mr. President.«

»Washington?«, fragte der Mann am Kopfende des Tisches angespannt.

»Nein, Sir. Die hiesige Luftabwehr ist so engmaschig wie kaum eine andere auf der Welt. Es ist uns gelungen, sie abzuschießen, bevor sie eine Höhe von neuntausend Metern unterschreiten konnten. Bisher zumindest.«

Präsident Mitchell Conner nickte müde und bedeutete dem General mit einer Handbewegung fortzufahren.

»Für New York sind aber schon über hundert Landungen bestätigt. Für Los Angeles beinahe fünfhundert. Und in Peking sind es wahrscheinlich schon fast tausend. Soweit wir das sagen können, haben die Aliens es vor allem auf Ballungsräume abgesehen. Und je größer sie sind, desto zahlreicher die Invasoren.«

Conner blickte grimmig. »Wieso sind es in New York dann nur hundert?«

»Sind es auch nicht«, sagte der General. »Nach unseren Zählungen sind es in New York dreihundert, vielleicht sogar noch mehr.«

»Hatte die Luftabwehr Glück?«

»Nein Sir, Mr. President. Die Odyssey ist über der Stadt runtergegangen«, sagte der General. »Und sie hat dabei aus allen Rohren gefeuert«, fügte er noch hinzu.

Conner seufzte und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Als er sie wieder herunternahm, waren sie feucht und rochen nach Schweiß.

»Ein Soldat bis zum Ende«, sagte er schließlich. »In Ordnung. Wie sieht es mit unseren Einheiten am Boden aus?«

»Auf dem Festland, Sir? Nicht gut. Die meisten unserer Einheiten sind in Übersee stationiert. Wir haben noch zwei Trägerkampfgruppen auf Abruf, aber wir können es nicht riskieren, unsere Präsenz an den Orten zu schwächen, an denen sie unter Umständen landen werden. Wir müssen unbedingt jedes einzelne von diesen Dingern erwischen.«

Das konnte Conner nicht stark genug betonen. Er hatte die Berichte gelesen und wusste, was passieren würde, wenn sie auch nur eins von diesen Dingern verfehlten. Und ein Teil des Berichts hatte sich besonders tief in sein Gedächtnis eingegraben.

»Sie sagen, sie wählen ihre Ziele nach der Populationsdichte aus?«

»Ja, Sir.«

»Was ist dann mit China und Indien?«

China und Indien bildeten das Rückgrat des Blocks, das den ganzen politischen Koloss stabilisierte. Wenn beide Staaten auch über eine starke Luftabwehr verfügten, war sie doch nicht so effektiv wie die Systeme der Konföderation.

Allerdings machten diese beiden Länder zusammen mehr als die Hälfte der Population des ganzen Planeten aus. Deutlich mehr als die Hälfte.

»Annähernd achtzig Prozent der bestätigten planetaren Landungen sind in diesen beiden Ländern erfolgt, Sir.«

»Scheiße«, fluchte der Präsident und zuckte dann reflexartig zusammen, als er sich in Erinnerung rief, dass seine unpräsidiale Wortwahl für die Nachwelt aufgezeichnet wurde.

»Das trifft es in etwa, Sir.«

»Ich will den Block-Botschafter in einer Viertelstunde hier sehen.«

»Sir, dies ist eine Sicherheitseinrichtung …« Beinahe wie aus dem Nichts trat ein Mann in einem schwarzen Anzug vor, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.

»In einer Viertelstunde.«

Der General sah seinem obersten Befehlshaber für eine Weile in die Augen und richtete den Blick dann auf den Secret-Service-Agenten, der diesen Widerspruch eingelegt hatte. Es gab nur wenige Leute im engeren Zirkel des Präsidenten, die es gewagt hätten, ihm zu widersprechen. Der diensthabende Geheimdienstagent war so jemand.

Diesmal aber nicht. Nach einer halben Minute nickte der Mann schließlich. »Jawohl, Mr. President.«

Der Schutzbunker unter dem Weißen Haus war einer der am stärksten verteidigten Orte auf dem Planeten. Man benötigte schon eine Einladung, nur um zu den Scannern zu gelangen, die die erste Verteidigungslinie darstellten. Ohne eine solche Einladung spielte man schon mit dem Leben, wenn man nur daran dachte, zu diesem Bunker vorzudringen.

Aus offensichtlichen Gründen hatte der Botschafter des Blocks nie eine solche Einladung erhalten, und er hatte auch nie damit gerechnet. Nachdem er die Scanner ein paarmal gesehen hatte, hatte er sich das aus dem Kopf geschlagen. Der Nachrichtendienst des Blocks wusste nicht, was sich hinter diesen Scannern verbarg, aber sehr wohl, was mit jemandem geschah, der unbefugt in diesen Bereich einzudringen versuchte.

Und nun wurde Shi Wan Jung nicht nur zu den Scannern geführt, sondern er passierte sie sogar durch ein Expresssystem, von dem er bisher nichts gewusst hatte. Er befand sich schon im Aufzug auf dem Weg nach unten, bevor er sich bewusst wurde, dass man ihn überhaupt nicht gescannt hatte.

Nicht dass er irgendetwas zu verbergen gehabt hätte – natürlich nicht –, aber ein bisschen seltsam kam es ihm doch vor.

»Vergessen Sie’s.«

»Verzeihung?«, sagte er zum Mann in Schwarz neben sich. Er war völlig perplex.

»Ich sagte, vergessen Sie’s«, wiederholte der Mann. »Sie tragen eine Brieftasche, drei Kreditkarten, vierhundertachtzig Dollar in bar und Ihre Visitenkarten bei sich. Außerdem haben Sie einen GPS-Transponder im Gürtel und einen weiteren im Enddarm implantiert. Das Gerät im Gürtel verfügt über eine Aufzeichnungsfunktion. Beide Geräte funktionieren hier unten nicht.«

Shi blinzelte und musterte den Mann gründlich, bevor er etwas sagte. »Sie haben meinen Stift vergessen.«

»Diesen Stift vielleicht?«, fragte der Mann und hielt das fragliche Objekt hoch.

Shis Hand glitt in die Jackentasche, aber das war nur eine Reflexhandlung. Er kannte seinen Schreibstift schließlich gut genug, um zu wissen, dass es keine Nachbildung war, die er da sah.

Der Secret-Service-Mann drückte leicht darauf, und eine zehn Zentimeter lange Nadel schnellte aus der Spitze. Er drehte sie um und nickte mit Kennerblick. »Nettes Neurotoxin. Tödlich?«

»Lähmend«, korrigierte Shi leicht pikiert.

Er war nicht verärgert, weil sie sich den Stift geschnappt hatten. Im Gegenteil, damit hatte er gerechnet. Es gefiel ihm nur nicht, dass sie ihn ohne sein Wissen entwendet hatten. Das verletzte seinen professionellen Stolz.

»Schön. Sie bekommen ihn wieder, wenn Sie gehen.«

»Behalten Sie ihn«, sagte Shi schnaubend. »Ich werde mir einen anderen aus dem Arsenal holen.«

»Danke, aber das GPS und die Mikro-Wanze machen ihn zu einem Sicherheitsproblem.« Der Agent lächelte verschmitzt.

Shi seufzte. »Dann vernichten Sie ihn. Ich werde ihn jedenfalls nicht mehr zu meiner Botschaft zurückbringen, nachdem Sie daran herumgefummelt haben.«

»Wie Sie wünschen. Wir sind da«, sagte der Agent und blickte mit einem Kopfnicken auf die sich öffnenden Türen.

Shi trat aus dem Aufzug hinaus ins Allerheiligste des NAC-Nachrichtendiensts. Er ließ den Blick schweifen und versuchte, sich alles einzuprägen, was er sah. Eine solche Gelegenheit bekam man schließlich nicht alle Tage.

Andererseits stand das Ende der Welt bevor, und die alten Regeln galten nicht mehr.

»Hier entlang, Sir«, sagte der Agent und wies ihm den Weg. »Der Präsident wünscht Sie zu sprechen.«

Präsident Conner musterte den Mann, der ihm gegenüber Platz nahm. Sie saßen in einer perfekten virtuellen Nachbildung des Oval Office, bis hin zu den Fenstern, die eine Echtzeit-3-D-Darstellung der Vorgänge vor dem realen Büro zeigten. Dieser Ort war hauptsächlich für Übertragungen und Ansprachen im Katastrophenfall konzipiert, um dem Volk ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln – so konnte der Präsident den Menschen demonstrieren, dass er die Ruhe bewahrte und im Büro seine Arbeit machte, wie man es von ihm erwartete.

Das war eine nicht ganz so subtile Übung in Propaganda und Manipulation der Bevölkerung und Teil eines Systems, das Conner sein Leben lang verachtet hatte – auch nachdem er selbst ein Teil davon geworden war. Nun hatte die Projektion jedoch die etwas subtilere Funktion, seinem Gast zu verdeutlichen, mit wem er es hier zu tun hatte. Auch wenn Conner das im Grunde für überflüssig hielt, zählte jede noch so kleine Nuance, und die unterschwelligen Botschaften waren oftmals die, mit denen man nicht rechnete.

Als sich Jung setzte, gab er sich betont entspannt und leicht desinteressiert. Das war das klassische politische Gehabe, und für solche Mätzchen hatte der Präsident jetzt wirklich keine Zeit.

»Die Flugzeugträgerkampfgruppe Reagan befindet sich im Südchinesischen Meer«, sagte er, was ihm auch sofort einen scharfen Blick seines Gastes einbrachte, »und die Clinton steht im Persischen Golf. Ihre Feuerkraft reicht aus, um drei Länder gleichzeitig zu pulverisieren, und sie befinden sich auch in Angriffsreichweite jeder Megacity des Blocks auf dem Planeten.«

»So läuft der Hase also«, sagte Shi und versteifte sich. Die aufgesetzte Gleichgültigkeit war plötzlich verflogen. »Wie kommen Sie dazu, uns zu drohen! Und das ausgerechnet zu einem solchen Zeitpunkt. Das ist doch Wahnsinn …«

Conner schob einen Tablet-Computer über den Tisch – mit so viel Schwung, dass Shi ihn abfangen musste und seine Tirade unterbrach.

»Dieses Tablet enthält die Sicherheitsfrequenzen, Kennwörter und täglichen Gegenzeichen, die für die Auftragserteilung an beide Gruppen erforderlich sind«, teilte er dem schockierten Mann mit. »Sie haben ein Problem auf Ihrem Territorium. Lösen Sie es. Wir werden Ihnen dabei helfen, wenn Sie das wünschen. Und wenn nicht, werde ich den Kampfgruppen den Auftrag erteilen, jeden Ballungsraum mit einer Alien-Präsenz in Schutt und Asche zu legen.« Conner stand auf. »Und kommen Sie nur nicht auf die Idee, die Kampfgruppen anzugreifen. Zum einen haben Sie recht damit, dass wir uns diesen Quatsch jetzt nicht leisten können – außerdem werden beide Gruppen von sechs Atom-U-Booten der Apache-Klasse begleitet. Die werden sie nicht erwischen. Aber sie werden ihre Raketen starten, wenn es sein muss.«

»Präsident Conner«, sagte Shi und erhob sich nun ebenfalls. Sein Gesicht war starr wie eine Maske. »Das ist nicht die übliche Vorgehensweise.«

»Wir sind von der Vernichtung bedroht, Mr. Shi«, sagte Conner. »Von der systematischen und vollständigen Auslöschung allen Lebens auf dieser Welt und in diesem System. Mit den althergebrachten Vorgehensweisen kommen wir nicht mehr weiter. Passen Sie sich an die veränderten Umstände an, oder gehen Sie unter. Und nun habe ich einige Dinge zu erledigen, und Sie, Sir, haben eine Botschaft zu überbringen. Soll ich einen Transport für Sie arrangieren?«

Shi war mehr als nur leicht erzürnt, aber er sagte zunächst nichts und betrachtete das Tablet in seinen Händen.

»Ja«, stieß er schließlich hervor. »Vielen Dank.«

»Keine Ursache, Herr Botschafter. Das ist doch das Mindeste, was ich tun kann«, sagte Conner und wies ihm die Tür. »Möchten Sie zu Ihrer Botschaft zurück, oder soll ich gleich einen Suborbitalflug nach Peking arrangieren?«

»Die Botschaft reicht völlig aus.«

»Ausgezeichnet. Ich war mir nämlich nicht sicher, ob wir Ihnen überhaupt sicheres Geleit garantieren könnten. Aber ich hätte Ihnen natürlich Begleitschutz gestellt, falls dies sich als notwendig erwiesen hätte«, sagte Conner und geleitete Shi aus dem Büro und den Gang entlang. »Es tut mir leid, wenn ich etwas schroff gewesen sein sollte, aber es sind nun einmal außergewöhnliche Umstände.«

Shi nickte bedächtig. Das musste er ihm zugestehen. »Ja. Ja, das stimmt wohl.«

»Die befehlshabenden Admirale der Kampfgruppen Reagan und Clinton wurden davon in Kenntnis gesetzt, dass Ihre Vorgesetzten vielleicht Kontakt mit ihnen aufnehmen werden. Ich habe sie ausdrücklich instruiert, Ihnen jede nur mögliche Kooperation anzubieten«, sagte Conner, als sie den Aufzug erreichten. »Also sagen Sie Ihren Vorgesetzten bitte, dass Sie nicht zögern sollen, das in Anspruch zu nehmen. Es ist jetzt nicht die Zeit für falschen Stolz. Wir können dann aufrichtig stolz sein, wenn wir unseren gemeinsamen Feind besiegt haben.«

Shi schluckte schwer und nickte dann langsam. »Ich werde es weitergeben.«

»Gut.« Conner lächelte und verabschiedete ihn in den Aufzug. »Es war mir wie immer ein Vergnügen, Herr Botschafter. Kommen Sie wohlbehalten zur Botschaft zurück.«

»Vielen Dank, Mr. President.«

Die Türen schlossen sich. Conner drehte sich um und ging zur Kommandozentrale.

»Achten Sie darauf, dass ihm zwischen hier und der Botschaft nichts zustößt«, sagte er dem Agenten neben sich.

»Ja, Sir.«

»Und jetzt haben wir wohl ein hartes Stück Arbeit vor uns.«

Shi war mehr als nur etwas verärgert über den Verlauf des Gesprächs, das er gerade über sich hatte ergehen lassen müssen. Ja, »über sich ergehen lassen« traf es genau. Der Präsident der Konföderation hatte soeben zwei ihrer größten und kampfstärksten Marineverbände praktisch der Kontrolle des Blocks unterstellt. Das war eine frappierende Entwicklung – und sie unterstrich, wie ernst die NAC die Lage anscheinend einschätzte.

Und wenn es etwas gab, das eine solche Reaktion hervorrufen konnte, war es wohl eine Invasion der Außerirdischen, sagte er sich.

Eigentlich war dies auch das einzige Szenario, von dem er sich vorzustellen vermochte, dass es eine solche Reaktion der Konföderationsregierung auslösen würde. Alles unterhalb der Schwelle zur totalen Vernichtung würde sozusagen intern geregelt.

Er betrachtete die Stadt, während er mit dem Auto zum Botschaftsgebäude zurückfuhr. Nun fiel ihm auch auf, wie verlassen die Straßen waren. Er hatte die Nachrichten aus New York gesehen und wusste, dass dort Chaos herrschte. Weil die Straßen mit Fahrzeugen verstopft waren, musste das Militär sich mit Kampfpanzern brachial einen Weg bahnen. Er fand das irgendwie lachhaft.

Panzer waren seit fast einem Jahrhundert nicht mehr in Gebrauch. Aber er wusste, dass die Konföderation so viele Kampffahrzeuge in Reserve hatte, dass es die Anforderungen für jeden nur denkbaren Einsatzzweck deutlich überstieg. Hauptsächlich handelte es sich um ein Subventionsprogramm für die Rüstungsindustrie. Und so waren Fahrzeuge gebaut worden, von denen nicht einmal das Militär wusste, was man damit anfangen sollte. Doch nun machte sich das wohl bezahlt, sagte er sich.

Das ist ein Glücksfall, als ob man den Lotto-Jackpot mit Zusatzzahl gleich zweimal hintereinander knackt. Aber wenn man etwas nur lange genug aufbewahrt, wird man wohl irgendwann einen Verwendungszweck dafür finden.

Sein Land war in dieser Hinsicht aber auch nicht besser, gestand Shi sich insgeheim ein. Das war schließlich gängige Praxis, um sich für politische Unterstützung zu revanchieren. Panzer, Öllieferungen, Abmachungen aller Art … das waren die Instrumente, mit denen man sich politische Unterstützung und Finanzierung sicherte. Wie man es drehte und wendete, es war legalisierte Bestechung.

Washington hat wohl ein besseres Frühwarnsystem als New York, dachte er. Genauer gesagt bessere Verteidigungssysteme, um Zeit für eine Evakuierung zu gewinnen. Die Straßen waren leer, aber er sah die Männer in gepanzerten Schutzanzügen auf den Hausdächern und die Maschinen der Luftraumverteidigung. Und während das Fahrzeug unterwegs war, erhaschte er durch Querstraßen manchmal einen Blick auf schwere Panzer.

Das alles war ziemlich vertraut für Shi. Er war in Peking aufgewachsen und hatte auch im letzten Kriegsjahr in der Stadt gelebt, als es bei den Luftangriffen der Konföderation beinahe ohne jede Gegenwehr Bomben und Granaten auf ihre Köpfe gehagelt hatte.

Das lautlose Fahrzeug kam schließlich vor der Botschaft des Blocks zum Stehen, und er stieg schnell aus und betrat das Gebäude. Er glaubte nicht, dass er sich im Moment in Gefahr befand, aber die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, die er gewonnen hatte, beunruhigten ihn. Früher wäre man für die Kenntnis auch nur eines Bruchteils dieser Informationen von den verschiedensten Parteien ins Visier genommen worden – bei denen es sich nicht unbedingt um die Konföderation oder den Block handeln musste.

Als Shi sich im Inneren des Gebäudes befand, entspannte er sich etwas und ging zum Sicherheitsraum. Ironischerweise passierte er dabei mehr invasive Scanner als im Weißen Haus.

Er setzte sich an den Schreibtisch, mit dem der kleine Sicherheitsraum möbliert war.

Der Raum selbst war von einem Faradaykäfig und mehreren Schichten absorbierender Materialien umgeben, um durch Induktionssysteme ausgelöste Schwingungen zu verhindern. Dann schaltete er den Computer ein, der direkt mit einem Laser-Uplink auf dem Dach verbunden war.

Wollen wir hoffen, dass der Feind nicht auch schon mit der gezielten Zerstörung von Orbitalstationen begonnen hat.

Etliche Satelliten und wichtige Orbitalstationen waren schon während der Schlacht im Orbit als Kollateralschaden vernichtet worden. Und die meisten Elektronikgeräte waren dem extremen elektromagnetischen Puls durch die Zerstörung der Liberty-Raumstation zum Opfer gefallen. Doch die Technik des Blocks (und wohl auch die der Konföderation) war nach seinem aktuellen Kenntnisstand immer noch intakt.

Die Laserverbindung wurde hergestellt, woraufhin er direkt mit dem chinesischen Staatssicherheitskomitee verbunden wurde.

»Shi«, sagte er mit sorgfältig modulierter Stimme. »Botschafter. Washington.«

Das System analysierte seine Botschaft. Es überprüfte die Stimme auf ein Zittern, das auf eine mögliche Entführung oder Nötigung hindeutete, und glich sie natürlich auch mit der Datenbank ab, in der alle seine biometrischen Daten gespeichert waren. Das dauerte etwas über zwei Minuten. Er vermutete jedoch, dass das nur deshalb so lange dauerte, weil sie erst jemanden mit einem ausreichend hohen Rang suchen mussten, der seinen Anruf entgegennehmen konnte.

Und dann erhellte der Bildschirm sich, und er erkannte seinen direkten Vorgesetzten.

Es ist schon spät in Peking. Nun gut, die Regierung stuft die Lage als ernst ein. Sie haben hoffentlich alle verfügbaren Leute einberufen.

»Was gibt es denn, Botschafter Shi? Wir sind hier gerade … ziemlich beschäftigt.«

»Ich habe auch wenig Zeit. Aber es ist wichtig. Ich komme soeben von einer Besprechung mit dem Präsidenten der Konföderation … sie fand im Sicherheitsbunker statt«, sagte Shi. Er verspürte eine gewisse Genugtuung, als er sah, wie die Augen seines Vorgesetzten sich weiteten, als dieser den letzten Teil des Satzes vernahm.

»Wir müssen einen Termin für eine ausführliche Nachbesprechung vereinbaren …«

Shi tat diese Bemerkung des Mannes mit einer abfälligen Handbewegung ab. »Ja, ja, aber das ist im Moment noch unser geringstes Problem. Die Konföderation … sie haben Angst.«

Diese Worte bildeten dann den Auftakt zu einem ausführlichen Gespräch.

Lagezentrum unter 1600

Pennsylvania Avenue

Vom Erscheinen des Präsidenten im Lage- und Kontrollzentrum nahm kaum jemand Notiz. Das verdeutlichte, wie sehr die Leute sich im Moment auf die Situation konzentrierten. Er wollte sich aber nicht wegen des Mangels an Etikette beschweren, ging zielstrebig zu dem Platz, der dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte vorbehalten war, und setzte sich.

»Lassen Sie hören, General.«

»Wir registrieren noch immer Landungen auf der Grundlage weltweiter seismischer Messungen, Sir. Die bestätigten Zahlen liegen inzwischen bei über dreitausend, Sir.«

»Meine Güte.« Conner schloss die Augen. »Möge Gott uns beistehen.«

»Auf den Beistand des Allmächtigen sind wir zum Glück noch nicht angewiesen, Sir«, sagte General Caern. »Alle Landungen haben in großen Ballungsräumen stattgefunden. Das hat zwar viele Opfer gekostet, aber den Feind hat es noch schlimmer getroffen.«

Conner blickte finster. »Wie das?«

»Wir können jeden Ballungsraum auf dem Planeten leicht bekämpfen, Mr. President«, antwortete Caern. »Vor allem dann, wenn es um Leben und Tod geht. Wir töten dabei zwar viele unserer eigenen Leute, aber wir töten auch den Feind. Wenn ich vorhätte, einen Vernichtungsangriff gegen einen Planeten zu führen und dabei ein Waffensystem wie das dieser Drasin einzusetzen, würde ich in der Antarktis oder in der Sahara landen. Auf jeden Fall an einem entlegenen Ort, wo man mich unmöglich finden würde. Doch auf keinen Fall würde ich sie in New York City absetzen, Mr. President.«

»Sie glauben, dass sie irgendetwas planen?«, fragte Conner verwirrt.

»Nein, Sir. Ich glaube, dass sie eben nichts planen.«

»Ich kann Ihnen nicht folgen.«

»Aus Captain Westons Berichten über diese Dinger geht hervor, dass sie eine beinahe … schizophrene Persönlichkeit haben«, sagte Caern. »Auf der einen Seite gehen sie zielstrebig, planvoll und sogar strategisch vor … und auf der anderen Seite sind sie wilde Bestien. Sir, ich glaube, dass momentan die Bestie die Oberhand hat. Sie gehen rein willkürlich gegen Bevölkerungszentren vor, ohne irgendeine Strategie zu verfolgen.«

»Gegen die Menschen?«

»Vielleicht«, sagte der General, »oder vielleicht orientieren sie sich auch am Energieverbrauch, an der Wärme oder einer anderen Signatur einer Großstadt. Der Punkt ist der, dass ihnen ein Gesamtkonzept fehlt. Sie verhalten sich wie ein verwundetes Tier, Sir. Sie gehen blindlings auf denjenigen los, der sie verletzt hat. Wenn sie wirklich planmäßig vorgingen, wären wir in noch viel größeren Schwierigkeiten.«

»Es sieht so aus, als ob unsere Probleme auch so schon groß genug wären«, sagte Conner missmutig.

»Ja, Sir, das stimmt. Das eigentliche Problem sind aber nicht die Aliens am Boden. Mit denen werden wir schon fertig, Mr. President«, sagte Caern zuversichtlich. »Es ist die gottverdammte Kampfflotte im hohen Orbit, der wir nichts entgegenzusetzen haben. Solange sie dort oben sind, können wir genauso gut das Handtuch werfen.«

»Das werden wir bestimmt nicht tun«, sagte Conner knurrend und hieb mit beiden Händen auf den Tisch.

»Das habe ich damit auch nicht gemeint, Sir. Ich wollte nur sagen, dass wir diese Arschlöcher erledigen müssen«, sagte Caern unverblümt. »Sonst wird uns hier unten früher oder später die Munition ausgehen, und ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ihnen vorher die Landungstruppen ausgehen werden.«

Conner blickte grimmig, nickte knapp und richtete dann den Blick auf den Luftwaffengeneral, der SPACECOM befehligte. »Was sagen Sie dazu?«

General McCullen seufzte und schüttelte den Kopf. »Wir haben im Moment nichts Konkretes, Mr. President. Wir sind halb blind. Wir glauben, dass die Enterprise vor beinahe zwei Tagen aus dem System transitiert ist, aber wir können das nicht bestätigen. Jedenfalls sind die Priminae-Schiffe vor einiger Zeit in den Überlichtflug gegangen, aber mehr wissen wir nicht. Wir haben keine militärische Ausrüstung mehr im Sonnensystem, Sir.«

»Boden-Orbit-Raketen?«

McCullen schüttelte den Kopf. »Nur Atomwaffen und leichte konventionelle Sprengköpfe. Aus allen Berichten, die uns über die Bewaffnung der Aliens vorliegen, geht eindeutig hervor, dass wir damit nichts ausrichten können.«

»Was ist mit Hochrasanz-Raketen?«, fragte der Präsident. Er dachte dabei an die Waffensysteme, über die die Odyssey verfügt hatte.