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Kate und Cass sind Freundinnen seit Kindertagen, die eine kennt die Herzensgeheimnisse der anderen. Und auch als beide den Mann fürs Leben gefunden haben und Familien gründen, sieht es zunächst so aus, als sollte sich daran nichts Wesentliches ändern.
Doch dann geschieht ein tragisches Unglück, dass nicht nur ihre Freundschaft gefährdet ...
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Seitenzahl: 726
Cover
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Danksagung
Prolog
Teil 1
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Teil 2
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Teil 3
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Teil 4
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Marcia Willett, in Somerset geboren, studierte und unterrichtete klassischen Tanz, bevor sie ihr Talent für das Schreiben entdeckte und sich zu einer außergewöhnlichen Erzählerin entwickelte, die THE TIMES als »eine authentische Stimme ihrer Zeit« feierte. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann in Südengland, dem Schauplatz vieler ihrer Romane.
Marcia Willett
JENE JAHREVOLLER TRÄUME
Roman
Ins Deutsche übertragen vonMichaela Link
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Deutsche Erstveröffentlichung
Titel der englischen Originalausgabe: Those Who Serve
© 1995 by Marcia Willett
© für die deutschsprachige Ausgabe 2008/2014 by
Bastei Lübbe GmbH AG, Köln
Lektorat: Dorothee Cabras
Titelillustration: Mauritius Images/Edmund Nägele
Einbandgestaltung: Tanja Østlyngen
E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-0152-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Für Roddy
Mein Dank gilt Cate Paterson, meiner Lektorin,die sich bei der Geburt dieses Buches als Hebammeverdient gemacht und mir durch die Wehengeholfen hat.
1981
Cassandra Wivenhoe stand vor dem offenen Grab und sah zu, wie der Sarg ihrer Tochter in die Erde von Devon hinabgelassen wurde. Sie schob die Hände in die Taschen ihres dunkelgrauen Wollkostüms und schluckte mehrmals. Sie durfte einfach nicht an Charlotte denken, die dort allein und schutzlos lag: Schon bald würden sie sie auf dem windigen Moorfriedhof zurücklassen müssen.
»Du, Herr, kennst die Geheimnisse unserer Herzen …«
Die Geheimnisse unserer Herzen! Cass hob den Kopf und sah Kate Webster in die Augen, ihrer ältesten und engsten Freundin, deren mitfühlender Blick Cass stärkte und ihr ein klein wenig Halt gab. Sie blinzelte gegen die Tränen an und rief sich Kates Worte ins Gedächtnis: »Wenn du weiter russisches Roulette spielst, wirst du eines Tages die Kugel abbekommen.«
Aber ich wollte nicht, dass ein anderer leidet, rief Cass lautlos. Nicht meine Kinder! Nicht Charlotte! Sie war doch erst fünfzehn!
»Dass Er die Seele unserer lieben Tochter annehmen möge …«
Ohne dass Cass es wollte, überlagerten andere Bilder die Friedhofsszene. Charlotte als Baby, als kleines Kind, wie sie mit Kates Zwillingen spielte, als größeres Mädchen, wie sie in einer viel zu weiten Schürze kochen lernte – das Gesicht ernst und aufmerksam –, Charlotte auf ihrem Pony und dann als schüchterner, unbeholfener Teenager …
Nein!, schrie die Stimme in Cass’ Kopf. Ich kann es nicht ertragen! Es ist einfach unerträglich!
»… Erde zu Erde …«
Feuchte, schwarze Moorlanderde landete mit einem leisen, dumpfen Aufprall auf dem hölzernen Deckel.
Sie riss den Kopf hoch und sah Kate abermals in die Augen. Dann bemerkte sie, dass Kate die Hände zu Fäusten geballt hatte, und sie wusste, ihre Freundin versuchte, ihr etwas von ihrer eigenen Kraft zu senden.
Cass schluckte, ihr Gesicht zuckte mitleiderregend, und sie nickte Kate kaum merklich zu.
»… in der festen und gewissen Hoffnung auf die Wiederauferstehung …«
Ungebeten überschlugen sich in Kates Gedächtnis die Erinnerungen: so viele Szenen und Gespräche, ein ganzes Leben, das sie schließlich an einem stürmischen Herbstnachmittag auf diesen Friedhof gebracht hatte. Durch ungeweinte Tränen und eine lange geteilte Vergangenheit blickte Kate zurück.
1964–1968
Die Isle of Wight schien geisterhaft auf einem Meer aus flüssigem Glas zu treiben. Eine schwache, bleistiftfeine, silberne Linie deutete den Horizont an, wo er mit einem einförmig grauweißen Himmel verschmolz. Der spätherbstliche Nachmittag hatte etwas Helles, einen sanften Schimmer, ein Versprechen auf Sonnenschein, das noch der Erfüllung harrte. Kate, die langsam über den Strand von Stoke’s Bay schlenderte, passte sich nach und nach an die neue Umgebung an. Diese flachen, kiesigen Ufer und die breiten Promenaden mit den dahinterliegenden weiten Grasflächen schienen Kate zu zähmen, die an die sandigen Strände, die Felsvorsprünge und die hoch aufragenden Klippen der Westküste gewöhnt war. Hier betrug sich sogar das Meer zivilisierter. Es lag still da, zog sich gelassen zurück und kam bescheiden wieder näher, ganz anders als im Norden der kornischen Küste, wo es sich wild und lärmend gebärdete.
Kate blickte in die Schutzhütten, die entlang der Promenade standen. Sie erkannte allmählich die ältlichen Stammgäste; sie saßen da wie Spinnen, die darauf warteten, das unschuldige Opfer mit einem freundlichen kleinen Nicken und einem auf tapfere Weise mitleiderregenden Lächeln in die Falle zu locken. Sie waren natürlich einsam, genau wie Kate, aber sie wusste, wenn sie sich zu nahe heranwagte, würde sie von einem beiläufigen Gruß in einem Netz banaler Gespräche gefangen werden, das der Wind unausweichlich um ihre Unabhängigkeit schlingen würde, um die Freiheit ihres Weges zu beschneiden. Beinahe war es eine Versuchung. Es würde ihr ein gewisses Gefühl von Kameradschaft schenken, müßig und halb betäubt von dem sanften Summen der Erinnerungen anderer Menschen dazusitzen, wohl wissend, dass jeder halbherzige Fluchtversuch durch den klebrigen Strom der Worte um sie herum erstickt werden würde.
Kate verhärtete ihr Herz und wandte den Kopf ab. Ihr Mann, Mark, war für sieben Wochen auf See, und sie stand noch in der ersten dieser Wochen. Bei der Erinnerung an all die Ratschläge und Warnungen, die sie vor fast zwei Monaten an ihrem Hochzeitstag von wohlmeinenden Freunden erhalten hatte, reckte Kate das Kinn vor und schob die Fäuste noch tiefer in die Taschen ihres Dufflecoats. Sie hatte nicht die Absicht, beim ersten Mal, da das U-Boot in See stach, ihre Niederlage einzugestehen und nach Hause zu eilen, obwohl es ihr geholfen hätte, wenn sie vor Marks Abfahrt einige andere Leute in Alverstoke kennengelernt hätte. Er kannte aber auch niemanden. Wie hätte es auch anders sein können, da er direkt vom Britannia Royal Naval College und den Kursen des vierten Studienjahrs zur HMS Dolphin gekommen war, der U-Boot-Basis in Gosport?
Während sie zusah, wie die Fähre zur Isle of Wight sich hinter der Seemauer, einem Steinwall zum Schutz gegen das Meer, durch die Wellen pflügte, wehrte Kate sich nicht länger gegen die Erkenntnis, dass sie ihre beste Freundin schrecklich vermisste. Als Zwölfjährige waren sich Cassandra und sie das erste Mal begegnet; es war im Internat an der Nordküste von Somerset am Rand der Quantock Hills gewesen. Sofort und ohne Umwege hatten sie Freundschaft geschlossen. Kate kam aus einem Zuhause, das schier überquoll von Brüdern, einer Schwester und mehreren Hunden; ihre großzügigen Eltern standen der Familie auf liebevolle Weise vor. Sie hatte mit großen Augen zugehört, wenn Cass, ein Einzelkind, über Kinderfrauen, Armeequartiere und ihren Vater – inzwischen ein General – gesprochen hatte, der nach dem Tod ihrer Mutter bei einem Autounfall mit seiner Weisheit am Ende war.
»Gerüchten zufolge«, offenbarte Cass Kate, während sie in einen verbotenen Doughnut biss, »wollte sie mit ihrem Geliebten durchbrennen.«
Kates Augen wurden noch runder. »Meine Güte!«, flüsterte sie. »Aber kann man denn durchbrennen, wenn man bereits verheiratet ist?«
Cass zuckte die Schultern; die Einzelheiten waren unwichtig. Sie leckte etwas Marmelade auf. »Na schön, dann sind sie eben weggelaufen. Wie dem auch sei, den Wagen konnten wir abschreiben. Ich kann mich im Grunde nicht an sie erinnern. Ich war erst zwei.«
»Dein armer Vater.«
»Er war am Boden zerstört, der arme alte Schatz. Und er weiß einfach nicht, was er mit mir machen soll, jetzt, da ich erwachsen werde. Deshalb hat er mich für die nächsten fünf Jahre hierhergeschickt, mitten ins Nirgendwo. Er denkt, hier sei ich sicher vor Versuchungen.«
Die Art, wie sie das Wort aussprach, gab ihm den Ruch von Aufregung und Verheißung. Etwas, das man erstreben sollte, statt es zu meiden.
Die fünf Jahre waren verstrichen; zuerst waren sie geprägt gewesen von Schwärmereien für Cliff Richard und Adam Faith, dann von quälender Verliebtheit in Brüder anderer Mädchen. Sie hatten Lacrosse und Tennis gespielt und waren reiten und schwimmen gegangen. Sie hatten ihre Prüfungen, so knapp es ging, bestanden, sich über Babyspeck und Pickel gegrämt, und eines Tages waren sie dann aufgewacht, und alles war vorüber gewesen. Die Schultage, die sich so endlos vor ihnen dahingestreckt hatten, gehörten jetzt der Vergangenheit an.
»Aber wir werden in Verbindung bleiben.«
Sie standen gemeinsam in dem Arbeitszimmer, das sie sich das letzte Jahr geteilt hatten. Ihre Sachen waren gepackt, die Regale und Schreibtische ausgeräumt. Sie sahen einander an. Cassandra, blauäugig, hochgewachsen und mit vollen Brüsten, trug das lange blonde Haar zu einem französischen Zopf geflochten und wirkte mit einem Twinset aus Kaschmir, einem dunkelblauen Faltenrock und einer Perlenkette sehr elegant.
Kate grinste. »Erinnerst du dich, wie wir uns aus der Schule geschlichen haben, um Expresso Bongo zu sehen?«
»Und weißt du noch, dieses Jahr, in dem ich zwölf rote Rosen und eine Valentinskarte von Moiras Bruder bekommen habe und sie beschlagnahmt wurden?«
Sie brüllten vor Lachen.
Kate mit ihrem Mopp ungebärdiger, brauner Locken und den grauen Augen war kleiner und untersetzter als ihre Freundin und versuchte gar nicht erst, elegant zu wirken. Sie trug ein honigfarbenes Tweedkostüm, Heimreisekleider.
Sie umarmten einander und mochten gar nicht mehr loslassen.
»Du musst zu Besuch kommen. Wir werden Unmengen Spaß haben.«
Schließlich lösten sie sich voneinander. Cass fuhr zur Wohnung ihres Vaters nach London, um sich ein Jahr lang zu entspannen und – sehr vage – darüber nachzudenken, sich irgendeine Art von Job zu suchen. Kate reiste heim nach Cornwall, um – sehr widerstrebend – dem Gedanken an die Teilnahme an einem Hauswirtschafts- oder Stenografie- und Maschineschreibkurs näherzukommen. Beide dachten allerdings sehr ernsthaft darüber nach, sich zu verlieben und zu heiraten.
Auf einer Party kaum ein Jahr später lernte Cass Tom Wivenhoe kennen, einen Seekadetten in seinem letzten Jahr am Britannia Royal Naval College, und kurz darauf erhielt Kate einen Anruf.
»Ich bins. Wie läuft es im Schreibmaschinenkurs?«
»Grässlich. Schrecklich. Wie geht es dir?«
»Ging mir noch nie besser. Hör mal, ich habe einen umwerfenden Typen kennengelernt. Also! Wie wärs, wenn du zu dem Sommerball in Dartmouth kommen würdest? Du weißt schon, das Marine-College.«
»Ist das dein Ernst? Die Eintrittskarten sind wie Goldstaub!«
»Aha! Vertrau deiner Feenpatentante. Du kommst zum Ball, Cinderella.«
»Aber wen soll ich …?«
»Tom hat einen Freund namens Mark Webster. Seine Partnerin hat sich das Bein gebrochen oder so etwas, und er hat niemand anderen. Er ist nett. Ehrlich. Ein bisschen still, aber groß und gut aussehend. Wie wärs damit? Wir nehmen uns ein Doppelzimmer im ›Royal Castle‹. Es wird genauso sein wie in der Schule. Was sagst du dazu?«
»Oh, Cass …«
Ein Jahr später, nach den Abschlusskursen des vierten Jahrs und einer ungebrochenen Abfolge von Bällen, Damenabenden und Partys waren sie beide verheiratet. Cass und Tom heirateten im August mit Kate als Brautjungfer. Zwei Wochen später waren dann Kate und Mark an der Reihe mit Cass als Ehrendame. In einer Woge aus weißer Seide, das Donnern der Orgel in den Ohren und eine Vision ehelicher Wonnen in den verzückten Augen, schritten sie unter den Bögen von Marineschwertern hinaus in den Sonnenschein eines Lebens, in dem sie glücklich sein würden bis ans Ende ihrer Tage.
Nach ihrer Rückkehr aus den Flitterwochen waren Kate und Mark in eine möblierte Erdgeschosswohnung in einem entzückenden georgianischen Reihenhaus in dem Dorf Alverstoke gezogen, eine Straße vom Strand entfernt. Kate hatte viele glückliche Stunden darauf verwandt, die Wohnung so behaglich und heimelig zu gestalten, wie sie es mit ihren wenigen Besitztümern nur vermochte, während Mark jeden Tag auf die Dolphin ging, um seine Zusatzausbildung für die U-Boot-Flotte zu vollenden. Er war inzwischen gerade so lange Leutnant zur See, dass der einzelne Goldstreifen um beide Manschetten seine offenkundige Neuheit verloren hatte.
Cass und Tom wohnten ebenfalls in Alverstoke. Tom war der einzige andere verheiratete Mann in dem Kursus, und er und Mark fühlten sich zueinander hingezogen – allerdings mehr aufgrund ihres Status als Frischverheiratete und der langen Freundschaft zwischen ihren Frauen als aufgrund irgendwelcher Ähnlichkeiten in ihrem Charakter oder ihrer Lebenseinstellung. Sie wirkten ernsthafter und verantwortungsbewusster als die übrigen Mitglieder des Kurses, die in der Offiziersmesse lebten und deren Hauptgesprächsthemen noch immer Partys, Mädchen und Verabredungen für abendliche Trinkgelage im Pub waren. Die vier jungen Leute kamen oft zu zwanglosen Abendessen in Kates und Marks Wohnung oder in Cass’ und Toms Cottage zusammen, und manchmal trafen sie sich sonntags morgens auf ein Bier im »Anglesea Arms«. Tom und Cass hatten oft auch andere Mitglieder des Kurses zu Besuch und bewirteten sie mit Currygerichten, aber als Kate zaghaft vorschlug, sie könnten die anderen auch in ihre Wohnung einladen, sagte Mark, er habe schon tagsüber wahrhaftig genug von seinen Kollegen, vielen Dank. Und obwohl Cass und Tom eine Menge Spaß zu haben schienen, freute Kate sich darüber, dass Mark mit ihrer Gesellschaft zufrieden war.
Für Kate hatte das Leben als Ehefrau eines Marineoffiziers weitaus mehr Glanz und Verantwortung, als es beispielsweise das an der Seite eines Arztes oder Pfarrers gehabt hätte. Ihre Mutter – und andere Frauen – hatten sie vor der Einsamkeit gewarnt, die ihr bevorstand, vor den Schwierigkeiten, die in Notfällen auf sie zukamen. Auch würde es nicht leicht sein, von einem Stützpunkt zum nächsten zu ziehen, und das häufig allein. Sie war stolz darauf, dass sie »ihren Beitrag leisten« und Opfer bringen würde, damit Mark eine anspruchsvolle Arbeit tun konnte, bei der es sich um Fragen der nationalen Sicherheit handelte, während er gleichzeitig die Annehmlichkeiten und die Unterstützung einer Familie im Hintergrund hatte, zu der er zurückkehren konnte.
Trotzdem dämmerte Kate inzwischen, wie überaus lang ein Tag sein konnte. Es war so schwierig, sich zu beschäftigen. Sie war immer eine Frühaufsteherin gewesen, und es war ihr unmöglich, die Vormittage im Bett zu vertrödeln. Sie entfachte im Kohleherd ein Feuer und verbrachte so viel Zeit wie möglich mit ihrem Bad und dem Frühstück. Wenn es bereits halb neun war, bevor sie alles erledigt hatte, war sie zufrieden mit sich, aber es galt noch immer zwölf lange, leere Stunden zu füllen, bevor sie sich wieder fürs Bett zurechtmachen konnte. Es war so wenig Aufwand, für sich selbst zu sorgen, dass sie die Neigung entwickelte, vieles aufzuschieben, bis so viel liegen geblieben war, dass es sich endlich lohnte, überhaupt mit der Arbeit anzufangen. Die Zubereitung des Essens dauerte nur Minuten – kunstvolle Mahlzeiten für sich allein benötigte sie nicht –, und das Essen selbst ging noch schneller, und während sie aß, las sie stets in einem Buch. Als das Boot in See gegangen war, hatte sie die Möglichkeit erwähnt, sich einen Teilzeitjob zu suchen, aber Mark hatte sich sofort dagegen ausgesprochen: Er wollte, dass seine Frau zu Hause war, wenn das Boot im Hafen lag, nicht irgendwo bei der Arbeit.
»Du kommst doch gewiss für einige Wochen allein zurecht, oder?«, hatte er gesagt. »Schließlich sehen wir einander auch so schon selten genug.«
Kate war eifrig darauf bedacht, das Ihrige zu tun – außerdem war sie zu diesem Zeitpunkt in ihrem ganzen Leben noch nie allein gewesen. Also hatte sie ihm beigepflichtet. »Ich werde wunderbar klarkommen, Schatz«, hatte sie versichert und den Gedanken an einen Job unverzüglich über Bord geworfen.
Am Ende seines Kurses wurde Mark als Fünfter Wachoffizier auf eins der älteren, konventionellen Boote versetzt, wo er für die Aufgaben eines Deckoffiziers und den Bürodienst des Kommandanten verantwortlich sein würde. Es war ein stolzer, feierlicher Augenblick – der Ernst des Lebens hatte endlich begonnen. Wenige Wochen später war das Boot nach Norwegen ausgelaufen, um dort »Flagge zu zeigen«. Toms Karriere war bis zu diesem Zeitpunkt nach gleichem Muster verlaufen, und als sein Boot nach Middlesborough auslief, war Cass nach Devon geeilt, um ihrem inzwischen pensionierten Vater zu helfen, sich in seinem neuen Haus am Rand des Dartmoors einzurichten.
Kate machte weiter wie bisher. Marks Briefe kamen in unregelmäßigen Abständen, und sie erfuhr, dass es schwierig war, von einem U-Boot aus Briefe abzusenden, sofern es nicht im Hafen lag. Gelegentlich traf ein Hubschrauber das Boot, um Post abzuholen und auszuliefern, und dann kam ein Brief von Mark, in dem er ihr erzählte, dass er sie schrecklich vermisse und sich auf seine Heimkehr freue. Er schrieb nur sehr wenig über sein Leben an Bord, aber das störte Kate nicht. Es war so schön, von ihm zu hören, den Umschlag mit der vertrauten Handschrift auf dem Boden im Flur liegen zu sehen. Wenn sie das Haus verließ, trug sie ihn bei sich, um ihn in einer der Schutzhütten an der Promenade oder in dem kleinen Café im Dorf wieder und wieder zu lesen. Sie fühlte sich dann weniger einsam, wenn sie die anderen Frauen beim Kaffee mit ihren Freundinnen schwatzen sah.
Als Kate nun in die Gegenwart zurückkehrte, stellte sie fest, dass sie Hunger hatte, und sie wandte sich vom Meer ab und ging zurück zu der Straße, die in weitem Bogen am Meer entlang und dann wieder ins Dorf führte. Während sie in den Crescent einbog, fuhr ein kleiner Wagen an ihr vorbei und hielt vor ihrem Tor. Kate beschleunigte ihren Schritt. Die Fahrerin des Wagens stieg aus, öffnete das Tor und trat hindurch. Es konnte eine Besucherin sein, die zu einer der Wohnungen im oberen Stock oder im Keller wollte, aber Kate betete, dass sie zu ihr wollte. Es würde die reinste Wonne sein, einmal anderswo als an einer Ladentheke oder im Bus mit jemandem reden zu können. Sie beeilte sich, das Haus zu erreichen. Als die fremde Frau hörte, wie das Tor geöffnet wurde, drehte sie sich zu Kate um. Sie war klein und zart, mit sandfarbenem, federweichem Haar und Sommersprossen auf dem blassen, schmalen Gesicht, und sie trug Segeltuchhosen und Pullover. In den Augen der neunzehnjährigen Kate wirkte sie sehr reif, mindestens wie achtundzwanzig.
»Hallo!« Die Unbekannte kam lächelnd auf Kate zu. »Sind Sie vielleicht Kate Webster? Bitte sagen Sie, dass Sie es sind. Oh, gut!«, fügte sie hinzu, als Kate atemlos nickte. »Meine Aufgabe besteht darin, Sie aufzuspüren und zum Tee mit nach Hause zu nehmen. Ich habe gerade erst von Ihnen erfahren.« Aus ihrem Munde klangen die Worte so, als wäre Kate eine eben erst neu entdeckte Spezies. »Ich habe heute Morgen einen Brief von Simon bekommen; er schreibt, niemand wisse, dass Sie hier sind. Es war wirklich nicht richtig von Mark, einfach abzuziehen, ohne Sie hier mit den anderen Offiziersfamilien bekannt zu machen. Doch er ist noch unerfahren, daher werden wir ihm verzeihen müssen. Ich bin Mary Armitage.«
Kates Hand wurde energisch und ausgiebig geschüttelt. Marys Lächeln schien eher von der grimmigen Sorte zu sein und nichts Fragendes oder Abschätzendes zu haben, dachte Kate. Aber gleichzeitig erfüllte das Erscheinen dieser Frau sie mit einiger Furcht. Simon Armitage war Erster Wachoffizier auf Marks Boot, und eines wusste sie ziemlich sicher: Wenn ein U-Boot-Kommandant in den Augen seiner untergebenen Offiziere Gott war, so war der Erste Wachoffizier der Erzengel Gabriel. Sie betete, dass Mary nicht mit hineinkommen wollte. Jetzt, da Mark auf See war, war der Haushalt ihr nicht mehr wichtig, und sie konnte sich vorstellen, dass Mary Simon von den Spinnweben berichten würde, von dem Stapel nicht gebügelter Kleidung und dem Mangel an Kuchen oder Keksen. Mary ging jedoch bereits wieder den Pfad hinunter.
»Darf ich Sie vielleicht entführen? Ich muss zuerst meinen Sohn von der Schule abholen, und ich wage es nicht, mich zu verspäten. Das erste Trimester und all das … Danach können wir zu mir nach Hause fahren und Tee trinken. Ich kann Sie später wieder herbringen, obwohl Sie, um ehrlich zu sein, den Weg zu Fuß in zehn Minuten schaffen könnten.«
Kurz darauf fand Kate sich in Marys Wagen auf dem Weg zur Schule wieder.
»Das ist sehr nett von Ihnen«, begann sie schüchtern. »Ich habe mich schon darauf gefreut, einige der Ehefrauen von Marks Kameraden kennenzulernen. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob irgendjemand in der Nähe des Stützpunkts wohnt.«
»Sie armes Kind. Sie werden sich schon an Bord zurechtfinden.« Mary klang wie eine sehr erfahrene Pfadfinderin, als sie Kate nun den Arm tätschelte. »Es gibt jede Menge Ehefrauen kennenzulernen, und deren Männer sind alle genau wie Ihrer auf See. Sie brauchen hier nicht einsam zu sein.«
»Aber ehrlich, Cass, genau das hat sie gesagt: ›sich an Bord zurechtfinden‹. Als Nächstes wird sie vorschlagen, dass ich einen Knotenkurs belege, habe ich gedacht. Aber so reden sie eben.«
Kates Erleichterung über den Anblick ihrer alten Gefährtin war überwältigend gewesen. Cass und Tom wohnten, wie gesagt, ebenfalls im Dorf Alverstoke, in einem winzigen Cottage nahe der Kirche, und gleich nach Cass’ Rückkehr aus Devon war Kate zu ihr geeilt. Ihre neuen Freundinnen waren nur allzu gern bereit, sie in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, doch Kate erkannte schon jetzt, dass ein hohes Maß an Anpassung erwartet wurde, und das fand sie ziemlich beängstigend. Umso wohltuender war es jetzt, Cass zuzusehen, wie sie zum Tee höchst unpassende Dinge auf den alten Kiefernholztisch in der Ecke des Wohnzimmers häufte – Kartoffelchips, Wurstbrötchen und gekauften Schokoladenkuchen. Kate dachte an Mary Armitages selbst gebackene Scones und Kuchen und ihre selbst gemachten Marmeladen, und ein gewaltiger Druck fiel von ihr ab. Wenn sie mit Cass zusammen war, hatte sie das Gefühl, endlich aus einem engen Korsett zu schlüpfen oder einen drückenden Schuh vom Fuß zu schleudern.
»Ich weiß genau, was du meinst.« Cass stopfte sich einige Chips in den Mund. »Tom sagt, es sei ein Wunder, dass einige von ihnen nicht Streifen auf ihren Handtaschen haben. Du weißt schon, diejenigen, die ein Gespräch beginnen mit: ›Und was ist Ihr Mann?‹ Nicht ›wer‹, sondern ›was‹. Na schön. Wir werden wahrscheinlich genauso werden, wenn wir alt sind.«
»Das hoffe ich nicht!« Kate blickte entsetzt drein. »Was für ein schrecklicher Gedanke. Ich wünschte nur, es gäbe mehr Ehefrauen in unserem Alter.«
»Tom und Mark haben sehr jung geheiratet. Das ist ganz und gar nicht üblich. Wie dem auch sei, so macht es viel mehr Spaß. Denk doch nur an all die Männer, die noch nicht vergeben sind! Welch ein Segen, wenn Tom auf See ist!« Cass verschwand in der winzigen Küche, um Tee zu kochen.
»Du bist gerade mal fünf Minuten verheiratet.« Kate lehnte sich gegen den Türknauf, um sie zu beobachten.
»Das weiß ich, aber du musst an den Grundsatz der Marine denken. Allzeit bereit!«
»Das sind die Pfadfinder.« Kate schlenderte zurück, setzte sich an den Tisch und griff nach einem Wurstbrötchen.
»Oh, hm. Ist dasselbe.«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall. Und du hast alle Chips aufgegessen, du Biest.«
»Hab ich nicht.« Cass stellte die Teekanne auf den Tisch. »Hier sind sie. Hör zu. Heute Abend ist Happy Hour auf der U-Boot-Basis. Wie wärs, wenn wir hingehen würden?«
»Was? Ohne unsere Männer?«
»Mit ihnen können wir ja wohl kaum hingehen, oder, Schätzchen? Sie sind Hunderte von Meilen entfernt.«
»Aber wir können nicht einfach allein hingehen.«
»Natürlich können wir das. Als wir mit den Männern da waren, waren viele Ehefrauen allein da. Warum auch nicht? All ihre Freunde sind dort. Das ist einer der Vorteile, wenn man die Dolphin gleich um die Ecke hat. Dort kann man hingehen, wenn unsere Männer auf See sind. Wie zu den Curryessen am Sonntag nach der Kirche. Alle verstehen es, wenn man allein auftaucht. Darum geht es ja gerade. Es ist, als gehörte man zu einer großen Familie. Ich werde nicht anfangen, mich wie eine Nonne zu benehmen, nur weil Tom auf See ist.«
»Aber wird jetzt, nachdem der Spezialisierungskursus vorbei ist, überhaupt noch jemand dort sein, den wir kennen? Alle Männer, die an dem Kursus teilgenommen haben, sind inzwischen auf ihre Boote versetzt worden, und keiner von ihnen war verheiratet. Alle werden viel älter sein als wir.« Kate war sich sehr sicher, dass Mark ein solches Tun zutiefst missbilligen würde.
»George Lampeter wird zum Beispiel dort sein. Ich habe ihn im Dorf gesehen. Sein Boot ist anscheinend für einige Wochen im Hafen. Er meinte, es ginge in Ordnung. Er wird später kommen, um uns abzuholen.«
»Oh, hm.« Kate zögerte. George war mit Tom und Mark auf dem British Royal Naval College gewesen, und sie waren alle gute Freunde. Dagegen würde Mark doch gewiss nichts einzuwenden haben? Die Abende waren so lang und leer, und es würde wirklich Spaß machen.
»Also?« Cass zog die Augenbrauen hoch. »Du hast es beruhigt, ja?«
»Was soll ich beruhigt haben?«
»Dein schreckliches Gewissen. Es muss die Hölle sein, sich ständig über irgendetwas Sorgen zu machen. Gott sei Dank habe ich kein Gewissen!«
Mary Armitage bestand darauf, dass Kate sie zu dem Boot begleitete, als es schließlich auf der U-Boot-Basis anlegte. Mittlerweile hatte Kate auf die harte Tour erfahren, dass eine geschätzte Ankunftszeit tatsächlich genau das war – eine grobe Schätzung – und dass man sich auf keinen Fall darauf verlassen konnte. Zu ihrer großen Überraschung und Freude hatte sie herausgefunden, dass das U-Boot an Marks Geburtstag zurückerwartet wurde, und sie hatte beschlossen, seine Heimkehr zu etwas wahrhaft Besonderem zu machen. An dem Tag, bevor sie ihn erwartete, ging sie mit einer Einkaufsliste für das Geburtstagsessen ins Dorf: Es sollte Steak und Pilze geben und dazu eine Flasche von Marks Lieblingswein. Sie ging in die Metzgerei.
»Ich hätte gern Filetsteaks, bitte. Genug für zwei Personen.«
»Jetzt wollen Sie es aber wissen, was?« Der Metzger strahlte sie an; er war es gewohnt, dass sie ein halbes Pfund Hackfleisch bestellte, ein einziges Lammkotelett oder einige Scheiben Schinken. Er war ein väterlicher Typ und hatte immer Mitleid mit den jungen Marinefrauen, die sich hier ohne echtes Zuhause und ohne ihre Familien mühten, allein zurechtzukommen. Jetzt beugte er sich über die Theke und stützte sich auf Hände, die fast so rot waren wie das Fleisch in seinem Schaufenster. »Sie haben wohl etwas zu feiern, wie? Ihr Mann kommt nach Hause?«
»Ja. Morgen.« Sie strahlte zurück.
»War er lange weg?« Er warf das Fleisch auf die Arbeitsfläche, schnitt zwei dicke Scheiben ab und legte sie auf die Waage.
»Zwei Monate.« Sie versuchte erfolglos, ihren Stolz darüber zu verbergen, dass sie so lange Zeit allein zurechtgekommen war.
Augenzwinkernd gab er ihr das Päckchen und ihr Wechselgeld. »Dass Sie es mir ja nicht zu lange braten«, sagte er.
Wieder daheim, verstaute Kate ihre Einkäufe und putzte gründlich die Wohnung. Sie bezog das Bett frisch und bereitete das Feuer in dem Kamin im Wohnzimmer vor. Wie Cass hatte sie nur den einen großen, eleganten Raum, aber zumindest bot ihre Küche genug Platz, um darin zu essen. Zu diesem Anlass polierte Kate jedoch den großen Mahagonitisch im Wohnzimmer und holte ihre Kerzenständer hervor. Als alles fertig war, nahm sie ein Bad, wusch sich das Haar und schlenderte dann von Zimmer zu Zimmer, vollauf beschäftigt mit der Frage, ob sie irgendetwas vergessen hatte.
Sie ging früh zu Bett und lag lange wach; ihr war beinah übel vor Aufregung. Bei dem Gedanken, Mark wiederzusehen, befiel sie eine furchtbare Schüchternheit. Es war, als wäre er ein Fremder für sie geworden, und sie konnte sich kaum an sein Gesicht erinnern. Dafür erinnerte sie sich nur allzu gut an ihre erste Begegnung in der Bar im »Royal Castle« in Dartmouth, als er und Tom gekommen waren, um sie zu dem Ball im College abzuholen. Sie hatten so festlich und glanzvoll ausgesehen in ihren Gala-Uniformen. Mark war zur Theke gegangen, um ihnen etwas zu trinken zu holen, und Tom und Cass hatten miteinander geplaudert wie alte Freunde. Kate fand Mark mit seinem hohen Wuchs, dem dunklen Haar und dem guten Aussehen viel interessanter als den kleinen, untersetzten Tom mit dem braunen, dichten und leicht gewellten Haar. Mark war eindeutig der ruhigere und ernstere der beiden, und Kate fühlte sich ziemlich geschmeichelt von seinem Interesse. Nach drei Jahren militärischer Ausbildung wirkten beide jungen Männer deutlich reifer als ihre Altersgenossen im zivilen Leben.
Ihre späteren Begegnungen hatten diesen Eindruck unterstrichen, obwohl Kate in dem Jahr vor ihrer Hochzeit niemals lange genug mit Mark zusammen gewesen war, um herausfinden zu können, was unter der Tünche lag, die die Marine ihm beschert hatte. Sie und Cass waren zu Bällen und Partys gegangen, und dem allen hatte eine Aura von Glanz, Aufopferungsbereitschaft und sogar Gefahr angehaftet. Sie waren so stolz darauf gewesen, ihre beiden jungen Männer zu begleiten, die bereit waren, ihr Leben für ihr Land hinzugeben.
Kate erinnerte sich auch an ihre ersten unbeholfenen Versuche, sich zu lieben. Mark hatte einmal mit seinen verschiedenen sexuellen Erfahrungen in Schweden geprahlt, was das Ganze nicht eben vereinfacht hatte; Kate war daraufhin nur umso scheuer gewesen und erfüllt von der Angst vor ungünstigen Vergleichen, die er anstellen könnte. Erst hinterher wurde ihr klar, dass all die Prahlerei auch Mark nichts genutzt hatte, da er ebenso ungeschickt und nervös gewirkt hatte wie sie. Während sie nun in die Dunkelheit starrte, versuchte sie, ihn sich an ihrer Seite vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. Sie würden wieder ganz von vorn anfangen müssen. »Es wird so sein, als erlebtet ihr jedes Mal neue Flitterwochen, wenn Mark nach Hause kommt«, hatte ein Gast auf der Hochzeit gesagt, und damals hatte das sehr aufregend geklungen. Jetzt ängstigte es sie nur.
Sie schlief unruhig und wachte immer wieder plötzlich auf, weil sie träumte, sie habe verschlafen. Schließlich hüllte sie sich in ihren Morgenmantel und ging in die Küche, um sich eine Tasse Tee aufzubrühen und den Kampf mit dem Herd aufzunehmen. Es war gerade erst sechs Uhr.
Um acht Uhr hatte sie das gesamte Gemüse vorbereitet, einen Pudding gekocht und sogar den Tisch fürs Abendessen gedeckt, falls sie dafür später keine Zeit finden sollte. Sie zog sich sorgfältig an und zwang sich, etwas Toast zu essen, während sie sich fragte, wie früh sie wohl beim Stützpunkt anrufen konnte. Das Datum der Rückkehr des U-Boots lag zwar fest, wie Mark ihr erzählt hatte, aber der genaue Zeitpunkt der Ankunft würde erst im letzten Augenblick feststehen. Sie sollte, so hatte er ihr erklärt, den Portier der Dolphin anrufen, ihm mitteilen, wer sie war, und ihm den Namen von Marks U-Boot nennen. Er würde ihr die aktuelle Ankunftszeit nennen, zu der sie eine Stunde hinzurechnen musste, die Mark benötigen würde, um das Boot zu verlassen und nach Hause zu kommen. Er hatte nicht vorgeschlagen, dass sie ihn abholen sollte.
Um neun Uhr konnte sie ihre Ungeduld nicht länger bezähmen. Sie zog ihren alten Dufflecoat an und ging zur Telefonzelle am Ende der Straße. Die Stimme des Portiers war energisch und geschäftsmäßig, als er ihren Anruf entgegennahm.
»Das ist richtig, Ma’am«, sagte er. »Das U-Boot wird jeden Augenblick erwartet. Bleiben Sie in der Leitung.« Sie konnte das Rascheln von Papieren hören. »So, da haben wir es. Ach herrje. Es tut mir leid, aber der Einsatzplan des Bootes ist geändert worden, es wird auf dem Weg hierher noch achtundvierzig Stunden in Middlesborough liegen. Es wird erst in zwei Tagen hier sein.«
Kate versuchte, mit dieser vollkommen unvorhergesehenen Situation fertig zu werden.
»Hallo? Sind Sie noch dran?« Der Portier klang besorgt. »Es ist sehr enttäuschend, doch Sie werden sich daran gewöhnen, Ma’am. Hat Ihr Mann Sie nicht gewarnt, dass die Ankunftszeiten kaum je einmal eingehalten werden?«
»Nein. Nein, das hat er nicht erwähnt.« Sie erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder. »Herzlichen Dank. Ich werde dann am Donnerstag noch einmal anrufen.«
Sie ging zurück nach Hause, ohne von ihrer Umgebung noch viel wahrzunehmen. Um diesen einen Augenblick hatte während der letzten Wochen ihre ganze Existenz gekreist, und der Schock der Enttäuschung war so gewaltig, dass sie sich fühlte, als wäre sie mit einem einzigen Schritt ins Leere getreten und hätte ihr Ziel verloren. Im Flur stand sie vollkommen reglos da und lauschte auf die Stille.
Wie sollte sie noch zwei weitere Tage durchstehen? Und warum erschienen ihr zwei Tage so viel länger und unerträglicher als die beiden Monate, die sie bereits hinter sich gebracht hatte? Sie ging ins Wohnzimmer, räumte die Platzdeckchen und das Geschirr vom Tisch, dann tauschte sie ihre elegante Kleidung gegen einen alten Tweedrock und eine Strickjacke. Schließlich verließ sie die Wohnung und ging langsam in Richtung Meer.
»Sie werden sich daran gewöhnen«, meinte Mary fast eine Woche später, als sie nach etlichen weiteren Verzögerungen und Enttäuschungen am Deich entlang zum Haupttor der Dolphin fuhren. »Ich könnte mich dafür treten, dass ich Sie nicht gewarnt habe. Machen Sie sich nichts daraus.«
Der Wachposten kam aus seiner kleinen Hütte hervor, und Mary zeigte ihm ihren Pass. Auch im Wagen gab es einen Pass, der dauerhaft an der Windschutzscheibe angeklebt war. Der junge Seemann beugte sich vor, um zu Kate hineinzuspähen.
»Eine neue Ehefrau«, sagte Mary energisch und mit ihrem grimmigen Lächeln, das einem Stirnrunzeln glich. »Sie hatte noch keine Zeit, alles zu organisieren. Ich kümmere mich um sie.«
Der Wachposten nickte, salutierte und hob die Schranke.
»Ich hoffe, es wird Mark nichts ausmachen, dass ich mitkomme.« Kate war nervös.
»Warum um alles in der Welt sollte es ihm etwas ausmachen?« Mary fuhr an dem Museum und der kleinen Kirche vorbei, und Kate betrachtete voller Interesse das Miniatur-U-Boot, das dem Museum gegenüber aufgestellt worden war. Wie immer fragte sie sich, wie irgendjemand es hatte wagen können, sich darin auf See zu begeben. »Es ist sehr gut für die Ehefrauen, hier auf das Boot zu warten. Gut für die Moral. Mark wird schon bald lernen, wie alles funktioniert. Sehr junge Offiziere haben häufig Angst, irgendwie aus der Reihe zu tanzen.« Sie stellte den Wagen geschickt auf dem Parkplatz vor den Fenstern der Offiziersmesse ab.
Sie stiegen über Bahnschienen und wichen Kränen aus, bis sie sich langsam dem Rand des Docks näherten, wo die U-Boote festgemacht waren und sich in der Abenddämmerung sanft im Wasser wiegten. Eine kleine Gruppe, zu der der Kommandeur der U-Boot-Flotte mit einigen seiner ranghöheren Offiziere gehörte, hatte sich bereits versammelt. Mary trat selbstbewusst auf sie zu, und im nächsten Augenblick schüttelte Kate dem Kommandeur der U-Boot-Flotte die Hand. Der Mann schien ehrlich erfreut zu sein, dass sie hergekommen war. Kate stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Wenn jemand von solch unglaublicher Wichtigkeit ihre Anwesenheit begrüßte, wie konnte Mark dann daran Anstoß nehmen? Sie war sich der allgemeinen Anspannung bewusst, während die versammelten Männer und Frauen wiederholt auf ihre Armbanduhren blickten und sich leise unterhielten. Inzwischen wurde es immer dunkler.
»Da kommt es!« Es war eine Art jubilierendes und überaus lautstarkes Flüstern.
Der zigarrenförmige Rumpf glitt lautlos und dunkel über die glatte, leuchtende Fläche des Meeres. Langsam kam es aus dem Zufahrtskanal und nahm Kurs auf die Liegeplätze. Man sah die Decksmannschaft in ihren weißen Pullovern, wie sie sich im letzten Tageslicht sicher auf dem Boot bewegten. Oben auf dem Turm stand der Kommandant mit seinem Ersten Wachoffizier, der die Befehle an Decksmannschaft und Maschinenraum weitergab.
Langsam kam das Boot näher, bis schließlich einige Leute von der Decksmannschaft an Land springen und die Leinen des Bootes dort belegen konnten. Das Summen des Motors brach ab, und Kate wurde bewusst, dass sie den Atem angehalten hatte. Das U-Boot hatte ungeheuer bedrohlich gewirkt, als es fast lautlos durch das Wasser geglitten war. Zum ersten Mal dachte sie wirklich darüber nach, wie es sein musste, Hunderte von Fuß unter der Meeresoberfläche zu sein, vollkommen von der Welt abgeschnitten, Teil der engen Gemeinschaft von Männern, die sich dieser Art zu leben verschrieben hatten. Es erfüllte sie mit großem Stolz, dass Mark einer von den Männern war, die jetzt an Land kamen, und dass sie hier war, um ihn abzuholen. Kurz darauf erschien der Kommandant des Bootes auf der Laufplanke und kam an Land, um den ranghöheren Offizieren die Hand zu schütteln. Er begrüßte seine Frau mit einem Lächeln und einem ziemlich förmlichen Kuss auf die Wange, und Kate wurde klar, dass in dieser Situation Zurückhaltung galt. Sie nahm sich vor, bei Marks Erscheinen keinerlei Gefühle zu zeigen. Als er endlich kam, gab er vor, sie nicht zu sehen, und Mary musste sie hinter sich herziehen und erklären, dass sie sie mitgebracht habe. Kate hatte das Gefühl, vor Scham und Enttäuschung zu ersticken; sie hatte recht gehabt: Mark wollte nicht, dass sie ihn abholte.
Sobald Mary sich abwandte, sah er sie an, und sein Gesichtsausdruck war in der Dunkelheit nicht zu deuten. »So, und wie kommen wir nach Hause?«
»Ich nehme an, mit Mary und Simon.« Sie spürte, dass es ihr irgendwie gelungen war, alles zu verderben. Aber wie?
»Das wird sicher lustig!«
Seine Stimme troff von Sarkasmus, und sie wandte sich ab und blickte über das Wasser zu den Lichtern von Portsmouth hinüber, um das Zittern ihrer Lippen zu verbergen.
Cass saß mit untergeschlagenen Beinen in der Ecke des Sofas und sah ihrem Vater dabei zu, wie er mit einem altertümlichen Blasebalg dem Feuer Leben einhauchte. Sie war ungeheuer erleichtert darüber, dass er so gut aussah und sich in seinem neuen Heim offenkundig bestens einlebte. Die Zugfahrt von Hampshire nach Devon war ziemlich ermüdend, und sie kam nicht so oft her, wie sie es gern getan hätte.
»Das gefällt mir, mein Liebling. Ganz wie in alten Zeiten. Wann wird dein Mann ein in Devonport stationiertes U-Boot bekommen? Dann könntest du deinen alten Pa gelegentlich besuchen.«
General Mackworth legte noch einige Holzscheite auf das Feuer in dem großen steinernen Kamin und ließ sich dann wieder in seinen behaglichen alten Sessel sinken. Sein Arbeitszimmer war ein entzückender Raum und gefüllt mit den geliebten Besitztümern, die der General während seiner militärischen Laufbahn angesammelt hatte. Der Schein des Feuers glänzte auf dem blank polierten Holz und den ledernen Rücken viel gelesener Bücher und ließ das geschliffene Glas und das Porzellan funkeln. Schwere Brokatvorhänge sperrten den feuchten Februarabend aus. In diesem Raum fühlte Cass sich wieder wie ein Kind, und sie seufzte vor Behagen.
»Das wäre schön, Daddy, nicht wahr?« Sie lächelte ihren Vater an und fragte sich zum tausendsten Mal, warum ihre Mutter ihn verlassen hatte. Sie liebte ihren hochgewachsenen blonden, gut aussehenden Vater abgöttisch; es war so schön, mit ihm zusammen zu sein, und er war ungeheuer beliebt bei den Damen. Vielleicht zu beliebt? Es wäre doch ziemlich übel, mit einem Mann verheiratet zu sein, der alles Rampenlicht auf sich zog, dachte Cass, und ihr Gewissen regte sich. Sie neigte dazu, selbst dasselbe zu tun. Es war so amüsant, und sie genoss die bewundernden Blicke, die Aufmerksamkeit und die Flirts ungemein. Sie war sich ziemlich sicher, dass das alles Tom nicht im Mindesten störte, sondern sogar seinem Ego schmeichelte, weshalb er ihre Eroberungen auch wie köstliche Witze betrachtete.
»Wie gefällt dir denn so das Leben als Marinefrau? Es ist manchmal ein wenig einsam, oder?« Der General beugte sich vor, um seine Pfeife auf den Steinen des Kamins auszuklopfen. Dann füllte er den Kopf mit aromatischem Tabak, ohne den Blick seiner durchdringenden blauen Augen von seiner Tochter abzuwenden.
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