Die Lösung ist eine Männer-WG - Thorsten Peter - E-Book

Die Lösung ist eine Männer-WG E-Book

Thorsten Peter

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Beschreibung

Die Lösung ist eine Männer WG – denken sich Matthias, Vitali und Aydin. Nach der Trennung von ihren Freundinnen führt das Schicksal drei völlig unterschiedliche Charaktere im Fitnesscenter beim Probetraining zusammen. Was mit gemeinsamer Frustbekämpfung beginnt, entwickelt sich in einer unaufhaltsamen Eigendynamik zur einzig wahren Konsequenz – Ein Leben unter Männern. Endlich das machen, wovon sie immer geträumt hatten. Niemand der ihnen Vorschriften macht. Alles wird ganz einfach sein. Doch funktioniert dieser Plan wirklich? Sind tatsächlich alle Männer unkompliziert?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – Matthias

Kapitel 2 – Vitali

Kapitel 3 – Aydin

Kapitel 4 – Das Probetraining

Kapitel 5 – Der erste Abend und der Morgen danach

Kapitel 6 – Sport ist Mord

Kapitel 7 – Die Geburtsstunde der Männer-WG

Kapitel 8 – Tag 1

Kapitel 9 – Tag 2

Kapitel 10 – Tag 3

Kapitel 11 1/2 – Tag 4 (Teil 1)

Kapitel 11 2/2 – Tag 4 (Teil 2)

Kapitel 12 – Tag 5

Kapitel 13 1/2 – Tag 6 (Teil 1)

Kapitel 13 2/2 – Tag 6 (Teil 2)

Kapitel 14 – Tag 7

Kapitel 15 ½ – Tag 8 (Teil 1)

Kapitel 15 2/2 – Tag 8 (Teil 2)

Kapitel 16 ½ – Tag 9 (Teil 1)

Kapitel 16 2/2 – Tag 9 (Teil 2)

Kapitel 17.1 – Tag 10 (Schicksalstag einer Männer WG Teil 1)

Kapitel 17.2 – Tag 10 (Schicksalstag einer Männer WG Teil 2)

Kapitel 17.3 – Tag 10 (Schicksalstag einer Männer WG Teil 3)

Kapitel 17.4 – Tag 10 (Schicksalstag einer Männer WG Teil 4)

Kapitel 18 – Das Gewissen an Tag 11

Kapitel 19 – Der letzte Tag (Das Fest)

Prolog – Das Leben nach der WG

Die kleinen Geschichten hinter den Geschichten.

Die Lösung ist eine Männer-WG

Kapitel 1 – Matthias

MATTHIAS!«, hatte er seinen Namen durch die ganze Wohnung hallen gehört. »Warum hängt die Jacke immer noch über dem Stuhl? Ich hab dir doch schon vor fünf Minuten gesagt, dass sie weg muss!«

Das Organ, das bei Matthias gerade Mark und Bein erschüttert hatte, gehörte zu seiner (noch) Freundin Bine. Den Kosenamen hatte er Sabine gegeben, als er noch nicht davon überzeugt gewesen war, dass das einzige was Sabine mit einer Biene gemeinsam hatte, der Stachel war. Die richtige Biene hatte immerhin noch den Vorteil, dass sie nach Benutzung des Stachels verendete. Bei seiner Bine war das nicht so gewesen. Sie konnte ihren Stachel pausenlos verwenden. Manchmal dachte er, sie würde nur noch aus Stachel bestehen. Es war Matthias unerklärlich, warum eine Jacke nicht auf die Lehne eines Stuhles gehören sollte. Sie hatte die perfekte Form dazu und schließlich hing seine Jacke ja sogar auf der Lehne des Stuhls, der sowieso nie benutzt wurde. Und außerdem war es ja auch ein Stück weit seine Wohnung. Zumindest hatte er sich das eingeredet, als sie gemeinsam eingezogen waren. Aber schon damals war schnell klar gewesen, dass hauptsächlich die Kosten und Pflichten geteilt wurden. Bevor Matthias sich versah, hatte er schon einen Plan am Kühlschrank hängen, der seine Freizeit nicht wirklich nach seinen Bedürfnissen eingeteilt hatte. Er hatte auch auf einmal Hobbys, die er zuvor nicht hatte. Hobbys von denen er gar nichts wusste. Und schon gleich nach dem ersten Saufgelage mit seinen Freunden hatte ihm Bine klargemacht, dass das so nicht funktionieren würde. Schließlich seien sie ja keine Kneipe. Sie könne unmöglich nach Alkohol stinkende Männer in ihrer Wohnung ertragen. Ein schöner Spieleabend mit ihren Freunden, das wäre nett. Matthias fand sich damit ab und musste aber feststellen, dass auch der gemeinsame Kneipenbesuch mit anschließendem Totalausfall nicht auf Bines Liste der akzeptablen Freizeitbeschäftigungen ihres Freundes stand. Das war ab dem nächsten Tag auch verboten. Auch das konnte er, in seiner immer noch anhaltenden Begeisterung für seine Freundin, ohne Probleme wegstecken. Irgendwann hatte sie ihm Nahe gelegt seine Haare abzuschneiden, die Lederjacke in den Schrank zu hängen, Stoffhosen anzuziehen und mit ihr am Samstag zu den Polohemdenträgern auf den Tennisplatz zu gehen. Tennis war eines der neuen Hobbys von denen er nichts wusste. Ihre Freunde heuchelten sogar ein reges Interesse an ihm. Sie konnten sich nie wirklich entscheiden, wer denn jetzt dem Matthias die Bälle um die Ohren hauen sollte. In Matthias´ Augen war Tennis der absolute Scheißsport und die Deppen in ihren netten weißen Höschen die letzte Gattung Mensch, die Matthias sich als Freundeskreis ausgesucht hätte. Zumindest waren die Tennisspieler, die er kennengelernt hatte, Deppen. Aber das konnte er ja seiner Bine nicht sagen. Sie hatte sich schließlich so gefreut, als sie ihm eine schicke Tennisausrüstung zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie konnte ihre Begeisterung für ihre Wahnsinnsidee kaum in Grenzen halten und stellte fest, dass dies das beste Geschenk war, dass sie je einem Mann gemacht hatte. Und darauf hatte er sich verdammt noch mal was einzubilden. Es war ja auch naheliegend, dass ein langhaariger, lederjackentragender und am liebsten unrasierter Mann, ein Krokodil auf dem Polohemd haben wollte. Gleich nachdem die Haare ab waren und die Lederjacke im Kellerschrank dahinvegetierte.

Was ihn dann aber zum ersten Mal wirklich nachdenklich gemacht hatte, war die Aussage seiner Freundin, dass er früher irgendwie männlicher gewesen wäre. Als ob es seine Idee gewesen wäre, alles was ihm selbst männlich erschien, aus seinem Alltag auszuradieren. Genau diese Gedanken kamen ihm wieder in den Sinn, als er sein feines Jackett, welches mittlerweile die geliebte Lederjacke ersetzt hatte, von der Stuhllehne genommen hatte. Mit einem Lächeln im Gesicht ging er mit der Jacke an der Garderobe vorbei und lief an die Wohnungstür.

»Was machst du denn jetzt schon wieder?«, keifte ihm Bine ziemlich genervt hinterher. »Du bist an der Garderobe vorbei gelaufen.«

»Ich räume auf«, antwortete er in aller Ruhe, schaute sich zu seiner Freundin um und schenkte ihr im Hinausgehen ein Lächeln, das sie wiederum an seinem Geisteszustand zweifeln ließ. Für einen kurzen Moment hielt er inne, weil Bine wohl kurz davor stand, sich aufzublähen wie ein Kugelfisch bei Gefahr. Sie schnappte nach Luft und musste erst einmal mit der Tatsache fertig werden, dass ihr soeben indirekt widersprochen wurde. Leider kam er nicht in den Genuss dieses Naturschauspiels, zuckte, für seine Freundin völlig unverständlich, mit den Schultern, ging durch die Tür und knallte diese so richtig schön laut zu. Das wollte er schon immer mal machen.

Matthias fühlte sich super und hüpfte beschwingt die Treppe hinunter zum Keller. Er blieb vor dem Mülleimer stehen, schaute diesen etwa fünf Minuten an und nahm seinen ganzen Mut zusammen. Er öffnete den Deckel und legte mit zitternder Hand, das Jackett in die Tonne. Er ließ den Deckel zufallen und ein überwältigendes Gefühl überkam ihn. Es war ein Stück Freiheit, eine kleine Revolution, die er selbst ausgelöst hatte.

»Jaaaaaa«, schrie er, und seine Stimme hallte durchs ganze Treppenhaus. Es überkam ihn ein Adrenalinschub, wie er ihn eigentlich nur bei gutem Sex hatte. Auf die Erörterung, wann das zum letzten Mal vorgekommen war, verzichtete er lieber aus Angst in eine tiefe Depression zu verfallen. Sein Blick schweifte nach links. Dort war in ihrem Kellerraum ein alter Schrank für Sachen, die nicht mehr, oder nicht mehr so oft gebraucht wurden. Unter anderem war genau da auch seine Lederjacke drin. Und auch sonst bestand dessen Inhalt zu etwa neunundneunzig Prozent, aus Sachen die Matthias, Bines Meinung nach zumindest, nicht mehr brauchen würde. Feierlich öffnete er die Tür und der Glanz des schwarzen Leders und der Nieten darauf, erhellten den ganzen Kellerraum. Er fühlte sich wie König Artus, als dieser den Auftrag vom Herrn höchstpersönlich bekommen hatte, den heiligen Gral zu suchen. Nur, dass seine Aufgabe weitaus einfacher umzusetzen war und eigentlich nur durch den modrigen Geruch, der aus dem Kerker seines Lieblingskleidungsstückes drang, formuliert wurde.

»Zieh mich an und betrink dich«, lautete die nicht falsch zu verstehende Aufforderung, die ihm geradewegs in Form einer nostalgischen Erinnerung aufgetragen wurde.

Er streifte die Jacke über und das verloren geglaubte Gefühl der Männlichkeit kam mit einem Schlag zurück. Vergessen war die Qual des Anblicks seiner Stoffhosen und Leinenschläppchen, wie sie an ihm klebten, ohne jemals wirklich zu ihm zu gehören. Und dann ging auf einmal alles ziemlich schnell. Zumindest konnte sich Matthias am nächsten Nachmittag nur noch bruchstückhaft an den letzten Tag erinnern, als er mit furchtbaren Kopfschmerzen erwachte und ein sehr säuerlicher Geruch in seine Nase stieg, den er aber nicht gleich deuten konnte.

Er hatte sich am Vortag auf das Date mit seiner Lederjacke eingelassen und machte sich auf den Weg, eine dem Anlass entsprechende Lokalität zu finden, in der er ausgiebig das Wiedersehen mit seinem, schon fast verloren geglaubten, heiß geliebten Relikt aus guten Zeiten, feiern wollte. Es war ein Erfolg auf der ganzen Linie. Die Lederjacke verzieh ihm jeden Schluck Bier, den er über sie ergossen hatte, als er nicht mehr fähig war das Glas gerade zu halten. Völlig anders als die nichtsnutzigen Blazer, die ihm Bine mitgebracht hatte. Keine Stunde hätten sie durchgehalten. Sollten doch ihre bescheuerten Freunde aus dem Tennisclub diesen Mist anziehen und spazieren tragen. Für ihn war das nun endgültig vorbei.

Wie durch ein Wunder kam Matthias, auch wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte, unbeschadet zu Hause an. Er fand sogar noch, nachdem er morgens um vier Uhr mehrfach gegen die Tür gefallen war, das Schlüsselloch. Weil er seine Lederjacke schon so lange nicht mehr gesehen hatte, beschloss er kurzerhand in ihr zu schlafen. Was er dann auch umgehend tat - gleich nachdem er im Vorbeilaufen auf Bines Bettvorleger gekotzt hatte. Eigentlich kam er auf dem Weg an seine Seite nur an der Stirnseite des Bettes vorbei. Doch durch seine unkontrollierbaren Koordinationsprobleme bog er noch kurz in die Gasse zwischen Bines Bettseite und dem Kleiderschrank ein, entledigte sich seines gesamten Mageninhaltes und bekam nicht einmal ansatzweise mit, dass Bine durch den Schrei, den er bei seinem Missgeschick ausgestoßen hatte, wach geworden war.

Ihren Brief, in dem sie ihm lang und breit erklärt hatte, dass sie maßlos enttäuscht sei, kurzerhand bei ihm aus und bei Robert aus dem Tennisclub eingezogen sei, fand er erst später bei der Suche nach Kopfschmerztabletten. Am meisten wunderte ihn die Aussage, dass sie bei IHM ausgezogen sei. Bis vor ein paar Stunden war es maximal zu fünf Prozent seine Wohnung gewesen.

Im ersten Moment wollte er sich spontan über die neu gewonnene Freiheit freuen. Doch das klappte nicht auf Anhieb. Und das ließ ihn schon wieder sauer auf Bine werden. Warum konnte er sich denn jetzt nicht einmal über seine wieder gewonnene Unabhängigkeit freuen? Scheinbar hatte Bine sogar noch von Weitem die Fähigkeit ihm das Leben schwer zu machen. Wahrscheinlich saß sie gerade irgendwo und steckte Nadeln in den Kopf einer lederjackentragenden Voodoopuppe. Zumindest fühlte sich sein Kopf so an. Er beschloss die Kopfschmerzen ausnahmslos Bine zuzuschreiben und stellte sich dabei bildlich vor, wie sie bei Robert auf der Couch saß – mit der Puppe in der Hand. Er war mit Sicherheit furchtbar verständnisvoll, dieses elende Weichei.

Den Rest des Tages verbrachte Matthias fast ausschließlich in der Horizontalen. Und umso länger er darüber nachgedacht hatte, desto mehr freute er sich am Ende, dass Bine ihm diese Entscheidung abgenommen hatte. Trotzdem kam ganz sachte das Gefühl der Wehmut in ihm auf, weil er den gewohnten Ablauf etwas vermisste. Doch er kämpfte eisern und mit dröhnendem Schädel dagegen an. Ungefähr sechsundneunzig Mal stellte er sich vor, was Bine für ein Theater machen würde, wenn sie seine Lederjacke auf dem Boden herumliegen sehen würde. Er nahm sich vor, diese unverändert liegen zu lassen, bis er sie das nächste Mal anziehen würde.

Kapitel 2 – Vitali

Vitali war das, was man sich so gar nicht unter dem typischen, aus Russland stammenden Mitbürger mit Migrationshintergrund vorstellte. Aber wer erfüllt sein Klischee auch schon zu hundert Prozent? Ein Deutscher isst ja auch nicht dreimal am Tag Sauerkraut. Vitali war die personifizierte Spießigkeit. Er organisierte sich und seine (noch) Freundin Swetlana bis in die Haarspitzen. Es gab nichts in der Wohnung, was nicht im rechten Winkel ausgerichtet war, oder seinen festen Platz hatte, an dem es spätestens abends ab acht Uhr wieder sein musste. Vitali entwickelte auch nach einem Jahr in der gemeinsamen Wohnung kein Gefühl dafür, dass Swetlana vielleicht gelegentlich andere Vorstellungen von einem harmonischen und lockeren Zusammenleben haben könnte. Sie schämte sich mittlerweile fast schon für seine Pedanterie, wenn sie am Samstagvormittag aus dem Fenster schaute und Vitali mit Sauger und Verlängerungskabel, neben der geöffneten Motorhaube seines blitzblank polierten BMW´s stehen sah. Er hatte die Marotte auch seinen Motorraum auszusaugen, was ihm regelmäßig die amüsierten Blicke seiner Nachbarn einbrachte. Swetlana hätte sich gewünscht, ganz im Gegensatz zu Bine, dass ihr Vitali endlich mal einen draufmachen und seine Jacke locker über den Stuhl werfen würde. Aber die hing immer fein säuberlich an der Garderobe. Wenn er genau wusste, dass er sie länger nicht anziehen würde, kam sie in eine Hülle.

»Vitali!«, rief Swetlana zur Straße hinunter und versuchte ihren Ärger über seine peinliche Saugaktion zu verdrängen. Sie erwischte ihn gerade in einer Saugpause, in der er mit seiner kleinen Taschenlampe die Ecken, des Motorraums ausleuchtete, und prüfte, ob sich nicht noch etwas Schmutz in den hintersten Ecken versteckt haben könnte.

»Was ist den so wichtig, dass du mich unterbrechen musst?«, rief er zurück und zog widerwillig seinen Kopf aus dem Motorraum. Vitali war wohl der einzige Mensch auf Erden, der es auch problemlos geschafft hätte, mit einem weißen Anzug das Auto zu putzen, ohne einen Dreckspritzer abzubekommen.

»Die Nachbarn haben gefragt, ob wir heute Abend zusammen was trinken gehen wollen«, antwortete Swetlana und rechnete nicht wirklich mit einer positiven Antwort ihres Freundes.

»Geht nicht. Ich muss noch unbedingt die Ablage von unserem Schreibkram machen.«

»Kannst du das nicht einfach morgen machen?“

»Schatz, du weißt doch, dass Monatsende ist. Und ich mach das doch immer am Monatsende.«

Swetlana stieß einen langen Seufzer aus und fragte sich im selben Moment, warum sie den ganzen Mist hier eigentlich mitmachte. Ihr fiel kein wirklicher Grund ein. Denn selbst die sexuellen Praktiken, die in Vitalis geordnetes Weltbild passten, waren in etwa so aufregend, wie die Frage nach einem Brötchen mit groben oder feinen Körnern. Und in seinem BMW geht das ja erst recht nicht. Genauso wenig wie auf der Couch. Der Küchentisch war komplett tabu und im Freien könnten sich Zecken an ihm festbeißen. Sie war eigentlich immer davon ausgegangen, dass sich jeder Mann über eine sexuell aufgeschlossene Frau freuen würde. Aber bei ihrem Freund war das definitiv nicht so. Abzüglich allem, was irgendwie für Abwechslung hätte sorgen können, blieb nur die Missionarsstellung ohne Beleuchtung und unter der Decke übrig. Also konnte sie auch hier keinen Punkt für Vitali auf der Habenseite verbuchen. Eher zwölf dicke Minuspunkte. Dann gab es da ja auch noch die Sache mit der Eifersucht. Sie konnte noch nicht einmal alleine weggehen, ohne dass Vitali ihr eine Szene machte – auch hier kein Pluspunkt. Alles in allem kam sie nach reiflicher Überlegung und dem erneuten Anblick ihres Freundes, wie er sich über den Motorraum gebeugt hatte, den er gerade mit einer Zahnbürste bearbeitete, zu dem Entschluss, dass Vitali sie kreuzweise am Arsch lecken könne. Sie packte eine Tasche, gönnte sich noch die Freude, die Briefe aus seinem Ablagekörbchen durch das Wohnzimmer zu werfen und legte ihm einen Zettel auf den Tisch. Einen kleinen Abschiedsbrief sollte er trotzdem bekommen.

»Schlaf mit deinem BMW, frühstücke mit deinem Ablagekörbchen und unterhalte dich mit deinem Sauger, der dir sicher interessante Dinge über deinen Motorraum erzählen kann. Ich bin dann mal weg, vögle mit coolen Männern, frühstücke mit Freundinnen und irgendwann scheiß ich dir in den Motorraum. Liebe Grüße, Swetlana.«

Als Vitali den Brief fand, war Swetlana schon bei einer Freundin und blieb eisern, als er sich als verständnisvoll erwies und sie darum bat, wieder zurückzukommen. Es war ihm unverständlich, wie es soweit hatte kommen können, verschwendete aber keinen Gedanken daran, dass seine pingelige Art vielleicht wenigstens ein klein wenig dazu beigetragen haben könnte. Obwohl er eine unglaubliche Trauer empfand, redete er sich selbst ein, dass sie wohl einfach noch nicht reif genug für ihn war. Vielleicht würde sie sich ja irgendwann beruhigen und wieder zu ihm zurück wollen, dachte sich Vitali ernsthaft, als er gerade ein Blatt peinlich genau am Locher ausrichtete, den Hebel betätigte und die gelochten Stellen mit einem Verstärkungsring versah.

Kapitel 3 – Aydin

Aydin war Halbtürke mit einer deutschen Mutter. Eine Tatsache, die es ihm nicht immer leicht machte, sich zwischen den Kulturen zurechtzufinden. Sein Name war so ziemlich das Einzige, was sein Vater durchsetzen konnte. Es gab viele Momente, in denen er dankbar war, dass seine Eltern so modern und locker waren. Allerdings empfand er gelegentlich seinen Vater als Weichei, weil er sich als Türke, im Gegensatz zu den anderen türkischen Vätern, die er kannte, schon ziemlich stark von seiner Mutter herumkommandieren lies. Allerdings stritten die beiden nie, und sein Vater kam mit der Situation prima zurecht.

Als Aydin mit seiner ebenfalls deutschen Freundin Lena zusammenzog, hatte er sich zumindest vorgenommen, eher den Türken als den Deutschen zu mimen und sich von ihr nichts vorschreiben zu lassen. Er hatte nur das Pech, dass Lena ihn nicht wirklich ernst nahm, wenn er sie zurechtweisen wollte. Schlimmer allerdings war die Tatsache, dass er es nicht fertig brachte, ihr deshalb böse zu sein und sich so, in seiner Vorstellung zumindest, immer mehr in die Nähe des Weicheis, das sein Vater manchmal für ihn darstellte, manövrierte. Er schaffte es einfach nicht, sich für eine Richtung zu entscheiden, was Lena natürlich schon lange erkannt hatte, und ihn in Konfliktsituationen an der ausgestreckten Hand verhungern ließ. Dummerweise verfiel er immer dann, wenn er etwas mit Nachdruck sagen wollte, in ein Deutsch, dass man eher von Kaya Yanars Hakan kannte, als von ihm.

»Ey, produzier misch net. Krieg isch voll den Agress sonst«, waren einmal seine Worte gewesen, als Lena, bei etwas wo es ihm nur um´s Prinzip gegangen war, partout nicht seiner Meinung sein wollte.

»Alda, halt die Fress. Machst du Stress oder was?«, hatte sie ihm mit einem perfekt rollenden R als Antwort gegeben und sich gekugelt vor Lachen.

Das alles ärgerte ihn irgendwann so sehr, dass Aydin nicht mehr wusste, wie er sich denn nun überhaupt verhalten sollte. Er hatte zwar nicht wirklich einen Grund, aber er nahm sich trotzdem vor, sich von Lena zu trennen. Zumindest wollte er ihre Reaktion dabei sehen.

Doch selbst das nahm sie nicht für voll, als er ihr mit klopfendem Herzen seine Sicht der Dinge geschildert hatte.

»Wenn du meinst«, sagte sie nur ganz beiläufig und überzeugt davon, dass er es eh nicht ernst meinte.

»Ja, das mein ich. Ich zieh aus und du kannst schauen, wie du ohne mich klarkommst«, setzte er nach, in der Hoffnung, dass Lena nun endgültig zusammenbrechen und vor ihm auf die Knie fallen würde, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Doch weit gefehlt.

»Mann, bist du ein Idiot«, warf sie ihm an den Kopf. »Ich dachte du weißt, was du willst. Aber da bin ich wohl daneben gelegen. Von mir aus verschwinde, aber komm nicht wieder angekrochen, wenn du merkst, dass du bei einer anderen mit deiner Pseudotürkenmasche auch nicht durchkommst. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist, dann erkennst du von alleine, dass du mehr Deutscher als Türke bist. Und außerdem hat das, was du da manchmal an den Tag legst, doch überhaupt nichts mit türkischer Mentalität zu tun. Damit könnte ich nämlich umgehen. Du schiebst das doch nur vor. Aber tu dir keinen Zwang an. Mach, was du für richtig hältst.«

Lena drehte sich um und ließ ihn stehen wie einen begossenen Pudel. Sie ging durch das Treppenhaus hoch in die Wohnung ihrer Eltern, in deren Haus sie eine eigentlich geniale und saubillige Wohnung bezogen hatten.

»Scheiße«, fluchte Aydin vor sich hin. Der Ausgang der Auseinandersetzung war so überhaupt nicht geplant. Er hatte mit einer flehenden Lena gerechnet und stattdessen, ließ sie ihn hier stehen und hinderte ihn nicht einmal ansatzweise am Gehen. Um selbst noch einmal einen Rückzieher zu machen, war sein verbliebener türkischer Reststolz, den er sich einredete, allerdings viel zu groß. Nachdem nun sein Plan, Lena auf diese Weise endlich in die Richtung zu bringen, die er wollte, gründlich in die Hose gegangen war und er widerwillig seine Sachen packte, wünschte er sich plötzlich doch das Weichei, das er auf keinen Fall werden wollte, zu sein. Hin und her gerissen zwischen Stolz und Trauer siegte dramatischerweise genau dieses Mal sein Stolz und er ging mit gesenktem Haupt aus der Wohnung, um bei seinen Eltern ein Nachtlager zu suchen. Aydin benutzte auf dem Heimweg noch ungefähr einhundertsiebenundzwanzig mal das Wort „Scheiße“ und nahm sich vor, sofern Lena gar nicht zur Vernunft kommen würde, doch noch einmal einen Schritt auf sie zu zugehen.

Doch bis er sich endlich dazu entschlossen hatte, war es zu spät. Lena hatte kurzerhand entschieden, für eine wohltätige Organisation ein Jahr in ein Krisengebiet zu gehen, um dort Mutter Theresa zu spielen. Sie war gerade mit ihrem Studium fertig gewesen und da ihr Freund scheinbar nicht mehr alle Latten am Zaun hatte, wollte sie so Abstand zu allem gewinnen. Auch wenn sie es nicht gezeigt hatte, traf sie die Trennung schwer. Doch sie hatte keine Lust mehr, immer wieder Erziehungsarbeit an einem Mann zu leisten, der sich in vielen Dingen selbst im Weg stand. Vielleicht musste er eine Weile alleine sein, um wieder zu sich zu kommen.

Aus purer Verzweiflung meldete sich Aydin schon einen Tag später im Fitnesscenter an, um so seine Aggressionen zu verarbeiten. Das Probetraining absolvierte er mit zwei jungen Männern, die vielleicht ein bisschen älter als er waren, deren Laune aber mindestens genauso beschissen war, wie seine.

Kapitel 4 – Das Probetraining

Nu, ich bin der Ölaf«, begrüßte der durchtrainierte Hüne aus dem schönen Sachsen seine Neulinge. Wobei sich Ölaf eher wie Ölaf anhörte und das zumindest Matthias ein breites Grinsen ins Gesicht zauberte.

»Matthiös«, stellte sich Matthias vor, und war schon jetzt mit dem Probetraining voll und ganz zufrieden. Auch wenn sich seine Laune generell noch unterhalb eines Braunkohlestollens befand. Aber Ölaf schaffte es, ein wenig Licht in das Dunkel seines ungewohnten Singledaseins zu zaubern.

»Vitali«, brummte der junge Mann in glatt gebügelten Trainingsklamotten und Turnschuhen, so weiß wie das Gesicht von Meister Propper in der Werbung.

»Aydin«, war der Letzte, der sich vorstellte. Gekleidet wie ein Bodybuilder, allerdings mit der Statur eines Hungerhakens. Er streckte die Hand zu Ölaf aus und biss die Zähne zusammen, so fest er konnte, als sein Trainer die schraubstockartigen Finger um seine Hand geschlossen hatte. Dieser tat zwar so, als würde ihm Aydins Leiden nicht auffallen, aber es war fast offensichtlich, dass ihm die Demonstration der Stärke, diebische Freude bereitet hatte.

Ölaf gab den Trainingswilligen eine ausgiebige Einweisung in die Geräte. Er sah zwar, dass sie allesamt übertrieben und am nächsten Tag sicher nicht mehr fähig sein würden, einen Fuß vor den anderen zu setzen, aber das gönnte er sich. Er bestellte seine neue Gruppe zwei Tage später wieder ein, um das Erlernte zu vertiefen und die zu erwartenden Schmerzen seiner Schützlinge auszukosten.

»Mann, das ist halt was für Männer«, sagte Matthias, nachdem er seinen ersten Eiweißshake auf Ex abgepumpt hatte und wartete auf einen Kommentar seiner Trainingskollegen. Aber es kam nichts. Das ganze Training über war schon eine total beschissene Stimmung gewesen. Matthias war sich zwar bewusst, dass er im Moment auch meistens recht trübsinnig aus der Wäsche schaute, aber Vitali und Aydin sahen aus wie Kinder, die am 23. Dezember gesagt bekommen, dass Weihnachten bis auf Weiteres ersatzlos gestrichen wurde.

»Mensch, was ist denn mit euch los?«, fragte er in die kleine Runde an der Theke. »Ich müsste doch mies drauf sein. Schließlich hab ich mich gerade von meiner Freundin getrennt.«

»Du auch?«, waren die ersten zwei Worte, die synchron den Mündern von Vitali und Aydin entwichen.

Irgendwie war das für Matthias schon wieder ein Wink des Schicksals gewesen. Warum sonst hätten sich genau dieses drei Menschen hier und zu diesem Zeitpunkt kennenlernen sollen? Die Sache war klar. Genauso klar, wie der Auftrag, den ihm seine Jacke gegeben hatte. Sie sollten die Zeit der Trennung gemeinsam durchstehen. Zusammenhalten und sich gegenseitig Halt geben. Für den anderen da sein, wenn man gebraucht wird. Und vor allem würden er und seine Lederjacke nicht mehr alleine in der Kneipe sitzen müssen.

»Das heißt, ihr habt euch auch getrennt?«, fragte Matthias erwartungsvoll.

»Naja, so ungefähr«, antwortete Vitali, dem die Sache schon ein wenig peinlich war. Mit weiteren Ausführungen über das Ende seiner Beziehung hielt er sich lieber zurück.

»Ja, ich hab die Scheiße nicht mehr mitgemacht und bin ausgezogen«, sagte Aydin mit überzeugter Stimme, als ob es für ihn keinen Moment des Zweifelns gab.

»Und? Geht's euch jetzt besser als vorher?«, stellte Matthias die Frage, die er merkwürdigerweise selbst noch nicht uneingeschränkt mit Ja beantworten konnte. Es war ihm immer noch völlig schleierhaft, warum es ihm so schlecht bei der Sache ging, obwohl er auf keinen Fall zurück in sein altes, spießiges Leben wollte.

»Komisch ist es schon ein wenig«, sagte Aydin. »Aber da müssen wir jetzt durch. Jetzt können wir wenigstens mal wieder richtig Mann sein. Wir können einfach in die Disco gehen und Weiber aufreißen.«

»Genau«, bekräftigte Vitali. »Und niemand zieht die Augenbrauen hoch, wenn man mit dem Staubsauger den Motorraum des Autos reinigt!«

Matthias und Aydin schauten sich an und zogen gleichzeitig die Augenbrauen hoch. Vitali war etwas irritiert, aber Matthias erkannte seinen Fauxpas, rieb sich die Augen und versuchte so, die Gestik zu überspielen. Aydin tat es ihm gleich, konnte aber ein breites Grinsen nicht verbergen.

»Was meint ihr? Sollen wir heute noch zusammen was trinken gehen und uns gegenseitig ein bisschen voll jammern?“, fragte Matthias und sah sich schon mit Aydin, Vitali und seiner Lederjacke an der Theke seiner Lieblingskneipe.

»Klar, warum nicht«, sagte Aydin und freute sich über die willkommene Abwechslung.

»Ich weiß nicht. Eigentlich wollte ich noch die Abl…«, versuchte Vitali seinen geordneten Tagesablauf zu retten, wurde aber von Matthias, ohne die Chance auf eine Ausrede, unterbrochen.

»Ach was, natürlich willst du. Mann, das ist ein Wink des Schicksals. Wir gehen heute einen draufmachen und scheißen auf die Weiber. Komm schon.«

»Ja, jetzt stell dich mal nicht so an«, unterstütze ihn Aydin und Vitali fiel auch kein schlagendes Argument ein, um zu Hause zu bleiben.

»Also gut. Auf ein Bier komme ich mit.«

»Prima, dann treffen wir uns um acht am Marktplatz und suchen uns ne Kneipe aus. Das wird richtig gut«, sagte Matthias und machte sich mit seinen Leidensgenossen auf, um den Schweiß des harten Trainings abzuspülen. Matthias pfefferte seine Klamotten direkt vor den Spint, Aydin warf alles gerade auf den Boden und Vitali faltete auch die verschwitze Wäsche sorgsam zusammen und packte sie in einen Plastikbeutel, damit seine Tasche nicht mit seinen Ausdünstungen in Berührung kam. Während Matthias eine riesen Freude daran hatte, seinen kleinen Freund beim Duschen mit einem satten Klatschen an den Bauch zu schlagen, war Vitali damit beschäftigt, auch wirklich jede Stelle seines Körpers gründlich zu reinigen und kam so gar nicht in den Genuss, dieses Schauspiels. Aydin dagegen wollte auch klatschen, scheiterte aber an der Technik und verzichtete daher auf weitere Versuche, um einer peinlichen Situation zu entgehen.