In Italien stirbt man anders - Dorothee Klein - E-Book

In Italien stirbt man anders E-Book

Dorothee Klein

0,0

Beschreibung

Leid und Weh fühlen sich überall auf der Welt gleich an, und im Schmerz und in der Trauer sind sich die Menschen sehr ähnlich. Aber da sie doch sehr verschieden sind, erleben sie die dunklen Zeiten in ihrem Leben sehr unterschiedlich - je nach Charakter, Herkunft oder Tradition. Glaube und Bildung spielen eine Rolle und nicht zu vergessen die Umgebung, das Land, in der der Trauernde seinen Verlust erlebt. Stirbt man in Italien anders? Nein, natürlich nicht. Die Menschen gehen nur anders mit dem Tod um, als wir es möglicherweise gewöhnt sind. Der Tod wird nicht weggeschoben, totgeschwiegen, bis er eintritt und verzweifeln läßt. Er ist der Begleiter an allen Tagen unseres Lebens , hat doch der abschied schon mit unserer Geburt begonnen. Das Ende ist offen... Dorothee Klein beginnt mit nachdenklichen Worten, lässt Schmerz und Trauer Raum und schenkt dennoch Trost, Verständnis und ein Lächeln in ihren wahren und oft auch sehr persönlichen Gedichten und Geschichten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 91

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dorothee Klein

Dorothee Klein, geb. 1948, hat schon als Kind ihrer Phantasie freien Lauf gelassen und Geschichten erfunden. Lesen und Schreiben gehörten schon immer zu ihrem Leben, so dass die gelernte Buchhändlerin als Redakteurin in einem Verlag arbeitete. Das Schreiben war zuerst einmal ein stilles Hobby, das sie in Kurzgeschichten und Lyrik auslebte. 20 Jahre war sie Vorsitzende eines Deutsch-Italienischen Kulturvereins, des Deutsch-Italienischen Clubs Leverkusen. In dieser Zeit begann sie, Vorträge zu schreiben. Sie konzipierte auch eine eigene Clubzeitung. Ihre große Liebe zu ihrer Heimat Zwei, Italien, gibt sie vor allem in ihren Erzählungen Raum, in denen ihre liebevolle Beobachtungsgabe zum Tragen kommt.

Einige Geschichten aus dem italienischen Süden weckten ihre Neugier darauf, ob es auch ähnliche Begebenheiten bei uns oder in anderen Ländern gibt. Daraus entstand die vorliegende Sammlung von Kurzgeschichten um Trauer, Trost und Hoffnung, um Leben, Sterben und Erinnerung, ein liebevolles und sehr persönliches Buch, das dem Leser eine neue Sicht auf ein sicher nicht einfaches Thema schenkt.

Dorothee Klein ist zum zweiten Mal verheiratet und hat eine Tochter, drei Enkel und einen angeheirateten Sohn samt Schwiegertochter. Sie lebt mit ihrem Mann in Leverkusen und in Apulien.

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Gedanken

Wenn kleine Erdensterne

Die Fliege im Trauerhaus

Maumau im Himmel

Begegnung mit der anderen Welt

Der Fahrstuhl

Mutti, du fehlst

Trauer um Opa

Im Himmel bist du frei

Es war ihre letzte Reise

Erinnerung an die,…

Alois auf Freiersfüßen

Illusionen

Sein letzter BicMac

Die Geister, die ich niemals rief

Kurventechnik

Willst du mal die Toten sehen?

Für meinen Opa streu ich Rosen

Der Geist von la Nonna

Wenn dich Erinnerung berührt

Meine Toten sind lebendig

Haben Sie posthum noch etwas vor?

Damals, als Oma starb

Ein Koffer für die Letzte Reise

Du bist mir nah

Was ich mir wünsche

Dank

Für dich soll’s rote Rosen regnen… Hildegard Knef

In Erinnerung an meine wundervollen Eltern, die mich immer unterstützt und gefördert haben.

Dorothee Klein 03. März 2024

Gedanken

Leid und Weh fühlen sich überall auf der Welt gleich an, und im Schmerz und in der Trauer sind sich die Menschen sehr ähnlich.

Aber da sie doch sehr verschieden sind, erleben sie die dunklen Zeiten in ihrem Leben sehr unterschiedlich – je nach Charakter, Herkunft oder Tradition. Glaube und Bildung spielen eine Rolle und nicht zu vergessen die Umgebung, das Land, in der der Trauernde seinen Verlust erlebt.

Stirbt man in Italien anders?

Nein, natürlich nicht. Die Menschen gehen nur anders mit dem Tod um, als wir es möglicherweise gewöhnt sind. Der Tod wird nicht weggeschoben, totgeschwiegen, bis er eintritt und verzweifeln lässt.

Er ist der Begleiter an allen Tagen unseres Lebens, hat doch der Abschied schon mit unserer Geburt begonnen. Das Ende ist offen.

Vielleicht ist es deshalb einfacher, wenn man mit dem Tod und über ihn redet, ihm einen Platz zuweist, wo er nicht stört oder negativ beeinflusst.

Die Verstorbenen füllen eben diesen Platz aus. Man spricht mit ihnen, fragt sie um Rat und bittet sie, auch untereinander zu kommunizieren. Sie sind ein fester Teil der Herzen.

Nein, leichter wird der Abschied dadurch nicht – am Ende vielleicht ein wenig erträglicher.

Eine junge Italienerin, die in Deutschland aufgewachsen ist, erlebte als Vierzehnjährige den Tod der Großmut ter in Süditalien mit. Die Trauer und der Umgang damit samt der ihr eher unbekannten Traditionen irritierten sie.

„Also, in Italien stirbt man wirklich anders. Ich fand alles so fremd, und ich verstand gar nichts“, erzählte sie. „Da kamen nicht nur Verwandte sondern auch Fremde, Nachbarn und Geschäftsleute, bei denen die nonna (Oma) immer eingekauft hatte. Es gab nicht nur Trostworte und Umarmungen. Einige brachten auch etwas zu Essen mit. Nach und nach fühlte ich mich so… so… aufgehoben… In Deutschland ist es eben anders.“

So ganz „anders“ empfinde ich die Trauer und auch das Miteinander in unseren Breiten nicht. Oder sehe ich das falsch? Auch bei uns gibt es unterschiedliche Traditionen, die für manche sicher auch verwirrend sind.

Eine italienische Bekannte hatte ihren Mann nach Italien überführen lassen. „Hatte gewollt nach Hause, meine Luigi“, hatte sie lächelnd und mit Tränen in den Augen gesagt. „Ische fahre mit. Musse sein in seine Nähe!“

Sie hatte ihr Hab und Gut in Deutschland verkauft, all ihr Erspartes eingesetzt und war nach Italien in ihr kleines Dorf zurückgekehrt, wo sie nun ohne ihren Mann in innerem Frieden und mit der Freundschaft ihrer Familie und ihrer Nachbarn lebt.

Jedes Land hat seine Traditionen – auch, was das Sterben und die Trauer angeht. Und in all dem Weh findet sich immer das berühmte Gänseblümchen, das ein Lächeln in die Gesichter zaubert und die Tränen trocknet.

Erinnerung wirft lichten Schein ins späte Alter noch hinein. (DWK)

Ich war neugierig und habe versucht herauszufinden, warum meine Bekannte so viel innere Ruhe ausstrahlt. Dabei hat sich meine Einstellung verändert. Meine Le benslust hat eher zugenommen mit der Erkenntnis, dass ich jeden Tag genießen möchte, weil mit jeder Sekunde, die verrinnt, auch das Ende näher rückt.

Jeder neue Tag hat etwas von Erneuerung und gleichzeitig von Abschied.

Und die Geschichten, denen ich begegnete, zeigen, dass Trauer und Schmerz, Liebe und Fröhlichkeit, Selbstverständlichkeit und Humor aus uns Menschen erwachsen und zu unserem Leben gehören.

Nicht nur in Italien oder in Deutschland sondern überall auf der Welt.

Meine Lieben, die lebenden und die verstorbenen, sind mir heute näher. Und ich liebe es, mit ihnen zu reden. Was ich davon habe?

Ich erfahre eine neue Gelassenheit, und dafür bin ich dankbar.

Wenn kleine Erdensterne zu strahlend großen Himmelssternen werden, dauert es eine Weile, bis wir sie am Himmel entdecken und ihren Trost empfinden.

Die Fliege im Trauerhaus

Trauer in Italien überfällt die Menschen mit aller Macht, nicht anders als bei uns oder wo immer sie leben. Es sind die Traditionen, die sich von Land zu Land und von Region zu Region ändern.

In Italien spielt zudem auch das Wetter eine große Rolle. Während bei uns gut eine Woche oder mehr bis zur Beerdigung vergeht, findet die Erdbestattung in Italien der großen Wärme wegen spätestens am übernächsten Tag statt. Aber auch danach lebt man in Italien mit dem Unumgänglichen auf Du und Du.

Niemand winkt ab, wenn von der verstorbenen Witwe Neri gesprochen wird. Man bekreuzigt sich lieber und schickt ihr ein Gebet in den Himmel nach. Und wenn ein Sarg den Letzten Weg antritt, greifen sich die Herren der Schöpfung mal rasch in den Schritt, ehe sie in den l’ultimo applauso zu Ehren des Verstorbenen einfallen.

Dieser Letzte Applaus – mir kommt er vor wie ein liebevoller Gruß, der dem Verstorbenen einen besonderen Wert schenkt. Und ich gestehe, er hat mir gefehlt, als wir uns von einem lieben Bekannten verabschieden mussten, der sein Leben lang als Künstler auf der Bühne gestanden hatte.

In Italien ist der Verstorbene den Lebenden auf eine besondere Weise nah, greifbarer als in unserer eher distanzierten und allzu schnelllebigen Welt. Er ist Fürsprecher und Mittler im Himmel, derjenige, mit dem man seine Sorgen und Nöte teilt.

Der Abschied beginnt schon im Haus des Toten, wo er aufgebahrt wird und wo Familie, Nachbarn, Freunde und Bekannte in angemessener Form ihre Aufwartung machen und mit den engsten Angehörigen weinen, trauern und beten.

Es war an einem heißen Augusttag, als der gerade erst dreißigjährige Maurizio Mutolo in den frühen Morgenstunden auf dem Weg zur Arbeit tödlich verunglückte. Nur wenige Stunden später kehrte er im Sarg heim, wo seine Mutter sich schluchzend über das kalte Holz warf. Ubaldo Mutolo, der zutiefst schockierte Vater des jungen Mannes, musste seine Marietta fast gewaltsam in seine Arme nehmen, damit der Bestatter und seine Helfer den Sarg mit dem jungen Mann so herrichten konnten, wie es sich gehörte.

Wenig später kamen schon die ersten Nachbarn. Familienmitglieder trafen ein. Kerzen flackerten, und Weihrauchgeruch erfüllte das kleine Haus. Die Gebete und das schmerzerfüllte Schluchzen schallten bis hinaus auf die Straße.

Warum Maurizio?, fragte man sich immer wieder – was Marietta Mutolo, die bisher als bodenständige und tatkräftige Frau bekannt war, völlig aus der Bahn warf und in tiefste Verzweiflung stürzte, war er doch ihr einziger Sohn gewesen.

Gerade weil sie zu den einfacheren Leuten des kleinen Dorfes gehörten, achtete Vater Ubaldo besonders darauf, dass alles so gemacht wurde, wie es der Tradition entsprach, und dass kein Stäubchen Maurizios Totenruhe störte.

Mit den nächsten Besuchern hatte sich eine kleine Fliege in das Haus der Mutolos geschlichen, was zunächst niemand bemerkte. Die alte Annacristina, die seit vielen Jahren schon jedes Trauerhaus besuchte und als Kennerin aller Traditionen galt, betete laut und vernehmlich das Vaterunser, während die Witwe vom Apotheker Rosso, die man wegen ihrer hellen Stimme nur die „Campanella“, das Glöckchen, nannte, eifrig den Rosenkranz durch ihre dürren Finger gleiten ließ und immer wieder versuchte, gegen die Lautstärke Annacristinas anzubeten.

Die kleine Stubenfliege war von Natur aus neugierig. Irgendwann hatte sie den offenen Sarg ins Visier genommen und umkreiste mit dem ihr typischen Summen den Kopf Maurizios, als wollte sie ihn von allen Seiten betrachten und sich sein Gesicht für immer und ewig einprägen.

Niemand achtete auf ihr Gesumme. Außer Ubaldo Mutolo, der die Flugbahn der Fliege sorgsam beobachtete.

Da geschah es. Die Fliege setzte zur Landung an – auf Maurizios Nasenspitze.

Ubaldo sprang auf, streckte den Arm aus und wedelte die Fliege weg.

Wer schon mal mit so einer neugierigen und völlig unerzogenen Stubenfliege zu tun hatte, der weiß, dass die sich von so einem Gewedel nicht verjagen lässt. Nach zwei weiteren Runden durchs Zimmer, zwischen den Kerzen und den Betenden hindurch und einer eleganten Drehung um den Sarg landete sie wieder. Und wieder auf Maurizios Nasenspitze.

Ubaldo sprang auf, unterdrückte einen unangebrachten Fluch und verjagte das kleine Tierchen von seinem bevorzugten Landeplatz, was zu einem Moment der erschrockenen Stille unter den Betenden führte.

Doch dann wurden die Gebete der Trauergäste wieder lauter und intensiver, als wollten sie sowohl der Fliege als auch dem erbosten Vater klar machen, dass sie bitteschön in ihre Gebete einstimmen, Entschuldigung, einsummen sollten. Doch weder Mann noch Tier ließ sich von seinem Tun abbringen.

Nun ja, das Spiel wiederholte sich noch zwei oder gar drei Mal, und jedes Mal schwiegen die Trauernden ein paar Sekunden vor Schreck, ehe sie lauter und vielleicht auch ein bisschen demonstrativer ihre Gebete zum Himmel schickten.

Bis es Ubaldo zu dumm wurde. Eine Stubenfliege durfte seinen Sohn nicht stören! Das ging nun mal gar nicht!

Der Herr des Hauses griff nach seiner bevorzugten Waffe im Kampf gegen lästige Fliegen, einer Dose Baygon, richtete die Düse auf die Fliege, die es sich gerade noch einmal auf Maurizios Nasenspitze gemütlich gemacht hatte, und drückte ab.

Ubaldo nebelte Sohn und Fliege gleichermaßen ein, wobei das kleine Tier sich noch einmal in die Luft erhob, aber auch hier vom Giftnebel getroffen wurde. Ubaldo stellte die Spraydose mit zufriedener Erleichterung griffbereit neben seinen Stuhl.