Israel - Navid Kermani - E-Book

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Navid Kermani

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Beschreibung

Am 7. Oktober 2023 wachte der israelische Soziologe Natan Sznaider in einer anderen Welt auf. Entsetzt und verzweifelt waren unzureichende Worte, um das Massaker der Hamas zu fassen. Aus der Ferne erkannte der Kölner Schriftsteller Navid Kermani den Schrecken wieder, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits über so viele Völker im Nahen Osten gekommen war. Die beiden Freunde erinnerten sich eines leidenschaftlichen Mailwechsels, den sie 2002 nach ihrer ersten Begegnung in Haifa geführt hatten. Dasselbe gespenstische Gefühl beschlich sie, weil sich alle Befürchtungen bewahrheitet hatten. 21 Jahre später hilft ihre Korrespondenz die Gegenwart im Nahen Osten zu verstehen.

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Das ist das Cover des Buches »Israel« von Navid Kermani, Natan Sznaider

Über das Buch

Am 7. Oktober 2023 wachte der israelische Soziologe Natan Sznaider in einer anderen Welt auf. Entsetzt und verzweifelt waren unzureichende Worte, um das Massaker der Hamas zu fassen. Aus der Ferne erkannte der Kölner Schriftsteller Navid Kermani den Schrecken wieder, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits über so viele Völker im Nahen Osten gekommen war. Die beiden Freunde erinnerten sich eines leidenschaftlichen Mailwechsels, den sie 2002 nach ihrer ersten Begegnung in Haifa geführt hatten. Dasselbe gespenstische Gefühl beschlich sie, weil sich alle Befürchtungen bewahrheitet hatten. 21 Jahre später hilft ihre Korrespondenz die Gegenwart im Nahen Osten zu verstehen.

Navid Kermani

Natan Sznaider

Israel

Eine Korrespondenz

Hanser

Im Februar2002 lernte der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani in Haifa den Soziologen Natan Sznaider kennen. Während Sznaider die Situation in Israel für das Feuilleton der Frankfurter Rundschau verfolgte, hielt Kermani die Eindrücke seiner Reise in einer sechsteiligen Serie für die Süddeutsche Zeitung fest. Aus der wechselseitigen Vorablektüre und Korrektur ihrer Artikel entwickelte sich ein umfangreicher Schriftwechsel.

Der eine von uns wachte am 7. Oktober in einer anderen Welt auf; entsetzt und verzweifelt sind schwache Worte, um es zu fassen. Der andere erkannte aus der Ferne den Schrecken wieder, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits über so viele Völker im Nahen Osten gekommen war. Wir suchten nach Worten und empfanden beide das Schweigen, in Tel Aviv und in Köln, ein Israeli und ein Deutscher, ein Deutscher und ein Iraner, ein Jude und ein Muslim. Langsam verstanden wir, was geschah, nicht der übliche Raketenalarm, kein antikolonialer Widerstand, sondern eine dschihadistische Invasion des Südens Israels und ein Gemetzel an Juden, wie es das seit der Schoah nicht mehr gegeben hatte. Eine erste WhatsApp-Nachricht von Köln nach Tel Aviv: Seid Ihr in Sicherheit, ist Euch etwas geschehen, Euren Angehörigen und Freunden? Ja, wir sind so weit in Sicherheit, ja, es ist etwas geschehen. Jeder hier kennt jemanden, der … Ihr auch? Ja, Freunde von uns, die Kinder … Wir sind alle unter Schockstarre, wir können kaum reden. Am 9. Oktober telefonierten wir miteinander, Worte des Zuspruchs und Fragen der Verzweiflung. Und wir erinnerten uns an unsere erste Begegnung im Frühjahr 2002: Wir trafen uns in der arabischen Altstadt von Haifa, gingen am Strand spazieren. Es waren schon damals dunkle Zeiten, kurz nach dem Scheitern des Camp-David-Abkommens, dem Amtsantritt des Hardliners Ariel Scharon als israelischer Ministerpräsident und dem Ausbruch der sogenannten Zweiten Intifada. Es war die Zeit, in der die Schikanierung der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank und im Gazastreifen immer heftiger wurde. Es war die Zeit eines bis dahin beispiellosen Terrors gegen israelische Zivilisten, der Höhepunkt wohl eine Attacke der Hamas am Sederabend im März 2002 in Netanja, bei der 22 Menschen getötet und 140 verletzt wurden. Es war aber auch die Zeit, bevor Ariel Scharon 2005 die israelischen Siedlungen im Gazastreifen räumte und damit der Hamas den Weg zur Regierung dort öffnete. Und natürlich war es auch die Zeit nach dem 11. September, damals vor 21 Jahren.

Wir mochten uns auf Anhieb, mit unseren so unterschiedlichen Lebenswelten, trotz unserer so unterschiedlichen Ansichten und wohl auch, weil wir uns in der Ferne als Mitglieder einer Minderheit in einer deutschen Mehrheitsgesellschaft erkannten. Entscheidend aber war, so denken wir im Rückblick, dass wir einander zuhören und miteinander streiten konnten, ohne je an der Integrität des anderen zu zweifeln. Wir lernten voneinander, dass jeder von uns vielleicht auch denken würde wie der andere, wenn ihn dessen Erlebnisse und Erfahrungen geprägt hätten. So ergab sich sofort nach der ersten Begegnung ein E-Mail-Austausch, der erst einmal natürlich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war, aber dann doch so relevant erschien, dass ihn die Zeitschrift Lettre International veröffentlichte. Bei unserem Telefonat am 9. Oktober erinnerten wir uns, längst Freunde geworden, an die damalige Korrespondenz, an den lieben Herrn Sznaider und an den lieben Herrn Kermani, an den Übergang ausgerechnet im Streit zum lieben Natan und lieben Navid, aber natürlich auch an unseren Pessimismus damals schon. Wir erinnerten uns an die wirklichkeitsschaffende Kraft der Gewalt, die nur noch Schmerz und Trauer hinterlässt, aber auch daran — und das war das Wichtigste vielleicht für uns am 9. Oktober —, dass man selbst in der Sprachlosigkeit noch sprechen kann, und sei es ohne Worte. Sei es nur, dass man den anderen atmen hört.

Unabhängig voneinander suchten wir nach dem Telefonat die damalige Korrespondenz in unseren Rechnern, lasen fast gleichzeitig in Tel Aviv und Köln und waren beide schockiert. Dasselbe gespenstische Gefühl beschlich uns, weil sich alle Befürchtungen bewahrheitet hatten. So kam uns beiden, unabhängig voneinander in derselben Nacht, der Gedanke, diesen 21 Jahre alten Briefwechsel noch einmal zu veröffentlichen, der die Gegenwart vielleicht ein wenig besser zu verstehen hilft. Unser gemeinsamer Verlag reagierte sofort und leistete Unglaubliches. So konnte das Buch schon nach einem knappen Monat erscheinen.

Dabei sind wir uns der damaligen Unzulänglichkeit und ebenso des heutigen Risikos bewusst — der Unzulänglichkeit rasch geschriebener Mails und des Risikos, missverstanden zu werden, weil die Situation eine andere ist als vor 21 Jahren und ebenso der Diskurs sich verändert hat — manche Formulierung im Zusammenhang mit Israel, die womöglich gedankenlos, aber seinerzeit geläufig war, würde inzwischen irritieren oder sogar als anstößig gelten. Hinzu kommen heute die ungleich größere Bedeutung des Internets und der sozialen Medien, zu deren Wirkmechanismen es gehört, einzelne Sätze ohne Kontext aufzuspießen und zu skandalisieren. Aber auch wir selbst haben uns verändert und uns politisch über die Jahre eher noch weiter voneinander entfernt, weil wir die Gründe für die Eskalation anders gewichteten — und auch in diesen Tagen bewerten wir die bisherige Reaktion Israels auf das Massaker unterschiedlich. Ja, wir sind uns einig, dass die Täter mitsamt allen Hintermännern zur Rechenschaft gezogen und die Hamas als Organisation ausgeschaltet werden muss. Aber was der eine, von Köln aus, als Katastrophe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen wahrnimmt, die den Israelis keinerlei Sicherheit bringen wird, sieht in Tel Aviv der andere nicht nur mit dem Recht auf Selbstverteidigung legitimiert, sondern als Versuch, die Anwesenheit des Staates wiederherzustellen, die sicheres jüdisches Leben in Israel wieder möglich machen soll.