Jesus 2.0 - Thorsten Peter - E-Book

Jesus 2.0 E-Book

Thorsten Peter

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Beschreibung

Völlig unerwartet kommt ein neuer Messias auf die Welt. Als Levi das Licht der Welt erblickt, stellt er sofort fest, dass er anders ist. Man hat aber leider vergessen ihn auf seine Mission vorzubereiten und nun liegt er da. In einer Plastikwanne zwischen zwölf schreienden Neugeborenen im Babyzimmer eines Krankenhauses. Die Verantwortlichen im Himmel haben die ganze Sache verbockt, die unbefleckte Empfängnis hat die falsche Frau erwischt und keiner weiß, wo Gottes zweiter Sohn überhaupt gelandet ist. Erst nach einigen Jahren wird Levi entdeckt und Erzengel Bastian auf die Erde geschickt, um die Sache wieder ins Lot und den ziemlich verzogenen Messias auf den rechten Weg zu bringen. Eine schier unlösbare Aufgabe für einen Engel, der mit sich selbst schon genug zu tun hat und nicht die geringste Motivation verspürt, durch gute Taten ein paar Bonuspunkte bei seinem Arbeitgeber zu sammeln.

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Für Christina

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 1

Verdammt ist das eng hier!«, dachte sich Levi etwa fünf Minuten, bevor die Wehen einsetzten. Was danach kam, relativierte den Gedanken bezüglich seiner Platznot komplett. Es wurde nicht nur eng im Sinne von „die Beine nicht mehr ausstrecken können“, sondern richtig eng. Er hatte das Gefühl, wie ein Weihnachtsbaum durch den Trichter ins Netz geschoben zu werden. Soweit er sich erinnern konnte, war er aber bisher nur in dieser Fruchtblase gewesen und konnte eigentlich unmöglich wissen, was ein Weihnachtsbaum war. Genauso wenig, wie er wissen konnte, dass er in einer Fruchtblase war. Doch bevor Levi die Unmöglichkeit seines Denkens irgendwo einordnen konnte, steckte er mitten im Geburtskanal seiner Mutter fest und konnte sich überhaupt nicht mehr konzentrieren. Am anderen Ende des Kanals hörte er mehrere Stimmen, von denen eine irgendwas von pressen faselte und kurz darauf fing seine Mutter an, furchtbar zu schreien. Sein ganzer Körper wurde zusammengequetscht, der Kopf wurde so stark deformiert, dass sich der Gedanke an einen plastischen Chirurgen schon im Geburtskanal manifestierte und sehen konnte er überhaupt nichts mehr. Irgendwie sind Geburten, bis auf einige Ausnahmen, ja ziemlich ähnlich. Aber jedes normale Kind vergaß diesen Vorgang auch sofort wieder und machte sich nicht in der Plastikwanne des Babyzimmers Gedanken darüber, ob das wirklich so sein musste. Dass der Kaiserschnitt bereits erfunden war, wusste Levi zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Scheinbar war er aber der einzige, der sich hier über irgendwas Gedanken machte. Es war ihm zwar noch nicht möglich, seine Gedanken zu kommunizieren, da seine Zunge und der Mund den Befehlen aus seinem Gehirn einfach nicht folgen wollten, doch er versuchte es nach einiger Zeit mit Armbewegungen. Zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass auch die Arme nicht machten, was sein Kopf wollte. Es war einfach zum Kotzen. Trotz der offensichtlichen geistigen Überlegenheit konnte er seine Vorteile nicht einmal ansatzweise ausspielen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als genauso zu schreien, wenn er Hunger hatte, wie die Babys neben ihm. Die Nahrungsaufnahme funktionierte leider auch nicht reibungslos. Was so einfach ausgesehen hatte, entwickelte sich anfangs als ziemlich gefährliches Unterfangen.

»Komm zu Mami«, sagte Levis Mutter immer wieder. »Komm zu Mami.«

Scheinbar wusste auch sie nicht, dass er sich noch nicht vernünftig bewegen konnte. Levi war etwas erschrocken, über die Dimension der Nahrungsbehälter und kniff instinktiv die Augen zusammen, als er auf Mamis Schoß liegend von unten dabei zusah, wie sie das Ding, das wohl Still-BH hieß, öffnete. Sie hatte nach dem Milcheinschuss noch nicht wirklich ein Gefühl dafür und ihre Brust klatschte mit voller Wucht in Levis Gesicht. Er war blind. Zumindest dachte Levi das für einen Moment. Alles war schwarz und Luft bekam er auch keine mehr. Er wollte sich zur Seite drehen, konnte sich aber keinen Millimeter bewegen.

»Oh«, sagte Mami und kicherte ein wenig, da Levis Gesicht vollkommen unter ihrer Milchbar verschwunden war. Wäre er bereits erwachsen gewesen, hätte er an dieser Situation gefallen finden können. Glaubte er jedenfalls, ohne zu wissen, was an dieser sinnlosen Information in seinem Gedächtnis hilfreich sein sollte. Aber so bedrohten diese Dinger schlicht und ergreifend sein Leben. Zu allem Überfluss packte die Krankenschwester auch noch Levis Kopf und presste ihn fest gegen Mamis Brustwarzen. Deutlich zu fest, wie Levi meinte. Er konnte schon wieder fast nichts mehr sehen. Mami wurde aber erklärt, das müsse so sein, damit der Kleine vernünftig trinken könnte. Levi fragte sich, woher die Frau das wissen wollte. Sie hätte ja mal mit ihm tauschen können! Aber nur danebenstehen und gute Ratschläge verteilen war definitiv einfacher, als mit Nahrungsbehältern umzugehen, die größer als der eigene Kopf waren. Noch dazu, wenn man seine Arme nicht so bewegen konnte, wie man wollte.

„Die kann das doch gar nicht wissen. Die gehörte bestimmt auch zu der Fraktion von Schreihälsen aus dem Babyzimmer, die zu keiner Reflexion fähig waren“, dachte Levi und hätte es ihr eigentlich viel lieber direkt ins Gesicht gesagt. Aber das ging ja noch nicht. Er schwor sich, das früher oder später nachzuholen.

Levi empfand seine Fähigkeit zu denken innerhalb von wenigen

Tagen eher als lästig denn als hilfreich. Schließlich brachte es ja auch nichts, wenn man einen Ferrari in der Garage hatte und keinen Führerschein dazu. Oder doch? Man könnte schwarzfahren. Schwarz reden ging aber nicht.

„Woher weiß ich das alles“, fragte sich Levi und beschloss, das Denken fürs Erste einzustellen. Es brachte ja nix. Er konnte denken, was er wollte, seine Mami presste ihn trotzdem viel zu fest an ihre Brust. Er konnte noch nicht mal reinbeißen, um sich zu wehren, weil die verdammten Zähne erst in ein paar Monaten zu erwarten waren. In diesem Stadium seines Lebens war die einzige Waffe die er nutzen konnte in seinem Darm versteckt. Immer wenn er sich besonders angestrengt hatte, sein sogenanntes Kindspech in die Windeln zu kacken, wichen die Gesichter über ihm wenigstens ein bisschen zurück und sagten nicht die ganze Zeit „du, du, du“, oder einen ähnlichen Mist.

Das mit dem Nicht-Denken funktionierte übrigens überhaupt nicht. Es warfen sich ständig neue Fragen auf, und gelegentlich ergab sich sogar noch im Krankenhaus die Möglichkeit, etwas mit seiner Gabe anzufangen. Auch wenn er noch nicht genau wusste, warum er eine solche Gabe hatte und vor allem, warum gerade er diese hatte. Eigentlich war es ihm aber auch egal. Levi war zwar von Anfang an davon überzeugt, der einzige in seiner Größe zu sein, der einen klaren Gedanken fassen konnte, aber dass er ein ganz besonderes Talent besaß, fiel ihm erst ein paar Tage später auf. Es machte ihm aber auch ein wenig Angst, einfach alles zu können, was er wollte. Nein, das stimmte so nicht ganz. Er konnte Sachen, die ihm persönlich nichts brachten. Dafür konnte er die wichtigen Dinge nicht. Er wusste nur, dass er eines Tages allerhand Dinge können würde. Irgendwann. Er sah sich um, aber es war immer noch keiner da, der ihm die Sache erklären konnte.

Levi lag mal wieder in seiner Babywanne aus Plastik mit einer mäßig bequemen Minimatratze und langweilte sich. Sein größter Wunsch war immer noch, das Denken abstellen zu können. Da dies immer noch nicht funktionierte, hörte er Mami zu, wie sie mit einer Freundin sprach, die zu Besuch gekommen war und eine Flasche furchtbar gesunden Saft dabei hatte.

»Ich bin echt froh, wenn ich irgendwann mal wieder ein Glas Sekt oder Wein trinken kann«, klagte Mami.

»Das kann ich mir vorstellen. Aber vielleicht tut es ja auch ein alkoholfreier Cocktail zwischendurch.«

»Ja, aber das ist doch nicht dasselbe. Ohne Alkohol gibt’s eben keinen Schwips.«

»Stimmt. So ein kleines bisschen Karussell fahren, macht gelegentlich schon Spaß.«

Die beiden kicherten wie kleine Mädchen. Levi sah, dass seine Mutter schon beim Gedanken an Alkohol richtig Spaß hatte. Wenn sie Spaß hatte, hatte er sicher auch Spaß. Levi sollte aber schon bald feststellen, dass es mit den Schlussfolgerungen nicht immer ganz so einfach war. Als Mami ihn das nächste Mal zu sich holte, lag die gesunde Saftflasche neben ihr im Bett. Levis Arm hing herunter und berührte die Flasche. Er hatte plötzlich das Gefühl, die Flüssigkeit spüren und verändern zu können. Warum auch immer. Darüber wollte Levi jetzt nicht auch noch nachdenken müssen. Es war so schon alles verwirrend genug. Stattdessen konzentrierte er sich auf Alkohol. Das machte er ungefähr eine Minute lang. Danach hörte er auf, dachte an das Kichern von Mami und konzentrierte sich eine weitere Minute darauf. Alkohol.

Die darauffolgenden Ereignisse und Reaktionen auf Alkohol veranlassten Levi dazu, in Zukunft nicht mehr so oft helfen zu wollen, wenn irgendjemand gerne etwas hätte. Mami schnappte sich irgendwann die Flasche und leerte sie in einem Zug. Als sie absetzte, verzog sie ein wenig das Gesicht, nickte dann aber wohlwollend. Levi war zufrieden und wartete nun auf das Kichern. Nach einer Weile schaute Mami ihn mit einem völlig veränderten Gesichtsausdruck an. Er wusste zuerst nicht, was er davon halten sollte. Als sie dann aber breit grinste, war Levi mit seiner Arbeit zufrieden. Kurz darauf fing sie dann an, wieder mit ihm zu reden. Allerdings war es nicht wie die letzten Male. Levi konnte Mami zuerst schlechter, und irgendwann dann überhaupt nicht mehr verstehen. Plötzlich kam die Hoffnung in ihm auf, dass jetzt wenigstens die Sache mit dem Denken aufhören würde. Doch egal wie schlecht er Mami verstand, seine Gedanken liefen auf Hochtouren. Zumindest solange, bis er das nächste Mal an Mamis Brust gepresst wurde. Wenigstens das wurde langsam besser. Scheinbar half es, wenn er saugte wie ein Idiot, den Griff etwas zu lockern. Mami hatte ihn vorher wohl schlichtweg als unfähig eingestuft, was das Trinken anging. Daher zog er auch dieses Mal wieder so fest er konnte. Durch die Anstrengung pumpte sein Herz wie ein Hydraulikzylinder und die Gefäße öffneten sich, soweit sie konnten. Levi wusste zwar schon extrem viel für seine wenigen Lebenstage, aber die Information, dass Alkohol durch die Muttermilch an ihn weitergegeben werden könnte, hatte er noch nicht parat. Genauso wenig, wie die Information, was Alkohol überhaupt war. Jedenfalls ging dann alles extrem schnell. Levi war innerhalb weniger Minuten komplett besoffen. Er hatte unfreiwillig das erste Achterbahnticket seines Lebens gezogen und fragte sich noch einen Moment lang, ob das nun vielleicht schon wieder das Ende sein sollte. Dann fragte er sich eine Weile gar nichts mehr. Er war sich aber ziemlich sicher, dass sich die Wände in diesem Zimmer noch nie bewegt hatten. Auch Mami war in der Regel im Gesicht nicht so unförmig.

Levi musste plötzlich rülpsen, dass es ihm schon fast selbst peinlich war. Es war in seinen Augen bei weitem nicht mehr das, was alle so hoch erfreut ein Bäuerchen nannten. Eine Sekunde später waren diese Gedanken verflogen. Er konnte sich an immer weniger erinnern. Alles war so verschwommen. Seiner Mutter ging es ähnlich. Die freute sich allerdings immer noch an dem Bäuerchen ihres Sohnes und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Das machte sie genau so lange, bis Levi zum nächsten Bäuerchen ansetzte und dabei kotzte wie ein Reiher. Im selben Moment kam die Schwester rein, sah das Elend in vollem Umfang und ärgerte sich lautstark darüber, die ganze Sauerei wieder wegputzen zu müssen. Levi hing ziemlich schlapp über der Schulter seiner Mutter und konnte in seinem vernebelten Zustand gerade noch seine Hand beobachten, die sich zum ersten Stinkfinger seines Lebens formte. Der galt natürlich der mies gelaunten Krankenschwester, die eigentlich wissen sollte, dass so etwas nicht absichtlich passierte. Levi schlief dann ziemlich schnell ein und erwachte ein paar Stunden später mit dem ersten Kater seines Lebens. Sein Kopf schien kurz vor dem Platzen zu sein und sein Magen fühlte sich auch ziemlich merkwürdig an. Zum ersten Mal schrie er nicht, weil er Hunger hatte. Aber woher sollte Mami das wissen? Sie hatte ja selbst mit den Nachwirkungen von Levis Alkoholzauber zu kämpfen und fragte sich, warum sie von gesundem Saft einen Rausch bekommen hatte. Das war aber auch die einzige Frage, die sie sich stellte, und presste Levi wie gewohnt an ihre Brust, wenn er schrie. Im ersten Moment setzte bei Levi auch der Saugreflex ein. Das musste als Baby wohl so sein, ging jedoch nicht lange gut. Nachdem er ein paar Mal kräftig geschluckt hatte, setzte ein Würgereflex ein. Levi kannte das nicht. Alle waren immer froh, dass er wohl kein Spuckkind werden würde. Was auch immer das sein mochte. Und an das Kotzen von vorhin konnte er sich überhaupt nicht mehr erinnern. Seine Mutter übrigens auch nicht. Levi presste die Muttermilch zwischen Mund und Mamis Brustwarze wieder ins Freie. Es war erstaunlich, was für ein Druck bei dieser Aktion entstand. Es spritzte doch tatsächlich bis in Mamis Gesicht, aufs Bett und auch das Handy auf dem Beistelltischchen kam nicht ganz unbeschadet davon.

»Levi«, sagte Mami überrascht. »Was machst du denn für eine Sauerei?«

„Wieso fragst du mich das“, dachte Levi. „Ich bin ein Baby, ich kann dir keine Antwort geben.“ Er machte sich ein wenig Sorgen, ob seine Mutter dieser Aufgabe auch wirklich gewachsen war, wenn sie jetzt schon anfing, ihn zu fragen.

Das war jedenfalls der Punkt, an dem Levi beschloss, seine Gabe erst einmal für sich zu behalten. Mit ein paar wenigen Ausnahmen, von denen Levi aber nur im Geheimen und in absoluten Notsituationen Gebrauch machte.

Kapitel 2

Eine solche Notsituation gab es an Levis erstem Tag im Kindergarten. Manche Umstände verlangten einfach nach drastischen Maßnahmen und so war es auch an diesem Tag. Die Erinnerung an den Fehlschlag mit Mamas Alkoholzauber hatte Levi zwar bis dahin nicht vergessen, aber was zu viel war, war zu viel.

Torben aus der Igelgruppe hatte gemeint, ihm gleich von Anfang an zeigen zu müssen, wer der Chef im Ring war. Torben war so ein typisches Arschlochkind, das nur Freunde hatte, weil diese sich vor ihm fürchteten. Sie hatten Angst unter ihm zu leiden, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzten und so taten, als fänden sie ihn ganz toll. Das würde mit Sicherheit nicht ewig gut gehen, aber im Moment war es eben so. Torben nahm Levi einfach sein Spielzeug weg und lachte ihn aus, als er sich darüber beschwerte.

Torbens Freunde standen neben ihm und grinsten gehässig, obwohl ihnen mit Sicherheit schon das gleiche Schicksal widerfahren ist. Genüsslich packte Torben dabei sein Pausenbrot aus und riss seinen hässlichen Mund auf. Torben war generell ziemlich hässlich, was vielleicht sein idiotisches Verhalten wenigstens zum Teil rechtfertigte. Trotzdem wollte Levi die Sache nicht einfach so auf sich sitzen lassen und dachte ganz doll an Hundescheiße. So richtig übel stinkende Hundescheiße. Das war jedenfalls das letzte Mal, dass Torben unkontrolliert in ein Pausenbrot biss. Er kotzte so sehr, dass Levi fast Angst bekam, er würde seinen kompletten Magen dem Inhalt hinterherspeien. Glücklicherweise blieb der Magen aber drin und Torben erlitt außer einem kleinen psychischen Knacks keine bleibenden Schäden. Immerhin war er lernfähig und Levi hatte keine Probleme mehr mit ihm.

Die wenigen Male, die er seine Gabe noch einsetzte, waren eigentlich nicht der Rede wert. Nur später in der Grundschule blieb einem älteren Mitschüler, der bestimmt irgendwie mit Torben verwandt war, ein Tag seines Lebens noch lange in Erinnerung. Levi hatte in der dritten Klasse so etwas wie eine beste Freundin. Sina wohnte ganz in seiner Nähe und sie liefen jeden Tag den Weg zur Schule gemeinsam. Auch so verbrachten sie relativ viel Zeit miteinander. Levi musste sich zwar immer wieder mal von seinen Kumpels deshalb etwas anhören, aber das störte ihn nicht weiter. Es war ein wunderschöner Donnerstag im Mai, als Levi wie immer mit Sina nach Hause lief. Plötzlich tauchte Konrad mit zwei Freunden neben ihnen auf. Konrad war schon in der vierten Klasse und unheimlich fett. Entweder lag es an seinem Namen, seinem Gewicht oder vielleicht an der komplett fehlenden Intelligenz, dass Konrad so ein Depp war. Generell war Levi das auch egal. Zumindest solange er ihn in Ruhe ließ. Seine beiden Freunde standen ihm in nichts nach und so baute sich eine Dreierkette abgrundtiefer Dummheit vor Levi und seiner Freundin auf.

»Wo wollt ihr hin?«, fragte Konrad und Levi verstand nicht recht, worauf er hinauswollte. Die Schule war vorbei und in der Regel ging man als Grundschüler danach nach Hause. Außer Konrad vielleicht. Der ließ sich vielleicht vorher noch von irgendwem auf den Kopf hauen, um auch wirklich dumm zu bleiben.

»Nach Hause natürlich«, antwortete Sina, während Levi immer noch versuchte, Konrads Gedankengänge nachzuvollziehen. Womöglich gab es da aber überhaupt keine.

»Gebt mir euer Geld«, befahl Konrad, verschränkte die Arme und versuchte dabei ein furchtbar ernstes und Furcht einflößendes Gesicht zu machen. Das klappte aber nicht, denn er musste von oben auf die beiden herabschauen und dabei presste sich sein kaum vorhandener Hals zwischen Brust und Kinn. Es sah aus, als würde Konrad ein Ring Fleischwurst unter dem Kinn wachsen. Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte Levi sicher lachen können.

»Wir haben kein Geld«, antworteten Levi und Sina fast synchron.

»Dann behalten wir deine Brille als Pfand und ihr bringt morgen Geld mit«, meinte daraufhin Konrad und zog Sina grob die Brille von der Nase.

»Gib mir meine Brille zurück«, schrie Sina und Konrad hob sie einfach so hoch in die Luft, dass Sina nicht einmal springend danach greifen konnte. Er war fett, dumm und groß.

»Du kannst sie Morgen wieder haben, wenn du Geld dabei hast.«

»Gib sie ihr zurück«, meldete sich Levi nun energisch zu Wort. »Wenn nicht, dann wird es dir leidtun.«

»Ach ja?«, lachte Konrad. »Und was willst du tun, wenn ich es nicht mache.«

»Das wirst du schon sehen.«

»Oh, jetzt hab ich aber Angst.« Konrad drehte sich zu seinen Freunden und grinste über seine dicken Backen. »Was meint ihr? Sollen wir aufgeben?«

»KONRAD!«, schrie Levi plötzlich völlig unerwartet und der dicke Junge aus der vierten Klasse zuckte sogar ein wenig zusammen. Levi sagte nichts weiter, sondern sah ihm einfach ganz tief in die Augen und konzentrierte sich so fest er konnte. Im ersten Moment wollte Konrad noch auf Levi losgehen, weil er die Frechheit besessen hatte, ihn anzuschreien. Doch schon eine Sekunde später merkte er, wie er seine Beine nicht mehr bewegen konnte. Sie wurden immer weicher und seine Knie fühlten sich an wie Pudding. Levi ging noch einen Schritt auf Konrad zu und Sina sah zu ihrem erstaunen, dass ihr Peiniger einknickte. Schmerzhaft viel er auf die Knie und war völlig unfähig, etwas dagegen zu tun.

Levi nahm die Brille an sich, reichte sie an Sina weiter und drehte sich noch einmal zu Konrad hin. Der hatte mittlerweile einen Gesichtsausdruck, als hätte er ein Gespenst gesehen.

»Mach so etwas nie wieder«, zischte Levi und stieß Konrad einfach mit dem Zeigefinger nach hinten um. Bei jedem anderen hätte er sich vielleicht Sorgen um dessen Kopf gemacht, aber da bei Konrad höchstens ein weiches Milchbrötchen als Platzhalter darin versteckt war, konnte ja sowieso nichts passieren.

»Lass uns gehen«, sagte Levi zu Sina und nahm sie an der Hand. Konrads Freunde standen mit offenen Mündern unbeholfen in der Landschaft herum und verschandelten eigentlich nur das Bild.

»Du bist mein Held«, säuselte Sina und drückte Levi einen dicken Kuss auf die Backe. Er lief knallrot an und beschloss gleichzeitig diese Seite seines Gesichts nie mehr zu waschen. Zumindest so lange nicht, bis sie anfing zu stinken. Vielleicht würde Sina ihn dann ja wieder küssen.

Kapitel 3

Im großen Konferenzraum des Himmelmanagements war ordentlich Theater, als der Fauxpas bekannt wurde.

»Seid ihr denn komplett bescheuert?«, schrie der leitende Engel in die Richtung der Arbeitsgruppe „unbefleckte Empfängnis“. Die Teammitglieder ließen die Köpfe und Flügel hängen. Denn eigentlich war die Aufgabe ja einfach gewesen. Gottes Samen sollte die Zielperson zu einem exakt berechneten Zeitpunkt erreichen. Alles war perfekt vorbereitet. Sie hatten sich für eine sehr christliche aber auch moderne Frau entschieden, von der sie überzeugt waren, sie würde den Messias im Sinne der Bibel erziehen und ihn so gut wie möglich auf seine Aufgabe vorbereiten. Da der Fortschritt auch vor dem Himmel nicht haltgemacht hatte und auch hier mittlerweile eine Ethikkommission ihr Unwesen trieb, war es nicht mehr möglich den Mann einfach impotent werden zu lassen, um auch ja auf Nummer sicher zu gehen. Maximal drei Tage wurden von der Kommission gebilligt. Das wäre auch ausreichend gewesen, wenn die Arbeitsgruppe „unbefleckte Empfängnis“ nicht am Tag vor der geplanten Befruchtung, ihre Abteilungsfeier gehabt hätte. So kam dann eins zum andern und der Samen Gottes erreichte die falsche Frau. Wie das genau passieren konnte, wusste allerdings niemand mehr. Die ursprüngliche Zielperson hatte in der geplanten Woche jedenfalls mehrfach exorbitanten Sex und wurde schwanger, und das auch noch von ihrem eigenen Mann. Bis zum ersten Schwangerschaftstest hatte die Arbeitsgruppe noch ein Auge auf die Zielperson. Als dieser allerdings positiv ausgefallen war, lehnten sich die Engel zurück, spielten Karten und klopften sich gelegentlich gegenseitig auf die Schulter, um ihre Aktion auch gebührend zu loben. Erst als die Geburt des Heilands bevorstand und sich die gesamte Himmelsprominenz im Konferenzraum versammelt hatte, wurde auch die Arbeitsgruppe wieder etwas nervös. Allerdings nicht, weil deren Mitglieder ernsthaft in Erwägung zogen, es hätte etwas schief gehen können. Sondern eher, weil sie auf die Sonderprovision für eine geglückte Mission gespannt waren. Als dann jedoch ein Mädchen zur Welt kam, war die Provision kein Thema mehr.

»Ihr Idioten schafft es nicht einmal, die richtige Frau zu befruchten«, schrie ihr Chef weiter und hatte dabei eine ziemlich feuchte Aussprache. »Habt ihr eine Vorstellung, was das jetzt bedeutet?«

»Wir müssen ein anderes Kind beobachten?«, fragte Erzengel Bastian, der für viele völlig unverständlich die Teamleitung übertragen bekommen hatte. Er verfügte zwar über genügend Vitamin B, war aber auch so daneben in der Birne, dass viele schon von Anfang an auf ein Desaster gewartet haben. Die saßen ebenfalls im großen Konferenzraum und hatten ein honigkuchenartiges Grinsen im Gesicht, das zum Ernst der Lage überhaupt nicht passte. Bastian hatte sich auch nicht davon abbringen lassen, die Befruchtungsaktion selbst durchführen zu wollen, obwohl er das Ende der Abteilungsfeier nur noch über einer Wolke hängend miterlebt hatte. Es war übrigens beachtlich, wie so ein Engel kotzen konnte.

»Und du weißt natürlich sofort, welche Frau du versehentlich erwischt hast?«

»Äh«, setzte Bastian an, legte die Stirn in Falten und tat so, als würde er angestrengt nachdenken. Leider brachte das nichts, da er sich zur Feier des Tages, sofort nach der Empfängnis, ordentlich einen hinter die Binde gekippt hatte und sich an so gut wie gar nichts erinnern konnte. »Nein.«

Bastian ließ den Kopf, die Schultern und die Flügel noch weiter hängen und realisierte langsam, dass er so einfach aus der Sache nicht mehr herauskommen würde. Da konnte nicht einmal Vitamin Doppel-B helfen.

»Bastian, du wirst mit deinem Team ab sofort alle Neugeborenen, die an diesem Tag auf die Welt gekommen sind, beobachten und ich rate dir, dich anzustrengen. Versau die Sache nicht. Es ist deine einzige Chance die Sache wieder auszubügeln. Und wenn es sein muss, arbeitet ihr rund um die Uhr. Ich will so schnell wie möglich ein Ergebnis haben.«

»Alles klar, Chef«, antwortete Bastian und war nur mäßig erfreut über die Möglichkeit, den Schaden wieder auszubügeln. Besser wäre gewesen, er hätte in Frührente gehen können, um hauptberuflich Kartenspieler zu werden. »So viele können das ja nicht sein.«

»Ungefähr zweihunderttausend.«

Bastian schaute erschrocken über diese Zahl zu seinem Chef und stellte die Frührente noch ein wenig weiter zurück. Er hatte keine Ahnung, wie er so viele Kinder überprüfen sollte. Vor allem war ihm schleierhaft, wie er den Heiland überhaupt erkennen sollte. Das ursprüngliche Zeitfenster, das für das Auffinden des richtigen Kindes angesetzt worden war, belief sich auf ein paar Tage bis maximal zwei Wochen. Aufgrund mangelnder Alternativen wurde die Terminierung neu festgelegt, immer wieder verlängert und Bastians Team mit zusätzlichen Mitarbeitern verstärkt. Nach einiger Zeit waren die Verantwortlichen überzeugt, den richtigen gefunden zu haben und warteten darauf, einen Beweis für ihre Vermutung zu bekommen. Die Rahmenbedingungen passten, doch die endgültige Bestätigung ließ auf sich warten. Bastian argumentierte, dass Jesus als Kind auch nicht ständig mit seinem Können geglänzt hätte, und überredete das Management, noch etwas abzuwarten. Aber es passierte rein gar nichts, was auf einen Messias hindeuten könnte.

Es dauerte noch Jahre, bis er fündig wurde. Besser gesagt, bis ein Mitarbeiter seines Teams fündig wurde. Bastian hatte doch eher sein zweites Standbein als Kartenspieler gefestigt, als aktiv an der Suche mitzuarbeiten. Schließlich hatte er ja seine Leute und der ein oder andere erwartete sich durch ihn ein wohlwollendes Wort beim obersten Chef. Und außerdem war er immer noch überzeugt, den Richtigen schon gefunden zu haben. Es dauerte eben, bis er sich zu erkennen gab, sagte er sich und den anderen immer wieder.

»Levi heißt der Junge«, sagte Engel Fitus, der direkt nach seiner Ausbildung erst vor Kurzem ins Team gekommen war. Im Gegensatz zu Bastian war er hoch motiviert und sorgte nach ungefähr vierzehn Jahren für den Durchbruch. Bastian hatte versagt. Doch so leicht wollte er sich nicht unterkriegen lassen. Sein Stand im Management wurde durch die Sache immer schwieriger, und da eine Kur wohl nicht genehmigt werden würde, beschloss er die Flucht nach vorne.

Bastian witterte seine Chance, endlich etwas anderes zu sehen und entschied sich kurzerhand, den geplanten Einsatz auf der Erde selbst durchzuführen. Zum einen wäre er letztlich für eine Weile von dem ganzen Bürokratenapparat verschont und außerdem hatte er erst vor ein paar Tagen eine ziemlich reizvolle Geschichte gehört. Ein Pokerkumpel von ihm war vor einiger Zeit wegen einer anderen Sache auf der Erde gewesen. Als seine Mission erfüllt war, hatte er sich noch in ein paar Bars herumgetrieben und davon geschwärmt, dass dort das reinste Zockerparadies wäre. Und auch sonst hätte er jede Menge Spaß gehabt, wollte aber nicht näher darauf eingehen, weil er befürchtete, abgehört zu werden. Für Bastian klang das trotzdem schon reizvoll genug, um sich freiwillig zu melden. Hauptsache weg vom Krisenherd.

»Du weißt aber schon, was alles vom Gelingen der Mission abhängt, oder?«, fragte Bastians Chef etwas unschlüssig. Er freute sich zwar über die plötzliche Einsatzbereitschaft seines Mitarbeiters, doch kamen ihm auch ernsthafte Zweifel, ob es eine gute Idee wäre, gerade ihn auf diesen wichtigen Einsatz zu schicken.

»Selbstverständlich«, antwortete Bastian, ausnahmsweise in völlig aufrechter Haltung und ohne das gewöhnliche Jammern in seiner Stimme, wenn Arbeit auf dem Plan stand.

»Also gut. Aber gnade dir Gott, wenn du die Sache versaust. Ich kann dir nicht ewig helfen, und wenn du deinen Job verlierst, kannst du davon ausgehen, dass dir dein Kredit von der Petrusbank für deine Privatwolke gekündigt wird. Das nur mal am Rande. Sobald du ihn gefunden hast, bereitest du ihn intensiv auf seine Aufgabe vor. Wir haben wegen dir schon genug Zeit verloren. Und wehe du kommst da unten auf dumme Gedanken.«

»Alles klar Chef, ich werde das Kind schon schaukeln.« Bastian ging davon aus, dass Levi das Erscheinen eines Engels alleine schon so in Ehrfurcht verfallen lassen würde, dass er ihm nur kurz das Handbuch für den angehenden Messias in die Hand drücken müsste und die Sache war gegessen. Dieses Handbuch hatte Bastian sogar selbst erstellt. Bevor die Mission ins Laufen kam, war er mit Jesus dessen damaligen Einsatz noch einmal durchgegangen. Er hatte alle wichtigen Sachen aufgeschrieben, um den zweiten Messias vor Anfängerfehlern zu bewahren. Seine Aufgabe als Teamleiter war auch, dieses Handbuch ständig zu aktualisieren und auf die Neuzeit anzupassen. Vielleicht war er nicht immer mit dem nötigen Ernst bei der Sache gewesen, aber das Wesentliche war beschrieben. Wenn auch mit einem Augenzwinkern. Schließlich sollte der junge Heiland auch ein bisschen Spaß bei der Arbeit haben. Für manche seiner Anmerkungen wurde Bastian zwar gerügt, weil sie nicht sachlich genug und viel zu witzig geschrieben waren, geändert hatte er aber nichts daran. Sollten sie doch ein neues Handbuch schreiben, wenn es ihnen nicht passte. Das wollte aber auch keiner und so blieb es, wie es war. „Das Handbuch für den angehenden Messias“, mit dem Untertitel „siebzehnte überarbeitete Auflage mit bahnbrechenden Erkenntnissen des einundzwanzigsten Jahrhunderts.“

»Ach, noch was Bastian«, rief sein Chef, während er sich gerade selbst für seinen Ratgeber beweihräucherte.

»Ja?«

»Wir werden dich beobachten.«

»Oh«, antwortete Bastian und wusste ab diesem Moment, dass er einen besseren Plan brauchen würde. Zocken wollte er trotzdem.

Als Engel hatte man entgegen der landläufigen Meinung den Vorteil, ohne Flügel auf die Erde fliegen zu können. Besser gesagt war es vielmehr ein Beamen, wie man es aus Star Trek kannte. Im Himmel wurde immer noch darüber diskutiert, ob bei dieser Serie nicht auch ein abtrünniger Engel seine Finger mit im Spiel hatte. Bastian packte auch trotz der geplanten Überwachung freudig seine Sachen. Auf Anraten seines Pokerkumpels wählte er das Italiener-Outfit mit Nadelstreifenanzug und Lackschuhen. Passte zwar rein optisch gar nicht zu seiner Mission, aber für die verbotenen Pokertreffs sollte das der letzte Schrei sein. Bastian ging einfach davon aus, dass ihn nachts, wenn es dunkel sein würde, keiner mehr beobachten konnte.

Kapitel 4

Levi hatte in den ersten vierzehn Jahren, seit seinem Vollrausch im Säuglingsalter, fast komplett auf die Sache mit seiner Gabe verzichtet. Nur das mit dem Pausenbrot und ein paar andere zwingend notwendige Erziehungsmaßnahmen gingen auf sein Konto. Doch als plötzlich sein Hormonhaushalt während der Pubertät anfing, verrückt zu spielen, wurde die Versuchung immer größer.

Sarah ging in seine Parallelklasse und war so ziemlich der heißeste Feger, den seine ganze Klassenstufe zu bieten hatte. Sie war wunderschön und vor allem körperlich schon komplett entwickelt. Zumindest konnte sich Levi nicht vorstellen, dass sich irgendetwas an ihr noch weiter entwickeln könnte. Und wenn, dann hätten sicher überirdische Kräfte ihre Hände im Spiel.

Es war gerade ziemlich heiß und Sarah hatte die Angewohnheit bei Temperaturen über zwanzig Grad auf unnötige Stoffmengen weitestgehend zu verzichten. Sie hatte ein knallenges Trägertop an, das ihre weiblichen Rundungen schon fast unverschämt gut betonte. Über das kurze Höschen, das sich formvollendet an ihren Hintern schmiegte, durfte er gar nicht erst nachdenken. Das war so ein Moment, indem