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Seit zwei Jahren sitzt Jaime Bunda, Geheimdienstpraktikant in Luanda, untätig auf seinem dicken Hintern und beneidet seine Kollegen, die Diensthandys und Dienstautos haben und schon gleich nach dem Frühstück Dienstwhisky kippen dürfen. Nach einem Mord an einem jungen Mädchen wird für die Ermittlung ein besonders einfältiger Polizist gesucht, damit man der Polizei nicht Untätigkeit vorwerfen kann. Jaime Bunda stürzt sich mit Feuereifer in seinen ersten Fall und tritt in die Fußstapfen seines Idols James Bond. Doch es geschieht genau das, was man eigentlich verhindern wollte: Jaime Bunda findet nicht nur den Schuldigen, sondern versetzt mit seiner Untersuchung auch die gesamte Elite in Luanda in Aufruhr, einer Stadt, in der man leichter eine Kalaschnikow findet als einen ehrlichen Beamten.
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Seitenzahl: 574
Was ist die Steigerung von James Bond? Jaime Bunda, Angolas effizientester Geheimagent! Er findet nicht nur den Schuldigen für den Mord an einem jungen Mädchen, sondern versetzt mit seiner Untersuchung auch die gesamte Elite in Luanda in Aufruhr, einer Stadt, in der man leichter eine Kalaschnikow findet als einen ehrlichen Beamten.
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Pepetela (*1941) schloss sich 1969 der Guerilla zur Befreiung Angolas an und fing an zu schreiben. Nach der Unabhängigkeit war er einige Jahre Vizeminister für Bildung, seit 1982 ist er Professor für Soziologie an der Universität in Luanda.
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Barbara Mesquita, geboren 1959 in Bremen, arbeitet u. a. als Literaturübersetzerin für Portugiesisch und Spanisch mit Schwerpunkt auf den lusofonen Ländern Afrikas. Sie hat u. a. Patrícia Melo, Luis Fernando Veríssimo, Pepetela und Arménio Vieira übersetzt.
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Pepetela
Jaime Bunda, Geheimagent
Kriminalroman
Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel Jaime Bunda, Agente Secreto bei Publicações Dom Quixote in Lissabon.
Die Übersetzung aus dem Portugiesischen wurde unterstützt durch litprom – Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. in Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung Pro Helvetia.
Originaltitel: Jaime Bunda, Agente Secreto (2001)
© by Pepetela und Publicações Dom Quixote, 2001
© by Unionsverlag, Zürich 2022
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Amos Morgan/Getty
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30625-7
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
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Inhaltsverzeichnis
JAIME BUNDA, GEHEIMAGENT
Prolog — Stimme des AutorsBuch des ersten Erzählers1 — Der staunenswürdige Jaime Bunda2 — Inspektor Kinanga kredenzt Whisky3 — Maniokbrei mit Büffelfleisch, fliegende Untertassen und Verschwörer4 — In dem von einem schwarzen Schweden die Rede ist5 — Von teutonischen Rittern zu einem Literaturstreit6 — Es hätte ein romantisches Abendessen werden können7 — Ein Kälteschauer im Rücken8 — Der finstere Herr T9 — Die vermeintliche Fischgräte10 — Roque Santeiro, wo alles möglich ist11 — In dem Staatsgeheimnisse gelüftet werden12 — Die Enthüllungen gehen weiter13 — Vom Schwimmen und anderen Wonnen14 — Unverhoffte EntlassungBuch des zweiten Erzählers1 — Die Bauchtänzerin2 — Die Scharfrichter3 — Verbotene Vergnügen sind die schönstenBuch des dritten Erzählers1 — Tia Sãozinha wundert sich2 — Endlich verstehen wir, woher dieser Hintern kommt, nicht alles ist Geheimnis3 — Der gejagte Jäger4 — Florinda geht auf die Jagd5 — Minister entkommt den Krokodilen6 — FrontalangriffBuch des vierten Erzählers1 — Eine Blutspur im Flur2 — In dem abermals vom Welskopf die Rede ist3 — Der verdienstvolle Meritório ist nicht immer eine Hilfe4 — Der Chef vom Bunker gibt sich zu erkennen5 — Ein Sicherheits(ver)schlussEpilogMehr über dieses Buch
Über Pepetela
Pepetela : Über Jaime Bunda, Geheimagent und die Schriftstellerei in Angola und Afrika
Über Barbara Mesquita
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Stimme des Autors
[Das Mädchen verabschiedete sich von seiner Freundin und trat auf die Avenida hinaus. Auf seinen Lippen lag noch das Abschiedslächeln, als es abrupt stehen blieb, erschrocken über ein schwarzes Auto. Der Wagen hielt ebenfalls unvermittelt an. Der Fahrer sah das Lächeln von ihren Lippen schwinden. Mit einem Blick maß er die Größe der spitzen Brüste, die das überaus knappe Kleid zu durchbohren suchten. Er wartete höflich ab, dass sie sich von ihrem Schreck erholen und ihren Weg über die Straße fortsetzen würde. Sie zögerte, doch dann dankte sie mit einem vagen Lächeln zu den dunklen Scheiben und ging mit ihrem halb mädchenhaften, halb weiblichen, von dem engen Kleid betonten Körper demonstrativ vor dem Auto vorüber. Eine Gazelle, eine Springantilope mit fächergleichem Hintern, dachte der Fahrer und verspürte heftige Jagdgelüste. Er fuhr los und steuerte den Wagen bis zum Ende der Ilha.
Auf dem Rückweg von der Inselspitze Richtung Stadt sah der Fahrer das Mädchen immer noch an dem Haltepunkt für die Sammeltaxis stehen. Es war Feiertag, und nur wenige Taxis kamen vorbei, von Bussen ganz zu schweigen. Er bremste jäh das Fahrzeug, ließ die rechte, verdunkelte Scheibe herunter und gab ihr ein Zeichen einzusteigen. Sie lächelte, in der Erinnerung an die liebenswürdige Geste von kurz zuvor und willigte ein. Als sie sich setzte, ließ der kurze Rock die blutjungen Schenkel sehen. Der Fahrer gab Gas und warf dabei einen flüchtigen Blick auf den hübschen Körper des Mädchens. Weiter vorne versank die Sonne riesengroß und majestätisch hinter den Kokospalmen von Mussulo. Das Meer war ruhig, es schien bereit, das Gestirn in sich aufzunehmen. War es das, was das Mädchen dachte, als es den Sonnenuntergang betrachtete?]
Der staunenswürdige Jaime Bunda
In dem mit dem Tempo einer Schildkröte oder einer grausamen Rotameise auf Kriegsfeldzug einige Geheimnisse aufgedeckt werden und ein intriganter Ermittler auftritt. In dem darüber hinaus eine finstere Person in Erscheinung tritt.
Jaime Bunda saß in dem weitläufigen Büro, das den Geheimpolizisten vorbehalten war. Es gab darin drei Schreibtische, an denen etliche andere Ermittler gegen die vorsintflutlichen Computer ankämpften. An die Wand gelehnt standen zudem mehrere Stühle. Auf einem davon, dem hintersten, ließ Jaime sein ausladendes, im Verhältnis zum Körper übertrieben groß geratenes Hinterteil nieder, das Erkennungszeichen, das ihm zu seinem Namen verholfen hatte. Sein echter war lang und vereinte die Nachnamen zweier illustrer Familien der Gesellschaft von Luanda. Es war beim Sportunterricht gewesen, genauer gesagt in einer Volleyballstunde, als der Spitzname aufgekommen war. Irgendwann hatte der Lehrer, verärgert über die Unbeholfenheit oder den mangelnden Einsatz des Schülers, gerufen: »Spring, Jaime. Los, krieg deinen Arsch hoch, verdammt noch mal!«
Von da an hieß er in der ganzen Schule Jaime Bunda. Tatsächlich waren seine Hinterbacken übertrieben groß. Er neigte im Übrigen insgesamt zur Rundlichkeit, selbst bei den Augen, die er vor dem Spiegel gerne weit aufriss, um ein erstauntes Gesicht einzustudieren. Seiner Mutter indes gefiel es überhaupt nicht, als sie die Mitschüler ihn so nennen hörte, du Waschlappen, du solltest ihnen nicht erlauben, dich zu beleidigen, aber er zuckte mit den Schultern, mein Hintern ist wirklich groß, was soll ich machen?
Der Spitzname war ihm sogar nützlich, denn der Sportlehrer betrachtete ihn als aussichtslosen Fall für den Sport des Landes und bestand nie wieder darauf, ihn zu Dingen zu zwingen, zu denen er sich nicht im Mindesten berufen fühlte. Meistens saß Jaime im Schatten, während seine Kameraden sich beim hin- und her-Rennen oder vermeintlichen Synchronspringen verausgabten. Er aß derweil gemütlich sein Pausenbrot und lästerte im Stillen über die Missgeschicke der anderen. Und genoss schadenfroh ihre Fehler. Er war ein sehr aufmerksamer Beobachter, nicht eine lächerliche Geste, wie winzig sie auch sein mochte, ließ er sich entgehen.
Deshalb kicherte er in sich hinein, als er seinen Kollegen Isidro die Tastatur des Computers bearbeiten sah, die beiden Zeigefinger kerzengerade, mit ausgestreckter, sich rhythmisch zu dem langsamen Gehämmer bewegender Zungenspitze. Die Goldringe, die der Ermittler Isidro an beiden Zeigefingern trug, funkelten. Meine Landsleute sind wirklich unmöglich, dachte Jaime Bunda, das Geld, das Isidro verdient, gibt er für Gold aus. Ringe, Armbänder, eine dicke Goldkette, wie die Hundertmeterläufer der nordamerikanischen Mannschaft sie tragen … Fehlt nur noch eine goldene Rolex. Er sieht aus wie einer dieser Neureichen, die sich in jüngster Zeit hier breit machen … Genau, das wird es sein, er will als Neureicher durchgehen, dabei ist er arm wie eine Kirchenmaus. Es sei denn … Er wusste von einigen Bezugsquellen Isidros, aber vielleicht gaben sie nicht genügend her zum Reichwerden. Er vertrieb sich gerade mit diesen Überlegungen die Zeit, als der Bürodiener den Raum betrat und auf ihn zuging:
»Sie sollen zum Chef kommen. Im Laufschritt, hat er gesagt.«
Die drei Kollegen lachten blöde. Alle Welt wusste, dass der Praktikant Jaime Bunda nicht rannte, das verstieß gegen seine Prinzipien. Er erhob sich mit allergrößter Würde, strich die Bügelfalten seiner Hose glatt und verließ wortlos den Raum, wobei er seine Verachtung für das niedere Volk der altgedienten Ermittler unterstrich.
»Ich habe einen wichtigen Fall für Sie«, sagte Chef Chiquinho Vieira. »Ich hoffe, Sie geben Ihr Bestes …«
Jaime warf sich in die Brust. Endlich fing man an, seine Verdienste anzuerkennen. Nicht Isidro wurde dieser wichtige Fall übertragen, nein, ihm, dem bisher stets Vergessenen, der beschäftigungslos auf einen der Stühle im Büro der Geheimpolizisten gesetzt worden war, bloß weil er »den Familien« angehörte. Chiquinho Vieira hatte jedenfalls eines Tages zu ihm gesagt, dass er ihn nur in der Dienststelle behalte, weil er Anweisung dazu vom O.D. bekommen hatte, dem Operativen Direktor. Er solle sich aber keinerlei Illusionen machen, er werde nie über das Praktikantenstadium hinausgelangen. Der O.D. entstammte ebenfalls den Familien und hatte ihn dazu ermutigt, den Beruf des Detektivs zu wählen, du bist ein guter Beobachter, dir entgeht nichts, du wirst ein Crack werden. Der O.D. ließ ihn anwerben und umging so die vorschriftsmäßigen Formalitäten. Er würde die Tests und das Training eben nach seiner Einstellung absolvieren, nieder mit der Bürokratie, die eine wirksame Verbrechensbekämpfung verhindert. Chiquinho Vieira und die anderen gaben ihm aus Neid auf seine Verwandtschaft zum O.D. niemals die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, dass er tatsächlich ein Crack war, sie schickten ihn lediglich Zigaretten holen. Höchstens mal einem Kollegen bei einer riskanteren Aufgabe Deckung geben, aber immer in untergeordneter Funktion. Geduldig abwartend saß er im Büro auf immer demselben Stuhl und sah zu, wie die anderen Berichte über die Fälle schrieben, die sie lösten oder auch nicht; sie behaupteten zwar, dass sie sie lösten, doch auf den Straßen wimmelte es nur so von Verbrechern, und die Subversiven konspirierten gegen das Regime, derweil er allmählich mit dem Gewicht seines Hinterns den Stuhl ausbeulte. Während all der Monate, die er dort im Büro verbrachte, über zwanzig, hatte er sämtliche Fliegen zu unterscheiden gelernt, die zum Fenster herein- und wieder hinausflogen.
»Sie können auf mich zählen, Chef. Worum geht es denn?«
»Mord. Vergewaltigung und Mord. Eine Minderjährige, vierzehn Jahre alt. Die Leiche wurde in der Nähe vom Morro dos Veados gefunden.«
»Wie ist sie umgebracht worden?«, fragte Jaime Bunda.
»Erwürgt. Es muss in einem Auto passiert sein, und dann ist die Leiche zwischen den Mangroven versteckt worden.«
»Und wie oft ist sie vergewaltigt worden?«
Chiquinho Vieira schaute den Untergebenen mit düsterem Gesicht an.
»Was weiß ich, wie oft sie vergewaltigt worden ist. Ich war nicht dabei und habe zugesehen. Und das Labor hat mit Sicherheit nicht die Mittel, das herauszufinden. Aber sagen Sie mir, welche Bedeutung hat es, ob es ein-, zwei- oder dreimal war?«
»Große«, sagte Jaime Bunda. »Nur ein Sexbesessener ist zu einer mehrfachen Vergewaltigung im Stande.«
Der Chef schaute ihn eine Weile lang verblüfft an, ohne zu antworten. Dieser Typ ist noch blöder, als ich dachte. Oder er ist überhaupt nicht blöd, kein bisschen, und tut nur so.
»Fragen Sie die vom Innenministerium. Die haben den Fall am Wickel.«
»Und wir?«, fragte Jaime.
»Wie immer, wir bleiben im Schatten. Wir kümmern uns unmittelbar nur um ganz bestimmte Angelegenheiten, nämlich die allerwichtigsten. In diesem Falle ist es die zuständige Direktion des Ministeriums, die ermittelt. Aber wir werden den Fall verfolgen und wenn nötig eingreifen.«
»Oh, ich darf eingreifen …«
»Natürlich. Aber diskret. Der Bunker will keine Aufmerksamkeit. Und auch keine Schwierigkeiten mit dem Innenministerium. Wenn Sie allerdings sehen, dass die Kerle Mist bauen, können Sie Ihnen Ratschläge geben, Ihnen zeigen, wos langgeht, die müssen auf Sie hören.«
»Und werden sie das auch tun?«
»Natürlich. Wir stehen direkt mit dem Bunker in Verbindung, und die wissen das. Es passt ihnen zwar nicht, aber sie hören auf uns.«
Jaime Bunda nickte mit mehrdeutigem Gesicht, das sowohl Ehrerbietung gegenüber seinem Vorgesetzten als auch das Wohlwollen eines Lehrers für seinen Schüler ausdrückte, der eine Frage richtig beantwortet. Chiquinho Vieira erschien ihm nun anders, sympathisch, kollegial.
»Chef, darf ich Sie was fragen?«
»Nur zu.«
»Es ist eine persönliche Frage … Nun, sie hat nichts mit dem Dienst zu tun …«
Chiquinho Vieira sah Jaime Bunda abermals an, als wäre er eine Surucucu-Schlange. Was hat dieser Leisetreter mir in einem Augenblick wie diesem persönliche Fragen zu stellen? Er verstand nicht, weshalb er sich überhaupt darauf einließ, manchmal passierte es ihm, dass er sein allzu großzügiges Bullenherz sprechen ließ, wie seine Mutter es nannte.
»Fragen Sie.«
»Chef, warum tragen Sie in Ihrem einen Schuh einen schwarzen Schnürsenkel und in dem anderen einen braunen?«
Chiquinho Vieira hätte beinahe einen Satz nach hinten getan, als er instinktiv einen Blick auf seine unter dem Schreibtisch verborgenen Füße warf. Er hob erst den einen Schuh und dann den anderen. Unwirsch sagte er:
»Sie haben Recht, das ist mir gar nicht aufgefallen. Wie um Himmels willen kann das bloß passiert sein?«
Jaime Bunda erhob sich von seinem Stuhl vor dem Schreibtisch des Chefs und ging herum, um sich neben ihn zu stellen. Er bückte sich sogar, um besser sehen zu können, und richtete sich alsdann mit triumphierendem Lächeln wieder auf.
»Es ist so, wie ich mir gedacht hatte, Chef. In Wirklichkeit sind beide braun. Nur hat der eine schwarze Farbe abbekommen, wahrscheinlich beim Schuhewichsen. Putzen Sie sie selbst, Chef? Mit diesen Tuben, die vorne einen Schwamm haben?«
»Genau«, antwortete Chiquinho Vieira verblüfft.
»Das ist die Gefahr bei den Dingern. Jetzt müssen Sie auch den anderen Schnürsenkel färben, und schon sind sie gleich.«
Jaime Bunda setzte sich wieder behaglich dem Verantwortungsträger gegenüber, der nicht aufhörte, völlig verdutzt und in seiner Autorität geschmälert, abwechselnd auf seine Schuhe und zu seinem Untergebenen zu schauen.
»Chef, Sie haben gerade gesagt, dass die auf mich hören müssen, weil ich direkt dem Bunker unterstehe. Falls es Schwierigkeiten geben sollte, darf ich die dann noch mal daran erinnern? Sie haben bestimmt eine Mordsangst vor dem Bunker … Sogar ich habe welche.«
»Sie können sie daran erinnern, aber das ist nicht nötig, die wissen das sehr wohl. Wer hat keine Angst vor dem Bunker?«
»Haben Sie welche, Chef?«
»Natürlich …«, in dem Moment sackte Chiquinho Vieira in sich zusammen; wie konnte er sich nur einem Untergebenen gegenüber so vertraulich geben, und dann noch vor diesem Blödmann von Riesenarsch? Wütend über sich selbst stand er auf.
»Angst nicht. Respekt. Den gebotenen Respekt. Nun … Kümmern Sie sich um die Sache. Sie ist fundamental wichtig.«
Jaime Bunda widerstrebte es aufzustehen. Es war das erste Mal, dass er vor dem Schreibtisch von Chef Chiquinho Vieira saß, einer Autorität des Landes und vielleicht des südlichen Afrikas in Sachen Geheimdienst. Sich in derart vertraulicher Atmosphäre mit einer solchen Persönlichkeit zu befinden, war ein Privileg, das er nicht so leicht aufgeben wollte. Er erhob den Zeigefinger der rechten Hand.
»Erlauben Sie, Chef?«
»Reden Sie.«
»Ich werde ein Fahrzeug benötigen.«
»Natürlich. Sprechen Sie mit … Lassen Sie, ich selbst werde Anweisung geben. Sie haben einen Wagen mit Fahrer vierundzwanzig Stunden am Tag zu Ihrer Verfügung.«
»Das ist zu viel des Guten.«
Erst da wurde Chiquinho Vieira sich der Lächerlichkeit seiner Lage bewusst. Er war derjenige, der stand, hinter seinem Schreibtisch, während diese Missgeburt sich auf dem Besucherstuhl räkelte, es fehlte nur, dass er die Füße auf den Schreibtisch gelegt und an einer Zigarre genuckelt hätte. Der zurückgebliebene Cousin vom O.D. brachte ihn entschieden aus dem Konzept. Und dann diese Geschichte mit den Schnürsenkeln … Chiquinho Vieira war doch für seinen Hang zur Eleganz bekannt, er trug nur Anzüge von den besten Pariser Schneidern oder in besonderen Notlagen vom Chiado in Lissabon. Wie hatte es ihm passieren können, mit verschiedenfarbigen Schnürsenkeln herumzulaufen? Und wie hatte die Missgeburt das von ihrem Platz auf der anderen Seite aus entdecken können? Zum zweiten Mal fragte er sich, ist dieser Typ noch blöder, als ich dachte, oder ist er kein bisschen blöd? Bleischwer setzte er sich hin, bestrebt, seine erniedrigende Position des Unterlegenen zu korrigieren. Doch sprach er in sanftem Ton.
»Sie können sich an die Arbeit machen. Gehen Sie zu Inspektor Kinanga vom Innenministerium, damit er Ihnen alle Einzelheiten der Ermittlungen erläutert.«
Weil Jaime Bunda sich nicht rührte und nunmehr mit übertriebenem Interesse und einigem Befremden ein Stillleben an der Wand anstarrte, wiederholte er, noch bevor der Untergebene dem Bild endgültig den Todesstoß versetzte oder irgendetwas an ihm entdeckte, das ihn aus der Fassung brachte:
»Sie können gehen, Sie können gehen.«
Wie konnte ein so junger Kerl bloß so viel Anstrengung und Qual an den Tag legen, um sich von einem Stuhl zu erheben? Jaime Bundas Seufzer hätten jedem anderen Menschen das Herz gebrochen, nicht jedoch Chef Chiquinho, der ihn sich nur aus seinem Büro, seiner Behörde, seiner Stadt, seiner Welt fortwünschte. Zu guter Letzt stand Jaime aufrecht da, verneigte sich und sagte in aller Unschuld:
»Es war nett bei Ihnen, Chef.«
Im Zeitlupentempo wandte er sich zum Gehen, und niemals, wirklich niemals hatte Chef Chiquinho jemanden so lange brauchen sehen, um zur Tür zu gelangen, sie zu öffnen und hinauszugehen. Er kratzte sich am Kopf, trotz der Gefahr, sein akkurat gekämmtes Kraushaar in Unordnung zu bringen, schaute erneut auf seine Schuhe, nunmehr Objekte der Peinlichkeit. Es kamen ihm bereits Zweifel, ob er dem Bunker den geeigneten Mann für die Arbeit empfohlen hatte. Dem, von dem die Anweisung erteilt worden war, hatte er versichert: »Ich habe den Richtigen.« Ob das wirklich stimmte?
[Soll ich, der Autor, den womöglich unbesonnenen Erzähler wirklich hier diesen Satz von Chef Chiquinho Vieira hinschreiben lassen? Sollte er nicht bis zum Schluss verheimlicht werden? Zweifel über Zweifel, das Leben wird von ihnen regiert.]
Inspektor Kinanga kredenzt Whisky
Jaime Bunda war kaum die Treppe hinuntergegangen, als er auch schon den ihm zugeteilten Wagen mit dem darin sitzenden Chauffeur erblickte. Das Fahrzeug sah alt und mitgenommen aus. Bestimmt hatte es einen tadellos funktionierenden Motor, das Äußere diente nur zur Tarnung, dachte der Agent. Niemand schenkt ihm Beachtung, man hält es für ein vergammeltes Schrottauto, das unauffällig in jeden Musseque, jedes Elendsviertel, hineinfährt, aber wenn es dann jemanden zu verfolgen gilt, verwandelt es sich in einen Flitzer wie bei den Rennen von Indianapolis. Er ging um den Wagen herum und inspizierte ihn aufmerksam und mit zufriedenem Gesicht. Erst da wurde der Fahrer auf ihn aufmerksam und bedeutete ihm einzusteigen. Jaime Bunda zögerte. Sollte er sich neben den Chauffeur setzen oder besser nach hinten? Lieber vorne, hinten gebe ich gleich zu erkennen, dass hier jemand Wichtiges fährt, der so tut, als wäre er ein armer Schlucker in einer alten Kiste. Langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte er sich neben Bernardo.
»Zur Kriminaldirektion. Und zwar schnell!«
Bernardo grinste doppeldeutig. Da geben sie einem ewigen Praktikanten für ein paar Stunden ein Auto, und schon hält er sich für ein hohes Tier. Doch was Bernardo sagte, war etwas anderes:
»Mit Sirene, Chef?«
»Nein, nicht nötig.«
»Ich habe auch keine Sirene, nur die neuen Wagen haben eine. Und ohne Sirene kommen wir bei diesem Verkehr nicht so schnell voran, wie Sie möchten.«
»Fahren Sie, wie Sie können.«
»Genau, Chef, das haben Sie schön gesagt. Wie ich kann … Ich glaube, einer der Bindfäden, mit denen der Vergaser befestigt ist, wird jeden Augenblick reißen. Schauen Sie bitte mal nach, ob da noch ein Reservebindfaden ist.«
Der Motor sprang auf Anhieb an, doch die schwarze Rauchwolke, die dem Auspuff entwich, täuschte niemanden darüber hinweg, dass es wirklich ein gewöhnlicher Wagen war, bestens geeignet, in Luanda keinen Verdacht zu erregen. Jaime durchwühlte das Handschuhfach, in dem er eine gebrauchte Zahnbürste fand, Präservative, Papiere, aus dem Verkehr gezogene 500.000-Kwanza-Scheine, einen Rest Seife, eine löchrige Socke, zwei 7,65er-Kugeln, einen betagten Einkaufsausweis für die Schlachterei aus der Zeit der sozialistischen Planwirtschaft, ein paar alte, völlig zerknitterte Quittungen, zwei Bonbons, einen Notizblock, einen kaputten Kugelschreiber und endlich einen Rest Bindfaden, den er triumphierend hochhielt:
»Der hier?«
»Positiv, Chef. Entschuldigen Sie die Unordnung, aber so findet man die Sachen. Jetzt können wir losfahren. Es ist doch Mist, mitten im Verkehr liegen zu bleiben, bloß weil einem ein Stück Bindfaden fehlt, um den Vergaser festzubinden, finden Sie nicht, Chef?«
»Natürlich, sicher«, pflichtete er ihm bereitwillig bei.
Zufrieden damit, wie Bernardo ihn behandelte, machte Jaime Bunda es sich in dem abfahrenden Auto bequem. Bisher hatte immer er die anderen als Chef angeredet, aber noch nie hatte jemand ihn so genannt. Es hatte etwas Tröstliches. Ein guter Junge, dieser Bernardo, wenn er so weitermacht, werde ich ihn zur Beförderung vorschlagen, sobald ich diesen wichtigen Fall aufgeklärt habe. Und binnen kurzem schon werde ich die ganz wichtigen Fälle lösen. Wer weiß, eines Tages würde er zu den lebenswichtigen vordringen. So lautete die Rangfolge innerhalb der Dienststelle. Normale oder alltägliche Fälle gab es nicht, die wurden von der gewöhnlichen Polizei bearbeitet, vom Innenministerium oder von den Geheimdiensten der Regierung, die häufig ihre Namen änderten und von denen es mehrere gab. Er hatte vor längerer Zeit seinen Cousin, den O.D., sagen hören, das Geheimnis bestehe darin, immer mehrere Dienste für dieselbe Art von Arbeit zu haben, so überwachten sie sich gegenseitig. Und die SIG, die Serviços de Investigação Geral, denen anzugehören er stolz war, wachten über allen anderen.
Der »Junge«, Bernardo, ein Mensch von um die vierzig Jahren, der fast Jaimes Vater hätte sein können und der vor langer Zeit die Hoffnung auf eine Beförderung aufgegeben hatte, lenkte den Wagen durch die verstopften Straßen der Stadt. Unterwegs erfuhr der Agentenpraktikant, dass Bernardo von zwei Frauen acht Kinder hatte, die lebten, und dass drei bereits in zartem Alter gestorben waren. Er besaß ein Haus in Cazenga, wo er mit seiner ersten Frau lebte, und eine Hütte in Golfe, wo die zweite wohnte, die jünger war, aber bereits drei Kinder hatte. Und Sie, Chef? Jaime musste gestehen, dass er noch unverheiratet war und keine Kinder hatte, soweit er wusste, selbstverständlich. Denn wie sollte man schon von denen wissen, die man unbeabsichtigt aussäte? Bernardo erzählte ihm auch, dass er nicht immer Fahrer, sondern früher Polizist beim Innenministerium gewesen war, doch hatte er diese ihm von einem Cousin besorgte Arbeit als Chauffeur bei den SIG angenommen, weil er als Fahrer fünfmal so viel verdiente wie beim Ministerium. Fünfmal so viel, bezweifelte Jaime Bunda. Wirklich, Chef, fünfmal. Und ich muss nicht zehn Stunden auf den Beinen sein und in der Sonne durch die Straßen laufen und mich von jedem x-beliebigen Kerl beschimpfen lassen, der im Auto vorbeikommt und Gas gibt, wie soll ich den wohl verfolgen? Fünfmal so viel, Bernardo? Wirklich, Chef, selbst Sie als Praktikant verdienen hier bestimmt fünfmal mehr als ein Inspektor beim Ministerium. Wen werden Sie dort treffen? Inspektor Kinanga? Dann fragen Sie ihn, was er verdient, Sie werden sehen. Wir sind privilegiert, wir werden nicht aus der Staatskasse bezahlt, wir bekommen unser Geld in blauen Tüten, aus dem Schattenkreislauf. Die Schattenwirtschaft lohnt sich, egal ob auf dem Markt, bei der Polizei, bei der Kirche. Weisheit von Bernardo. Deshalb müssen die Polypen die Leute ausnehmen, und zwar sowohl die, die zu Fuß herumlaufen und Sachen verkaufen, als auch die mit ordnungsgemäßen Papieren und einwandfreiem Auto, die trotz allem ein Schmiergeld an die Polizisten zahlen müssen, sonst verlieren sie den Führerschein. Aber was sollen sie auch machen, müssen die Polypen nicht ebenfalls Frau und Kinder durchbringen? Lieber betteln als stehlen, und lieber stehlen als bestohlen werden, finden Sie nicht, Chef? Tatsächlich, dachte Jaime Bunda, hatte er keine Probleme mit seinem Gehalt, es reichte zum Leben. Und seine Kollegen klagten ebenfalls nicht darüber, anders als alle Beamten, die er kannte und die den lieben langen Tag mit Jammern verbrachten, weil das Geld nicht mal für die Dosis reicht, um mich zu vergiften, wie es in dem Lied von Paulinho hieß.
Bernardos aufschlussreiche Rede wurde garniert mit einigen hastigen, von etlichen Beleidigungen gespickten Wortwechseln mit anderen Fahrern, denn im Straßenverkehr lautet die wichtigste Devise vorwärtskommen, nach vorn preschen, hupen, schreien und drohend gestikulieren. In solchen Augenblicken bereue ich es, dem Militär den Rücken gekehrt und bei der Polizei angefangen zu haben, damals, gestand Bernardo schließlich. Ich hätte dort bleiben sollen, bis ich einen Panzer aufgetrieben hätte. Dann würde ich jetzt mit dem durch die Straßen rollen, und mal sehen, ob ich dann nicht immer Vorfahrt hätte. Bis 1991 konnte man sogar Panzer kaufen, ich hatte zu der Zeit nur kein Geld. Man müsste die Typen bloß gegen die Häuser quetschen und ihnen die Knochen zermalmen, den Schweinehunden. Jeder hat seine Träume, sagte Jaime Bunda philosophisch. Ich zum Beispiel fände es schön, wenn dieser Wagen Funk hätte, um mit den anderen Wagen und mit der Zentrale sprechen zu können. Stimmt, gebrauchen könnte man das schon, gab Bernardo zu. Aber es ist noch nicht mal ein Radio zum Musikhören da, so was Erbärmliches, Chef.
Sie waren am Ziel, und Jaime Bunda zeigte seinen magischen Ausweis vor, um unverzüglich von Inspektor Kinanga empfangen zu werden. Er tat so, als hörte er den Wachmann an der Tür nicht nach oben telefonieren, hier ist »irgend so ein« Bulle vom Bunker und will mit Inspektor Kinanga sprechen. Er wurde sogleich in den zweiten Stock hochbestellt. Weil der Wachmann ihm die Treppe wies, fragte Jaime mit dem arrogantesten Gesicht, dessen er fähig war, nur um sich dafür zu rächen, als irgend so ein Bulle bezeichnet worden zu sein – das »irgend so ein« ärgerte ihn –, habt ihr hier keinen Fahrstuhl? Was gab der Wachmann bloß für eine Antwort? Der Fahrstuhl ist nur für hohe Tiere! Dann zeig mir auf der Stelle, wo der Fahrstuhl ist, willst du mich auf den Arm nehmen, oder was? Der Wachmann erzitterte in seiner Bedeutungslosigkeit, er ist dort drüben, und wies auf die Tür, die sich zur majestätischen Auffahrt des Jaime Bunda, Geheimagent, öffnete.
Inspektor Kinanga war ein junger, dürrer Kerl mit einem scheuen Kinnbärtchen. Er empfing Jaime mit höchstem Respekt und einiger Ehrfurcht, das war zu merken. Er ließ Kaffee kommen, und wenn Sie ein Tröpfchen dazu möchten, dann lässt sich auch das einrichten, worauf Bunda antwortete, ein Tröpfchen nicht, ich will einen ganzen Tropfen, und zwar einen reell eingeschenkten Whisky mit Eis, er musste seinen zu guter Letzt gewürdigten Stand als Bulle vom Bunker auskosten. Sie ließen sich in zwei Sesseln nieder, nicht am Schreibtisch, wie man es üblicherweise bei den SIG und in den schäbigen Amtsstuben tat. Er würde Chef Chiquinho darauf ansprechen, wie konnte es angehen, dass es in seinem Büro keine Sessel gab, wo doch die SIG wichtiger waren als das ganze Innenministerium zusammen?
»Was es zu dem Fall gibt, ist dürftig. Catarina Kiela Florêncio, Alter vierzehn Jahre, wurde erdrosselt und mit offenkundigen Anzeichen einer Vergewaltigung in den Mangroven aufgefunden. Sie wohnte bei ihren Eltern auf der Ilha und hat, wie wir herausgefunden haben, am späten Nachmittag des elften, eines Feiertags, das Haus verlassen, um Freunde bei der ehemaligen Seifenfabrik an der Marginal, der Uferstraße, zu besuchen. Sie wollte mit einem Sammeltaxi fahren, aber eine neue, glänzend schwarze Limousine hat ihr eine Mitfahrgelegenheit geboten. Das hat ein Nachbar beobachtet, der Dorfälteste Salukombo, ein betagter Kriegsflüchtling, der sich vor zehn Jahren auf der Ilha niedergelassen hat und der mit seiner Tochter zusammenlebt, die mit einem Offizier der Kriegsmarine verheiratet ist. Die Leiche wurde am dreizehnten bereits im Zustand der Verwesung aufgefunden. Vielleicht können Sie sie noch in Augenschein nehmen …«
Jaime Bunda konnte den instinktiven Ausdruck des Ekels in seinem Gesicht gerade noch zügeln.
»Ich bin sicher, dass Sie die Autopsie ordentlich durchgeführt haben«, erklärte er ausweichend. »Verdächtige?«
»Selbstverständlich …«, der Inspektor machte eine hastige Geste, um das Wort wegzuwischen, das womöglich wie ein Ausdruck von Geringschätzung wirkte. »Der Fahrer des schwarzen Wagens, meinen Sie nicht? …«
»Das liegt auf der Hand«, sagte Bunda. »Aber wie war es wirklich? Was für Feinde hatte das Mädchen?«
»Feinde? Mit vierzehn Jahren?« Abermals beschrieb Inspektor Kinanga eine Geste, um seine Worte ungesagt zu machen, doch es war schon zu spät. Es gelang ihm nicht, vor Jaime Bundas weit aufgerissenen Augen, die ihn fixierten wie ein Gecko eine Mücke, ein leichtes Zittern zu überspielen.
»Ich habe mal ein zwei Tage altes Baby kennen gelernt, das einen Todfeind hatte. Seine Mutter. Sie hat es in einen Müllcontainer geworfen.«
»Nun, wenn man es von diesem Standpunkt aus betrachtet …«, sagte Kinanga immer verschüchterter.
»Ich denke, es ist der richtige Standpunkt. Sind die Eltern vernommen worden?«
»Ja, natürlich, wir haben die üblichen Fragen gestellt …«
»Und die anderen?« Angesichts des verdatterten Ausdrucks seines Gegenübers wiederholte er: »Haben Sie nicht die anderen Fragen gestellt?«
»Hm, wir haben höchstwahrscheinlich nicht daran gedacht … Wenn Sie uns behilflich sein könnten, nun … uns sagen könnten, welche Fragen wir hätten stellen sollen …«
»Kann der Gerichtsmediziner, der die Autopsie vorgenommen hat, sagen, wie oft die Kleine vergewaltigt worden ist? Bedenken Sie, das ist sehr wichtig.«
»Ich weiß nicht, wir werden nachfragen. Wir wissen immerhin, dass sie Jungfrau war.«
Inspektor Kinanga stand auf und ging zum Schreibtisch, auf dem das Telefon stand. Kurz vor einem Schweißausbruch und mit einem Jucken zwischen den Zehen, einem Zeichen von Nervosität, verlangte er eine Verbindung mit dem Gerichtsmediziner, wir werden gleich die Antwort haben. Jaime Bunda genoss den Whisky und räkelte sich zufrieden im Sessel. Das, ja das ist Lebensqualität. Mag sein, dass die Gehälter von diesen Typen niedrig sind, aber der Whisky ist ausgezeichnet. Und die Sessel sind bequem, modern. Dennoch ließ er nicht von seinem Opfer ab, wie ein Kabiri-Hund, wenn er einen Knochen findet.
»Ich begreife nicht, dass Sie nicht daran gedacht haben … Wird diesem Fall auch die Wichtigkeit beigemessen, die er verdient? Geben Sies zu, Inspektor.«
»Verstehen Sie, wir haben zu viel Arbeit und zu wenig Leute … Wissen Sie, wie viele Verbrechen tagtäglich in dieser Stadt passieren? Natürlich wissen Sie es, Sie müssen es wissen.«
»Hm, ich habe eine Vorstellung …«
Er verstummte, weil der andere inzwischen seine Verbindung hatte und mit dem Rechtsmediziner sprach. Er legte den Telefonhörer auf und gab Bunda zur Antwort:
»Er behauptet, man könne das unmöglich herausfinden. Mit anderen Mitteln, einigermaßen hoch spezialisierten Labors vielleicht, nun … Und die Leiche ist bereits der Familie zur Bestattung übergeben worden.«
»Fahrlässig, sehr fahrlässig! Wie konnten Sie bei noch laufendem Ermittlungsverfahren das Corpus Delicti aus der Hand geben?«
»Wir können es wieder zurückholen. Aber das wird Scherereien mit der Familie geben.«
»Und wenn schon. Oder sind Ihnen Scherereien mit dem Bunker lieber?«
Der Inspektor zitterte jetzt wirklich. Selbst das Bärtchen eines scheuen Ziegenbocks wurde zum Rhythmus der sich bewegenden Lippen Schwindel erregend durchgeschüttelt.
»Ich werde die Tote wieder in die Kühlkammer vom Leichenschauhaus zurückbestellen. Es war keine Fahrlässigkeit, Senhor … Senhor …«
»Nennen Sie mich Jaime Bunda.«
Kinanga war zu nervös, um sich über das Fehlen eines Titels oder die Bedeutung des Familiennamens zu wundern. Er wollte sich bloß rechtfertigen.
»Sie müssen verstehen, Senhor Bunda … Das Leichenschauhaus ist ständig überfüllt, manchmal bleiben die Toten davor liegen und verwesen. In der Zeitung hat gestanden …«
»Ja, ich erinnere mich …«
»Mitunter müssen wir die Dinge beschleunigen, damit das Leichenschauhaus nicht noch zusätzlich überlastet wird. Und die Familie ist bettelarm, sie haben das Essen für die Totenfeier gekauft, wahrscheinlich sind sie schon dabei, es zu verzehren. Wir werden ihnen doppelte Kosten aufnötigen, als ob sie zwei Beerdigungen hätten …«
»Ich habe für all das Verständnis. Aber haben Sie noch nie gehört: Dura lex sede lex, was so viel heißt wie: Das Gesetz ist unvergänglich und dürstet nach Gesetz? Ein Ausspruch von Aristoteles. Also! Lassen Sie die Leiche so lange aufbahren, bis sie verrät, wer ihr Mörder war.«
Der Inspektor begab sich wieder ans Telefon und erteilte Anweisungen. Am anderen Ende schien es Widerstand zu geben, denn er musste die Stimme heben, führen Sie meine Befehle aus und denken Sie nicht, wer bezahlt Sie fürs Denken? Jaime Bunda schloss Kinanga immer mehr ins Herz, er war ein sehr begabter Kerl. Und hatte darüber hinaus Angst vor ihm … Es ist mir noch nie passiert, dass jemand Angst vor mir gehabt hätte. Es war ein eigenartiges Gefühl, fast so schön wie der erste Orgasmus. Ja, es hatte Ähnlichkeit mit dem ersten Orgasmus, und das Problem war, dass sie nicht wussten, ob der Vergewaltiger nur einen Orgasmus gehabt hatte … Eine entscheidende Frage für das psychologische Profil des Täters, überlegte er, aber sehe etwa nur ich, was so deutlich auf der Hand liegt, dass es geradezu blendet? Der Inspektor setzte sich, sichtlich entmutigt, wieder zu seinem Besuch.
»Haben Sie an dem Ort, wo die Leiche lag, nichts entdeckt?«
»Nein, nichts«, sagte Kinanga. »Wenn etwas da war, dann hat das Wasser es fortgetragen. Selbst wenn der Wagen von der Straße abgefahren sein sollte, was ziemlich wahrscheinlich ist, denn es begeht ja kein Mensch mehr eine Vergewaltigung auf der Straße zur Kuanza-Mündung, nicht mal in der Dämmerung …. Diese Gebiete werden zweimal am Tag überschwemmt, wegen der Gezeiten. Weder Reifenspuren noch Fußabdrücke, nichts, nur die Leiche …«
»Und wer hat sie gefunden?«
»Sonntagsangler, die zufällig vorbeikamen und das Mädchen in einer merkwürdigen Stellung daliegen sahen. Weil der Wasserstand es erlaubte, fuhren sie näher heran und sahen, dass das Opfer tot war. Aber sie sind nicht mal aus dem Boot ausgestiegen, nur vorbeigefahren. Als sie mit dem Angeln fertig waren, haben sie angerufen und Bescheid gesagt. Und haben, wie üblich, nicht mal ihren Namen genannt …«
»Das heißt, Sie wissen nicht, wer die Leiche gefunden hat?«
»Genau. Sie haben bei der Zentrale in Samba angerufen und es gemeldet. Alle Einzelheiten haben sie durchgegeben, wie sie die Leiche bemerkt, wie sie sich ihr genähert haben usw. Aber niemand hat sie nach ihrem Namen gefragt, und ich weiß auch nicht, ob sie ihn genannt hätten, falls man sie gefragt hätte. Samba hat dann einen Streifenwagen hingeschickt, um nachzuschauen, ob es stimmte. Und die Polizisten haben die Leiche gefunden.«
»Das heißt, noch eine verlorene Spur …«
»Was meinen Sie damit, Senhor Bunda?«
»Ist Ihnen noch nicht in den Sinn gekommen, die Tote könnte von einem Boot aus dort abgelegt worden sein? Und zwar genau von denen, die angerufen haben? Warum soll das Verbrechen in einem Auto und nicht auf einem Boot passiert sein?«
Der Inspektor atmete tief durch, um Mut zu fassen. Und bemühte sich bei seiner Antwort um einen möglichst bescheidenen Ton:
»Daran habe ich gedacht …. Doch wenn es in einem Boot geschehen wäre, warum sich dann die Arbeit machen, die Leiche an einem Ort zu deponieren, an dem sie leicht gefunden werden kann? Wäre es nicht besser gewesen, sie einfach ins Meer zu werfen? Nicht in der Gegend zwischen Mussulo und dem Festland, sondern weiter draußen, auf hoher See? Nicht mal ein Corpus Delicti würde es geben, es wäre lediglich ein Kind mehr, das verschwunden ist.«
»Richtig, richtig«, sagte Bunda. »Mit der Wahrheit führst du mich hinters Licht, wie der spanische Dichter Kierkegaard sagte, haben Sie mal von dem gehört? Mag sein, dass der Mörder so gedacht hat. Er möchte vielleicht sogar, dass wir das denken, deshalb hat er es möglichst kompliziert angestellt. Und wir suchen jetzt nach einem Wagen, und stattdessen sollten wir nach einem Boot Ausschau halten. Verstehen Sie den Unterschied?«
»Ich kann Ihnen folgen …«, sagte der Inspektor nicht sehr überzeugt.
»Sie klammern sich nur an die Theorie von dem Wagen. Weil das Mädchen zuletzt gesehen wurde, als es ein Auto gestoppt hat, ist alles in einem Auto passiert und Schluss. Es kann aber auch anders gewesen sein.«
»Sie ist nicht in der ehemaligen Seifenfabrik angekommen. Zumindest ist sie nicht zu den Freunden gegangen, mit denen sie sich treffen wollte, wie sie zu Hause gesagt hatte … Daher haben wir angenommen …«
»Sagen Sie mir eins, Inspektor. Was hatten Sie mit diesem Ermittlungsverfahren vor? Sie haben die Leiche an die Familie herausgegeben, die Kleine sollte heute noch beerdigt werden, weil sie schon riecht, und dann?«
Kinanga rutschte auf seinem Stuhl hin und her, denn er hatte die versteckte Anspielung natürlich verstanden. Er hob abwehrend die Hände.
»Es gibt kein Autokennzeichen und noch nicht einmal Gewissheit über die Marke …. Nur, dass es eine große, schwarz glänzende Limousine war. Es kann ein Mercedes gewesen sein, ein Volvo, ein Studebaker …«
»Werden die überhaupt noch gebaut?«
Jaime Bunda riss verträumt die Augen auf. Studebaker und Cadillacs waren die Autos seiner Kindheit, in der er zahllose Yankee-Krimis gelesen hatte. So viel ich weiß, sagte er, ist Perry Mason nie Mercedes gefahren. Seine kindliche Vorstellung war von Buchreihen inspiriert worden, die es heute nicht mehr gab, mit verlockenden Deckeln und Titeln (Der Mörder kommt nur nachts, Tod in East Side, Die drei fatalen Schüsse, Verbrechen im Nachthemd usw.), die sein Onkel, Tio Esperteza do Povo, ein ehemaliger, später zur Polizei konvertierter Guerillakämpfer gegen den Kolonialismus, in der Hoffnung las und wiederlas, das neue Handwerk zu erlernen, für das ihm das Verständnis abging. Zweifellos waren es diese Bücher, die ihn das Angebot seines Cousins, der O.D. war und der ihn zu den SIG holte, annehmen ließen. Und jetzt hatte er endlich einen kniffligen Fall in den Fingern. Ein Verbrechen ohne Indizien. Ein perfektes Verbrechen? Es gibt nie ein perfektes Verbrechen, die Gerechtigkeit siegt immer, das Böse wird bezwungen, er hatte diese absoluten Wahrheiten aus den Büchern gelernt. Also gut, er würde unter Beweis stellen, dass seine Idole Spillane, Chandler und Stanley Gardner völlig Recht hatten und dass es keine vollkommenen Verbrechen gibt, höchstens unvollkommene Ermittler.
»Der Name ist mir so rausgerutscht, weil es ein großes Auto ist«, sagte Kinanga, der nicht mehr wusste, wie er auf seinem Stuhl sitzen sollte, um den bohrenden Blicken des anderen zu trotzen.
Er wollte lieber nicht zu erkennen geben, dass der Name ihm ganz automatisch entschlüpft war, weil er viele davon in Kuba gesehen hatte, Überbleibsel aus der Zeit des Diktators Fulgencio Batista, die wie durch ein Wunder mit improvisierten Teilen, geflickt und abermals geflickt, herumfuhren, fehlten doch wegen des infamen Yankee-Embargos gegen Fidels Insel die Ersatzteile. Kinanga hatte Fahndungstechnik in Pinar del Rio, Kuba, Freies Territorium von Amerika, studiert, wie er mit Stolz zu verkünden pflegte. Dem Besucher würde er es nicht auf die Nase binden, schließlich war der von den SIG, erklärten Bewunderern der Vereinigten Staaten.
»Wie Cadillac oder Pontiac«, sagte Jaime. »Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass diese Wunderwerke nicht mehr gebaut werden? Die Autos der wahren Detektive …«
»Verzeihung, aber ich habe vor einiger Zeit einen Pontiac gesehen«, behauptete Kinanga.
»In Luanda?«
»Hier an Ort und Stelle. Steinalt, der braune Lack war ganz abgeblättert, er sah aus wie eine Schildkröte.«
Jaime Bunda seufzte sehnsüchtig. Kinanga war entschieden ein ausgezeichneter Kerl, sie würden sich prächtig verstehen und gemeinsam dieses Geheimnis lüften. Doch jetzt war nicht die Zeit für Zerstreuungen, sondern zum Arbeiten. Deshalb setzte er einen harten Blick auf, wie er es vor dem Spiegel einstudiert hatte. Unvermittelt platzte er heraus:
»Wir haben bereits einen Wagen und ein Boot. Fehlen uns noch Flugzeug und Eisenbahn. Ach ja, und natürlich Fahrrad und Motorroller.«
Kinanga schaute ihn mit leicht geöffnetem Mund an, restlos verblüfft über Bundas Schlussfolgerungen, die unergründlicher waren als die Tiefen, in die das U-Boot des Kapitäns Nemo vorgedrungen war. Deshalb lächelte Jaime nachgiebig und fragte freundlich:
»Meinen Sie nicht?«
»Ja, sicher, natürlich …«
»Um genau zu sein, haben wir den Wagen noch nicht. Und noch viel weniger das Boot. Aber wir befinden uns auf dem richtigen Weg.«
Kinanga deutete auf Jaimes fast leeres Glas und gab zu verstehen, er werde ihm erneut einschenken, worauf er ebenfalls eine Geste zur Antwort erhielt, zwei waagerecht zusammengehaltene Finger. Er goss das Glas voll und schüttete auch sich selbst ein, was er beim ersten Mal nicht getan hatte, er trank nie bei Tag, nur am Abend. Doch heute machte er, niedergeschmettert von der Logik seines Gesprächspartners, eine Ausnahme. Jaime Bunda bediente sich selbst mit Eis, trank einen Schluck.
»Aber ich habe noch nicht vergessen, dass Sie den Fall zu den Akten legen wollten …«
»Nein, zu den Akten legen wollten wir ihn nicht …«
»Ihn vergessen …«
»Mehr oder weniger … Es gibt so viel zu tun … und dieser Fall so ganz ohne Anhaltspunkte …«
»Wenn ich nicht wäre, würde die Sache schon hier in die Grube fahren, stimmts?«
»Mehr oder weniger … endgültig begraben wäre sie nicht.«
»Aber sie würde vor sich hin sterben …«
»In der Tat …« Kinanga dachte, dass er sich lieber keinen Whisky hätte einschenken sollen, er begann schon zu schwitzen, trotz der eingeschalteten Klimaanlage. »Eins müssen Sie verstehen, Senhor Bunda. Wir haben nicht die operativen Kapazitäten, um alle diese Fälle aufzuklären.«
»Aber diesen werden Sie aufklären.«
»Gewiss. Ich werde ihm höchste Priorität einräumen. Ich werde sofort ermitteln, wie viele große, schwarz glänzende Limousinen am Spätnachmittag des elften auf die Ilha gefahren sind …«
»Und wie viele Boote an diesem und an den darauf folgenden Tagen zum Angeln hinausgefahren sind. Alle Boote liegen in den Clubs, und es gibt nur drei davon. Das kann nicht schwierig sein.«
Nun fing der Kerl schon wieder mit seinem Boot an, dachte Kinanga. Aber besser, er sagte Ja und Amen, man weiß ja nie, der Typ hatte eine sehr eigenwillige Ermittlungstechnik, im Bunker müssen sie über die allermodernsten Methoden auf dem Laufenden sein. Alle vom Fach wussten, dass der Bunker kein festes Budget hatte, das hieß, er gab nach Gutdünken so viel Geld aus, wie nötig war. Und die Jungs dort machten pausenlos Weiterbildungskurse in den Vereinigten Staaten und in Brasilien. Nicht so wie er, Kinanga, der eine mittlere Ausbildung zu Zeiten der sozialistischen Planwirtschaft gemacht und in Pinar del Rio mit zwanzig anderen Kerlen in einem Saal geschlafen und zu allen Mahlzeiten Bohnen und Reis gegessen hatte. Daraus war er als Kriminalfahnder im mittleren Dienst hervorgegangen. Jahre später, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer, hatte man ihn zu einem Praktikum nach Bulgarien geschickt, wo er nichts lernte. Das Hochschulstudium hatte er beim Ministerium absolviert, wo er Betrunkene verhörte und Prostituierte bedrohte. Verdammt, wie nur sollte er einen Irren finden, der ein vierzehnjähriges Mädchen vergewaltigt und tötet? Einen Irren? Vermutlich jemand, der sehr gut situiert und gesellschaftlich höchst anerkannt war. Es wäre nicht das erste Mal … Aber wozu in aller Welt musste der Bunker sich für diesen so banalen Fall interessieren? Er hatte immer gehört, dass die sich nur mit Fällen befassten, bei denen es um Staatsschutz, Spionage, politische Angelegenheiten ging, um Wichtiges eben. Aber der Tod eines jungen Mädchens, das noch nicht mal die Tochter von jemand Bekanntem war …
»Entschuldigen Sie meine Neugier, Senhor Bunda … Wenn Sie gestatten ….«
Das Lächeln oder die einem Lächeln ähnelnde Grimasse von Jaime ermutigte ihn, fortzufahren. Fragen ist ja schließlich keine Beleidigung, wie die Bulgaren sagten, nun frag schon, Kinanga, sagte er zu sich selbst.
»Warum interessiert sich der Bunker für diesen Fall? Er scheint so alltäglich.«
Eines hatte Jaime Bunda gelernt in den Monaten, was heißt hier Monaten, in den beinahe zwei Jahren, in denen er ein und denselben Stuhl bei den SIG gewärmt und seinen Kollegen bei der Arbeit zugehört und zugesehen hatte. Niemals ein Geheimnis lüften, so lautete die Regel. Je verschwörerischer man wirkte, je mysteriöser man sich gab, umso mehr Macht besaß man oder schien man zu besitzen. Tu geheimnisvoll, und du wirst gefürchtet. Deshalb setzte er ein zugeknöpftes Gesicht auf, das ermutigende Lächeln erlosch, die Stimme wurde hart.
»Der Bunker interessiert sich für alles. Nicht Sie haben dem Bunker zu sagen, was alltäglich ist und was nicht. Der Bunker macht aus dem Alltäglichen Wichtiges und aus dem Wichtigen Alltägliches. Also sprach Zarathustra …«
»Verzeihung, ich wollte nicht …«
»Ich weiß, ich weiß.« Jaime Bunda lächelte wieder, beinahe zärtlich.
Er schloss den so bescheidenen und kooperativen Kinanga immer mehr ins Herz. Vielleicht war er ein klein bisschen naiv. Bei Gelegenheit würde er ihm ein wenig Lektüre empfehlen, angefangen bei Conan Doyle, mit dem beginnt man doch immer, nicht wahr? Er schaute ostentativ auf die Uhr, er war schon seit einer ganzen Weile hier, und es nahte die Zeit fürs Mittagessen. Jetzt, wo er einen Wagen hatte, würde er direkt zu Kikos Restaurant fahren und Büffelfleisch essen, ohne zuvor in der Dienststelle vorbeizuschauen. Wenn er schon ein Auto hatte, dann konnte er sich auch nach Belieben die Zeit einteilen, machte ein echtes hohes Tier es nicht so? Er erhob sich und sagte, nachdem er dem anderen die Hand geschüttelt hatte, auf dem Weg zur Tür:
»Ein letzter Rat: Cherchez la femme.«
Kinanga verstand ein wenig Französisch, er hatte es von seiner Frau gelernt, die im Kongo aufgewachsen war. Daher fragte er:
»Welche Frau soll ich suchen, Senhor Bunda? Ich verstehe nicht …«
»Es gibt immer eine, immer, das haben schon die Klassiker gelehrt.«
Er verließ das Büro, in dem der andere noch verblüffter zurückblieb. Um seine Lebensgeister wieder zu wecken, verstieß Kinanga ein weiteres Mal gegen seine ehernen Prinzipien und füllte das Glas erneut mit Whisky. Dabei wurde er von der Sekretärin ertappt, die mit Papieren in der Hand das Büro betrat, nachdem sie Jaime Bunda hatte hinausgehen sehen.
»Was war das für ein mysteriöser Besucher, Chef, dass ich Ihnen noch nicht mal ein Gespräch durchstellen durfte?«
»Je weniger du Bescheid weißt, umso besser«, sagte der Inspektor und schaute unverhohlen auf ihre Beine. Dann kippte er das Glas Whisky herunter, als wäre es Wodka, eines der wenigen Dinge, die er in Bulgarien richtig gelernt hatte. Eine echte Bulgarität …
Maniokbrei mit Büffelfleisch, fliegende Untertassen und Verschwörer
Bernardo rümpfte die Nase, als Jaime Bunda ihm Kikos Bar nannte, ein für seine Wildgerichte bekanntes Restaurant im Stadtteil Bairro Operário, dem Arbeiterviertel. Ich soll mit dem Wagen durch die Schlaglöcher dort fahren, Chef? Die Straßen da drinnen sind erbärmlich. Nun, Bernardo, wenn Sie das Auto heimlich mit nach Hause nehmen, fahren Sie dann etwa nicht in die Gassen von Cazenga hinein? Die sind auch in keinem besseren Zustand. Ich nehme den Wagen nie mit nach Hause, er muss in der Dienststelle schlafen, eine Antwort, die den noch immer ganz ungeniert seine frisch erworbene Autorität auskostenden Jaime Bunda nicht befriedigte, hören Sie doch auf, Bernardo, im Dienst wird bloß tagsüber geschlafen, wie Johannes Paul es ausdrücken würde, nicht der Zweite, sondern Belmondo. Los, ich werde Ihnen den einzigen Ort in dieser Stadt zeigen, wo man Wild essen kann, doch Bernardo war eine Nervensäge, der einzige nicht, Chef, im Bairro Palanca kann man nach Herzenslust Affenfleisch essen.
Bei diesem Geplänkel erreichten sie das Bairro Operário. Unwillig lenkte Bernardo das Auto von dem überaus malträtierten Asphalt auf den unbefestigten, von Pfützen übersäten Weg. Der Wagen ähnelte einem Boot in der Meeresbrandung, was Jaime seine Unterhaltung mit Kinanga in Erinnerung rief, denn mit Sicherheit lag des Rätsels Lösung in dem schaukelnden Ausflugsboot. Im Herzen des Viertels, in einem niedrigen, gelb gestrichenen Haus mit Zinkblechdach, lag Kikos Bar. Kommen Sie mich um halb drei abholen, befahl der Agent, wobei er seine Sonnenbrille aufsetzte und schmissig die Tür zuschlug. Prüfend fasste er die ringsum gelegenen Straßen voller Löcher und spielender Kinder ins Auge, die Stände, an denen Frauen Brot, Wurst in Dosen, Zigaretten, Bier und Tomaten verkauften. Das B.O. der großen alten Zeiten, der Stadtteil, von dem sein Vater voller Sehnsucht schwärmte und aus dem er während der Kolonialzeit nach Sambizanga verjagt worden war, weil er kein Geld für die Miete hatte. Im B.O. sind die Ngola Ritmos geboren worden, erzählte er stolz, die Begründer der modernen angolanischen Musik und des Nationalismus. Im B.O. hat Agostinho Neto gelebt, unser erster Präsident … Jaimes Vater war an Tuberkulose gestorben und als eingefleischter Anhänger des B.O. traurig darüber gewesen, dass sich sein Hingang nicht dort, sondern in Sambizanga zugetragen hatte, wohin es die Enterbten der Enterbten verschlug. Obgleich er einen vornehmen, jahrhundertealten Namen trug, starb er arm und vergessen. Doch besaß er die Bücher, und von klein auf ermunterte er Jaime, sie zu lesen. Lies alles, egal was, jedes Buch wird dich irgendetwas lehren. Und Jaime las und las und las. Um nicht wie sein Vater zu enden, um aber dennoch so zu sein wie er. Er schüttelte den Kopf und betrat das Restaurant.
Es waren nur zwei Gäste da, denn es war noch früh. Obwohl er sie auf Anhieb erkannte, stellte Bunda sich dumm und setzte sich an einen der vier leeren Tische. Es handelte sich um Tiago dos Santos, einen Schriftsteller, und den Journalisten Martins, Stammgäste in den Kneipen des B.O.; Ersterer hatte sogar ein Buch über bekannte Persönlichkeiten und Lokalereignisse geschrieben. Ihrem verhaltenen Gesprächston nach mussten sie Vertraulichkeiten über Geliebte austauschen, die Letzterer später für seine gepfefferten Kolumnen ausschlachten würde. Jaime kannte die Namen und Gesichtszüge, denn bei den SIG gab es einen Sonderermittler, der alles, was in der Presse stand, sorgfältig nach zwischen den Zeilen stehenden Botschaften gegen das Regime durchkämmte. Zuweilen hob Honório, der Zensor, irgendeinen Satz, der ihm bei seiner aufmerksamen Prüfung besonders aufgefallen war, laut hervor, hört euch das mal an, »die Tante presste ihren Hintern wie eine zischelnde Schlange an das Bein des Alten«, so ein Hintern wäre Jaime gut zupass gekommen. Alle lachten, außer ihm, Jaime Bunda, der, auf seinem Stuhl eines beschäftigungslosen Praktikanten verschanzt, dasaß und die indirekten Anspielungen auf seine anatomischen Eigenschaften überhörte.
Die Bedienung kam, und er bestellte Funje, Maniokbrei, mit gedörrtem Büffelfleisch. Gleich darauf erschien Kiko, der ihn aus der Ferne wie einen gewöhnlichen Gast und ohne große Vertraulichkeit begrüßte und der sich zu den beiden anderen an den Tisch setzte. Kiko trug einen stattlichen Bierbauch vor sich her. Die Bedienung brachte ihnen noch mehr Bier. Und Kikos Lachsalven veränderten die Stimmung im Raum, die zuvor von einem verhaltenen, diskreten Gemurmel bestimmt worden war und nun für Jaimes Empfinden in ein despektierliches Gespräch umschlug, denn Tiago dos Santos erzählte, wie der Minister für Fischereiwesen sich kopfüber aus Fefa Trombudas Fenster in den Garten gestürzt hatte, als deren Ehemann früher als vorgesehen nach Hause gekommen war, was der Nachbarsjunge mit angesehen hatte, der Buch über Fefas Besuche führte, während der Ehemann auf Befehl des Ministers die Schiffe der Fischereiflotte kontrollierte. Chef Chiquinho sollte besser informiert werden über solche Unterhaltungen, die das Ansehen eines Regierungsmitgliedes befleckten, nicht etwa, weil es die Abwesenheit von Fefas Ehemann ausgenutzt hatte, eine Lappalie, sondern weil es aus dem Fenster gesprungen war. Das war das Herabwürdigende und durfte nicht erzählt werden. Er würde auch Honório Bescheid geben, damit er aufmerksamer denn je die nächste Kolumne von Martins in Augenschein nahm, der diese Geschichte gewiss auf seine Weise dem Publikum unter die Nase reiben würde, alles nur, um das Regime anzuschwärzen. Jede Lachsalve vom Nebentisch war wie ein Messerstich in Jaimes empörtes Herz. Wäre dies nicht der einzige Ort gewesen, an dem man Büffel essen konnte, sein Lieblingsfleisch, ich schwöre es bei meiner Seele, ich würde nie wieder einen Fuß hier hereinsetzen. Doch die SIG haben einen langen Arm, o ja, das haben sie … Wie der heilige Sebastian sagen würde, sie werden die Härte jedes Blitzes zu spüren bekommen, den sie jetzt hinausschleudern.
Unterdessen erzählte Martins die Geschichte eines Mannes, der, ganz verblödet von den Beinen einer jungen Frau, am Straßenrand seinen Wagen gestoppt und sie und ihren Freund mitgenommen hatte. Auf einmal hielten die beiden Mitfahrer ihm eine Waffe an den Kopf, reich die Klamotten rüber, den Wagenschlüssel, die Papiere und das Geld. Und die heiße Schnalle, die neben ihm gesessen und, bevor sie die Waffe zog, sein Bein gestreichelt hatte, legte ihre Verkleidung ab und war am Ende ein Mann. Abgesehen davon, dass der Typ völlig gerupft wurde und schließlich in der Unterhose an der Straße stand, war er auch noch völlig frustriert darüber, dass er so scharf gewesen war auf einen Kerl … Die drei lachten, und Martins sagte, das ist der Stoff für meine nächste Glosse. Jaime Bunda fand das Thema provokant, zehn Jahre früher hätte es glatt als ideologisches Abweichlertum etikettiert werden können. Es lag auf der Hand, dass die Geschichte völlig anders gelesen werden musste, eine eindeutige Anspielung auf die Schachzüge hinter den Kulissen, Täuschungseffekte, mit einem Wort, ein Angriff auf die Regierung, die infam beschuldigt wurde, in der Verkleidung eines Transvestiten über das Volk herzufallen.
Die Bedienung brachte den Funje, und Bunda setzte die Sonnenbrille ab, sie störte ihn beim Essen. Er hatte die Brille gekauft, um sich an seinem Einstellungstag damit im Dienst zu präsentieren. Ein Bulle, der was auf sich hielt, hatte eine Sonnenbrille, nur die Polypen auf der Straße liefen ohne welche herum. Inzwischen besaß er sechs Stück, um nicht danach suchen zu müssen, wenn er überstürzt das Haus oder die Dienststelle zu verlassen gezwungen war. Und wenn er bei der Verfolgung eines Verbrechers oder beim Herausspringen aus dem Wagen bei rasender Fahrt eine zerbrach, dann wäre das kein Drama, sie würde sogleich ersetzt. Richtig ärgerte ihn, dass er keine Waffe trug, Chef Chiquinho hat gesagt, ich könnte mich noch verletzen. Doch wurde sie, den eigentümlichen Konturen nach, den der Fall des ermordeten Mädchens von Minute zu Minute mehr annahm, immer nötiger. Mit einem Auto hatte es begonnen, jetzt kamen schon Boote dazu, ich wette, bald taucht ein Flugzeug auf wie in den James-Bond-Filmen. Bei diesem Gedanken richtete Bunda sich auf seinem Stuhl auf und nahm Haltung an. Bond war einer seiner Helden, auch wenn ihm die Änderung seines Gesichts von Film zu Film nicht gefiel.
Apropos Boote, was hat Kinanga noch gleich zu mir gesagt? Dass der Älteste Salukombo, der Augenzeuge, eine Tochter hat, die mit einem Kerl von der Marine verheiratet ist. Noch mehr Boote, überlegte er, während er sich eine Gabel Funje in den Mund schob. Hm, die Kriegsmarine … Die Jungs halten immer hübsch die Klappe, benehmen sich, als hätten sie nichts zu tun, wer weiß, ob die nicht irgendwas aushecken. Sein kriminalistischer Instinkt sagte ihm, dass es dort irgendeine Verbindung zu dem Tod des Mädchens gab, seine Aufgabe war es, herauszufinden, welche.
Doch Kiko mit seiner herben Korbflaschenstimme sprach noch lauter, und Jaime vergaß den Mordfall.
»Was, ihr kennt nicht die Geschichte von der fliegenden Untertasse auf Büffeljagd? Hi … Sie ist wirklich wahr, ich war dabei. Und sie stand in Portugal sogar in der Zeitung. Das war so …«
Tiago dos Santos lachte schon, doch Kiko packte ihn mit seiner Pranke am Arm, um ihn daran zu hindern, sein Bierglas zum Mund zu führen.
»Warte, bevor du lachst, ich habe noch nicht erzählt«, fuhr Kiko fort. »Wir waren auf dem Weg zu dem Ort, wo es Büffel gab, schon seit einiger Zeit waren wir nicht mehr dort gewesen, ihr wisst ja, man muss die Gegenden wechseln, nicht immer dieselben nehmen … Auf einmal blieb der Jeep stehen. Der Motor war abgesoffen. Wir schauten hoch, und da war ein großes leuchtendes Objekt. Groß? Was sage ich, riesengroß, gigantisch, mit lauter Lichtern, dort oben über uns in der Luft. Wir stiegen aus dem Auto und rannten jeder in eine andere Richtung. Ich kroch, mein Gewehr umklammernd, in ein Gebüsch. Dann verschwand die fliegende Untertasse, einfach so, ffft, geräuschlos, ganz plötzlich. Als der Schreck verflogen war, kehrten alle zum Jeep zurück. Der Motor sprang an. Wir fuhren schweigend weiter. Keiner hatte Lust, etwas dazu zu sagen. Wir waren zu viert, und wir alle fanden es beschämend, dass wir so viel Schiss gehabt hatten. Als wir bei der Lagune ankamen, entstand ein Riesendurcheinander. Es gab dort einen alten Fischer, der alleine in einer abgelegenen Hütte lebte. Weil an diesem Abend viele Leute dort waren, fragten wir, was los war. Wir werden ihn aufhängen, dieser Typ ist ein Zauberer, ein Hexenmeister. Wie, er ist ein Hexenmeister? Wartet, tut das nicht. Er ist schuld daran, dass es keine Büffel gibt, er ruft ein Licht herbei, das vom Himmel kommt, dieses Licht fängt die Büffel. Jetzt gibt es keinen einzigen mehr hier in der Gegend. Es gab ein Hin und Her, sie fingen an zu streiten, ob sie ihn lieber aufhängen, aufschlitzen oder ihm eine Kugel verpassen sollten, was ist die beste Waffe für einen Hexer? Einer von uns stellte den Zusammenhang her und erklärte ihnen, das ist überhaupt keine Hexerei, dieser Zauberer hat nichts mit dem Verschwinden der Büffel zu tun, das Licht kommt von einer fliegenden Untertasse, gerade eben haben wir sie gesehen. Fliegende Untertassen sind Flugzeuge von anderen Planeten, nun, diese Erklärungen eben … Nur wussten die Leute nicht, was Planeten, und noch viel weniger, was Ufos und derlei Dinge sind … Und wie kann ein Licht, das keinen Krach macht, ein Flugzeug sein? Es war Hexerei, und der Hexenmeister stand dort, das, ja das verstanden sie. Das Problem war nur, welche Waffe sie verwenden sollten. Zum Glück hatten wir Aragão mit seinem Mundwerk dabei, das sich gewaschen hat, er hat sogar eine Zeit lang Jura studiert, er erklärte und erklärte, machte Zeichnungen auf der Erde, setzte die gesamten Naturwissenschaften auseinander, und so verging die Nacht. Bei Tag besänftigten sich die Gemüter, und sie ließen den Fischer in seiner Hütte in Ruhe und zogen von dannen. Und wir gingen nicht auf die Jagd. In dieser Gegend hat es nie wieder Büffel gegeben.«
»Die fliegende Untertasse hat sie mitgenommen …«, sagte Martins und lachte schallend.
»Darüber lässt sich eine schöne Geschichte schreiben«, erklärte Tiago dos Santos.
»Das hat doch schon jemand getan, nicht wahr, Kiko?«, fragte Martins.
»Ja. So ein Pfaffe von einem Schreiberling, Aragão hat mir sogar die Zeitung gezeigt. Aber er hat übertrieben mit unserer Angst, er hat glatt geschrieben, einer von uns habe sich in die Hose gemacht.«
»Essen Marsmenschen denn gerne Maniokbrei mit Büffelfleisch?«, fragte Tiago verwundert.
»Der Ruf unseres Nationalgerichts reicht weit«, sagte Kiko mit berechtigtem Stolz.