Stein mit Hörnern - Liselotte Welskopf-Henrich - E-Book

Stein mit Hörnern E-Book

Liselotte Welskopf-Henrich

4,8

Beschreibung

Im Buschland bei New City kommt es zu einem nächtlichen Kampf, den Joe King schwerverletzt überlebt. Es folgt ein monatelanger Krankenhausaufenthalt in einer teuren Privatklinik. Nur unter größten Anstrengungen vermag Queenie den Aufenthalt zu finanzieren. Sie gerät in gefährliche Beziehungen zur Halbwelt von New City. Unterdessen sind die Feinde Joe Kings, allen voran Sidney Bighorn, nicht untätig. Sie wollen die Abwesenheit des rebellischen Indianers nutzen und vollendete Tatsachen schaffen, um die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Zudem wird Joe King verdächtigt, die Rauschgiftschmugglerin Esmeralda O’Connor ermordet zu haben.

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Liselotte Welskopf-Henrich

Stein mit Hörnern

Roman

Palisander

Überarbeitete und ergänzte Neuausgabe

1.Auflage März 2013

© 2013 by Palisander Verlag, Chemnitz

Erstmals erschienen 1972 im Mitteldeutschen Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Einbandgestaltung: Claudia Lieb

Lektorat: Palisander Verlag

Redaktion & Layout: Palisander Verlag

1.digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

ISBN 9783938305645

www.palisander-verlag.de

Das Blut des Adlers

Pentalogie

1.Band: Nacht über der Prärie

2.Band: Licht über weißen Felsen

3.Band: Stein mit Hörnern

4.Band: Der siebenstufige Berg

5.Band: Das helle Gesicht

Rot ist das Blut des Adlers.

Rot ist das Blut des braunen Mannes.

Rot ist das Blut des weißen Mannes.

Rot ist das Blut des schwarzen Mannes.

Wir sind alle Brüder.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Im Busch

Roger Sligh, M. D., Indian Hospital

Ein junger Beamter

Vorladungen

Die anderen

Büffel

Der Patient

Elisha Field

Psychiatrie

Queenie Tashina

Geld

Zwei Betrunkene

Heimkehr

Joe Inya-he-yukan Stonehorn

Begegnung in der Nacht

Fremd geworden

Kte Waknwan

Training

Texas Bronco

Rodeo

Drohungen

Stammesgericht

Ein junger Häuptling

Nacht im heiligen Zelt

Adler

Weitere Bücher

Im Busch

Die Hütten in den Indianer-Slums verloren ihre Farbe an die Dämmerung und wurden grau.

Margret löschte die Petroleumlampe. Rings an der Bretterwand hockten die Kinder. Das Fenster war klein. Auf dem einen der beiden Betten, ganz im Dunkeln, saß Margrets Bruder. Er überprüfte seine Pistolen, steckte die beiden gewohnten in den Achselhalfter, eine dritte in den Kniehalfter.

»Bleib da, Stonehorn.«

Der braunhäutige junge Mann stand auf und zog die Jacke an.

»Stonehorn, geh nicht. Wo der Alte wohnt, ist schon Busch.«

»Wo Stonehorn sich zeigt, rühren sie sich. Dazu brauchen sie keinen Busch.«

»Der Wolf und die Wölfin sind in der Nacht unterwegs. Ich habe sie gesehen.«

»Leonard Lee?«

»Leonard Lee und Esma. Ja. Hört das nie auf?«

»Nein, das hört nie auf. Ich werde nicht alt.«

Der Indianer nahm den Cowboyhut vom Haken. Er nickte seiner Schwester Margret und den Kindern noch zu.

Während er die Tür öffnete, um die Hütte zu verlassen, spähte er nach einem Schatten jenseits der Straße. Er sprang in seinen Wagen, startete und legte den zweiten, dritten, vierten Gang ein. Mit der Rechten schnallte er sich an, dann gab er auch diese Hand an das Steuerrad. Er war darauf gefasst, dass ihm ein Reifen durchschossen würde.

Das Kreischen und Heulen des Fahrtbeginns war verstummt. Leise nahm der Wagen die Serpentinen.

Weit außerhalb der Stadt, entfernt von den Slums, bereits mitten im Busch, der sich zu den waldigen Bergen hinzog, bog der Fahrer von der betonierten Straße ab und linker Hand auf einen schmalen, schlechten Weg ein. Hier gab es kein Neon mehr und keine Laternen.

Aus dem Himmelsgrund des Spätherbstes strahlten Sterne, fern, ohne Gesicht. Der Busch lag stumpf und schwarz in der Nacht. Kein Mondlicht streichelte die Finsternis.

Der Indianer hielt vor einem Gartenzaun, der glanzweiß gestrichen war, so dass selbst das Sternenlicht genügte, um die biedere Ordnungsliebe des Grundstücksbesitzers auf begrenztem Fleck aufscheinen zu lassen. Die Tür quietschte weder, noch knarrte sie; sie war geölt. Den Namen auf dem Schildchen brauchte Stonehorn nicht zu lesen. Er kannte den Handwerker und sah den Lichtschimmer in der neben dem einstöckigen Holzhaus gelegenen Werkstatt.

Der Gartenzwerg war neu.

In der Werkstatt fand Stonehorn den Mann, der zwischen fünfzig und sechzig war, aber seit dem Tode seiner Frau und seines Sohnes stark gealtert wirkte. Das Haar hinter der Halbglatze war blondgrau. Die Augenwimpern hatten sich noch ihre strohige Farbe und die Sprödigkeit bewahrt. Neben dem Mann stand ein neunjähriger Indianerjunge, eines von Margrets Kindern, das der einsam gewordene Handwerker adoptiert hatte.

Es wurde nicht viel Wesens um die Begrüßung gemacht. Stonehorn setzte sich auf den Werkstatttisch an eine Ecke, an der er vom Lampenlicht nicht getroffen wurde und durch das Fenster hinauszuspähen vermochte. Der Büchsenmacher arbeitete weiter. Als ihm die Waffe, die er eben überprüfte, in Ordnung, jedenfalls in dem Zustand schien, in dem am nächsten Morgen eine Schussprobe gemacht werden konnte, wandte er sich seinem Gast zu, an dessen Seite schon der Junge saß, die neue Pistole im Kniehalfter still bewundernd. Stonehorn deutete mit einer Kopfbewegung an, dass er die reparierte Büchse besichtigen wolle, die einem anderen Kunden gehörte, und der Handwerker gab sie ihm. Der Indianer spielte damit, als ob er sie noch einmal zu überprüfen habe, und der andere schaute ohne Nervosität zu, denn er wusste, dass sein Gast von Waffen etwas verstand. Stonehorn reichte die Büchse stillschweigend zurück. Er lauschte.

»Auf der Straße ist ein Wagen vorbeigefahren«, sagte der Junge. Das Geräusch war wieder verstummt.

Der Handwerker erhoffte Anerkennung für seine Arbeit an der reparierten Waffe. »Nun?«

»L.L.«

»Was heißt L.L.?«

»Wem gehört die Büchse, Krause?«

»Elisha Field hat sie gebracht.«

»Was tut Elisha Field in New City?«

»Er hat die ehemalige Kneipe O’Connor gekauft. Das Haus stand doch leer.«

»Und betreibt das Geschäft weiter?«

»Den Bierausschank, ja. Seit einer Woche.«

»Woher ist Elisha Field gekommen?«

»Aus New York, heißt es.«

»Könnte zufällig stimmen.«

»Was hast du denn, Joe?«

»Was soll ich haben?«

»Deine Backenknochen arbeiten.«

»Immer gut, wenn die mir das Arbeiten abnehmen.«

»Elisha hat den Rugby-Club als Kunden. Geh da nie hin, Joe.«

»War heute schon dort.«

»Mach das nicht wieder. Und komm nicht bei Dunkelheit zu mir, sondern bei Tag.«

»Ich brauche mein Jagdgewehr. Hast du es?«

»Wenn es sein muss, mache ich es gleich fertig.«

»Ich warte.«

Stonehorn steckte sich eine Zigarette an. Als er sie ausgeraucht hatte, legte er den Stummel in einen Aschenbecher, den der ordnungsliebende Büchsenmacher ihm hinschob.

»Wann war Elisha bei dir, Krause?«

»Eine Stunde mag es her sein.«

»Kennst du den Namen Leonard Lee?«

»Leo…?«

»Eben den. Schau dir die Waffen, die sie dir herbringen, künftig genauer an. Die Büchse gehört nicht Elisha. Die gehört einem anderen.«

»Joe, bleib die Nacht hier – schlaf in meinem Haus.«

»Bist du fertig? Gib her.«

Stonehorn nahm sein Jagdgewehr, legte schnell an und gab zwei Schüsse durch die Fensterscheibe ab. Das unmittelbar aufeinanderfolgende Knallen mischte sich mit einem kleinen Klirren.

»Was machst du, Joe!«

»Probeschüsse.« Der Indianer setzte die Waffe wieder ab und ließ ein paar Münzen auf den Tisch klimpern.

Krause zeigte sich gekränkt. »Steck wieder ein. Bleib aber hier. Denk daran – du bist für die nur ein Farbiger. Nicht nur ein Feind, sondern auch noch ein Farbiger.«

»Gute Nacht.« Stonehorn glitt vom Werkstatttisch. Er zog die Jacke aus und hängte sie über die Schultern. Zwei Patronengurte hatte er um die Hüften gelegt. Das Jagdgewehr hielt er in der Linken. So verließ er das Haus. Schärfer, sorgfältiger noch als in den Slums spähte er ins Dunkel, während er am Zwerg vorbei durch den Garten huschte, über den Zaun sprang und scheinbar in seinen Wagen einsteigen wollte, den er gleichzeitig als Deckung benutzte.

Bis dahin hatte ihn Krause durch das Fenster beobachtet, und ein etwaiger Gegner im Busch draußen musste damit rechnen, dass Krause dem Indianer Feuerschutz geben würde. Nun aber wandte sich der Handwerker um und brachte eine Flinte, die noch herumgelegen hatte, an ihren Platz. Er wartete dabei auf das Geräusch des anspringenden Motors. Als sich nichts hören ließ, ging er an das Fenster mit dem Schussloch zurück und schaute noch einmal hinaus.

Der Indianer war verschwunden. Doch befand sich der graue Sportwagen nach wie vor an seinem Platz; er hob sich von der dunklen Umgebung kaum mehr ab.

Krause löschte das Licht in der Werkstatt und trat vor die Tür, eine altvertraute Büchse in der Hand. Den kleinen Jungen wies er zurück ins Haus.

Die Herbstnacht war still.

In der Ebene zu Füßen der waldigen Berge strahlten die Lichter von New City und seinem kleinen Flugplatz. Die betonierte Straße zog sich von dort herauf und verlief sich in den Höhen und Wäldern. Sie lag einsam und verlassen; kein Wagen bewegte sich darauf. Der Strom der Ferienreisenden war längst versiegt. Das Hotel oben in den dunkel bewaldeten Bergen hielt nur noch kleinen Betrieb aufrecht; die wenigen Lieferwagen fuhren bei Tage. Geschäftsreisende nahmen die Straßen, die den Bergstock umgingen. Krause atmete Wald und Kühle und schaute in die Dunkelheit. Er liebte es sonst, des Abends eine Stunde vor dem Haus zu stehen, aber heute liebte er es nicht. Sein Atem ging kurz.

Das Sportcabriolet, ein Zweisitzer, stand unberührt vor dem Gartenzaun, der Motor lief nicht. Stonehorn war nirgends zu sehen. Er musste im Busch unterwegs sein, oder sie hatten ihn gleich vor dem Haus überfallen und verschleppt. Möglich war in diesem Lande alles.

Krause sehnte sich manchmal nach seiner alten Heimat zurück, aus der ihn der Vater als zehnjährigen Jungen mit nach Amerika genommen hatte, und doch dachte er nie daran heimzukehren. Die Erinnerung hatte ihn auch in diesem Augenblick nur wie ein flüchtiger Flügelschlag gestreift.

Seine Augen stellten sich auf die Dunkelheit ein. Er sah Stonehorns Jacke hinter dem Wagen am Boden liegen. Nachdem Krause lange in den Busch jenseits des Weges hineingelugt hatte, erkannte er zwischen Geäst den breitkrempigen Cowboyhut.

Es blieb so still, als ob die Berge ein großes Grabmal geworden seien, das der Himmel überwölbte. Ihre Masse wirkte schwer, finster; sie drückte dem gealterten Mann auf Sinn und Herz, und er hatte Angst um Stonehorn. Während er horchte und spähte, gingen ihm noch einmal die Worte durch den Sinn, mit denen Elisha Field sich vor einer Stunde verabschiedet hatte: »Heute nacht mal sehen, wer der Bessere ist. Aber ich denke, der Leo.«

Die Worte waren an Krause vorübergeglitten, ohne dass er sie ergriff. Krause hatte für Rugby nichts übrig. Aber nun hob er die hingeworfenen Worte auf und betrachtete sie von mehreren Seiten wie einen verdächtigen Fund. Es stieß ihm auf, dass Rugby nicht des Nachts gespielt wurde und dass Leo Leonard Lee sein konnte. Frei und unverschämt hatte Elisha von Leo und von – ja wovon? – gesprochen.

Es war dem Handwerker, der noch immer vor seiner Werkstatt stand, als ob sich hoch oben am Berg zwischen Busch und Waldrand etwas bewegt habe. Vielleicht war es aufgestörtes Wild.

Krause lud durch und behielt die Büchse in der Hand. Er glaubte, im Waldtal zur Seite des buschbestandenen Hanges, der hinter dem Haus aufstieg, Schüsse zu vernehmen. Doch war die Entfernung groß, und ein Pistolenknall klang dünn. Krause konnte sich getäuscht haben.

Der Indianerjunge neben ihm hatte schärfere Ohren.

»Dad, es schießt mehr als einer. Antwortet Stonehorn? Weißt du es?«

»Ich weiß es nicht. Er hat einen Schalldämpfer.«

Durch Frage und Antwort war der Handwerker auf das Kind aufmerksam geworden. Er schickte es wieder zu Bett.

Als der Junge Gute Nacht sagte, schmiegte er sich zärtlicher an, als es sonst seine Art war.

»Hilfst du Stonehorn, Dad?«

»Wenn ich nur wüsste, wie.«

Der Junge lief ins Wohnhaus, machte aber kein Licht und verschloss auch die Tür nicht.

Es fiel ein Schuss aus einem Gewehr. Das hätte auch ein Jäger sein können.

Krause horchte wieder. Solange geschossen wurde, war Stonehorn noch am Leben. Vor dem letzten Schuss – jedenfalls – musste er noch am Leben gewesen sein.

Der Lauschende meinte, noch einmal Pistolen zu hören. Maschinenpistolen waren es nicht. Die Mordburschen wollten nicht zu auffällig arbeiten.

Es wurde wieder still. So still, wie es gewesen war, ehe die Schüsse fielen.

Stiller, weil die Schüsse verklungen waren.

Der Busch lag schwarz da, unbeweglich.

Die Sterne glänzten.

Plötzlich sprang Wind auf; es rauschte in den Wipfeln der fernen Kiefern, die Büsche neigten sich.

Krause hörte einen Schrei, der furchterregender klang als das Schreien eines Tieres. Stimme eines Mannes– Stimme einer Frau? Das Menschliche war geschwunden, nur das Entsetzen wirkte.

Es knackte im Holz wieder und wieder. Alle diese leisen, fernher klingenden Geräusche kamen von derselben Stelle. Schatten spielten dort. Im Busch waren sie handgreiflich.

»Mal sehen, wer der Bessere ist… ich denke, der Leo.«

Leonard Lee war ein Totschläger und ging nie ohne Kumpane auf Mord aus. Krause wusste es.

Der Mann schloss die Werkstatt ab und versteckte sich in seinem Wohnhaus. Im Bett saß der Junge, aufrecht, starr. Er hatte die Augen aufgerissen; wie zum Hohn spiegelte sich darin das letzte auslaufende Blinken eines Sterns.

Der Junge musste heimlich an der Tür gewesen sein. Sein ganzer Körper war noch ein Horchen.

»Dad! Sie morden Stonehorn. Du musst ihm helfen!«

Der Mann blieb die Antwort schuldig. Er hätte sagen können: »Gegen die da draußen bin ich zu alt und schon zu steif.« Er hätte sagen können: »Wir wohnen abgelegen, und ich habe viele Kunden; ich muss mich heraushalten.« Er hätte sagen können: »Stonehorn brauchte nicht im Dunkeln aus dem Haus zu gehen.«

Aber er sagte das alles nicht, weil Worte, die nichts bewirkten, überflüssig waren, und so blieb er dem Kind die Antwort schuldig.

Der Junge betete inbrünstig zu dem Gott der Indianer. Er betete leise, und schließlich hielt er die Hand vor die Lippen, um jeden Laut abzufangen.

Die geschlossene Tür ließ die Geräusche aus dem Busch nicht herein. Krause hockte sich auf die Bettkante. Die Schusswaffe behielt er durchgeladen in der Hand.

Weder der Mann noch das Kind hätten sagen können, wie lange sie so warteten. Sie vergaßen das Ticken der Kuckucksuhr.

Es klopfte dann, ohne dass sie jemanden hatten kommen hören. Je zweimal kurz hintereinander hatte jemand geklopft. Das war das Zeichen von Freunden. Wer gab sich als Freund aus?

Krause stand auf; mit steifen Knien ging er zur Tür. Er öffnete und erkannte den Schattenriss von Stonehorn; er erkannte die lange Gestalt des jungen Indianers, das schmale Gesicht, die Jacke, den Hut, das Jagdgewehr. Rasch ließ er ihn ein und verschloss die Tür hinter ihm.

Der Zurückgekehrte keuchte. Gleich neben der Tür ließ er sich auf einen Hocker fallen; die Wand gab ihm eine Rückenstütze.

Er schluckte, würgte an irgendetwas, brachte es nicht heraus, schluckte wieder.

Er fing an, seine Schusswaffen im Dunkeln zu reinigen und wieder zu laden. Es ging schnell, obgleich er die linke Hand nur zum Halten gebrauchte. Er hatte außer dem Jagdgewehr zwei Pistolen dabei. Die dritte, neue, fehlte.

Krause machte kein Licht an, nicht einmal eine Kerze.

Als die Kuckucksuhr vier Uhr gerufen und der Kuckuck sich wieder in sein Gehäuse zurückgezogen hatte, sagte Stonehorn, und das war das einzige, was er überhaupt sagte: »Also, bis jetzt war ich hier bei euch. Gute Nacht.«

»Sind keine mehr draußen? Bleib noch da, bis es hell wird.«

Der Indianer antwortete nicht. Er schaltete aber ohne Bedenken die Taschenlampe an.

Krause begleitete ihn zum Wagen. Stonehorn hinkte; überhaupt hatte sich seine Haltung verändert; die linke Schulter hing, als ob sie lose sei. Die Niethose hatte einen langen Riss. Die Jacke stand offen. Krause sah die nackte Brust; das Hemd war zerrissen. Die Augen des Indianers glänzten unnatürlich. Seine Wangen und Schläfen waren eingefallen. Er atmete noch immer durch den Mund. Alle seine Poren trieben Schweiß. Er setzte sich ans Steuer, ließ den Motor an und brachte den Wagen in Bewegung.

Krause sah ihm noch nach.

Der kleine Junge war herausgelaufen und klammerte sich an seinen Pflegevater. »Dad – wer ist das, Leonard Lee?«

»Ssst – vergiss den Namen des Teufels, Kind.«

Während Krause mit dem Jungen wieder ins Haus ging und ihn schlafen hieß, fuhr Stonehorn die Straße nach New City hinunter. Er hatte die Beleuchtung vorschriftsmäßig angeschaltet. Am Lenkrad hatte er seiner Gewohnheit entgegen nur eine Hand.

Als er schon auf weite Entfernung am Stadtrand einen Jeep der Polizei erkannte, wählte er einen Umweg und fuhr, ohne New City zu berühren, in die zur Indianerreservation führende Straße ein. Er blieb unbehelligt.

Noch ehe es tagte, hatte W.Krause die durchschossene Scheibe des Werkstattfensters herausgenommen und alle Scherben sorgfältig beseitigt. Als Elisha Field mittags sein Gewehr abholte, spiegelte bereits neues Glas im Rahmen.

Roger Sligh, M.D., Indian Hospital

Seine Vorfahren waren Mormonen, Gelehrte, Spekulanten und Farmer. Nach der Familiensaga befand sich auch ein Bandit darunter, der in einem Texas-Duell gegen seinen Rivalen umgekommen war.

Den Namen Roger Sligh trug er mit Stolz. Seinem Naturell entsprechend, hatte er schon viel von der Welt gesehen. Er hatte den Grad eines Medical Doctor und entsprechendes soziales Ansehen erreicht, die Arbeit in der Nähe von Schlachtfeldern nicht gescheut, trotz allen Chinins die Malaria durchgemacht. Sein Spezialfach war Chirurgie. Man rühmte ihn einer frischen, die Patienten aufmunternden Energie und hielt ihn für immun gegen Leidenschaften.

Welche Affäre ihn dazu veranlasst hatte, sich den Behörden des Gesundheitsdienstes zur Verfügung zu stellen und um eine Anstellung in einem Indianerhospital auf irgendeiner abgelegenen Reservation nachzusuchen, das wusste ohne Zweifel er selbst; wer aber außer ihm, blieb unbekannt. Sein verblüffender Entschluss erregte viel Kopfschütteln sowohl bei Patienten als auch bei Hospital-Unternehmern, kam für die Gesundheitsbehörden jedoch im geeigneten Augenblick.

Ein gewisser Piter Eivie hatte versetzt werden sollen, ohne dass sich zunächst eine Möglichkeit gezeigt hatte, ihn zu ersetzen. Der überraschende Wunsch von Roger Sligh bot den gewünschten Ausweg. In den Gesundheitsbehörden war man glücklich, dass ein ausgezeichneter Arzt, ein Chirurg mit enormen Privateinnahmen, sich auf einmal bereit fand, in den amtlichen Dienst und in die Öde einer Reservation zu gehen. Die Legende der Humanität und der Zivilisationsmüdigkeit schlang sich um Sligh wie die Legende einer Münze, die den ausgezeichneten Kopf umkreist.

Roger Sligh war sechs Fuß hoch und trug unauffällige Konfektionskleidung. Seine geringfügigen Extravaganzen, wie zum Beispiel seine Liebhaberei für Psychiatrie, waren typisch für ihn. In seinen Personalpapieren stand noch immer die Bezeichnung »ledig«. Die Familie Sligh war seit einem Jahrhundert vermögend. Die Einnahmen des Chirurgen in den letzten fünf Jahren gingen in die hunderttausende.

In seinem neuen Wirkungskreis, dem Indianerhospital, das auf einem Präriehügel stand, traf Sligh bei der Übernahme seiner Verpflichtungen auf keinerlei Schwierigkeiten. Sein Vorgänger hinterließ nicht nur einen gut organisierten Betrieb, sondern führte den Nachfolger auch bei dem Pflegepersonal, bei allen weißen und indianischen Angestellten in einer Weise ein, die weder Misstrauen noch Widerwillen aufkommen ließ.

Dr.Roger Sligh bezog in der Nähe des Hospitals das einstöckige Haus, das Piter Eivie bewohnt hatte und das Sligh nun als Dienstwohnung zur Verfügung stand. Er schlief in der ersten Nacht und in den folgenden Nächten ruhig und ungestört. Für seines Leibes Bedürfnisse sowie für Ordnung sorgte eine Angestellte, die schon den Junggesellen Eivie fünf Tage in der Woche von häuslichen Arbeiten entlastet hatte. Sie war eine Weiße, Frau eines Tischlers und Hausmeisters in der Verwaltungssiedlung. Roger Sligh, dessen gefahrlose und gefährliche Erlebnisse im allgemeinen von äußerlicher Natur und daher für einen gesunden, intelligenten und willenskräftigen Mann zu bewältigen gewesen waren – mochte es sich dabei um die Überwindung der Langeweile der ersten, der Krisensituation der zweiten handeln–, war wie meist mit sich zufrieden. Er hatte die Affäre hinter sich gelassen, auch in Gedanken, und vor ihm lag ein problemloses Aufgabengebiet. Er würde sich körperlich erholen, seine beruflichen Aufgaben ohne Fehl erfüllen und in keiner Weise auffallen. Ein leichter Dunst des Rufs als Sonderling, wie er Sligh jetzt umgab, konnte nicht schaden.

Okay.

Sowohl die indianischen Patienten als auch die weißen Verwaltungsbeamten sollten von dem neuen Chefarzt zufriedengestellt werden. Den Fehler seines Vorgängers, sich auf persönliche Beziehungen mit Wilden einzulassen, wollte Roger Sligh nicht wiederholen. In dieser Richtung empfand er keinerlei Versuchung. Sein Leben verlief im Schutze der Stempel »Leitender Arzt des Indian Hospital« und »Junggeselle ohne besondere Ambitionen« wieder glatt und geräuschlos.

So verhielt er sich bis zu jenem Tage, an dem der bewegungsunfähige Indianer eingeliefert wurde.

Später, als dieser Tag eine Bedeutung gewonnen hatte, die ihn aus der Kette anderer Tage heraushob und zum Merkzeichen gewisser Erinnerungen machte, musste sich Roger Sligh, M.D., eingestehen, dass er des Morgens beim Erwachen von den kommenden Ereignissen und Eindrücken noch nicht das geringste geahnt hatte.

Es war Ende Oktober. Der nachtklare Himmel bezog sich am Morgen. Regen nieselte über die endlose Einsamkeit des gelbgrauen Graslandes. Das Hospital hatte schon geheizt. In den Blockhütten und Holzhäusern der Indianer brannten die Öfen noch nicht, um zu wärmen, sondern nur wie immer als Ersatzherde. Auf den Ranches stand das Vieh unlustig beisammen. In den Bachbetten, die im Sommer ausgetrocknet waren, sammelte sich wieder Wasser.

Roger Sligh frühstückte ham and eggs. Den Tee liebte er sehr stark. Seine Haushälterin hatte sich daran gewöhnt, Dr.Sligh auch in dieser Beziehung stets zufriedenzustellen. Milch kam nicht auf den Tisch, auch kein Zucker. Nach dem Frühstück blieb Zeit, die »New York Times« und die »New City News« zu lesen, um sowohl an den Interessen der großen Welt als auch an denen der Provinzstadt, die für einen Autofahrer nicht allzu weit von der Reservation abgelegen war, teilzunehmen.

Es gab keine Neuigkeiten, die Roger Sligh hätten bewegen, geschweige denn seine Welt aus den Angeln heben können. Sligh begann, innerlich von der privaten in die dienstliche Atmosphäre umzuschalten, sobald er seinen Mantel angelegt hatte und am Steuer saß. Die Entfernung zum Hospital betrug etwa dreihundert Schritt. Es wäre befremdend gewesen, sie zu Fuß zurückzulegen. Sligh pflegte nichts zu tun, was dem stillschweigenden gesellschaftlichen Übereinkommen nicht entsprach. Er lenkte seinen neuen Pontiac zum Parkplatz hinter dem Krankenhaus, begab sich über den kiesbestreuten Vorplatz zum Hauptportal, trat ein, suchte sein Zimmer auf und begann seine Arbeit mit den ersten Visiten. Eine indianische Säuglings- und Fürsorgeschwester, die für diesen Zweck von einem Teil ihres Dienstes befreit war, begleitete ihn als Dolmetscherin.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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