Inklusive Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf - Helga Fasching - E-Book

Inklusive Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf E-Book

Helga Fasching

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Beschreibung

Der Band befasst sich mit der Gestaltung von inklusiven Übergängen von der Schule in Ausbildung und Beruf. Inklusion umfasst eine fundierte Berufsorientierung, chancengerechten Zugang zum Ausbildungssystem sowie nachhaltige Partizipation am Allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Begleitung und Unterstützung von Jugendlichen mit Behinderung stehen dabei im Fokus. Der Band führt in ausgewählte Handlungsfelder und Konzepte ein und diskutiert Theorien und Begriffe unter Inklusions- und Diversitätsgesichtspunkten.

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Inklusive Schule

Herausgegeben von Gottfried Biewer

Helga FaschingLena Tanzer

Inklusive Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-035709-9

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-035710-5

epub:     ISBN 978-3-17-035711-2

 

Inhalt

 

 

 

Inklusive Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf

 

Vorwort

1          Wozu Inklusion im Übergang?

 

Weiterführende Literatur und Links

2          Übergänge im nationalen und internationalen Kontext

 

2.1      Die Nahtstelle Schule-Beruf im österreichischen (Berufs-)Bildungssystem

2.2      Übergangsregimes – nationale Rahmungen des Übergangs von der Schule in den Beruf

Weiterführende Literatur und Links

3          Begriffe und Theorien im Kontext von (inklusiven) Übergängen von der Schule in Ausbildung und Beruf

 

3.1      Ausgewählte theoretische Modelle zum Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf

3.2      Bildungs- und Berufsentscheidungen

3.2.1   Rational-Choice-Ansätze

3.2.2   Reproduktionstheoretische Ansätze

3.3      Soziale Benachteiligung und Ungleichheit im Übergang

3.3.1   Der Fokus auf prekäre Übergänge von der Schule in den Beruf

3.3.2   Benachteiligung, besondere Herausforderungen und Problemlagen im Übergang Schule-Beruf

3.4      Übergänge und Bewältigung

3.5      Übergangsgerechtigkeit und Capabilities Approach

Weiterführende Literatur und Links

4          Leitbegriffe und -prinzipien der Inklusiven Pädagogik in Übergängen

 

4.1      Inklusion im Übergang in die berufliche Bildung

4.2      Berufliche Partizipation

4.3      Intersektionalität in Übergangsprozessen

4.4      Empowerment

4.5      Selbstbestimmung und Selbstvertretung in Übergängen

Weiterführende Literatur und Links

5          Pädagogische Handlungsfelder im Übergang und ihre Leitkonzepte

 

5.1      Inklusive berufliche Diagnostik

5.1.1   Diagnose von Ausbildungsreife

5.1.2   Individuum-Umfeld-Diagnostik

5.1.3   Biographische Diagnostik

5.2      Inklusive Beratung in Übergängen in Ausbildung und Beruf

5.2.1   Längerfristige, biographisch-narrative Beratung

5.2.2   Lösungsorientierte, kurzzeitige Beratung

5.2.3   Peer Beratung/Peer Counseling

5.3      Berufs- und Übergangscoaching

5.4      Case Management im Übergang

5.5      Assistenz im Kontext von Ausbildung und Arbeit

5.6      Unterstützte Beschäftigung/Supported Employment

Weiterführende Literatur und Links

6          Methoden, Handlungskonzepte und Unterstützungsmaßnahmen im schulischen, außerschulischen und betrieblichen Kontext

 

6.1      Methoden partizipativer Übergangs- und Berufswegeplanung

6.1.1   Individuelle Transitionsplanung (ITP)

6.1.2   Persönliche Zukunftsplanung (PZP)

6.2      Schulische Handlungskonzepte und Methoden der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung

6.2.1   Inklusive schulische Berufsorientierung und -vorbereitung

6.2.2   Berufswahlpass (BWP)

6.3      Formen der Integrativen Berufsausbildung in Österreich

6.3.1   Verlängerte Lehre

6.3.2   Teilqualifizierung

6.3.3   Überbetriebliche Lehre

6.4      Maßnahmen des Übergangssystems zur Berufsorientierung, Berufsvorbereitung, Ausbildungsqualifizierung und Unterstützung im Beruf

6.4.1   Jugendcoaching (ehem. Clearing)

6.4.2   AusbildungsFit (ehem. Produktionsschule)

6.4.3   Berufsausbildungsassistenz

6.4.4   Arbeitsassistenz

6.4.5   Jobcoaching

6.4.6   Betriebsservice

Weiterführende Literatur und Links

7          Partizipative Kooperation im Übergang

 

7.1      Kooperation mit Eltern und Familie

7.2      Intra- und interprofessionelle Kooperation

Weiterführende Literatur und Links

Literaturverzeichnis

 

Inklusive Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf

 

Vorwort

Dieser Band der Reihe »Inklusive Schule« fokussiert sich auf Inklusion im nachschulischen Übergang und im Kontext beruflicher Bildung und beruflicher Partizipation. Er richtet sich an Studierende in Bachelor- und Masterstudiengängen und Lehramtsstudierende, die sich mit inklusions- und sozialpädagogischen Fragestellungen insbesondere an der Schnittstelle zwischen Pflichtschule und Berufsleben vertiefend beschäftigen möchten. Titel und Inhalte des Bandes beziehen sich vor allem auf den deutschsprachigen Raum.

Die Notwendigkeit der Fortsetzung inklusiver Bildungs- und Beschäftigungsprozesse nach der Pflichtschule verweist mittlerweile auf eine umfangreiche Forschung mit unterschiedlichen Zugängen. In diesem Band werden zwei pädagogische Diskursfelder zusammengeführt: Der Diskurs zu Pädagogik der Vielfalt und Inklusion sowie der Diskurs um die Pädagogik der Übergänge. Die allgemeinen Leitideen und -prinzipien dieser Diskurse werden im Speziellen für den Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf aufeinander bezogen und fruchtbar gemacht. In vielen auch im Folgenden herangezogenen Artikeln und Beiträgen werden diese beiden Diskursfelder und ihre Leitprinzipien bereits im Hinblick auf den Übergang kombiniert. Dies verweist auf die auch gegenwärtige Relevanz von Inklusion in (Bildungs-)Übergängen.

Dieser Band leistet einen weiteren Beitrag zur Professionalisierung und Akademisierung des Themen- und Forschungsfeldes des Übergangs von der Pflichtschule in Ausbildung und Beschäftigung. Es wird deutlich, dass der Themenbereich inklusive Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beschäftigung und berufliche Partizipation als eigenständiges Forschungsfeld etabliert ist.

Wien, im Oktober 2021

Helga Fasching und Lena Tanzer

 

1

Wozu Inklusion im Übergang?

 

 

 

Worum es geht …

Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels in der Zweiten Moderne stellt das folgende Kapitel einführend die allgemeine Situation für Pflichtschulabsolvent*innen dar und nimmt dann Bezug darauf, wie sich gegenwärtige Strukturen auf die Übergänge marginalisierter Gruppen auswirken.

Übergänge im persönlichen Lebenslauf stellen Menschen vor vielfältige Herausforderungen. Sie sind gekennzeichnet durch Unübersichtlichkeit und zahlreiche Risiken, erfordern Neuorientierung und Planung. Im Hinblick auf den Übergang von der Schule in Ausbildung oder Beruf sind Jugendliche mit der bildungs- und berufsbiographisch bedeutsamen Frage konfrontiert, ob die schulische Laufbahn fortgesetzt oder in die duale Ausbildung und/oder Erwerbstätigkeit eingemündet werden soll. Viele sehen sich vor dem (Pflicht-)Schulabschluss zudem in einer ambivalenten Situation. Die Eröffnung von beruflichen Möglichkeiten und Chancen durch Globalisierungs- und Flexibilisierungsprozesse auf der einen Seite korrespondiert mit einer zunehmenden Unübersichtlichkeit über (Aus-) Bildungswege sowie berufliche Möglichkeiten andererseits:

»Der Wegfall sozial normierter, etablierter Ausbildungs- und Berufswege erzwingt verstärktes eigenverantwortliches Handeln. Auf der einen Seite bedeutet dies mehr Freiheit und damit auch mehr Chancen für die Gestaltung des eigenen Lebensweges. Auf der anderen Seite bedarf es auch Fähigkeiten, diese Freiheit zu nutzen. Sind diese nicht vorhanden, kann Entscheidungsfreiheit auch zu Überforderungen führen.« (Butz & Deeken, 2014, S. 101)

Die Jugendlichen sind dazu angehalten, ihre schulischen wie beruflichen Möglichkeiten auszuloten und sich schließlich für eine Alternative zu entscheiden, der entsprechend dann der weitere Ausbildungsweg ausgerichtet wird. Koch (2015, S. 4) hält fest, dass es gerade »[f]ür Jugendliche besonders schwerwiegend [ist], dass mit den jeweiligen Anschlüssen unterschiedliche Chancen der langfristigen Teilhabe an Erwerbstätigkeit verbunden sind«.

Zudem werden bisherige Denk- und Handlungsmuster insofern herausgefordert, als dass das berufliche Umfeld nicht mit der bekannten schulischen Lebensrealität konform geht: »Der Wechsel von der Schule in die Arbeitswelt erfordert, in einem neuen, erwerbs- und berufsbezogenen Kontext handlungsfähig zu werden« (Pool Maag, 2016, S. 601).

Allerdings gilt für junge Menschen gleichermaßen, neben einer Festlegung noch flexibel für berufliche Änderungen zu bleiben. Dabei sei vor allem wesentlich, bereits vor dem Berufseintritt »spezifische, potenziell nützliche und verwertbare ›Kompetenzen‹ oder ›skills‹ zu erwerben und dieserart das eigene Humankapital zu maximieren« (Fasching, 2019, S. 854). Das bedeutet nicht nur, dass die Schüler*innen zukünftige berufliche Anforderungen bereits antizipieren müssen, sondern dass auch der Schule und speziell den berufsbildenden und -vorbereitenden Fächern eine besondere Bedeutung zukommt.

Bildungs- und Berufsentscheidungen zeichnen sich demnach durch einen immer ungewisseren und vorläufigeren Charakter aus. Von einer einmaligen Berufsentscheidung für einen Lebensberuf (Famulla, 2001) kann keine Rede sein:

»Ökonomische Wandlungstendenzen wie Globalisierung, Flexibilisierung, Mobilität tangieren Ausbildungsfähigkeit von der gesellschaftlichen Makroebene aus. […] Dieser Wandel wird zukünftig die Berufsorientierung von Jugendlichen mitbestimmen und Lebenslanges Lernen zu einer Notwendigkeit für alle machen.« (Schlemmer, 2008, S. 15)

Durch ein immer weiter steigendes Bildungsabschlussniveau werden nicht nur immer höhere bzw. mehr Abschlüsse, sondern zudem auch bestimmte, zuvorderst intellektuell-kognitive Kernkompetenzen notwendig. Die vor allem durch Digitalisierung bedingte voranschreitende Wegrationalisierung (Haeberlin, 1998) des Niedriglohnsektors und Sonderarbeitsmarktes sowie die Akademisierung einer Reihe von Berufsgruppen lässt formale Schulabschlüsse und Bildungszertifikate immer bedeutsamer werden (Fasching, 2019, S. 854). Die durchschnittliche Höherqualifizierung geht allerdings damit einher, dass es sich für niedrigqualifizierte Jugendliche und Schüler*innen aus Mittel- bzw. Haupt- und Sonderschulen zunehmend schwieriger gestaltet, am allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen (Nentwig, 2018, S. 22). Als besonders herausfordernd stellt sich der Übergang für Jugendliche mit bestimmten Differenzmerkmalen dar. Sie sind besonders von (zunehmender) Benachteiligung, Ausgrenzung und Stigmatisierung betroffen und sehen sich mit hohen Zugangsbarrieren im Ausbildungs- und Berufssystem konfrontiert.

Besonders die Verschränkung mehrerer Differenzmerkmale erhöht und verschärft Exklusions- und Benachteiligungsrisiken im Übergang von der Schule in weitere Ausbildung und Beruf. Müller,Zöller, Diezinger und Schmid (2015, S. 64) verweisen darauf, dass »Zugangsprobleme zur beruflichen Bildung in der Regel lang anhaltende soziale Selektionswirkungen« haben.

Abb. 1.1: Differenzmerkmale, die zu Benachteiligung im Übergang von der Schule in die Ausbildung und den Beruf führen können (eigene Darstellung).

Junge Erwachsene mit Beeinträchtigung sind nach der Pflichtschulzeit besonders oft mit Hürden im Übergang konfrontiert:

»Während einerseits ihre Zugangschancen sinken, nehmen andererseits Diskreditierungs- und Stigmatisierungsprozesse zu, sodass die Verdrängung in die Arbeitslosigkeit und in weiterer Folge an den Rand der Gesellschaft nahezu unausweichlich wird« (Fasching, 2019, S. 854).

Dabei sind Menschen mit Behinderung vermehrt auf Maßnahmen der Sozialpolitik und der Bereitstellung von institutionellen Unterstützungsangeboten angewiesen (Fasching, 2014, S. 506). Auch Demmer (2017, S. 100) vermerkt,

»dass die Entscheidungsmöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen unter verschärften Exklusionstendenzen und Formen institutioneller Diskriminierung stattfinden und dass für die Bearbeitung der damit einhergehenden Risiken häufig nur begrenzte materielle, soziale und/oder kulturelle Ressourcen zur Verfügung stehen«.

Sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene verlassen Jugendliche mit intellektueller Beeinträchtigung am häufigsten frühzeitig die Schule (Fasching, 2014, S. 12). Nach dem Abschluss der Pflichtschule kommt es insbesondere bei Angehörigen dieser Gruppe vermehrt zu einem direkten Übergang in die Tagesstruktur oder Beschäftigungstherapie im dritten Arbeitsmarkt, dem sogenannten »erweiterten Arbeitsmarkt« (Fasching, 2016). Der Wechsel aus diesem in ein Beschäftigungsverhältnis auf dem ersten bzw. allgemeinen Arbeitsmarkt gelingt nur in seltenen Fällen (Spiess, 2004).

Wenngleich eine ganzheitliche, inklusive Berufsorientierung, -vorbereitung und -ausbildung und übergangsspezifische pädagogische Unterstützungsleistungen eine bedeutsame Stellung für alle Schüler*innen zur Bewältigung des Übergangs von der Schule in Ausbildung und Beruf einnehmen, so wenden sie sich doch vor allem an jene Schüler*innen, die von struktureller Benachteiligung betroffen sind und den Übergang als besonders prekär erleben (könnten). Es wird versucht, ihren Vorstellungen, Wünschen und Möglichkeiten entsprechend und mit ihnen gemeinsam den Übergang zu gestalten. Neben schulbezogenen Angeboten offerieren dabei auch außerschulische und berufsbegleitende Maßnahmen Unterstützung, um inklusive Übergänge in Ausbildung und Beruf bestmöglich anzubahnen und zu begleiten. Da in jeder Phase verschiedene Kompetenzen und Entscheidungen von den Jugendlichen abverlangt werden, sind pädagogische Angebote in unterschiedlichen Bereichen bzw. professionellen Handlungsfeldern (z. B. Assistenz) und an unterschiedlichen Zeitpunkten im Übergang (z. B. Coaching vor und während des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung sowie Arbeitsassistenz im Beruf) angesiedelt.

Ein Ziel inklusiver Übergänge ist demnach, dass »inklusive, sprich chancengerechte Bedingungen geschaffen werden, welche die Verschiedenheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen von vornherein berücksichtigen und Benachteiligungen und Ausgrenzungen aufgrund von Unterschiedlichkeit vermeiden« (Wansing, Westphal, Jochmaring & Schreiner, 2016, S. 71). In Bezug auf eine inklusive Übergangsgestaltung nach der Pflichtschule bedeutet dies Zugang zu weiterführender Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung in regulären Systemen. Es geht dabei nicht nur um eine theoretische Gewährung von Zugängen, sondern vielmehr darum, durch eine Unterstützung im Gewinnen von Handlungsfähigkeit nachhaltige Partizipation (am allgemeinen Arbeitsmarkt) zu ermöglichen. Alternative Beschäftigungsformen am zweiten oder dritten Arbeitsmarkt sollten erst zum Zug kommen, wenn alle Möglichkeiten der Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschöpft wurden (Fasching, 2014, S. 507). Pädagogisches Handeln ist angehalten, Benachteiligungsstrukturen im Übergang zu erkennen und Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf partizipativ zu gestalten.

Die Verwobenheit von Übergängen und Pädagogik zeigt sich schließlich in zweifacher Weise: Zum einen werden durch Übergänge selbst Lern- und Bildungsprozesse auf Seiten des Individuums evoziert. Zum anderen kann das pädagogische Moment auch in der professionellen Bearbeitung von Übergängen gesehen werden, sei dies nun als Vorbereitung, Begleitung oder nachträgliche Korrektur.

Weiterführende Literatur und Links

Cameron, D.K. & Thygesen, R. (Eds.) (2015). Transitions in the field of special education. Theoretical perspectives and implications for practice. Münster, New York: Waxmann.

Fasching, H., Geppert, C. & Markarova, E. (Hrsg.) (2017). Inklusive Übergänge. (Inter)nationale Perspektiven auf Inklusion im Übergang von der Schule in weitere Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Trainor, A. A. (2017). Transition by design: Improving equity and outcomes for adolescents with disabilities. New York: Teachers College Press.

Wehman, P. (2013). Life Beyond the Classroom. Transition strategies for young people with disabilities. Baltimore, London, Sydney: Paul H. Brookes.

Bidok – digitale Volltextbibliothek mit Texten und Materialien zum Thema Inklusion von Menschen mit Behinderungen und zum Übergang Schule – Beruf (Universität Innsbruck): http://bidok.uibk.ac.at/

AMS Österreich: http://iambweb.ams.or.at/ambweb/

Informationssystem des Bundesministeriums für Arbeit (Österreich): http://www.dnet.at/elis/

Information zu Sozialen Unternehmen:

http://www.sozialeunternehmen-vorarlberg.at/daten-fakten

 

2

Übergänge im nationalen und internationalen Kontext

 

 

 

Worum es geht …

Der Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf ist besonders durch drei Systeme geprägt: dem Schulsystem, dem System der beruflichen Bildung sowie dem sogenannten Übergangssystem. Der Übergang in den Beruf ist länderspezifisch durch bestimmte gesetzliche und institutionelle Strukturen gerahmt. Der folgende Abschnitt beleuchtet die Nahtstelle Schule-Beruf in Österreich und gibt einen Überblick über Transitionspfade im österreichischen (Berufs-)Bildungssystem. Danach wird diese Transition als zentrales Charakteristikum von Übergangssystemen im internationalen Vergleich skizziert.

2.1       Die Nahtstelle Schule-Beruf im österreichischen (Berufs-)Bildungssystem

Die allgemeine Schulpflicht endet in Österreich nach dem 9. Schuljahr im Alter von 14–15 Jahren. Die Thematik des Übergangs und Fragen nach weiteren Anschlussmöglichkeiten werden zumeist jedoch schon früher virulent, denn mit dem Ende des 8. Schuljahres endet in Österreich auch die Sekundarstufe I, welche entweder an einer Mittelschule oder der Unterstufe einer AHS (Allgemeinbildenden Höheren Schule) absolviert werden kann. Bei Vorliegen eines SPF (Sonderpädagogischen Förderbedarfs) aufgrund von Behinderung oder Beeinträchtigung gibt es die Möglichkeit integrativer Beschulung oder, falls nicht vorhanden oder möglich, des Besuches einer Sonderschule.1 Allein an einer AHS besteht (bei entsprechend erfolgreichem Abschluss der Sek I) die Möglichkeit, in derselben Schule in die AHS Oberstufe zu wechseln. Ein Wechsel von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II und die Fortsetzung der schulischen Laufbahn ist neben der Oberstufe einer AHS in folgenden Schulformen möglich: BMS (Berufsbildende Mittlere Schule) oder BHS (Berufsbildende Höhere Schule). Die inklusive Beschulung von Schüler*innen mit Behinderung oder Beeinträchtigung in der Sekundarstufe II ist derzeit in Österreich nur im Rahmen von Schulversuchen oder in Privatschulen möglich. Damit ist – die genannten Schulversuche ausgenommen – für eine Beschulung in höheren Schulen (Oberstufe AHS oder BHS) noch vorwiegend ein »normaler Lehrplan« sowie eine Beschulung ohne SPF erforderlich (Moser, 2018).

Zudem sind einjährige Schulformen zur Erreichung der Schulpflicht und Absolvierung des 9. Schuljahres vorhanden: PTS (Polytechnische Schule) sowie das BVJ (Berufsvorbereitungsjahr). Die Polytechnische Schule stellt einen einjährigen Schultyp zur Berufsvorbereitung dar. Nach Abschluss des 9. Pflichtschuljahres an der PTS oder einer anderen höheren Schule kann anstatt weiterer schulischer Bildung auch im Zuge einer Dualen Ausbildung/Lehre (Berufsschule und Ausbildung in einem Betrieb) direkt der Weg in die Erwerbstätigkeit eingeschlagen werden2 (Euroguidance Österreich, 2021, online).

Das BVJ stellt einen einjährigen Bildungsgang dar. Es findet an Sonderschulen statt und bildet dort das 9. Pflichtschuljahr. Der Lehrplan des BVJ findet zudem auch bei Schüler*innen mit SPF, die eine Integrationsklasse besuchen, Anwendung. Im Allgemeinen richtet sich das BVJ an Schüler*innen mit Behinderung oder Benachteiligung. Den Anschluss an das BVJ bildet zumeist eine Integrative Berufsausbildung, welche eine berufliche Erstausbildung für Schüler*innen mit Behinderung oder Benachteiligung umfasst. Eine Integrative Berufsausbildung kann unterschiedliche Formen annehmen (verlängerte Lehre oder Teilqualifizierung), beinhaltet jedoch zumeist eine Lehrstelle am ersten Arbeitsmarkt (Kap. 6.3).

Der Arbeitsmarkt wird in verschiedene Teilsegmente unterteilt: Der erste, auch reguläre oder allgemeine Arbeitsmarkt genannt, umfasst die reguläre, tarifvertragliche und sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit in Wirtschaftsunternehmen oder öffentlichen Einrichtungen. Der zweite Arbeitsmarkt betrifft zeitlich befristete und im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik geförderte Arbeitsplätze. Dazu zählen in Österreich zum Beispiel Sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte. Am zweiten Arbeitsmarkt finden sich reguläre, nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen, die zwar geschützt, aber wirtschaftsnah sind und den Übergang bzw. Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt unterstützen sollen. Der dritte Arbeitsmarkt ist der sogenannte ›erweiterte Arbeitsmarkt‹ (Sonderarbeitsmarkt oder Ersatzarbeitsmarkt genannt) und existiert in Form von Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM), Beschäftigungstherapie oder Tagesstruktureinrichtungen. Dieser Arbeitsmarkt ermöglicht dauerhaft geförderte Arbeitsplätze für jene Personen mit Behinderung, die am ersten Arbeitsmarkt keine Beschäftigungsmöglichkeiten erhalten. Der zweite und dritte Arbeitsmarkt dienen der beruflichen Rehabilitation von Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung, die nicht, noch nicht oder nicht wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt erwerbstätig werden können (Stadler, 1996, S. 275ff.; Wegscheider & Schaur, 2019, S. 50; arbeit plus – Soziale Unternehmen Vorarlberg, 2016, online).

In Österreich soll jedoch das 2016 in Kraft getretene Ausbildungspflichtgesetz (›Ausbildung bis 18‹) sicherstellen, dass jede*r Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren eine Form der Ausbildung (Schule oder Duale Berufsausbildung) in regulärer, verlängerter oder teilqualifizierender Form besucht. Tagesstrukturen und WfbM sowie ungelernte Hilfsarbeit erfüllen grundsätzlich nicht die Voraussetzungen für die Ausbildungspflicht. Es kann jedoch zu einem Einmünden in den Ersatzarbeitsmarkt kommen, wenn ein Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt nicht gefunden oder gehalten werden kann und es demnach zu einem langfristigen Verbleib im Übergangssystem kommt. Grundsätzlich stellen Beschäftigungen am Ersatzarbeitsmarkt jedoch eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation dar, wodurch die (Wieder-)Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt eine ihrer Aufgaben ist.

Sind Jugendliche bis 18 Jahre nicht in einem dieser beiden Ausbildungsstränge (sog. NEET: Not in Education, Employment or Training oder systemferne Jugendliche), brechen vorzeitig Schule oder Berufsausbildung ab (EAL: Early School Leavers bzw. FABA: Frühe (Aus-)Bildungsabbrecher*innen) oder sind hinsichtlich ihres weiteren (Aus-)Bildungsweges noch unentschlossen, sind sie dazu angehalten, eine Maßnahme im sogenannten »Übergangssystem« (erstmalige Erwähnung im Nationalen Bildungsbericht 2006, siehe: Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2006) zu besuchen.

Das Übergangssystem gilt als Teilbereich des außerschulischen Berufsbildungssystems und beinhaltet unterschiedliche, nicht berufsqualifizierende Maßnahmen, die als Brückenangebote fungieren und der Berufsorientierung, -vorbereitung oder der Ausbildungsqualifizierung und Nachreifung und damit der Anbahnung bestimmter ausbildungsrelevanter Kompetenzen oder von Ausbildungsreife dienen. Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Chancen der Jugendlichen zu verbessern und diese so bald als möglich (wieder) in das (Berufs-)Bildungssystem zu integrieren. Maßnahmen des Übergangssystems bieten somit keine zertifizierten Berufsausbildungen und -abschlüsse (Kohlrausch, 2012).

Abb. 2.1: Nahtstelle Schule-Beruf im österreichischen Bildungssystem (eigene Darstellung)

Auf dem Niveau der Sekundarstufe II verlaufen demnach das Schulbildungssystem, das Berufsbildungssystem sowie das Übergangssystem parallel zueinander. Der Weg von Jugendlichen von der Schule in den Beruf kann dabei von (mehrmaligen) Wechseln zwischen diesen Systemen geprägt sein.

Die rechtliche Grundlage für Teilhabe an Ausbildung und Beruf von Menschen mit Behinderung bildet auf internationaler Ebene die UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 24 und 27). Auf nationaler Ebene sind vor allem der Nationale Aktionsplan Behinderung 2012-2020 als Umsetzungsstrategie der UN-BRK zu nennen sowie das Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG), das Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), das Arbeits- und Gesundheitsgesetz (AGG), Teile des Berufsausbildungsgesetzes (BAG) sowie das Ausbildungspflichtgesetz (APflG ›Ausbildung bis 18‹).

2.2       Übergangsregimes – nationale Rahmungen des Übergangs von der Schule in den Beruf

Pädagogisches Handeln im Übergang ist bereits vorstrukturiert durch Normalitätsannahmen bezüglich gelingender und gescheiterter Übergänge, die nicht nur auf individueller und institutioneller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene verankert sind (Walther, 2014a, S. 78). Übergangsregimes können als nationalstaatliche Rahmen verstanden werden, in denen Übergangspfade vorgezeichnet werden. Sie sind »Konstellationen der gesellschaftlichen Regulierung von Übergängen« (Walther, 2014a, S. 80). Übergangsregimes präfigurieren Möglichkeit und Ausmaß individueller Gestaltungsmöglichkeiten und werden beispielsweise durch Gesetzgebung, strukturelle Vorgaben oder auch Zeitpunkt und Ausmaß von Gatekeepingprozessen3 durch professionelle Akteur*innen auf unterschiedlichen Ebenen sichtbar. Das bedeutet, Heranwachsenden und Menschen, die diese im Übergang begleiten, kommt immer nur ein begrenzter Handlungsspielraum zu, welcher gemäß einer bestimmten Logik vorstrukturiert ist. Übergangsregimes können als nationalstaatliche Normalitätsannahmen betrachtet werden und sind derart in sozio-ökonomische und institutionelle Prozesse eingeflochten, dass sie als notwendig und nicht wandelbar erscheinen (Walther, 2014a, S. 78).

Auf der Suche nach grenzübergreifenden Mustern innerhalb der verschiedenen institutionellen und strukturellen Arrangements wurde in einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie eine heuristische Typologie von Übergangsregimes entwickelt, der zufolge sich die nationalen Übergangsregimes in Europa in vier idealtypische Modelle einteilen lassen:

  Das universalistische Übergangsregime (nordische Länder) zeichnet sich im Schulbereich durch eine hohe Durchlässigkeit aus. Junge Erwachsene sind im Übergang von der Schule in den Beruf vor allem durch den Staat sozial abgesichert und münden in ein offen strukturiertes Arbeitsregime mit geringem Risiko;

  das liberale Modell (angelsächsische Länder) zeichnet sich mit dem Ziel möglichst rascher Unabhängigkeit und Erwerbstätigkeit durch ein durchlässiges Schulsystem und flexible Strukturen im Übergangs- und Ausbildungsbereich aus, ist allerdings mit hohem Risiko für die Bewerber*innen verbunden. Soziale Absicherung erfolgt teilweise durch den Staat, teilweise durch die Familie;

  das unter-institutionalisierte System (südeuropäische Länder) bietet durchlässige Schulstrukturen bei niedrigen Standards. Durch einen eher in sich geschlossenen Arbeitsmarkt mit hohem Risiko sind junge Erwachsene und Jugendliche oftmals lange von ihrer Herkunftsfamilie abhängig, durch die die alleinige soziale Sicherung erfolgt;

  das erwerbszentrierte Modell (mitteleuropäische Länder) zeichnet sich besonders durch ein selektives Schulsystem, das die Schüler*innen früh in verschiedene Sparten unterteilt. Das Arbeitsregime wird als geschlossen, jedoch mit nur geringem Risiko für die Heranwachsenden bewertet. Sozialer Rückhalt wird hier zum Teil durch staatliche Förderungen geleistet, zum Teil wird er von der Herkunftsfamilie abhängig gemacht (Walther, 2014a, S. 94f.).

Das Übergangsregime Österreichs, Deutschlands und der Schweiz wird dem erwerbszentrierten Typus zugeordnet, der sich in erster Linie durch eine hohe Standardisierung, eine hohe Differenzierung und ein hohes Maß an sozialer Selektion auszeichnet.

Die Typen von Übergangsregimes unterscheiden sich insbesondere auch darin, ob Benachteiligung strukturell oder individuell bedingt interpretiert wird (Lindmeier & Schrör, 2015, S. 153). Strukturell meint dabei, dass »Jugendliche benachteiligt [sind], weil sie arbeitslos sind und ihnen dadurch Teilhabemöglichkeiten vorenthalten sind, und sie sind arbeitslos, weil Arbeit oder Bildungsmöglichkeiten fehlen bzw. der Zugang verschlossen ist« (Walther, 2014a, S. 95). Diese Auffassung spiegelt sich im universalistischen und unter-institutionalisierten Modell wider. Im Zuge der individuell bedingten Auslegung von Benachteiligung wird Arbeitslosigkeit eher geknüpft an individuelle Defizite wie fehlende Ausbildungsreife oder Motivation. Diese Auffassung von Benachteiligung dominiert im erwerbszentrierten und liberalen Übergangsregime und kommt teilweise im universalistischen Modell vor. Je nach Interpretation folgt als nationalstaatliche Antwort eher die Schaffung von (Aus-)Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten oder die Schaffung von Maßnahmen zur individuellen Förderung und Anpassung von jungen Erwachsenen, um den vorgegebenen und benötigten Anforderungen zu entsprechen (ebd.).

Weiterführende Literatur und Links

Überblick über das österreichische Bildungs- und Ausbildungssystem: https://www.bildungssystem.at/

Bidok – digitale Volltextbibliothek mit Texten und Materialien zum Thema Inklusion von Menschen mit Behinderungen und zum Übergang Schule – Beruf (Universität Innsbruck): http://bidok.uibk.ac.at/

1     Bei behördlicher Bewilligung besteht die Möglichkeit, den Besuch der Sonderschule auf bis zu 12 Schuljahre zu verlängern. Diesbezüglich lautet § 32 Abs. 1 und 2 im Schulunterrichtsgesetz (SchUG) »(1) Der Besuch einer allgemeinbildenden Pflichtschule ist längstens bis zum Ende des Unterrichtsjahres des auf die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht folgenden Schuljahres zulässig, soweit in den nachstehenden Absätzen nicht anderes bestimmt ist. (2) Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind mit Zustimmung des Schulerhalters und mit Bewilligung der zuständigen Schulbehörde berechtigt, eine Sonderschule oder allgemeine Schule zwei Jahre über den im Abs. 1 genannten Zeitraum hinaus zu besuchen.«

2     Im Kontext der Dualen Ausbildung gibt es allerdings auch die Möglichkeit der Lehre mit Matura, die neben einem Ausbildungsabschluss zum Reifeprüfungszeugnis und damit zur Studienberechtigung führt.

3     Unter Gate-Keeping können Personen, aber auch Institutionen, Netzwerke oder Unterstützungsmaßnahmen und Dienstleistungen subsummiert werden, die eine ›Türhüter-‹ oder ›Pförtnerfunktion‹ innehaben. Diese kann unterstützend, aber auch selektierend sein, das heißt, Zugänge können geöffnet, aber auch verwehrt werden.

 

3

Begriffe und Theorien im Kontext von (inklusiven) Übergängen von der Schule in Ausbildung und Beruf

 

 

 

Worum es geht …

Das folgende Kapitel diskutiert ausgewählte Begriffe und Theorien, die im Kontext des nachschulischen Übergangs relevant werden. Soziale Benachteiligung im Übergang wird aus historischer wie auch systematischer Perspektive dargestellt. Basierend auf der Annahme, dass Übergänge die individuelle Biographie vor zahlreiche Herausforderungen stellen, werden Theorien zur Bewältigung risikoreicher Lebensphasen diskutiert. Abschließend wird die Frage nach Gerechtigkeit im Übergang diskutiert.

3.1       Ausgewählte theoretische Modelle zum Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf

Übergänge stellen wesentliche Herausforderungen an Individuen dar, da durch sie die Beteiligten in besonderem Maße dazu veranlasst werden, individuelle Selbstkonzepte, biographische Muster, alte Rollen und etablierte Beziehungen zu verlassen oder zu verändern sowie neue anzunehmen oder aufzubauen. Die Übergangsforschung selbst präsentiert sich dabei als interdisziplinäre Forschungsrichtung. Übergänge werden deshalb vor unterschiedlichen theoretischen Hintergründen beispielsweise als kritische Lebensereignisse (Filipp, 2010), Statuspassagen (van Gennep, 2005) oder Entwicklungsaufgaben (Havighurst, 1971; Hurrelmann & Quenzel, 2016) beschrieben.

Übergänge können institutionell hervorgebracht und hervorgehoben werden:

»Institutionell sind Übergänge z. B. markiert durch Altersgrenzen für die Einschulung, Wissensbestände oder Kompetenzen, die als Voraussetzung für den Erwerb von Bildungsabschlüssen gelten, diese wiederum als Bedingung für den Eintritt ins Erwerbssystem. Das heißt, Übergänge können sowohl Vorbereitungen auf die nächste Lebensrolle als auch deren Überprüfung beinhalten.« (Walther, 2014b, S. 22)

Im Bildungssystem treten Übertritte augenscheinlich als systembedingte, normative Transitionen (bspw. Schuleintritt, Übergang nach der Grund- sowie nach der Pflichtschule) auf. Sie können jedoch auch als normabweichende (bspw. Rückstufungen) und nicht-normative Wechsel aufkommen, wobei diese unter anderem freiwillig (bspw. in die Hochschule) oder unvorhergesehen (bspw. Schulwechsel) sein können. Übergänge können sozial markiert sein (bspw. durch Willkommens- oder Abschlussfeiern) oder aber weitgehend unmarkiert bleiben. Allerdings gilt zu beachten, dass Übergänge immer auch mit individuellen Bedeutungszuweisungen verbunden sind. Das meint, dass zum einen nicht von vornherein eine bestimmte (Höchst-)Anzahl an Übergängen festgesetzt werden kann, zum anderen, dass bestimmte Übergänge nicht per se als schwierig oder einfach bezeichnet werden können. Entscheidend für die Bedeutsamkeit eines Übergangs ist demnach dessen subjektive Gewichtung und Wahrnehmung.

Gerade der Übergang nach Absolvierung der Pflichtschulzeit oder Sekundarstufe I, unter anderem auch als ›Nahtstelle Schule-Beruf‹ bezeichnet, stellt viele junge Menschen vor große Herausforderungen. Im Zentrum steht die Entscheidung zwischen der Fortsetzung der schulischen Laufbahn, einer dualen Berufsausbildung (Berufsschule und Lehre) oder dem Einstieg ins Arbeitsleben. Gleichzeitig kann ein gelungener Übergang von der Pflichtschule in weiterführende Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung als Ausgangspunkt für die nachhaltige Verwirklichung beruflicher Teilhabe gesehen werden. »Was für nichtbehinderte Menschen gilt, ist in ungleich höherem Maße für jene zutreffend, deren Biographie in weiten Teilen durch Ausgrenzung und Vorenthaltung dieser persönlichen gesellschaftlichen Anerkennung bestimmt wird« (Behncke, Ciolek & Körner, 1993, S. 4). Ein möglichst reibungsloser Übergang und berufliche Partizipation sind also gerade auch für Schüler*innen, die aufgrund bestimmter Differenzmerkmale von Benachteiligung im Übergang betroffen sind, bedeutsam (Fasching, Felbermayr & Hubmayer, 2017, S. 2).

Neuenschwander et al. (2012, S. 58f.) benennen vier Herausforderungsbereiche im Übergang von der Schule in den Beruf respektive die berufliche Bildung:

  Timing: Passung zwischen institutionell festgelegtem Übergangszeitpunkt bzw. -zeitraum und individuellem Tempo bei der Berufswahl;

  das Ermessen der Tragweite der Entscheidung bei unvollständiger Informationslage;

  institutionelle Restriktionen: entweder durch die Art der bisherigen Schulbildung bzw. dem Erfordernis der ›richtigen‹ Schulbildung und Zertifikate, um Zugang zu einem Ausbildungsplatz oder Beruf zu erlangen; oder von Seiten der Betriebe: durch Verfügbarkeit von Lehr- und Ausbildungsplätzen;

  Auseinandersetzung mit neuen Anforderungen, die mit dem Wechsel verbunden sind (z. B. bestimmte Arbeitszeiten, Statuswechsel, andere oder höhere Leistungsanforderungen).