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Die Autorin zeichnet die Schicksale zweier Menschen nach, die sich durch ihre Herkunft, Bildung und ihren bisherigen Lebensweg grundsätzlich unterscheiden. Jan Möller wird als Sohn von aus Ostpreußen eingewanderten Eltern in der Marsch geboren. Er wächst in bittere Armut und harte Arbeit hinein; mit zehn Jahren hütet er Kühe, mit vierzehn wird er Knecht. Schließlich nimmt er eine Zimmermannslehre auf. Als Geselle lernt er sich zu wehren, und so tritt er nach den Jahren seiner Wanderschaft erst der SPD, dann der KPD bei. 1933 wird er zu Stade in »Schutzhaft« genommen, was ihn nicht davon abhält, nach der Freilassung in der Illegalität äußerst intensiv politisch aktiv zu werden. Im August 1934 wird er deshalb abermals verhaftet. Zuchthausjahre in Celle, Gefängnismonate in Hannover und schließlich Einlieferung in das KZ Sachsenhausen folgen. – Endlos lange Jahre hinter Gittern und Stacheldraht. Dr. Jutta Hartung hingegen wuchs wohlbehütet in bürgerlichen Verhältnissen in Berlin auf. In der Nazizeit ist sie in einer Wirtschaftsbehörde angestellt. Ihre natürliche Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft veranlassen sie zum Handeln. Sie unterstützt heimlich ein jüdisches Ehepaar. Als das Paar dann von den Nazis abgeholt und in ein Lager gebracht wird, empfindet sie Mitschuld an dem Schicksal dieser beiden alten Menschen, die sie nicht hatte retten können. Eines Tages beobachtet sie, wie in einem benachbarten Haus KZ-Häftlinge unter SS-Bewachung arbeiten. Auch Jan ist unter den Häftlingen. Die SS-Leute mit Zigaretten bestechend bringt sie den Häftlingen nun alle paar Tage Essen. Nach Fertigstellung der Bauarbeiten lässt Jan, der schon lange einen Kontakt nach außen sucht, der unbekannten Helferin einen Brief zukommen. Dies ist der Auftakt zu einer Entwicklung, die das Leben von Jan und Jutta für immer verändern wird. Der Roman schildert wahrheitsgetreu die Erlebnisse der Autorin unter dem Namen Jutta Hartung sowie die ihres späteren Mannes Rudolf unter dem Namen Jan Möller.
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Seitenzahl: 960
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Liselotte Welskopf-Henrich
Jan und Jutta
Roman
Mit einem Nachwort von Gerd Noglik
Palisander
eBook-Ausgabe
© 2015 by Palisander Verlag, Chemnitz
Erstmals erschienen 1954 im Verlag Tribüne, Berlin
Printausgabe © 2002 by BS-Verlag-Rostock Angelika Bruhn
(ISBN 978-3-89954-001-7)
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Covergestaltung: Anja Elstner unter Verwendung der Grafik »Der Kuss« von Kurz Scheele
Lektorat: Palisander Verlag
Redaktion & Layout: Palisander Verlag
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
ISBN 978-3-957840-14-1 (e-pub)
ISBN 978-3-957840-15-8 (mobipocket)
www.palisander-verlag.de
Liselotte Welskopf-Henrich (1901 - 1979) war eine deutsche Schriftstellerin und Wissenschaftlerin. In den Jahren der Naziherrschaft war sie am antifaschistischen Widerstandskampf beteiligt. Ihre Erfahrungen aus der Weimarer Republik und dem »tausendjährigen Reich« verarbeitete sie in ihren Romanen »Zwei Freunde« und »Jan und Jutta«. 1951 erschien die Urfassung ihres Indianerromans »Die Söhne der Großen Bärin«, den sie später zu einem sechsteiligen Werk erweiterte. 1966 erschien »Nacht über der Prärie«, der weltweit erste Gesellschaftsroman über die Reservationsindianer im 20. Jahrhundert. In den folgenden Jahren, bis zu ihrem Tod, entwickelte sie diese Thematik in vier weiteren Bänden weiter. Darüber hinaus war sie seit 1960 Professorin für Alte Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität und seit 1962 Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Schriftstellerin fand sie internationale Anerkennung. Die Stammesgruppe der Oglala verlieh ihr für ihre tatkräftige Unterstützung des Freiheitskampfes der nordamerikanischen Indianer den Ehren-Stammesnamen Lakota-Tashina, »Schutzdecke der Lakota«.
Cover
Titel
Impressum
Über die Autorin
I. Die Flucht aus dem Teufelsmoor
II. Geschichte einer Jugend
III. Begegnungen im Kerker
IV. Der Tisch
V. Jutta
VI. Das Wagnis
VII. Gemeinsamer Weg
Nachbemerkung
Liselotte Welskopf-Henrich - Die Erzählungen und Romane
Das Heideland bei Zeven hatte seit Wochen die Sommerhitze in sich aufgesogen, und der modrige Boden war zu einem mächtigen Wärmespeicher geworden. Unbarmherzig brannte die Augustsonne; das Heidekraut war dürr, ein kahler Baum streckte seine toten Äste aus. Der Dunst des Moores schwängerte die Luft und leitete die unsichtbaren elektrischen Ströme zwischen Himmel und Erde.
Der Wachtmeister rückte am Riemen des Karabiners. Dann setzte er seinen Rundgang in gemessenem Schritt fort. Er umkreiste die Schar der Gefangenen, die ihm anvertraut war, wie ein Raubtier, das kostbare Beute hütet.
Irgend etwas sang oder schwang durch die Atmosphäre der Glutwärme, des Hasses und der Müdigkeit. Der grau Uniformierte wußte nicht, ob er etwas gehört habe außer dem dumpfen Geräusch, das die Gefangenen mit ihren Spaten beim Ausstechen des Moores verursachten. Er hielt noch einmal den Schritt an und lauschte, aber es war, als ob mit dem Anheben seines mißtrauischen Lauschens die Luft selber verstummt sei.
Wachtmeister Hinrich Vürmann steckte sich eine Zigarette an. Es war zwei Uhr nachmittags. Er hatte noch vier Stunden Wache zu halten. Es war ein Hundeleben. Ein Hundeleben war es. Wenn er sich durch Verdienste auszeichnete, konnte er an einen besseren Platz versetzt werden. Ja, es würde notwendig sein, daß er sich durch Verdienste auszeichnete. Er hatte nicht Lust, einen zweiten Sommer im Moor Wache zu schieben.
Hinrich Vürmann durchdachte diese Gedanken noch einmal, Schritt für Schritt, im wahrsten Sinne »Schritt für Schritt«. Jedesmal, wenn er einen Fuß im schweren Stiefel voransetzte und der warme Heideboden unter seinem Tritt nachzugeben schien, gelangte er auch von einem Gedanken zum nächsten. Solange er dabei vor sich selbst die Verdienste aufzählte, die er schon errungen hatte, beschleunigte sich sein Gang unwillkürlich; das Selbstbewußtsein beschwingte ihn, und die Vorstellung »Oberwachtmeister in Celle oder in Hannover« strich wie ein ermunternder angenehmer Luftzug um seine Stirn, auf der sich längs des drückenden Mützenrandes die Schweißperlen gesammelt hatten.
Aber dann kniff Vürmann die Lider über den wasserblauen Augen zusammen und warf die angerauchte Zigarette weg. Das Bild seines Vorgesetzten war vor ihm aufgestiegen. Dieser Vorgesetzte entschied über die Karriere des Wachtmeisters. Aber der Teufel wußte, was der Herr Hauptwachtmeister sich dachte, und ob er die Verdienste Hinrich Vürmanns zu würdigen geneigt war.
Immerhin, es gab Vorschriften, Beförderungsvorschriften!
Der Wachtmeister steckte sich eine zweite Zigarette an und äugte über das brennende Streichholz hinweg nach den Gefangenen.
Versuchte einer, die fortgeworfene Zigarette heimlich aufzugreifen? Nein. Die Banditen arbeiteten wie die Marionetten. Spatenstich– Spatenstich. Komisch. Besonders der »Neue« legte in seiner Arbeit ein Tempo vor und eine Genauigkeit an den Tag, die verblüffend waren. Was bezweckte er damit? Wollte er sich beim Herrn Wachtmeister einschmeicheln? Dann täuschte er sich. Mit Arbeitsleistungen im Moor vermochte man das Wohlwollen Hinrich Vürmanns nicht zu erringen. Was gingen den Wachtmeister die Torfmengen an? Den Verdienst strich die Firma ein, die den Torf erhielt, und der Wachtmeister bekam keine Prozente.
Aha! Vürmann grinste. Aha, also doch! Der kleine Gustav, in Strafe für den fünften schweren Einbruch und seit langem im Kommando Hinrich Vürmanns, hatte sich mit bewundernswerter Behendigkeit den Zigarettenstummel aus dem Heidekraut geholt.
»Wegen der Brandgefahr… Herr Wachtmeister«, sagte er so unterwürfig wie verschmitzt, als die wasserblauen Augen des Uniformierten ihn mit gespielter Drohung musterten.
»Arbeite, du nichtsnutziger Hund, und schwatze nicht!« sagte Vürmann und verwischte die einzelnen Worte seines Satzes mit einem forciert heiseren Gebrumm.
Gustav war eine brauchbare Kreatur. Er klaute dem Herrn Wachtmeister aus dem Zuchthausinventar alles, was dieser für seinen vielköpfigen Haushalt benötigte. Aber Gustav sollte seine Vertraulichkeit nicht zu Frechheiten ausnutzen. Die anderen Gefangenen brauchten von seinen Beziehungen zur Wachmannschaft nichts zu ahnen.
Hinrich Vürmann versuchte, den abgerissenen Faden seiner Gedanken wieder anzuknüpfen. Er wollte Oberwachtmeister werden; man sollte ihn an einen besseren Platz versetzen. Er hatte eine vielköpfige Familie, sechs Kinder– alles nordische Rasse. Er war Parteigenosse. Wenn der Hauptwachtmeister…
Der Wachtmeister lüftete die Mütze und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Die Gefangenen hatten die Jacken abgelegt und arbeiteten mit nacktem Oberkörper in der Sonnenglut. Manche torkelten, wenn sie einen Schritt machten. Die Spatenstiche wurden allmählich langsamer und kraftloser. Mit tödlicher Kraft brannte die Sonne auf die schwarzen Leinenkäppis, auf die gebräunten Nacken und die schwarzen Leinenhosen. Die Hände der Gefangenen waren angeschwollen von Hitze und Anstrengung; es war, als ob das Blut in den Adern dick würde. Einer seufzte leise. Sein aufgedunsenes Gesicht schimmerte grau.
Der Wachtmeister schritt die Runde jetzt gleichmäßig ab wie eine Maschine. Aber es wurde ihm schwer, folgerichtig weiterzudenken. Das Blut wühlte auch in seinem Hirn wie kochende Brühe. Sich versetzen lassen… Oberwachtmeister… Seine Gedanken liefen im Kreis wie seine Schritte.
Die Gefangenen beobachtete er immer noch pflichtgemäß. Der »Neue« unter ihnen war sonderbar. Hinrich Vürmann mußte doch auf ihn achten. Die Torfquadrate, die dieser Häftling ausstach, schienen wie mit einem Maß gemessen; eins glich dem andern aufs Haar, und die Spatenstiche erfolgten immer im gleichen Tempo; sie hatten immer die gleiche Kraft, eine Stunde um die andere. Der Kerl wirkte wie ein Teufel. Warum eigentlich? Schwarz das Käppi, schwarz das Haar, schwarz die Hose; dunkel, mulattenfarben der sonnverbrannte Rücken und die Arme, an denen die Muskeln vorsprangen. Nichts Weiches war an diesem Körper, der weder mager noch dick erschien; nur aus Muskelsträngen, Sehnen und Knochen bestand er. Die Augen hielt der Bursche immer gesenkt, und der Wachtmeister konnte ihre Farbe nicht erkennen. Buschige schwarze Brauen schlossen sich über der Nase zusammen, und auf der Stirn war eine gerade Falte eingegraben. Nur die angeschwollenen Hände verrieten, daß selbst dieser Körper unter der Hitze litt.
Vielleicht ließ sich aus dem »Neuen« doch Kapital schlagen für die Karriere des Herrn Wachtmeisters. Wenn das Kommando in der Arbeit gut abschnitt, war das auf alle Fälle ein beredtes Zeugnis für den Eifer des Wachhabenden. Vürmann mußte auch diese Möglichkeit im Auge behalten.
Bei der Versammlung vor dem Vertreter der Torffirma in der vergangenen Woche hatte sich der Neue allerdings sehr schlecht verhalten. Er hatte gesprochen, obwohl es üblich war, daß Grünlinge den Mund hielten, und er hatte Fleisch und Butter verlangt an Stelle der Tabakzuteilung für die Gefangenen. Fleisch und Butter! Man konnte dem Burschen doch nicht über den Weg trauen. Es mußte einen Grund haben, daß er keine Arbeitssabotage übte. Hinrich Vürmann nahm sich vor, am Abend einmal mit dem schwarzhaarigen und dunkelhäutigen Athleten zu sprechen. Er wollte ihn kennenlernen, um sicherzugehen.
Als die Glut ausstrahlende Sonnenscheibe endlich tiefer sank, sammelten sich die Gefangenen und schulterten die Spaten, um den Heimweg anzutreten. Der Häftling mit dem aufgedunsenen, grauen Gesicht sackte zusammen, als er sich in die Reihe stellen wollte. Er wurde von seinen Kameraden rasch aufgefangen, von jenem großen dunklen Mann und einem zweiten, fast zierlich wirkenden blonden Häftling, den die anderen Christoph nannten. Diese beiden faßten den Erschöpften rechts und links und nahmen ihn mit; es schien, daß er wieder laufen konnte, aber in Wahrheit wurde er eher getragen.
Der Weg über die Heide wurde an diesem Abend allen lang.
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