Inklusion von Anfang an - Astrid Rank - E-Book

Inklusion von Anfang an E-Book

Astrid Rank

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Beschreibung

Die Grundschule als Schule für alle Kinder ist besonders geeignet das Ziel der Inklusion zu verfolgen. Das Buch konzentriert sich darauf, wie die Grundschule gesellschaftliche Strahlkraft entwickeln und das Miteinander unterschiedlichster Menschen im gemeinsamen Handeln fördern kann. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen und aktuellen Forschungsergebnissen werden die Voraussetzungen für die Umsetzung von Inklusion in der Grundschule sowie die nötigen Schulentwicklungsprozesse dargestellt. Dabei erläutert das Buch die wichtigsten Pfeiler der Unterrichtsentwicklung, angefangen bei der Planung bis hin zur individuellen Förderung, und zeigt, wie kooperatives Arbeiten an der inklusiven Grundschule erfolgreich gestaltet werden kann. Zudem wird ein Kompetenzmodell für das Studium inklusiver Grundschulpädagogik entworfen.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort der Herausgeberinnen

Einleitung

1 Die Grundschule als gemeinsame grundlegende Schule

1.1 Die Grundschule als gemeinsame Schule

1.2 Die Grundschule als grundlegende Schule

2 Inklusion in der Grundschule – Vergangenheit und Gegenwart

2.1 Die Diskussion um Integration

2.2 Die Diskussion um Inklusion

2.3 Pädagogik der Vielfalt

2.4 Das Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma

2.5 Inklusion als Trilemma

3 Rechtliche Grundlagen: Behinderung, Förderbedarfe und Beschulungsformen in deutschen Grundschulen

3.1 Der Begriff »Behinderung«

3.2 Der Begriff »Förderbedarf«

3.3 Beschulungs- und Organisationsformen in der inklusiven Grundschule

4 Heterogenität und Inklusion, Forschungsergebnisse

4.1 Heterogenität und Intersektionalität

4.2 Einstellungen zu Inklusion

4.3 Soziale Eingebundenheit in der Inklusion

4.4 Leistungsentwicklung in der Inklusion

5 Bedingungen schulischer Inklusion in der Regel-Grundschule

5.1 Makroebene

5.1.1 Der Übergang in die Grundschule

5.1.2 Lehrkräftebildung für Inklusion

5.2 Mesoebene

5.3 Mikroebene

6 Schulentwicklung in der inklusiven Grundschule

6.1 Entwicklung einer Zielvorstellung

6.2 Etablierung einer Steuergruppe

6.3 Der Schulentwicklungsprozess

6.4 Inklusive Schulräume

7 Unterrichtsentwicklung

7.1 Response to Intervention

7.2 Unterrichtsplanung mit inklusionsdidaktischen Netzen

7.3 Die Differenzierungsmatrix

7.4 Lernleitern

7.5 Leistungen beurteilen und Förderung ermöglichen

8 Kooperation in der inklusiven Grundschule

8.1 Kooperationspartnerinnen und -partner in der inklusiven Grundschule

8.2 Co-Teaching

8.3 Stolpersteine und Gelingensbedingungen

8.4 Die Studie P-ink

9 Kompetenzen für die inklusive Grundschule im Studium entwickeln – Ein Beispiel für die Gestaltung universitärer Lehre

10 Versuch einer Bilanz und Blick in die Zukunft

Literatur

Danke

Grundschule heute

Herausgegeben von Sanna Pohlmann-Rother und Sarah Désirée Lange

Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen thematisiert die Reihe »Grundschule heute« drängende Zukunftsfragen in ihrer Bedeutung für die Disziplin der Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Ziel der Reihe ist es, die institutionellen Bedingungen der Grundschule und die Fragen nach zeitgemäßen Bildungsinhalten neu zu bestimmen. Dabei stehen die kindlichen Lebenswelten und die aktuellen und veränderten Aufwachsensbedingungen der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt.

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/grundschuleheute

Die Autorin

Prof. Dr. Astrid Rank ist Inhaberin des Lehrstuhls für allgemeine Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an der Universität Regensburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kompetenzentwicklung in Aus- und Fortbildung, Inklusion und Sprachbildung in Sachsituationen. Sie leitet mehrere Drittmittelprojekte zu Aus- und Fortbildung für ein inklusives Schulsystem und verantwortet das Zusatzstudium Inklusion an der Universität Regensburg in Konzeption, Umsetzung und Begleitforschung.

Astrid Rank

Inklusion von Anfang an

Aufgabe der Grundschule

Verlag W. Kohlhammer

Für meine Mutter Maria Weiß, die alle Kinder von Herzen liebte21. 02. 1940 – 21. 10. 2022

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-041889-9

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-041890-5epub:ISBN 978-3-17-041891-2

Vorwort der Herausgeberinnen

Die aktuellen gesellschaftlichen und häufig globalisierungsbedingten Veränderungen beeinflussen Grundschulen auf mannigfaltige Arten. Angesichts dessen thematisiert die neue Reihe »Grundschule heute« – herausgegeben von Dr. Sanna Pohlmann-Rother (Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Würzburg) und Dr. Sarah Désirée Lange (Inhaberin der Professur für Schulpädagogik der Primarstufe an der Technischen Universität Chemnitz) – drängende Zukunftsfragen in ihrer Bedeutung für die Disziplin der Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Die gesellschaftlichen und bildungspolitischen Entwicklungen der Gegenwart betreffen Bereiche wie Digitalisierung, Inklusion, Globalisierung, Migration und Flucht und bringen weitreichende neue Herausforderungen für Lehrkräfte, Schulleitungen und für Eltern und ihre Kinder mit sich.

So stellt beispielsweise der mit den gesellschaftlichen Digitalisierungsprozessen verbundene Anspruch, Schülerinnen und Schüler zu einem selbstbestimmten und reflektierten Umgang mit digitalen Medien zu befähigen, alle Beteiligten vor neue Herausforderungen. Auch Mehrsprachigkeit und Fluchtmigration sind Phänomene gesellschaftlicher Entwicklungen, die gegenwärtig in hohem Maße zur Komplexität professionellen Handelns von Lehrkräften beitragen.

Mit der vorliegenden Reihe soll der grundschulpädagogische Diskurs hinsichtlich der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen der Gesellschaft weiterentwickelt werden. Dazu werden in jedem Band neben einer forschungs- und theoriebasierten Auseinandersetzung auch jeweils praktisch umsetzbare Ansätze für die Gestaltung von Unterricht und von grundschulbezogenen Bildungsprozessen herausgearbeitet.

In diesem Zusammenhang werden auch die aktuellen Strukturen und Inhalte der Ausbildung von Grundschullehrkräften hinterfragt. So werden in der Reihe »Grundschule heute« relevante Professionalisierungsfelder identifiziert, mögliche Implikationen für die Rahmenbedingungen der Lehrkräftebildung aufgezeigt und Anforderungen an eine qualitativ hochwertige und zeitgemäße Qualifizierung von Grundschullehrkräften diskutiert.

Zusammenfassend geht es darum, hinsichtlich gegenwärtiger und künftiger Herausforderungen die institutionellen Bedingungen der Grundschule mit dem Anspruch an grundlegende Bildung und die Frage nach zeitgemäßen Bildungsinhalten neu in den Blick zu nehmen. Damit verbunden ist die genaue Betrachtung kindlicher Lebenswelten und die Berücksichtigung aktueller Aufwachsensbedingungen der Schülerinnen und Schüler. Auf Schul- und Unterrichtsebene stellen sich dabei pädagogisch-didaktische Fragen zu denen auch rahmende Raum-‍, Zeit- und Organisationsstrukturen gehören. Auf Seiten der Lehrkräfte umfasst dies anspruchsvolle und zum Teil spannungsreiche Aufgaben, die sich beispielsweise in einem reflektierten Umgang mit sprachlicher Vielfalt und Mehrsprachigkeit im Zuge von Migration und Flucht manifestieren oder mit der Forderung nach einem inklusiven Schulsystem verbunden sind.

Würzburg und Chemnitz, im März 2024Sanna Pohlmann-Rother und Sarah Désirée Lange

Einleitung

Wenn es um Inklusion im Bildungswesen geht, steht oft wie selbstverständlich der Gedanke im Raum, dass man an der Grundschule schon »ziemlich weit« sei. Die Grundschule mit ihrer heterogenen Schülerinnen- und Schülerschaft scheint für schulische Inklusion prädestiniert zu sein. Im vorliegenden Band der Reihe »Grundschule heute« wird dieses Thema aufgegriffen.

Als Autorin und Mensch verfolge ich dabei einen weiten Inklusionsbegriff, der alle Menschen einschließt. Als Grundschulforscherin muss ich aber feststellen, dass sich Diskussion, Rechtsprechung und schulische Praxis am engen Inklusionsbegriff orientieren, der v. a. Kinder mit Förderbedarf und Behinderung fokussiert. Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), welche gemeinhin als »Startschuss« der schulischen Inklusion wahrgenommen wird, bezieht sich auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen. So wird es auch in der Schule wahrgenommen, es kommen diese Kinder als »neue Gruppe« hinzu, für diese wünscht man Hilfe und Unterstützung. Insofern mäandert der vorliegende Text zwischen den Inklusionsbegriffen, greift auch beide auf, verfolgt aber, dem Gegenstand geschuldet, eher einen engen Inklusionsbegriff.

Ausgehend vom Gedanken der Grundschule als gemeinsamer Schule wird im ersten Kapitel bilanziert, wie die »gemeinsame Grundschule« historisch gewachsen ist (▸ Kap. 1). Dabei ist ein wesentliches Bestimmungsmerkmal, auf das auch Jung (2021) in seinem Band zu dieser Reihe hinweist, die »Grundlegende Bildung«. Wie Grundlegende Bildung angesichts sehr heterogener Lernvoraussetzungen gestaltet und verstanden werden kann, ist vielleicht eine der wesentlichsten Überlegungen, die eine Grundschule, die sich als inklusiv versteht, anstellen kann.

Ein historischer Rückblick auf die Inklusion in der Grundschule erwartet die Leserinnen und Leser im zweiten Kapitel. Ausgehend von der bekannten Abfolge Exklusion, Separation, Integration, Inklusion, Pädagogik der Vielfalt werden historische Entwicklungen dargelegt und heute noch bestehende Dilemmata (etwa das Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma) und das Trilemma der Inklusion aufgezeigt (▸ Kap. 2).

Inklusion ist geltendes Recht. Doch gerade die Rechtsgrundlage ist vielschichtig, angefangen bei Begriffen wie »Förderbedarf«, »Behinderung«, »Teilhabe«. Im dritten Kapitel wird versucht, Licht ins Dunkel der Begriffsvielfalt zu bringen. Rechtliche Grundlagen schulischer Inklusion werden aufgezeigt und die momentane Umsetzung in Deutschland dargestellt (▸ Kap. 3).

Dass schulische Inklusion geltendes Recht ist, ist eine Tatsache, die sich aber auch vor den empirischen Daten bewähren muss. Ist es denn sinnvoll, wenn Kinder mit Förderbedarf in die Regelschule gehen – für diese Kinder, für die Kinder ohne Förderbedarf? Die Forschungsergebnisse sprechen hier eine recht eindeutige Sprache pro Inklusion. Im vierten Kapitel werden diese dargestellt, ausgehend von einer Begriffsdefinition schulischer Heterogenität und Intersektionalität (▸ Kap. 4).

Die Forschung bestätigt also die Rechtslage. Allerdings ist die Situation an deutschen Grundschulen, unterteilt in Makro-‍, Meso- und Mikroebene, nicht unbedingt inklusionsfreundlich. Die verschiedenen Organisationsformen und die bundeslandspezifische Ausgestaltung sorgen an manchen Stellen eher für Stagnation. So ist es eigentlich die Makroebene, die für die durchaus vorhandenen Bemühungen und das Engagement auf Meso- und Mikroebene hinderlich ist. In Kapitel 5 wird dargestellt, welche Bedingungen vorliegen, und die Frage aufgeworfen, ob es nicht zu einem grundsätzlichen Umdenken im Schulsystem kommen müsste (▸ Kap. 5).

Genauer auf die Mesoebene wird in Kapitel 6 geblickt, in dem die Schulentwicklung in der inklusiven Grundschule betrachtet wird (▸ Kap. 6). Schulentwicklung als geplanter, kleinschrittiger Prozess kann ein Motor hin zur inklusiven Grundschule sein. Wenn es gelingt, eine Vision zu entwickeln, die von möglichst vielen Personen an der Schule geteilt wird, kann der »Nordstern Inklusion« in operationalisierbaren, kleinen Schritten näher rücken. Dazu gibt es viele mutmachende Beispiele im Kleinen und im Großen. Auch im Bereich der Mikroebene, dem Unterricht, wurden in den letzten Jahren sehr inspirierende Konzepte entwickelt, die in Kapitel 7 veranschaulicht werden (▸ Kap. 7). Inklusionsdidaktische Netze, die Differenzierungsmatrix und Lernleitern sind Beispiele für etablierte Planungshilfen für den inklusiven Klassenunterricht. Response to Intervention als gestuftes Fördersystem kann dabei helfen, Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler lernwirksam zu gestalten.

Allerdings lässt sich kaum eine dieser Ideen von einer einzelnen Person allein umsetzen. Es ist wichtig, dass Lehrkräfte im Team arbeiten. Kapitel 8 bringt einen Überblick über die Vielfalt an Kooperationspartnern, die in der Inklusion zur Verfügung stehen, und stellt gleichzeitig dar, dass die Kooperation in der Intensität und der Autonomie der einzelnen Gruppen jeweils unterschiedlich sein wird (▸ Kap. 8). Es wird darauf hingewiesen, dass stets reflektiert werden sollte, welche Zuständigkeit explizit und implizit vorausgesetzt wird.

Damit eine reflektierende Metaebene eingenommen werden kann, sollte diese bereits im Studium angebahnt werden. Gerade die erste Phase der Lehrkräftebildung dient dem theoriegeleiteten Blick auf die Praxis, wie sie sein könnte, und nicht nur, wie sie bereits ist. Kapitel 9 stellt exemplarisch ein mögliches Zusatzstudium Inklusion dar. Dieses Studium wird in Bayern durchgeführt, ist aber auf andere Bundesländer übertragbar (▸ Kap. 9). An diesem Beispiel wird deutlich, dass eine inklusive Grundschule auch inklusiv ausgebildete Grundschullehrerinnen und -lehrer benötigt. Der Aufbau von Wissen und Verständnis, die Reflexion von Überzeugungen sowie die Entwicklung von Handlungskompetenzen bezogen auf Inklusion sind im Studium unverzichtbar.

In Kapitel 10 wird bilanziert, dass v. a. bottom-up einiges im Bereich der inklusiven Grundschule in Bewegung geraten ist (▸ Kap. 10). Trotzdem erscheint Inklusion gefährdet, da in Zeiten von Lehrkräftemangel und dem schlechten Abschneiden der Kinder in Deutschland im IQB-Bildungstrend es schnell die Inklusion ist, die zum einen verantwortlich gemacht und zum zweiten nicht forciert wird. So lässt sich auch fast 15 Jahre nach Ratifizierung der UN-BRK der Erfolg noch nicht bilanzieren, sondern immer noch auf Work in Progress blicken.

1 Die Grundschule als gemeinsame grundlegende Schule

Inklusion ist in der Grundschulpädagogik seit Jahren ein bedeutsames Thema. Schon seit ihrer Gründung in der Weimarer Republik gilt die Grundschule als gemeinsame Schule für alle Kinder, oft wird der § 146 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 zitiert: »Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf.«

1.1 Die Grundschule als gemeinsame Schule

Die Grundschule wird bei Schorch als erste, gemeinsame, grundlegende und kindgemäße Schule bezeichnet (Schorch, 2007), Jung nennt diese Einteilung »Leitbilder« und untergliedert die Ideen der Grundschule in »Vermittlungsort«, »Ort der Vorbereitung«, »Ort erster Beschulung«, »Ort gemeinsamer Beschulung«, »Ort kindgemäßer Beschulung« und »Ort grundlegender Beschulung« (Jung, 2021). Diese Leitideen und Spezifika der Grundschule berühren die Forderung nach Inklusion und werden auch von dieser berührt. Gerade der Gedanke der ›gemeinsamen Schule‹ zieht von jeher eine hohe Heterogenität der Schülerinnen und Schüler nach sich, die durch inklusive Beschulung erhöht wird. Es lohnt sich, kurz darüber nachzudenken, wie dieser Aspekt der Gemeinsamkeit in der Grundschulgeschichte definiert wurde. Denn dieses Gründungsversprechen der gemeinsamen Grundschule lebt seit 1919 und v. a. in den letzten Jahrzehnten als Narrativ in der Grundschulpädagogik und wird stets als Begründung und Nachweis dafür herangezogen, dass die Grundschule von vornherein und bis heute als Schule für alle gemeint ist.

Allerdings sind über die mehr als hundert Jahre des Bestehens der Grundschule nicht dieselben Kinder gemeint gewesen, wenn es um »alle Kinder« ging. Götz (2021, S. 11 ff.) bezeichnet deshalb die Geschichtsschreibung zur Grundschule als »Mythenpflege«, in der das Narrativ der gemeinsamen Grundschule für alle stets hochgehalten wurde. Sie belegt dies anhand einschlägiger Publikationen über Grundschulgeschichte aus den letzten Jahren. Dabei war die Grundschule, wie Götz nachweist, nie eine Schule für alle. Neben der Möglichkeit zur Separierung nach Konfessionen gab es von Anfang an einen Ausschluss von Kindern nichtdeutscher Sprache oder nichtdeutscher Herkunft, nämlich der Minderheitengruppen mit deutscher Staatsangehörigkeit, aber nichtdeutscher Erstsprache (Sorben, Dänen, Polen), welche eigene Schulen einrichten konnten (Götz, 2021; Krüger-Potratz, 2019). Die Separierung nach sozioökonomischen Gesichtspunkten stellt Götz für diejenigen Regionen fest, die am Modell der meist schulgeldpflichtigen Vorschulen als auf das Gymnasium vorbereitende Schulen festhielten, obwohl diese mit dem Weimarer Reichsgrundschulgesetz vom 28. April 1920 aufgehoben wurden. Neuere Separationen nach sozioökonomischem Hintergrund machen sowohl Götz als auch Helbig (2021) aus. Helbigs Text heißt »(K)‌eine Schule für alle. Warum Grundschulen immer ungleicher werden« (Helbig, 2021, S. 25). Es zeigen sich sozialräumliche Unterschiede zwischen Schulbezirken und den dortigen Grundschulen ebenso wie die Tendenz, Privatschulen zu wählen, was beides zu einer deutlichen sozioökonomischen Heterogenisierung der Schulen untereinander und einer sozialen Homogenisierung der einzelnen Schulen in sich führt. Soziale Durchmischung an der Schule für alle wird erschwert.

Und schließlich gibt es noch die von Götz (2021, S. 20) so genannte »Separierung der Kinder nach dem Grad ihrer Bildungsfähigkeit«, die sie als die historisch langlebigste Aussonderungsstrategie wahrnimmt. Seit Gründung der Grundschule gab es separate Einrichtungen für Kinder mit Behinderungen. Man muss allerdings konstatieren, dass diese Separation nicht das Interesse hatte, die Kinder von Bildung fernzuhalten. Wie Ellger-Rüttgardt (2016, S. 18 ff.) feststellt, wird die Diskussion um Bildsamkeit von Kindern mit Behinderungen und ihre zugehörige institutionelle Eingliederung stets in einem »Spannungsfeld von Separation und Inklusion« geführt. Ideen zur Bildung von Sinnes- und Körperbehinderten aus niedrigeren Schichten wurden ab der europäischen Aufklärung besonders in Preußen unter dem Leiter der »Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts« Wilhelm von Humboldt angestoßen (Ellger-Rüttgardt, 2016). Auch in Wien oder in Frankreich wurden integrative Ideen propagiert, nämlich die eines Elementarschulwesens, das Kinder mit eingeschränktem Hör- oder Sehvermögen integrierte. Diese Versuche scheiterten, und es entwickelte sich in der Konsequenz ein Sonderschul- bzw. Hilfsschulwesen, das ursprünglich den emanzipatorischen Anspruch hatte, behinderte Kinder zu fördern und gesellschaftlich zu integrieren. 1898 wurde der Verband der Hilfsschulen Deutschlands gegründet. Kinder mit Behinderungen, v. a. Lernbehinderungen und geistigen Behinderungen, wurden in Hilfsschulen unterrichtet, die sich mit dem Weimarer Grundschulgesetz eher noch ausbreiteten (Ellger-Rüttgardt, 2016; Götz, 2021).

Das Reichsschulpflichtgesetz von 1938 legte die Grundlage für das vielgestaltete Sonderschulwesen, es führte die Abspaltung der Hilfsschule von der Volksschule und die Bezeichnung »Sonderschule« ein. Es gab also auch im dritten Reich Sonderschulen (Hänsel, 2019). Doch bei Kindern mit geistiger Behinderung wurde die Bildungsfähigkeit grundsätzlich in Frage gestellt. Gerade Menschen mit geistiger Behinderung waren existenziell bedroht. So führte zum einen das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« von 1933 zu Zwangssterilisierungen (Textor, 2018). Zum anderen wurden hunderttausende »Euthanasie-Mordopfer« als lebensunwertes Leben eingestuft und getötet, darunter psychisch Kranke und Menschen mit geistigen Behinderungen. Nach 1945 wurde das desolate Sonderschulwesen ausgebaut. 1965 trat beispielsweise in Bayern das Sonderschulgesetz (»Gesetz über die Errichtung und den Betrieb von Sonderschulen«) in Kraft, welches neun Arten von Einrichtungen auswies: Schulen für Blinde, Gehörlose, Körperbehinderte, Sehbehinderte, Schwerhörige, Sprachbehinderte, Lernbehinderte (bisherige Hilfsschule), geistig Behinderte, Erziehungsschwierige.

Die Spezialisierung und Professionalisierung des Sonderschulwesens entsprachen auch dem Wunsch der Eltern, damit den Bedürfnissen der Kinder begegnet werden konnte und eine Förderung ermöglicht wurde. Eine Schulpflicht für Kinder mit schwerer Behinderung gab es in Westdeutschland erst ab den 1970er Jahren. In der DDR wurden im »Schulpflichtgesetz« von 1950 geistig behinderte Kinder genannt, für die es aber Ausnahmen von der Schulpflicht gab (Barsch, 2013).

Bei den Bemühungen um Integration, die ebenfalls in den 1970er Jahren begannen, wurden auch Kinder mit geistiger Behinderung immer mitgedacht. Besonders verstärkt wurden diese Bemühungen durch die Empfehlung des deutschen Bildungsrates von 1973 unter der Leitung von Jakob Muth zur »pädagogischen Förderung behinderter und nicht behinderter Kinder« (Deutscher Bildungsrat, 1979). Eine flächendeckende Umsetzung integrativer Beschulung hatte diese Empfehlung jedoch nicht zur Folge. Es ist anzunehmen, dass erst durch die rechtsverbindliche UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) aus dem Jahr 2008 und dem damit einhergehenden Recht auf Inklusion die Grundschule tatsächlich auf dem Weg ist, eine gemeinsame Schule für alle zu werden. Mit Blick auf die oben bereits aufgezeigten Homogenisierungstendenzen (z. B. der sozialräumlichen Entmischung von Stadtteilen und Grundschulen oder der Tendenz, Privatschulen zu wählen) wird diese Entwicklung bereits wieder konterkariert. Zudem besteht in einzelnen Bundesländern der Ressourcenvorbehalt. Schulen müssen bestimmte Kinder nicht aufnehmen, wenn die räumlichen und sächlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.

1.2 Die Grundschule als grundlegende Schule

Wie kann man Inklusion unter dem Aspekt der ›gemeinsamen Grundschule‹ verstehen und wie wirkt sich eine ernst genommene ›Gemeinsamkeit‹ auf die Leitideen der Grundschulpädagogik aus?

Die Idee der Grundschule als »grundlegend« (Jung, 2021; Schorch, 2007) geht ebenfalls auf die Weimarer Republik zurück. Die Ideen dazu sind, wie etwa Schorch (2007) ausführt, bereits auf Comenius (1592 – 1670) zurückzuführen, dessen berühmter Leitgedanke »Omnes Omnia Omnino«, dass alle alles allumfassend lernen sollen, genau dies ausdrückt.

Rechtlich erstmals grundgelegt wurden diese Ideen in den »Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule« von 1921 und dem »Erlaß des Reichsministers des Inneren über die Zielbestimmung und innere Gestaltung der Grundschule« vom 28. 4. 1923, wonach die Grundschule eine »Stätte grundlegender Bildung« (Rodehüser, 1987) ist. Bereits damals ging es um eine »Entfaltung der kindlichen Kräfte«, aber auch um die Grundlegung »für jede weiterführende Bildung« (ebd.). Diese Idee der grundlegenden Bildung hat sich bis heute gehalten. Einsiedler (2014) stellt vier »Grundlegungsaufgaben« vor: »Gemeinsame Bildung für alle«, »Gemeinsamer Grundstock«, »Beginn der Allgemeinbildung« und »Stärkung der Persönlichkeit«. Der Begriff der »Bildung« im Kontext der grundlegenden Bildung ist unterschiedlichen Traditionen verpflichtet, etwa der humboldtschen Bildungskonzeption und der geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Einflussreich in der Grundschulpädagogik waren Klafkis Idee der kategorialen Bildung von 1959, Ilse Lichtenstein-Rothers Idee (1982), dass die Grundschule keine Vorstufe der eigentlichen Bildung sei, sondern in ihr bereits bildende Prozesse stattfänden, und Einsiedlers Systematisierung der vier Grundlegungsaufgaben (vgl. Einsiedler, 2014).

Wie ist aber dieser Begriff der grundlegenden Bildung vor dem Hintergrund und im Kontext der Idee der Inklusion zu verstehen? Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht und genau um diesen Begriff ranken sich auch die Inklusionsdiskussionen nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention. Bildung stellt ein Recht dar, das jedem Menschen in hoher Qualität und ohne Diskriminierung zusteht. Es zeigte sich gerade in Deutschland, so der Bericht des UN-Sonderberichterstatters für das Menschenrecht auf Bildung Muñoz von 2006, dass Kinder mit Behinderungen oder mit Migrationshintergrund1 von schulischer Segregation und Diskriminierung betroffen waren (Sauter, 2016).

Wie können die »Grundlegungsaufgaben« nach Einsiedler mit der Idee der Inklusion vereinbart werden? Die Definition eines gemeinsamen Grundstocks an Bildungsinhalten und Kompetenzen war immer schon Gegenstand grundschulpädagogischer Diskussionen. Es dominierte lange Zeit die Vorstellung einer gemeinsamen Basis, von der aus individuell weitergegangen werden kann. Metaphorisch wurde von einem Fundament, auf welchem weiter aufgebaut werden kann, oder auch einem Stamm, welcher sich zunehmend verzweigt, gesprochen (Einsiedler, 2014). Es gibt diesbezüglich auch bildungspolitische Grundlagen, etwa die Bildungsstandards für den Primarbereich (Jahrgangsstufe 4) in den Fächern Deutsch und Mathematik, die sich explizit auf die grundlegende Bildung beziehen (KMK, 2004). Für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf (Förderschwerpunkte Lernen und geistige Entwicklung) in der Inklusion stellt sich dann die Situation so dar, dass diese lernzieldifferent unterrichtet werden können. Empfohlen wird die Orientierung an den Lehrplänen für die Förderschwerpunkte Lernen bzw. geistige Entwicklung. Dass aber Bildung nicht nur die Vermittlung formaler Qualifikationen in den Kulturtechniken beinhaltet, sondern auch die