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Die Naturi bereiten sich auf das letzte Opfer vor, das die Grenzen zwischen den Welten niederreißen soll. Der Erde droht die endgültige Vernichtung. Die Einzigen, die das noch verhindern können, sind die Vampirin Mira und der Vampirjäger Danaus. Beide sehen sich in Machu Picchu einer Konfrontation von apokalyptischen Ausmaßen gegenüber. Doch es gibt Hoffnung: Eine Prinzessin der Naturi stellt sich unerwartet auf ihre Seite. Kann es Mira und Danaus mit ihrer Hilfe gelingen, das Gleichgewicht der Kräfte zu verschieben und die Zerstörung der Erde aufzuhalten?
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Seitenzahl: 568
LYNNVIEHL
JÄGERIN
DER NACHT
DAWNBREAKER
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Jasper Nicolaisen
Für Stephen. Danke, dass du mich jung hältst.
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt dem dynamischen Duo, das mir bei jedem Buch zur Seite steht, meiner großartigen Agentin Jennifer Schober und meiner brillanten Lektorin Diana Gill. Vielen Dank für eure Hilfe und Unterstützung. Außerdem möchte ich mich bei der Geek-Brigade aus Florence, Kentucky bedanken, die mir bei ein paar unvorhergesehenen Computerkatastrophen geholfen hat. Danke für eure Geduld und die harte Arbeit.
1
Die Reifen quietschten.
Wir rasten mit fast hundert Sachen um die Kurve und kamen ins Schleudern. Ich stemmte mich gegen den Fahrersitz und biss die Zähne zusammen, um einen erneuten Fluch zu unterdrücken, als Knox uns weiter durch das Wohngebiet jagte und dabei knapp ein parkendes Auto verfehlte. Ein zweiter Satz quietschender Reifen war uns dicht auf den Fersen, während ein Ford Mustang mit wachsender Geschwindigkeit hinter uns herbrauste.
„Schaff uns aus der Stadt raus, verdammt!“, schrie ich Knox an. Bei dieser Geschwindigkeit mussten wir bald jemanden rammen, aber da die Naturi aufholten, konnten wir es nicht riskieren, langsamer zu werden. Wir mussten aus der Stadt raus, bevor wir jemanden umbrachten oder die Cops von Savannah doch noch auf die beiden Autos aufmerksam wurden, die da mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Stadt rasten.
„Wenn das so einfach wäre!“, brüllte Knox zurück. Er hielt das Lenkrad mit beiden Händen so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Als wir die Innenstadt hinter uns hatten, hast du gesagt, ich soll sie abschütteln, nicht dass ich die Stadt verlassen soll.“
„Schön, dann sag ich es jetzt. Fahr, zum Teufel noch mal, aus der Stadt raus. Sonst bringst du noch jemanden um“, blaffte ich.
„Und zwar uns“, fügte Amanda vom Rücksitz aus hinzu. Neben der blonden Nachtwandlerin saß Tristan, der das Ganze ziemlich locker zu nehmen schien. Aber Tristan war mit mir natürlich schon in viel schlimmere Situationen geraten und hatte es überlebt.
„Ich bringe uns schon nicht um“, knurrte Knox, während er eine weitere Kurve viel schneller nahm, als es ratsam gewesen wäre. „Das hier ist ein BMW M3. Ein Rennauto für die Reichen und Gelangweilten. Der Wagen hält das aus.“
„Nein, Knox, sag deine Meinung ruhig freiheraus“, fauchte ich. Der BMW war mein Auto. Ich hatte beschlossen, Knox fahren zu lassen, als ich bemerkt hatte, dass die Naturi uns auf dem River Walk verfolgten – mir war klar, dass ich möglicherweise freie Hände brauchte, wenn es uns nicht gelingen würde, sie abzuschütteln. Ich zog meine Pistole aus dem Handschuhfach und überprüfte das Magazin.
„Du weißt schon, wie ich’s meine.“ Der Nachtwandler warf mir einen raschen Blick zu und verzog den Mundwinkel zu einem schwachen Grinsen.
„Reich und gelangweilt“, wiederholte ich trocken.
„Müssen wir das wirklich ausgerechnet jetzt diskutieren?“, flehte Amanda, als Knox um die nächste Kurve schlitterte und das Nummernschild eines parkenden Autos abriss.
„Knox!“
„Mira!“, schrie er zurück. „Lass mich fahren, oder mach es selbst!“
Aber dafür war es zu spät. Die Naturi kamen mit jeder Biegung näher. Ihnen war es egal, ob sie auf dem Weg jemanden rammten, und genau darum mussten wir sie aus der Stadt lotsen.
Ich entspannte mich etwas, als wir in die Montgomery Street einbogen. Die Ausfahrt zum Highway 16 befand sich ganz in der Nähe. Endlich würden wir die Stadt hinter uns lassen und offenes Gelände gewinnen.
„Mira“, sagte Tristan gedämpft und suchte im Rückspiegel meinen Blick. „Ist es wirklich klug, die Stadt zu verlassen?“
Etwas von der Anspannung in meinen Schultern mochte sich gelöst haben, aber die Besorgnis lag mir immer noch schwer im Magen. Ich wusste, worauf seine Frage abzielte. Wir verließen die vergleichsweise sichere Stadt und riskierten einen Kampf auf dem Territorium der Naturi, wenn wir ins offene Land hinausfuhren. Naturbeherrschung war ihre Stärke.
Tristan hatte schon einmal im Wald mit mir gegen die Naturi gekämpft, und der Kampf war nicht allzu gut ausgegangen. Er war beinahe von einem Naturi des Tierclans in Stücke gerissen worden, und mich hatten Angehörige des Wind- und Erdclans beinahe aufgespießt. Und dieses Mal hatten wir weder Danaus noch Sadira dabei, die uns den Hintern retten würden.
„Uns bleibt einfach keine andere Wahl“, räumte ich ein und sah ihn mitleidig an, weil ich seine Furcht verstehen konnte. „Ich habe nicht die Absicht, diesen Krieg vor den Augen der Menschen auszufechten, wie es die Naturi gerne hätten.“
„Kannst du sie nicht anzünden oder so?“, drängte Amanda und zappelte unruhig auf dem Rücksitz herum. Die Nachtwandlerin war ganz wild darauf, sich endlich in den Kampf zu stürzen. Weglaufen war einfach nicht ihr Stil. Klauen und Zähne einzusetzen war ihr allemal lieber, und dabei hinterließ sie regelmäßig zerfetztes Fleisch und Seen von Blut. Das machte sie zu einer guten Einpeitscherin bei unseren Neulingen, aber nicht gerade zur allerverlässlichsten Nachtwandlerin, weil gründliches Abwägen einfach nicht ihre Stärke war.
„Ich muss das, was ich in Brand stecke, erspüren oder sehen können, und die Naturi kann ich nicht spüren“, sagte ich und sah statt mitleidig nun wütend und entnervt drein.
„Und was ist mit dem Auto?“
„Nur die Teile, die ich sehen kann.“
„Na dann die Reifen. Zünde die Reifen an. Das wird sie aufhalten.“
„Könnte funktionieren“, nickte ich und ließ mit einem beinahe lautlosen elektrischen Summen mein Fenster herunter. „Wer hat den Naturi überhaupt beigebracht, so zu fahren? Oder einen Wagen kurzzuschließen?“, grummelte ich halblaut, aber in diesem Auto voller Nachtwandler hörte mich trotzdem jeder.
„Im Internet findet man die unglaublichsten Informationen“, sagte Knox sarkastisch.
„Internet?“ Ich setzte auch das noch auf die Liste der Dinge, die mir Bauchschmerzen machten. „Das sind Geschöpfe der Alten Welt. Die schließen keine Autos kurz oder fahren wie der Teufel oder surfen im Netz.“
Zu meiner Überraschung lachte Tristan leise und hielt mich fest, als ich nach der Außenseite der Tür griff. „Es gibt Momente, in denen du echt wie von vorgestern klingst, Mira. Das ist doch auch nicht komischer als eine Nachtwandlerin in deinem Alter, die all diese Dinge tut und noch einiges mehr.“
„Halt die Klappe, Tristan.“ Ich war gerade mal sechshundert Jahre alt. Kein Alter für eine Frau.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Knox zu und sagte: „Fahr mal ein bisschen langsamer und sorg dafür, dass das Auto nicht so schlingert.“ Ich packte die Außenseite der Autotür, zog mich aus dem Fenster und hockte mich in den Rahmen. Dort hielt ich zwar nur mit etwas Mühe das Gleichgewicht, aber so war es für mich leichter, die Reifen des roten Ford Mustang anzuvisieren, der uns folgte. Ich zielte in Gedanken darauf, und Vorder- und Hinterreifen der Beifahrerseite fingen Feuer. Der Wagen brach zweimal aus, bevor er sich endlich am Straßenrand überschlug und auf dem Dach liegen blieb.
Ich rutschte zurück ins Auto und schnappte mir meine Pistole vom Boden. „Fahr rechts ran. Wir müssen das zu Ende bringen.“
Meine Füße berührten den mit Kies bestreuten Randstreifen, noch bevor Knox auf die Bremse treten konnte. Ich entsicherte den Browning, der inzwischen mein ständiger Begleiter war, und hielt beim Anblick der Waffe, die mit der identisch war, die Danaus mir in Venedig gegeben hatte, kurz inne. Nachtwandler trugen für gewöhnlich keine Schusswaffen – die meisten unserer Feinde waren durch eine Kugel sowieso nicht zu verletzen, und wenn man auf sie schoss, machte sie das meistens nur sauer. Aber Naturi konnte man durch einen gut gezielten Schuss umbringen, also war ich neuerdings, wo ich ging und stand, außer mit einem Messer auch mit einer Pistole ausgerüstet. Meine Gefährten hatten sich das allerdings nicht alle zur Gewohnheit gemacht.
Tristan? Ich tastete im Geist nach ihm.
Ich habe eine Pistole, bestätigte er, ohne dass ich fragen musste. Der junge Nachtwandler war bei mir gewesen, als ich in England gegen die Naturi gekämpft hatte, und dann noch einmal, als die Naturi in Venedig aufgetaucht waren. Er wusste nur zu gut, was nötig war, um mit diesen zähen Bastarden fertigzuwerden.
„Knox“, rief ich und sicherte die Pistole wieder. „Nimm die hier.“ Ich warf ihm die Pistole vorsichtig über das Autodach zu, als er sich aufrichtete. „Pass auf, dass du nicht mich erwischst, so beschissen, wie du zielst.“ Das musste ich gerade sagen. Wir waren alle erbärmliche Schützen. Keiner von uns hatte sich je die Mühe gemacht, das Schießen zu lernen. Aber vor fünfhundert Jahren waren Pistolen auch noch nicht so zuverlässig gewesen – und das war das letzte Mal gewesen, dass Nachtwandler es regelmäßig mit den Naturi zu tun bekommen hatten. Die Zeiten änderten sich, und wir mussten lernen, uns anzupassen.
Ich zog ein Messer aus der Scheide an meiner Hüfte und ging zu der Stelle, an der das Auto auf dem Dach hin- und herschaukelte. Drei Naturi waren schon herausgekrochen, während der vierte noch immer reglos hinter dem Steuerrad klemmte. Sie hatten Schnittwunden und Prellungen, erholten sich aber bereits von dem kleinen Blechschaden. Die Naturi hatten die Fähigkeit, sich von Verletzungen fast so schnell zu erholen wie ein Nachtwandler. Eine Kugel in den Kopf schaltete sie allerdings sicher aus. Eine Kugel ins Herz hielt sie immerhin lange genug auf, um nachzuladen und einen zweiten, besser gezielten Schuss anzubringen.
„Wo ist Rowe?“, rief ich, als ich mich dem ersten Naturi bis auf ein paar Meter genähert hatte.
„Ist dir auf den Fersen, Feuermacherin“, antwortete der Naturi.
Ich ließ das Messer in der Hand kreisen, sodass das Licht der nahen Straßenlaterne auf der langen silbernen Klinge funkelte. „Verrat mir mal was, was ich noch nicht weiß.“
„Er will deinen Tod“, sagte der Naturi.
Wieder zuckte ich mit den Achseln. Rowe hatte im Palast von Knossos gewonnen, als es ihm gelungen war, das Siegel zu brechen, das die Naturi bannte, aber er musste immer noch das Tor öffnen. Er wusste, dass ich ihm bis dahin unablässig im Nacken sitzen würde, also hatte er mich während des vergangenen Monats unablässig mit kleinen Scharmützeln bombardiert, die mich auslaugen sollten.
Mit einer abschließenden Drehung stieß ich das Messer wieder in die Scheide, während meine Linke vorschnellte, die Handfläche den drei Naturi zugekehrt. Sie explodierten in drei gewaltigen Flammenzungen, die grell die Nacht erleuchteten. So schaltete ich sie aus, bevor es überhaupt zum Kampf kommen konnte. Ich hatte nicht vor, das Leben meiner Gefährten aufs Spiel zu setzen, nur um mehr Informationen zu erhalten. Entweder Rowe würde zu mir kommen oder ich würde ihm am Schauplatz des nächsten Opfers wiederbegegnen.
Ein Schuss krachte, gefolgt von zwei weiteren in rascher Folge. Ich wirbelte herum und löschte mit einem Wink das Feuer. Tristan und Knox sahen in die entgegengesetzte Richtung und hielten mit beiden Händen ihre Pistolen umklammert, während sie auf das halbe Dutzend Naturi feuerten, das aus dem Wald gerannt kam, der sich rund um uns erstreckte. Sie hatten nur darauf gewartet, dass wir uns endlich aus der Stadt herauswagten.
Zu meiner Überraschung erschienen zwei Feuerbälle in den geöffneten Händen eines Naturi und rasten auf Knox und Tristan zu. Ein Naturi aus dem Lichtclan. Scheiße. Indem ich meine gesamte Aufmerksamkeit auf die Flammen konzentrierte, fing ich die beiden Feuerbälle ab und zog sie zu mir heran, bevor ich sie restlos auslöschte. Die Möglichkeit, mit Feuer anzugreifen, blieb mir nun nicht mehr, da die Licht-Naturi meine Angriffe mühelos kontern konnten.
Ich zog erneut das Messer und stürzte mich auf die herannahenden Naturi. Schüsse hallten durch die Nacht, als Tristan und Knox versuchten, das Kräfteverhältnis auszugleichen. Als wir die Truppe erreichten, rauschten Flügel durch die Luft. Ein Schwarm Stare überflutete den Nachthimmel. Ich warf mich zu Boden und schürfte mir an der rissigen, steinigen Erde die nackten Arme auf, während ich versuchte, mich vor den scharfen Klauen der Vögel in Sicherheit zu bringen. Bevor ich wieder auf die Füße kommen konnte, war die Licht-Naturi mit dem goldenen Haar und der bronzefarbenen Haut auch schon mit gezücktem Kurzschwert über mir. Ich rollte mich nach links ab und wich nur knapp der Klinge aus, die dort herabsauste, wo ich noch eine Sekunde zuvor gelegen hatte. Um sie einen Augenblick aufzuhalten und aufstehen zu können, zog ich eine Feuerwand zwischen uns hoch.
Die Licht-Naturi wischte das Feuer mit einer bloßen Handbewegung weg. Als sie einen weiteren Schritt näher kam, schleuderte ich ihr das Messer entgegen und versenkte es tief in ihre Brust.
Die Naturi taumelte zurück und starrte mit offenem Mund auf das Messer, das da aus ihrer Brust ragte. Sie fuchtelte blindlings mit dem Schwert nach mir, aber ich wich mit Leichtigkeit aus. Mit einem raschen Tritt schlug ich ihr die Klinge aus dem schwächer werdenden Griff. Ich lächelte, als ich zu ihr ging und ihr das Messer aus der Brust zog. Meine Schöpferin Sadira hatte dafür gesorgt, dass ich auch ohne meine Kräfte eine fähige Kämpferin war. Ein schmatzendes Geräusch drang durch die Nachtluft, gefolgt von ihrem Schmerzensschrei, der abrupt verstummte, als ich ihr mit einem einzigen fließenden Schlag den Kopf von den Schultern trennte.
Ich stürmte auf die übrigen Naturi zu, bevor sie auf dem Boden aufschlug. Eine hastige Zählung ergab, dass von den sechs Angreifern nur noch drei übrig waren. Die Vögel waren verschwunden, was ein Hinweis darauf war, dass der Naturi aus dem Tierclan unter den Toten war.
Über uns begannen sich Wolken zusammenzuballen, als ein plötzliches Unwetter von Osten her auf uns zujagte. Der Wind drehte und nahm an Geschwindigkeit zu, sodass er mir das lange rote Haar in die Augen wehte. Anscheinend gehörten die verbleibenden Naturi zum Windclan. Das war übel. Einen Blitz konnte ich nicht aufhalten, und es war unwahrscheinlich, dass irgendjemand von uns einen Einschlag überleben würde.
„Rückzug“, brüllte ich. „Rückzug!“ Während ich die Nachtwandler anschrie, sammelte ich meine Kräfte. Ich konnte keinen der Naturi in Brand stecken, solange sie sich in der Nähe der Nachtwandler aufhielten. Wenn das Feuer einmal in Gang war, gab es keine Möglichkeit mehr, meine Verbündeten zu schützen.
Tristan und Knox zögerten einen Augenblick, zogen sich dann aber zurück und sprinteten auf mein Auto zu. Amanda jedoch wurde von einem Naturi aufgehalten, der sie mit einem Schlaghagel langsam, aber sicher auf den Waldrand zutrieb, weg von der Straße. Ich konzentrierte mich kurz, ließ die beiden Naturi, die mit Knox und Tristan gekämpft hatten, in Flammen aufgehen und rannte hinter Amanda her.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie ein weiteres Auto auf dem Seitenstreifen hinter dem Wagen der Naturi zum Stehen kam. Mehr Zuschauer konnte ich jetzt echt nicht gebrauchen. Ich musste annehmen, dass es sich bei unserem neuen Freund um einen weiteren Naturi handelte, denn schließlich hatten wir das ganze Gebiet magisch abgeschirmt.
Kümmer dich um den Neuankömmling, befahl ich Tristan telepathisch, während ich Amanda zu Hilfe eilte.
Der Wind-Naturi mit dem hellbraunen Haar blieb in einigen Metern Entfernung von Amanda stehen und reckte die Hand in die Luft, als wollte er ein Stück vom Himmel herabreißen. Amanda musterte ihn aufmerksam, während ihre Hände vor Erschöpfung, vielleicht auch vor Furcht, zitterten. Sie hatte keine Ahnung, mit wem sie es zu tun hatte. Ich schon, und das war kein Grund zur Zuversicht. Ich hatte gesehen, wie Rowe, unmittelbar bevor ein Hagel aus Blitzen niedergegangen war, haargenau dieselbe Haltung eingenommen hatte.
Ich stieß mich mit aller Kraft ab, schnellte auf sie zu und riss sie zu Boden, Sekunden, bevor ein Blitz genau dort in die Erde krachte, wo sie eben noch gestanden hatte. Schmerz durchzuckte meinen Unterleib, aber ich achtete nicht darauf, während ich Amanda mitriss und wir, auf der Suche nach einigermaßen sicherem Gelände, einige Meter weiter über den Boden rollten. Sobald ich mich aufstützen konnte, schickte ich dem angreifenden Wind-Naturi einen Feuerball entgegen und hüllte ihn in orangefarbene Flammen ein, bevor er einen weiteren Blitz herabrufen konnte.
Nachdem der Naturi verkohlt war, ließ ich mich zu Boden sinken und schloss erleichtert die Augen. Die Naturi waren tot, und niemand war ernsthaft verletzt worden.
Mira!, rief Tristan telepathisch, genau in dem Moment, als weitere Schüsse knallten.
Ich fuhr auf, sah mich um und handelte mir damit einen erneuten stechenden Schmerz im Unterleib ein, während ich drei weitere Naturi auf uns zurennen sah. Irgendwie hatte ich sie bei meiner Zählung übersehen – oder sie waren aus dem Wald gekommen, als ich mit Amanda zu Boden gestürzt war, weil sie hofften, einen Vorteil aus diesem Moment der Schwäche ziehen zu können.
Amanda wuchtete sich auf die Knie und wollte sich schützend vor mich schieben, aber ich packte sie am Ellbogen und stieß sie zur Seite. Sie durfte mir auf keinen Fall die Sicht versperren. Ich hob eine zitternde, blutige Hand und versuchte, die Angreifer in Brand zu setzen, aber vergeblich. Bei jeder Bewegung fuhr kreischend ein neuer Dolch aus Schmerz durch meinen Körper und machte meine Konzentration zunichte. Die Naturi kamen näher, schneller, als es Tristan oder Knox vermocht hätten. Fauchend griff ich auf meine letzten Reserven zurück, überwand den Schmerz und suchte nach dem Feuer, das an der Stelle loderte, wo eigentlich meine Seele hätte sein sollen.
Die drei Naturi kamen ein paar Schritte vor mir stolpernd zum Stehen. Ihre gurgelnden Schreie erfüllten die beinahe totenstille Nacht. Kopflos ließen sie die Waffen fallen und zerkratzen sich die Haut, durch die plötzlich seltsame Wellenbewegungen liefen.
In diesem Moment spürte ich die vertraute Berührung warmer Macht in der Luft. Bevor ich noch den Kopf wandte, wusste ich, dass Danaus gekommen war. Endlich etwas, das mich von meiner Furcht und dem Schmerz ablenkte. Ich machte eine Handbewegung in Richtung der drei Naturi, die von innen heraus gekocht wurden, und steckte sie in Brand. Unter dem Einfluss unserer vereinten Kräfte zerfielen sie sofort zu Asche.
„Oh Gott! Mira!“, keuchte Amanda neben mir. „Es tut mir so leid. Ich wollte nicht … du hast mich … einfach umgerissen … ich habe nicht …“
Ich folgte ihrem entsetzten Blick und schaute an mir hinab. Ein Messergriff ragte aus meinem Bauch. Blut sickerte in mein Shirt und tränkte allmählich den Hosenbund meiner Jeans. Das erklärte das plötzliche schmerzhafte Aufblitzen, als ich gegen Amanda gekracht war. Ich hatte mich selbst mit dem Messer in ihrer Hand aufgespießt.
„Typisch“, brummte ich, als ich mir mit einem unterdrückten gequälten Zischen die Klinge aus dem Bauch zog. Ich hatte es geschafft, nicht von den Naturi verletzt zu werden, nur um von einem meiner eigenen Leute getroffen zu werden. Die Peinlichkeit tat mehr weh als der Schmerz in meinem Bauch, während mein Körper bereits mit der Selbstheilung begann.
Das Rascheln laufender Füße verriet mir, dass Tristan und Knox sich eilig näherten, um sich zu überzeugen, dass wir beide in Sicherheit waren. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie sahen, dass ich mich mit Amandas Klinge verletzt hatte, also richtete ich mich in eine sitzende Position auf, auch wenn ich dabei vor Schmerz zusammenzuckte.
„Bist du in Ordnung?“, fragte Tristan eindringlich, bevor er noch ganz zum Stehen kam.
„Ich wollte nicht …“
„Mir geht’s gut“, fiel ich ihm rasch ins Wort.
„Du blutest“, bemerkte Knox.
„Mir geht’s gut. Das ist nur ein Kratzer.“ Beim Anblick einiger „Kratzer“, die ich mir in der Vergangenheit zugezogen hatte, wäre er auf der Stelle ohnmächtig geworden.
„Aber …“ Amanda wollte noch etwas sagen, aber ein wohlbekanntes Grollen ließ sie verstummen.
„Ihr geht es gut“, sagte Danaus grinsend, während er die Hand ausstreckte, um mir aufzuhelfen.
Wie zur Antwort huschte, als ich mit der Linken das Handgelenk des Jägers packte und mich wieder auf die Beine wuchtete, ein schiefes Lächeln über meine Lippen. Es schmerzte zwar, war aber nicht der Rede wert. „Geht und sammelt die Leichen ein. Schmeißt sie aufs Auto. Wir müssen die Beweise vernichten, bevor sie jemand findet“, ordnete ich an, während ich Amanda das Messer zurückgab.
Wir brauchten nur ein paar Minuten, um die Leichen einzusammeln, die ich nicht bereits vollkommen eingeäschert hatte. Der Schutzzauber, den wir gemeinsam über den Kampf gelegt hatten, und die Tatsache, dass es drei Uhr morgens war, sorgten dafür, dass das Handgemenge vor menschlichen Blicken verborgen geblieben war, trotzdem mussten wir die Beweise für die Existenz der Naturi vernichten.
Sobald wir wieder im Auto saßen, ließ ich den Ford Mustang in Flammen aufgehen. Ich hatte es offenbar geschafft, den Tank zu treffen, denn das Ding flog mit einem wunderbaren Feuerball in die Luft. Wir warteten ab, bis wir sicher waren, dass die Leichen vollständig verbrannt waren, bevor wir mit Danaus und dem anderen Auto im Schlepptau in die Stadt zurückfuhren. Bisher hatte niemand etwas zu seinem plötzlichen Auftauchen gesagt, obwohl die Frage in der Luft lag wie ein rosa Zeppelin an einer Angelschnur.
Knox brach als Erster das Schweigen, indem er seinen nimmermüden trockenen Humor einsetze: „Ich wäre kein echter Nachtwandler, wenn ich mir nicht gern die Nacht mit dir um die Ohren schlagen würde, aber ich nehme an, du hattest noch was anderes im Sinn, als nur mit den Naturi zu spielen.“
„Können wir bitte nicht von denen sprechen?“, sagte Amanda mit zitternder Stimme auf dem Rücksitz. Ihr leiser, fast schon verzweifelter Tonfall verblüffte mich. Soweit ich wusste, hatte sie bisher noch nie etwas aus der Bahn geworfen, aber andererseits war dies auch ihr erster Zusammenstoß mit den Naturi gewesen, und sie hatte nur knapp überlebt. Zu allem Überfluss hatte sie es auch noch fertiggebracht, die Hüterin ihrer Heimatdomäne zu erdolchen. Es war wirklich nicht Amandas Nacht.
„Ich habe euch eigentlich nicht zusammengerufen, um über die Naturi zu sprechen“, seufzte ich. „Ich wollte euch beide einladen, meiner Familie beizutreten.“
Erst jetzt begann ich mich zu fragen, ob das wirklich so eine kluge Idee war.
2
Das Arbeitszimmer in meinem Privathaus entsprach der klassischen Bibliothek der Alten Welt. Drei Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Bücherregalen gesäumt. Die Regale wechselten sich mit beleuchteten Vitrinen ab, die allerlei Krimskrams beherbergten. Dies war das erste Zuhause, das ich länger als ein paar Jahre bewohnte, und ich hatte es mir nach und nach erlaubt, Besitztümer anzuhäufen, da ich nicht mehr fürchtete, fluchtartig alles stehen und liegen lassen zu müssen. Savannah war meine Heimat, und ich war bereit, sie zu verteidigen.
Als ich mich gegen die Vorderseite des Schreibtisches lehnte, bemerkte ich, wie Tristan mich unter halb geschlossenen Lidern ansah, während er sich in einem Ledersessel mit hoher Lehne räkelte. Im Lauf des letzten Monats hatte er sich damit angefreundet, in meiner Domäne zu wohnen, allerdings versuchten wir immer noch Schritt für Schritt, unsere Beziehung von Herrin und … Kind auf die Reihe zu bekommen. Ich hatte ihn bei dem Versuch, sein Leben zu retten, unserer Schöpferin Sadira gestohlen. Auf diese Entwicklung war ich völlig unvorbereitet. Ich hatte nie vorgehabt, eine eigene Familie zu gründen, schon gar nicht mit einem Kind, das einmal meiner verhassten Schöpferin gehört hatte.
Doch Tristan brauchte mich. Sadira hatte ihn schwach erschaffen und kleingehalten, sodass er nie auf die gleiche Art hätte entkommen können wie ich. Nach seinem Fluchtversuch hatte Sadira mich mit einer List dazu gebracht, ihn zu ihr zurückzubringen. Ich wusste, wie es sich anfühlte, unter ihrer grausamen, sadistischen Knute zu stehen, und verstand daher seinen Drang, endlich frei zu sein. Während unseres Londonaufenthalts hatte ich versprochen, ihm genau das zu ermöglichen, aber ich hatte nie geglaubt, dass ich seine Herrin werden müsste, um dieses Versprechen zu halten.
Nach der Rückkehr von Kreta nach Savannah war ich drauf und dran, ihm die Freiheit zu schenken, all meine Ansprüche auf ihn für nichtig zu erklären und ihn in ein Leben als freier Nachtwandler zu entlassen. Aber das ließ mein Gewissen nicht zu. Er war immer noch schwach, und das machte ihn zur leichten Beute für jeden, dem er über den Weg lief. Ich konnte nicht zulassen, dass er sich auf der Stelle umbringen ließ, sobald er nicht mehr bei mir war. Ein ganzes Jahrhundert lang hatte Jabari mich gelehrt, auf mich selbst aufzupassen, und mir beigebracht, was es hieß, ein Nachtwandler zu sein. Ich konnte wenigstens ein bisschen was von diesem Wissen an mein frisch gebackenes Mündel weitergeben.
Für den Moment schien Tristan zufrieden zu sein, hierbleiben zu können. Aber es gab Momente, in denen ich ihn dabei ertappte, wie er mich mit traurigen Augen ansah. Ich fragte mich, ob er nicht aus einem ganz anderen Grund bei mir blieb. Suchte er nach einem Weg, um mich zu beschützen?
Danaus war ebenfalls bei uns. Er saß in einem der Lehnstühle vor dem Schreibtisch, die Augen unablässig auf mich gerichtet wie eine drahtige Raubkatze, die ihre Beute ins Visier nimmt. Sowohl er als auch Tristan hatten in London mit mir gegen die Naturi gekämpft, und dann noch einmal im Themis-Hauptquartier. Danaus war auch auf Kreta an meiner Seite gewesen, als das Siegel gebrochen worden war. Obwohl ich sowohl Amanda als auch Knox schon länger kannte, fühlte ich dennoch eine merkwürdige Vertrautheit gegenüber den beiden Neuankömmlingen in meiner Domäne.
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