In Schnee und Eis - Rudi Palla - E-Book

In Schnee und Eis E-Book

Rudi Palla

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Beschreibung

Eine atemberaubende Abenteuergeschichte um drei von Humboldt geförderte Bergsteigerbrüder, die sich im Rennen um unerforschte Regionen und die Vermessung der Welt immer wieder in Lebensgefahr begaben – und die heute dennoch beinahe vergessen sind. Sie waren Entdeckungsreisende, Bergbezwinger, Sammler, Wissenschaftler und Abenteurer. Und sie hatten einen verdammt schlechten Ruf: die Brüder Schlagintweit. Mitte des 19. Jahrhunderts unternehmen die drei Münchner jene Reise, die Humboldt immer machen wollte: tief hinein in den Himalaja, um dort wissenschaftliche Daten zu erheben, die höchsten Pässe der Welt zu erklimmen – und Ruhm zu erlangen. Dafür setzen sie sogar ihr Leben aufs Spiel.Nachdem die leidenschaftlichen Alpinisten noch knapp an der Erstbesteigung des höchsten Schweizer Gipfels gescheitert waren, werden sie zu Protegés Alexander von Humboldts und leiten eine Himalaja-Expedition der East India Company. Als erste Europäer stehen sie am Fuße des Nanga Parbat, erklimmen als erste Menschen überhaupt eine Höhe von 6.785 Metern und vermessen Land – und auch Menschen – mit großer Akribie. Dabei geraten sie in eine gefährliche Gemengelage aus geopolitischen und ökonomischen Interessen, Geltungssucht und Abenteuerlust. Verkleidet als Einheimische dringen sie in Gebiete vor, deren Betreten unter Todesstrafe steht – einer der Brüder bezahlt dafür mit dem Leben.Was sie von der Expedition zurückbringen, ist beeindruckend: 14.777 Exponate in 510 Holzkisten, so viel Material, dass sie es nicht schaffen werden, es zu Lebzeiten auszuwerten. Ihre Forschungsergebnisse lösen in Fachkreisen allerdings kaum Begeisterung aus. Neidische Briten überziehen sie mit Spott und sprechen ihnen eines Fehlers wegen jegliche wissenschaftliche Seriosität ab. Und doch machen die Brüder weiter: Fast bis zum letzten Atemzug beschäftigen sie sich mit der Auswertung und Aufarbeitung des größten Abenteuers ihres Lebens. »Unter allen Dingen, zu denen ich mitgewirkt, ist Ihre Expedition nun eine der wichtigsten geblieben. Es wird mich dieselbe noch im Sterben erfreuen.« Alexander von Humboldt vor dem Aufbruch der Brüder Schlagintweit »Mit Dankbarkeit lese ich die Schlagintweit-Story. Rudi Palla hat wieder Figuren eingerahmt, die es sich verdienen, erinnert zu bleiben.« Reinhold Messner

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Seitenzahl: 168

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Rudi Palla

In Schnee und Eis

Die Himalayaexpedition der Bergsteigerbrüder Scchlagintweit

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Rudi Palla

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Vorderer Vorsatz – Übersichskarte Indien und Hochasien, nebst Angabe der Schlagintweit’schen Routen. In: Schlagintweit, Hermann: Reisen in Indien und Hochasien, Band 1 (1869), S. 105. Universitätsbibliothek Heidelberg.

Hinterer Vorsatz – The Chain of the Kuenlúen, from Súmgal, in Turkistán. Farblithografie von Jean Baptiste Sabatier/Alfred Lemercier nach einem Aquarell von Hermann Schlagintweit, August 1856. In: Hermann, Adolf und Robert Schlagintweit: Atlas of panoramas and views, with geographical, physical, and geological maps (1961), Tafel 29. Universitätsbibliothek Heidelberg

 

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Die Arbeit an diesem Buch wurde unterstützt durch ein Werkstipendium des Österreichischen Bundeskanzleramts, Sektion Kunst und Kultur.

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Jeder strebsame Gelehrte ist Humboldt’s Sohn; wir alle sind seine Familie.

Der Physiologe Emil du Bois-Reymond an seinen Kollegen Karl Ludwig, Berlin, 26. Juni 1849

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Berlin, Oranienburger Straße 67, 24. Juni 1849:

Er hatte sie eingeladen, der greise Welterklärer Alexander von Humboldt, die Brüder Hermann und Adolph Schlagintweit aus München, die erst im Vormonat nach Berlin, Preußens geistigem Mittelpunkt, übersiedelt waren. Auf Anraten des Herausgebers Johann Christian Poggendorff hatten die Brüder ihre in den Annalen der Physik und Chemie erschienene Abhandlung über den Kohlensäuregehalt der Atmosphäre in den Alpen an den verehrten Humboldt mit dem Hinweis geschickt, dass diese ein Teil ihrer größeren Arbeiten über die Alpen sei. Nun saßen sie, wie aus dem Ei gepellt, im Salon, mit der auffallend hohen getäfelten Decke, den Stapeln von Büchern und zig beschrifteten Pappschachteln am Boden, auf einem gepolsterten Sofa ihrem Idol und späteren Mentor gegenüber. Humboldt trug wie stets den schwarzen Frack, den »kosmopolitischen Anzug«, wie er scherzend zu sagen pflegte, mit der hohen schneeweißen Halsbinde, deren steife Einlage ihm »die Aufrechterhaltung des Kopfes« ermöglichte.

Die Schlagintweits kannten Humboldts Schriften, vor allem die Ansichten der Natur und den 1845 erschienenen ersten Band des Kosmos, den Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, dessen Bestreben es war, wie Humboldt erklärte, »die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen«. Humboldt war interessiert an den wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche die Brüder bei Bergtouren in den Ostalpen, in Tirol und Kärnten, gewonnen und teilweise auch veröffentlicht hatten. Sie berichteten ausführlich über die Topographie der Pasterze in den Hohen Tauern, des Marzell-, Hintereis- und Vernagtferners im Ötztal, die Struktur des Gletschereises, die Bewegung der Eismassen; sie legten ihre geologischen Untersuchungen dar, wie die Talbildung und Formen der Gebirgszüge, die Entstehung der Quellen, die Verwitterung und Erosion; ferner sprachen sie über ihre meteorologischen Beobachtungen, über ihre Methoden und Messinstrumente. Sie erwähnten, dass es ihnen gelungen war, den bedeutendsten Gipfel der Ostalpen, den Großglockner, und in den Ötztaler Alpen die Wildspitze (mit 3770 Metern der zweithöchste Berg Österreichs) und den Similaun (3606 Meter hoch) zu besteigen. Humboldt war beeindruckt von der Akkuratesse ihrer Forschungen und ihren bergsteigerischen Leistungen, galt doch sein Versuch, am 23. Juni 1802 gemeinsam mit Aimé Bonpland und Carlos de Montúfar (aus Quito), den Vulkankegel des Chimborazo in den ecuadorianischen Anden, der damals als höchster Berg der Erde galt, zu besteigen, als alpinistisches Glanzstück – obwohl die Besteigung Hunderte Meter unterhalb des Gipfels durch eine »unübersteigliche Grenze« gescheitert war. Humboldt und seinen Begleitern machte damals zudem die dünne Luft zu schaffen. Sie litten, wie er im Rückblick schrieb, an großer Übelkeit, Schwindel und dem Drang, sich zu erbrechen, sie bluteten aus dem Zahnfleisch und hatten blutunterlaufene Augen. (Die Höhe des Vulkans beträgt nach neueren Angaben 6267 Meter. Humboldt gab an, 18096 Pariser Fuß – 5878 Meter – erreicht zu haben, errechnet nach der Laplace’schen Barometerformel.)

Humboldt gefielen die jungen Forscher, Hermann war 23, Adolph 20 Jahre alt, und er verglich ihre Arbeiten über die östlichen Alpen mit dem Werk von Horace-Bénédict de Saussure. Saussure, geboren am 17. Februar 1740 in Conches, einem kleinen Dorf bei Genf, war Naturforscher, Professor an der Académie des Sciences in Genf und Bergsteiger. Er forschte auf den Gebieten der Meteorologie, Geologie sowie Glaziologie und entwickelte verschiedene Instrumente, wie ein Cyanometer zur Messung der Intensität der blauen Himmelsfarbe oder ein Haarhygrometer zur Feststellung der Luftfeuchtigkeit; beide Messgeräte hatte übrigens Humboldt auf seiner großen Reise durch die spanischsprachige Neue Welt in den Jahren 1799–1804 verwendet. Im Jahr 1760 setzte Saussure eine Belohnung für die Erstbesteigung des Montblanc aus, die nach erfolglosen Versuchen erst am 8. August 1786 dem Kristallsucher Jacques Balmat aus Chamonix gemeinsam mit dem Arzt und Botaniker Michel-Gabriel Paccard, ebenfalls aus Chamonix, gelang. Ein Jahr später wagte sich Saussure selbst, angeführt vom Erstbesteiger Balmat und begleitet von einem Bedienten und achtzehn Führern, auf den Weißen Berg. Als er am 3. August 1887 um elf Uhr den firnbedeckten Gipfel erreichte, musste er zuerst tief nach Luft schnappen, bevor er das »große Schauspiel« genießen konnte: »Ich glaubte meinen Augen nicht, hielt es für einen Traum, als ich die majestätischen Gipfel, die fürchterlichen Hörner unter meinen Füssen sah.« Saussure ließ ein großes Zelt für seine Instrumente aufschlagen und begann, geplagt von Kopfschmerzen und Übelkeit, seine Experimente durchzuführen. Er stellte fest, dass Wasser schon bei 85 Grad Celsius zu sieden begann; er war der Erste, der die Höhe der höchsten Spitze des Montblanc mit Hilfe eines Barometers ermittelte, 2450 Toisen (das sind 4753 Meter, was der heute gemessenen Höhe von 4810 Metern ziemlich nahe kam); er maß die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Elektrizität der Luft und seine Pulsfrequenz; er beobachtete die Magnetnadel und verglich mit dem Cyanometer die Farben des Himmels. Mit seinem »unsterblichen Werk«, wie Humboldt lobte, Voyages dans les Alpes, in vier Bänden, Genf 1779–1796, erwarb sich Horace-Bénédict de Saussure den Ruf eines Begründers der Alpenforschung.

Ein Jahr nach ihrem Besuch bei Humboldt veröffentlichten Hermann und Adolph ihre Forschungsarbeit in der Gebirgswelt der Ostalpen in Buchform unter dem programmatischen Titel Untersuchungen über die physicalische Geographie der Alpen in ihren Beziehungen zu den Phaenomenen der Gletscher, zur Geologie, Meteorologie und Pflanzengeographie (mit 11 Tafeln, 2 Karten und 71 Holzschnitten) im Verlag von Johann Ambrosius Barth in Leipzig, zugeeignet Humboldt, »als ein geringes Zeichen unbegrenzter Verehrung und innigsten Dankgefühles«.

Hermann und Adolph wuchsen, gemeinsam mit drei jüngeren Brüdern, in einer gutbürgerlichen, angesehenen Familie in München auf. Der Vater Joseph war ein namhafter Augenarzt, die Mutter Rosalie, geborene Seidl, verfolgte schöngeistige Interessen; sie starb, nur 34-jährig, als Hermann dreizehn und Adolph zehn Jahre alt waren. Sie waren aufgeweckte Burschen und zeigten schon als Gymnasiasten ein reges Interesse für naturwissenschaftliche Fächer, insbesondere an Erdkunde; mit Hauslehrern vertieften sie ihre Kenntnisse in Englisch und Französisch und nahmen beim Münchner Landschaftsmaler Anton Zwengauer Unterricht in Zeichnen und Aquarellieren. Ihre wissenschaftliche Ausbildung absolvierten beide an der Münchner Universität, Hermann erlangte im Juli 1848 die Doktorwürde in Geographie, Adolph promovierte einige Monate später in Geologie. Ihre Begeisterung für das Gebirge scheint sich anlässlich einer Reise offenbart zu haben, die sie noch als Schüler unternahmen. In Begleitung einer »älteren Person« besuchten sie das Zillertal und Innsbruck, von dort ging es zurück über den Fernpass nach Lermoos und Partenkirchen, wo sie zum Abschluss einen Abstecher in die wildromantische Partnachklamm machten. In jugendlichem Überschwang reimte Hermann in einem Brief an den Vater: »Wo das Eis sich Berge türmt, wo die Sonne milder scheint, dahin sich mein Herz bestürmt, als des Schönen steter Freund.«

 

Die Besteigung des Montblanc im Jahr 1786 durch Balmat und Paccard war gleichsam die Geburtsstunde des Alpinismus. Bis zu diesem Zeitpunkt war kein bedeutender Berg erstiegen worden, war kein Mensch über das Mittelgebirge, über die Grenze des ewigen Schnees, hinausgekommen. Saussures alpinistische Leistung und sein kurzer Bericht darüber erregten in ganz Europa Aufsehen und ermutigten das aufgeklärte Bürgertum zur Nachahmung. Die Ersten, die sich in die scheinbar öde, unzugängliche Bergwelt aufmachten, waren Gelehrte, besonders Geographen, Geologen, Botaniker und Glaziologen, die, wie Saussure, wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen wollten. Aber wer kannte sich im Gebirge aus, wer wusste, wie man auf die Berge hinaufkommen konnte, wer besaß Mut und Geschicklichkeit? Es waren Bauern aus den Tälern, die als Kristallsucher, Gämsjäger oder Hirten mit den schneebedeckten Hängen und schwindelerregenden Abgründen vertraut und bereit waren, sich für ein Zubrot als Führer zu verdingen. Die Rangordnung war klar. Die »Bürger« dachten sich das Ziel, nämlich einen Gipfel, aus, die »Älpler« mussten den Herrschaften vorangehen, sie sichern, die Stufen ins Eis hacken und oft auch noch ihr Gepäck schleppen. Fast ein Jahrhundert lang kam man ohne diese einheimischen Führer nicht aus; erst durch Vertrauen in das eigene Können, verfeinerte Technik und zweckmäßigere Ausrüstung setzte sich das »führerlose Steigen« durch.

Die wachsende Popularität des Alpinismus führte auch dazu, dass sich Philosophen, Theologen und Naturliebhaber zu tiefsinnigen Betrachtungen hinreißen ließen. Einer, der die Gefühlslage treffend beschrieb, war Johann Gottfried Ebel, Arzt und Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft zu Zürich: »In den Alpen thront die Natur mit allmächtiger Größe und unvergänglicher Erhabenheit! Auf ihren Zinnen, über die Wolken in die Himmel emporgehoben, fühlt sich der Mensch entfesselt von allen Sorgen, allen Plagen und Gebrechen seines Geschlechts, dessen Gewühl und Geräusch in den dunklen Tiefen und weiten Fernen allen Sinnen entschwindet. Ein ungeheures Gebiet von Riesenfelsen überschauend, glaubt der beflügelte Geist über eine ganze Welt zu schweben, und von den zahllosen Zeugen der vergangenen Schicksale der Erde die Geschichte der Natur verkünden zu hören. Die heilige Stille dieser Himmelhöhen versetzt das Gemüt in die feierlichste Stimmung. Nichts stört hier die ernsten Betrachtungen über die Ewigkeit der Natur und über den Augenblick des Seins, welches Menschenleben, Völkerleben heißt. Wie schwindet dann so Alles, was die menschliche Torheit Groß und Wichtig nennt, als das elendeste Traumbild dahin, und wie bejammernswert erscheinet das sich selbst plagende Geschlecht!! – Hier erweitert sich die Seele in die Räume der Unendlichkeit. Die erhabensten Gedanken und edelsten Gefühle beseligen im reinsten Einklang das Gemüt, und eine nie empfundene Begeisterung weihet zum Bunde der Tugend, der einzig ewigen Größe denkender Geister, ein. – O! nur in der Einsamkeit erhabener Natur findet der Mensch sich selbst und den Adel seines Wesens wieder; nur da erlangt der Geist die Größe und Würde, und das Herz unnennbaren harmlosen Frieden. Es gibt keinen ehrwürdigeren Tempel des Nachdenkens und der Weisheit, als die himmelschauenden Alpen.«

Das »Erhabene«, ein Lieblingswort der romantischen Epoche und des Bildungsbürgertums, mit dem sich eine bestimmte Gemütsbewegung bezeichnen ließ und das nicht als Teil, sondern ausdrücklich als das Gegenteil des »Schönen« betrachtet wurde. Für Immanuel Kant (in der Kritik der Urteilskraft, 1790) war der Begriff »die Verwunderung, die an Schreck grenzt, das Grausen und der heilige Schauer, welcher den Zuschauer bei dem Anblicke himmelansteigender Gebirgsmassen, tiefer Schlünde und darin tobender Gewässer, tiefbeschatteter, zum schwermütigen Nachdenken einladender Einöden usw. ergreift«.

Der erste bedeutende Bergwanderer war zweifellos ein Mann, der an der Atlantikküste, in Le Conquet im Nordwesten der Bretagne, 1739 zur Welt kam: Belsazar (Balthasar) Hacquet. Sein Weg nach Österreich führte über den Siebenjährigen Krieg und die österreichische Armee, in der er als Feldchirurg gedient hatte. Seine wissenschaftliche Karriere begann in Laibach im habsburgischen Slowenien, wo er viele Jahre den Lehrstuhl für Anatomie und Chirurgie innehatte. In seiner Laibacher Zeit durchwanderte er mit Geologenhammer und Botanisiertrommel die Julischen und Karnischen Alpen, forschte und sammelte Erfahrungen als Bergsteiger. Im Jahr 1777 versuchte Hacquet als Erster Sloweniens höchsten Gipfel in den Julischen Alpen, den Triglav (2864 Meter hoch), zu ersteigen, was aber, wie er eingestand, nur beinahe gelang. Auf sein Betreiben hin standen ein Jahr später, am 26. August, drei Slowenen und ihr Führer Lovrenc Willomitzer auf dem Gipfel. Im Sommer 1779 brach Hacquet zu Fuß zu einer »Mineralogisch-botanischen Lustreise, von dem Berg Terglou [Triglav] in Krain, zu dem Berg Klokner in Tyrol« auf. Im letzten Dorf am oberen Ende des Mölltals erreichte der unermüdliche Naturbeobachter sein Ziel, Heiligenblut am Fuß des Großglockners, dessen markanter Felsgipfel ihn tief zu beeindrucken schien. »Ich habe noch niemals einen so hohen Berg so gespitzt gesehen, als dieser ist«, schrieb Hacquet in seinem Reisebericht. »Noch weiß kein Mensch, dass er jemals wäre bestiegen worden, da er vollkommen mit Eis umrungen ist. Einige haben Versuche gemacht, aber fruchtlos, jedoch soviel mir scheint, nicht aus Unüberwindlichkeit, sondern aus übler Anstalt. Hätte ich Zeit, so glaube ich, gut genommene Maßregeln müssten einen wohl hinaufbringen, da er einige Rücken hat, die sich im Sommer vom Eis und Schnee entblößen. Da weder die Jahreszeit, noch die gehörigen Mittel vorhanden waren, einen solchen Berg zu besteigen«, so begnügte er sich, von Heiligenblut zum obersten Talboden des Mölltals aufzusteigen. Im böigen Wind wirbelten Eiskristalle von den Höhen herab, als Hacquet die Gletscherzunge der Pasterze erreichte und umkehrte. Seine Überlegungen, wie der höchste Berg Österreichs bestiegen werden könnte, waren aller Wahrscheinlichkeit nach der Anstoß, am Ende des Jahrhunderts die Eroberung des Gipfels anzugehen.

Hacquet war vermutlich auch einer der Ersten, der ein Vademekum fürs Bergsteigen verfasste. Der physische Bau eines Bergsteigers, meinte er, müsse wohlgebildet sein und ohne Leibesgebrechen. Kleinere Menschen seien im Vorteil gegenüber größeren, denn je größer ein Körper sei, desto eher komme er aus dem Gleichgewicht, wodurch die Gefahr bestehe, niederzustürzen und sich die Knochen zu brechen. Ein Bergsteiger müsse in allen Fällen beherzt sein und keine Furcht vor hohen Abstürzen haben. Der sogenannte Schwindel entstehe aus Furcht. Ferner müsse ein Reisender ohne Frau sein, denn liebt er seine Gattin, so verliere er bei der Trennung viel von seinem Mut. Ein Verheirateter würde auch weniger wagen, weil er sich als Vater unmündiger Kinder nicht gern in Gefahr begebe.

Als Kopfbedeckung schlug er eine lederne Haube (»eine russische Erfindung«) vor, die vorn und hinten wie ein Schirm herabgelassen werden könne. An heißen Tagen sei ein weißes Tuch gegen das Schwitzen, das um den Kopf gebunden wird, vorteilhafter. Die Weste und langen Beinkleider sollten aus Gämsleder verfertigt sein, der Rock müsse kurz sein, mit vier Taschen, in denen man eine Schreibtafel mit Papier zum Zeichnen, die Geldbörse und Taschenuhr, einen kleinen Kompass, ein Vergrößerungsglas sowie eine doppeltröhrige Pistole verwahren könne.

Die Stiefel sollten aus gutem Leder sein, je dicker die Sohlen, desto besser; der Schaft müsse aus weichem und dickem englischen Leder bestehen, um in warmen Gegenden, wo man alle Augenblicke auf eine giftige Schlange treten könne, geschützt zu sein. Ein kurzer, von gutem Tuch gemachter Mantel dürfe nicht fehlen, um sich vor Regen, Schnee und großer Kälte, der man in großen Höhen ausgesetzt sei, zu schützen. Darüber hinaus brauche es ein Hemd zum Wechseln und, was das Notwendigste zur Erhaltung der Gesundheit sei, ein von feinem Flanell verfertigtes Leibchen. Man trage auch ein Stück schwarzen oder grünen Flor bei sich, um es vor die Augen zu binden als Schutz gegen Schneeblindheit.

Zur erwähnten Ausrüstung gehöre noch ein langer leichter Bergstock, ein langer Strick, für den, der auf Gletschern oder Eisbergen vorangeht, und Steigeisen, die allerdings nur im Kalkgebirge und auf Gletschern von Vorteil seien. Für Granit- und Sandgebirge empfahl Hacquet spezielle »Sandalen«, die sich »tausendmal besser« eignen würden als Steigeisen. Sie bestanden aus fingerdicken, in Öl getränkten Stricken, die mit Darmsaiten zusammengenäht und mit Riemen an die Stiefelsohlen geschnallt wurden.

Man müsse, warnte Hacquet, auf hohen Gebirgen nie ganz ohne »Gegenwehr« sein, deshalb die doppeltröhrige Pistole; man hätte oft, meinte er, mit einem sehr mächtigen Feind zu kämpfen, »nämlich mit den großen Geiern, die auf einen Jagd machen, und mit ihren mächtigen Flügeln zu Boden, oder in die Abgründe schlagen, wo man denn beim Fall ihnen zur Beute wird. Ob sie einen für Gemse, oder für was anders ansehen, weiß ich nicht, genug ist es, dass sie die Beherrscher solcher Anhöhen allein sind. Unter allen Raubvögeln ist der Lämmergeier, Vultur barbarus, der gefährlichste.« Belsazar Hacquet, der »Saussure der Ostalpen«, der in die Berge ging, um »sich aus der Natur zu belehren«, starb am 10. Januar 1815 in Wien.

 

Der erste ernsthafte Versuch, den »Schauder erweckenden« Gipfel des Großglockners (3798 Meter hoch) zu bezwingen, fand schließlich im Sommer 1799 statt. Durch seine Finanzierung ermöglicht hatte das kühne Vorhaben Altgraf Franz von Salm-Reifferscheidt, Fürstbischof von Gurk in Kärnten und Förderer der Naturwissenschaften. Die geistigen Väter waren Salms Generalvikar Sigismund von Hohenwart, der sich vom reisenden Botaniker zum wissenschaftlichen Alpinisten entwickelt hatte, sowie der betagte und renommierte Botaniker und Mineraloge Franz Xaver von Wulfen. Beide Herren waren mit Belsazar Hacquet befreundet und über seinen mutmaßlichen Plan zur Besteigung des Glockners gewiss informiert.

Als Bergführer engagierte man zwei »beherzte« Bauern aus Heiligenblut, die, wie es der hierarchischen Ordnung entsprach, nur als die »Glockner« geheißen wurden; sie sollten die bestmögliche Route ausfindig machen und für die Ausrüstung, wie Hanfseile, Leitern und Steigeisen, sorgen. Sozusagen als Basislager ließ Fürstbischof Salm im oberen Leitertal an der Südwestseite des Glocknerkamms von Zimmerleuten eine schlichte Schutzhütte aus Holz errichten, die auf einem Saumpfad mit Pferden zu erreichen war. Am 16. August verließ Salm Klagenfurt und traf drei Tage später zu Pferd auf der Hütte ein, mit ihm dreißig Personen, darunter sein Koch, Dienstpersonal sowie neunzehn Bauern aus dem Tal, dreizehn Packpferde, reichlich Proviant und das »unentbehrliche« Fässchen Wein. Beim Eintreten überreichte Hohenwart dem Fürsten »einen Strauß aus den artigen und wohlriechenden Blumen einer Primula. Er dankte ihm dabei in einer kurzen, aber zierlichen lateinischen Anrede in seinem und aller Naturforscher Namen dafür, dass nun durch seinen Mut und Freigebigkeit das wohltätige Obdach für Alpenbereiser auf diesem erhabenen Punkte der Erde stehe.« Nachdem die »Glockner« einen möglichen Anstieg ausfindig gemacht und extreme Steilstufen mit Seilen gesichert hatten, unternahmen Herr von Hohenwart und seine vier »Wegweiser«, darunter die beiden »Glockner«, einen ersten Versuch, der daran scheiterte, dass dichtes Schneegestöber und Eiseskälte sie zur Umkehr zwangen. Am Bartholomäustag, dem 24. August, war das Wetter heiter und windstill, also brach die Gruppe erneut auf. Nach mühevoller Kletterei und ausgestandenen Todesängsten erreichten sie den »letzten Absatz des Gipfels«; mit Hilfe von Seilen und einer Leiter »ward auch dieser letzte und entscheidende Versuch glücklich vollendet«. Doch sie standen nicht auf dem Hauptgipfel, sondern auf dem mit hohem Neuschnee angewehten Nebengipfel, dem Kleinglockner (3770 Meter hoch). Von ihrem Standplatz aus konnten sie zwar noch eine »andere Spitze« sehen, die durch eine tiefe Scharte getrennt war, doch stellten sie kaum einen Höhenunterschied fest. Also wurde das mitgebrachte eiserne Kreuz in den Fels gerammt, danach »unter frohem Jubel« ein Toast auf den Fürsten ausgebracht und auf das Wohl »gelehrter Naturliebhaber« mit Wein angestoßen. Ein Jahr später erschien in Salzburg ein anonym verfasster Bericht, der keinen Zweifel an dem Erfolg ließ: »Er ist nun erstiegen, der bis dahin von keinem menschlichen Fuße betretene 2105 Klafter hohe [3991 Meter], so oft fruchtlos bekletterte Glockner, diese Zierde des Norischen Gebirges.« Egal, ob Klein- oder Großglockner, es war jedenfalls eine respektable bergsteigerische Leistung.

Schon planten die durchlauchtigen Herren für den nächsten Sommer eine weitere Expedition auf den Glockner. Waren sie sich doch nicht sicher?

Der zweite Anlauf war noch aufwendiger und kostspieliger als der erste. Er sollte, stand im Anhang des erwähnten anonymen Berichts, »an physikalischen Resultaten fruchtbar genug werden. Mindestens ist über eine Reihe wichtiger Versuche, und die Art der dazu nötigen Instrumente mit verständigen Männern Rücksprache gepflogen worden. Die Gesellschaft soll so zahlreich und ausgesucht sein, dass jede Abteilung der Naturgeschichte, und Physik ihren Mann dabei findet.« Im Auftrag von Salm wurde etwa auf der Höhe der heutigen Adlersruhe eine zweite Hütte, Hohenwarte genannt, errichtet, um »die Reise auf den Glockner und das gänzliche Ersteigen desselben zu erleichtern«. Am 27. Juli 1800 versammelten sich nicht weniger als 62 Personen in Heiligenblut zum Aufstieg auf die Salmhütte: Bischof Salm, Freiherr Wulfen, Graf Hohenwart, der Schulreformer Vierthaler, der Botaniker Hoppe aus Regensburg, aus Salzburg der Mathematikprofessor Schiegg mit seinem Studenten Stanig, der Botaniker Baron Seenus sowie die Pfarrer von Dellach und Rangersdorf im Mölltal, Orrasch und Hautzendorfer. Als Führer waren wieder die beiden »Glockner« und