Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing - Anna Hallerbach - E-Book

Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing E-Book

Anna Hallerbach

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Beschreibung

Diese Arbeit betrachtet das Phänomen Mobbing aus einer bisher noch nicht beachteten Perspektive. Sie richtet ihren Fokus auf das System Familie und fragt dabei nach kollektiven Sinngebungen sowie Wirklichkeitskonstruktionen in Bezug auf eine innerfamiliäre Verarbeitung des Phänomens. In drei Einzelfallstudien wurde untersucht, ob sich intergenerationelle Muster im Umgang mit dem subjektiven Mobbingerleben eines jüngsten Familienmitgliedes abzeichnen. Mit Hilfe von narrativen Interviews im häuslichen Umfeld der Familien, Genogrammen und der teilnehmenden Beobachtung wurden die Lebenswelten von drei ehemals von Mobbing betroffenen Schüler:innen sowie deren Familien erforscht. Durch die systemische Blickrichtung konnten schließlich drei intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing herausgearbeitet werden. So ziehen sich die Muster "Erleben, ausgeschlossen und anders zu sein", "instabile Beziehungen" sowie "familiäre Widerstandsfähigkeit" durch drei Generationen der in dieser Arbeit untersuchten Familien. Vor dem Hintergrund des erhobenen Datenmaterials zeigt sich somit, dass das subjektive Mobbingerleben der drei ehemals mobbingbetroffenen Schüler:innen durch ihre jeweiligen familiären Lebenswelten eingefärbt wurde. Gleichzeitig zeigen sich signifikante Unterschiede hinsichtlich der weiteren Lebensgestaltung der Schüler:innen. An diesem Punkt bietet diese Arbeit Impulse für Fachkolleg:innen in der Praxis an. In Anlehnung an die grundlegende Theorie Satirs bezüglich offenen und geschlossenen Familiensystemen werden Anregungen gegeben, die zu einer Transformation hemmender Muster beitragen können.

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Seitenzahl: 466

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Anna Hallerbach

Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing

Systemische Interpretationen

2023

Der Verlag für Systemische Forschung im Internet: www.systemische-forschung.de

Carl-Auer im Internet: www.carl-auer.de

Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis an:

Carl-Auer Verlag

Vangerowstr. 14

69115 Heidelberg

Über alle Rechte der deutschen Ausgabe verfügtder Verlag für Systemische Forschungim Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg

Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des VerlagesReihengestaltung nach Entwürfen von Uwe Göbel

Printed in Germany 2023

Erste Auflage, 2023

ISBN 978-3-8497-9068-4 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-9069-1 (ePub)

DOI 10.55301/9783849790684

© 2023 Carl-Auer-Systeme, Heidelberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Diese Publikation beruht auf der gleichnamigen Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades einer Doktorin der Philosophie am Fachbereich Bildungswissenschaften der Universität Koblenz-Landau, 2022.

Die Verantwortung für Inhalt und Orthografie liegt bei der Autorin.

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Einleitung

GRUNDLAGEN

1 Forschungsstand

1.1 Ursprung der Mobbingforschung

1.2 Aktueller Forschungsstand

1.2.1 Der 15. Kinder- und Jugendbericht (2017)

1.2.2 JIM-Studie (2016)

1.2.3 HBSC-Studie (2013/14)

1.2.4 Cyberlife II – Spannungsfeld zwischen Faszination und Gefahr: Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern. Zweite empirische Bestandsaufnahme bei Eltern, Lehrkräften und Schülern in Deutschland (2017)

1.3 Zusammenfassung Forschungsstand

2 Begriffsbestimmung

2.1 Mobbing in der Arbeitswelt

2.2 Mobbing im Schulkontext

2.3 (Cyber-)Mobbing: Mobbing in der virtuellen Welt

2.4 Mobbing: ein Gruppenphänomen

2.5 Folgerungen für die eigene Fragestellung

THEORETISCHER RAHMEN

3 Systemisches Denken

3.1 Kollektive Konstruktion von Wirklichkeit

3.2 Muster – intergenerationelle Weitergabe von Mustern

3.3 Homöostase

3.4 Die systemische Brille

3.5 Zusammenfassung

METHODIK

4 Die eigene Erhebung

4.1 Qualitative Sozialforschung und systemisches Denken – im Gleichklang

4.2 Haltung

4.3 Forschungsdesign

4.3.1 Zielgruppe

4.3.2 Die Einzelfallstudie

4.3.3 Narrative Interviews

4.3.4 Genogramm

4.3.5 Teilnehmende Beobachtung

4.3.6 Kategorien

4.3.7 Auswertung

FORSCHUNG

5 Einzelfallstudien

5.1 Familie A: Familie Maler

5.1.1 Setting

5.1.2 Mara Maler

5.1.3 Konstanze Maler (Mutter) – Auswertung des Interviews

5.1.4 Peter Maler (Vater) – Auswertung des Interviews

5.1.5 Jennifer Maler (Schwester) – Auswertung des Interviews

5.1.6 Abschließende Interpretation

5.2 Familie B: Familie Ludwig und Wimmer

5.2.1 Setting

5.2.2 Linda Ludwig – Auswertung des Interviews

5.2.3 Corinna Ludwig (Mutter) – Auswertung des Interviews

5.2.4 Steve Ludwig (Vater) – Auswertung des Interviews

5.2.5 Werner und Maria Wimmer (Großeltern) – Auswertung des Interviews

5.2.6 Abschließende Interpretation

5.3 Familie C – Familie Weber

5.3.1 Setting

5.3.2 Tom Weber – Auswertung des Interviews

5.3.3 Thomas Weber (Vater) – Auswertung des Interviews

5.3.4 Nicole Weber (Mutter) – Auswertung des Interviews

5.3.5 Annemarie und Ansgar Weber (Großeltern) – Auswertung des Interviews

5.3.6 Abschließende Interpretation

ERGEBNIS

6 Resümierender Blick auf die Einzelfallstudien

6.1 Ein kritischer Blick

6.2 Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing

6.2.1 Das Erleben, anders und ausgeschlossen zu sein (Familie A, B, C)

6.2.2 Instabile Beziehungen (Familie A, B)

6.2.3 Familiäre Widerstandsfähigkeit (Familie C)

6.3 Geschlossene und offene Familiensysteme und die Rolle des Selbstwertes

7 Schluss

7.1 Zentrale Ergebnisse

7.2 Anregungen für pädagogisches Handeln

7.3 Ausblick

Anhang

Literatur

„Der Mensch wird am Du zum Ich.“(Martin Buber, 1923)

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich meinen ausdrücklichen Dank den Menschen gegenüber darlegen, die mich auf dem Weg dieser Dissertation unterstützt haben:

Mein besonderer Dank gilt dabei meinem Doktorvater Prof. Dr. Norbert Neumann für seine wertschätzende Begleitung, seine Förderung sowie seinen hoch geschätzten fachlichen Rat in den letzten Jahren. Die zahlreichen Dialoge werden mir immer als bereichernder und konstruktiver Austausch in Erinnerung bleiben. Die gemeinsamen Gespräche habe ich stets als Motivation und Ermutigung erlebt.

Auch danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Peter Rödler für seine Zeit und wissenschaftliche Expertise bei der zweiten Begutachtung dieser Arbeit.

Mein ausdrücklicher Dank gilt auch meiner Familie, insbesondere meinen Eltern, Maria und Hermann-Josef Hallerbach, für ihre liebevolle Unterstützung hinsichtlich meines Promotionsvorhabens und darüber hinaus.

Tief verbunden und dankbar bin ich auch meinen Freunden, für ihre motivierenden Worte, ihre offenen Ohren und ihr Verständnis bei der Anfertigung vorliegender Doktorarbeit.

Der Rückhalt vonseiten meiner Familie und meinen Freunden war mir eine große Stütze.

Letztlich möchte ich meinen Dank gegenüber den Familien Ausdruck verleihen, die ich im Rahmen der Datenerhebung dieser Arbeit kennenlernen durfte. Ihre Gastfreundlichkeit und ihre Offenheit gegenüber ihren Lebenswelten hat mich tief beeindruckt.

Allen Genannten mein herzlicher Dank!

Einleitung

Zu Beginn dieser Arbeit möchte ich zu einem kleinen Gedankenspiel einladen:

Man stelle sich ein Mobile vor. Anschließend stelle man sich vor, eine beliebige Stelle des Mobiles zu berühren, sodass sie zu schwingen beginnt. Dabei wird zu beobachten sein, dass die in Bewegung versetzte Stelle Einfluss auf das gesamte Mobile nimmt. Es fängt an, auf allen Ebenen mitzuschwingen und sich somit im Gesamten zu bewegen.

Ein typisches Mobile besteht aus vielen kleinen Teilen, die alle miteinander in Verbindung stehen und sich zugleich gegenseitig beeinflussen. Diese Aktion wird als ein Kerngedanke des systemischen Denkens verstanden. Durch die systemische Brille betrachtet, werden einzelne Elemente nicht isoliert wahrgenommen. Sie werden vielmehr in ihrem Lebenskontext als Teil eines Systems betrachtet. Die Metapher von einem Familiensystem als Mobile findet Verwendung, um die Wechselwirkungen zwischen Individuen in einem System zu veranschaulichen. Wie ein Mobile besteht auch die Familie aus mehreren Mitgliedern, die alle miteinander verbunden sind. Situationen, die Bewegung in ein Familiensystem bringen, wirken sich somit auf alle Teile des Systems aus. Dabei können die Auswirkungen über Generationen hinweg spürbar sein. Ist zu beobachten, dass Bewegungen einer gewissen Regelmäßigkeit folgen, kann aus systemischer Perspektive davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um Muster in einem System handelt. Solche Muster zeigen sich in erster Linie in Form von sich wiederholenden Interaktionen in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Möchte man sich auf die Suche nach Mustern in einem familiären System begeben, gilt es beispielsweise zu erfragen: Wie gehen die einzelnen Mitglieder des Systems miteinander um? Wie kommunizieren sie miteinander? Was kehrt immer wieder? Dabei sind die Muster an sich vorerst nicht zu bewerten. Es geht nicht um richtige, falsche, genaue oder ungenaue Muster, lediglich die Frage nach der Zielerreichung ist ausschlaggebend (vgl. Satir 2002, S. 18). Das heißt, das einzig Wichtige auf der Suche nach Mustern in Systemen ist die Frage danach, was erreicht werden soll und inwieweit erlernte Muster dabei hilfreich sein können.

Die Suche nach Mustern in familiären Systemen dient dieser Arbeit als Deutungsinstrument. Der zu untersuchende Gegenstand bildet ein Phänomen, das in den letzten Jahren zunehmend, wie im Folgenden noch gezeigt wird, Raum in der Kinder- und Jugendhilfe einnimmt: Mobbing. Bei Mobbing handelt es sich um eine zielgerichtete, häufige und dauerhafte Ausübung negativer Handlungen gegenüber einem ausgewählten Opfer (vgl. Wyrwa 2016, S. 12). Praktische Erfahrungen im Feld der Kinder- und Jugendhilfe zeigen, dass der Begriff Mobbing oft alltagssprachlich gebraucht und der Terminus somit inflationär verwendet wird. Insofern bedarf es einer wissenschaftlichen Bestimmung dessen, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Es existieren mehrere Studien, die die Häufigkeit von Mobbing belegen und somit auch die gesellschaftliche Relevanz der Thematik aufzeigen. Exemplarisch ist hier die PISA-Studie (Programme for International Student Assessment, 2015) zu nennen. Die Studie wird alle drei Jahre von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris im Auftrag der jeweiligen Regierung organisiert. In Deutschland ist es die Kultusministerkonferenz, die die Untersuchung von Schülern in Auftrag gibt. Im April 2017 veröffentlichte die PISA-Studie eine Sonderauswertung mit Daten zum Lernumfeld und Lernverhalten der 15-Jährigen in Deutschland. Daraus geht hervor, dass jeder sechste Schüler1 in dieser Altersgruppe regelmäßig Opfer von teils massivem Mobbing an seiner Schule wird (vgl. OECD 2017, PISA 2015 Results (Volume III)). Der OECD-Direktor Andreas Schleicher fordert im Umfeld der Studie: „Mobbing müssen wir in Deutschland viel stärker thematisieren, weil es hier oft noch an den Rand gedrängt wird“ (Schleicher 2017, tagesschau.de; Link siehe Literaturverzeichnis). Weitere wissenschaftliche Studien zum Thema Mobbinghäufigkeit im Kindes- und Jugendalter finden sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit (Kapitel 1). Neben Mobbingfällen, die sich durch geschulte Fachkräfte aufweichen lassen, zeigt die Vergangenheit, dass einigen Schülern nicht rechtzeitig geholfen wurde. Unter der Schlagzeile „Munition und Mobbing“ berichtet die Süddeutsche Zeitung im Mai 2017 von dem 17-jährigen Amokschützen Tim K. Seine Nachhilfelehrerin berichtete in einem Kondolenzschreiben an seine Eltern von massiven Mobbingattacken gegen Tim (vgl. o. A. 2010, sueddeutsche.de; Link siehe Literaturverzeichnis). Im November 2006 ist der 18-jährige Schüler Sebastian B. in seiner ehemaligen Schule in Emsdetten Amok gelaufen. Er verwundete sechs Schüler, bevor er sich selbst mit der Waffe tötete. 31 weitere Menschen erlitten Verletzungen. Ähnlich wie bei Tim K. wird seine Rolle als Mobbingopfer als eine entscheidende Komponente der Bluttat angesehen. So schrieb Sebastian B. in seinem Blog: „Ich will das sich mein Gesicht in eure Köpfe einbrennt! Ich will nicht länger davon laufen! Ich will meinen Teil zur Revolution der Ausgestossenen beitragen! Ich will RACHE!“ (vgl. Gunkel 2016, spiegel.de; Link siehe Literaturverzeichnis). Im Februar 2019 nahm sich eine elfjährige Grundschülerin aus Berlin das Leben. In der Presse wird Mobbing als Ursache für ihren Suizid angegeben. Der Fall sorgte bundesweit für Entsetzen. Die damalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (2019) gab diesbezüglich an: „Es ist erschütternd, welche tragischen Folgen Mobbing haben kann. Es geht durch alle gesellschaftlichen Schichten und jede Schulform.“ (vgl. Schneider 2019, sueddeutsche.de; Link siehe Literaturverzeichnis). Die Politik reagierte 2018 auf die zunehmende Mobbingproblematik an Schulen. So begann das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem Programm „Respekt Coaches / Anti-Mobbing-Profis“. Das Programm wurde bundesweit an 400 allgemeinbildenden und beruflichen Schulen angeboten. Zu den Zielen dieses primärpräventiven Programms zählen die Förderung von Respekt und Toleranz, die Prävention von Extremismus und eine Förderung des Schul- und Klassenklimas. 2021 wurde eine zweijährige wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts publiziert. Der Endbericht spricht sich deutlich für eine Fortführung und Weiterentwicklung des Programms aus (vgl. BMFSFJ 2021, bmfsfj.de; Link siehe Literaturverzeichnis).

Das Phänomen Mobbing ist nicht ausschließlich ein Abbild von Definitionen und quantitativen Werten. Daher ist eine weitere wesentliche und für diese Arbeit essenzielle Komponente die der subjektiven Betroffenheit, also die Fragen danach, wann und in welcher Intensität Betroffene ihr Leid, in diesem Fall Mobbing, wahrnehmen. Es geht um individuelle Wahrnehmungen von Verletzung und Ausgrenzung. Demnach ist nicht die Definition allein Anhaltspunkt dafür, ob sich ein Kind oder ein Jugendlicher als Mobbingbetroffener ansieht. Vielmehr fragt diese Arbeit nach subjektiven Empfindungen der Betroffenen und ihrer Familien.

An dieser Stelle soll noch einmal auf das Bild des Mobiles als Familiensystem zurückgekommen werden. Es wurde erwähnt, dass alle Teile des Mobiles miteinander in Verbindung stehen. Berührt man ein Teil, versetzt man das gesamte Mobile in Bewegung. Das Mobile wird versuchen, wieder in seine gewohnte Balance zu finden. Es schwingt so lange, bis es sich wieder eingependelt hat. Übertragen auf die subjektive Empfindung eines Familienmitglieds bedeutet dies, dass alle Erfahrungen, die ein Teil des Systems macht, im Kontext seiner Familie zu betrachten sind. Das bedeutet, um die individuelle Sichtweise eines Menschen zu verstehen, ist es aus systemischer Sicht notwendig, diesen Menschen in seinem gesamten Lebenskontext, mit all seinen „Fäden“ zu betrachten. Mit Blick zum Hauptthema vorliegender Arbeit könnte dies bedeuten, dass die Erfahrungen der von Mobbing betroffenen Kinder und Jugendlichen familiär eingefärbt sind. Oder anders ausgedrückt: Die individuelle Sicht von betroffenen Kindern und Jugendlichen wird getragen durch die Muster ihrer familiären Alltagspraxis.

Im Zusammenhang mit der Thematik Mobbing könnten beispielsweise folgende Fragen relevant sein: Wie sprechen betroffene Familie über Mobbing? Welche Rollen spielen Selbstwert und Selbstvertrauen? Wie definieren betroffene Familien eine Opferrolle? Wie lösen betroffene Familien Konflikte? Gibt es in ihren Familiensystemen dominante hierarchische Strukturen? Zusammenfassend könnte die wichtigste Frage lauten: Wie kommunizieren die von Mobbing betroffenen Familien miteinander? Anders ausgedrückt: Welche Techniken haben sie entwickelt, um sich zu verstehen und die jeweilige Bedeutsamkeit zu erfahren? Als Forscher im Familiensystem steht die Frage nach möglichen Mustern der Familie im Umgang mit dem Phänomen Mobbing im Vordergrund.

Vorliegende Arbeit mit dem Titel „Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing. Systemische Interpretationen“ möchte mittels qualitativer Einzelfallstudien demnach untersuchen, ob sich familiäre Muster im Umgang mit dem Phänomen Mobbing erkennen und beschreiben lassen. Im Zentrum des Forschungsinteresses steht somit die Erkundung familiärer Sinnzusammenhänge und Wirklichkeitskonstruktionen im Kontext des Phänomens Mobbing.

Sollte dieser Ansatz von erkenntnistheoretischem Nutzen sein und sich intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing beschreiben lassen, ist die Frage nach daraus resultierenden Konsequenzen für pädagogisches Handeln von Interesse. So könnte sich zum Beispiel den Fragen angenähert werden: Welchen Stellenwert hat eine Elternarbeit in diesem Zusammenhang? Welche Themen sollten behandelt werden? Was ist den Familien wichtig? Welche Aufträge haben sie? Welche Unterstützung brauchen die Betroffenen von ihren Familien? Und ist ein systemischer Zugang von Nutzen in der Arbeit mit Mobbingbetroffenen?

Systemische Mobbingintervention findet bisher vorwiegend im Kontext Schule Beachtung. Durch Präventionskonzepte (vgl. Wyrwa 2016, Ochoa/Drescher-Ochoa 2016; Hilt/Kimmel 2016) und gezielte Interventionsmöglichkeiten (vgl. Blum/Beck 2016) soll sich der Herausforderung gestellt werden. Es existieren jedoch bisher keine Ansätze, die sich explizit mit intergenerationellen Mustern aus der Opferperspektive, das heißt möglichen familiär konstruierten Einflussfaktoren beschäftigen. Vor diesem Hintergrund möchte diese Arbeit einen Beitrag zur systemischen Forschung und der praktischen Arbeit im Feld leisten.

Vorliegende Arbeit gliedert sich wie folgt:

Zu Beginn dieser Arbeit wird mit dem ersten Kapitel der aktuelle Forschungsstand zum Thema Mobbing dargestellt. Die unter 1.3 aufgeführte Zusammenfassung des Forschungsstandes bündelt alle im Kontext dieser Arbeit relevanten Ergebnisse.

Im zweiten Kapitel werden unterschiedliche Definitionsansätze des Phänomens Mobbing vorgestellt. Dabei werden Abweichungen innerhalb der Definitionen deutlich, welche zu einer kritischen Betrachtung des Terminus Mobbing einladen. Zudem wird sich der Ursachen, der Formen und der Dynamik des Phänomens Mobbing angenommen. Zum Ende des Kapitels formt sich ein definitorischer Rahmen des Begriffs Mobbing, der vorliegender Forschung als Arbeitsgrundlage dient.

Weiterhin erfolgt im dritten Kapitel ein Blick durch die systemische Brille, mit der die Familie als soziales System in den Fokus der Ausführungen gestellt wird. Dazu werden verschiedene Perspektiven des systemischen Denkens gegenübergestellt und in Zusammenhang mit dem Thema vorliegender Arbeit beleuchtet. Beispiele aus der Praxis veranschaulichen die theoretischen Darlegungen.

Das vierte Kapitel dieser Arbeit widmet sich zunächst dem Gleichklang qualitativer Sozialforschung und systemischen Denkens. Anschließend wird das Forschungsdesign der eigenen Erhebung dargestellt.

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf dem empirischen Teil. Basierend auf dem zuvor erarbeiteten systemischen Blick wird mit dem fünften Kapitel mittels drei qualitativer Einzelfallstudien das Feld erkundet. Im Mittelpunkt der Forschung steht die empirische Erschließung familiärer Sinn- und Bedeutungswelten im Kontext des Phänomens Mobbing. Dazu werden zunächst die jeweiligen Interviews der Familienmitglieder einer Einzelfallstudie separat ausgewertet. Jede Einzelfallstudie schließt mit einer abschließenden Interpretation der Ergebnisse ab, in der die einzelnen Auswertungen im Gesamtbild betrachtet werden.

Das Kernstück dieser Arbeit bildet das sechste Kapitel. Dabei führt ein resümierender Blick auf die drei Einzelfallstudien schließlich zur Beantwortung der zentralen Forschungsfrage. So werden im vorletzten Kapitel dieser Arbeit auf Grundlage des erhobenen Datenmaterials intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing zusammengetragen.

Im siebten Kapitel dieser Arbeit, dem Schlussteil, werden die wichtigsten Essenzen vorliegender Dissertation nochmals zusammengetragen. Zudem erfolgen Anregungen für pädagogisches Handeln sowie ein kurzer Ausblick.

1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt. Natürlich beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

GRUNDLAGEN

2Begriffsbestimmung

Sucht man in der Literatur oder online nach einer Definition des Begriffs Mobbing, wird man schnell fündig. Zahlreiche Bücher und Webseiten bieten verschiedene Definitionen an. Bei Recherchen fällt auf, dass sich die meisten Definitionen auf den Bereich der Arbeitswelt beziehen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die ersten repräsentativen Erhebungen im Kontext der Arbeitswelt durchgeführt wurden. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel erwähnt, verleiht Heinz Leymann durch seine umfangreichen Forschungen zum Thema Mobbing am Arbeitsplatz der Mobbinglandschaft seine Konturen und bietet auch gegenwärtig Orientierung bei der wissenschaftlichen Bestimmung des Begriffs. Ziel dieses Kapitels ist es, den Terminus Mobbing definitorisch zu erschließen. Im Kontext vorliegender Arbeit, die den Schwerpunkt auf das individuelle Erleben der von Mobbing Betroffenen legt, lassen die Definitionen Raum für Subjektivität. So ist es in sich schlüssig, dass auch die am Ende dieses Kapitels erstellte Definition von Mobbing, die als Arbeitsgrundlage dieser Dissertation dient, Offenheit in Bezug auf eine starre Eingrenzung des Begriffs zulässt.

2.1 MOBBING IN DER ARBEITSWELT

Das ursprünglich aus dem Englischen stammende Wort hat den Stamm mob (englisch: aufwiegelnde Volksmenge, Pöbel, Gesindel; lateinisch: Mobile vulgus: reizbare Volksmenge) und beinhaltet, dass es sich in der Regel um eine große und anonyme Gruppe von Menschen handelt, die an der Drangsalierung beteiligt sind (vgl. Heinemann 1972, Olweus 1973 in Olweus 2006, S. 22). Das englische Wort Bullying findet sich zunehmend in der Literatur wieder. Es handelt sich dabei um die englische Übersetzung des im deutschen Sprachgebrauch gängigen Begriffs Mobbing, welche aufgrund seiner besseren Handhabbarkeit im Deutschen verwendet wird. Bullying ist somit mit Gewalt/Mobbing an Schulen ins Deutsche zu übersetzen. In der Literatur werden die beiden Begriffe Mobbing und Bullying meist synonym verwendet.

Heinz Leymann bietet folgende allgemeine Definition des Begriffs Mobbing am Arbeitsplatz an:

„Der Begriff Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen.“ (Leymann 1993, S. 21)

Auf der Grundlage der Analyse seines Datenmaterials stellte er insgesamt 45 Mobbinghandlungen zusammen, die er in fünf Gruppen unterteilt:

1. Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen

Der Vorgesetzte schränkt die Möglichkeiten ein, sich zu äußern

Man wird ständig unterbrochen

Kollegen schränken die Möglichkeiten ein, sich zu äußern

Anschreien oder lautes Schimpfen

Ständige Kritik an der Arbeit

Ständige Kritik am Privatleben

Telefonterror

Mündliche Drohungen

Schriftliche Drohungen

Kontaktverweigerung durch abwertende Blicke oder Gesten

Kontaktverweigerung durch Andeutungen, ohne dass man etwas direkt ausspricht

2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen

Man spricht nicht mehr mit dem/der Betroffenen

Man lässt sich nicht ansprechen

Versetzung in einen Raum weitab von den Kollegen

Den Arbeitskollegen/innen wird verboten, den/die Betroffenen anzusprechen

Man wird „wie Luft“ behandelt

3. Auswirkungen auf das soziale Ansehen

Hinter dem Rücken des Betroffenen wird schlecht über ihn gesprochen

Man verbreitet Gerüchte

Man macht jemanden lächerlich

Man verdächtigt jemanden, psychisch krank zu sein

Man will jemanden zu einer psychiatrischen Untersuchung zwingen

Man macht sich über eine Behinderung lustig

Man imitiert den Gang, die Stimme oder Gesten, um jemanden lächerlich zu machen

Man greift die politische oder religiöse Einstellung an

Man macht sich über das Privatleben lustig

Man macht sich über die Nationalität lustig

Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die das Selbstbewusstsein verletzen

Man beurteilt den Arbeitseinsatz in falscher oder kränkender Weise

Man stellt die Entscheidungen des/der Betroffenen in Frage

Man ruft ihm/ihr obszöne Schimpfworte o. a. entwürdigende Ausdrücke nach

Sexuelle Annäherungen oder verbale sexuelle Angebote

4. Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation

Man weist dem Betroffenen keine Arbeitsaufgaben zu

Man nimmt ihm jede Beschäftigung am Arbeitsplatz, sodass er sich nicht einmal selbst Aufgaben ausdenken kann

Man gibt ihm sinnlose Arbeitsaufgaben

Man gibt ihm Aufgaben weit unter seinem eigentlichen Können

Man gibt ihm ständig neue Aufgaben

Man gibt ihm „kränkende“ Arbeitsaufgaben

Man gibt dem Betroffenen Arbeitsaufgaben, die seine Qualifikation übersteigen, um ihn zu diskreditieren

5. Angriffe auf die Gesundheit

Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten

Androhung körperlicher Gewalt

Anwendung leichter Gewalt, zum Beispiel um jemandem einen „Denkzettel“ zu verpassen

Körperliche Misshandlung

Man verursacht Kosten für den/die Betroffene, um ihm/ihr zu schaden

Man richtet physischen Schaden im Heim oder am Arbeitsplatz des Betroffenen an

Sexuelle Handgreiflichkeiten (Leymann 1993, S. 33 f.)

Für seine Erhebungen wählte Leymann eine genauere Definition, in welche er eine zeitliche Komponente einfließen lässt:

„Mobbing ist dann gegeben, wenn eine oder mehrere von 45 genau beschriebenen Handlungen über ein halbes Jahr oder länger mindestens einmal pro Woche vorkommen.“ (Leymann 1993, S. 22)

Leymann brauchte diese zeitliche Eingrenzung, um den Begriff Mobbing zu präzisieren und ihn somit für seine Forschungen operationalisierbar zu machen. Gerade diese zeitliche Bestimmung ist es jedoch, die Leymann vonseiten seiner Kollegen Kritik einbringt. So kritisieren zum Beispiel Graf (2007) in seiner Dissertation zum Thema sowie Meschkukat et al. (2002) im Mobbing Report, die statistische Definition zu verallgemeinern, hieße, Betroffene als Nicht-Gemobbte zu beschreiben, wenn die von Leymann aufgeführten Handlungen nicht treffend sind oder die Opfer nicht in die zeitliche Begrenzung, sprich kürzer als ein halbes Jahr, gemobbt werden (vgl. Graf 2007, S. 13; Meschkutat, et al. 2002, S. 19). Für die vorliegende Arbeit ist dies ein relevanter Aspekt, da er den Stellenwert des subjektiven Erlebens der von Mobbing Betroffenen hervorhebt. Meschkutat et al. bieten daher folgende Definition von Mobbing an, die ohne eine konkrete zeitliche Determinierung auskommt:

„Unter Mobbing ist zu verstehen, dass jemand am Arbeitsplatz häufig über einen längeren Zeitraum schikaniert, drangsaliert oder benachteiligt oder ausgegrenzt wird“ (Meschkutat, Stackelbeck, Langenhoff 2002, S. 19).

Ähnliche Strukturmerkmale finden sich in folgender ausführlicher Definition von Esser und Wolmerath wieder:

„(Mobbing ist) … ein Geschehensprozess in der Arbeitswelt, in dem destruktive Handlungen unterschiedlicher Art wiederholt und über einen längeren Zeitraum gegen Einzelne vorgenommen werden, welche von den Betroffenen als eine Beeinträchtigung und Verletzung ihrer Person empfunden werden und dessen ungebremster Verlauf für die Betroffenen grundsätzlich dazu führt, dass ihre psychische Befindlichkeit und Gesundheit zunehmend beeinträchtigt werden, ihre Isolation und Ausgrenzung am Arbeitsplatz zunehmen, dagegen die Chancen auf eine zufrieden stellende Lösung schwinden und der regelmäßig im Verlust ihres bisherigen beruflichen Wirkbereiches endet.“ (Esser/Wolmerath 2015, S. 24)2

2.2 MOBBING IM SCHULKONTEXT

Versteht man den Lernort Schule als Arbeitsplatz der Kinder und Jugendlichen, sind große Parallelen zwischen den beiden Kontexten Arbeitsplatz und Schule als Austragungsort für Mobbing erkennbar. Dan Olweus definiert Mobbing/Bullying wie folgt:

„Ein Schüler oder eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist.“ (Olweus 1986, 1991 in Olweus 2006, S. 22)

Auffallend ist, dass diese begriffliche Bestimmung keine Begrenzung des Zeitraums beinhaltet. Olweus betont in seiner Definition mit der Formulierung ‚über einen längeren Zeitraum‘ die Absicht, „gelegentliche, nicht ernsthafte negative Handlungen auszuschließen, die einmal gegen das eine und einmal gegen ein anderes bei verschiedenen Gelegenheiten ausgeübt werden“ (Olweus 2006, S. 23), um einem inflationären Gebrauch des Begriffs vorzubeugen.

Schäfer und Letsch bringen eine neue Komponente in die Begriffsbestimmung von Mobbing ein, indem sie ihre Kriterien von Mobbing auf die Rolle des Täters/der Täter ergänzen. Dies gelingt ihnen, indem sie die funktionelle Komponente von Mobbing in den Vordergrund stellen. So nehmen sie Bezug auf die Aufwertung des sozialen Status der Täter durch eine gezielte Drangsalierung vermeintlich Schwächerer (vgl. Schäfer/Letsch 2018, S. 714). Die beiden Autoren formulieren explizite und implizite Kriterien für Mobbing im Schulkontext:

-

„Mobbing impliziert den Missbrauch sozialer Macht, d. h. wer mobbt, instrumentalisiert eine physisch oder psychisch vulnerable Person, um Status und Macht innerhalb eines gemeinsamen Bezugssystems (wie in der Klasse) zu erwerben bzw. zu erhalten.

-

Mobbing ist damit kein Konflikt, d.h., anders als bei der misslungenen Aushandlung eines Problems, die dann mit aggressiven Mitteln fortgesetzt wird, ist Mobbing funktional und gezielt zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt.

-

Mobbing impliziert außerdem die Beteiligung des sozialen Bezugsystems, da Status/Macht nur vom sozialen Kontext zuerkannt werden können.

-

Mobbing funktioniert also nur dann, wenn es einem Täter gelingt, die sozialen Normen einer Gruppe so zu manipulieren, dass die Attacken auf das Opfer eher gerechtfertigt erscheinen als die Reaktion des Opfers“ (vgl. Schäfer/Letsch 2018, S 714 f.)

Es ist deutlich geworden, dass keine allgemein verbindliche Definition von Mobbing existiert. Wie bereits im Abschnitt „Mobbing in der Arbeitswelt“ angesprochen wurde, wird vielmehr von Strukturmerkmalen gesprochen, die Analogien in den meisten Definitionen aufzeigen3. Dabei handelt es sich um die Elemente systematische Wiederholung destruktiver Handlungen, ein bestimmtes Zeitraumkriterium, Machtungleichgewicht zwischen Tätern und Opfern sowie die Aufwertung der eigenen Position, die mit einer Schädigung des Opfers einhergeht.

2.3 (CYBER-)MOBBING: MOBBING IN DER VIRTUELLEN WELT

Der virtuelle Raum als Lebenswelt der Schüler fördert auch eine Übertragung von Mobbing aus dem Klassenzimmer in die Welt der neuen Medien. Folgend sollen exemplarisch zwei Definitionen von (Cyber-)Mobbing vorgestellt werden.

Wachs definiert (Cyber-)Mobbing in Anlehnung an die Bestimmung des Begriffs Mobbing wie folgt:

„Ein wiederholt auftretendes aggressives Verhalten, bei dem eine Person oder ein Gruppe Informations- und Kommunikationstechnologien nutzt, um ihr eine bekannte, unterlegene Person oder Gruppe gezielt zu schädigen. Die Übergriffe können öffentlich oder privat ausgeübt werden und die Täter agieren entweder offen erkenntlich oder unter Anonymität“ (Wachs 2017, S. 26).

Die Onlineplattform Klicksafe, eine Initiative der Europäischen Union für mehr Sicherheit im Netz, definiert (Cyber-)Mobbing wie folgt:

„Unter Cyber-Mobbing (Synonym zu Cyber-Bullying) versteht man das absichtliche Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen anderer mithilfe von Internet- und Mobiltelefondiensten über einen längeren Zeitraum hinweg. Der Täter – auch „Bully“ genannt – sucht sich ein Opfer, das sich nicht oder nur schwer gegen die Übergriffe zur Wehr setzen kann. Zwischen Täter und Opfer besteht somit ein Machtungleichgewicht, welches der Täter ausnutzt, während das Opfer sozial isoliert wird.“ (LMK o. A., Klicksafe.de; Link siehe Literaturverzeichnis)

Beide Definitionen weisen auf die Dimensionen Häufigkeit und gezielte Schädigung aufseiten des Opfers über Informations- und Kommunikationsmedien hin. Vergleicht man die aufgeführten Definitionen von Mobbing im Schulkontext mit den exemplarisch genannten Definitionen von Mobbing in der virtuellen Welt, fällt auf, dass die Definitionen gleiche Strukturmerkmale benennen. Lediglich die Verbreitungswege unterscheiden sich.

2.4 MOBBING: EIN GRUPPENPHÄNOMEN

„An jedem Unfug, der passiert, sind nicht nur die Schuld, die ihn begehen, sondern auch die, die in nicht verhindern.“

(Erich Kästner, 1933 in „Das fliegende Klassenzimmer“)

Mobbing geschieht nicht nur zwischen einem Täter und einem Opfer. Hinter dem in der Praxis oft schnell identifizierten Einzeltäter stehen eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Schülern, die die Situation tragen und so überhaupt erst ermöglichen. In der Fachliteratur gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für diese Schülergruppen. Häufig wird dabei von sogenannten Assistenten und Verstärkern einer Mobbingdynamik gesprochen. Diese stellen die größte Gruppe in einer Schulklasse dar (vgl. Schäfer/Latsch 2018, S. 721; Jannan 2015, S. 28 f.; Blum/Beck 2010, S. 20).

Verbildlicht man sich an dieser Stelle wieder die Metapher von dem Familiensystem als Mobile, lässt sich auch ein systemischer Blick auf die Mobbingdynamik in Schulklassen werfen. Indem man das Mobile als ein Bild für die Verbindungen in einer Schulklasse verwendet, lässt sich der Mobbingprozess mit dem Herstellen einer inneren Ordnung vergleichen. Mobbing ist also systemisch betrachtet ein Phänomen zur Herstellung von Ordnung (vgl. Wyrwa 2016, S. 22). Da der Begriff der Ordnung vom Grunde her wertneutral zu betrachten ist, spricht Holger Wyrwa eher von einem Bedürfnis nach Sicherheit. Dieses Bedürfnis nach Sicherheit geht damit einher, eine gewisse Form von Kontrolle über das eigene Leben erhalten zu wollen. Indem Schüler einen Klassenkameraden mobben, konstruieren sie für sich eine kleine geordnete Welt, welche sich zumindest für einen gewissen Zeitraum sicher anfühlt und ein Pendant zu der allgemein unsicheren und unbeeinflussbar erlebten Umwelt darstellt (vgl. Wyrwa 2016, S. 27 f.). Mobbing kann darüber hinaus gruppendynamisch als Symptom für eine dysfunktionale Kommunikation gesehen werden, indem die Opfer isoliert werden und die Täter keine Rückmeldungen über die Auswirkungen ihres Handelns von außen erhalten und somit lernen, dass sie sich mit ihrem Verhalten durchsetzen können (vgl. v. Schlippe/Schweitzer 2016 B, S. 304). Mobbing als gruppendynamischen Prozess zu verstehen, erfordert nicht nur passende Klassenangebote, in denen aufgeklärt und im Fall von Mobbing auch intensiv mit den Assistenten und Verstärkern gearbeitet wird4. Es erfordert auch, dass sich Schule als System versteht und sich der Wechselwirkungen aller Beteiligen bewusst wird. Ob dieser Gedanke auch für die intergenerationelle Verarbeitung von Mobbing eine Rolle spielt, müssen die nachfolgenden Ausführungen zeigen.

2.5 FOLGERUNGEN FÜR DIE EIGENE FRAGESTELLUNG

Zum Abschluss dieses Kapitels stellt sich die Frage, welche begriffliche Bestimmung des Terminus Mobbing dieser Arbeit zugrunde liegen soll. Elementar ist hierbei, dass der Blick geöffnet wird für das subjektive Erleben der von Mobbing Betroffenen. Die Subjektivität zieht sich wie ein roter Faden durch folgende Kernelemente der Begriffsbestimmung:

In vorliegender Arbeit wird Mobbing als solches deklariert, wenn

ein Machtungleichgewicht zwischen Tätern und Opfer besteht, welches in einem Ohnmachtsgefühl aufseiten des Opfers mündet. Wann dieses empfunden wird, liegt im Ermessen des Betroffenen und bedarf daher keiner weiteren Operationalisierung.

sich destruktive Handlungen gegenüber dem von Mobbing Betroffenen regelmäßig wiederholen. Das heißt, von Mobbing wird gesprochen, wenn sich die Dynamik im Mobbingprozess von einem einmaligen oder zeitlich eng begrenzten Konflikt abgrenzt.