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Wakiya-knaskiya Byron Bighorn, ein fünfjähriger Junge, lebt mit seiner Mutter und seinen jüngeren Geschwistern in größter Prärieeinsamkeit und bitterer Armut. Doch diese Einsamkeit schenkt ihm Ruhe und Visionen. Als er die Schule besuchen muss, zerbricht die karge Idylle. Immer häufiger leidet er an epileptischen Anfällen. Bald nach einem verheerenden Präriefeuer, das die Familie nur knapp überlebt, wird Wakiya Joe und Queenie Kings Pflegesohn. Joe King möchte eine Schulranch einrichten, aber ein weißer Rancher will das Land pachten und findet dabei auch Unterstützung bei einflussreichen Stammesmitgliedern. In dieser Situation entschließt sich Queenie, an die Kunstschule von Santa Fe zurückzukehren, was Joe als Verrat empfindet. Er verstößt seine Frau. Intrigen bringen Joe King vor Gericht. Er wird des Mordes beschuldigt. Sidney Bighorn, Karrierist und erbitterter Feind Joe Kings, ist Staatsanwalt in dem Mordprozess; er verlangt die Todesstrafe. Mit einem Nachwort von Frank Elstner: "Der Mann, der John Okute war" und einem Aufsatz von Liselotte Welskopf-Henrich: "Bei den Lakota in den Woodmountains".
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Seitenzahl: 776
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Liselotte Welskopf-Henrich
Licht über weißen Felsen
Roman
Palisander
Überarbeitete und ergänzte Neuausgabe
1.Auflage März 2013
© 2013 by Palisander Verlag, Chemnitz
Erstmals erschienen 1972 im Mitteldeutschen Verlag, Leipzig
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Einbandgestaltung: Claudia Lieb
Lektorat: Palisander Verlag
Redaktion & Layout: Palisander Verlag
1.digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
ISBN 9783938305621
www.palisander-verlag.de
Das Blut des Adlers
Pentalogie
1.Band: Nacht über der Prärie
2.Band: Licht über weißen Felsen
3.Band: Stein mit Hörnern
4.Band: Der siebenstufige Berg
5.Band: Das helle Gesicht
Rot ist das Blut des Adlers.
Rot ist das Blut des braunen Mannes.
Rot ist das Blut des weißen Mannes.
Rot ist das Blut des schwarzen Mannes.
Wir sind alle Brüder.
Cover
Titel
Impressum
Wakiya-knaskiya
Byron Bighorn
Vor den Geschworenen
Queenie Tashina King
Joe Inya-he-yukan King
Anhang
Der Mann, der Harry Okute war
Bei den Lakota in den Woodmountains
Weitere Bücher
Fußnoten
Dreifach stand es geschrieben, in Listen, in Registern und in Karteien: Byron Bighorn, geb. 24.April 195…
Das Papier, auf dem Byron Bighorns Geburt und sein Name verzeichnet wurden, war gutes Papier. Es hielt seine Farbe. Die Tinte war fest eingetrocknet, nicht verflossen, die Farbbänder waren neu gewesen und hatten sich deutlich abgedrückt. Die Listen, Register und die Karteien wurden in Häusern, unter Dächern, gegen Hitze, Kälte und Nässe geschützt aufbewahrt, und sie waren in Fächern geordnet, so dass jedermann jederzeit den Namen und das Datum finden konnte, so unwichtig diese auch scheinen mochten.
Wo aber Wind über gelbes Gras und bunte Erde wehte, wo Sonne und Mond über bloßliegendem Land leuchteten und der Himmel sich in der Gewalt der Sturzregen auf die Prärien niederwarf, wo die Blockhütte einsam und verloren stand, da riefen Vater und Mutter, Bruder und Schwester: Wakiya-knaskiya! Wilder Donner, Toller Donner, Geheimnisträchtiger Donner!
Sie riefen es leise mit klingenden Stimmen.
Als Wakiya-knaskiya vier Jahre alt geworden war, nahm ihn der Vater eines Morgens an die Hand und machte sich mit ihm auf einen weiten Weg. Der Vater war ein großgewachsener Mann, mager, müde und schweigsam, Sohn seines Landes. Seine Jeans und das offene Hemd waren einmal blau gewesen, die sorgfältig aufgesetzten Flicken in Blau, Schwarz oder Grün gemustert, aber Arbeit hatte die Kleidung abgewetzt und Sonne die Farben weggefressen, und so konnte nicht viel mehr gesagt werden, als dass Hose und Hemd billig und alt, die Frau aber um ihren Mann besorgt war. Das wusste auch Wakiya-knaskiya, so klein er noch war. Die Haut des Vaters hatte das Sonnenluft atmende Braun verloren; sie war stumpf geworden, grau wie von Nebel umzogen. Der Tod saß diesem Mann im matten Blut. Auch das wusste Wakiya-knaskiya, obgleich es ihm niemand gesagt hatte. Aber Wakiya war mit Gräsern, Blüten, Bäumen und Tieren aufgewachsen, die wuchsen und starben, und war dem Leben wie dem Tod so nah wie ein Bruder.
Wakiya lief an der Hand des Vaters, still wie dieser, mit viel kleineren, darum viel eiligeren Schritten. Er lief mit bloßen Füßen über Grasbüschel, vertrocknete Kakteen, Steine und krustigen Boden. Seine Füße kannten die Erde. Sie waren nicht durch künstliche Sohlen davon getrennt. Der Wind blies ihm vor die Brust, die Sonne wärmte ihn im Rücken. Sein einziges Kleidungsstück war eine neue Hose, die an verkürzten Trägern unförmig weit um seinen schmächtigen Körper bis über seine Knie schaukelte; sie sollte die nächsten sechs Jahre überdauern. So hoffte die Mutter und so fürchtete Wakiya; eben in diesem Punkt wollten sie beide sehr klug sein und vergaßen darum die unsichtbaren Spinnfäden des Lebens.
Der Vater ging mit Wakiya-knaskiya querfeldein. Einmal schwang er sich über einen Zaun und hob den Jungen herüber. An einer Wasserlache am ausgetrockneten Bach standen Rinder. Der Vater machte Halt, und Wakiya holte von den beiden Scheiben Schwarzbrot, die ihm die Mutter in die Hosentasche gesteckt hatte, eine hervor und verzehrte sie mit Bedacht. Der Vater aß nichts. Am frühen Morgen, als die Sonne gerade aufgegangen war und die Düsternis im kleinen Blockhaus nur mühsam ein wenig erhellt hatte, waren Eltern und Kinder um die Pfanne versammelt gewesen, in der die Mutter Mehlklümpchen im Fett briet, und alle hatten davon zu sich genommen.
Aber auch in dem Mehl lauerte die Krankheit auf den Vater und so ging er unsicher hin und her zwischen Hunger und Verderben.
Es wurde hoher Mittag. Die Sonne stand im Scheitel ihrer Bahn, als der Vater und sein Kind ihr Ziel erreichten. Der Vater blieb stehen und schaute ringsum, einmal langsam, noch einmal sehr langsam und endlich ein drittes Mal. Aber es war Wakiya nicht, als ob der Vater etwas suche, sondern als ob er etwas wiederfinde, und Wakiya folgte dem Blick, geduldig und aufmerksam, wie er es in der Einsamkeit gelernt hatte.
Was es aber zu sehen gab, war nichts als das Uralte; wildes Gras, wilde Stachelblätter, rote und graue Erde, die noch keines Menschen Hand und kein scharfes Eisen aufgerissen und umgestülpt hatten, und über allem der Himmel, so blau wie eine Blüte. Es war still, nicht einmal der Wind flüsterte; die Lüfte trugen die ausgebreiteten Flügel eines Raubvogels.
Da sprach der Vater. »Wakiya – schließe deine Augen und deine Ohren und schaue und horche auf die Geister und auf die Toten.«
Und das Kind schloss die Lider fest und hielt die kleinen Fäuste vor die Ohren, um die leere Prärie nicht mehr zu sehen und die Sprache ihrer Stille nicht mehr zu hören; es lauschte nur noch auf den Gesang des Vaters. Als der Vater ihm aber über das lange, schwarze Haar strich und dann die Hand auf dem Kopf seines Kindes ruhen ließ, in einer sanften und sachten Art wie eine Mutter, öffnete Wakiya-knaskiya die Augen wieder und nahm die kleinen Fäuste von den Ohren, denn er brauchte keine Gewalt mehr, um zu vergessen, was er mit seinen äußeren Augen sah und mit seinen äußeren Ohren hörte; die inneren hatten sich geöffnet. Der Vater bewegte die Füße im Takt und hob beide Hände; er sang dabei mit seiner tiefen, dem Kind so vertrauten Stimme, und Wakiya konnte alles sehen, was der Vater erschaute, nur undeutlicher und geheimnisvoller noch, denn er war erst vier Jahre alt.
Ein langer, schweigender Zug kam heran, stolze Männer, braunhäutig, hager, in prächtig gestickten Gewändern aus Hirschleder, an den Nähten hingen die Skalphaare besiegter Feinde. Einer von ihnen trug Wapaha, die Krone aus Adlerfedern, ein zweiter die Haube mit Büffelhörnern und weißem Hermelin, ein dritter den Balg eines Falken. Dieser letzte hielt den langen Stab in der Hand, dessen gekrümmtes Ende von Fell umkleidet war und an dem Adlerfedern hingen. Die Hand des großen Kriegers pflanzte den Stab mitten zwischen wildes Gras und vertrocknete Kakteen in die Erde, die hier rot war, und der Vater sang: »Das ist unser Land, solange Gras grünt, solange Schnee schmilzt, solange die Bäche von den weißen Bergen kommen und unsere Männer die heilige Pfeife nicht vergessen. Die Toten und die Büffel kommen wieder.«
Ein langer Zug hielt hinter den drei Kriegern, hinter dem ersten mit der Krone aus Adlerfedern, hinter dem zweiten mit dem Ehrenzeichen aus Büffelhörnern und Hermelin und hinter dem dritten mit dem Balg eines Falken als Schmuck und mit dem gekrümmten Stab, dem Wahrzeichen des Landesherrn, in der Hand. Mustang stand hinter Mustang; Zeltstangen waren über den Pferderücken gekreuzt und die Lasten angehängt. Rechts und links hielten Reiter, sattellos, nackt bis auf Gürtel und Schurz, Ketten aus Bärenkrallen über Nacken und Brust, Pfeile im Köcher, Messer in der Scheide, Speere in der Hand. Die Frauen auf den Lastpferden hielten die Augen gesenkt. Die Jungen auf den Ponys, die Mädchen, die hinter den Müttern auf den Pferderücken saßen, die Kinder in den Rutschen hinter den Mustangs, die Säuglinge in den Tragen rührten sich nicht. Nicht einmal die Hunde gaben einen Laut. Aber der Vater sang die Lieder, die die Männer und Frauen in den hirschledernen Kleidern einst gesungen hatten, und er bewegte die Füße in dem Takt, in dem sie ihren letzten Tanz zum Gebet getanzt hatten. Als der Vater verstummte, waren sie alle verschwunden, die schweigenden Häuptlinge und Krieger, die Frauen und Mädchen, die Kinder, die Mustangs und die Hunde. Aber da, wo die Erde rot war, war ein Stab eingerammt, mit Adlerfedern behängt, die gekrümmte Spitze mit Fell geziert.
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