Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2020/2021 -  - E-Book

Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2020/2021 E-Book

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Beschreibung

Der neue Band 2020/21 setzt sich direkt mit den schärfsten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik durch den Pandemie-Notstand auseinander.1 Als wir vor rund zwanzig Jahren, kurz nach dem "11. September", ein "Jahrbuch" für "Öffentliche Sicherheit" beschlossen, war uns zwar klar, dass "Sicherheit" Konjunktur haben wird, aber in diesem Ausmaß ahnten wir das natürlich nicht – von "Corona" ganz zu schweigen. Inzwischen ist das Thema "Sicherheit" regelrecht "explodiert", sodass auch in den großen sozial- und rechtswissenschaftlichen Fachverlagen eigene Reihen und z. T. neue Zeitschriften entstanden sind. Da das JBÖS hier "früh" unterwegs war, hat es sich rasch ganz ordentlich etablieren können und wurde bald auch über den Sicherheitsdiskurs i. e. S. hinaus als "wichtiges politik- und rechtswissenschaftliches Forum zur Erörterung demokratiepolitischer und sicherheitsrelevanter Fragen" angesehen.2 So lag es schließlich nahe, den Leserkreis noch breiter aufzustellen und seit 2016/17 über unseren Hausverlag für Polizeiwissenschaft hinaus das JBÖS in Kooperation mit dem Nomos-Verlag zu publizieren.

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Jahrbuch Öffentliche Sicherheit

2020/2021

ISBN 978-3-86676-674-7

ISBN 978-3-8487-8036-5

Martin H. W. Möllers / Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.)

Jahrbuch Öffentliche Sicherheit2020/2021

ISBN 978-3-86676-674-7

ISBN 978-3-8487-8036-5

Zitiervorschlag: Möllers/van Ooyen, JBÖS 2020/21

Beiträge im DOC-Format für das kommende JBÖS 2022/23 sind per Mail erwünscht: [email protected]

Das Gesamtmanuskript für das JBÖS 2022/2023 wird am 1. August 2022 geschlossen.

ISBN 978-3-86676-674-7

ISBN 978-3-8487-8036-5

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner enthaltenen Teile inkl. Tabellen und Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Vervielfältigung auf fotomechanischem oder elektronischem Wege und die Einspeicherung in Datenverarbeitungsanlagen sind nicht gestattet. Kein Teil dieses Werkes darf außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert, kopiert, übertragen oder eingespeichert werden.

© Urheberrecht und Copyright: 2021 Verlag für Polizeiwissenschaft,Prof. Dr. Clemens Lorei, Frankfurt

Alle Rechte vorbehalten.

Verlag für Polizeiwissenschaft, Prof. Dr. Clemens LoreiEschersheimer Landstraße 508 • 60433 FrankfurtTelefon/Telefax 0 69/51 37 54 • [email protected]

Printed in Germany

eISBN 978-3-8667-6782-9

Inhalt

Robert Chr. van Ooyen / Martin H. W. Möllers

Editorial: 20 Jahre Jahrbuch Öffentliche Sicherheit (JBÖS)

E s s a y

Hans-Gerd Jaschke

Rechtsextreme Netzwerke in der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden? Ein Problemaufriss

T h e m e n s c h w e r p u n k t :‚ A u s n a h m e z u s t a n d ‘

Robert Chr. van Ooyen

Weimarer Rückblick – ‚Hüter der Verfassung‘: Carl Schmitt und die Kontroverse um die ‚Diktaturgewalt‘ des Reichspräsidenten

Matthias Lemke

Ausnahmezustand – Ein gefährliches Ding

Tristan Barczak

Permanente Prävention und antizipierter Ausnahmezustand – der nervöse Staat

Martin H. W. Möllers

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Freiheitsbeschränkungen infolge der Coronavirus SARS CoV-2 Pandemie

Matthias Lemke

Ist das noch normal? Krisenreaktionspolitik auf Bundes- und Landesebene im Rahmen der Corona-Pandemie

Robert Chr. van Ooyen

‚Schönwetterdemokratie‘? – Der Grundrechte-Shutdown im Corona-Notstand als Lackmustest des Grundgesetzes

Dokumentation zum Themenschwerpunkt

Deutscher Bundestag

Epidemische Lage von nationaler Tragweite – §§ 5 u. 5a Infektionsschutzgesetz (27. März 2020)

Bundesministerium für Gesundheit

Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Infektionsschutzgesetz (30. Januar 2020)

Bundesministerium für Gesundheit

Anordnungen gemäß § 5 Infektionsschutzgesetz nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (8. April 2020)

Senat von Berlin

Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus (16. April 2020)

Senat von Berlin

Bußgeldkatalog bei Verstößen im Bereich des Infektionsschutzgesetzes (22. April 2020)

Landesregierung von Schleswig-Holstein

Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende (10. April 2020)

Landesregierung von Schleswig-Holstein

Bußgeldkatalog zur Ahndung von Verstößen im Bereich des Infektionsschutzgesetzes (10. April 2020)

Landesregierung von Schleswig-Holstein

Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus (18. April 2020)

Landesregierung von Schleswig-Holstein

Festlegungen zur Corona-Verordnung – Positivliste (20. April 2020)

Landesregierung von Schleswig-Holstein

Verordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (24. April 2020)

Landesregierung von Schleswig-Holstein

Bußgeldkatalog für Verstöße gegen die Corona-Regelungen (24. April 2020)

Bundesverfassungsgericht

Einstweilige Anordnung betreffend die Religionsfreiheit in Hessen abgelehnt (20. März 2020)

Bundesverfassungsgericht

Verfassungsbeschwerde gegen die Corona-Verordnung im Land Berlin nicht zur Entscheidung angenommen (22. März 2020)

T h e m e n s c h w e r p u n k t :10J a h r en a c hd e mN S U

Samuel Salzborn

Der NSU und die Folgen für die politische Kultur in Deutschland

Christoph Kopke / Alexander Lorenz-Milord

Konsequenzen der Polizei aus dem NSU-Komplex – Ein Überblick über Aktivitäten, Maßnahmen und Strategien der Polizei des Bundeslandes Brandenburg

Hendrik Cremer

Bildungsauftrag Grund- und Menschenrechte in der Polizei – Zum Umgang mit rassistischen und rechtsextremen Positionen von Parteien

Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport

‚Über jeden Zweifel erhaben sein‘ – Konzept zur internen Vorbeugung und Bekämpfung von möglichen extremistischen Tendenzen vorgestellt

E x t r e m i s m u s/R a d i k a l i s m u s

Astrid Bötticher

Äquidistanz auf dem Prüfstand – Beitrag zur Reform des generischen Extremismusbegriffs verfassungspolitischer Prägung

Stefan Brieger

Wirkungsloser Demokratieschutz? Eine Untersuchung zur Effizienz der deutschen Vereinsverbotspraxis

Armin Pfahl-Traughber

Antisemitische und muslimenfeindliche ‚Lone Actor‘ im Rechtsterrorismus – Eine vergleichende Analyse von Fällen aus unterschiedlichen Ländern

Haci-Halil Uslucan

Gewalt und Religion: Junge Muslime als Risiko?

Judith Faessler / Ahmad Mansour

Verschwörungstheorien. Eine wahnsinnige Gefahr? Wechselwirkungen zwischen Verschwörungstheorien und Extremismus

Stefan Luft

Krawalle, Gewalt gegen die Polizei und die öffentliche Ordnung

Harald Bergsdorf

Täter-Opfer-Umkehr: Die Propaganda der RAF 1970-1998 zwischen Fiktionen und Fakten. Zahlreiche Polizeibeamte erschossen. Eine Analyse

Bundesverwaltungsgericht

Klagen gegen Verbot der Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ bleiben erfolglos

Ö f f e n t l i c h eS i c h e r h e i ti nD e u t s c h l a n dI

Martin H. W. Möllers

70 Jahre Grundgesetz und der durch Zeitgeist und Staatsräson bedingte Wandel von Menschenwürde und Bürgerfreiheit

Christoph Lüscher

Mauerschützen-Urteile ‚revisited‘: Zu Vergangenheitsaufarbeitung und Recht

Bernhard Schlag / Michael Heß

Tempolimit auf Autobahnen – eine deutsche Kontroverse seit den 1970er Jahren

Laura Schulte / Christoph Gusy

Rechtlicher Rahmen der kooperativen Bestimmung von Schutzzielen und Schutzniveaus in den KRITIS Ernährung und Gesundheit

Maximilian Chr. M. Möllers / Martin H. W. Möllers

Das Urteil des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB und der Grundrechtsschutz zum selbstbestimmten Tod

Bundesverfassungsgericht

Sklaverei im Herkunftsstaat löst gerichtlichen Aufklärungsbedarf vor Ablehnung der Asylklage aus

Ö f f e n t l i c h eS i c h e r h e i ti nD e u t s c h l a n dII ,i n s b .P o l i z e i

Hubert Kleinert

Die AfD und die Innere Sicherheit

Sven Deppisch

Tradition verpflichtet – Die Polizeiausbildung in der jungen Bundesrepublik Deutschland und ihre historischen Altlasten

Luis Illan

Auf dem Weg zur Unitarisierung? Konzeptionelle Überlegungen zu Vereinheitlichungstendenzen im Rahmen der bundesdeutschen Polizeipolitik

Hans-Jürgen Lange

Verwaltungswissenschaften, Öffentliche Sicherheitsverwaltung und Polizei

Irina van Ooyen

Die ‚verspätete‘ Polizeiwissenschaft in Deutschland

Thomas Bliesener

Die Nennung von Herkunftsinformationen von Tatverdächtigen in polizeilichen Pressemeldungen und der öffentlichen Berichterstattung

Thomas Fischer

‚Sinti und Roma und die aktuelle Kriminalitätspolitik‘. Zur Kritik an der Erfassung von Sinti und Roma im Rahmen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in Berlin

Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport – Pressestelle

Innensenator Geisel trifft Romani Rose, den Vorsitzenden des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma

Irina van Ooyen

Externe Kontrolle der Polizei durch ‚Kommissionen‘?

Jan-Philipp Redder

Whistleblowing bei der Polizei – Wann dürfen sich Polizeibeamte an Externe wenden?

Aike Thomas / Helen Behn

Suicide by Cop – Zentrale Ergebnisse von drei Befragungen an der Polizeiakademie Niedersachsen

T h e m e n s c h w e r p u n k t :( M u s t e r - ) P o l i z e i g e s e t zu n dP o l i z e i r e c h t

Hartmut Aden / Jan Fährmann

Argumente für einen besseren Musterentwurf für einheitlichere Polizeigesetze – Kritische Analyse von Entwicklungen im Polizeirecht aus rechtsstaatlicher und bürgerrechtlicher Perspektive

Martin H. W. Möllers

Richtet sich die Reform des Bundespolizeigesetzes gegen das Grundgesetz? Eine staatsrechtliche Analyse der Berichterstattung in DER SPIEGEL

Maximilian Chr. M. Möllers

Kritische Bemerkungen zum Entwurf der Neufassung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern

Markus Thiel

Polizeirecht – Diener oder Herr? Funktionen, Leistungsfähigkeit und Symbolkraft des präventiven Sicherheitsrechts

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

Entscheidung zum bayerischen Grenzschutz (Auszug)

Bundesverfassungsgericht

Polizeiliches Betreten von Abgeordnetenbüros

Yannic Hübner

Tatprovokation und Strafbarkeit

Deutscher Bundestag

Antwort der Bundesregierung zu: Rechtsstaatswidrige Straftatprovokationen durch nicht offen ermittelnde Polizeibeamte, verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen

Martin H. W. Möllers

Neue Beschränkungen der Übermittlungs- und Abrufregelungen für Bestandsdaten durch das Bundesverfassungsgericht

E u r o p ä i s c h eS i c h e r h e i t s a r c h i t e k t u r

Robert Chr. van Ooyen

‚Europäisierung‘ als Mythos? Bundeskriminalamt und Bundespolizei im Politikfeld Innere Sicherheit

Raphael Bossong

Der Ausbau von Frontex – zwischen politischer Symbolik und den Dilemmas der Umsetzung

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Überwindung der Zäune der spanischen Melilla-Enklave in Marokko

Timo Tohidipur

Ausnahmezustand an der griechisch-türkischen Grenze – Anspruch und Realität des europäischen Flüchtlingsrechts

Gerichtshof der Europäischen Union

Polen, Ungarn und Tschechische Republik verstoßen bei der Umsiedlung von Flüchtlingen gegen Unionsrecht

Deutscher Bundestag

Gesetzentwurf zur Europäischen Staatsanwaltschaft

I n t e r n a t i o n a l eS i c h e r h e i t

Martin H. W. Möllers

Die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte im Ausland

Robert Chr. van Ooyen

Die EU – (k)ein System kollektiver Sicherheit? Beim Anti-IS-Einsatz der Bundeswehr (Syrien/Irak) macht das Bundesverfassungsgericht eine ‚europafreundliche‘ Wende

Maximilian L. Knoll

Der ‚Digitale Verteidigungsfall‘ – Ist die Verbreitung von Fake News über Social Media schon Krieg?

Thomas Beck

Ukrainische Außenpolitik seit der Präsidentschaft Selenskyjs – Balanceakt zwischen Russland und dem ‚Westen‘

Khadija Katja Wöhler-Khalfallah

Erdogan und die Flüchtlingskrise: Das doppelte Spiel eines Kriegstreibers

Gurgen Petrossian

Sezessionsrecht als Form des Selbstbestimmungsrechts – Am Beispiel des Konfliktes um Berg-Karabach

Dirk Freudenberg

Sicherheitspolitische Aspekte der modernen Weltraumnutzung

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Editorial: 20 Jahre Jahrbuch Öffentliche Sicherheit (JBÖS)

Öffentliche Sicherheit hat Konjunktur

Der neue Band 2020/21 setzt sich direkt mit den schärfsten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik durch den Pandemie-Notstand auseinander.1 Als wir vor rund zwanzig Jahren, kurz nach dem „11. September“, ein „Jahrbuch“ für „Öffentliche Sicherheit“ beschlossen, war uns zwar klar, dass „Sicherheit“ Konjunktur haben wird, aber in diesem Ausmaß ahnten wir das natürlich nicht – von „Corona“ ganz zu schweigen. Inzwischen ist das Thema „Sicherheit“ regelrecht „explodiert“, sodass auch in den großen sozial- und rechtswissenschaftlichen Fachverlagen eigene Reihen und z. T. neue Zeitschriften entstanden sind. Da das JBÖS hier „früh“ unterwegs war, hat es sich rasch ganz ordentlich etablieren können und wurde bald auch über den Sicherheitsdiskurs i. e. S. hinaus als „wichtiges politik- und rechtswissenschaftliches Forum zur Erörterung demokratiepolitischer und sicherheitsrelevanter Fragen“ angesehen.2 So lag es schließlich nahe, den Leserkreis noch breiter aufzustellen und seit 2016/17 über unseren Hausverlag für Polizeiwissenschaft hinaus das JBÖS in Kooperation mit dem Nomos-Verlag zu publizieren.

Paradigmenwechsel zur Neuen Sicherheit

Nun ist das JBÖS nicht bloß als Reflex auf die damaligen Terroranschläge und die „neue“ asymmetrische „Kriegsführung“ entstanden. Der Paradigmenwechsel zur „Neuen Sicherheit“3 hatte sich längst angekündigt und stellenweise schon vollzogen. Das neue NATO-Konzept von 1999 mit seinem „erweiterten Sicherheitsbegriff“ war hiervon ebenso Ausdruck wie die große „Out-of-Area-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts von 1994 oder die Euphorie um eine „Neue Weltordnung“ nach Ende des Ost-West-Konflikts und ihr auf dem Fuße folgendes erstes Desaster: die gescheiterte „humanitäre Intervention“ der USA in Somalia gleich zu Beginn der 1990er Jahre. Die Vereinten Nationen entdeckten nun die Polizeikomponente mit der Erweiterung des „Peacekeeping“ zum „Policekeeping“ und seitdem gibt es die Beteiligung Deutschlands an internationalen Polizeieinsätzen.4 Umgekehrt erodiert die klassische Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit auch nach „innen“: vom Einsatz der Bundeswehr bei besonderen Terrorlagen, den das Bundesverfassungsgericht schließlich in der Plenarentscheidung „Luftsicherheit“ freigab5, bis hin zur Zusammenarbeit der sicherheitsrelevanten Behörden in den „Zentren“.6

Dauerthema (Rechts-)Extremismus und (wehrhafte) Demokratie

Neben dem islamistischen Extremismus witterte innenpolitisch schon im Schatten der deutschen Einheit der Rechtsextremismus vor allem in den östlichen Bundesländern mit „neuer“ Penetranz Morgenluft. Die Analyse des politischen Radikalismus / Extremismus ist von Anfang an eine wichtige und eigenständige Rubrik des JBÖS gewesen – sei es „links“, „rechts“ oder sei es „islamistisch“, wenngleich der Rechtsextremismus und der „Islamismus“ im Laufe der Zeit immer stärker berücksichtigt wurden. Das spiegelt bis heute einfach die Realität wider. Schon im ersten JBÖS war über das gescheiterte NPD I-Verbotsverfahren und auch danach regelmäßig über den Schutz der Demokratie7 bis hin zur aktuellen Debatte um die Verfassungsfeindlichkeit rechtpopulistischer Parteien8 zu berichten. Der Rechtsextremismus ist Dauerthema geblieben, erlebte einen traurigen Höhepunkt mit dem „NSU“9 und ist aktuell Thema bei der Polizei selbst bzw. weiteren Sicherheitsbehörden.10

Privatisierung von Sicherheit

Schon in den 1990er Jahren verstärkten sich zwei „großpolitische“ Trends: „Privatisierung“ und „Europäisierung“; beides hatte erhebliche Rückwirkungen auf den Bereich „Innere Sicherheit“. „Grenzen der Privatisierung“, „Community Policing“ und „Privatisierung im Strafvollzug“ sind einige der Themen, mit denen sich im weiteren Verlauf die Beiträge im JBÖS hinsichtlich der Schnittstelle von öffentlicher und privater Sicherheit auseinandersetzten. Während die „neo-liberale“ Privatisierungsdiskussion in den letzten Jahren eher abflaute, hat sich das Thema „Europäisierung“ seit „Maastricht“ und dann „Lissabon“ weiter intensiviert.

Motor der Europäisierung und „Dialektik“ bei der Zuwanderung

Mit Blick auf die EU wird bisweilen von der Sicherheit sogar als dem eigentlichen neuen Motor der europäischen Integration gesprochen. Im JBÖS führte das nicht nur zur regelmäßigen Thematisierung von „Schengen“, „Europol“, „Frontex“, „EU-Haftbefehl“ etc. in einer eigenen Rubrik. Die Forcierung dieser Entwicklung war auch dafür ausschlaggebend, überhaupt eine Sonderbandreihe des JBÖS mit ausgewählten Schwerpunkten aufzulegen, die sogleich mit diesem Thema eröffnete.11 Zugleich zeigt die Entwicklung der EU eine eigentümliche Dialektik von „Vertiefung“ und „De-Europäisierung“; das nicht nur in puncto „Brexit“: In der sog. „Flüchtlingskrise“ fuhr das „Dublin-System“ gegen die Wand. Ein europäisch-menschenrechtlicher Grenzschutz, flankiert durch ein EU-Flüchtlings- und Migrationsregime mit eigenen Behörden und Hoheitsrechten fehlt nach wie vor, obwohl seine Dringlichkeit 2015 kaum dramatischer vor Augen stehen konnte. Auch bei der „Europäisierung/Internationalisierung“ des öffentlichen Dienstes gibt es ein Spannungsverhältnis, nämlich zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Jedenfalls besteht bei deutschen Sicherheitsbehörden – wie schon zuvor in puncto „Frauen“ – hier ein nicht unerheblicher Modernisierungsrückstand. Denn „Europäisierung“ bedeutet ja nicht nur nach „außen“ betrachtet Kooperation zwischen den Staaten und Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale EU-Institutionen. Das Thema „Migration“ bildete daher gleich zweimal einen eigenen Schwerpunkt im JBÖS.12

Ständige Ausweitung von (Polizei-)Befugnissen

Die zahlreichen „Sicherheitspakete“ der beiden letzten Jahrzehnte, die noch unter der rot-grünen Bundesregierung als „Ottokataloge“ begannen13, haben zweierlei gezeigt: erstens, dass sich dieser Wandel in der deutschen Innenpolitik nahezu unabhängig von der politischen „Farbenlehre“ vollzieht, und zweitens, dass er in Richtung „mehr“ Sicherheit geht. Damit sind – schon lange vor „Corona“ – erhebliche Einschränkungen der Menschen- und Bürgerrechte verbunden und seit einigen Jahren vergeht kaum Zeit, ohne dass das Bundesverfassungsgericht hier nicht wieder eine neue Grundsatzentscheidung gefällt hat. Ob „Rasterfahndung“, „Luftsicherheit“, „Computergrundrecht“ und „Sicherungsverwahrung“ oder ob „Vorratsdatenspeicherung“ und „neue Polizeigesetze“14 – das seitens der Politikwissenschaft lange Jahre kaum wahrgenommene Politikfeld „Innere Sicherheit“ erlebte einen regelrechten Forschungsboom und das unter Staats- und Verfassungsrechtlern über Jahre als „langweilig“ verschriene Polizeirecht gilt inzwischen als „aufregend“.

Sicherheit und Menschenrechte

Als Herausgeber des JBÖS, vor allem aber auch als Dozenten an einer Polizeihochschule für die politik- und rechtswissenschaftlich geprägten Studienfächer der „Staats- und Gesellschaftswissenschaften“ hätten wir dabei jedoch ganz gerne auf die eine oder andere Aufregung verzichtet: Regelrecht erschrocken waren wir, als das gerade für eine rechtsstaatliche und demokratische Polizei so zentrale Tabu der Folter in der politischen und sogar rechtswissenschaftlichen Diskussion im „neuen“ Carl Schmittschen „Guantanamo-Freund-Feind-Recht“ um „lebensrettende Aussageerzwingung“, „Ausnahmezustand“ und „Bürgeropfer“ drohte, enttabuisiert zu werden. Zu Recht hatte Verfassungsrichter Udo Di Fabio in seiner Rede in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik vom 6. November 2007 ausdrücklich davor gewarnt. Manch einem Außenstehenden, der hier gerne meint, mal „nur“ einen akademischen Streit führen zu können, ist vielleicht gar nicht bewusst, welche Rückwirkungen solche Diskussionen gerade auf Polizei (und Militär) haben können: Im Zuge dieser „Debatten“ wurden wir direkt von Studierenden angefragt, ob man aus „praktischer Sicht“ hierzu nicht mal eine Diplomarbeit machen, also – polemisch formuliert – die Wiedereinführung der „Daumenschraube“ schon mal rasch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit „durchprüfen“ könnte. Eine schwerpunktmäßige Auseinandersetzung mit der Gefährdung von Menschenrechten war daher schnell überfällig und erfolgte schon im zweiten Band des JBÖS.15

Kritische Polizeiwissenschaft(en)

Die Initiierung des Jahrbuchs ist mit der Absicht verbunden gewesen, die Debatte um „Öffentliche Sicherheit“ zu forcieren, auch mit Blick auf Ausbildungsgänge, in denen Wissenschaften und „Theorie“ einen nicht gerade leichten Stand haben.16 Denn trotz der (verspäteten) Einführung des Hochschulstudiums gilt für die Ausbildung bei der Polizei z.T. immer noch das geflügelte Wort, dass hier Polizisten (und endlich, wie auch im JBÖS thematisiert: Polizistinnen) von Polizisten lernen, was Polizisten von Polizisten gelernt haben – oder eben von „praxisfallbezogenen“ Jurist*innen. Daher sollte das JBÖS auch eine neue „Polizeiwissenschaft“ voranbringen – so schon der allererste Themenschwerpunkt im JBÖS 2002/03 – und Baustein eines zu errichtenden Netzwerks der „Forschung Innere Sicherheit“ sein. Um die Forschungsleistung steht es, wie eingangs festgestellt, inzwischen gut, auch wenn noch über „Polizeiwissenschaft“ gestritten wird und die institutionellen Forschungsbedingungen gerade an den Polizeihochschulen immer noch überwiegend katastrophal sind. Der Befund sozialwissenschaftlicher Fächer (i. w. S.) aber bleibt im Studium ambivalent: Die juristische Fallarbeit dominiert nach wie vor – und die „Einsatzlehre“, die zwar wichtiges Handwerkszeug ist, kaum aber mit Riesendeputaten in die Hochschulausbildung, sondern eben in die Praxis gehört. Die Polizeigeschichte hat zwar curricular mit Jahren Verspätung eine Aufwertung erfahren, ist aber im Studium meist randständig. In manchen Fächern ist es zudem nie gelungen, richtig Fuß zu fassen.17 Durch die „Bachelorisierung“ schließlich ist die Tendenz eines „Rollbacks“ weiter gestiegen, die Ausbildung wieder in Richtung „Paukschule“ und „Beamtenprägeanstalt“ zu bewegen.

Vielen Dank Professor Clemens Lorei – und allen Autorinnen und Autoren!

Unser seinerzeitiger Plan, das JBÖS zu machen, traf auf den kurz zuvor gegründeten, wissenschaftlich ambitionierten „Verlag für Polizeiwissenschaft“, der das Vorhaben bereitwillig aufgriff – und dessen Ausrichtung und Repertoire das „hausbackene“ Programm anderer Polizeiverlage um Längen hinter sich gelassen hat. 20 Jahre JBÖS ist schließlich auch ein Anlass, sich erneut bei unserem Verleger Clemens Lorei für die vertrauensvolle und zuvorkommende Zusammenarbeit zu bedanken – und natürlich bei den inzwischen zahlreichen Autorinnen und Autoren, die insgesamt rund 500 Aufsätze beigetragen haben:

Abou-Taam, Marwan (Mainz, Göttingen)

Aden, Hartmut (Berlin)

Alston, Philip (New York / USA)

Altemöller, Frank (Halberstadt)

Anter, Andreas (Leipzig, Bremen)

Arnauld, Andreas von (Hamburg)

Arnold, Rainer (Berlin)

Asmus, Hans-Joachim (Berlin)

Atzbach, Rudolf L. (Bonn-Bad Godesberg)

Augsberg, Ino (Kiel)

Bachmann, Mario (Köln)

Backes, Uwe (Dresden)

Baier, Dirk (Hannover)

Baldus, Manfred (Erfurt)

Bannenberg, Britta (Bielefeld)

Barczak, Tristan (Passau)

Barlai, Melani (Chemnitz)

Baron, Udo (Hannover)

Baumann, Mechthild (Berlin)

Beck, Thomas (Brühl/Rheinland)

Becker, Manuel (Bonn)

Behn, Helen (Bremen)

Behr, Rafael (Hamburg)

Behschnitt, Benjamin (Dresden)

Benedek, Wolfgang (Graz / A)

Benz, Wolfgang (Berlin)

Bergsdorf, Harald (Bonn)

Berndt, Michael (Willingen, Hamburg)

Bigalke, Ruth (Eschborn)

Blancke, Stephan (Berlin)

Bliesener, Thomas (Hannover)

Blom, Herman (Groningen / NL)

Blome, Kerstin (Bremen)

Boho, Evelyne (Berlin)

Borsdorff, Anke (Lübeck)

Botsch, Gideon (Potsdam)

Bötticher, Astrid (Berlin, Jena)

Brähler, Elmar (Leipzig)

Brenner, Rainer (Traiskirchen / A)

Brieger, Stefan (Dresden)

Brock, Eike (Hannover)

Brunkhorst, Hauke (Flensburg, Berlin)

Buchallik, Philipp (Dresden)

Bull, Hans Peter (Hamburg)

Burchardt, Daniel (Berlin)

Buttlar, Christian von (Saarbrücken)

Büttner, Christian (Frankfurt a.M.)

Carius, Alexander (Berlin)

Commissioner For Human Rights (Strasbourg / F)

Cremer, Hendrik (Berlin)

Decker, Frank (Bonn)

Decker, Oliver Leipzig)

Denkowski, Charles A. von (Hannover)

Denkowski, Cordula von (Hannover)

Denninger, Erhard (Frankfurt a.M.)

Deppisch, Sven (Gröbenzell)

Dietrich, Jan-Hendrik (Berlin, München)

Džihić, Vedran (Wien / A, Washington D.C. / USA)

Eckert, Roland (Trier)

Eggers, Eva (Leipzig)

Eigmüller, Monika (Leipzig)

Eilles-Matthiessen, Claudia (Frankfurt a.M.)

Eisele, Manfred (Veitshöchheim, New York / USA)

Eißler, Friedmann (Berlin)

Ellrich, Karoline (Hannover)

Enke, Thomas (Halle/Saale)

Faessler, Judith (München)

Fährmann, Jan (Berlin)

Fassbender, Bardo (München)

Felgenhauer, Harald (Den Haag / NL, Wien / A)

Feltes, Thomas (Bochum)

Fischer, Robert (Dresden)

Fischer, Susanne (Hamburg)

Fischer, Thomas (Baden-Baden)

Fischer-Lescano, Andreas (Bremen)

Follmar-Otto, Petra (Berlin)

Foral, Jiří (Brno / CZ)

Franke, Jürgen (Hamburg)

Freudenberg, Dirk (Sinzig-Franken, Bonn)

Fröhlich, Daniel (München)

Frommel, Monika (Kiel)

Galli, Thomas (Zeithain, Dresden)

Gareis, Sven Bernhard (Hamburg, Münster)

Georgii, Harald (Berlin)

Gerlach, Julia (Berlin)

Giemulla, Elmar M. (Brühl/Rhld., Berlin)

Glaeßner, Gert-Joachim (Berlin)

Gluba, Alexander (Hannover)

Gnüchtel, Ralf (Berlin)

Goertz, Stefan (Lübeck)

Gorzewski, Andreas (Frankfurt a.M.)

Grätz, Jonas (Zürich / CH)

Groß, Hermann (Wiesbaden)

Gusy, Christoph (Bielefeld)

Haas, Volker (Tübingen)

Haase, Anna-Maria (Dresden)

Hammer, Dominik (Hannover)

Hansen, Hendrik (Passau)

Härtel, Andrea (Berlin)

Hartleb, Florian (Bonn, München, Brüssel / B)

Hasil, Martin (Gmünd / A)

Häusler, Alexander (Düsseldorf)

Hegasy, Sonja (Berlin)

Hein-Kircher, Heidi (Marburg)

Hempel, Leon (Berlin)

Herrmann, Jörg (Berlin)

Heß, Michael (Bonn)

Schlag, Bernhard (Dresden)

Hoffmann, Karsten Dustin (Hamburg)

Hollstein, Juliane (Berlin)

Hundert, Juliane (Dresden)

Hunold, Daniela (Münster)

Hübner, Yannic (Frankfurt a.M.)

Hutter, Reinhard W. (Ottobrunn)

Illan, Luis (Regensburg)

Jäger, Thomas (Köln)

Jahn, Matthias (Frankfurt a.M.)

Jahn, Sven (Lübeck)

Jakob, Evin Merve (Frankfurt a.M.)

Jaschke, Hans-Gerd (Berlin)

Kapitza, Annika (Bielefeld)

Kastner, Martin (Lübeck)

Kempin, Ronja (Berlin)

Kiefer, Michael (Düsseldorf)

Kiess, Johannes (Siegen)

Kietz, Daniela (Berlin)

Kilchling, Michael (Freiburg i.Br.)

Kinzig, Jörg (Tübingen)

Klee, Andreas (Bremen)

Kleinert, Hubert (Wiesbaden)

Klink, Bart M. J. Van (Tilburg / NL)

Klump, Andreas (Berlin)

Knelangen, Wilhelm (Kiel)

Kögel, Helko (Ottobrunn)

Knoll, Maximilian L. (Berlin)

Kontopodi, Katerina (Athen / GR)

Kopke, Christoph (Berlin)

Korgel, Lorenz (Berlin)

Krämer, Walter (Dortmund)

Kremer, Carsten (Trier)

Kreter, Maximilian (Dresden)

Krick, Annika (Hamburg)

Kroll-Peters, Olaf (Berlin)

Kuhli, Milan (Frankfurt a.M.)

Kümmel, Gerhard (Potsdam)

Kutscha, Martin (Berlin)

Kutz, Martin (Hamburg)

Ladwig, Bernd (Berlin)

Lang, Kai-Olaf (Berlin)

Lange, Hans-Jürgen (Münster)

Lembcke, Oliver W. (Jena)

Lemke, Matthias (Lübeck)

Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine (Berlin)

Lippmann, Valentin (Dresden)

Löffelholz, Martin (Ilmenau)

Lohninger, Emanuel (Wien, Horn / A)

Lorenz, Alexander (Berlin)

Lorenz, Astrid (Leipzig)

Luft, Stefan (Bremen)

Lüscher, Christoph (Trimbach / CH)

Lutz, Hermann (Luxembourg / L)

Mackeben, Andreas (Bremen)

Mahler, Claudia (Innsbruck / A, Berlin)

Mainzinger, Christian (Lübeck, New York / USA)

Maninger, Stephan (Lübeck)

Marciniak, Angela (Marburg)

Mareš, Miroslav (Brno / CZ)

Maurer, Andreas (Berlin)

Mayer, Marius (Frankfurt a.M.)

Middel, Stefan (Berlin)

Miliopoulos, Lazaros (Bonn)

Möllers, Konstantin Simon M. (Amsterdam / NL)

Möllers, Martin H. W. (Heringsdorf i.H.)

Möllers, Maximilian Chr. M. (Greifswald)

Möllers, Rosalie (Heringsdorf i.H.)

Mölling, Christian (Berlin)

Morhardt, Lisa (Frankfurt a.M.)

Mrozek, Anna (Leipzig)

Müller, Carsten (Werdau)

Müller, Henning Ernst (Regensburg)

Müller, Thorsten (Bremen)

Müller-Heidelberg, Till (Bamberg)

Müller-Wolf, Tim J. Aristide (Hamburg)

Mundil, Daniel (Frankfurt/Oder)

Muszyński, Jan (Poznań / PL)

Nafzger, Hans-Jörg (Elsfleth)

Neidhardt, Klaus (Münster)

Neu, Viola (Berlin)

Neudeck, Rupert (Troisdorf)

Neuhann, Florian (Berlin)

Nieland, Jörg-Uwe (Duisburg)

Normann, Lars (Bonn)

Nuscheler, Franz (Duisburg)

Oltmer, Jochen (Osnabrück)

Ooyen, Irina van (Berlin)

Ooyen, Robert Chr. van (Berlin, Lübeck, Dresden)

Paar, Caroline (Wien / A)

Parma, David (München)

Peiffer, Kathrin (Hamburg)

Peterke, Sven (Joao Pessoa / BR)

Peters, Hans Peter (Jülich, Berlin)

Petrossian, Gurgen (Erlangen)

Pett, Alexander (Hannover)

Pfahl-Traughber, Armin (Brühl/Rhld., Bonn)

Pfeffer, Claudia (Regensburg)

Pfeiffer, Christian (Hannover)

Philippsberg, Robert (München)

Pilz, Gunter A. (Hannover)

Pospisil, Jan (Wien / A)

Preuss, Andrijana (Mannheim)

Pundt, Christian Bremen, (Oldenburg/Old.)

Puschke, Jens (Marburg)

Quade, Michael (Berlin)

Rah, Sicco (Hamburg)

Redder, Jan-Philipp (Hamburg)

Reichertz, Jo (Essen)

Rensmann, Lars (Haifa / IL, Potsdam)

Reuter, Manfred (Hennef)

Rheinbay, Susanne (Frankfurt a.M.)

Robbe, Patrizia (Berlin)

Röger, Ralf (Lübeck)

Roggan, Fredrik (Berlin)

Rosenau, Hartmut (Kiel)

Rosmus, Konrad (Ottobrunn)

Rustemeyer, Ruth (Koblenz)

Salzborn, Samuel (Gießen)

Sax, Florian (Hof)

Schäfer, Bernhard (Potsdam)

Schellenberg, Britta (München)

Schenck, Jean-Claude (Duisburg)

Schenk, Dieter (Schenklengsfeld, Lodz / PL)

Schewe, Christoph S. (Bielefeld)

Schlun, Tim (Aachen)

Schmelzer, Alexander (Frankfurt a.M.)

Schmid, Gerhard (Regensburg)

Schmidt, Rolf (Grasberg bei Bremen)

Schneider, Manfred (Bochum)

Schneider, Patricia (Hamburg)

Schneiders, Thorsten Gerald (Duisburg)

Schönbohm, Arne (Bonn)

Schöndorf-Haubold, Bettina (Gießen)

Schoppa, Katrin (Mannheim)

Schott-Mehrings, Tilmann (Lübeck)

Schulte, Laura (Bielefeld)

Schulte, Wolfgang (Münster)

Schulze, Jan-Andres (Taufkirchen, München)

Schulze Wessel, Julia (Dresden)

Schütte-Bestek, Patricia M. (Bochum)

Schütz, Holger (Jülich)

Schütz, Torben (Berlin)

Schuwirth, Rainer (Brüssel / B)

Schwaabe, Christian (München)

Schwarz-Friesel, Monika (Berlin)

Seckelmann, Margrit (Speyer)

Seidler, Christoph (Berlin)

Sharkey, Noel (Sheffield / GB)

Sonntag-Wolgast, Cornelie (Berlin)

Spohrer, Hans-Thomas (Lübeck)

Spring, Karen Birgit (Berlin)

Srol, Sven (Werl, Dortmund)

Steglich, Henrik (Wiesbaden)

Stegmaier, Peter (Nijmegen / NL, Luxembourg / L)

Stehr, Michael (Bonn)

Steinbeis, Maximilian (Berlin)

Stodiek, Thorsten (Hamburg)

Storbeck, Jürgen (Den Haag / NL)

Straßner, Alexander (Regensburg)

Süss, Stefan (Berlin)

Swatek-Evenstein, Mark (Berlin)

Tanneberger, Steffen B. (Freiburg i.Br.)

Tänzler, Dennis (Berlin)

Thiel, Markus (Münster)

Thomas, Aike (Lüneburg)

Tibi, Bassam (Göttingen)

Tohidipur, Timo (Frankfurt a.M.)

Troy, Jodok (Innsbruck / A)

Uslucan, Haci-Halil (Essen)

Vieregge, Elmar (Köln)

Vobruba, Georg (Leipzig)

Vogl, Franz-Xaver (Berlin)

Voigt, Rüdiger (München)

Vormbaum, Thomas (Hagen)

Wagner-Kern, Michael (Wiesbaden)

Walter, Anne (Osnabrück)

Walter, Bernd (Königs Wusterhausen)

Weber, Albrecht (Osnabrück)

Weber, Florian (Berlin)

Weber, Sebastian (Hamburg, Berlin)

Weber, Wolfgang (Bonn-Bad Godesberg)

Weichert, Thilo (Kiel)

Weinzierl, Ruth (Berlin)

Weiss, Sandra (San Pedro Cholula-Puebla / MEX)

Weisswange, Jan-Phillipp (Bad Homburg)

Weitkunat, Gerhardt (Eschwege)

Wenger, Andreas (Zürich / CH)

Wiefelspütz, Dieter (Berlin)

Wieser, Marion (Innsbruck / A, New Orleans / USA)

Wilde, Annett (Rostock)

Winkler, Beate (Wien / A)

Winterhoff, Christian (Göttingen, Hamburg)

Wirtz, Irene (Wiesbaden)

Wöhler-Khalfallah, Khadija Katja (Wetter/Ruhr)

Wolff, Heinrich Amadeus (Frankfurt/Oder)

Das JBÖS wird auch weiterhin nur alle zwei Jahre erscheinen. Das hat einerseits den Vorteil, Entwicklungen schon in der mittelfristigen Bedeutung jenseits ihrer Medienaktualität klarer erfassen zu können. Zugleich ist es dem Umstand geschuldet, dass wir bisher jede Ausgabe ohne Hilfskräfte oder sonstige Entlastung neben dem üblichen Lehrbetrieb komplett selber machen (mussten); hierin spiegeln sich also auch – entgegen öffentlicher „Sonntagsreden“ zu Bildung, Wissenschaft und Forschung – einfach die realen Forschungsbedingungen an Polizeihochschulen wider.

Und: „… das Letzte“

Das ist auch einer der Gründe, warum die „Lübecker Expertengespräche“ zuletzt im JBÖS 2016/17 erscheinen konnten.18 Der wahre Grund aber hierfür ist, dass Publius d’Allemagne zwischenzeitlich das Land verlassen hatte, um bei den Trump-Anhängern mitzumischen – und weil ihm Haft wegen „Verpöbelung des Volkes“ drohte. Auch sein treuer Kumpan Glaukon Rien zu Pupendorff sitzt schon seit fast einem Jahr, allerdings nur im Lockdown des „corona-verseuchten“ Berlins fest. Er soll jedoch den illegalen Reise-Durchbruch in ein subversives Hotel am Timmerdorfer Beach geschafft haben und auch Publius längst wieder auf dem Rückweg in die deutsche Heimat sein (O-Ton: „die Amis waren mir zu lasch, diese ‚ästhetischen Schlaraffen, … Fruchtabtreiber, Leichenverbrenner und Pazifisten’“19). Gerüchten zufolge wird es bald ein neues „Lübecker Expertengespräch“ geben – natürlich ohne Masken und Sicherheitsabstände.

Robert Chr. van Ooyen / Martin H. W. Möllers, im November-Lockdown 2020

1Vgl. den Schwerpunkt „‚Ausnahmezustand‘“ im JBÖS 2020/21.

2So die ZPol 2009 zum JBÖS 2008/09.

3Vgl. den Schwerpunkt „Theorie der Sicherheit und Methodik der Analyse“ im JBÖS 2004/05 sowie JBÖS-Sonderband 6: Neue Sicherheit, 3 Bde., 2. Aufl., Frankfurt am Main 2012.

4Vgl. den Schwerpunkt „Auslandseinsätze“ im JBÖS 2010/11.

5Vgl. den Schwerpunkt „Luftsicherheit kontrovers“ im JBÖS 2012/13.

6Vgl. den Schwerpunkt „Zukunft der deutschen Sicherheitsarchitektur“ im JBÖS 2018/19.

7Vgl. den Schwerpunkt „Wehrhafte Demokratie“ im JBÖS 2008/09 sowie „Demokratieschutz“ im JBÖS 2016/17.

8Vgl. den Schwerpunkt „Verfassungsfeindlichkeit der AfD?“ im JBÖS 2018/19.

9Vgl. Schwerpunkt „Rechtsterrorismus“ im JBÖS 2012/13 sowie „NSU und Reform der Sicherheitsarchitektur“ im JBÖS 2014/15.

10Vgl. den Schwerpunkt „10 Jahre nach dem NSU“ sowie den einführenden Essay im JBÖS 2020/21.

11Vgl. JBÖS-Sonderband 1: Europäisierung und Internationalisierung der Polizei, 3 Bde, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 2011-12.

12Vgl. den Schwerpunkt „Migration und Integration“ im JBÖS 2010/11 und „Flüchtlingskrise“ im JBÖS 2016/17 sowie den JBÖS-Sonderband 5: Migration, Integration und europäische Grenzpolitik, Frankfurt a.M. 2011.

13Benannt nach dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD).

14Vgl. den Schwerpunkt „Neue Polizeigesetze und Ausweitung der Befugnisse“ im JBÖS 2018/19 sowie „(Muster-)Polizeigesetz und Polizeirecht“ im JBÖS 2020/21.

15Vgl. den Schwerpunkt „Menschenwürde und Sicherheit“ im JBÖS 2004/05 sowie den JBÖS-Sonderband 14: Menschenrechte und Sicherheit, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 2018.

16Vgl. den Schwerpunkt „Polizeiwissenschaft“ schon im ersten JBÖS 2002/03 sowie den JBÖS-Sonderband 7: Polizeiwissenschaft, 5 Bde., Frankfurt a.M. 2011 ff.

17So wird z. B. das Fach „Berufsethik“ an manchen Polizeihochschulen immer noch von Polizeipfarrern gelehrt, obwohl man hierfür professionelle – und konfessionell neutrale – Philosoph*innen benötigte. Ebenso fehlt zumeist eine Anbindung des Fachs Kriminologie an die Soziologie.

18Vgl. „’… das Letzte’: 20. Lübecker Expertengespräch zu Staat und Sicherheit in Theorie und Praxis“ im JBÖS 2016/17 sowie gesammelt als 4. Aufl., Frankfurt a.M. 2017.

19Carl Schmitt: Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951, Berlin 1991, S. 165.

Essay

Hans-Gerd Jaschke

Rechtsextreme Netzwerke in der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden? Ein Problemaufriss

Die Fälle häufen sich, in denen staatlichen Sicherheitsbehörden rechtsextreme Tendenzen vorgeworfen werden. Es handelt sich hier offenbar nicht um Einzelfälle: Allein für das Jahr 2019 listet der Deutschlandfunk (DLF) nach Recherchen bei den Innenbehörden mehr als 200 Fälle mit rechtsextremem Hintergrund in der deutschen Polizei.1 Darunter rassistische Chat-Gruppen, Funde illegaler Waffen und NS-Devotionalien bei Polizeibeamten, ein Bundespolizist mit Aufnähern einer Neonazi-Gruppe, Aktivitäten eines Berliner Polizisten in der Jugendorganisation der AfD, Junge Alternative, und vieles mehr. Aufsehen erregte die Gruppe Nordkreuz, in der sich sogenannte „Prepper“ auf den Tag X vorbereiteten durch Horten von Nahrungsmitteln, aber auch Waffen. In dieser Gruppe kursierte eine Feindesliste, derzufolge mehrere tausend politische Gegner aus dem linken Spektrum zur Liquidation freigegeben wurden am Tag X. Zwei der Beschuldigten waren Polizeibeamte aus Mecklenburg-Vorpommern, einer davon Mitglied eines Sondereinsatzkommandos. Bei ihm wurden bei einer Hausdurchsuchung unter anderem 10.000 Schuss Munition und ein Maschinengewehr sichergestellt.2 Dies sind Vergehen, die dienst- und strafrechtlich von Belang sind, aber als solche wiederum bezogen sind auf einzelne Täter. In diesem Zusammenhang wäre auch zu fragen: Gibt es rechtsextreme Einstellungen in den Reihen der Polizei, die solche Verhaltensweisen ermöglichen, tolerieren oder begünstigen? Wie weit sind sie verbreitet und wie reagiert der Dienstherr darauf? Mehr noch: Gibt es Netzwerke, Milieus, Seilschaften oder Zellen innerhalb der Polizei, die im Vorfeld von Straftaten agieren und mobilisieren?

Auch in der Bundeswehr sind spektakuläre Fälle bekannt geworden. So etwa der des Oberleutnant Franco A., der mit Kameraden Waffen und Munition illegal beschaffte und Terrorakte gegen Politiker plante, die als Anschläge von Flüchtlingen erscheinen sollten. Auf diese Weise sollte der Hass auf Flüchtlinge geschürt und der Boden bereitet werden für rechtsextreme Agitation. Franco A. war Mitglied einer Chat-Gruppe von André S., des Gründers von Uniter, einer umstrittenen Gruppierung von Mitgliedern von Spezialeinsatzgruppen von Polizei und Bundeswehr. André S., ehemals Mitglied des Kommando Spezialkräfte (KSK), wollte die Gruppe auf den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung vorbereiten im Zuge der Flüchtlingskrise 2015. Einem Bericht des „Spiegel“ zufolge erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz den Verein Uniter im Februar 2020 zum „Prüffall“ wegen rechtsextremistischer Umtriebe.3 Die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen sprach 2017 vor diesen Hintergründen und ähnlichen Vorkommnissen in einer für Verteidigungsminister kaum je gesehenen und gehörten Offenheit davon, es gebe in der Truppe einen falsch verstandenen Korpsgeist, man könne nicht von Einzelfällen sprechen, „zu groß ist die Zahl der Vorfälle, zu gravierend die zutage getretenen Fehlentscheidungen“.4 Auch ihre Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer betonte: „Jeder sollte sich bewußt sein, dass man sich mit einer Mitgliedschaft in Uniter und mit dem Tragen von Uniter-Symbolik selbst dem Verdacht aussetzt, in der Nähe rechtsextremer Netzwerke und Chats zu stehen“.5 Er versammelt seit 2010 Soldaten und Polizisten aus Spezialeinheiten. Es wird davon ausgegangen, dass rechtsextreme Tendenzen diesen Verein prägen.6

Anfang 2020 ermittelte der MAD gegen etwa 550 Bundeswehrsoldaten wegen Verdachts rechtsextremistischer Bestrebungen, darunter 20 Verdachtsfälle in der Spezialeinheit KSK, die seit einigen Jahren eine Häufung von Vorfällen mit rechtsextremistischem Hintergrund aufweist.7 Am 13. Mai 2020 wurde ein Oberstabsfeldwebel, seit 2001 beim KSK, festgenommen. Auf seinem Grundstück fand die Polizei unter anderem ein Sturmgewehr, tausende Patronen und zwei Kilogramm Sprengstoff sowie Plakate und Devotionalien aus der NS-Zeit. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) geht 19 weiteren ähnlichen Fällen nach.8 Im Juni 2020 wurde ein Brief eines Hauptmanns des Kommando Spezialkräfte (KSK) an die Verteidigungsministerin bekannt, in dem der Whistleblower rechtsextreme Vorfälle in dieser Einheit anprangerte und beklagte, diese Vorfälle würden ignoriert und toleriert. Es herrsche im KSK eine „toxische Verbandskultur“ und eine „Kultur des Wegsehens“.9

Wie sind diese Entwicklungen einzuschätzen? Wenn es sich – wie selbst von politisch Verantwortlichen mittlerweile eingeräumt wird – nicht um Einzelfälle handelt, um was dann? Haben sich Muster herausgebildet, die innerhalb dieser Einrichtungen sich mehr und mehr ausbreiten oder aber, wie der Militärhistoriker Wolfram Wette im Falle der Bundeswehr betont, auf einem „berufstypisches Tarnen und Täuschen“ basieren? „Soldaten mit rechtsextremistischen Einstellungen“, so Wette weiter, „halten sich in der Regel eher bedeckt – oder sie geben ihre Gesinnung nur in einem eng umgrenzten Umfeld zu erkennen, von dem sie sich Schweigen oder klammheimliche Zustimmung erwarten können“.10 Folgt man der These Wettes, dann wäre mit einem erheblichen Dunkelfeld zu rechnen, mehr noch: Wir hätten es zu tun mit einer Mentalitäts- und Behördenkultur, die sich über Jahrzehnte entwickelt und verfestigt hat, die Korpsgeist und Intransparenz fördert und die nicht in der Lage ist, rassistischen, diskriminierenden Verhaltensweisen etwas entgegenzusetzen.

Der Begriff „Netzwerke“ spielt hier eine bedeutsame Rolle, denn es könnte vermutet werden, dass sie es sind, von denen Polizei und Verfassungsschutz von innen heraus bedroht werden. Behördeninterne Netzwerke oder Seilschaften, offen, halboffen oder auch klandestin, verleihen den beteiligten Akteuren Identität und Stabilität in der Gruppe, Deutungsmuster, Handlungsperspektiven, Schutz und Solidarität bei Bedrohungen von innen und von außen. Darin besteht ihre Attraktivität. Ihre interne relative Machtposition besteht nicht zuletzt darin, dass sie über umfangreiches, stets aktualisiertes internes Wissen auch über die Vorgesetzten verfügen. Folgt man diesen Grundannahmen, dann ergibt sich eine Reihe von Fragen: Wie entstehen solche Netzwerke? Was hält sie zusammen? Unter welchen Bedingungen scheitern sie? Es handelt sich dabei um politisch bedeutsame Fragen, aber auch um Herausforderungen für die sozialwissenschaftliche Forschung. Um es vorweg zu nehmen: Befriedigende, empirisch gehaltvolle Antworten dazu gibt es derzeit kaum. Gleichwohl lohnt es sich, diese Fragestellungen von verschiedenen Seiten her zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

Im ersten Teil geht es um die Struktur innerorganisatorischer „Netzwerke“. Worum handelt es sich dabei, was sind in diesem Zusammenhang „Zellen“, was sind „Cliquen“ oder auch „Milieus“? Spielen oder spielten „Seilschaften“ eine Rolle? Dabei geht es um Innen- wie um Außenbeziehungen von Gruppen unter den Bedingungen sensibler Sicherheitsorganisationen. Diese besondere Empfindsamkeit wird im nachfolgenden Abschnitt angesprochen: Polizei und Verfassungsschutz sind in besonderem Maße skandalanfällig. Dies bedarf der Begründung und auch einer Diskussion über die Folgewirkungen für Bestandsaufnahmen und Prävention. Teil drei versucht im Rahmen eines zeitgeschichtlichen Ansatzes die Herausbildung von innerorganistorischen rechtsgerichteten Gruppierungen innerhalb des Bundeskriminalamtes, des BND und des Verfassungsschutzes zu rekonstruieren: Was lernen wir heute aus diesen Entwicklungen? Die am Schluss kurz vorgestellten Reformansätze zeigen große Unsicherheiten, aber auch Bewegungen im sensiblen Feld der Sicherheitsbehörden.

1Gruppensoziologie: Seilschaften, Milieus, Netzwerke, Zellen, Chatgruppen

Bei Vorfällen mit einem rechtsextremen Hintergrund innerhalb der Polizei spielte die Einzeltäter-Theorie für die Polizeiführung und die politisch Verantwortlichen lange Zeit eine herausragende Rolle. Wenn es wirklich Taten Einzelner sind, lassen sie sich individuell zuordnen, sanktionieren oder gar die Täter aus dem Dienst entfernen. Die Organisation selbst bleibt nicht nur „sauber“, der Sanktionswille belegt vielmehr die Selbstreinigungskraft, die Entschlossenheit und Souveränität der Verantwortlichen. Doch die „Theorie der schwarzen Schafe“11 wird angesichts der Häufung von Vorfällen zunehmend unglaubwürdig. Strafprozessual ist zwar der Ausschluss von Mittätern gleichbedeutend mit der Einzeltäterschaft, doch vom Standpunkt der Radikalisierungsforschung ist sie unwahrscheinlich: Radikalisierungsprozesse verlaufen in Gruppen,12 gerade die neuere digitale Radikalisierung im Internet, in Chats, Foren und im Darknet impliziert Gruppenbildung und Interaktion. Die Annahme, es gebe rassistische „Netzwerke“ in den Sicherheitsbehörden geht davon aus, dass es entsprechende Vorfälle gibt, an denen mehrere, untereinander bekannte Personen beteiligt sind. Offen ist, was hier unter „Beteiligung“ zu verstehen ist. Gibt es Absprachen? Sind sie eher spontan und situationsbedingt oder nachhaltig, und beziehen sie sich auf einen geistigen oder habituellen Fundus an Tradition? Sind solche Kommunikationen offen oder verdeckt? Ein „Netzwerk“ unterstellt vertrauliche, halboffene oder auch offene Kommunikation unter Akteuren, die sich auf ein gemeinsames Unterfangen verständigt haben. Sie kann erfolgen über elektronische Medien, zum Beispiel Chat-Gruppen, aber auch offen über Gruppenbildungsprozesse in der analogen Welt.

Innerhalb von Institutionen sind offene Gruppenbildungen die Regel. Das gilt für Unternehmen und Behörden, aber auch für politische Parteien, in denen unterschiedliche Strömungen öffentlich agieren, und staatliche Einrichtungen, in denen Gremien oder informelle Gruppen sich artikulieren. Zu ihnen zählt zum Beispiel die Gruppe des höheren Dienstes in den Bundes- und Landespolizeien, die sich regelmäßig treffen, um gemeinsame Anliegen zu besprechen oder über Feierrituale den Zusammenhalt zu festigen. Die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster-Hiltrup gilt, schon aufgrund ihres Auftrages der Aus- und Fortbildung des höheren Dienstes, quasi zwangsläufig als Ort der Festigung dieser polizeilichen Funktionselite.13 Stabile personelle und fachliche Beziehungen gehen daraus hervor und begründen kleine, bundesländerübergreifende Netzwerke, die im Wesentlichen der Professionalisierung zugute kommen. Sie leisten damit einen durchaus konstruktiven Beitrag länderübergreifender Kommunikation in Polizeiangelegenheiten. Sie festigen aber auch ein Berufsmilieu, das sich als ein eigenständiger, elitärer Teil der Polizei versteht.

Gruppenbildungen innerhalb von Sicherheitsbehörden tragen bisweilen aber auch vertrauliche Züge. „Seilschaften“ sind – häufig männliche – Gruppierungen, die sich in nachhaltiger Weise wechselseitig unterstützen, deren Mitglieder in der Regel eine gemeinsame Geschichte aufweisen und die ihren Zusammenhalt rituell innerhalb und außerhalb der Institution pflegen, etwa durch gemeinsame Feste. Absprachen gewährleisten häufig Konsens über Personalfragen, Karrierechancen, Strategien oder auch Reaktionsformen auf Anforderungen von außen, so dass „Seilschaften“ durchaus ein innerorganisatorischer Machtfaktor sind. Sie sind für ihren Zusammenhalt nicht angewiesen auf Beziehungen außerhalb der Organisation, wohl aber sind sie in der Lage, sie bei Bedarf für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.

Ein Beispiel für professionsbedingte klandestine Strukturen aus dem Bereich der Nachrichtendienste sei hier erwähnt. Die Vereinigung schweizerischer Nachrichtenoffiziere berichtete in seltener Offenheit über die „geheimen Klubs“ der Nachrichtendienste bei der Antiterrorkooperation in Europa. Demnach ist diese offiziell eingebunden in Institutionen wie EUROPOL oder auch das dem Europäischen Rat zugeordnete Büro des Counter-Terrorism Coordinator (CTC). Neben diesen bekannten Institutionen fänden jedoch, so dieser Beitrag, „multilateraler Informationsaustausch und operative Koordination in der Terrorismusbekämpfung in bedeutenderem Ausmaß aber durch die geheimen Clubs der Nachrichtendienste statt“.14

„Milieus“ innerhalb von Sicherheitsorganisationen betreffen oft die Laufbahngruppen. Dies lässt sich gut am Beispiel der Polizei demonstrieren. Mit „Cop Culture“ ist die Werte- und Schicksalsgemeinschaft des mittleren und gehobenen Dienstes der Schutzpolizei gemeint, der auf der Straße Dienst tut und mit der die „Polizeifamilie“ betonenden offiziellen Polizeikultur der Festansprachen wenig zu tun hat. Rafael Behr hat diese Zusammenhänge in aufschlussreicher Weise untersucht.15 Davon unterschieden ist die Wertegemeinschaft des höheren Dienstes mit anderen, eher elitären Attitüden und Vorstellungen – in der angelsächsischen Welt von den „street cops“ eher abfällig als „paper pushers“ bezeichnet.16

„Netzwerke“ innerhalb der Sicherheitsbehörden sind empirisch praktisch nicht erforscht, denn der Zugang zum Forschungsfeld ist, zumal für Außenstehende, schwierig. Zu den formellen gehören länderübergreifende Einrichtungen wie die Innenministerkonferenz oder auch das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum. Hier geht es vor allem um Erfahrungsaustausch und Arbeit an gemeinsamen Lösungen für konkrete Probleme. Informelle Netzwerke unter Bedingungen digitaler Kommunikation sind natürlich denkbar und möglich, aber die Grenzen sind eng gezogen, weil Datenschutz, Vertraulichkeit und Geheimhaltung normative Rahmungen setzen, die eingehalten werden müssen. Gleichwohl werden immer wieder geheimbündlerische, illegale Netzwerke bekannt, so etwa eine Chat-Gruppe in der Frankfurter Polizei, die rassistische und nazistische Inhalte kommunizierte und unter dem Namen „NSU 2.0“ agierte.17 Es gab Außenbeziehungen zu anderen hessischen Dienststellen, so dass hier durchaus von einem Netzwerk gesprochen werden kann. Selbst der hessische Innenminister, lange Zeit fixiert auf die Einzeltäter-Theorie, musste nach einer weiteren, von einem Wiesbadener Polizei-Computer ausgehenden Bedrohung einer Politikerin der Linken einräumen, ein rechtsextremes Netzwerk in der hessischen Polizei könne man nicht ausschließen.18 Aber auch der Begriff einer „Zelle“ macht in unserem Zusammenhang Sinn, denn: Die Gruppe handelte so weit wie möglich konspirativ und abgeschottet. Insoweit sind „Zellen“ innerhalb von Sicherheitsorganisationen aufgrund ihres provokativen, kämpferischen und grenzüberschreitenden Charakters durchaus eine Gefahr für die Sicherheitsbehörden selbst und die Gesellschaft.

Über Hessen hinaus wurden im Laufe des Jahres 2020 weitere zellenartige Chatgruppen in der Polizei bekannt. Im Bereich des Polizeipräsidiums Essen wurde gegen 29 suspendierte Beamte Disziplinarverfahren eröffnet. Unter anderem wurden Bilddateien mit Verherrlichungen von Hitler und NS-Symbolen entdeckt. In Berlin wurde eine rechte Chatgruppe in der Polizei bekannt, an der 25 Polizisten teilnahmen, sieben davon äußerten sich regelmäßig in rassistischer Art und Weise.19

Rechtsorientierte Gruppenprozesse von Angehörigen der Sicherheitsbehörden können seit dem Aufstieg der AfD auch außerhalb der Sicherheitsbehörden beobachtet werden: Der Anteil von Polizeibeamten und Soldaten in den AfD-Fraktionen der Parlamente liegt über dem der anderen Parteien. Im Bundestag beträgt der Anteil von AfD-Abgeordneten mit längeren Bundeswehr-Dienstzeiten als dem Grundwehrdienst 15,4 Prozent (CDU 9,8, SPD 2,6, Grüne, Linke und FDP unter 2). Bei den Polizeibeamten sind es 7,7 Prozent in der AfD, bei den anderen Parteien unter 2 Prozent. Bei den Landtagsabgeordneten verfestigt sich dieser Trend. Zehn Prozent der AfD-Landtagsabgeordneten haben einen militärischen Hintergrund, 6,8 Prozent sind Polizeibeamte.20 Diese Daten sprechen für eine relative Attraktivität der AfD für Angehörige von Bundeswehr und Polizei. Es ist derzeit nicht bekannt, inwieweit diese Abgeordneten innerhalb der Fraktionen in Bund und Ländern eigenständige informelle Untergruppen bilden.

2Sicherheitsbehörden: Skandalanfällig

Seilschaften, Milieus, Netzwerke oder auch Zellen in Sicherheitsbehörden stehen unter einem ganz besonderen Druck: Sie verfügen über das Gewaltmonopol und Zugang zu Waffen, und/oder über riesige Vorräte geheimer Informationen und auch personenbezogene Daten. Damit einher geht die Möglichkeit des Missbrauchs und seiner Aufdeckung: Sicherheitsbehörden sind skandalanfällig. Der Rechtshistoriker Uwe Wesel verbindet sein Plädoyer für die Abschaffung des Verfassungsschutz mit dessen Skandalchronik: Einige wenige, heute mehr oder weniger vergessene Beispiele aus der Frühzeit der Bundesrepublik mögen genügen: In der „Vulkan-Affäre“ 1953 wurden über dreißig Personen aufgrund eines Verfassungsschutz-Dossiers grundlos verhaftet. Die „Urbach-Affäre“: 1968/69 besorgte ein Mitarbeiter des Berliner Verfassungsschutz den protestierenden Studenten nach dem Attentat auf Rudi Dutschke Molotow-Cocktails, um die Proteste anzuheizen. Im Zuge der Affäre um den Atomphysiker Klaus Traube musste Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP) 1978 zurücktreten. Traube wurde 1975/76 grundlos vom Verfassungsschutz überwacht, in seiner Wohnung wurden Abhörwanzen angebracht. Der Begriff „Lauschangriff“ im Zusammenhang von Aktionen der Sicherheitsbehörden hat sich seitdem im öffentlichen Sprachgebrauch fest etabliert. 1978 wurde in der Affäre um das „Celler Loch“ bekannt, dass der niedersächsische Verfassungsschutz ein Loch in die Celler Justizvollzugsanstalt hatte sprengen lassen, um eine Befreiung von RAF-Gefangenen vorzutäuschen.21 Diese Reihe ließe sich problemlos fortsetzen, auch für die Bereiche Bundeswehr, BND und Polizei.

Warum sind Sicherheitsbehörden in besonderem Maße anfällig für Affären und Skandale? Allgemein gesprochen geht es bei Skandalen der Sicherheitsbehörden um Machtmissbrauch oder auch die Unfähigkeit von Personen oder Behörden, mit den ihnen anvertrauten Befugnissen sachgerecht umzugehen. Bei einem politischen Skandal geht es, wie Käsler u.a. anmerken, „um Konflikte über die Verteilung, Ausübung, Kontrolle und Legitimierung von politischer Herrschaft“, wobei vier Konfliktkonstellationen im Mittelpunkt stehen: „Die Konflikte Ökonomie vs. Ökologie, Staatsräson vs. Individualrechte, Macht vs. Machtbegrenzung, Konflikte über kollektive Identität“.22 Sicherheitsbehörden sind aus verschiedenen Gründen ganz besonders skandalanfällig: Sie repräsentieren auf der Ebene praktischer Kontroll- und Eingriffsbefugnisse das Verhältnis von Staat und Individualrechten sowie von Macht und Machtbegrenzung. Sie verfügen darüber hinaus über einen großen Vorrat an Wissensbeständen über Personen, damit auch über Geheimnisse und deren Verwaltung.

Die Aufdeckung von Skandalen in Sicherheitsbehörden kann vielfältige Folgen haben: Minister-Rücktritte oder auch Rücktritte von Behörden-Leitern wie etwa von Verfassungsschutz-Chefs einiger Bundesländer im Zuge des NSU-Skandals. Gerade er hat gezeigt, dass Behördenversagen auch langfristig die Sicherheitsbehörden und die politisch Verantwortlichen erheblich und nachhaltig unter Druck setzen kann. Das gilt sogar über nationale Grenzen hinweg: Als Ende Mai 2020 der Afroamerikaner George Floyd bei der Festnahme durch die Polizei in Minneapolis/USA starb, nachdem ein Polizeibeamter mehr als acht Minuten auf seinem Nacken gekniet hatte, kam es zu landesweiten und tagelangen Protesten in den USA. Unter der Parole „Black lives matter“ kam es zu weltweiten Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt auch in Deutschland. Sie führten dazu, dass unter anderem die Polizeigewerkschaften und die Integrationsbeauftragte den Bundesinnenminister aufforderten, eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung über Rassismus in der deutschen Polizei in Auftrag zu geben.

Vor diesem Hintergrund müssen interne Gruppenbildungen in Sicherheitsbehörden noch einmal betrachtet werden. Angehörige solcher Gruppen, die im Übrigen einer besonderen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, wissen, dass informelle, zumal politisch motivierte Gruppenbildungen am Rande der Legalität oder gar darüber hinaus in hohem Maße skandalanfällig und von empfindlichen Sanktionen bedroht sind. Die Akteure gehen folglich hohe Risiken ein, die Gefährdung der eigenen beruflichen Karriere wird in Kauf genommen. Wenn dennoch die Bereitschaft besteht, Grenzen der Legalität auszutesten, dann muss von einer verfestigten Rechtsaußen- Orientierung ausgegangen werden.

3Historie: Gruppenbildungen von rechts in Sicherheitsbehörden

Empirisch belegte Erkenntnisse über aktuelle Netzwerkbildungen von rechts in Sicherheitsbehörden sind rar. Allerdings lassen sich aus einigen historischen Beispielen bemerkenswerte Erkenntnisse für die Gegenwart gewinnen. Die Frühgeschichte der Bundesrepublik ist ein besonders instruktives Beispiel für die Frage der rechten Gruppenbildungen in Sicherheitsbehörden, denn der Nationalsozialismus lag erst wenige Jahre zurück und viele Akteure waren auf die eine oder andere Weise darin verwickelt. Aufgrund dieser zeitlichen Nähe musste davon ausgegangen werden, dass trotz der Entnazifizierungsbemühungen der West-Alliierten ehemalige, mehr oder weniger in das NS-System verstrickte NSDAP-Mitglieder und Sympathisanten versuchen würden, in den neu gegründeten Sicherheitsbehörden wieder Fuß zu fassen. Der Aufbau der Polizeien, des Verfassungsschutz und der Bundeswehr erfolgte denn auch mithilfe ehemaliger Parteigenossen der NSDAP – mit Wissen der Einstellungsbehörden. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Sie reichen vom wohlwollenden Argument, ohne das Spezialwissen der ausgebildeten Polizisten unter dem Nationalsozialismus sei der Wiederaufbau unmöglich gewesen bis hin zum aktiven Bemühen der Ehemaligen, in den Sicherheitsbehörden der jungen Bundesrepublik wieder Karriere zu machen. Wagner beschreibt diesen Aspekt für die Gründung des Bundeskriminalamtes: „Bis März 1951 bewarben sich 6700 Personen auf die zunächst 231 Planstellen des BKA. Der Kampf um diese Führungspositionen der künftigen Bundeskripo war im Kern eine Auseinandersetzung zwischen Cliquen, Zirkeln und Seilschaften, die auf Kontakten und Freundschaften beruhten, welche in die NS-Zeit zurückreichten“.23 Noch Ende der 1950er Jahre „rekrutierte sich das Führungspersonal des BKA zu über 90 Prozent aus Männern, die zuvor in der Polizei des Nationalsozialismus Dienst getan hatten“.24

Großen Einfluss in der Anfangsphase hatten „Die Charlottenburger“, eine Gruppe von 24 leitenden Beamten, die in der SS-Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin-Charlottenburg aus- und fortgebildet worden waren und sich von daher gut kannten, darunter der erste BKA-Präsident Paul Dickopf. Der Einfluss dieser Gruppe bezog sich vor allem auf die Personal- und Stellenplanung, Einstellungen, Lehrpläne in der Ausbildung, auf das Menschenbild und kriminalistische Grundannahmen – etwa die im Nationalsozialismus hochgehaltene Annahme eines „Berufsverbrechertums“ – und insoweit auch auf die Polizeikultur in der im Aufbau befindlichen Institution BKA.25 Der politische Wille einer Umgestaltung oder aktiven Bekämpfung der Demokratie ist jedoch nicht belegt. Die NS-belasteten Kriminalisten versuchten vielmehr das, was auch andere NS-Eliten nach 1945 praktizierten: die opportunistische Rückkehr in die Bürgerlichkeit, wobei das Verschweigen und Beschweigen der Vergangenheit ebenso dazugehörte wie die Formel von der „Anständigkeit“: „Daß jemand ‚dabei gewesen‘, aber ‚dennoch anständig‘ geblieben sei, wurde bald zum stereotypen Verweis, wenn die NS-Vergangenheit die berufliche oder politische Reputation eines Mannes zu beschädigen drohte“.26

Ähnliche Muster wie im BKA spielten sich auch in anderen Sicherheitsbehörden ab in der Aufbauphase der Sicherheitsarchitektur in den 1950er Jahren. Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden ab 1952 ehemalige Angehörige von Gestapo, SS und SD zunächst als „freie Mitarbeiter“ beschäftigt, die dann ab 1955 auf reguläre Beamten- und Angestelltenstellen eingestellt wurden. Ein Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz fasst den Einfluss dieser Gruppe zusammen: „Eine erkennbar ‚braune‘ Ausrichtung haben diese Mitarbeiter dem Bundesamt nicht gegeben, wenn man einmal von der insbesondere in der vom übrigen Bundesamt abgeschlossenen Mitte 1955 gegründeten Abteilung IV (Spionageabwehr) absieht, in der sich die meisten dieser Mitarbeiter finden lassen und die auch von einer an Zeiten vor 1945 erinnernden Arbeitsatmosphäre durchzogen war“.27 Dies wäre ein Hinweis darauf, dass Seilschaften und Cliquen das Betriebsklima in Sicherheitsbehörden beeinflussen können in einer der Demokratisierung abträglichen Weise.

Der Bundesnachrichtendienst war in seiner Frühphase geprägt von Reinhard Gehlen, dem ehemaligen Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost im Generalstab der Wehrmacht. Die in der Öffentlichkeit unbekannte, von den Amerikanern geförderte „Organisation Gehlen“ legte den Grundstock für den BND, dessen Frühgeschichte in einem umfangreichen Forschungsprojekt im Auftrag des BND erforscht wird.28 Obwohl in den 1960er Jahren eine von der Politik angeordnete Überprüfung des Personals auf NS-Vorgeschichten gegen den Widerstand des BND angeordnet wurde, kam es bei 157 überprüften Mitarbeitern nur zu 68 Entlassungen. Nowack zufolge hat es eine wirkliche Selbstreinigung im BND nie gegeben.29 Auch wenn es aus BND-internen Kreisen keine offene Sabotage der Demokratie und ihrer Institutionen gab, muss doch auf ein Betriebsklima zumindest in der Frühphase des Dienstes hingewiesen werden, das ausgesprochen demokratieskeptisch war und überdies zumindest in Teilen verwoben mit den Werten der Wehrmacht und des Nationalsozialismus.

Insgesamt betrachtet ist ein Blick in die Frühgeschichte der Sicherheitsarchitektur aufschlussreich. Er belegt, dass „Seilschaften“ an der Tagesordnung waren: Gegenseitige Unterstützung bei Karriereplanungen auf der Basis geteilter positiver Erfahrungen im Nationalsozialismus – dieses Muster zeigt sich durchgängig bei den Ehemaligen. Korpsgeist wäre hier ein anderes Wort für denselben Sachverhalt oder auch: langanhaltender Kameradschaftsgeist über die Zeiten hinweg. Ob es rechtsorientierte Milieus in den Sicherheitsbehörden gab, ist hingegen fraglich, belegt sind Hinweise auf einen Arbeitsstil und ein entsprechendes Betriebsklima in der Abteilung IV des BND (Spionageabwehr) und in der Tradition der Wehrmachtsabteilung Fremde Heere Ost und der Organisation Gehlen. Ob es größere Netzwerke in der frühen Sicherheitsarchitektur gab, ist empirisch kaum zu rekonstruieren. Doch ein Befund sollte hervorgehoben werden: Die rechtsgerichteten Seilschaften und Milieus versuchten nicht, die Demokratie offen anzugreifen. Sie arrangierten sich mit den neuen Gegebenheiten.

Für die Gegenwart lässt sich darüber hinaus lernen: Einzelne Abteilungen, Kommissariate oder andere formelle Gliederungen in Sicherheitsbehörden können durchaus ein eigenständiges Betriebsklima entwickeln, das rechtsextreme oder militante Orientierungen duldet oder sogar fördert. So wurden zum Beispiel 2002/2003 sechs Polizeibeamte der Kölner Polizeiwache Eigelstein zu Bewährungsstrafen zwischen zwölf und sechzehn Monaten verurteilt aufgrund von gemeinschaftlicher Körperverletzung im Amt mit Todesfolge und aus dem Polizeidienst entlassen. Sie hatten einen Randalierer misshandelt.30 Hier ist auch das mittlere Management gefordert, solchen Entwicklungen entgegenzutreten neben bewährten Instrumenten wie etwa Rotation auf Dienststellen.

Das herausragende aktuelle Beispiel für rechtsextreme Netzwerkbildung in Sicherheitsbehörden ist der Fall des Bundeswehr-Kommando Spezialkräfte (KSK). Die Verteidigungsministerin ordnet im Juli 2020 eine Umstrukturierung an mit erheblichen Konsequenzen. Das KSK habe sich „in Teilen verselbständigt“ und auf der Basis eines „ungesunden Eliteverständnis“ eine „toxische Führungskultur“ entwickelt und das „grundlegende Vertrauen sei durch die rechtsextremen Verdachtsfälle … nachhaltig erschüttert worden“. Es komme jetzt darauf an, „Rechtsextremisten und rechtsextremistisches Gedankengut schnell und mit aller Konsequenz aus der Truppe zu entfernen und die Ermöglichung der Begünstigung von Rechtsextremismus hart zu unterbinden“. Vorgesehen ist unter anderem die Auflösung einer ganzen Kompanie, in der sich Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund gehäuft hatten, Verbleibezeiten im KSK zu verkürzen, Rotationen zu beschleunigen und das KSK stärker mit anderen Bundeswehreinheiten zu verzahnen.31 Kramp-Karrenbauers offensiver Umgang mit dem KSK verweist auf eine entstehende, aber noch nicht nachhaltige Entwicklung: Reformen der Sicherheitsbehörden im Umgang mit Rechtsextremismus und Rassismus in den eigenen Reihen sind das Gebot der Stunde.

4Reformanstöße

Zum Selbstverständnis von Sicherheitsbehörden zählt(e) seit langer Zeit das Dogma, sich so wenig wie möglich öffentlich in die Karten blicken zu lassen. Hintergrund ist die Annahme, dass Erhebungsprozesse sensibler Daten in einem problematischen Umfeld so vertraulich wie möglich gestaltet werden müssen und dass Ergebnisse im Prinzip nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Legendär ist die Geheimniskrämerei des Bundesnachrichtendienstes vor allem unter seinem ersten Präsidenten Reinhard Gehlen, der in der Öffentlichkeit praktisch nicht existierte. Auch die Chefs der Verfassungsschutzbehörden vermieden es bis in die 1990er Jahre, öffentlich in Erscheinung zu treten. Erst die von Hessen vorangetriebene Politik eines „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ bewirkte seit den 1980er Jahren schrittweise mehr Transparenz durch offensive Öffentlichkeitsarbeit. Ähnliche Mechanismen prägen die Bundeswehr: Der sprichwörtliche Korpsgeist verhindert es, dass interne Mängel an die Öffentlichkeit treten. Der Militärhistoriker Wolfram Wette bekräftigt, es gebe „in der Bundeswehr eine Grauzone mangelnder Aufklärungswilligkeit. Sie stellt womöglich das eigentliche Problem dar“.32 Auch Polizeibehörden verhielten sich lange Zeit defensiv. Noch bis Anfang der 2000er Jahre verstand sich zum Beispiel die Münsteraner Polizei-Führungsakademie als Polizeibehörde mit Bildungsauftrag, nicht aber als Bildungseinrichtung mit Polizeihintergrund. Dementsprechend hat sich eine Mentalität von Freiheit der Wissenschaft und Forschung und damit auch gesellschaftlicher Transparenz erst mit der Umwandlung in die Deutsche Hochschule der Polizei Mitte der 2000er Jahre entwickeln können.

Empirisch angelegte Studien, die sich mit aktuellen rechtsextremistischen Einstellungen in Sicherheitsbehörden befassen, sind dementsprechend rar gesät, am ehesten sind einige Polizei-Studien erwähnenswert.33 Sie stießen aber auf vielfältige Widerstände aus Kreisen der Polizei. Die Befürchtungen von dieser Seite waren – und sind auch noch heute – geprägt von Erwartungen, die Polizei lande unberechtigterweise auf der Anklagebank und ihr Ansehen in der Bevölkerung könne Schaden nehmen. Erst im Lauf des Jahres 2020 entwickelt sich die Bereitschaft in einigen Bundesländern, Studien über Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei zu fördern.

Vor diesem Hintergrund entwickeln sich Reformansätze, die auf mehr Transparenz und Offenheit abzielen und auch die Existenz rechtsextremistischer Tendenzen innerhalb der Sicherheitsbehörden in Rechnung stellen. Im Dezember 2019 beschloss die Innenministerkonferenz: „Zur Unterstützung der Bekämpfung des Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst soll eine Zentralstelle zur Erfassung und Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst beim BfV auf- und ausgebaut werden. Soweit notwendig, entwickeln die Länder zusätzlich eigene Maßnahmen und Bekämpfungsansätze, um etwaigen extremistischen Tendenzen zu begegnen und deren Entstehung vorzubeugen.“34 Dieser Vorschlag führte jedoch zu sehr unterschiedlichen, kontroversen Reaktionen in den Bundesländern: Bayern sah, wie der Bundesinnenminister und andere Länder, keinen Bedarf für eine solche Studie, während Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen dafür plädierten.35

Der hessische Innenminister Peter Beuth hat Ende 2019 eine empirische Studie initiiert, in der hessische Polizeibeamte befragt werden nach ihrer Berufszufriedenheit, dem Umgang mit Migranten und auch nach ihren politischen Einstellungen.36 Hintergrund war der hessische Polizeiskandal, bei dem innerpolizeiliche Chat-Gruppen volksverhetzende Bemerkungen kommuniziert hatten. Man wird die ersten Ergebnisse dieser Studie kritisieren können und müssen: Die Gruppe der Bereitschaftspolizei wurde zu wenig berücksichtigt, die Auswahl der Fragen zielt zu wenig auf rassistische Einstellungen ab und, nicht zuletzt: Die Studie wurde nicht von einem unabhängigen Institut außerhalb der Polizei durchgeführt, sondern im hessischen Innenministerium selbst. Obwohl ein unabhängiger wissenschaftlicher Beirat die Studie begleitet hat, bleibt der Zweifel an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit. Trotz dieser Einschränkungen: Hessen ist hier Vorreiter beim selbstkritischen Blick in die eigenen polizeilichen Befindlichkeiten. Das Beispiel könnte Schule machen.

Für mehr Transparenz sorgen auch die nach kontroversen Debatten und Vorbehalten der Innenbehörden und der Polizei-Gewerkschaften eingerichteten Polizei-Beiräte. Einige Bundesländer haben sie bereits eingeführt: Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein verfügen über dieses Beschwerde-Instrument. Im Land Berlin ist für 2021 nicht nur eine solche Stelle vorgesehen, sondern mehr noch: Ein „Extremismus-Beauftragter“ soll im Rahmen eines Elf-Punkte-Plans gegen Extremismus in den Reihen der Polizei als Ansprechpartner und Empfänger von auch anonymen Hinweisen außerhalb der Polizei-Hierarchie fungieren. Inzwischen scheinen auch die Interessenvertretungen der Polizei einzulenken. Der BdK fordert externe Ombudsstellen und eine Whistleblower-Hotline, um rechtsextremen Tendenzen in der Polizei wirkungsvoller entgegenzutreten.37

Auch im Bereich Bundeswehr zeichnet sich mehr Transparenz ab. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hat 2019 erstmals einen Jahresbericht vorgelegt, ähnlich den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder. Darin wird von steigenden Verdachtsfällen berichtet – von 227 (2016) auf 363 (2019). Acht Soldaten wurden als Rechtsextremisten erkannt, bei weiteren 27 besteht der Verdacht auf „fehlende Verfassungstreue“.38

5Fazit und Ausblick

Die Vorkommnisse mit rechtsextremem Hintergrund in den Sicherheitsbehörden häufen sich. Das sind Alarmsignale, die politisch und gesellschaftlich wahrgenommen werden und nach Erklärungen verlangen. Forderungen nach „Rassismus-Studien“ in der Polizei werden laut, ebenso die These, derzufolge es nicht „Einzeltäter“ seien, sondern „Netzwerke“ von Rechtsextremisten, die in den Sicherheitsbehörden ihr Unwesen treiben. Es bleibt zunächst festzuhalten, dass unklare Begrifflichkeiten und damit Theoriedefizite die Diskussion prägen: Was sind Netzwerke, Seilschaften, Zellen, Milieus in diesem Zusammenhang? Ein historischer Ansatz scheint in der Lage, hierauf zumindest einige Antworten geben zu können. Die „Charlottenburger“ im Bundeskriminalamt bildeten in den 1950er Jahren eine karriereorientierte, opportunistische Seilschaft, der es durchaus gelang, Einfluss zu nehmen auf Personalpolitik, Ausbildung und kriminalistische Leitbilder. Der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, die „Organisation Gehlen“ rekrutierte Personal aus der Abteilung Fremde Heere Ost der Wehrmacht, einschließlich linientreuer Anhänger der NSDAP, die auch in der Frühphase des BND wirkmächtig waren. Manches deutet darauf hin, dass auch einzelne Abteilungen, Kommissariate oder Arbeitsgruppen ein Betriebsklima entwickeln können, das offen ist für fremdenfeindliche Orientierungen und Handlungen. So zum Beispiel die Abteilung Spionageabwehr im Bundesamt für Verfassungsschutz Mitte der 1950er Jahre.

Es gibt durchaus einen von Reformen geprägten Wandel der Sicherheitskultur, vor allem nach der Wende 1990 und dem Ende des Kalten Krieges. Verfassungsschutz und BND sind offener, transparenter geworden, sie stehen nicht außerhalb der Gesellschaft. Sie betreiben Öffentlichkeitsarbeit und stellen sich einer kritischen Öffentlichkeit. In den Polizeien haben die Erhöhung des Frauen- und Migranten-Anteils die ehedem männliche Ausrichtung durchbrochen und die Polizei bunter und bürgernäher gemacht. Nicht zuletzt die zweigeteilte Laufbahn hat in vielen Bundesländern für eine bessere Bildung gesorgt. Nicht zuletzt kann darauf hingewiesen werden, dass bei den aktuellen Fällen von Vorkommnissen mit rechtsextremem Hintergrund die politisch Verantwortlichen durchaus erkennen, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt. Vor allem die Verteidigungsministerin hat im Falle des KSK energische Reformschritte in die Wege geleitet. Im Bereich Polizei ist die Förderung von Rassismusstudien in der Polizei und auch des Racial Profiling in der Politik umstritten.

Berücksichtigt man die Skandalanfälligkeit der Sicherheitsbehörden, dann sind defensive politische Antworten nahezu zwangsläufig. Doch sie erschweren eine auf empirischen wissenschaftlichen Untersuchungen aufgebaute Weiterentwicklung von Sicherheitsbehörden, die sich überzeugend von rechtsextremen Orientierungen abgrenzen. Die politisch so dringliche Frage nach rechtsextremen Netzwerken in deutschen Sicherheitsbehörden ist auch eine nachhaltige Herausforderung für die Sozialwissenschaften. Dabei ist die Erhebung von Primärdaten ein zentrales Problem, denn erfahrungsgemäß sind die Sicherheitsbehörden überaus defensiv bei Fragen des Zugangs. Dabei spielen die Behördenleitungen und Innenbehörden selbst und auch andere Akteure die Rolle von gate-keepern: Ohne das wohlwollende Votum von Personalräten und Polizei-Gewerkschaften sind empirische Forschungsvorhaben innerhalb der Polizei nicht möglich. Das gilt insbesondere für sensible Themen, bei denen Ruf und Image der Polizei auf dem Spiel steht wie etwa bei Fragen nach Rassismus in der Polizei, die Praxis des Racial Profiling oder die Belastung von Polizeieinrichtungen durch die nationalsozialistische Vergangenheit.39 Unerfreuliche Ergebnisse können die ohnehin gegebene Skandalanfälligkeit befeuern und allerhand Turbulenzen hervorrufen. Diese Rahmenbedingungen beeinträchtigen und begrenzen die Unabhängigkeit wissenschaftlicher Ansätze in erheblicher Weise. Sie sind ein Grund für den unbefriedigenden empirischen Forschungsstand in Sachen rechtsextreme Netzwerke in Sicherheitsbehörden.

Im September 2020 hat der Bundesinnenminister einen Lagebericht „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ veröffentlicht.40 Im Mittelpunkt steht die Erhebung von bundesweiten Fallzahlen von „Verdachtsfällen“, bei denen es um rechtsextremistisch motivierte Akteure geht. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. März 2020 ist von 381 solchen Fällen die Rede. Bei allem Respekt vor dieser erstmaligen empirischen Erhebung, die fortgeschrieben werden soll: Der eigentliche Kern des Rassismusproblems in den Sicherheitsbehörden liegt in den riskanten Strukturen des polizeilichen Alltags – Umgang mit auffälligen ethnischen Minderheiten, fremdenfeindliche Gruppenbildungsprozesse, ausbleibende oder fehlerhafte Nachbearbeitung schwieriger Einsätze, schwach ausgeprägte Fehlerkultur, zu seltene Rotation, Korpsgeist. Von derartigen internen Konfliktkonstellationen ist im Lagebericht „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ an keiner Stelle die Rede.

Es ist noch immer zu wenig bekannt über interne und informelle Gruppenbildungsprozesse in den Sicherheitsbehörden. Welcher Mitarbeiter und welche Mitarbeiterin schließt sich aus welchen Gründen welcher internen Gruppe an? Lassen sich solche Gruppen klassifizieren nach bestimmten Kriterien wie etwa politisch/unpolitisch, Freizeitbezogen/dienstbezogen und Ähnlichem. Hierbei wäre ein zentrales erkenntnisleitendes Forschungsinteresse, ob es Andockpunkte gibt für rechtsextreme Orientierungsmuster. Ein Beispiel: Seit Anfang der 2000er-Jahre wächst der Anteil von Kommissaranwärtern mit Migrationshintergrund kontinuierlich. Zugleich ergibt sich eine Segregationslinie zwischen Kommissaren/Kommissarinnen mit und ohne Migrationshintergrund, die, wie das Beispiel Berlin gezeigt hat, weniger im engen als im weiteren dienstlichen Umfeld von Bedeutung ist. Eine Umfrage ergab, dass „die Anerkennung, die die Beamten in der eigenen Dienststelle, in der man sie kennt, erfahren, unterscheide sich von ihren Ergebnissen mit fremden Dienststellen und fremden Kollegen. Fast alle Befragten wussten zu berichten, dass sie im Kontakt mit fremden Kollegen als Exoten bestaunt werden, dass ablehnend auf einen fremdländisch aussehenden Beamten reagiert wird“.41 Sind hier Andockpunkte im Entstehen, die aus Segregation neue ethnische Konfliktlinien hervorbringen, die offen sind für rechtspopulistische Ideologien?

Zick schlägt vor, interne Strukturen extremistischer Gruppen zu untersuchen nach den Kriterien Strukturelemente (Größe, Interaktion), Dynamik (Motivation, Konstanz) und Einbettung (soziale und räumliche Nähe, Ideologie).42 Daran anknüpfend könnten Forschungen ansetzen bei erwiesenen rechtsextremen Inhalten und die Strukturen der Gruppenbildung entsprechend diesem Vorschlag rekonstruieren. Auf diese Weise könnten tatsächlich Entstehungshintergründe und Strukturen von Netzwerken sichtbar werden. Als Fallstudien bieten sich zum Beispiel informelle, interne Aufnahmerituale an. Im Sommer 2020 wurden Dokumente und ein Video aus einer Berliner Einsatzhundertschaft bekannt. Rechtsextremistische und sexistische Sprüche gehörten dazu, die Polizeiführung reagierte mit der Einleitung von Disziplinarverfahren.43

Eine zweite Möglichkeit, solchen Gruppierungen näher zu kommen, wäre ein Blick auf die Etappen beruflicher Sozialisation verschiedener Kohorten in den Sicherheitsbehörden. Dabei könnte unterschieden werden zwischen einer Anfangsphase des Berufseintritts und der ersten Dienstjahre, einer mittleren Phase der beruflichen Konsolidierung und einer abschließenden Phase der letzten etwa zehn Dienstjahre. Dieses Drei-Kohorten-Modell ließe sich ausdifferenzieren in ein Vier- oder auch Fünf-Kohorten-Modell. Hier wären die erkenntnisleitenden Fragestellungen: Welchen informellen Gruppen schließen sich die Beschäftigten in den jeweiligen Phasen an, welchen Einfluss haben diese Gruppen auf die berufliche Orientierung sowie dienstliche und außerdienstliche Verhaltensweisen?

Ein wesentlicher Schlüssel bei der Frage von rechtsextremen Netzwerken in der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden ist die Frage nach dem Radikalisierungsprozess von Einzelnen und von Gruppen in riskanten polizeilichen Alltagskonstellationen. Empirisch begründete Antworten auf diese Fragestellung ermöglichen begründete Strategien der Prävention und der Weiterentwicklung der Sicherheitskulturen.

1Vgl. https://www.belltower.news/jahresrueckblick-2019-serie-rechtsextremer-faelle-in-der-polizei-kein-ende-in-sicht-94495. Abgerufen am 20.6.2020. Weitere Fälle in den Sicherheitsbehörden werden diskutiert in: Matthias Meisner/Heike Kleffner: Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Freiburg/Basel/Wien 2019.

2Vgl. Robert Kiesel: Rechtsextreme Prepper in Mecklenburg-Vorpommern. In: Matthias Meisner/Heike Kleffner (Hrsg.): Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Freiburg 2019. S. 39-48.

3Vgl. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/uniter-verfassungsschutz-erklaert-umstrittenen-verein-zum-prueffall-a-4340a636-f0ef-479c-9755-acd93bca88ec. Abgerufen am 22.6.2020.

4Vgl. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-05/ursula-von-leyen-bundeswehr-korpsgeist-probleme-loesungen. Abgerufen am 21.6.2020.

5Zit. nach: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/uniter-verfassungsschutz-erklaert-umstrittenen-verein-zum-prueffall-a-4340a636-f0ef-479c-9755-acd93bca88ec. Abgerufen am 22.6.2020.

6Vgl.