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Er war der Hoffnungsträger einer ganzen Generation, und bis heute ist er für viele Menschen, gerade in Deutschland, eine Kultfigur geblieben: John Fitzgerald Kennedy (geboren 1917), 35. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. In seine nur 1036 Tage währende Amtszeit fielen dramatische Ereignisse wie die Kuba-Krise, der Bau der Berliner Mauer und das aktive Eingreifen der USA in den Vietnam-Krieg. Er war ein Frauenheld mit unzähligen Affären – dabei ein Mann, der schon seit seiner Jugend an schweren Krankheiten litt. Woher rührt der Mythos? In welchem Licht erscheint der jugendlich-strahlende Held «JFK» heute, ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod? Alan Posener porträtiert Kennedy in seiner ganzen Widersprüchlichkeit: den Mann aus einer irisch-katholischen Einwandererfamilie, die einer ganz besonderen Mission folgt; den Weltkriegsveteranen; den Friedensverkünder und Reformer; den Krisenstrategen; den Ehemann, Familienvater und Liebhaber. Die Ermordung Kennedys am 22. November 1963 erschien vielen Zeitgenossen wie ein Anschlag auf die Zukunft selbst. Im kollektiven Gedächtnis Amerikas markiert das Datum einen Scheidepunkt – als das schlimmste Ereignis zwischen dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 und dem Terroranschlag des 11. September 2001. Ein brillant geschriebenes, genau recherchiertes Porträt auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
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Seitenzahl: 253
Alan Posener
John F. Kennedy
Ihr Verlagsname
Er war der Hoffnungsträger einer ganzen Generation, und bis heute ist er für viele Menschen, gerade in Deutschland, eine Kultfigur geblieben: John Fitzgerald Kennedy (geboren 1917), 35. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. In seine nur 1036 Tage währende Amtszeit fielen dramatische Ereignisse wie die Kuba-Krise, der Bau der Berliner Mauer und das aktive Eingreifen der USA in den Vietnam-Krieg. Er war ein Frauenheld mit unzähligen Affären – dabei ein Mann, der schon seit seiner Jugend an schweren Krankheiten litt. Woher rührt der Mythos? In welchem Licht erscheint der jugendlich-strahlende Held «JFK» heute, ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod?
Alan Posener porträtiert Kennedy in seiner ganzen Widersprüchlichkeit: den Mann aus einer irisch-katholischen Einwandererfamilie, die einer ganz besonderen Mission folgt; den Weltkriegsveteranen; den Friedensverkünder und Reformer; den Krisenstrategen; den Ehemann, Familienvater und Liebhaber.
Die Ermordung Kennedys am 22. November 1963 erschien vielen Zeitgenossen wie ein Anschlag auf die Zukunft selbst. Im kollektiven Gedächtnis Amerikas markiert das Datum einen Scheidepunkt – als das schlimmste Ereignis zwischen dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 und dem Terroranschlag des 11. September 2001.
Ein brillant geschriebenes, genau recherchiertes Porträt auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse.
Alan Posener, geboren 1949, wuchs in London, Kuala Lumpur und Berlin auf. Er arbeitet als Korrespondent für Politik und Gesellschaft bei der WELT-Gruppe und lebt in Berlin.
Frühere Veröffentlichungen: zahlreiche Bücher, darunter die Rowohlt-Monographien über John Lennon, Elvis Presley, William Shakespeare, Franklin Delano Roosevelt und die Gottesmutter Maria.
Warum fasziniert uns John F. Kennedy noch immer? Seine Präsidentschaft liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück und dauerte kaum mehr als 1000 Tage. Der Kalte Krieg, der in Kennedys Amtszeit mit dem Bau der Berliner Mauer und der Raketenkrise um Kuba seinen Höhepunkt erreichte, ist Geschichte. Jene Jahre der ständigen Angst und gelegentlichen Hysterie im Schatten atomarer Vernichtung erscheinen selbst den Menschen, die sie durchlitten, sehr weit weg. Der Kommunismus ist verschwunden.
Auch die Gesellschaften des Westens haben sich verändert. Zwischen Kennedy und uns liegt die soziale und kulturelle Revolution der 1960er Jahre. Das Apartheidsystem, das zu Kennedys Lebzeiten die Südstaaten der USA prägte, ist überwunden. 2008 wurde ein Schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten. Die Erde ist, trotz allem, was uns heute ängstigt und empört, ein besserer Ort geworden.
Wie viel John F. Kennedy dazu beigetragen hat, bleibt umstritten. Noch vor Ende des Kalten Krieges wurde er in einer Umfrage unter Historikern und Journalisten zur «am meisten überschätzten Gestalt der amerikanischen Geschichte» erklärt. In den Medien tauchen immer neue Enthüllungen über seine unzähligen Affären auf. Die Freigabe seiner Krankenakten offenbart einen Mann, der die Öffentlichkeit über die Schwere seiner Leiden und über seine bedenkliche Medikamentenabhängigkeit getäuscht hat. Und doch gilt Kennedy den Bürgern der USA, wie die regelmäßig durchgeführten Meinungsumfragen belegen, bis heute als einer ihrer ganz großen Präsidenten, zusammen mit dem Gründer der Nation George Washington, dem Retter der Nation Abraham Lincoln und dem Reformer der Nation Franklin D. Roosevelt. Weltweit sind John F. Kennedy und seine Ehefrau Jacqueline – «Jack und Jackie», wie sie genannt wurden – zu Ikonen des amerikanischen Jahrhunderts geworden.
Dafür mögen Zyniker eher die Umstände seines Todes als die Leistung seines Lebens verantwortlich machen. Die Ermordung dieses attraktiven und lebenslustigen Mannes durch einen geltungssüchtigen Verlierer am 22. November 1963 in Dallas erschien den Zeitgenossen wie ein Anschlag auf die Zukunft selbst. Im kollektiven Gedächtnis Amerikas markiert das Datum des Attentats einen Scheidepunkt – das schlimmste Ereignis zwischen dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 und dem Angriff islamistischer Terroristen auf New York und Washington am 11. September 2001.
Dieses Gefühl mag dem kalt sezierenden Historiker abgehen; die Populärkultur artikuliert es. So schreibt der Sänger Don McLean über seinen Song «American Pie», er handle vom Untergang der idyllischen Welt der 1950er Jahre, der «im Mord an Präsident Kennedy kulminierte, mit dem eine schwierigere Zeit für Amerika begann»[1]. In «Sympathy For The Devil» von den Rolling Stones werden die Morde an John F. und Robert Kennedy neben der russischen Revolution und dem Zweiten Weltkrieg als Werk des Teufels dargestellt. Und Stephen King, Chronist amerikanischer Albträume, lässt in seinem Roman «11/22/63» einen Mann des 21. Jahrhunderts in die Vergangenheit reisen, um den Mord an Kennedy zu verhindern und damit auch die Kette traumatischer Ereignisse, die auf den Anschlag folgte, zu unterbrechen. «Falls du jemals die Welt verändern wolltest […], hier ist deine Chance. Rette Kennedy, rette seinen Bruder. Rette Martin Luther King. Verhindere die Rassenunruhen. Verhindere vielleicht sogar den Vietnamkrieg.»[2]
Skeptikern zum Trotz lebt der Mythos «JFK» also auch im neuen Jahrhundert fort. Kennedy selbst hätte das vielleicht nicht gewundert: Der größte Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge – absichtsvoll, künstlich, unehrlich –, sondern der Mythos – hartnäckig, verführerisch und unrealistisch.[3] Die Wahrheit über dieses kurze Leben freilich, in deren Licht John F. Kennedy komplexer, widersprüchlicher und auch dunkler erscheint als im Mythos, ist nicht weniger faszinierend. Im Gegenteil. Je weiter wir uns von den Kämpfen und Kontroversen seiner Zeit entfernen, desto mehr erscheint seine Biographie als eine exemplarische Erzählung über die Macht und ihren Preis. Dieses Thema ist zeitlos.
Am 12. August 1944 hebt ein amerikanischer Bomber von einem Stützpunkt an der englischen Küste ab. An Bord sind zwei Piloten und zehn Tonnen Sprengstoff. Die tödliche Ladung gilt deutschen Bunkern, aus denen Flugbomben auf London abgeschossen werden. Die Piloten Wilford Willy und Joseph Kennedy Junior sollen die Maschine auf Kurs bringen, den Zündmechanismus einstellen und dann abspringen. Sie sind Freiwillige, die ihre Chancen optimistisch mit «fünfzig zu fünfzig» einschätzen. Kennedy ist der älteste Sohn des Millionärs und Politikers Joseph Patrick Kennedy. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der ehrgeizige Vater nichts weniger für seinen Sohn will als das Weiße Haus.
Die Fernsteuerung wird eingeschaltet, dann der Zündmechanismus. In diesem Augenblick gibt es eine gewaltige Explosion, und der Bomber verschwindet in einem Feuerball. Von den Piloten findet man nie eine Spur.
Zwei katholische Priester überbringen dem Vater die Todesnachricht in Hyannis Port, dem Sommersitz der Familie an der Atlantikküste. Es ist ein warmer Sonntagnachmittag, und wie so oft haben sich auch die erwachsenen Kinder mit ihren Freunden eingefunden. Joseph Kennedy sagt ihnen, was passiert ist, ermahnt sie, besonders gut zu ihrer Mutter zu sein – und auf keinen Fall die angesetzten Segelregatten ausfallen zu lassen. Dann schließt er sich in sein Zimmer ein.
Der zweitälteste Sohn, John Fitzgerald («Jack») Kennedy, geht nicht zum Segeln. «Stattdessen ging er stundenlang am Strand vor unserem Haus auf und ab», erinnerte sich seine Mutter Rose.[4] Jack ist nun der älteste Sohn und mit knapp 28 Jahren wider Willen der Fackelträger der Ambitionen seines Vaters. Sein Freund und Kriegskamerad Paul «Red» Fay erinnert sich, dass Jack ihn wenige Wochen später beim Anblick des Vaters anstößt und sagt: Gott! Da geht der Alte! Er ist schon dabei, den nächsten Schritt zu planen. Ich bin’s jetzt, weißt du? Ich bin jetzt dran.[5] 1957 erzählt John F. Kennedy – inzwischen Senator in Washington und aussichtsreicher Kandidat für die Präsidentschaft – einem Reporter: Es war wie eine Einberufung. Mein Vater wollte, dass der älteste Sohn in die Politik geht. ‹Wollte› ist nicht das richtige Wort – er verlangte es. Sie kennen doch meinen Vater.[6] Im selben Jahr erzählt er der Zeitschrift «McCall’s»: Aus meiner Familie war mein Bruder Joe die logische Wahl für eine politische Karriere, und wenn er gelebt hätte, so wäre ich weiterhin Schriftsteller geblieben. […] Sollte ich sterben, würde mein Bruder Bob Senator werden wollen, und wenn ihm etwas zustoßen sollte, würde mein Bruder Teddy an unserer Stelle kandidieren.[7]
Tatsächlich wird Robert («Bob» oder «Bobby») Kennedy nach dem Tod seines Bruders Senator, greift nach der Präsidentschaft und wird 1968 während seines Wahlkampfs ermordet. Edward («Ted» oder «Teddy») Kennedy wird ebenfalls Senator und bleibt es bis zu seinem Tod 2009. 1980 bemüht auch er sich – allerdings erfolglos – um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei. Die Kennedys waren und bleiben eine politische Dynastie, amerikanische Aristokraten, ja fast so etwas wie eine königliche Familie.
Dabei stammen sie aus einer Einwanderergruppe, die der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft bis weit ins 20. Jahrhundert hinein religiös suspekt und kulturell fremdartig erscheint. Die Kennedys sind katholische Iren. Anders als die protestantischen Pilgerväter kommen die Iren nicht nach Amerika, um eine gesellschaftliche Utopie zu verwirklichen oder religiöse Freiheit zu erlangen. Sie fliehen vor dem «Großen Hunger», der nach Ausbruch der Kartoffelpest 1845 in Irland wütet. Über eine Million Iren verhungern, eine weitere Million rettet sich über den Atlantik, darunter Patrick Kennedy und Bridget Murphy, John F. Kennedys Urgroßeltern väterlicherseits, die 1849 in Boston ankommen. Sie haben sich auf dem Schiff kennengelernt. Der Bauernsohn Patrick findet gleich im Hafen Arbeit als Fassbauer. Er stirbt nach zehn Jahren, ohne je den Fuß außerhalb Bostons gesetzt zu haben.
Wie Patrick und Bridget Kennedy bleiben die Iren in Amerika meistens dort, wo sie an Land gespült worden sind: in den Städten des Ostens, wo aus Kleinbauern Proletarier werden. Fehlt ihnen der Pioniergeist, wie ihnen ihre angelsächsischen Verächter vorwerfen? Eher fehlt ihnen das bescheidene Kapital, das zur Ausrüstung eines Planwagens gehört. Hinzu kommen aber erstens ihr bäuerlicher Clan-Geist und zweitens ihre Religion. Dem protestantischen Pionier ersetzen in der Wildnis Bibel und Gewissen die Kirche; für die katholischen Iren aber bleibt die Kirche im neuen Elend der Slums wie früher im ländlichen Elend Mittelpunkt des Lebens. Der Priester bleibt ihr geistiger Führer. Die Pioniergrenze des Westens – die «Frontier» – bleibt ihnen fremd. Nicht ohne geschichtliche Ironie ist es daher, dass 111 Jahre nach der Ankunft Patrick Kennedys in der neuen Welt sein Urenkel, der erste katholische Präsident Amerikas, eine New Frontier verkündet: Sie liegt in den Slums der Großstädte, im Dschungel Vietnams und in den Staubwüsten des Mondes.
Bridget Kennedy hat fünf Kinder. Sie schuftet, spart, kauft einen Kurzwarenladen und legt damit die Grundlage für den Aufstieg ihres Sohns Patrick Joseph Kennedy. «P.J.» beginnt seine Karriere als Kneipenwirt. Für die Iren in Amerika ist neben der Kirche die Kneipe die wichtigste Sozialeinrichtung. Aus den engen Mietwohnungen mit ihren stinkenden Gemeinschaftstoiletten, dem Kindergeschrei und dem Gejammer der dort eingesperrten Frauen fliehen die Männer in die Geselligkeit der Kneipe. Der Alkohol zerstört unzählige Leben. Doch in den Kneipen entsteht auch jenes System der Solidarität, mit dem die Zuwanderer sich gegen die weiße, angelsächsische, protestantische Elite – die WASPs – behaupten. Es ist die von örtlichen «Bossen» kontrollierte Parallelgesellschaft der «Maschine».
Von seinem Kneipenhinterzimmer aus kümmert sich der Boss um die täglichen Sorgen der Menschen: besorgt Jobs, vermittelt Kredite, regelt Sachen mit der Polizei, tröstet Witwen und Waisen. Im Gegenzug verlangt er weiter nichts als die Stimmen seiner Leute am Wahltag. Besonders eifrige Helfer werden nach dem Wahlsieg mit Posten in der Stadtverwaltung, der Polizei, der Müllabfuhr usw. belohnt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erobern irische Bosse die Rathäuser von New York, Boston, Baltimore und anderen Großstädten der Ostküste und verwandeln die örtlichen Organisationen der Demokratischen Partei in Teile ihrer «Maschine». Programm und Tradition der Demokraten sind ihnen herzlich gleichgültig; die Republikanische Partei aber, die «Grand Old Party» Abraham Lincolns, ist fest in den Händen der alteingesessenen Familien.
Zur Zeit der amerikanischen Revolution (1776) bilden Katholiken etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung der 13 britischen Kolonien. Heute (Stand 2012) leben in den USA fast 78 Millionen registrierte Katholiken. Das entspricht etwa einem Drittel der Bevölkerung. Obwohl sich etwas mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung einer der Spielarten des Protestantismus zurechnet, bildet die katholische Kirche das größte Einzelbekenntnis vor den Baptisten, Methodisten und Lutheranern. Die USA besitzen die drittgrößte katholische Bevölkerung der Welt, nach Brasilien und Mexiko.
Die Demokratische Partei zieht jene an, die das Establishment ausgrenzt: die Proletarier der Ostküste ebenso wie die Kleinbauern des Südens; progressive jüdische Intellektuelle und antisemitische katholische Gewerkschaftler; Reformer aus dem Norden und Populisten aus dem Süden, die gegen die «Bastardisierung» Amerikas durch Schwarze, Juden, Katholiken und Freimaurer ebenso wettern wie gegen das Finanzkapital und die Macht der Bürokraten in Washington.
P.J. Kennedy steigt zum Boss des zweiten Bostoner Wahlbezirks auf und wird in den Senat von Massachusetts gewählt. Als Generalimporteur einer britischen Whiskyfirma und Hauptaktionär einer kleinen Bank bringt es Patrick zu einigem Wohlstand und zieht mit seiner Familie aus den Slums in einen Vorort, wo die «Spitzengardinen-Iren» wohnen. Gegen den Widerstand der Kirche schickt er den 1888 geborenen Sohn Joseph nicht auf eine katholische Konfessionsschule, sondern – wie die protestantischen «Brahmanen» – auf die Bostoner Lateinschule.
Nach dem Studium arbeitet «Joe» kurz in der Bank seines Vaters, wird stellvertretender Bankprüfer des Staates Massachusetts und ist mit 25 Jahren der jüngste Bankpräsident der USA. Als Lebensziel gibt er an: «Bis fünfunddreißig Millionär sein.»[8] Die Heirat mit Rose Fitzgerald, der Tochter eines früheren Bostoner Bürgermeisters, bedeutet die Vereinigung zweier mächtiger irischer Clans und ist der Gründungsakt der Dynastie.
1. Westliche Expansion der USA mit Kauf bzw. Annektierung französischer und spanischer Gebiete. Bereits 1850 bilden Katholiken die größte Einzelkonfession.
2. Zuwanderung aus Irland, Italien, Polen und Deutschland. Zwischen 1850 und 1900 verdreifacht sich die Zahl der Katholiken auf etwa 12 Millionen oder ein Sechstel der Bevölkerung, was zu Warnungen vor der «katholischen Gefahr» führt.
3. Im 21. Jahrhundert hat die Zuwanderung aus Lateinamerika das Gesicht der bis dahin vom irischen Klerus beherrschten Kirche in den USA verändert. Ein Viertel aller Katholiken und die Hälfte der Katholiken unter 40 Jahren sind heute «Hispanics». «Wenn man wissen will, wie das Land in drei Jahrzehnten aussehen wird, muss man die katholische Kirche betrachten» (Luis Lugo, Politikwissenschaftler, 2009).
Über Rose Fitzgerald Kennedy schreiben heißt, über die Rolle der Frau in der patriarchalischen Zuwanderergesellschaft nachzudenken, deren Rückständigkeit und Kinderreichtum den angelsächsischen Zeitgenossen als Gefahr für den Bestand Amerikas erscheinen. Rose Kennedys Großmutter Rosanna gebiert ihrem Mann Thomas Fitzgerald in 22 Jahren zwölf Kinder. Als sie fünfundvierzigjährig stirbt, ist sie mit ihrem dreizehnten Kind schwanger. Fitzgerald ist ein irischer Bauernsohn, der es in Boston zum Mitinhaber eines Lebensmittelgeschäfts gebracht hat, das abends als Kneipe fungiert. Sein zweitältester Sohn John Francis Fitzgerald wird es zum Bürgermeister von Boston bringen. Dessen Frau – und entfernte Cousine – Mary ist eine blasse, stets klagende Gestalt, die kaum Anteil am gesellschaftlichen Leben ihres lebenslustigen Mannes nimmt, sondern zu Hause bei den sechs Kindern bleibt. Rose, das älteste Kind, will alles anders machen.
Rose ist das älteste Kind, der Liebling des Vaters, den sie abgöttisch liebt. John Fitzgerald hat als einer der ersten Iren die Bostoner Lateinschule besucht und ein Medizinstudium begonnen, das er jedoch nach dem Tod des Vaters abbricht. Stattdessen geht er in die Politik und wird Boss des sechsten Bostoner Wahlbezirks, der «Napoleon vom Nordende». Zusammen mit Männern wie Patrick Kennedy kontrolliert Fitzgerald die Demokratische Partei in Boston, lässt sich in den Senat von Massachusetts, in den Kongress der USA und 1906 zum Bürgermeister Bostons wählen. Er ist beliebt, ein Meister des «fliegenden irischen Wechsels»: einem Menschen die Hand schütteln, sich gleichzeitig angeregt mit einem zweiten unterhalten, dabei einem dritten zuzwinkern. Er fehlt bei keiner Feier, keinem Ball, keiner Totenwache. Und an seiner Seite steht Rose: intelligent, redegewandt, schön; eine Vollblutpolitikerin.
Gegen den Wunsch der Kirche schickt Fitzgerald seine Töchter auf eine nichtkonfessionelle Schule. Rose soll danach Wellesley College besuchen, die erste Hochschule, die Frauen eine den Männern gleichwertige Ausbildung ermöglicht, damals ein Zentrum der Frauenbewegung. 1907 aber – keine zwei Jahre im Amt – wird Fitzgerald mit den Ergebnissen einer Untersuchungskommission konfrontiert, die der Stadtverwaltung Verschwendung, Vetternwirtschaft und Korruption vorwirft. Da erscheint es nicht ratsam, sich auch noch die Kirche zum Feind zu machen. Rose wird auf eine holländische Klosterschule geschickt, wo sie lernt, sich dem Willen Gottes und ihres künftigen Ehemanns unterzuordnen, Glück und Erfüllung als Frau und Mutter zu finden.
Neun Kinder bekommen Joseph und Rose Kennedy, vier Jungen und fünf Mädchen. Der erste Sohn wird nach seinem Vater Joseph genannt, der zweite nach Roses Vater John Fitzgerald. Er wird am 29. Mai 1917 geboren.
Sechs Wochen zuvor haben die USA unter Präsident Woodrow Wilson Deutschland den Krieg erklärt und sind damit in die Weltpolitik eingetreten. Wilsons Losung lautet: «Die Welt für die Demokratie sicher machen.» Wenige Monate später wird die russische Revolution zum Fanal einer ganz anderen Weltrevolution. So beginnt das Ringen zwischen kapitalistischer Demokratie und kommunistischer Diktatur um die Vorherrschaft in der Welt, die unter der Präsidentschaft John F. Kennedys beinahe zum Weltkrieg eskaliert.
Rose Kennedy vermittelt ihrer Familie die Werte, die ihr im Kloster eingeimpft worden sind. Sie war furchtbar religiös, sagt John F. Kennedy später von seiner Mutter. Sie war ein wenig distanziert, ja ist es noch, und ich denke, nur so kannst du überleben, wenn du neun Kinder hast. Ich hielt sie für eine vorbildliche Mutter einer großen Familie.[9] Man beachte die Vergangenheitsform: hielt. Als Ehemann erklärt Kennedy einem Journalisten, er strebe keine große Familie an, da sie für die Kinder Leben wie in einer Anstalt bedeute, ja wie in einem Gefängnistrakt.[10] Der jüngste Sohn Edward erinnert sich, dass Prügel, auch mit dem Kleiderbügel, ebenso zum «Arsenal» der Mutter gehörte wie «die Verbannung in den Schrank».[11]
Das Leben in dieser Anstalt organisiert Rose mit Hilfe von Kindermädchen, Köchinnen und Turnlehrern. Sie sorgt aber persönlich dafür, dass die Kinder pünktlich zum Essen kommen und ihre Tischgebete aufsagen, setzt Themen fest, über die bei den Mahlzeiten zu diskutieren ist, geht mit ihnen in die Kirche und kümmert sich um ihre religiöse Erziehung. (Am 30. März 1923 vermerkt Rose in ihrem Tagebuch: «Jack war es heute nicht so wichtig, um einen glücklichen Tod zu beten, sondern meinte, er wolle sich lieber zwei Hunde wünschen.»[12])
Gegenüber einem Freund klagt Jack als Erwachsener: Sie war nie da, wenn wir sie wirklich brauchten. Meine Mutter hat mich nie umarmt, nie gedrückt.[13] Jacqueline Kennedy sagt schlicht: «Seine Mutter hat ihn nie wirklich geliebt.»[14]
Der Geist der Familie wird von Joe Kennedy geprägt, dem «Architekten unseres Lebens», wie Rose ihn nennt.[15] Jacqueline wird ihn später als die «Tigermutter» bezeichnen.[16] Seinen Ehrgeiz impft der Vater den Kindern ein: «Wir wollen keine Verlierer unter uns haben. In dieser Familie wollen wir nur Gewinner. Zweiter oder Dritter werden zählt nicht: Ihr müsst siegen!»[17] – «In diesem Haus wird nicht geweint!»[18] – «Ein Kennedy klagt nie.»[19]Ich wuchs in einem sehr strengen Haushalt auf, wo es nichts umsonst gab und wo von jedem erwartet wurde, dass er sein Bestes gab. Es gab einen ständigen Druck auf jeden, sich zu verbessern.[20]
Joseph Kennedy ist allerdings selten zu Hause. Bank- und Börsengeschäfte halten ihn wochenlang in New York fest. Die Jahre 1927 bis 1929 verbringt er zum großen Teil in Hollywood, wo er die Filmgesellschaft RKO gründet und eine Affäre mit der Stummfilmdiva Gloria Swanson hat, die Rose ebenso wenig zur Kenntnis nimmt wie die vielen anderen sexuellen Abenteuer ihres Mannes. Joe ist ein «compulsive womanizer» und gibt auch diese Seite seines Charakters mit der dazugehörigen Doppelmoral an seine älteren Söhne weiter. (Der viel jüngere Robert Kennedy hingegen übernimmt die tiefe Religiosität und den Familiensinn der Mutter, zusammen mit ihrem Hang zum Moralisieren.)
In Abwesenheit des Vaters muss Joe Junior als dessen Stellvertreter gegenüber den jüngeren Geschwistern auftreten. Joe machte viele Sachen sehr gut, schreibt Jack nach dessen Tod in einem Erinnerungsband, aber ich habe immer gemeint, dass Joe seinen größten Erfolg als ältester Bruder erzielte. Sehr früh im Leben begann er sich für seine Brüder und Schwestern verantwortlich zu fühlen. […] Mir gegenüber, der ich fast gleichaltrig war, bestand diese Verantwortung darin, in allem einen durchweg hohen Maßstab zu setzen. […] Sollte eines der Kennedy-Kinder es jetzt oder in Zukunft je zu etwas bringen, so wird das, glaube ich, mehr als irgendeinem anderen Faktor Joes Verhalten und seinem steten Vorbild zu verdanken sein.[21]
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wegen der kleinsten Vergehen wird Jack vom Bruder erbarmungslos verprügelt; und der ältere, stärkere Junge fordert den jüngeren, schwächeren immer wieder zu Wettkämpfen auf, die er nie gewinnen kann. Einmal rasen sie auf ihren Fahrrädern in entgegengesetzte Richtungen um das Haus; da keiner ausweichen will, kommt es zum Zusammenstoß; Jack wird blutüberströmt ins Krankenhaus eingeliefert. Als sein erster Biograph ihn nach Kindheitsproblemen fragt, fällt dem Präsidentschaftskandidaten zunächst nichts ein. Dann sagt er: Joe. Er hatte eine kampflustige Persönlichkeit. Später legte sich das, aber es war ein Problem, als ich ein kleiner Junge war.[22] Mit Schadenfreude erlebt Jack, wie ältere Schüler einmal den Bruder verprügeln: Die Primaner haben ihn vielleicht versohlt. O Mann, der hatte überall Blasen, die haben ihn fast zu Tode geprügelt. Ich hätte was drum gegeben, Primaner zu sein.[23]
Kaum weniger problematisch ist das stete Vorbild des Bruders, dem Jack mit dreizehn zunächst auf ein katholisches, ein Jahr später auf das protestantische Internat Choate folgt. (Getreu der Familientradition der Fitzgeralds und der Kennedys werden die Mädchen weiterhin auf katholische Schulen geschickt.) Joe ist ihm nicht nur akademisch überlegen, sondern – im amerikanischen Schulsystem ohnehin und für einen Kennedy allemal besonders wichtig – auch beim Sport. Ganz im Gegensatz zum Image des jugendlich gesunden, sportlich robusten Mannes, das Kennedy als Politiker kultiviert, ist Jack nämlich von frühester Kindheit an schwächlich, leidet nicht nur an den üblichen Kinderkrankheiten, sondern unter Allergien, Asthma, Schwächeanfällen und einem chronischen, möglicherweise psychisch bedingten Reizdarmsyndrom, das ihn – ermattet, abgemagert und entmutigt – oft wochenlang ans Bett fesselt.
Diese Krankheit ist verständlicherweise dem Teenager peinlich: Was soll ich sagen, wenn mich jemand fragt, was ich habe?, schreibt er aus einer Klinik seinem engsten Schulfreund LeMoyne («Lem») Billings.[24]
In der Erfolgsphilosophie der Kennedys ist für Schwäche kein Platz. Vor allem darf sie nicht gezeigt werden. «Denk daran», sagt der Vater oft, «es kommt nicht darauf an, was du bist, sondern wofür dich die Leute halten.»[25] Image ist alles. So leugnet die Familie jahrelang, dass Jacks ein Jahr jüngere Schwester Rosemary geistig behindert ist. Sie sei eben etwas schüchtern und langsam, heißt es. Als Rosemary verhaltensauffällig wird, lässt der Vater 1941 eine partielle Lobotomie vornehmen. Diese Operation, bei der die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen durchtrennt werden, wird heute kaum noch durchgeführt. Abgesehen davon, dass sie in zwei bis sechs Prozent der Fälle tödlich verläuft, ist der Erfolg unsicher, während es in jedem Fall zu schweren Persönlichkeitsstörungen kommt, insbesondere zu einem Antriebsverlust. So ist es auch bei Rosemary. Sie wird in die Obhut der Nonnen von St. Coletta in Wisconsin gegeben. Der Öffentlichkeit aber wird weisgemacht, Rosemary habe sich zurückgezogen, um sich der Pflege geistig behinderter Kinder zu widmen. So wird noch aus ihrer Tragödie politisches Kapital für die Familie geschlagen.
Diesen zwanghaften Wunsch, das Image der Familie auch um den Preis des Selbstbetrugs zu kontrollieren, hat Jack internalisiert. Als er von einem Mitschüler wegen seiner sorgfältig gepflegten Sonnenbräune aufgezogen wird, sagt er: Es ist nicht nur so, dass ich so aussehen will, sondern ich will mich auch so fühlen. Das gibt mir Selbstvertrauen […]. So fühle ich mich stark, gesund, attraktiv.[26] Unterdessen schickt ihn der Vater von Klinik zu Klinik, um die Ursachen für seine Gesundheitsprobleme zu finden. An Billings schreibt Jack einmal, sein Rektum sei ziemlich rot nach dem Krankenhaus. Deins wäre auch rot, wenn man Dir alles Mögliche dort reingesteckt hätte, vom Gummischlauch bis zum Eisenrohr. Wenn ich scheiße, fühle ich nichts, so weit ist es geworden.[27] Zwischendurch glauben die Ärzte, eine Leukämie diagnostiziert zu haben. Anscheinend bin ich noch kranker, als ich dachte, heißt es in einem anderen Brief an Billings, also arbeite ich schon mal an einem humpelnden Gang und einem hohlen Husten.[28] Der Freund solle eines Tages seine Biographie schreiben und ihr den Titel geben: John F. Kennedy – eine Krankengeschichte.[29]
Tatsächlich ist Kennedy sehr krank. Erst 1947 wird die Ursache diagnostiziert. Es handelt sich um die Addison-Krankheit, eine lebensgefährliche Unterfunktion der Nebennierenrinde, die durch Stress ausgelöst wird und sich in Schwäche und rascher Ermüdbarkeit, Gewichtsabnahme, Magen-Darm-Infektionen, gelblicher Pigmentierung der Haut, Abnahme der Immunabwehr, der Libido und der Potenz äußern kann. Wird die Krankheit nicht richtig behandelt, kann es zur Krise kommen: Schweißausbrüche, Schwindel, Erbrechen, Kollaps.
Bei Kennedy kommt hinzu, dass ihm die Ärzte zur Bekämpfung seiner Darmsymptome ab 1937 die neu entdeckten Steroide verschreiben. Diese können nicht nur die Addison-Krankheit verschärft und durch hormonale Veränderungen seine Sexsucht verstärkt haben. Zu den Nebenwirkungen gehört auch die Osteoporose, der Knochenschwund, der zu Wirbelkörpereinbrüchen führen kann.
Schon an der Universität leidet Kennedy wegen seiner geschwächten Wirbelsäule an extremen Rückenschmerzen, die ihn trotz mehrerer lebensgefährlicher Operationen ein Leben lang plagen und in die Medikamentenabhängigkeit treiben. Trotzdem – «Wir wollen keine Verlierer unter uns haben!» – spielt er mit vollem Einsatz Football, wird ein guter Schwimmer und Segler. Als der Zweite Weltkrieg kommt, wird er sich, obwohl untauglich, zum aktiven Einsatz melden. Und als Politiker benutzt er immer wieder in seinen Reden das Wort vigor, was Lebens- oder Manneskraft bedeutet. Diese verbissene Entschlossenheit, sich nicht der Krankheit zu ergeben, ist – auch wenn sie fast pathologische Züge hat – ebenso bewundernswert wie die selbstironische Distanz, mit der er bereits als Jugendlicher seine körperlichen Gebrechen betrachtet. Der Kampf gegen die eigene Schwäche gibt dem äußerlich so umgänglichen Mann die von seinen politischen Rivalen später oft unterschätzte Härte, die er braucht, um das Ziel der Familie zu erreichen: das Weiße Haus.
Gegenüber der Öffentlichkeit werden aber Ursache und Schwere der Krankheit geleugnet. Als seine Rückenprobleme in den 1950er Jahren so schlimm werden, dass der aufstrebende Politiker zeitweise auf Krücken gehen muss, behauptet die Familie, sie seien Ergebnis einer Verletzung beim Football und seines Kriegseinsatzes. So wird, wie bei Rosemary, aus einem Leiden ein Imagevorteil gemacht.
Weil er als Kind und Jugendlicher so oft ans Bett gefesselt ist, wird Jack ein passionierter Leser. «Die Geschichte machte aus ihm diesen einsamen, kranken Jungen», sagt Jacqueline kurz nach seiner Ermordung. «Die Geschichte machte Jack zu diesem kleinen Jungen, der über Geschichte las.»[30] Besonders gern liest er geschichtliche Abenteuerromane und die Biographien bedeutender Männer. An den Vater schreibt der Dreizehnjährige: Wir lesen «Ivanhoe» in Englisch, und obwohl ich mir materielle Sachen wie Fahrkarten, Handschuhe und so weiter nicht merken kann, kann ich mir Sachen wie Ivanhoe gut merken, und bei der letzten Arbeit darüber bekam ich 98 Prozent.[31]
Trotz seiner Lesewut bleiben Jacks akademische Leistungen immer hinter denen des älteren Bruders zurück. Sie müssen wissen, ich bin keine Leuchte wie mein Bruder Joe, erzählt er seinem Professor in Harvard.[32] Als er die Eliteschule Choate verlässt, hat Jack Platz 64 von 112 Schülern erreicht. Dennoch wählen ihn seine Klassenkameraden zum «Schüler, der es wahrscheinlich am weitesten bringen wird».
Für den Direktor George St. John hingegen gehört Jack zu den antiautoritären Rebellen, die der Protestant «Muckers» nennt. Das ist durchaus rassistisch gemeint. So wurden nämlich die irischen Hilfsarbeiter genannt, die Pferdedreck («muck») von der Straße schaufelten. Prompt gründet Jack einen «Muckers Club» zum Aushecken von Streichen, dessen Vorsitzender er wird. Als die Sache auffliegt, entgeht Jack nur knapp der Relegation. «Ich kann mich entweder um die Leitung der Schule kümmern oder um Jack Kennedy und seine Freunde», seufzt St. John.[33]
Nach der Schule will Jack wie vor ihm Joe an der London School of Economics bei Harold Laski studieren, einem Freund des Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Die Wahl des jüdischen Marxisten Laski als Mentor der Söhne eines irisch-katholischen Millionärs erscheint merkwürdig. Aber der Vater ist überzeugt, dass die Zeit des ungezügelten Kapitalismus, von dem er selbst profitiert hat, abgelaufen ist, und dass die Zukunft irgendeiner Form gelenkter Wirtschaft gehört, sei es Sozialismus oder Faschismus. Das Studium bei Laski muss Jack aber wegen Krankheit abbrechen, ebenso wie sein Studium an der Elite-Universität Princeton, wo er sich – gegen die Familientradition und den Willen des Vaters – einschreibt, um aus dem Schatten des Bruders herauszutreten, der bereits in Harvard brilliert. Schließlich beugt sich Jack doch dem Drängen des Vaters und schreibt sich 1936 in Harvard ein. Er belegt Englisch, Französisch, Geschichte und Volkswirtschaft und wird in allen Fächern – außer Volkswirtschaft, wo er gute Noten erzielt – mit «C» (befriedigend) benotet. Verbissen und vergeblich trainiert er für die Schwimm- und Football-Mannschaften.
Harvard ist damals ein Zentrum politischer Aktivität. Roosevelts «New Deal» und der konservative Widerstand dagegen, Stalins kommunistische Diktatur in der Sowjetunion und der Sieg des Faschismus in Italien und Deutschland, der Spanische Bürgerkrieg und die Gefahr eines neuen Weltkriegs haben die Studenten radikalisiert und polarisiert. Im Gegensatz zu Joe Junior aber, der sich als Sprecher der Isolationisten profiliert, die Amerika aus einem kommenden europäischen Krieg heraushalten wollen, nimmt Jack an den Auseinandersetzungen keinen Anteil. Erst nach einer Europa-Reise mit Lem Billings im Sommer 1937, die sie durch Frankreich, Italien und auch Deutschland führt, beginnt er sich für die Politik zu interessieren.
Freilich findet sich in seinem Reisetagebuch während der Zeit in Deutschland kein Wort über die antisemitische Hetze, die Unterdrückung politischer Gegner und die Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten. Die Schönheit deutscher Städte beweist dem Zwanzigjährigen vielmehr, dass die nordischen Rassen den lateinischen überlegen seien. Die Deutschen seien einfach zu gut, deshalb würden sich in Europa die Leute gegen sie zusammenrotten.[34]
Wie diese Bemerkungen zeigen, sind die Einwanderer einerseits Opfer des Rassismus, andererseits tragen sie ihn weiter. Wie Kennedy 1957 in einer Rede vor dem American Jewish Committee (AJC) sagt: Jede Welle lehnte die nächste ab, misstraute ihr. Die Engländer sagten von den Iren, sie «hielten am Sabbat fest wie an allem, was ihnen unter die Finger kam». Engländer und Iren misstrauten den Deutschen, die «zu hart arbeiteten». Engländer, Iren und Deutsche lehnten die Italiener ab; und die Italiener waren mit ihren Vorgängern in der Abwertung der Slawen einig.[35] Und alle sind antisemitisch.
Der künftige Präsident bekennt sich zu Einwanderung und Multikulturalismus: Ich bin fest davon überzeugt, dass unser religiöser und kultureller Pluralismus über die Jahre eine der Hauptquellen unserer Kraft gewesen ist.[36] Freilich ist sein Vater noch von den Ressentiments eines katholischen Aufsteigers geprägt. Joes Antisemitismus etwa ist aktenkundig. So berichtet im Sommer 1938 Hitlers Botschafter in Großbritannien, Herbert von Dirksen, über seine Gespräche mit seinem amerikanischen Kollegen Joseph Kennedy nach Berlin: «Es sei nicht so sehr die Tatsache, dass wir die Juden loswerden wollten, als vielmehr der Lärm, der diese Zielsetzung begleite, der uns schade. Er selbst verstehe unsere Judenpolitik vollkommen; er stamme aus Boston, und dort sei in einem Golfclub und auch in anderen Clubs seit fünfzig Jahren kein Jude aufgenommen worden.»[37]